Ich halte nichts von Wundertinkturen! - HNO-Praxis Schlömicher

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INTERVIEW
Josef Schlömicher-Thier
Ich halte nichts von
Wundertinkturen!
Zehn Fragen an Dr. Josef Schlömicher-Thier
Mit ihm sprach Michael Büttner.
Lieber Herr Dr. Schlömicher-Thier, zunächst möchten
wir Ihnen zum 20jährigen Dienstjubiläum als Arzt der
Salzburger Festspiele ganz herzlich gratulieren. Wie
kam es zu dieser Verpflichtung, wer waren Ihre Vorgänger im Amt, welches sind Ihre Aufgaben?
Dr. Josef Schlömicher-Thier: Zu singen begann ich
schon als Kind mit der Mutter am Pferdewagen in der
tiefen Oststeiermark. Wir haben oft gemeinsam gesungen,
wenn wir in der Finsternis mit den Pferden durch den
Wald fuhren, um die Dunkelheitsgeister zu verscheuchen.
Schon in der Schule fiel den Lehrern meine Stimme auf,
man wollte mich zu den Sängerknaben nach Wien bringen, was ich aber nicht wollte. Gesungen habe ich auch
im tiefen Keller bei meiner Ausbildung zum Bierbrauer,
besonders in der Nachtschicht, wenn ich alleine war. Später entdeckte mich ein Gesangslehrer beim Straßentheater
und holte mich zum Musikkonservatorium nach Graz.
Anschließend schrieb ich mich neben dem Medizinstudium an der Musikhochschule in Graz ein, wo ich vier Jahre
als Bariton Einzelunterricht bekam und in der Opernund Liedklasse mitwirkte.
Anlässlich eines kleinen Liederabends bei einem medizinischen Kongress bot mir mein späterer Chef an der
Salzburger HNO-Abteilung, Herr Prof. Dr. Albegger,
ab Sommer 1991 eine HNO-Ausbildungsstelle an,
auf diese Weise kam ich nach Salzburg. Der Umstand,
dass viele meiner ehemaligen Kommilitonen, die im
Staatsopernchor Wien einen Stelle gefunden hatten
und auch im Sommer bei den Festspielen in Salzburg
engagiert waren, mich in Salzburg aufsuchten, war der
Beginn meiner Betreuung der Salzburger Festspiele. Ab
1996 bekam ich einen Vertrag als Arbeitsmediziner im
Festspielhaus, somit war ich für das Arbeitsorgan Stimme und auch für alle anderen medizinischen Aufgaben
im Haus zuständig. Es war dies die erste feste Stelle eines Arztes am Haus. Vorher hatte es nur einen alten Polizeiarzt gegeben, der die Publikumsdienste übernahm.
Als Festspielarzt tragen Sie eine enorme Verantwortung
für das Wohlergehen der beteiligten Künstler. Kann man
sich im Vorfeld der Saison darauf vorbereiten?
Ja, natürlich habe ich im Laufe der Zeit ein internationales Netzwerk von Stimmärzten aufgebaut, damit
meine Patienten weiterbetreut werden können. VorbeVOX HUMANA 12.2 | 06.2016
reiten kann man sich nur insofern, dass man sich regelmäßig fortbildet und einen regelmäßigen Kontakt zu
internationalen Kollegen hält. Die anfallenden Probleme tauchen plötzlich bei den Proben auf oder knapp
vor der Premiere und erfordern eine genaue Einschätzung der Situation, welcher Therapieansatz möglich
ist, ob die Zeit bis zur Premiere ausreicht oder ob eine
rechtzeitige Umbesetzung notwendig ist. Solche Entscheidungen können mir fallweise schlaflose Nächte
bereiten.
Welchen Einfluss haben Sie als Arzt bei der Erstellung
von Probenplänen, Vorstellungsplänen, um Fehlbelastungen vorzubeugen? Gibt es eine Zusammenarbeit
mit der Festspielintendanz?
Normalerweise nehme ich auf Probenpläne und auf
die Vorstellungs-Intervalle keinen Einfluss, weil das
künstlerische Betriebsbüro bei den Salzburger Festspielen sehr verantwortungsvoll im Sinne der Sänger
arbeitet. Es kann aber sein, dass ein neuer Intendant
den Aufführungsbogen überspannt und die Sänger
nötige Ruhepausen nicht einhalten können. Dann
melde ich mich vehement zu Wort - und schaffe mir
damit keine Freunde. Habe ich alles schon erlebt.
Wie bereiten Sie sich auf einen konkreten Abend vor?
Gibt es im Vorfeld Hinweise auf Indisposition? Was
macht ein Festspielarzt während der Aufführungen? Wie
lösen Sie in Ihrer Arbeit den Konflikt zwischen körperlicher Unversehrtheit der Künstler und den Interessen der
Festspiele? Schließlich sind enorme Kartenpreise bzw.
auf der Künstlerseite hohe Gagen im Spiel.
Das ist ein Tanz auf heißen Kohlen. Mein Motto heißt
immer: “Save the singer's fee, but avoid health risks”.
Es kommt allerdings selten vor, dass Probleme 30 Minuten vor der Vorstellung beim Einsingen auftauchen,
weil der Sänger eine Allergie oder einen Infekt falsch
eingeschätzt hat, ohne mich vorher zu konsultieren.
Dann muss ich ihn sofort im Ruheraum untersuchen
und seine stimmliche Belastungsfähigkeit abklären.
Meist helfen minimale Maßnahmen und gutes Zureden. In zwei Fällen war ich jedoch froh, dass eine
Zweitbesetzung im Publikum war bzw. mit dem Taxi
vom Strandbad herangebracht wurde. Die sangen dann
INTERVIEW
Gab es in Ihrer Zeit als Festspielarzt schon einmal die
als Klischee sattsam bekannte Situation, dass aus dem
Zuschauerraum der Ruf ertönte „Einen Arzt, bitte!“?
Oder andere dramatische Fälle?
Ich bin auch für die Fortbildung und Einteilung der 40
Publikumsärzte zuständig und sitze selbst regelmäßig
am Dienstsitz bei den Vorstellungen. Es gibt ein gut
trainiertes Zusammenspiel zwischen Saaldienst, Rettungskräften und Publikumsarzt, sodass ein Anlassfall
schnell gefunden wird und eine Bergung sehr rasch und
leise ablaufen kann. Die betroffene Person wird dann
außerhalb des Saales oder im Arztzimmer notfallmäßig
weiterbetreut. Die Spannbreite geht hier vom einfachen
Kollaps bis hin zum Schlaganfall oder Herzinfarkt.
Vermutlich handelt es sich bei Ihrem ärztlichen Wirken
überwiegend um Akutbehandlungen. Könnten Sie Spezialmittelchen verraten?
Die ärztlichen Maßnahmen und Medikationen sind je
nach Anlassfall individuell verschieden. Ich halte nichts
von „Wundertinkturen“. Das beste Mittel ist das Wissen-Erfahrung-Bauchgefühl und das Glück der situativen richtigen Entscheidung – aber „Nobody is perfect“.
Wer Sie kennt weiß, dass Sie selbst ein ausgebildeter Sänger
sind. Hat das Einfluss auf Ihre Behandlungen von Sängern?
Ja, auf jeden Fall. Als semiprofessioneller Bariton singe
ich regelmäßig Konzerte und habe schon aus Ehrgeiz
„Das beste Mittel ist das WissenErfahrung-Bauchgefühl und das Glück
der situativen richtigen Entscheidung –
aber „Nobody is perfect“
und Verantwortung halbgenesen und angeschlagen
gesungen und weiß, wie sich eine stimmliche Indisposition im falschem Zeitfenster auf die körperliche
und psychische Disposition auswirkt, zum Beispiel
welches Stimmregister nur mit erhöhtem Atemdruck
zu gebrauchen ist. Auf der anderen Seite gibt es Kollegen, die auch ohne eigene sängerische Erfahrungen
imstande, sind ein gutes empathisches und erfolgreiches Verhältnis zu den Sängern aufzubauen. Aber ein
gewisser Zauber ist doch da, wenn ich als Arzt selbst
sängerisch aktiv bin.
Wenn die Festspielzeit vorüber ist und sie haben Künstlern so manche Aufführung gerettet, bleiben diese dann
treue Patienten? Schließlich führen Sie eine erfolgreiche HNO-Praxis in Neumarkt am Wallersee bei Salzburg.
Ja schon, wenn sie in der näheren Umgebung (Autoentfernung) zuhause sind. Sänger, die ich gut kenne, rufen mich zuweilen aus Übersee an, wenn sie Probleme
haben oder das Therapiekonzept eines Kollegen überprüfen lassen möchten. Dann höre ich mir manchmal
Stimmübungen am Telefon an und versuche, den Klang
Foto © www.salzburgerfestspiele.at/fotoservice/subcategoryid/5191/archivyear/2016
von der Bühnenseite die Partie, während der erkrankte
Sänger stumm spielte. Während meiner 20jährigen Tätigkeit musste nie eine Vorstellung wegen einer akuten
stimmlichen Indisposition abgesagt werden. Was dies
bei 2400 Besucher im Großen Festspielhaus bedeuten
würde, möchte ich mir gar nicht vorstellen.
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INTERVIEW
akustisch zu analysieren, wenn sie möglicherweise dort
keinen stimmkundigen Kollegen zur Hand haben. Eine
weiche Randkantenschwellung bei einer Sängerin in der
Prämenstruation kann man auf diese Weise schon erkennen, wenn die Stimme beim Mezzoforte im oberen Register wieder klar und dicht wird. Es reichen dann oft ein
paar einfache stimmhygienische Empfehlungen. Wie
gesagt, das geht jedoch nur bei Sängern, deren Stimmlippen ich schon vorher gut kennenlernen konnte. Aber
auch solche Ferndiagnosen haben ihre Grenzen.
Aus Ihrer sängerischen und ärztlichen Sicht: Hätten Sie
Ratschläge für junge Sänger in den ersten Berufsjahren?
„Nicht zu schnell und nicht zu viel“ Die beruflichen
Chancen junger Sänger heutzutage sind schlecht. Die
Konkurrenz ist groß, die Kulturbudgets gehen europaweit zurück, immer mehr Theater schließen. Es gibt gute
Sänger, die sich mit Gelegenheitsjobs wie Singen in Hotels, Schiffstouren, Hochzeitsingen finanziell gerade so
durchbringen. Daher setzen sie alles daran, wenn sie mal
ein festes Engagement an einem Theater bekommen,
dann auch alle angebotenen Rollen zu übernehmen und
diese auch indisponiert zu singen, aus Angst den Vertrag
zu verlieren. Zusätzlich gibt es Dirigenten, die bei jeder
Probe voll aussingen lassen. Regelmäßig sehe ich dann
solche Sängerpatienten in meiner Praxis.
So langsam entstehen wieder Ensembletheater und
Opernstudios, wo der junge Sänger langsam in die
Rollen hineinwachsen kann, aber dies ist derzeit leider noch die Ausnahme.
PANORAMA
Christel von der Post
und Königin der Nacht
Wer sich von Ingeborg Hallstein ein Bild machen will,
der nehme sich eine Stunde Zeit und schaue sich im
Internet ein Interview an, das August Everding 1991 in
seiner Reihe „da capo“ mit der Sängerin geführt hat.* Da
begegnet uns eine sympathische, temperamentvolle, reflektierte Künstlerin, die sich zu diesem Zeitpunkt schon
von der Bühne verabschiedet hatte, um sich ganz der gesangspädagogischen Arbeit zu widmen. Sie erzählt von der
missglückten Aufnahmeprüfung 1953 in München, lobt
die Gesangsausbildung durch ihre Mutter, berichtet von
ihren ersten Engagements (ab 1957), die zum Ausgangspunkt einer internationalen Karriere wurden und bekennt,
dass sie nie gut im Vom-Blatt-Singen war.
Ingeborg Hallstein zählt
zu den großen Koloratursopranistinnen des 20.
Jahrhunderts, gerühmt
für die Leichtigkeit und
Sicherheit, mit der sie
die schwierigsten Partien
meisterte. Davon zeugen
zahlreiche Video-Clips,
die begeisterte Fans im Internet zur Verfügung gestellt haben. In der WahrAuch die längsten Festspiele sind einmal vorüber, die
nehmung einer breiten
Alltagsroutine kehrt zurück und damit auch hoffentlich Öffentlichkeit lebt aber vor allem die Erinnerung an ihre
wieder etwas Freizeit. Dürfen wir erfahren, ob Sie noch Auftritte in populären Fernseh-Shows und Operettenfilsängerisch aktiv sind oder welche weiteren Lieblingsbe- men weiter, was ihrem künstlerischen Horizont nicht geschäftigungen Sie haben?
recht wird: Die Liste der von ihr gesungenen Partien ist
Ich arbeite sehr gerne in meiner Praxis, sowohl in
lang (z. B. sang sie 1966 in der Uraufführung von Henzes
Neumarkt als auch als Stimm- und Allgemeinarzt in „Bassariden“ bei den Salzburger Festspielen), und neben
Festspielhaus und neige dazu, viel zu viel zu arbeiten. Oper und Operette war ihr das Kunstlied als weiterer
Dennoch betreibe ich regelmäßig meinen morgend- künstlerischer Schwerpunkt wichtig.
lichen Waldlauf und mache Stimmübungen in der
Dusche. In regelmäßigen Abständen braue ich in Ab 1979 bekleidete sie eine Professur an der Musikhochder Kleinbrauerei eines Freundes das „Sängerelixier“, schule Würzburg, wo sie bis 2006 unterrichtete. Im letzmein Lieblingsbier. Gerade bereite mich auf mein
ten Jahr konnte man ihr noch bei Meisterkursen und als
nächstes Konzert am 21.5. in der Wallfahrtskirche Jurorin begegnen, z. B. beim Anneliese-RothenbergerWeizberg in der Steiermark vor, wo ich mit dem Wettbewerb auf der Insel Mainau. Mit ihrer FangemeinFestspiel- und Theaterkinderchor Salzburg sakrale
de gratulieren wir dieser großen Künstlerin zum 80. Geburtstag am 23. Mai.
Lieder singen werde, begleitet von meinem Freund
Elisabeth Graf
und Pianisten Dr. Fabinyi, einem HNO-Kollegen
aus Ungarn, der im Krankenhaus Krems arbeitet.
Dieses Programm erarbeite ich mir seit kurzem gemeinsam mit einem Gesangslehrer aus Salzburg.
Und ich freue mich immer, wenn ich regelmäßig
meine Enkelkinder Sophia und Felix in Bochum besuchen kann.
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