Ulrich Brinkmann Neubau auf sanierter Brache Dienstgebäude des Umweltbundesamts in Dessau Architekten: Sauerbruch & Hutton, Berlin Matthias Sauerbruch, Louisa Hutton, Juan Lucas Young, Jens Ludloff Projektleiter: Das „Gasviertel“ wurde 1995 abgerissen. Erhalten blieben das Empfangsgebäude des Wörlitzer Bahnhofs, das heute, von Sauerbruch & Hutton mit einem Anbau versehen, dem UBA als Informationszentrum dient, und der „Altbau 109“, in dem die Bibliothek untergebracht wurde. Blick von Süden Andrew Kiel, René Lotz Mitarbeiter: Nicole Berganski, Denise Dih, Andrea Frensch, Matthias Fuchs, Frauke Gerstenberg, Andreas Herschel, Rasmus Jörgensen, Agnieszka Kociemska, Mareike Lamm, Jan Läufer, Lageplan im Maßstab 1 : 10.000 Luftbild von Nordwesten um 1926: Stadtarchiv Dessau Jan Liesegang, Ian McMillan, Julia Neubauer, Konrad Opitz, Olaf Pfeifer, Jakob Schemel, David Wegener, Nicole Winge Projektsteuerer: Bovis Lend Lease l’ RW AG, Leipzig Tragwerksplanung: Krebs & Kiefer, Berlin Energiekonzept: Zibell Willner & Partner, Köln/Berlin Ökologische Beratung: GFÖB Gesellschaft für ökologische Bautechnik, Berlin Energieberatung: IEMB Institut für Erhaltung und Moder- nisierung von Bauwerken e.V., Berlin Landschaftsarchitekten: ST raum a., Berlin Bauherr: Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, vertreten durch LBB SachsenAnhalt Hauptniederlassung, Magdeburg, vertreten durch Landesbetrieb Bau Niederlassung Ost, Dessau 26 | Bauwelt 23 2005 Wer mit der Bahn nach Dessau reist, gewinnt einen recht aussagekräftigen ersten Eindruck von den Potentialen und Problemen dieser Stadt: Westlich des Gleisfelds deutet die aus den Wipfeln des Georgium-Parks ragende Kuppel des herzoglichen Mausoleums auf die gärtnerischen Schätze der ehemaligen Residenz, welche im Wörlitzer Gartenreich vor den Toren der Stadt ihren Höhepunkt finden, östlich der Trasse, auf der Stadtseite, stehen sperrig arrangierte Hinterlassenschaften des industriellen Bauens aus DDR-Zeiten für den einseitig interpretierten und folgerichtig gescheiterten Glauben des Bauhauses an die Technologisierung des Bauwesens, und zwischen ihnen künden Bauvolumen aus dem letzten Dezennium davon, dass auch eine bereits tief liegende architektonische Messlatte immer noch gerissen werden kann. Den gesellschaftlichen Umbruch im Chemiedreieck Dessau-Halle-Bitterfeld nach 1990 bezeugten jahrelang jedoch vor allem die verwaisten Industriebauten des alten Gasviertels, das sich in mehreren Etappen zwischen 1855 und 1914 entlang der Geleise entwickelt hatte und zum Schluss fast bis an den Bahnhofsvorplatz reichte. Die meisten seiner Monumente aus Backstein und Beton sind 1995 abgerissen worden, da kontaminiert und als Altlast eingestuft. An ihre Stelle ist nun der neue Dienstsitz des Umweltbundesamts getreten (UBA); 13 Jahre nach der Empfehlung der Föderalismuskommission des Deutschen Bundestags, Bundesbehörden auch auf dem Gebiet der „Beitrittsländer“ anzusiedeln, neun Jahre nach der Entscheidung für Dessau als neuen Standort und über sieben Jahre nach dem zweistufigen Realisierungswettbewerb. Der lang ge- streckte Neubau wurde am 11. Mai mit einem Bürgerfest feierlich eröffnet; für die Bundesminister Stolpe und Trittin Gelegenheit, ihre Solidarität mit Deutschlands östlichen Problemzonen zu bekunden, für das Land Sachsen-Anhalt und die Stadt Dessau die gelungene Umstrukturierung eines Quartiers mit Ausstrahlung weit über die Stadtgrenzen hinaus. Und für die Architektur? Der Anspruch war schon in der Wettbewerbsauslobung unmissverständlich formuliert: Mit dem Neubau sollte ein Modell für ökologisches Bauen realisiert werden, angefangen bei der Konzeption über die Planung und Ausführung des Gebäudes bis hin zu seiner späteren Nutzung. Nachhaltigkeit auf allen Ebenen also. Über so viel Political Correctness ließe sich trefflich unken, und nach einer derart langwierigen Realisierung stellt sich die Frage, wie viel Modell-Status einem solchen Projekt überhaupt zugesprochen werden kann. Davon abgesehen ist dem Berliner Architekturbüro Sauerbruch & Hutton ein überzeugendes, weil sinnfälliges Beispiel zeitgenössischer Architektur geglückt, ein Gebäude, das die formalen und atmosphärischen Klischees sowohl der technologischen als auch der ökologischen Phrase zu meiden weiß. Das kann nicht nachdrücklich genug gesagt werden: Denn die Entscheidung des Bauherrn gegen eine Umnutzung und für einen Neubau auf quasi jungfräulich herausgeputztem Brachland – das kontaminierte Erdreich wurde als Aushub für die Tiefgarage kurzerhand abgefahren – spricht der allseits beschworenen „Nachhaltigkeit“ Hohn, ebenso die Aufspaltung der Behörde auf den bisherigen Sitz Berlin (wo die Labors zurückbleiben) und Dessau, und das nicht nur angesichts der sich zumindest in den ersten Jahren einstellenden Pendlerströme. Und nicht zuletzt werden ökologische Begründungen gerne immer dann bemüht, wenn aus Scheu vor einer Diskussion primärarchitektonischer Kategorien Zuflucht gesucht wird zu einer quasi wissenschaftlichen Herleitung von entwurflichen Entscheidungen – insofern ist die Architektur noch immer recht fest im Griff der eingangs zitierten Technikgläubigkeit. Einen viergeschossigen Zweibund von stolzen 600 Metern Länge hätte das Raumprogramm ergeben, rechnet Matthias Sauerbruch rückblickend um, für rund 800 Mitarbeiter gefüllt mit engen Bürozellen, wie sie auch in den Berliner Bundesbauten anzutreffen sind; die Richtlinien für Neubauten des Bundes sehen weder Kombizonen noch Großräume vor. Trotz der Banalität dieses Ausgangsstoffs ist es den Architekten gelungen, sowohl auf das heterogene Umfeld zu reagieren als auch zwei atmosphärisch differenzierte Innenbereiche zu schaffen. Um zwei Höfe gebogen – die gläserne Eingangshalle, das so genannte Forum, und das landschaftsarchitektonisch gestaltete Atrium –, schwingt die geforderte „Bürozellenwurst“ mit gelassenem Opportunismus über das eigen- Der westliche Grundstücksrand soll als öffentliche Grünzone eine Verbindung herstellen zwischen der Stadt Dessau und dem Wörlitzer Gartenreich. Die Cafeteria wurde als eigenständiger Baukörper der gläsernen Eingangshalle gegenüber platziert. Blick von Süden Schnitte im Maßstab 1 : 1000 28 | Bauwelt 23 2005 willig geschnittene Grundstück, welches an kaum einer Stelle je den direkten Kontakt zur Stadt findet: Zur Hans-Heinen-Straße im Osten buhlen ein Gebrauchtwagenhändler und ein Wellness-Studio um Kundschaft, entlang der Unruhstraße wurde die historische Backsteinmauer erhalten bzw. rekonstruiert, und am Wörlitzer Platz galt es, das denkmalgeschützte Gebäude des alten Wörlitzer Bahnhofs, von dem einst die Züge ins Gartenreich fuhren, zu restaurieren. Das „Eindringen der Landschaft in die Stadt“ war für die Architekten also auch aus der städtebaulichen Situation heraus ein begründetes Thema beim Entwurf. Der Besucher stößt auf dieses Thema schon bei der Annäherung an den Neubau. Sauerbruch und Hutton haben einen Streifen des Grundstücks zugunsten eines öffentlichen Grünzugs von Bebauung freigehalten, mit Ausnahme einer eingeschossigen Cafeteria gegenüber dem Haupteingang, die aber, da für jedermann zugänglich, durchaus eine Bereicherung für diesen Ort werden kann. Der kleine Park erwei- tert sich ins Forum, dessen Sheddach aus Stahl und Glas umstandslos in die Fassade umknickt und dabei eine gezackte Trauflinie vollführt, welche den expressionistischen Bauhaus-Geist aus der Frühphase der Schule zu beschwören scheint. Auch das Forum ist öffentlich zugänglich; Ausstellungen und Veranstaltungen in dem „eingestellten“ Rundling für das Auditorium sollen die Dessauer zum Eintreten auffordern. Der mit einer Fassade in scharriertem Beton ausgeführte Baukörper ist für die Architekten zugleich Element des Parks und Auftakt jener Reihe massiv wirkender „Felsen“, die, über die ganze Länge des Erdgeschosses verteilt, Platz für Sondernutzungen wie Druckerei, Registratur oder Archive bieten. Vom Forum aus erreicht man auch die Bibliothek. Ihr steter Wechsel von Regalen und Leseplätzen erstreckt sich über drei hochregalartige Ebenen, die sich in der Hülle eines Altbaus neben dem Wörlitzer Bahnhof an der Unruhstraße befinden, und einen flachen Verbindungstrakt, welcher sich mit Schwung über Bauwelt 23 2005 | 29 5 8 8 5 8 8 5 3 6 8 8 4 1 7 2 1 2 3 4 5 6 7 8 Wörlitzer Bahnhof Cafeteria Eingangshalle („Forum“) Auditorium Bibliothek Sicherheitskontrolle Atrium Empfang Fachbereich Grundrisse Tiefgarage, Erdgeschoss und erstes Obergeschoss im Maßstab 1 : 1500 Foto Atrium: Jan Bitter, Berlin 30 | Bauwelt 23 2005 die Traufhöhe des Altbaus erhebt und so für etwas Mittagssonne in dem ansonsten von Nordlicht beschienenen Raum sorgt. Zugleich soll dieser „Konvektionsraum“ die natürliche Entlüftung der Bibliothek gewährleisten. Der beeindruckendste und atmosphärisch stimmigste Bereich öffnet sich freilich erst hinter dem nach innen schwingenden Teil des Bürobandwurms: das Atrium. Den Mitarbeitern als eine Art Wandelhalle vorbehalten, wird dieser Raum von kühlenden, das Tageslicht reflektierenden Wasserflächen, Glassplittflächen, mediterranen Pflanzen und stählernen, an drei Stellen kreuzenden Brücken geprägt, die, mit Loggien in der Fassade markiert, in die Empfangsräume der einzelnen Fachbereiche des Bundesamts münden. Im Vergleich mit anderen überdachten Atrien, die in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Bürogebäuden zu strukturieren geholfen haben (Heft 11/1998), ist vor allem eines ungewöhnlich – dieser Raum ist nicht auf einen Blick zu erfassen. Keine schockgefrorene Erschließungshalle ist hier entstanden, aus Ratlosigkeit vollgestellt mit Topfpflanzen und ein paar harmlosen Kunstwerken, sondern ein „Raum in Bewegung“. Dieser Eindruck verdankt sich in erster Linie der Biegung des Gebäudes auf halber Länge des Atriums und seinen mal aufeinander zu-, mal voneinander fortschwingenden Fassaden, ist nicht zuletzt aber auch in der unterschiedlichen Farbstimmung der beiden Raumteile begründet, welche die städtebaulich abgeleitete Farbigkeit des Äußeren – Nuancen von Grün zum Park, von Rot zur Stadt – mild gedämpft wiederholt. Auch wenn sich die Innen- und die Außenfassade aufgrund ihrer jeweils anderen klimatischen Bedingtheit unterscheiden, so sind sie konstruktiv doch verwandt. Beide wurden als CAM-gesteuerte, vorgefertigte Holzelementfassade ausgeführt – zum ersten Mal sei ein solches Hightech-Verfahren mit einem LowtechMaterial bei einem Bauvorhaben dieser Größe angewandt worden, sagen die Architekten. Die Lärchenholzlatten zwischen den farbigen Glasbändern an der Oberfläche sind also nicht nur ein ökologisches Ornament. Womit noch einmal jenes Adjektiv gefallen ist, mit dem dieses Projekt von Anfang an konnotiert ist. Das Ergebnis ist weder Enttäuschung noch 32 | Bauwelt 23 2005 Sensation. Der Neubau des UBA entspricht unter ökologischen Aspekten dem Stand der Erkenntnis – auch wenn von der Absicht, beim Bau auf Recycling-Materialien zurückzugreifen, nur noch die Glassplittflächen im Atrium künden. Immerhin ein Fünftel des Gebäudeenergiebedarfs wird aus regenerativen Quellen gespeist. Da gibt es einen Erdwärmetauscher und eine Deponiegasanlage, solarunterstützte Kälte- und Photovoltaikanlagen, optimierte Tageslichtnutzung und ein ausgetüfteltes, gleichwohl individuell beeinflussbares Lüftungskonzept. Im Rahmen eines Forschungsvorhabens der TU Berlin wird das Erreichte bis Dezember 2007 dokumentiert und ausgewertet. „Reformerische Absicht wird immer dann zur Ideologie, wenn Tradition nicht als ,die Weitergabe des lebendigen Feuers‘, sondern als die ,Konservierung der Asche‘ verstanden wird“, zitieren Sauerbruch & Hutton Gustav Mahler als Antwort auf die Frage, welche Relevanz die heroische Phase der Moderne für das Bauen heute noch besitzt. Anders als mit den in Grüntönen kolorierten Fensterbändern zur Parkseite im Westen zeigt sich das UBA zur Stadt hin in Schattierungen von Rot und reagiert damit auf die südlich angrenzenden Industriebauten. An der Kreuzung Hans-Heinen-/Ecke Humperdinckstraße tritt der Neubau in Kontakt zum Stadtraum. Fotos: Udo Meinel, Berlin Bauwelt 23 2005 | 33