1/4 Umweltbundesamt Wörlitzer Platz 1 Dessau, Deutschland © Jochen Helle / ARTUR IMAGES Die Schlange als Chamäleon SAMMLUNG Mit dem Umweltbundesamt in Dessau hat die Bundesrepublik Deutschland ihren überzeugendsten Behördenbau seit der Wiedervereinigung realisiert. Entstanden ist ein städtebaulich, organisatorisch und energietechnisch hervorragendes Gebäude, das weder hohlen Pathosformeln huldigt noch sich in Öko-Ästhetik gefällt. ARCHITEKTIN von Hubertus Adam STATIK archithese Nach der deutschen Wiedervereinigung und der Entscheidung für Berlin als neue (und alte) Hauptstadt beschloss die Föderalismuskommission, einige wichtige Bundesbehörden in die jungen Bundesländer zu verlegen, um das ehemalige Gebiet der DDR stärker in das Staatswesen der Bundesrepublik zu integrieren. Darunter fiel unter anderem das Umweltbundesamt, eine durch ein Gesetz von 1974 gegründete Behörde, die – wie auch das Bundesamt für Strahlenschutz und das Bundesamt für Naturschutz – dem Bundesumweltministerium unterstellt ist und zuvor in Berlin ansässig war. Die Aufgaben der Institution erweisen sich als vielfältig: Es ist eine wissenschaftliche Forschungseinrichtung, die das Ministerium in allen Fragen des Umweltschutzes berät und darüber hinaus am Vollzug von Umweltgesetzen beteiligt ist, es sammelt Daten zum Zustand der Umwelt und Deutschland – und es informiert die Öffentlichkeit in Sachen Umweltschutz. Unterstützung und Beratung gewährt das Umweltbundesamt zudem staatlichen, kommunalen und privaten Einrichtungen; die Mitarbeiter sind in einem EU-weiten und internationalen Netzwerk mit anderen Forschungsstellen und Entscheidungsträgern verbunden. Sauerbruch Hutton BAUHERRIN Bundesrepublik Deutschland Krebs und Kiefer LANDSCHAFTSPLANUNG ST raum a. FUNKTION Büro und Verwaltung WETTBEWERB 1997 PLANUNGSBEGINN 1998 AUSFÜHRUNG 2002 - 2005 MITARBEIT PLANUNG Andrew Kiel, René Lotz (Projektleitung) Aufgrund der Bildrechte kann es zu Unterschieden zwischen der HTML- und der Printversion kommen. Zwischen Park und Stadt Die Öffentlichkeits- und Dienstleistungsorientierung einer nicht zuletzt auch pädagogisch wirkenden Institution, wie sie das Umweltbundesamt darstellt, führte zwangsläufig zu einem Neubau, der programmatisch den hohen eigenen Ansprüchen gerecht werden musste. Zunächst hatte der Bundestag im Mai 1996 Dessau als Ort für den Neubau ausgewählt. Nur gut hundert Kilometer südlich von Berlin gelegen, besitzt die sachsen-anhaltinische Stadt bedeutende kulturhistorische Denkmäler– die Dessau-Wörlitzer Parklandschaft und die Bauhaus- Stätten zählen zum Weltkulturerbe. Dessen ungeachtet konnte sich die in einem strukturschwachen, postindustriellen Umfeld gelegene Stadt nur mühsam von den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und partiellen städtebaulichen Malaisen der DDR-Ära erholen. So war die Entscheidung, den Grossteil des Umweltbundesamtes (eine kleinere Zweigstelle bleibt in Berlin bestehen) mit 800 Beschäftigten nach Dessau zu verlegen, zunächst einmal ein Hoffnungsschimmer für eine von Arbeitslosigkeit schwer gebeutelte Stadt. © Jochen Helle / ARTUR IMAGES © Monika Nikolic / ARTUR IMAGES http://www.nextroom.at/building.php?id=18759&sid=24630, 19.05.2017 © Reinhard Görner / ARTUR IMAGES 2/4 Umweltbundesamt Als Standort ausgewählt wurde eine grosse Brachfläche nordöstlich des Hauptbahnhofs – das Areal des Gaswerks, das 1991 stillgelegt und 1995 abgerissen worden war. Die Teilnehmer des zweistufigen Wettbewerbs 1997/98 sahen sich mit einer städtebaulich komplexen Situation konfrontiert: Der Bauplatz ist im Süden durch eine das Hauptbahnhofsumfeld begrenzende, die Gleistrassen überspannende Umgehungsstrasse von der Innenstadt abgetrennt; im Norden und Osten grenzt er an eine durch Baulücken mehr oder minder fragmentierte Gründerzeitbebauung, im Westen an die Gleisanlagen. Mit einem intelligenten Konzept konnten sauerbruch hutton architekten die Konkurrenz für sich entscheiden: Sie organisierten die Arbeitsräume für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem schlangenförmigen, viergeschossigen Gebäudeband, das im nördichen Bereich einen langen, schmalen und gekrümmten Innenhof umschliesst. Nach Nordosten greift er aus, um hier die Ecksituation im gründerzeitlichen Bauverbund wiederherzustellen, und Richtung Süden schwingt er in sich selbst ein und schafft somit Raum für ein grosses verglastes Foyer, welches sich Richtung Westen öffnet. Die schleifenförmige Gestalt hat diverse Vorteile: Sie verhindert im Inneren die Monotonie endloser, gerader Flure; sie erlaubt es, einen Innenhof als thermische Pufferzone und Kommunikationsbereich auszubilden; und schliesslich schafft sie Platz für einen sich zungenartig Richtung Bahnhof erstreckenden Grünstreifen, der die Innenstadt von Dessau fussläufig an die weit ausgedehnte Parklandschaft des Dessau-Wörlitzer Gartenreichs anbindet. Die Kantine liegt abseits des Gebäudes als Pavillon mitten im Grünstreifen und kann auch von Passanten genutzt werden. Die Vorteile der architektonischen Grundidee betreffen somit die räumliche Organisation, die Energiebilanz und schliesslich die urbanistische Dimension. Freundlich und lebendig Einbezogen in den Komplex des Neubaus sind des weiteren zwei Altbauten: Zunächst der neogotische Kleinbau des früheren Wörlitzer Bahnhofs, in dem nun ein Informationszentrum des Amtes untergebracht ist; und daneben eine frühere Industriehalle, die nun durch ein eingestelltes Raumregal aus Beton zur Forschungsbibliothek Umwelt umgewidmet wurde. Ein eingeschossiger, sich wellenartig aufgipfelnder, eingeschossiger Baukörper – man mag entfernt an die Experimentelle Fabrik von sauerbruch hutton in Magdeburg denken (vgl. archithese5.2003) – stellt die Verbindung zum Hauptbau her, dessen südliches Ende sich an der Ausrichung der bestehenden Altbauten orientiert. Ein rundliches Volumen aus scharriertem Sichtbeton, das den Hörsaal aufnimmt, tritt aus der gläsernen Fassade der «Forum» genannten Foyerzone hervor. Nach Norden hin http://www.nextroom.at/building.php?id=18759&sid=24630, 19.05.2017 3/4 Umweltbundesamt gelangt man in den nur für die Mitarbeiter zugänglichen überdachten Innenhof, dessen Länge sich auf Grund der Biegung der Sichtbarkeit entzieht. Treppen und Übergänge auf drei verschiedenen Niveaus ermöglichen an drei Stellen den Zugang zu den Fluren mit ihren (wegen behördlicher Vorgaben eher konventionellen) Zellenbüros und teilen den landschaftsgestalterisch etwas überambitioniert wirkenden Bereich in drei Abschnitte. Weitere Akzente setzen im Erdgeschoss die von den Architekten «Felsen» genannten Sonderbereiche; sie treten wiederum als kleine Betonvolumina in Erscheinung. Freundlich und lebendig wirkt das Innere, der Behördenmuff ist dem Gebäude gründlich ausgetrieben. Fern von Berlin – und doch so nah, dass die meisten Mitarbeiter das Pendeln einem Wohnsitz in Dessau vorziehen – ist das schönste staatliche Verwaltungsgebäude des wieder vereinigten Deutschlands entstanden. Während sich die Repräsentationsarchitektur im Zentrum der Metropole zumeist in einer, wenn auch moderaten, Hab- Acht-Stellung gefällt, darf sie in Dessau fliessen und sich schlangenartig räkeln. Natürlich ist das Umweltbundesamt ein Modellprojekt ressourcenschonenden, nachhaltigen und energieoptimierten Bauens. Die Böden bestehen aus Kautschuk, die Fassaden aus Lärchenholz; ein Erdwärmetauscherfeld ermöglicht die Lüftung, Deponiegas, Photovoltaikanlagen und Sonnenkollektoren werden als Energiequellen genutzt. Die kompakte Gebäudeform, das Atrium und der hohe Grad an Wärmedämmung dienen der weiteren Optimierung, so dass das Gebäude beim Heizwärmebedarf zwischen Niedrigenergieund Passivhausstandard liegt. Bunte Fassaden Entstanden ist mit dem Umweltbundesamt ein Haus, das allen ökologischen Anforderungen genügt und zeigt, dass umweltbewusstes Bauen nicht biedere Müsli-Ästhetik nach sich ziehen muss. Glas und Holz prägen die Fassaden, und sauerbruch hutton bedienten sich wie schon bei früheren Bauten eines Prinzips chromatischer Differenzierung durch Farbflächen; diese wechseln mit den Fenstern und bilden innen und aussen vier durchgehende Bänder, die mit den die Deckenund Brüstungszonen verblendenden Bändern aus horizontalen Holzstreifen alternieren. Die fassadenbündigen Farbelemente bestehen aus Scheiben von rückseitig beschichtetem Glas, deren Breite zwischen 60 und 150 Zentimetern variiert; die pulverbeschichteten Laibungen, die zu den um 30 Zentimeter zurückgesetzten Fenstern vermitteln, bestehen aus pulverbeschichteten Stahlblechen oder Lamellen für die Nachtauskühlungen in kontrastierenden Farben. http://www.nextroom.at/building.php?id=18759&sid=24630, 19.05.2017 4/4 Umweltbundesamt Die verwendeten Farbtöne bestehen aus den Grundfarben, die jeweils moduliert und abschattiert werden – bei jeweils sechs bis sieben Tönen pro Farbfamilie ergeben sich insgesamt 33 verschiedene Farben. Reine Farbfamilien finden sich nur in geraden Fassadenbereichen, in den Krümmungen werden sie miteinander verflochten. Grundsätzlich reagieren die Farben auf die Umgebung: So zeigt die Parkfassade zwei Grüntöne – mit Abstufungen zum Blau und Grüngelb –, während Ocker und Pink sich gegenüber dem Gründerzeitquartier an der Nordostecke finden. Ocker, Orange und Rot bestimmen die Ostfront, in der Nähe der denkmalgeschützten Ziegelbauten wechselt der Farbton zu einem kräftigeren Rot; im Inneren leuchtet Blau in verschiedenen Varianten. Nicht zuletzt dienen die Farben somit dazu, das grosse Volumen zu gliedern, zu differenzieren und in der Stadt zu verankern. archithese, 15.10.2005 WEITERE TEXTE Umweltbundesamt Dessau, Achim Geissinger, db, 09.06.2006 Grüne Schlange, Ursula Seibold-Bultmann, Neue Zürcher Zeitung, 27.05.2005 Das bunte Band, Christian Thomas, Frankfurter Rundschau, 11.05.2005 Öko kann so schön sein, Peter Rumpf, Süddeutsche Zeitung, 11.05.2005 Urbanes Schlängeln, Werner Sewing, Die Zeit, 09.06.2005 http://www.nextroom.at/building.php?id=18759&sid=24630, 19.05.2017 Powered by TCPDF (www.tcpdf.org)