Lothar Papula Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler Band 1 Die drei Bände Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler werden durch eine Formelsammlung, ein Buch mit Klausur- und Übungsaufgaben sowie ein Buch mit Anwendungsbeispielen zu einem Lehr- und Lernsystem ergänzt: Lothar Papula Mathematische Formelsammlung für Ingenieure und Naturwissenschaftler Mit zahlreichen Abbildungen und Rechenbeispielen und einer ausführlichen Integraltafel Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler – Klausur- und Übungsaufgaben Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler – Anwendungsbeispiele Aufgabenstellungen aus Naturwissenschaft und Technik mit ausführlichen Lösungen www.viewegteubner.de Lothar Papula Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler Band 1 Ein Lehr- und Arbeitsbuch für das Grundstudium 12., überarbeitete und erweiterte Auflage Mit 609 Abbildungen, zahlreichen Beispielen aus Naturwissenschaft und Technik sowie 352 Übungsaufgaben mit ausführlichen Lösungen STUDIUM Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage 1983 2., durchgesehene Auflage 1984 3., durchgesehene Auflage 1986 4., durchgesehene und erweiterte Auflage 1988 5., verbesserte Auflage 1990 6., verbesserte Auflage 1991 7., überarbeitete und erweiterte Auflage 1996 8., verbesserte Auflage 1998 9., verbesserte Auflage 2000 10., erweiterte Auflage Oktober 2001 11., verbesserte und erweiterte Auflage 2007 unveränderter Nachdruck 2008 12., überarbeitete und erweiterte Auflage 2009 Alle Rechte vorbehalten © Vieweg +Teubner | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2009 Lektorat: Thomas Zipsner | Imke Zander Vieweg +Teubner ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media. www.viewegteubner.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: KünkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Technische Redaktion: Gabriele McLemore, Wiesbaden Satz: Druckhaus Thomas Müntzer, Bad Langensalza Bilder: Graphik & Text Studio, Dr. Wolfgang Zettlmeier, Barbing Druck und buchbinderische Verarbeitung: Těšínská Tiskárna, a. s., Tschechien Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier. Printed in Czech Republic ISBN 978-3-8348-0545-4 V Vorwort Das dreibändige Werk Mathematik für Ingenieure und Naturwissenschaftler ist ein Lehr- und Arbeitsbuch für das Grund- und Hauptstudium der naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen im Hochschulbereich. Es wird durch eine mathematische Formelsammlung, einen Klausurentrainer und ein Buch mit Anwendungsbeispielen zu einem kompakten Lehr- und Lernsystem ergänzt. Die Bände 1 und 2 lassen sich dem Grundstudium zuordnen, während der dritte Band spezielle Themen überwiegend aus dem Hauptstudium behandelt. Zur Stoffauswahl des ersten Bandes Die Erfahrungen der letzten Jahre zeigen, dass die Studienanfänger nach wie vor über sehr unterschiedliche und in der Regel nicht ausreichende mathematische Grundkenntnisse verfügen. Insbesondere in der Algebra bestehen große Defizite. Die Gründe hierfür liegen u. a. in der Verlagerung der Schwerpunkte in der Schulmathematik und der Abwahl des Faches Mathematik als Leistungsfach in der gymnasialen Oberstufe. Ein nahtloser und erfolgreicher bergang von der Schule zur Hochschule ist daher ohne zusätzliche Hilfen kaum möglich. Dieser erste Band des Lehr- und Lernsystems leistet die dringend benötigte „Hilfestellung“ durch Einbeziehung bestimmter Gebiete der Elementarmathematik in das Grundstudium und schafft somit die Voraussetzung für eine tragfähige Verbindung („Brücke“) zwischen Schule und Hochschule, ein Konzept, das sich bereits in der Vergangenheit bestens bewährt hat und deshalb konsequent beibehalten wurde. Im vorliegenden ersten Band werden die folgenden Stoffgebiete behandelt: Allgemeine Grundlagen (u. a. Gleichungen und Ungleichungen, lineare Gleichungssysteme, binomischer Lehrsatz) Vektoralgebra (zunächst in der anschaulichen Ebene und dann im Raum) Differentialrechnung |ffl{zffl} Funktionen und Kurven (als wichtigste Grundlage für die Differential- und Integralrechnung) (mit zahlreichen Anwendungen aus Naturwissenschaft und Technik) Integralrechnung Potenzreihenentwicklungen (Mac Laurinsche und Taylorsche Reihen) Komplexe Zahlen und Funktionen Eine bersicht über die Inhalte der Bände 2 und 3 erfolgt im Anschluss an das Inhaltsverzeichnis. VI Vorwort Zur Darstellung des Stoffes Bei der Darstellung der mathematischen Stoffgebiete wurde von den folgenden berlegungen ausgegangen: Mathematische Methoden spielen zwar in den naturwissenschaftlich-technischen Disziplinen eine bedeutende Rolle, bleiben jedoch in erster Linie ein (unverzichtbares) Hilfsmittel. Aufgrund der veränderten Eingangsvoraussetzungen und der damit verbundenen Defizite sollte der Studienanfänger nicht überfordert werden. Es wurde daher eine anschauliche, anwendungsorientierte und leicht verständliche Darstellungsform des mathematischen Stoffes gewählt. Begriffe, Zusammenhänge, Sätze und Formeln werden durch zahlreiche Beispiele aus Naturwissenschaft und Technik und anhand vieler Abbildungen näher erläutert. Einen wesentlichen Bestandteil dieses Werkes bilden die bungsaufgaben am Ende eines jeden Kapitels (nach Abschnitten geordnet). Sie dienen zum Einüben und Vertiefen des Stoffes. Die im Anhang dargestellten (und zum Teil ausführlich kommentierten) Lösungen ermöglichen dem Leser eine ständige Selbstkontrolle. Mit der Verbesserung von Bildern wurden die Beispiele noch verständlicher und optimiert. Dazu zählen auch zusätzlich aufgenommene Beispiele im Kapitel Potenzreihenentwicklung. Zur äußeren Form Zentrale Inhalte wie Definitionen, Sätze, Formeln, Tabellen, Zusammenfassungen und Beispiele sind besonders hervorgehoben: Definitionen, Sätze, Formeln, Tabellen und Zusammenfassungen sind gerahmt und grau unterlegt. Anfang und Ende von Beispielen sind durch das Symbol & gekennzeichnet. Bei der (bildlichen) Darstellung von Flächen und räumlichen Körpern wurden Grauraster unterschiedlicher Helligkeit verwendet, um besonders anschauliche und aussagekräftige Bilder zu erhalten. Zum Einsatz von Computeralgebra-Programmen In zunehmendem Maße werden leistungsfähige Computeralgebra-Programme wie z. B. MATLAB, MAPLE, MATHCAD oder MATHEMATICA bei der mathematischen Lösung naturwissenschaftlich-technischer Probleme in Praxis und Wissenschaft erfolgreich eingesetzt. Solche Programme können bereits im Grundstudium ein nützliches und sinnvolles Hilfsmittel sein und so z. B. als eine Art „Kontrollinstanz“ beim Lösen von bungsaufgaben verwendet werden (berprüfung der von Hand ermittelten Lösungen mit Hilfe eines Computeralgebra-Programms auf einem PC). Die meisten der in diesem Werk gestellten Aufgaben lassen sich auf diese Weise problemlos lösen. Vorwort VII Veränderungen gegenüber der 11. Auflage Der vorliegende Band wurde vollständig überarbeitet und erweitert. Neu aufgenommen wurde ein Kapitel über Komplexe Zahlen und Funktionen (bisher in Band 2). Eine Bitte des Autors Für Hinweise und Anregungen – insbesondere auch aus dem Kreis der Studentenschaft – bin ich stets sehr dankbar. Sie sind eine unverzichtbare Voraussetzung und Hilfe für die permanente Verbesserung dieses Lehrwerkes. Ein Wort des Dankes . . . . . . an alle Fachkollegen und Studenten, die durch Anregungen und Hinweise zur Verbesserung dieses Werkes beigetragen haben, . . . an die Mitarbeiter des Verlages, ganz besonders aber an Frau Gabriele McLemore und Herrn Thomas Zipsner, für die hervorragende Zusammenarbeit während der Entstehung und Drucklegung dieses Werkes, . . . an Frau Schulz vom Druck- und Satzhaus „Thomas Müntzer“ für den ausgezeichneten mathematischen Satz. Wiesbaden, im Frühjahr 2009 Lothar Papula IX Inhaltsverzeichnis I Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 Einige grundlegende Begriffe über Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1 Definition und Darstellung einer Menge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Mengenoperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 3 2 Die Menge der reellen Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 2.1 Darstellung der reellen Zahlen und ihrer Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Anordnung der Zahlen, Ungleichung, Betrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Teilmengen und Intervalle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 7 8 3 Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3.1 Lineare Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Gleichungen 3. und höheren Grades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Allgemeine Vorbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Kubische Gleichungen vom speziellen Typ a x 3 þ b x 2 þ c x ¼ 0 . . 3.3.3 Bi-quadratische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Wurzelgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Betragsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Definition der Betragsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.2 Analytische Lösung einer Betragsgleichung durch Fallunterscheidung (Beispiel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.3 Lösung einer Betragsgleichung auf halb-graphischem Wege (Beispiel) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 10 11 11 12 12 13 15 15 4 Ungleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 5 Lineare Gleichungssysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 5.1 Ein einführendes Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Der Gaußsche Algorithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Ein Anwendungsbeispiel: Berechnung eines elektrischen Netzwerkes . . . . . 23 26 35 6 Der Binomische Lehrsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Zu Abschnitt 1 und 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abschnitt 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 41 18 19 X Inhaltsverzeichnis Zu Abschnitt 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abschnitt 5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abschnitt 6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 42 44 II Vektoralgebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 1.1 1.2 1.3 1.4 Definition eines Vektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichheit von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parallele, anti-parallele und kollineare Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vektoroperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Addition von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Subtraktion von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 46 47 48 49 51 52 2 Vektorrechnung in der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 2.1 Komponentendarstellung eines Vektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Darstellung der Vektoroperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Addition und Subtraktion von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Skalarprodukt zweier Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Definition und Berechnung eines Skalarproduktes . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Winkel zwischen zwei Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Linear unabhängige Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Ein Anwendungsbeispiel: Resultierende eines ebenen Kräftesystems . . . . . . 54 58 58 59 61 61 64 67 69 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.1 Komponentendarstellung eines Vektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Darstellung der Vektoroperationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Addition und Subtraktion von Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Skalarprodukt zweier Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Definition und Berechnung eines Skalarproduktes . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Winkel zwischen zwei Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Richtungswinkel eines Vektors . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Projektion eines Vektors auf einen zweiten Vektor . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Ein Anwendungsbeispiel: Arbeit einer Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Vektorprodukt zweier Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Definition und Berechnung eines Vektorproduktes . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Anwendungsbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.1 Drehmoment (Moment einer Kraft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2.2 Bewegung von Ladungsträgern in einem Magnetfeld (Lorentz-Kraft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Spatprodukt (gemischtes Produkt) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Linear unabhängige Vektoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 75 75 77 79 79 82 83 85 88 90 90 96 96 97 98 102 Inhaltsverzeichnis XI 4 Anwendungen in der Geometrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 4.1 Vektorielle Darstellung einer Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Punkt-Richtungs-Form einer Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Zwei-Punkte-Form einer Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.3 Abstand eines Punktes von einer Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.4 Abstand zweier paralleler Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.5 Abstand zweier windschiefer Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.6 Schnittpunkt und Schnittwinkel zweier Geraden . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Vektorielle Darstellung einer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Punkt-Richtungs-Form einer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Drei-Punkte-Form einer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Gleichung einer Ebene senkrecht zu einem Vektor . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Abstand eines Punktes von einer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Abstand einer Geraden von einer Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.6 Schnittpunkt und Schnittwinkel einer Geraden mit einer Ebene . . . . . . 4.2.7 Abstand zweier paralleler Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.8 Schnittgerade und Schnittwinkel zweier Ebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 105 107 108 110 112 114 117 117 119 122 123 125 126 130 132 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Zu Abschnitt 2 und 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abschnitt 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 141 III Funktionen und Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1 Definition und Darstellung einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1.1 Definition einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Darstellungsformen einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Analytische Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Darstellung durch eine Wertetabelle (Funktionstafel) . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Graphische Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Parameterdarstellung einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 147 147 148 148 149 2 Allgemeine Funktionseigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 Nullstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Symmetrieverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monotonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Periodizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umkehrfunktion oder inverse Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 152 154 157 159 3 Koordinatentransformationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3.1 Ein einführendes Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Parallelverschiebung eines kartesischen Koordinatensystems . . . . . . . . . . . . . 3.3 bergang von kartesischen Koordinaten zu Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Definition der Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Darstellung einer Kurve in Polarkoordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 164 168 168 171 XII Inhaltsverzeichnis 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 4.1 Reelle Zahlenfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1.1 Definition und Darstellung einer reellen Zahlenfolge . . . . . . . . . . . . . . 4.1.2 Grenzwert einer Folge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Grenzwert einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Grenzwert einer Funktion für x ! x 0 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Grenzwert einer Funktion für x ! 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Rechenregeln für Grenzwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Ein Anwendungsbeispiel: Erzwungene Schwingung eines mechanischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Stetigkeit einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Unstetigkeiten (Lücken, Pole, Sprünge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 173 175 177 177 181 183 184 185 186 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5 5.6 Definition einer ganzrationalen Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konstante und lineare Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quadratische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Polynomfunktionen höheren Grades . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Horner-Schema und Nullstellenberechnung einer Polynomfunktion . . . . . . . Interpolationspolynome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.1 Allgemeine Vorbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6.2 Interpolationspolynom von Newton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.7 Ein Anwendungsbeispiel: Biegelinie eines Balkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 191 194 198 203 207 207 208 212 6 Gebrochenrationale Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 6.1 Definition einer gebrochenrationalen Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Nullstellen, Definitionslücken, Pole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Asymptotisches Verhalten einer gebrochenrationalen Funktion im Unendlichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Ein Anwendungsbeispiel: Kapazität eines Kugelkondensators . . . . . . . . . . . . 212 213 219 222 7 Potenz- und Wurzelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 7.1 7.2 7.3 7.4 Potenzfunktionen mit ganzzahligen Exponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wurzelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Potenzfunktionen mit rationalen Exponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ein Anwendungsbeispiel: Beschleunigung eines Elektrons in einem elektrischen Feld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 225 228 8 Kegelschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 8.1 Darstellung eines Kegelschnittes durch eine algebraische Gleichung 2. Grades mit konstanten Koeffizienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Gleichungen eines Kreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Gleichungen einer Ellipse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Gleichungen einer Hyperbel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Gleichungen einer Parabel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Beispiele zu den Kegelschnitten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 231 232 234 237 239 229 Inhaltsverzeichnis 9 Trigonometrische Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 9.2 9.3 9.4 9.5 XIII 243 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sinus- und Kosinusfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tangens- und Kotangensfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wichtige Beziehungen zwischen den trigonometrischen Funktionen . . . . . . Anwendungen in der Schwingungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.1 Harmonische Schwingungen (Sinusschwingungen) . . . . . . . . . . . . . . 9.5.1.1 Die allgemeine Sinus- und Kosinusfunktion . . . . . . . . . . . . . 9.5.1.2 Harmonische Schwingung eines Federpendels (Feder-Masse-Schwinger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2 Darstellung von Schwingungen im Zeigerdiagramm . . . . . . . . . . . . . 9.5.3 Superposition (berlagerung) gleichfrequenter Schwingungen . . . . . 9.5.4 Lissajous-Figuren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 258 265 270 10 Arkusfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 10.1 10.2 10.3 10.4 10.5 243 248 249 250 252 252 252 Das Problem der Umkehrung trigonometrischer Funktionen . . . . . . . . . . . Arkussinusfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arkuskosinusfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Arkustangens- und Arkuskotangensfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Trigonometrische Gleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 272 274 275 278 11 Exponentialfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 11.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Definition und Eigenschaften einer Exponentialfunktion . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Spezielle, in den Anwendungen häufig auftretende Funktionstypen mit e-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Abklingfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Sättigungsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.3 Wachstumsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.4 Gedämpfte Schwingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.5 Gauß-Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 280 12 Logarithmusfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 12.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Definition und Eigenschaften einer Logarithmusfunktion . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Exponential- und Logarithmusgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 295 298 13 Hyperbel- und Areafunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 300 13.1 Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.1 Definition der Hyperbelfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.2 Die Hyperbelfunktionen y ¼ sinh x und y ¼ cosh x . . . . . . . . . 13.1.3 Die Hyperbelfunktionen y ¼ tanh x und y ¼ coth x . . . . . . . . . 13.1.4 Wichtige Beziehungen zwischen den Hyperbelfunktionen . . . . . . . 13.2 Areafunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Definition der Areafunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Die Areafunktionen y ¼ arsinh x und y ¼ arcosh x . . . . . . . . . . 300 300 301 303 304 305 305 305 282 282 285 288 289 291 XIV Inhaltsverzeichnis 13.2.3 Die Areafunktionen y ¼ artanh x und y ¼ arcoth x . . . . . . . . . . 13.2.4 Darstellung der Areafunktionen durch Logarithmusfunktionen . . . 13.2.5 Ein Anwendungsbeispiel: Freier Fall unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306 307 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Zu Zu Zu Zu Zu Zu Zu Zu Zu Zu Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt 1 ...................................................... 2 ...................................................... 3 ...................................................... 4 ...................................................... 5 ...................................................... 6 ...................................................... 7 ...................................................... 8 ...................................................... 9 und 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11, 12 und 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308 309 310 311 312 313 316 316 317 317 320 IV Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1 Differenzierbarkeit einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 1.1 Das Tangentenproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Ableitung einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Ableitung der elementaren Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 324 328 2 Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 2.13 2.14 Faktorregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Summenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Produktregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Quotientenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kettenregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kombinationen mehrerer Ableitungsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Logarithmische Ableitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ableitung der Umkehrfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Implizite Differentiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Differential einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Höhere Ableitungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ableitung einer in der Parameterform dargestellten Funktion (Kurve) . . . . Anstieg einer in Polarkoordinaten dargestellten Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . Einfache Anwendungsbeispiele aus Physik und Technik . . . . . . . . . . . . . . . 2.14.1 Bewegung eines Massenpunktes (Geschwindigkeit, Beschleunigung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.14.2 Induktionsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.14.3 Elektrischer Schwingkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 332 333 335 337 343 344 346 347 350 352 354 357 361 361 364 365 Inhaltsverzeichnis XV 3 Anwendungen der Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 3.1 Tangente und Normale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Linearisierung einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Monotonie und Krümmung einer Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Geometrische Vorbetrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Monotonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Krümmung einer ebenen Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Charakteristische Kurvenpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Relative oder lokale Extremwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Wendepunkte, Sattelpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Ergänzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Extremwertaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Kurvendiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Näherungsweise Lösung einer Gleichung nach dem Tangentenverfahren von Newton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1 Iterationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.2 Tangentenverfahren von Newton . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 368 371 371 372 374 382 382 388 392 394 400 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 Zu Abschnitt 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abschnitt 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abschnitt 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 414 418 406 406 407 V Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 1 Integration als Umkehrung der Differentiation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 2 Das bestimmte Integral als Flächeninhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 2.1 Ein einführendes Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Das bestimmte Integral . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426 429 3 Unbestimmtes Integral und Flächenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436 4 Der Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung . . . . . . . . . . . . 440 5 Grund- oder Stammintegrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 6 Berechnung bestimmter Integrale unter Verwendung einer Stammfunktion 446 7 Elementare Integrationsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 450 8 Integrationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 8.1 Integration durch Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Ein einführendes Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Spezielle Integralsubstitutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 453 454 XVI Inhaltsverzeichnis 8.2 Partielle Integration oder Produktintegration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Integration einer echt gebrochenrationalen Funktion durch Partialbruchzerlegung des Integranden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Partialbruchzerlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Integration der Partialbrüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Numerische Integrationsmethoden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.1 Trapezformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4.2 Simpsonsche Formel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 469 471 475 476 481 9 Uneigentliche Integrale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 487 9.1 Unendliches Integrationsintervall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Integrand mit einer Unendlichkeitsstelle (Pol) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 492 10 Anwendungen der Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 10.1 Einfache Beispiele aus Physik und Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Integration der Bewegungsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Biegelinie (elastische Linie) eines einseitig eingespannten Balkens 10.1.3 Spannung zwischen zwei Punkten eines elektrischen Feldes . . . . . 10.2 Flächeninhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Bestimmtes Integral und Flächeninhalt (Ergänzungen) . . . . . . . . . . 10.2.2 Flächeninhalt zwischen zwei Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Volumen eines Rotationskörpers (Rotationsvolumen) . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Bogenlänge einer ebenen Kurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.5 Mantelfläche eines Rotationskörpers (Rotationsfläche) . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Arbeits- und Energiegrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.7 Lineare und quadratische Mittelwerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8 Schwerpunkt homogener Flächen und Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.2 Schwerpunkt einer homogenen ebenen Fläche . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8.3 Schwerpunkt eines homogenen Rotationskörpers . . . . . . . . . . . . . . 10.9 Massenträgheitsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9.1 Grundbegriffe und einfache Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9.2 Satz von Steiner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9.3 Massenträgheitsmoment eines homogenen Rotationskörpers . . . . . 495 495 498 500 501 501 506 512 518 521 525 531 536 536 538 544 549 549 552 554 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 Zu Zu Zu Zu Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt 1 bis 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 ...................................................... 9 ...................................................... 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 559 562 564 565 Inhaltsverzeichnis XVII VI Potenzreihenentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 1 Unendliche Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 1.1 Ein einführendes Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Definition einer unendlichen Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Konvergenz und Divergenz einer unendlichen Reihe . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 ber den Umgang mit unendlichen Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Konvergenzkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Quotientenkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.2 Wurzelkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.3 Vergleichskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3.4 Leibnizsches Konvergenzkriterium für alternierende Reihen . . . . . . . . 1.4 Eigenschaften konvergenter bzw. absolut konvergenter Reihen . . . . . . . . . . . 570 572 572 573 577 578 579 583 583 586 588 2 Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 2.1 Definition einer Potenzreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Konvergenzverhalten einer Potenzreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Eigenschaften der Potenzreihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 591 596 3 Taylor-Reihen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 3.1 Ein einführendes Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Potenzreihenentwicklung einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Mac Laurinsche Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Taylorsche Reihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Tabellarische Zusammenstellung wichtiger Potenzreihenentwicklungen 3.3 Anwendungen der Potenzreihenentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Näherungspolynome einer Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Integration durch Potenzreihenentwicklung des Integranden . . . . . . . . 3.3.3 Grenzwertregel von Bernoulli und de L’Hospital . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Ein Anwendungsbeispiel: Freier Fall unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 599 599 607 608 610 610 621 624 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 Zu Abschnitt 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abschnitt 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zu Abschnitt 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 635 635 630 VII Komplexe Zahlen und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 1.1 Definition einer komplexen Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Komplexe oder Gaußsche Zahlenebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Weitere Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 640 643 646 XVIII Inhaltsverzeichnis 1.4 Darstellungsformen einer komplexen Zahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.1 Algebraische oder kartesische Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Trigonometrische Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.3 Exponentialform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4.4 Zusammenstellung der verschiedenen Darstellungsformen . . . . . . . . . . 1.4.5 Umrechnungen zwischen den Darstellungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . 649 649 649 652 654 655 2 Komplexe Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 2.1 Grundrechenarten für komplexe Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.1 Addition und Subtraktion komplexer Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Multiplikation und Division komplexer Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Grundgesetze für komplexe Zahlen (Zusammenfassung) . . . . . . . . . . . 2.2 Potenzieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Radizieren (Wurzelziehen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Natürlicher Logarithmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 661 661 663 672 673 675 681 3 Anwendungen der komplexen Rechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 3.1 Symbolische Darstellung harmonischer Schwingungen im Zeigerdiagramm 3.1.1 Darstellung einer Schwingung durch einen rotierenden Zeiger . . . . . . 3.1.2 Ungestörte berlagerung gleichfrequenter Schwingungen . . . . . . . . . . 3.1.3 Ein Anwendungsbeispiel: berlagerung gleichfrequenter Wechselspannungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Symbolische Berechnung eines Wechselstromkreises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Das Ohmsche Gesetz der Wechselstromtechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Komplexe Wechselstromwiderstände und Leitwerte . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Ein Anwendungsbeispiel: Der Wechselstromkreis in Reihenschaltung 683 683 687 690 691 691 693 698 4 Ortskurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 701 4.1 Ein einführendes Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Ortskurve einer parameterabhängigen komplexen Größe . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Anwendungsbeispiele: Einfache Netzwerkfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Reihenschaltung aus einem ohmschen Widerstand und einer Induktivität (Widerstandsortskurve) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Parallelschaltung aus einem ohmschen Widerstand und einer Kapazität (Leitwertortskurve) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Inversion einer Ortskurve . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.1 Inversion einer komplexen Größe (Zahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.2 Inversionsregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4.3 Ein Anwendungsbeispiel: Inversion einer Widerstandsortskurve . . . . . 701 702 705 bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 714 Zu Zu Zu Zu Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt 1 2 3 4 ...................................................... ...................................................... ...................................................... ...................................................... 705 706 707 707 709 711 714 715 717 719 Inhaltsverzeichnis XIX Anhang: Lösungen der bungsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 Allgemeine Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721 Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt 1 und 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3................................................ 4 ............................................... 5 ............................................... 6 ............................................... 721 721 723 726 727 II Vektoralgebra . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728 Abschnitt 2 und 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt 4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 728 732 III Funktionen und Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740 I Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt 1 ............................................... 2 ............................................... 3 ............................................... 4 ............................................... 5 ............................................... 6 ............................................... 7 ............................................... 8 ............................................... 9 und 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11, 12 und 13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 740 742 742 743 745 747 749 749 750 753 IV Differentialrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 Abschnitt 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 755 755 763 V Integralrechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774 Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt 1 bis 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 ............................................... 9 ............................................... 10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 774 776 779 780 VI Potenzreihenentwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 784 Abschnitt 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt 3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 784 788 789 XX Inhaltsverzeichnis VII Komplexe Zahlen und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschnitt Abschnitt Abschnitt Abschnitt 1 2 3 4 797 .............................................. .............................................. .............................................. .............................................. 797 800 804 806 Literaturhinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 808 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809 XXI Inhaltsübersicht Band 2 Kapitel I: Lineare Algebra 1 2 3 4 5 6 7 Vektoren Reelle Matrizen Determinanten Ergänzungen Lineare Gleichungssysteme Komplexe Matrizen Eigenwerte und Eigenvektoren einer quadratischen Matrix Kapitel II: Fourier-Reihen 1 Fourier-Reihe einer periodischen Funktion 2 Anwendungen Kapitel III: Differential- und Integralrechnung für Funktionen von mehreren Variablen 1 Funktionen von mehreren Variablen 2 Partielle Differentiation 3 Mehrfachintegrale Kapitel IV: Gewöhnliche Differentialgleichungen 1 Grundbegriffe 2 Differentialgleichungen 1. Ordnung 3 Lineare Differentialgleichungen 2. Ordnung mit konstanten Koeffizienten 4 Anwendungen in der Schwingungslehre 5 Lineare Differentialgleichungen n-ter Ordnung mit konstanten Koeffizienten 6 Numerische Integration einer Differentialgleichung 7 Systeme linearer Differentialgleichungen XXII Inhaltsübersicht Band 2 Kapitel V: Fourier-Transformationen 1 2 3 4 5 6 Grundbegriffe Spezielle Fourier-Transformationen Wichtige „Hilfsfunktionen“ in den Anwendungen Eigenschaften der Fourier-Transformation (Transformationssätze) Rücktransformation aus dem Bildbereich in den Originalbereich Anwendungen der Fourier-Transformation Kapitel VI: Laplace-Transformationen 1 2 3 4 5 Anhang: Grundbegriffe Eigenschaften der Laplace-Transformation (Transformationssätze) Laplace-Transformierte einer periodischen Funktion Rücktransformation aus dem Bildbereich in den Originalbereich Anwendungen der Laplace-Transformation Lösungen der bungsaufgaben XXIII Inhaltsübersicht Band 3 Kapitel I: Vektoranalysis 1 2 3 4 5 6 7 8 9 Ebene und räumliche Kurven Flächen im Raum Skalar- und Vektorfelder Gradient eines Skalarfeldes Divergenz und Rotation eines Vektorfeldes Spezielle ebene und räumliche Koordinatensysteme Linien- oder Kurvenintegrale Oberflächenintegrale Integralsätze von Gauß und Stokes Kapitel II: Wahrscheinlichkeitsrechnung 1 2 3 4 5 6 7 8 Hilfsmittel aus der Kombinatorik Grundbegriffe Wahrscheinlichkeit Wahrscheinlichkeitsverteilung einer Zufallsvariablen Kennwerte oder Maßzahlen einer Wahrscheinlichkeitsverteilung Spezielle Wahrscheinlichkeitsverteilungen Wahrscheinlichkeitsverteilungen von mehreren Zufallsvariablen Prüf- oder Testverteilungen Kapitel III: Grundlagen der mathematischen Statistik 1 Grundbegriffe 2 Kennwerte oder Maßzahlen einer Stichprobe 3 Statistische Schätzmethoden für die unbekannten Parameter einer Wahrscheinlichkeitsverteilung („Parameterschätzungen“) 4 Statistische Prüfverfahren für die unbekannten Parameter einer Wahrscheinlichkeitsverteilung („Parametertests“) 5 Statistische Prüfverfahren für die unbekannte Verteilungsfunktion einer Wahrscheinlichkeitsverteilung („Anpassungs- oder Verteilungstests“) 6 Korrelation und Regression XXIV Inhaltsübersicht Band 3 Kapitel IV: Fehler- und Ausgleichsrechnung 1 „Fehlerarten“ (systematische und zufällige Messabweichungen). Aufgaben der Fehler- und Ausgleichsrechnung 2 Statistische Verteilung der Messwerte und Messabweichungen („Messfehler“) 3 Auswertung einer Messreihe 4 „Fehlerfortpflanzung“ nach Gauß 5 Ausgleichs- oder Regressionskurven Anhang: Teil A: Tabellen zur Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik Teil B: Lösungen der bungsaufgaben 1 I Allgemeine Grundlagen 1 Einige grundlegende Begriffe über Mengen 1.1 Definition und Darstellung einer Menge Definition: Unter einer Menge verstehen wir die Zusammenfassung gewisser, wohlunterschiedener Objekte, Elemente genannt, zu einer Einheit. Mengen lassen sich durch ihre Eigenschaften beschreiben (sog. beschreibende Darstellungsform): M ¼ fx j x besitzt die Eigenschaften E 1 , E 2 , . . . , E n g ðI-1Þ Eine weitere Darstellungsmöglichkeit bietet die aufzählende Form: M ¼ fa 1 , a 2 , . . . , a n g Endliche Menge ðI-2Þ M ¼ fa, b, c, . . .g Unendliche Menge ðI-3Þ a 1 , a 2 , . . ., a n bzw. a, b, c, . . . sind die Elemente der Menge. Die Reihenfolge, in der die einzelnen Elemente aufgeführt werden, spielt dabei keine Rolle. Die Elemente sind immer paarweise voneinander verschieden, ein Element kann daher nur einmal auftreten. & Beispiele (1) M 1 ¼ fx j x ist eine reelle Zahl und Lösung der Gleichung x 2 ¼ 1g ¼ f 1, 1g (2) M2 ¼ fx j x ist eine natürliche Zahl mit 2 < x 4g ¼ f0, 1, 2, 3, 4g (3) M 3 ¼ fx j x ist eine ganze Zahl mit der Eigenschaft x 2 < 16g Zu dieser Menge gehören die Zahlen 3, 2, 1, 0, 1, 2 und 3. In der aufzählenden Form lautet die Menge demnach: M 3 ¼ f 3, 2, 1, 0, 1, 2, 3g (4) oder M 3 ¼ f0, 1, 2, 3g Menge der natürlichen Zahlen (enthält auch die Zahl 0): N ¼ f0, 1, 2, 3, . . .g & 2 I Allgemeine Grundlagen Gehört ein gewisses Objekt a zu einer Menge A, so schreibt man dafür symbolisch a 2 A ðgelesen: a ist ein Element von AÞ ðI-4Þ Die Schreibweise b 62 A bringt dagegen zum Ausdruck, dass der Gegenstand b nicht zur Menge A gehört: b 62 A ðgelesen: b ist kein Element von AÞ ðI-5Þ Die Lösungen einer Gleichung lassen sich zu einer sog. Lösungsmenge L zusammenfassen. Dabei kann der Fall eintreten, dass die Gleichung unlösbar ist: Die Lösungsmenge enthält dann überhaupt kein Element, sie ist „leer“. Eine Menge dieser Art wird als leere Menge bezeichnet und durch das folgende Symbol gekennzeichnet: f g & oder ˘ ðI-6Þ Beispiele Die quadratische Gleichung x 2 þ 1 ¼ 0 besitzt keine reelle Lösung. Ihre Lösungsmenge L ist daher die leere Menge: (1) L ¼ fx j x ist reell und eine Lösung der Gleichung von x 2 þ 1 ¼ 0g ¼ f g (2) Die Nullstellen der Sinusfunktion sind die Lösungen der trigonometrischen Gleichung sin x ¼ 0. Sie führen auf die folgende unendliche Lösungsmenge: L ¼ fx j x ist reell und Lösung der Gleichung sin x ¼ 0g ¼ ¼ f0; p, 2 p, 3 p, . . .g & Bei der Beschreibung von Funktionen benötigen wir Zahlenmengen, die sich als gewisse Teilbereiche der reellen Zahlen erweisen (sog. Intervalle). Dies führt uns zum Begriff der wie folgt definierten Teilmenge: Definition: Eine Menge A heißt Teilmenge einer Menge B, wenn jedes Element von A auch zur Menge B gehört. Symbolische Schreibweise: AB ðI-7Þ (gelesen: A ist in B enthalten; Bild I-1) In Bild I-1 ist dieser Sachverhalt in anschaulicher Form durch ein sog. Euler-VennDiagramm dargestellt: A B Bild I-1 Zum Begriff einer Teilmenge (A BÞ 1 Einige grundlegende Begriffe über Mengen & 3 Beispiele (1) A ¼ f1, 3, 5g , B ¼ f 2, 0, 1, 2, 3, 4, 5g A ist eine Teilmenge von B, da alle drei Elemente von A, also die Zahlen 1, 3 und 5 auch in der Menge B enthalten sind: A B. (2) M 1 ¼ f0, 2, 4g , M 2 ¼ f2, 4, 6, 8g Das Element 0 2 M 1 gehört nicht zur Menge M 2 . Daher ist M 1 keine Teilmen& ge von M 2 . Symbolische Schreibweise: M 1 6 M 2 . Definition: Zwei Mengen A und B heißen gleich, wenn jedes Element von A auch Element von B ist und umgekehrt: A ¼ B (I-8) (gelesen: A gleich B) & Beispiel A ¼ f0, 1, 2, 5, 10g , B ¼ f10, 5, 2, 0, 1g Jedes Element von A ist auch Element von B und umgekehrt. Die beiden Mengen unterscheiden sich also lediglich in der Anordnung ihrer Elemente und sind daher & gleich: A ¼ B. 1.2 Mengenoperationen Wir erklären die mengenalgebraischen Operationen Durchschnitt (\) und Vereinigung ([) sowie den Begriff der Differenzmenge (auch Restmenge genannt). Definition: Die Schnittmenge A \ B zweier Mengen A und B ist die Menge aller Elemente, die sowohl zu A als auch zu B gehören: A \ B ¼ fx j x 2 A und x 2 Bg ðI-9Þ (gelesen: A geschnitten mit B; Bild I-2) A B Bild I-2 Anmerkung Die Schnittmenge A \ B wird auch als Durchschnitt der Mengen A und B bezeichnet. 4 & I Allgemeine Grundlagen Beispiel Wir bestimmen diejenigen reellen x-Werte, die zugleich den beiden Ungleichungen 2 x 4 > 0 und x < 3 genügen: 2x 4 > 0 x < 3 ) ) 2x > 4 ) x > 2 ) L 1 ¼ fx j x > 2g L 2 ¼ fx j x < 3g Die Schnittmenge von L 1 und L 2 ist die gesuchte Lösungsmenge L: L ¼ L 1 \ L 2 ¼ fx j x > 2 und x < 3g ¼ fx j 2 < x < 3g Besonders anschaulich lässt sich dieser Vorgang auf der Zahlengerade darstellen: Die gesuchten Lösungen ergeben sich durch berlappung der Teilmengen L 1 und L 2 (Bild I-3): 2<x<3 L2 L1 0 1 2 3 x & Bild I-3 Definition: Die Vereinigungsmenge A [ B zweier Mengen A und B ist die Menge aller Elemente, die zu A oder zu B oder zu beiden Mengen gehören: A [ B ¼ fx j x 2 A oder x 2 Bg ðI-10Þ (gelesen: A vereinigt mit B; Bild I-4) A B Bild I-4 Anmerkung Man beachte, dass auch diejenigen Elemente zur Vereinigungsmenge gehören, die zugleich Elemente von A und B sind (es handelt sich hier also nicht um das „oder“ im Sinne von „entweder oder“). 1 Einige grundlegende Begriffe über Mengen & 5 Beispiele (1) A ¼ f1, 2, 3, 4g , B ¼ f1, 5, 6, 7g (2) M 1 ¼ fx j 0 x 1g , ) A [ B ¼ f1, 2, 3, 4, 5, 6, 7g M 2 ¼ fx j 1 x 5g M 1 [ M 2 ¼ fx j 0 x 5g ) (siehe Bild I-5) M1 ∪ M2 M2 M1 0 1 2 3 4 5 x & Bild I-5 Definition: Die Differenzmenge (Restmenge) A n B zweier Mengen A und B ist die Menge aller Elemente, die zu A, nicht aber zu B gehören: A n B ¼ fx j x 2 A und x 62 Bg ðI-11Þ (gelesen; A ohne B; Bild I-6) A B Bild I-6 & Beispiele (1) N ¼ f0, 1, 2, . . .g , N* ¼ f1, 2, 3, . . .g N* ¼ N n f0g ¼ f1, 2, 3, . . .g (2) A ¼ f1, 5, 7, 10g , B ¼ f0, 1, 7, 15g ) ) A n B ¼ f5, 10g & 6 I Allgemeine Grundlagen 2 Die Menge der reellen Zahlen 2.1 Darstellung der reellen Zahlen und ihrer Eigenschaften Grundlage aller Rechen- und Messvorgänge sind die reellen Zahlen 1Þ . Sie werden durch das Symbol R gekennzeichnet und lassen sich in anschaulicher Weise durch Punkte auf einer Zahlengerade darstellen (die Zuordnung ist dabei umkehrbar eindeutig, Bild I-7): –1,4 –1 0 0,5 1 1,7 2 x Bild I-7 Zahlengerade Positive Zahlen werden dabei nach rechts, negative Zahlen nach links abgetragen (jeweils vom Nullpunkt aus). Auf der Zahlenmenge R sind vier Rechenoperationen, die sog. Grundrechenarten, erklärt. Es sind dies: – Addition (þ) – Subtraktion () als Umkehrung der Addition – Multiplikation () – Division (:) als Umkehrung der Multiplikation Die Grundrechenarten genügen dabei den folgenden Grundgesetzen: Eigenschaften der Menge der reellen Zahlen a 1. Summe a þ b, Differenz a b, Produkt a b und Quotient zweier reelb ler Zahlen a und b ergeben wiederum reelle Zahlen. Ausnahme: Die Division durch die Zahl 0 ist nicht erlaubt. 2. Addition und Multiplikation sind kommutative Rechenoperationen. Für beliebige Zahlen a, b 2 R gilt stets: aþb ¼ bþa ab ¼ ba 1Þ g Kommutativgesetze Zu ihnen gehören: 1. alle endlichen Dezimalbrüche (einschließlich der ganzen Zahlen), 2. alle unendlichen periodischen Dezimalbrüche und 3. alle unendlichen nicht periodischen Dezimalbrüche. ðI-12Þ 2 Die Menge der reellen Zahlen 7 3. Addition und Multiplikation sind assoziative Rechenoperationen. Für beliebige Zahlen a, b, c 2 R gilt stets: a þ ðb þ cÞ ¼ ða þ bÞ þ c a ðb cÞ ¼ ða bÞ c g ðI-13Þ Assoziativgesetze 4. Addition und Multiplikation sind über das Distributivgesetz miteinander verbunden: a ðb þ cÞ ¼ a b þ a c ðI-14Þ Distributivgesetz 2.2 Anordnung der Zahlen, Ungleichung, Betrag Unter den reellen Zahlen herrscht eine bestimmte Anordnung in dem folgenden Sinne: Zwei Zahlen a, b 2 R stehen stets in genau einer der drei folgenden Beziehungen zueinander: a < b ða kleiner bÞ a ¼ b ða gleich bÞ a > b ða größer bÞ Bild I-8 a b x Bild I-9 a=b x Bild I-10 b a x Aussagen (Beziehungen) der Form a < b oder a > b werden als Ungleichungen bezeichnet. Zu ihnen zählt man auch die Relationen a b ða kleiner oder gleich b, d. h. entweder a < b oder a ¼ bÞ a b ða größer oder gleich b, d. h. entweder a > b oder a ¼ bÞ Anmerkungen (1) a < b bzw. a > b bedeuten: Der Bildpunkt von a liegt links bzw. rechts vom Bildpunkt von b (vgl. hierzu die Bilder I-8 und I-10). (2) a ¼ b bedeutet: Die Bildpunkte von a und b fallen zusammen (Bild I-9). Unter dem Betrag einer reellen Zahl a wird der Abstand des zugeordneten Bildpunktes vom Nullpunkt verstanden (Bild I-11). | b| = – b b | a| = a 0 a x Bild I-11 Zum Begriff des Betrages einer Zahl ða > 0, b < 0Þ 8 I Allgemeine Grundlagen Er wird durch das Symbol 8 > < a jaj ¼ 0 f ür > : a & j a j gekennzeichnet und ist stets größer oder gleich Null: 9 a > 0> = a ¼ 0 , jaj 0 ðI-15Þ > ; a < 0 Beispiele j3j ¼ 3, j 5j ¼ 5, jpj ¼ p, j cos p j ¼ j 1 j ¼ 1 & 2.3 Teilmengen und Intervalle Wir geben einige besonders wichtige und häufig auftretende Teilmengen von R an: Spezielle Zahlmengen (Standardmengen) N ¼ f0, 1, 2, . . .g Menge der natürlichen Zahlen 2Þ N* ¼ f1, 2, 3, . . .g Menge der positiven ganzen Zahlen Z ¼ f0, 1, 2, . . .g n o a mit a 2 Z und b 2 N* Q ¼ xjx ¼ b R Menge der ganzen Zahlen Menge der rationalen Zahlen Menge der reellen Zahlen Bei der Beschreibung der Definitions- und Wertebereiche von Funktionen benötigen wir spezielle, als Intervalle bezeichnete Teilmengen von R, die durch zwei Randpunkte begrenzt werden. Sie sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt: Zusammenstellung der wichtigsten Intervalle 1. Endliche Intervalle ða < bÞ ½ a, b ¼ fx j a x bg ½ a, b Þ ¼ fx j a x < bg ða, b ¼ fx j a < x bg ða, bÞ ¼ fx j a < x < bg 2Þ abgeschlossenes Intervall g halboffene Intervalle offenes Intervall Die Zahl 0 wird den natürlichen Zahlen zugerechnet. 3 Gleichungen 9 2. Unendliche Intervalle ½ a, 1Þ ¼ fx j a x < 1g ða, 1Þ ¼ fx j a < x < 1g ð 1, b ¼ fx j 1 < x bg ð 1, bÞ ¼ fx j 1 < x < bg ð 1, 0Þ ¼ R ð0, 1Þ ¼ Rþ ð 1, 1Þ ¼ R Anmerkungen & (1) Bei einem abgeschlossenen Intervall gehören beide Randpunkte zum Intervall, bei einem offenen Intervall dagegen keiner, bei einem halboffenen Intervall nur einer der beiden Randpunkte. (2) Die in Naturwissenschaft und Technik verwendeten Symbole für Intervalle weichen häufig von den in der Mathematik üblichen Symbolen ab. So schreibt man beispielsweise für das Intervall fx j a < x < bg meist in verkürzter Form a < x < b. Beispiele (1) Bild I-12 [1, 5] 1 (2) (4) x 5 Bild I-13 ( 3, 2) –3 (3) 1≤ x≤ 5 ( 1, 1] ( 5, 1] –3 < x < 2 x 2 Bild I-14 –∞ –5 –∞<x≤1 – 5 < x ≤ –1 1 –1 x x Bild I-15 & 3 Gleichungen In diesem Abschnitt behandeln wir einige, in den Anwendungen besonders häufig auftretende Gleichungen mit einer unbekannten Größe. Dazu gehören: – – – – Lineare, quadratische und kubische Gleichungen Algebraische Gleichungen höheren Grades (allgemein: n-ten Grades) Bi-quadratische Gleichungen Wurzel- und Betragsgleichungen 10 I Allgemeine Grundlagen Trigonometrische (oder goniometrische) Gleichungen, Exponential- und Logarithmusgleichungen werden in Kapitel III im Anschluss an die Darstellung der entsprechenden Funktionen besprochen. In vielen Fällen ist man bei der Lösung einer Gleichung auf Näherungsverfahren angewiesen, da die Gleichung entweder nicht exakt lösbar ist oder aber der Lösungsmechanismus vom Aufwand her als nicht vertretbar erscheint. Ein solches Standardverfahren der numerischen Mathematik ist beispielsweise das von Newton stammende Tangentenverfahren, das wir in den Anwendungen der Differentialrechnung in Kapitel IV (Abschnitt 3.6) noch ausführlich besprechen werden. 3.1 Lineare Gleichungen Eine lineare Gleichung vom allgemeinen Typ ax þ b ¼ 0 ða 6¼ 0Þ ðI-16Þ besitzt genau eine Lösung, nämlich x 1 ¼ b=a. & Beispiel 3 x 18 ¼ x þ 6 ) 4 x ¼ 24 ) x1 ¼ 6 ) Lösungsmenge : L ¼ f6g & 3.2 Quadratische Gleichungen Die allgemeine Form einer quadratischen Gleichung lautet: ax2 þ bx þ c ¼ 0 ða 6¼ 0Þ ðI-17Þ Sie lässt sich stets in die Normalform x2 þ px þ q ¼ 0 ð p ¼ b=a, q ¼ c=aÞ ðI-18Þ überführen. Die Lösungen dieser Gleichung lauten (sog. p, q-Formel): Lösungen der quadratischen Gleichung x 2 þ p x þ q ¼ 0 (sog. p, q-Formel) rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ffi p 2 p p p2 x 1=2 ¼ q ¼ q ðI-19Þ 4 2 2 2 3 Gleichungen 11 Eine Fallunterscheidung wird dabei anhand der Diskriminante D ¼ folgt vorgenommen: 2 p=2 q wie D > 0: Zwei verschiedene reelle Lösungen D ¼ 0: Eine (doppelte) reelle Lösung D < 0: Keine reellen Lösungen 3Þ & Beispiele (1) 2 x 2 4 x þ 6 ¼ 0 j : ð 2Þ ) x2 þ 2x 3 ¼ 0 D ¼ 1 2 þ 3 ¼ 4 > 0 ) Zwei verschiedene reelle Lösungen pffiffiffi x 1=2 ¼ 1 4 ¼ 1 2 x1 ¼ 1 , (2) x2 ¼ 3 ) 3 x 2 þ 9 x þ 6,75 ¼ 0 j : 3 L ¼ f 3, 1g ) x 2 þ 3 x þ 2,25 ¼ 0 D ¼ 1,5 2 2,25 ¼ 2,25 2,25 ¼ 0 ) Eine (doppelte) reelle Lösung pffiffiffi x 1=2 ¼ 1,5 0 ¼ 1,5 0 ¼ 1,5 ) L ¼ f 1,5g (3) x 2 4 x þ 13 ¼ 0 D ¼ ð 2Þ 2 13 ¼ 9 < 0 ) Keine reellen Lösungen ) L ¼ f g & 3.3 Gleichungen 3. und höheren Grades 3.3.1 Allgemeine Vorbetrachtung Eine algebraische Gleichung n-ten Grades ist in der Form a n x n þ a n1 x n1 þ . . . þ a 1 x þ a 0 ¼ 0 ða n 6¼ 0Þ ðI-20Þ darstellbar (sinnvoller Weise nach fallenden Potenzen geordnet). Sie besitzt höchstens n reelle Lösungen, die auch als Wurzeln der Gleichung bezeichnet werden. Ist n ungerade, so existiert mindestens eine reelle Lösung. Für Gleichungen bis einschließlich 4. Grades lassen sich allgemeine Lösungsformeln herleiten, mit deren Hilfe die Lösungen berechnet werden können. Als Beispiel führen wir die Cardanische Lösungsformel für eine Gleichung 3. Grades an. 3Þ Die Lösungen sind dann sog. (konjugiert) komplexe Zahlen. Sie werden später in Kap. VII ausführlich behandelt. 12 I Allgemeine Grundlagen Leider jedoch sind diese Formeln in der Praxis meist zu schwerfällig, sodass man in der Regel auf andere Verfahren ausweicht (z. B. auf graphische oder numerische Näherungsverfahren, siehe hierzu das in Kapitel IV dargestellte Tangentenverfahren von Newton). Ist eine Lösung x 1 bekannt, so kann die Gleichung n-ten Grades durch Abspalten des entsprechenden Linearfaktors x x 1 auf eine Gleichung vom Grade n 1 reduziert werden. Auf dieses Thema gehen wir im Zusammenhang mit den Polynomfunktionen (ganzrationalen Funktionen) noch ausführlich ein (siehe hierzu Kap. III, Abschnitt 5). Abschließend zeigen wir anhand von Beispielen, wie in Sonderfällen die Lösung einer Gleichung dritten bzw. vierten Grades gelingt. 3.3.2 Kubische Gleichungen vom speziellen Typ a x 3 þ b x 2 þ c x ¼ 0 Kubische Gleichungen der speziellen Form ax3 þ bx2 þ cx ¼ 0 ða 6¼ 0Þ ðI-21Þ in denen also das absolute Glied fehlt, lassen sich stets durch Ausklammern der Unbekannten x in eine lineare und eine quadratische Gleichung zerlegen: x ða x 2 þ b x þ cÞ ¼ 0 x ¼ 0 ) x1 ¼ 0 ax2 þ bx þ c ¼ 0 ðI-22Þ Eine Lösung liegt daher stets bei x 1 ¼ 0, zwei weitere Lösungen können aus der quadratischen Gleichung resultieren (insgesamt bis zu drei Lösungen). & Beispiel x3 þ 4x2 þ 3x ¼ 0 x ðx 2 þ 4 x þ 3Þ ¼ 0 x ¼ 0 ) x1 ¼ 0 x2 þ 4x þ 3 ¼ 0 ) x 2=3 ¼ 2 1 Es existieren in diesem Beispiel also genau drei verschiedene Lösungen. Sie lauten: x1 ¼ 0 , x2 ¼ 1 , x3 ¼ 3 ) L ¼ f 3, 1, 0g & 3.3.3 Bi-quadratische Gleichungen Eine algebraische Gleichung 4. Grades vom speziellen Typ ax4 þ bx2 þ c ¼ 0 ða 6¼ 0Þ ðI-23Þ (es treten nur gerade Potenzen auf) heißt bi-quadratisch und lässt sich durch die Substitution u ¼ x 2 in eine quadratische Gleichung überführen: a u2 þ b u þ c ¼ 0 ðI-24Þ 3 Gleichungen 13 Aus den Lösungen dieser Gleichung erhält man mittels der Rücksubstitution x 2 ¼ u die Lösungen der bi-quadratischen Gleichung. Eine bi-quadratische Gleichung besitzt daher entweder keine reelle Lösung oder aber zwei oder vier reelle Lösungen. Welcher dieser drei Fälle eintritt, hängt vom Vorzeichen der Lösungen u 1 und u 2 der quadratischen „Hilfsgleichung“ ab (sofern solche Lösungen überhaupt existieren). & Beispiel x 4 10 x 2 þ 9 ¼ 0 Substitution: u ¼ x 2 u 2 10 u þ 9 ¼ 0 ) u 1=2 ¼ 5 4 ) u1 ¼ 9 , u2 ¼ 1 Rücksubstitution mittels x 2 ¼ u: x2 ¼ u1 ¼ 9 ) x 1=2 ¼ 3 x2 ¼ u2 ¼ 1 ) x 3=4 ¼ 1 Lösungsmenge: L ¼ f 3, 1, 1, 3g oder L ¼ f 1, 3g & 3.4 Wurzelgleichungen Die bisher behandelten Gleichungen konnten durch sog. äquivalente Umformungen 4Þ schrittweise vereinfacht und schließlich gelöst werden, ohne dass dabei Lösungen hinzukamen oder verschwanden. Bei Wurzelgleichungen, in denen die Unbekannte in rationaler Form innerhalb von Wurzelausdrücken auftritt, ist dies im Allgemeinen nicht der Fall, wie das folgende Beispiel zeigt: & Beispiel pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 6x 2 þ 5 3x ¼ 0 Der Wurzelausdruck wird zunächst isoliert: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 6x 2 ¼ 3x 5 An dieser Stelle wollen wir eine Vorbetrachtung über mögliche Lösungen vornehmen. Die Lösungen müssen nämlich zwei Bedingungen erfüllen. 4Þ Bei einer äquivalenten Umformung bleibt die Lösungsmenge der Gleichung oder Ungleichung (bezüglich derselben Unbekannten) unverändert. Umformungen, die zu einer Veränderung der Lösungsmenge führen können (nicht aber müssen), heißen nichtäquivalente Umformungen. 14 I Allgemeine Grundlagen 1. Bedingung: Der Radikand der Wurzel darf nicht negativ werden, d. h. also: 6x 2 0 ) 6x 2 ) x 1=3 2. Bedingung: Eine Quadratwurzel ist stets größer oder gleich Null. Dies muss daher auch für die rechte Seite der Wurzelgleichung gelten: 3x 5 0 ) 3x 5 ) x 5=3 Beide Bedingungen zugleich sind nur für Lösungen x 5=3 erfüllbar. Sollten also im weiteren Verlauf des Lösungsverfahrens Werte auftreten, die diese Bedingung nicht erfüllen, so handelt es sich um sog. „Scheinlösungen“ (eine Probe wird das bestätigen). Nach dieser Vorbetrachtung wenden wir uns wieder der Lösung der Wurzelgleichung zu und beseitigen zunächst den Wurzelausdruck durch Quadrieren: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 6 x 2 ¼ 3 x 5 j quadrieren ) 2 6x 2 ¼ 3x 5 Dieser Vorgang stellt jedoch eine nichtäquivalente Umformung dar und kann zu (weiteren) „Scheinlösungen“ führen, d. h. die neue (quadratische) Gleichung kann (muss aber nicht) mehr Lösungen besitzen als die ursprüngliche Wurzelgleichung! Wir lösen jetzt die quadratische Gleichung (nach Vertauschen beider Seiten): 3x 5 2 ¼ 9 x 2 30 x þ 25 ¼ 6 x 2 9 x 2 36 x þ 27 ¼ 0 j : 9 x 1=2 ¼ 2 ) ) x2 4x þ 3 ¼ 0 pffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 43 ¼ 2 1 ¼ 21 ) ) x1 ¼ 3 , x2 ¼ 1 Der erste Wert erfüllt die Bedingung x 5=3, der zweite Wert dagegen nicht („Scheinlösung“). Die Probe durch Einsetzen in die Ausgangsgleichung bestätigt unser Ergebnis: x1 ¼ 3 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 6 3 2 þ 5 3 3 ¼ 16 4 ¼ 4 4 ¼ 0 Einzige Lösung der Wurzelgleichung ist somit x 1 ¼ 3: Hinweis Bei Verzicht auf die Vorbetrachtung muss durch Probe (Einsetzen aller gefundenen Werte in die Ausgangsgleichung) festgestellt werden, ob es sich bei den Lösungen der „Hilfsgleichung“ auch um Lösungen der Wurzelgleichung handelt oder um „Scheinlösungen“. In unserem Beispiel ist x 1 ¼ 3 eine Lösung der Wurzelgleichung, der Wert x 2 ¼ 1 dagegen eine „Scheinlösung“. & 3 Gleichungen 15 3.5 Betragsgleichungen Wir zeigen in diesem Abschnitt anhand von Beispielen, wie man sog. Betragsgleichungen in einfachen Fällen durch Fallunterscheidung oder mit Hilfe eines halb-graphischen Verfahrens lösen kann. Eine Betragsgleichung enthält dabei mindestens einen in Betragsstrichen stehenden Term mit der Unbekannten x. Zunächst aber müssen wir uns mit den Eigenschaften der sog. Betragsfunktion vertraut machen. 3.5.1 Definition der Betragsfunktion Definitionsgemäß verstehen wir unter dem Betrag j x j einer reellen Zahl x den Abstand dieser Zahl von der Zahl 0. & Beispiel j 4 j ¼ 4, j 3 j ¼ 3 (Bild I-16) | – 3| | 4| Bild I-16 –3 0 4 x & Der Abstand zweier Zahlen x und a auf der Zahlengerade ist dann j x a j (siehe Bild I-17): |x – a| Bild I-17 a x x Der Betrag j x j einer reellen Zahl x kann auch als eine Funktion von x aufgefasst werden. Dies führt zu dem Begriff der wie folgt definierten Betragsfunktion: Definition: Unter der Betragsfunktion y ¼ j x j wird die für alle x 2 R erklärte Funktion 8 9 x 0= < x ðI-25Þ y ¼ j x j¼ f ür : ; x x < 0 verstanden (Bild I-18). 16 I Allgemeine Grundlagen y y = |x | = x 1 y = |x | = – x Bild I-18 Schaubild der Betragsfunktion y ¼ j x j 1 x y=x Das Schaubild der Betragsfunktion y ¼ j x j erhält man aus der Geraden y ¼ x, indem man den unterhalb der x-Achse liegenden Teil der Geraden an der x-Achse spiegelt, wie man unmittelbar aus Bild I-18 entnehmen kann. Diese Aussage lässt sich für eine beliebige in Betragsstrichen stehende Funktion verallgemeinern: Zeichnerische Konstruktion der Funktion y ¼ j f ðxÞj Das Schaubild der Funktion y ¼ j f ðxÞj erhält man aus dem Schaubild von y ¼ f ðxÞ, indem man alle unterhalb der x-Achse liegenden Kurvenstücke an der x-Achse spiegelt und die bereits oberhalb der x-Achse liegenden Teile unverändert beibehält. Anmerkung Spiegelung an der x-Achse bedeutet für einen Kurvenpunkt, dass sich das Vorzeichen der Ordinate ändert. Aus der Kurvengleichung y ¼ f ðxÞ wird dabei die Kurvengleichung y ¼ g ðxÞ ¼ f ðxÞ. Regel: Spiegelung an der x-Achse & ) Multiplikation der Funktionsgleichung mit 1. Beispiele (1) Wie verläuft die Funktion y ¼ j x 2 j? Lösung: Wir zeichnen zunächst die „Hilfsgerade“ y ¼ x 2 und spiegeln dann den unterhalb der x-Achse gelegenen Teil der Geraden an dieser Achse. Bild I-19 verdeutlicht diesen Vorgang und zeigt den Verlauf der Betragsfunktion y ¼ j x 2 j. 3 Gleichungen 17 y y = | x – 2 | = – (x– 2) 2 y = | x – 2 | = x– 2 1 –1 1 2 5 x Bild I-19 Schaubild der Funktion y ¼j x 2 j y=x–2 –2 Die Funktionsgleichung y ¼ j x 2 j lässt sich abschnittsweise wie folgt durch einfache Gleichungen beschreiben: 8 9 x 2= < x 2 y ¼j x 2 j¼ f ür : ; ðx 2Þ x < 2 (2) Wir untersuchen das Kurvenbild von y ¼ j x 2 1 j. Zunächst zeichnen wir die „Hilfsfunktion“ y ¼ x 2 1 (Parabel), spiegeln dann das unterhalb der x-Achse gelegene Kurvenstück (Parabel zwischen x ¼ 1 und x ¼ 1) an dieser Achse und erhalten auf diese Weise das Schaubild der Betragsfunktion y ¼ j x 2 1 j (Bild I-20). y y = | x 2 – 1| 1 –1 1 –1 x y= x2–1 Bild I-20 Schaubild der Funktion y ¼ j x2 1 j 18 I Allgemeine Grundlagen Abschnittsweise lässt sich diese Funktion auch wie folgt durch einfache Gleichungen beschreiben: 8 9 j x j 1= < x2 1 y ¼j x 2 1 j ¼ f ür : ; jxj 1 ðx 2 1Þ & 3.5.2 Analytische Lösung einer Betragsgleichung durch Fallunterscheidung (Beispiel) Die Betragsgleichung j x þ 2 j 2 j x 3 j ¼ 4 lässt sich durch Fallunterscheidungen auf einfachere und leicht lösbare lineare Gleichungen zurückführen. Dabei hängt alles vom Vorzeichen der beiden Terme T 1 ðxÞ ¼ x þ 2 und T 2 ðxÞ ¼ x 3 ab, die in der Gleichung zwischen den Betragsstrichen stehen. Diese Beträge lassen sich wie folgt abschnittsweise durch einfache Ausdrücke ersetzen: 8 9 x þ 2 0 ) x 2= < ðx þ 2Þ jx þ 2j¼ f ür : ; ðx þ 2Þ x þ 2 0 ) x 2 jx 3j¼ 8 < : ðx 3Þ x 3 0 9 ) x 3= x 3 0 ) x 3 f ür ðx 3Þ ; Daher sind insgesamt drei Fälle zu unterscheiden: x < 2; 2 x 3; x > 3 Alles weitere hängt davon ab, welches Vorzeichen die Terme T 1 ðxÞ ¼ x þ 2 und T 2 ðxÞ ¼ x 3 in diesen Intervallen haben. Ist ein Term positiv, dürfen wir die Betragsstriche weglassen (wir setzen dann eine Klammer), anderenfalls müssen wir den Term mit 1 multiplizieren (wir setzen wieder eine Klammer und vor die Klammer ein Minuszeichen). 1. Fall: Lösungen im Intervall x < 2 In diesem Intervall sind beide Terme negativ: x þ2 < 0 und x 3 < 0 Somit gilt: j x þ 2 j 2 j x 3 j¼ 4 |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} <0 <0 x 2 þ 2x 6 ¼ 4 ) ) ðx þ 2Þ þ 2 ðx 3Þ ¼ 4 x 8 ¼4 ) x 1 ¼ 12 ) 3 Gleichungen 19 Dieser Wert ist eine „Scheinlösung“, da er ausserhalb des Intervalls x < 2 liegt: x 1 ¼ 12 > 2. Die Probe bestätigt unser Ergebnis (wir setzen den Wert x 1 ¼ 12 in die Ausgangsgleichung ein): j 12 þ 2 j 2 j 12 3 j ¼ j 14 j 2 j 9 j ¼ 14 2 9 ¼ 14 18 ¼ 4 6¼ 4 2. Fall: Lösungen im Intervall 2 x 3 Der Term x þ 2 ist positiv (oder Null), der Term x 3 dagegen negativ (oder Null). Somit gilt: j x þ 2 j 2 j x 3 j ¼ 4 |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} 0 0 ) x þ 2 þ 2x 6 ¼ 4 3x 4 ¼ 4 ) ðx þ 2Þ þ 2 ðx 3Þ ¼ 4 ) 3x ¼ 8 ) x 2 ¼ 8=3 ) Dieser Wert liegt im Intervall 2 x 3 und ist somit eine Lösung der Betragsgleichung. Wir bestätigen dieses Ergebnis noch durch eine Probe: 8 þ 2 2 8 3 ¼ 14 2 1 ¼ 14 2 1 ¼ 14 2 ¼ 12 ¼ 4 3 3 3 3 3 3 3 3 3 3. Fall: Lösungen im Intervall x > 3 Beide Terme sind in diesem Intervall positiv. Daher gilt: j x þ 2 j 2 j x 3 j ¼ 4 |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} >0 >0 ) x þ 2 2x þ 6 ¼ 4 x þ 8 ¼ 4 ) ðx þ 2Þ 2 ðx 3Þ ¼ 4 ) ) x ¼ 4 ) x3 ¼ 4 Wegen x 3 ¼ 4 > 3 haben wir eine weitere Lösung der Betragsgleichung. Die Probe bestätigt unser Ergebnis: j 4 þ 2 j 2 j 4 3 j ¼j 6 j 2 j 1 j ¼ 6 2 1 ¼ 6 2 ¼ 4 Lösungen: L ¼ f8=3, 4g 3.5.3 Lösung einer Betragsgleichung auf halb-graphischem Wege (Beispiel) Die Betragsgleichung j x 2 j ¼ x2 kann wie folgt auf halb-graphischem Wege gelöst werden: Wir fassen die beiden Seiten der Gleichung als Funktionen von x auf, setzen also y1 ¼ j x 2 j und y2 ¼ x2 20 I Allgemeine Grundlagen und bringen die Kurven zum Schnitt. Die Lösungen der Betragsgleichung sind dann die Abszissenwerte der Kurvenschnittpunkte (Bild I-21). Aus dem Bild entnehmen wir, dass es genau zwei Schnittpunkte und damit zwei Lösungen gibt. y y2 = x 2 y 1 = | x – 2| = – (x – 2) ( für x < 2) y 1 = | x – 2| = x – 2 ( für x ≥ 2) 1 –2 –1 1 2 5 x Bild I-21 Zur Lösung der Betragsgleichung j x 2 j ¼ x 2 auf halb-graphischem Wege Bei einer einigermaßen genauen Zeichnung können diese Werte direkt abgelesen werden, jedoch mit keiner allzu großen Genauigkeit. Rechnerisch erhält man sie nach Bild I-21 über die Schnittpunkte der Geraden y ¼ ðx 2Þ ¼ x þ 2 mit der Parabel y ¼ x 2 , da die Betragsfunktion y ¼ j x 2 j im Intervall x 2, in dem die beiden Lösungen liegen, mit der Geraden y ¼ ðx 2Þ ¼ x þ 2 zusammenfällt: x2 ¼ x þ 2 x 1=2 ) x2 þ x 2 ¼ 0 ) rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi rffiffiffiffiffi 1 1 1 9 1 3 þ2 ¼ ¼ ¼ 2 4 2 4 2 2 x1 ¼ 1 , ) x2 ¼ 2 Lösungsmenge : L ¼ f 2, 1g 4 Ungleichungen Wir beschäftigen uns in diesem Abschnitt mit Ungleichungen, die noch eine unbekannte Größe x enthalten. Die Lösungsmengen sind in der Regel Intervalle. hnlich wie bei einer Gleichung kann man auch hier versuchen, die vorgegebene Ungleichung durch äquivalente Umformungen zu lösen. 4 Ungleichungen 21 Dabei sind die folgenden Regeln zu beachten: quivalente Umformungen einer Ungleichung Die Lösungsmenge einer Ungleichung bleibt bei Anwendung der folgenden Operationen unverändert erhalten (sog. äquivalente Umformungen einer Ungleichung): 1. Auf beiden Seiten einer Ungleichung darf ein beliebiger Term T ðxÞ addiert oder subtrahiert werden. 2. Eine Ungleichung darf mit einer beliebigen positiven Zahl multipliziert oder durch eine solche Zahl dividiert werden. 3. Eine Ungleichung darf mit einer beliebigen negativen Zahl multipliziert oder durch eine solche Zahl dividiert werden, wenn gleichzeitig das Relationszeichen der Ungleichung wie folgt geändert wird: Aus aus aus aus < > wird wird wird wird >, , <, . Anmerkung Die Operationen (2) und (3) gelten sinngemäß auch für Multiplikationen und Divisionen mit einem Term T ðxÞ 6¼ 0, wobei jeweils durch Fallunterscheidung zu prüfen ist, welches Vorzeichen der Term annimmt (siehe hierzu auch das nachfolgende 1. Beispiel). & Beispiele (1) 2x 1 > 3 x þ2 ðx 6¼ 2Þ Wir lösen diese Ungleichung wie folgt. Zunächst beseitigen wir den Bruch, indem wir beidseitig mit dem Term x þ 2 multiplizieren und dabei beachten, welches Vorzeichen dieser Term besitzt. Wir müssen daher die Fälle x þ 2 > 0 und x þ 2 < 0 unterscheiden (der Fall x þ 2 ¼ 0 und somit x ¼ 2 scheidet aus, da die Division durch 0 verboten ist). 1. Fall: x þ 2 > 0 ) x > 2 Das Relationszeichen der Ungleichung bleibt erhalten: 2x 1 > 3 j ðx þ 2Þ x þ2 ) 2x 1 > 3x þ 6 x > 7 j ð 1Þ ) 2 x 1 > 3 ðx þ 2Þ ) ) x < 7 (wir haben mit einer negativen Zahl multipliziert, daher ist das Zeichen > durch das Zeichen < zu ersetzen). 22 I Allgemeine Grundlagen Die „Lösung“ steht im Widerspruch zum angenommenen Fall x > 2. Somit handelt es sich um eine „Scheinlösung“. 2. Fall: x þ 2 < 0 ) x < 2 Wir multiplizieren die Ungleichung jetzt also mit einem negativen Term, daher ist das Relationszeichen zu ändern (aus > wird <): 2x 1 > 3 j ðx þ 2Þ x þ2 ) 2x 1 < 3x þ 6 x < 7 j ð 1Þ ) 2 x 1 < 3 ðx þ 2Þ ) ) x > 7 (Multiplikation mit der negativen Zahl 1, aus < wird daher >). Die Bedingung x < 2 wird aber nur für x-Werte erfüllt, die zwischen 7 und 2 liegen. Lösung: 7 < x < 2 (2) x 1 2 jxj Wir lösen diese Ungleichung auf sehr anschauliche Weise wie folgt: Linke und rechte Seite der Ungleichung werden als Funktionen von x aufgefasst: 2 y1 ¼ x 1 Parabel y2 ¼ j x j und Betragsfunktion Die Ungleichung lässt sich dann auch in der Form y 1 y 2 darstellen. Lösungen sind damit alle x-Werte, für die die Parabel unterhalb der Betragsfunktion bleibt, wobei die Schnittpunkte zur Lösungsmenge gehören. Wir zeichnen beide Kurven und erkennen anhand des Bildes I-22, dass diese Bedingung genau zwischen den beiden Kurvenschnittpunkten erfüllt ist. y y1 = (x –1) 2 y 2 = | x| 1 –1 1 0,38 5 2,62 Bild I-22 Zur Lösung der Ungleichung x 1 2 jxj x 5 Lineare Gleichungssysteme 2 Diese erhält man durch Gleichsetzen der Funktionen y 1 ¼ x 1 y 2 ¼ j x j ¼ x (für x 0) 5Þ : 2 x 1 ¼ x ) x2 2x þ 1 ¼ x ) x2 3x þ 1 ¼ 0 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 1=2 ¼ 1,5 1,5 2 1 ¼ 1,5 1,25 ¼ 1,5 1,12 ) x 1 ¼ 2,62 , 23 und ) x 2 ¼ 0,38 Lösungsmenge: 0,38 x 2,62 & 5 Lineare Gleichungssysteme In diesem Abschnitt behandeln wir das unter der Bezeichnung Gaußscher Algorithmus bekannte Verfahren zur Lösung eines linearen Gleichungssystems. Auf lineare Gleichungssysteme stößt man in den technischen Anwendungen beispielsweise bei der Behandlung und Lösung der folgenden Probleme: Berechnung der Stabkräfte in einem Fachwerk (z. B. Kranausleger, Brücken) Bestimmung der Ströme bzw. Spannungen in einem elektrischen Netzwerk Berechnung der Eigenfrequenzen eines schwingungsfähigen Systems 5.1 Ein einführendes Beispiel Es sei ein lineares Gleichungssystem mit drei Gleichungen und drei unbekannten Größen x, y und z vorgegeben: ðIÞ ðIIÞ ðIIIÞ x þ yþ z ¼ 0 x 3y 2z ¼ 5 5x þ ðI-26Þ y þ 4z ¼ 3 Das von Gauß stammende Verfahren zur Lösung eines solchen Gleichungssystems ist ein Eliminationsverfahren, das schrittweise eine Unbekannte nach der anderen eliminiert, bis nur noch eine Gleichung mit einer einzigen Unbekannten übrigbleibt. In unserem Beispiel eliminieren wir zunächst die unbekannte Größe x wie folgt: Wir addieren zur 2. Gleichung die 1. Gleichung und zur 3. Gleichung das 5-fache der 1. Gleichung. Bei der Addition fällt dann jeweils die Unbekannte x heraus: 5Þ Anhand der Skizze erkennt man, dass die gesuchten Kurvenschnittpunkte im Bereich positiver x-Werte liegen. Die Betragsfunktion y 2 ¼ j x j ist dort aber identisch mit der Geraden y ¼ x, die daher die Pa 2 an den gleichen Stellen schneidet wie die Betragsfunktion. rabel y 1 ¼ x 1 24 I Allgemeine Grundlagen ðIIÞ ðIÞ ðI*Þ x 3y 2z ¼ 5 x þ yþ z ¼ 0 2y z ¼ 5 ) ðIIIÞ þ ð5 IÞ ðII*Þ 5x þ y þ 4z ¼ 3 5x þ 5y þ 5z ¼ 0 ) þ 6y þ 9z ¼ 3 Damit haben wir das lineare Gleichungssystem auf zwei Gleichungen mit den beiden Unbekannten y und z reduziert: ðI*Þ ðII*Þ 2y z ¼ 5 6y þ 9z ¼ 3 Nun wird das Verfahren wiederholt. Um die zweite Unbekannte y zu eliminieren, addieren wir zur Gleichung (II*) das 3-fache der Gleichung (I*): ) ðII*Þ 6y þ 9z ¼ 3 þ ð3 I*Þ 6 y 3 z ¼ 15 ðI**Þ 6 z ¼ 18 (Alternative: Erst Gleichung (II*) durch 3 dividieren, dann zu Gleichung (I*) addieren.) Die beiden eliminierten Gleichungen (I) und (I*) bilden dann zusammen mit der übriggebliebenen Gleichung (I**) ein sog. gestaffeltes Gleichungssystem, aus dem der Reihe nach von unten nach oben die drei Unbekannten x, y und z berechnet werden können: ðIÞ ðI*Þ x þ yþ z ¼ 0 2y z ¼ 5 ðI**Þ ðI-27Þ 6 z ¼ 18 x y z ci 1 1 1 0 (II) 1 3 2 5 (III) 5 1 4 3 (I) |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} Aus der letzten Gleichung folgt z ¼ 3. Durch Einsetzen dieses Wertes in die darüber stehende Gleichung erhält man für y den Wert 4. Aus der 1. Gleichung schließlich ergibt sich x ¼ 1, wenn wir in diese Gleichung für y und z die bereits bekannten Werte einsetzen. Das vorgegebene lineare Gleichungssystem besitzt daher genau eine Lösung x ¼ 1, y ¼ 4, z ¼ 3. Um den Lösungsweg zu verkürzen, werden die einzelnen Gleichungen in verschlüsselter Form durch ihre Koeffizienten und Absolutglieder ðc i Þ wie folgt repräsentiert: Stets Leerzeilen f ür spätere Rechenschritte einplanen! 5 Lineare Gleichungssysteme 25 Um die Unbekannte x zu eliminieren, wird zur 2. Zeile die 1. Zeile und zur 3. Zeile das 5-fache der 1. Zeile addiert. Wir erhalten zwei neue (verschlüsselte) Gleichungen mit den unbekannten Größen y und z, die wir durch (I*) und (II*) kennzeichnen: y z ci (I) 1 1 1 0 (II) ð1 IÞ 1 1 3 1 2 1 5 0 (III) ð5 IÞ 5 5 1 5 4 5 3 0 2 1 5 6 9 3 (I*) (II*) |fflfflfflfflffl{zfflfflfflfflffl} x Leerzeilen einplanen! Nun addieren wir zur 2. Zeile (II*) das 3-fache der 1. Zeile (I*) und erhalten in verschlüsselter Form eine Gleichung (I**) mit der Unbekannten z. Das Rechenschema ist jetzt ausgefüllt und besitzt die folgende Gestalt: x y z ci (I) 1 1 1 0 1 (II) ð1 IÞ 1 1 3 1 2 1 5 0 1 1 (III) ð5 IÞ 5 5 1 5 4 5 3 0 13 5 (I*) 2 1 5 2 (II*) ð3 I*Þ 6 6 9 3 3 15 18 6 6 18 24 (I**) si Eingebaut wurde noch als Rechenkontrolle die sog. Zeilensummenprobe. Die durch s i gekennzeichnete letzte Spalte des Rechenschemas enthält jeweils die Summe aller in einer Zeile stehenden Zahlen (Koeffizienten und Absolutglied). Mit Hilfe der Zeilensummen lassen sich die einzelnen Rechenschritte wie folgt kontrollieren: 26 I Allgemeine Grundlagen Wir greifen als Beispiel die 3. Zeile (III) heraus. Ihre Zeilensumme beträgt 13 ðdenn 5 þ 1 þ 4 þ 3 ¼ 13Þ. Addiert man zur 3. Zeile das 5-fache der 1. Zeile, so erhält man die neue Zeile ðII*Þ ¼ ðIIIÞ þ ð5 IÞ, deren Zeilensumme sich auf zwei Arten bestimmen lässt: Durch Addition der in der neuen Zeile stehenden Zahlen (Ergebnis: 6 þ 9 þ 3 ¼ 18) oder durch Addition des 5-fachen Zeilensummenwertes der 1. Zeile zum Zeilensummenwert der 3. Zeile (Ergebnis: 13 þ 5 1 ¼ 18Þ. Beide Rechenwege müssen bei richtiger Rechnung stets zum selben Ergebnis führen (hier: Zeilensummenwert 18). Damit haben wir ohne großen zusätzlichen Rechenaufwand eine effektive Kontrollmöglichkeit. Aus dem Rechenschema erhält man dann durch Zusammenfassung der eliminierten Zeilen (I) und (I*) und der letzten Zeile (I**) das gestaffelte Gleichungssystem (I-27), aus dem sich die Lösung ohne Schwierigkeiten berechnen lässt, wie wir bereits gezeigt haben (die drei Gleichungen des gestaffelten Systems haben wir zusätzlich durch Grauunterlegung gekennzeichnet). 5.2 Der Gaußsche Algorithmus Lineare Gleichungssysteme bestehen aus m linearen Gleichungen mit n unbekannten Größen x 1 , x 2 , . . . , x n . Innerhalb einer jeden Gleichung treten dabei die Unbekannten in linearer Form, d. h. in der 1. Potenz auf, versehen noch mit einem konstanten Koeffizienten. Definition: Das aus m linearen Gleichungen mit n Unbekannten x 1 , x 2 , . . . , x n bestehende System vom Typ a11 x1 þ a12 x2 þ . . . þ a1n xn ¼ c1 a21 x1 þ a22 x2 þ . . . þ a2n xn ¼ c2 .. .. . . ðI-28Þ a m 1x 1 þ a m 2 x 2 þ . . . þ a m n x n ¼ c m heißt ein lineares Gleichungssystem. Die reellen Zahlen a i k sind die Koeffizienten des Systems, die reellen Zahlen c i werden als Absolutglieder bezeichnet ði ¼ 1, 2, . . . , m; k ¼ 1, 2, . . . , nÞ. Ein lineares Gleichungssystem heißt homogen, wenn alle Absolutglieder c 1 , c 2 , . . . , c m verschwinden. Andernfalls wird das Gleichungssystem als inhomogen bezeichnet. Wir beschränken uns im folgenden auf den in den Anwendungen wichtigsten Fall eines sog. quadratischen linearen Gleichungssystems, bei dem die Anzahl der unbekannten Größen mit der Anzahl der Gleichungen übereinstimmt ðm ¼ nÞ: a11 x1 þ a12 x2 þ . . . þ a1n xn ¼ c1 a21 x1 þ a22 x2 þ . . . þ a2n xn ¼ c2 .. .. . . an1 x1 þ an2 x2 þ . . . þ ann xn ¼ cn ðI-29Þ 5 Lineare Gleichungssysteme 27 Matrizendarstellung eines linearen Gleichungssystems Die Koeffizienten a i k des Systems lassen sich wie folgt zu einer sog. Koeffizientenmatrix A zusammenfassen: 1 0 a11 a12 . . . a1n C Ba B 21 a22 . . . a2n C ðI-30Þ A ¼ B .. C C B .. @ . . A an1 an2 ... ann Sie enthält n Zeilen und n Spalten und wird daher auch als n-reihige quadratische Matrix bezeichnet. Die n Unbekannten x 1 , x 2 , . . . , x n fassen wir zu einem Spaltenvektor ~ x zusammen, ebenso die n Absolutglieder c 1 , c 2 , . . . , c n zu einem Spaltenvektor ~ c: 0 1 0 1 c1 x1 Bx C Bc C B 2C B 2C C C ~ ~ c ¼ B ðI-31Þ x ¼ B B .. C; B .. C @ . A @ . A xn cn Der Spaltenvektor ~ x heißt in diesem Zusammenhang auch Lösungsvektor des Systems. Ein Spaltenvektor wie ~ x oder ~ c kann auch als eine spezielle Matrix mit n Zeilen und einer Spalte aufgefasst werden und wird daher auch als Spaltenmatrix bezeichnet. Das quadratische lineare Gleichungssystem ist dann mit diesen Bezeichnungen in der wesentlich kürzeren Matrizenform A~ x ¼~ c ðI-32Þ darstellbar. In ausführlicher Schreibweise lautet diese Matrizengleichung wie folgt: 10 1 0 0 1 a11 a12 . . . a1n c1 x1 C C C Ba B B B 21 a22 . . . a2n C B x2 C B c2 C B . C B C B C ¼ ðI-33Þ .. C B .. C B . B .. C @ . @ . A . A@ . A xn cn an1 an2 . . . ann Die linke Seite dieser Gleichung ist ein sog. Matrizenprodukt, gebildet aus der Koeffizientenmatrix A und der Spaltenmatrix ~ x. Die erste Gleichung des linearen Gleichungssystems (I-29) erhalten wir dann, indem wir die Elemente der 1. Zeile von A der Reihe nach mit den entsprechenden Elementen der Spaltenmatrix ~ x multiplizieren, alle Produkte anschließend aufaddieren und diese Summe schließlich mit dem 1. Element der auf der rechten Gleichungsseite stehenden Spaltenmatrix ~ c gleichsetzen (wir haben diese Rechenvorschrift in Gleichung (I-33) durch Grauunterlegung verdeutlicht): a11 x1 þ a12 x2 þ . . . þ a1n xn ¼ c1 Analog erhält man die restlichen Gleichungen des linearen Gleichungssystems. ðI-34Þ 28 I Allgemeine Grundlagen In Band 2 werden wir auf die Matrizenmultiplikation noch ausführlich eingehen (Kap. I über Lineare Algebra). Die Schreibweise A ~ x ¼~ c für ein lineares Gleichungssystem soll an dieser Stelle lediglich als eine formale Kurzschreibweise angesehen werden. quivalente Umformungen eines linearen Gleichungssystems Um ein vorgegebenes lineares Gleichungssystem vom Typ (I-29) oder (I-32) lösen zu können, muss es zunächst mit Hilfe äquivalenter Umformungen in ein sog. gestaffeltes System vom Typ a *1 1 x 1 þ a *1 2 x 2 þ . . . þ a *1 n x n ¼ c *1 a *2 2 x 2 þ . . . þ a *2 n x n ¼ c *2 .. . ðI-35Þ a *n n x n ¼ c *n übergeführt werden, aus dem dann die n Unbekannten nacheinander berechnet werden können: Zuerst x n aus der letzten Gleichung, dann x n 1 aus der vorletzten Gleichung usw. Als äquivalente Umformungen sind dabei folgende Operationen zugelassen: quivalente Umformungen eines linearen Gleichungssystems Die Lösungsmenge eines linearen Gleichungssystems A ~ x ¼~ c bleibt bei Anwendung der folgenden Operationen unverändert erhalten (sog. äquivalente Umformungen eines linearen Gleichungssystems): 1. Zwei Gleichungen dürfen miteinander vertauscht werden. 2. Jede Gleichung darf mit einer beliebigen von Null verschiedenen Zahl multipliziert oder durch eine solche Zahl dividiert werden. 3. Zu jeder Gleichung darf ein beliebiges Vielfaches einer anderen Gleichung addiert werden. Beschreibung des Eliminationsverfahrens von Gauß (Gaußscher Algorithmus) Wir geben nun eine kurze Beschreibung des von Gauß stammenden Rechenverfahrens, das die berführung eines vorgegebenen linearen Gleichungssystems in ein gestaffeltes System ermöglicht. Dabei bedienen wir uns der in Abschnitt 5.1 dargestellten verkürzten Schreibweise: Jede Gleichung des Systems wird durch ihre Koeffizienten und ihr Absolutglied repräsentiert, die in Form einer Zeile angeordnet werden. Hinzu kommt (zur Rechenkontrolle) die Zeilensumme). Die oben genannten äquivalenten Umformungen gelten dann auch für die Zeilen im Rechenschema. Das Gaußsche Eliminationsverfahren verläuft schrittweise wie folgt, wobei wir zunächst davon ausgehen, dass die Unbekannten in der Reihenfolge x 1 , x 2 , . . . , x n 1 eliminiert werden: 5 Lineare Gleichungssysteme 29 (1) Im 1. Rechenschritt wird das lineare Gleichungssystem durch Eliminieren der Unbekannten x 1 auf n 1 Gleichungen mit den n 1 Unbekannten x 2 , x 3 , . . . , a21 x n reduziert. Dazu wird die 1. Gleichung (Zeile) mit dem Faktor multiplia11 ziert und zur 2. Gleichung (Zeile) addiert, wobei die Unbekannte x 1 verschwindet. Ebenso verfährt man mit den übrigen Gleichungen (Zeilen). Allgemein addiert man ai1 zur i-ten Gleichung (Zeile) das - fache der 1. Gleichung (Zeile) a11 ði ¼ 2, 3, . . . , nÞ. Bei der Addition verschwindet jeweils die Unbekannte x 1 und mit ihr die 1. Gleichung (Zeile). (2) Das unter (1) beschriebene Verfahren wird jetzt auf das reduzierte System, bestehend aus n 1 Gleichungen mit den n 1 unbekannten Größen x 2 , x 3 , . . . , x n angewandt. Dadurch wird die nächste Unbekannte ðx 2 Þ eliminiert. Nach insgesamt n 1 Schritten bleibt eine einzige Gleichung (Zeile) mit einer Unbekannten ðx n Þ übrig. (3) Die eliminierten Gleichungen (Zeilen) bilden zusammen mit der letzten Gleichung (Zeile) das gestaffelte Gleichungssystem, aus dem sich die Unbekannten sukzessive in der Reihenfolge x n , x n 1 , . . . , x 1 berechnen lassen. Das beschriebene Verfahren wird als Gaußsches Eliminationsverfahren oder Gaußscher Algorithmus bezeichnet und lässt sich schematisch wie folgt darstellen: Schematischer Lösungsweg beim Gaußschen Eliminationsverfahren (Gaußscher Algorithmus) n n I x 1, . . . , x n n1 n1 I x 2, . . . , x n n2 n2 I x 3, . . . , x n 1 1 xn Obere Zahl: Anzahl der noch vorhandenen Gleichungen Untere Zahl: Anzahl der noch vorhandenen Unbekannten Unter den Kästen sind die jeweils noch vorhandenen Unbekannten aufgeführt. Anmerkungen (1) Es spielt dabei keine Rolle, in welcher Reihenfolge die Unbekannten eliminiert werden. (2) Der Gaußsche Algorithmus ist auch auf den allgemeinen Fall eines (m, n)-Systems anwendbar (m: Anzahl der Gleichungen; n: Anzahl der unbekannten Größen). Für m ¼ n erhält man ein quadratisches System, das daher auch als (n, n)-System bezeichnet wird. (3) Gegebenenfalls müssen die Unbekannten noch umgestellt, d. h. umnumeriert werden. 30 I Allgemeine Grundlagen Lösungsverhalten eines linearen Gleichungssystems Ein inhomogenes Gleichungssystem besitzt entweder genau eine Lösung oder unendlich viele Lösungen oder aber überhaupt keine Lösung. Treten unendlich viele Lösungen auf, d. h. ist das System nicht eindeutig lösbar, so ist mindestens eine der n unbekannten Größen x 1 , x 2 , . . . , x n frei wählbar und wird in diesem Zusammenhang als Parameter bezeichnet. Die Lösungen des inhomogenen linearen Gleichungssystems hängen in diesem Fall noch von einem oder sogar mehreren Parametern ab. Beispiele hierzu folgen am Ende dieses Abschnitts. Im Gegensatz zu einem inhomogenen linearen Gleichungssystem ist ein homogenes System stets lösbar. Es besitzt die Gestalt a11 x1 þ a12 x2 þ . . . þ a1n xn ¼ 0 a21 x1 þ a22 x2 þ . . . þ a2n xn ¼ 0 .. .. . . an1 x1 þ an2 x2 þ . . . þ ann xn ¼ 0 A~ x ¼~ 0 oder ðI-36Þ und damit in jedem Fall die sog. triviale Lösung x1 ¼ 0 , x 2 ¼ 0, ... , xn ¼ 0 oder ~ x ¼~ 0 ðI-37Þ wie man durch Einsetzen dieser Werte in das System (I-36) leicht nachrechnet 6). Falls weitere Lösungen vorliegen, sind dies immer unendlich viele. Mit anderen Worten: Ein homogenes lineares Gleichungssystem besitzt entweder genau eine Lösung, nämlich die triviale Lösung x 1 ¼ x 2 ¼ . . . ¼ x n ¼ 0, oder aber unendlich viele Lösungen, die dann noch von mindestens einem Parameter abhängen. Wir fassen zusammen: Lösungsverhalten eines linearen Gleichungssystems 1. Inhomogenes lineares Gleichungssystem A ~ x ¼~ c (mit ~ c 6¼ ~ 0) Das System besitzt entweder genau eine Lösung oder unendlich viele Lösungen oder überhaupt keine Lösung. 2. Homogenes lineares Gleichungssystem A ~ x ¼~ 0 Das System besitzt entweder genau eine Lösung, nämlich die triviale Lösung ~ x ¼~ 0 oder unendlich viele Lösungen, die noch von mindestens einem Parameter abhängen. 6Þ Ein Spaltenvektor, der nur Nullen enthält, wird als Nullvektor bezeichnet und durch das Symbol ~ 0 gekennzeichnet. 5 Lineare Gleichungssysteme 31 Anmerkungen & (1) Diese Aussagen gelten auch für nicht-quadratische lineare Gleichungssysteme. (2) Lineare Gleichungssysteme mit 2, 3, . . . , n Lösungen gibt es nicht! Beispiele (1) Wir lösen das aus vier Gleichungen mit ebenso vielen Unbekannten bestehende inhomogene lineare Gleichungssystem x 1 3 x 2 þ 1,5 x 3 2 x1 þ x 4 ¼ 10,4 x 2 þ 3,5 x 3 þ 2 x 4 ¼ 16,5 x 1 2 x 2 þ 1,2 x 3 þ 2 x 4 ¼ 3 x1 þ x2 0 x 3 3 x 4 ¼ 0,7 unter Verwendung des Gaußschen Algorithmus. Die Eliminationszeilen bezeichnen wir dabei der Reihe nach mit E 1 , E 2 und E 3 . Die im Rechenschema nicht benötigten Leerzeilen werden im folgenden stets weggelassen. E1 2 E1 1 E1 3 E1 x1 x2 x3 x4 ci si 1 3 1,5 1 10,4 11,9 2 1 3,5 2 16,5 12 2 6 3 2 20,8 23,8 1 2 1,2 2 0 2,2 1 3 1,5 1 10,4 11,9 3 1 1 3 0,7 0,7 3 9 4,5 3 31,2 35,7 35,8 5 6,5 0 37,3 5 E2 5 1,5 15 52 70,5 E2 1 0,3 3 10,4 14,1 10 5,5 10 E 2 10 2 E3 E3 3 0 30 30,5 104 5 15 5 60 14,7 2,5 30 73,5 45 132,3 147 35 141 34,7 212 106 177,3 32 I Allgemeine Grundlagen Das gestaffelte System lautet somit (es besteht aus den Zeilen E 1 , E 2 , E 3 und der letzten Zeile): x 1 3 x 2 þ 1,5 x 3 x 4 ¼ 10,4 ) x1 ¼ 10,4 ) x 2 ¼ 0,184 2,5 x 3 30 x 4 ¼ 73,5 ) x 3 ¼ 5,88 45 x 4 ¼ 132,3 ) x4 ¼ x 2 0,3 x 3 þ 3 x 4 ¼ 0,808 " " " 2,94 Wir lösen es von unten nach oben (durch Pfeile gekennzeichnet): Die eindeutig bestimmte Lösung ist x 1 ¼ 0,808, x 2 ¼ 0,184, x 3 ¼ 5,88, x 4 ¼ 2,94. Das in der Matrizenform dargestellte homogene lineare Gleichungssystem 0 10 1 0 1 1 1 2 x 0 B CB C B C @1 1 2A @yA ¼ @0A 2 3 4 z 0 besitzt, wie wir gleich zeigen werden, unendlich viele Lösungen. Das Rechenverfahren nach Gauß liefert zunächst: x y z ci si E1 1 1 2 0 0 1 1 2 0 2 1 E1 1 1 2 0 0 2 3 4 0 1 2 2 4 0 0 2 0 0 2 2 E2 2 0 0 2 E2 1 0 0 1 0 0 0 2 E1 (2) Proportionale Zeilen Die letzte (grau unterlegte) Zeile führt zu der Gleichung 0z ¼ 0 Sie ist für jedes z 2 R erfüllt, d. h. die Größe z ist ein frei wählbarer Parameter (wir setzen dafür, wie allgemein üblich, z ¼ l mit l 2 R). Denn ein Produkt aus zwei Faktoren, bei dem einer der beiden Faktoren verschwindet (hier ist es der linke Faktor), hat stets den Wert Null und zwar unabhängig vom Wert des zweiten Faktors. 5 Lineare Gleichungssysteme 33 Das gestaffelte System, bestehend aus den Zeilen E 1 , E 2 und der letzten Zeile, lautet damit: x þ y 2z ¼ 0 yþ0z ¼ 0 0z ¼ 0 ) ) ) x ¼ 2l y ¼ 0 z ¼ l ðl 2 RÞ " " Die sukzessiv von unten nach oben berechnete Lösungsmenge ist x ¼ 2 l, y ¼ 0, z ¼ l mit l 2 R. Das vorliegende homogene lineare Gleichungssystem besitzt demnach unendlich viele, noch von einem reellen Parameter l abhängende Lösungen. So erhält man beispielsweise für l ¼ 3 die spezielle Lösung x ¼ 6, y ¼ 0, z ¼ 3 , für den Parameterwert l ¼ 2,5 dagegen die spezielle Lösung x ¼ 5, y ¼ 0, z ¼ 2,5. Anmerkung Bereits nach der Durchführung der ersten Schritte kann man erkennen, dass das System unendlich viele Lösungen besitzt: Die beiden Zeilen (Gleichungen) ð 2; 0; 0Þ und ð1; 0; 0Þ (jeweils ohne Zeilensumme und im obigen Rechenschema durch Pfeile gekennzeichnet) sind einander proportional (Multiplikator: 2) und repräsentieren damit in Wirklichkeit nur eine Gleichung. Man bezeichnet solche Zeilen bzw. Gleichungen auch als linear abhängig. (3) Wir zeigen, dass das inhomogene lineare Gleichungssystem x1 þ 2 x2 þ x3 ¼ 6 x1 þ x2 þ x3 ¼ 2 2 x1 4 x2 2 x3 ¼ 6 nicht lösbar ist. Der Gaußsche Algorithmus führt zunächst zu dem folgenden Schema: x2 x3 ci si 1 2 1 6 8 1 1 1 2 1 1 E1 1 2 1 6 8 2 4 2 6 10 2 E1 2 4 2 12 16 3 2 4 9 0 0 6 6 x1 E1 Aus den beiden verbliebenen Zeilen (Gleichungen) mit den restlichen Unbekannten x 2 und x 3 müssten wir jetzt eine der beiden Unbekannten eliminieren. Die- 34 I Allgemeine Grundlagen ses Vorhaben gelingt jedoch nicht, da die Koeffizienten von x 2 und x 3 in der unteren Gleichung jeweils verschwinden. Diese „merkwürdige“ letzte Zeile (grau unterlegt) führt zu der in sich widersprüchlichen Gleichung 0 x2 þ 0 x3 ¼ 6 Da Produkte mit einem Faktor 0 verschwinden, ist die linke Seite dieser Gleichung für beliebige reelle Werte von x 2 und x 3 stets gleich 0: 0 x2 þ 0 x3 ¼ 6 |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} 0 0 ) 0 ¼ 6 Die Gültigkeit dieser Gleichung würde aber die Gleichheit der Zahlen 0 und 6 bedeuten (innerer Widerspruch). Das vorgegebene Gleichungssystem ist daher nicht lösbar. (4) Wir behandeln zum Abschluss noch ein Beispiel für ein nicht-quadratisches lineares Gleichungssystem mit vier Gleichungen und drei Unbekannten: x 3x 2x x þ y z 2y þ z 5y þ 3z þ 4y þ 2z ¼ 2 ¼ 2 ¼ 1 ¼ 15 Wir eliminieren zuerst x, dann y: x y z ci si E1 1 1 1 2 3 3 E1 3 3 2 3 1 3 2 6 4 9 2 E1 2 2 5 2 3 2 1 4 1 6 1 E1 1 1 4 1 2 1 15 2 22 3 E2 1 2 4 5 3 E2 3 3 1 6 3 12 5 15 5 E2 5 5 1 10 13 20 19 25 5 11 15 33 20 44 Proportionale Zeilen 5 Lineare Gleichungssysteme 35 Die beiden übriggebliebenen Zeilen repräsentieren in verschlüsselter Form zwei Gleichungen mit der einen Unbekannten z. Sie führen zu ein und derselben Lösung für z, sind demnach zueinander proportionale Gleichungen (Zeilen) und stellen somit letztendlich nur eine einzige Gleichung dar 7). Das gestaffelte System besteht daher aus den Eliminationsgleichungen E 1 und E 2 und einer der beiden zueinander proportionalen Gleichungen, wobei wir uns für die obere (grau unterlegte) Gleichung entscheiden: x þ y z ¼ 2 ) x ¼ 1 y 2z ¼ 4 ) y ¼ 2 5 z ¼ 15 ) z ¼ 3 " " Das lineare Gleichungssystem besitzt also genau eine Lösung, nämlich x ¼ 1, & y ¼ 2 und z ¼ 3. 5.3 Ein Anwendungsbeispiel: Berechnung eines elektrischen Netzwerkes Das in Bild I-23 dargestellte elektrische Netzwerk enthält drei Knotenpunkte (a, b, c) und drei Stromzweige mit je einem ohmschen Widerstand 8). I a und I b sind zufließende Ströme, I c ein aus Knotenpunkt c abfließender Strom. Wir berechnen die in den Zweigen fließenden Teilströme I 1 , I 2 und I 3 sowie den abfließenden Strom i c für die in Bild I-23 vorgegebenen Werte der drei Widerstände und der Ströme I a und I b . Ic c R1 ¼ 1 W , R3 R2 I3 Ia ¼ 1 A , Ib ¼ 2 A I2 Ia Ib a R2 ¼ 5 W , R3 ¼ 3 W I1 R1 Bild I-23 b Lösung: Bei der Lösung der Aufgabe benutzen wir das erste Kirchhoffsche Gesetz (Knotenpunktsregel): In einem Knotenpunkt ist die Summe der zu- und abfließenden Ströme gleich Null (zufließende Ströme werden dabei vereinbarungsgemäß positiv, abfließende Ströme negativ gerechnet). 7Þ Würden wir unterschiedliche Wert für z erhalten, so wäre das Gleichungssystem nicht lösbar (Systeme mit zwei verschiedenen Lösungen gibt es nicht). 8Þ Knotenpunkt: Stromverzweigungspunkt Stromzweig: Verbindung zweier Knoten 36 I Allgemeine Grundlagen Für die Knotenpunkte a, b und c gelten dann die folgenden Beziehungen: ðaÞ Ia þ I1 I3 ¼ 0 ðbÞ Ib I1 I2 ¼ 0 ðcÞ Ic þ I2 þ I3 ¼ 0 ðI-38Þ Eine weitere Gleichung liefert das zweite Kirchhoffsche Gesetz (Maschenregel): In jeder Masche 9) ist die Summe der Spannungen gleich Null. Bei einem Umlauf in der in Bild I-23 eingezeichneten Richtung gilt daher: ðÞ R1 I1 R2 I2 þ R3 I3 ¼ 0 ðI-39Þ Die drei Teilströme I 1 , I 2 , I 3 lassen sich aus dem folgenden linearen Gleichungssystem, bestehend aus den umgestellten Gleichungen (a), (b) und (), berechnen: I1 I1 I3 ¼ Ia ¼ Ib I2 R1 I1 R2 I2 þ R3 I3 ¼ ðI-40Þ 0 Mit den vorgegebenen Werten nimmt das System die folgende Form an: I1 I1 I3 ¼ 1 A ¼ 2A I2 I1 5 I2 þ 3 I3 ¼ ðI-41Þ 0A Wir lösen dieses System unter Verwendung des Gaußschen Algorithmus (auf die Zeilensummenprobe wird verzichtet): E1 1 E1 1 E1 E2 5 E2 9Þ I1 I2 I3 ci 1 0 1 1A 1 1 0 2A 1 0 1 1A 1 5 3 0A 1 0 1 1A 1 1 3A 5 4 1A 5 5 15 A 9 16 A Eine Masche ist ein geschlossener, aus Zweigen bestehender Komplex. 6 Der Binomische Lehrsatz 37 Daraus ergibt sich das gestaffelte System (bestehend aus den Zeilen E 1 , E 2 und der letzten Zeile) I1 I3 ¼ 1 A I2 I3 ¼ 3 A ðI-42Þ 9 I 3 ¼ 16 A 7 11 16 A, I 2 ¼ A und I 3 ¼ A. Für den abfließenden Strom 9 9 9 folgt schließlich aus Gleichung (c) des linearen Gleichungssystems (I-38): 11 16 27 A ¼ Ic ¼ I2 þ I3 ¼ þ A ¼ 3A ðI-43Þ 9 9 9 mit der Lösung I 1 ¼ Ic 6 Der Binomische Lehrsatz Unter einem Binom versteht man eine Summe aus zwei Gliedern (Summanden) der allgemeinen Form a þ b. Die n-te Potenz eines solchen Binoms lässt sich dabei nach dem Binomischen Lehrsatz wie folgt entwickeln: n n ða þ bÞ n ¼ a n þ an1 b1 þ an2 b2 þ . . . 1 2 n a1 bn1 þ bn ... þ ðI-44Þ n1 n ðn 2 N*Þ. Die Entwicklungskoeffizienten (gelesen: „n über k“) heißen Binomialk koeffizienten, ihr Bildungsgesetz lautet: n n ðn 1Þ ðn 2Þ . . . ½ n ðk 1Þ ¼ ðI-45Þ 1 2 3 ... k k ðk, n 2 N*; k nÞ. Ergänzend wird n ¼ 1 0 ðI-46Þ gesetzt. Mit Hilfe der Fakultät lassen sich die Binomialkoeffizienten auch wie folgt ausdrücken 10) : n n ðn 1Þ ðn 2Þ . . . ½ n ðk 1Þ ðI-47Þ ¼ k! k 10Þ n! (gelesen: „n Fakultät“) ist definitionsgemäß das Produkt der ersten n positiven ganzen Zahlen: n! ¼ 1 2 3 ... n ðn 2 N*Þ Ergänzend setzt man: 0 ! ¼ 1 Beispiele: 3 ! ¼ 1 2 3 ¼ 6 7 ! ¼ 1 2 3 4 5 6 7 ¼ 5040 38 I Allgemeine Grundlagen Der Binomische Lehrsatz (I-44) kann daher unter Verwendung des Summenzeichens auch in der Form n X n n ða þ bÞ ¼ ank bk ðI-48Þ k k¼0 dargestellt werden. Wir fassen die wichtigsten Ergebnisse zusammen: Binomischer Lehrsatz (für positiv-ganzzahlige Exponenten n) n n ða þ bÞ n ¼ a n þ an1 b1 þ an2 b2 þ . . . 1 2 n ... þ a1 bn1 þ bn ¼ n1 n X n ank bk (I-49) ¼ k k¼0 n Die Berechnung der Binomialkoeffizienten erfolgt dabei nach der Formel k n n ðn 1Þ ðn 2Þ . . . ½ n ðk 1Þ ¼ ð0 < k nÞ ðI-50Þ k! k n Für k ¼ 0 setzt man ¼ 1. 0 Anmerkungen (1) (2) Die Summanden in der Binomischen Entwicklungsformel (I-49) sind Potenzprodukte aus a und b, nach fallenden Potenzen von a geordnet. In jedem Potenzprodukt ist dabei die Summe der Eponenten gleich n. n Merke: Zähler und Nenner der Binomialkoeffizienten sind Produkte aus k jeweils k Faktoren. Zähler: Beginnt mit dem Faktor n, jeder weitere Faktor ist um 1 kleiner als sein Vorgänger. Nenner: 1 2 3 . . . k (Produkt der ersten k positiven ganzen Zahlen) (3) Die Binomialkoeffizienten können auch wie folgt berechnet werden: n n! ¼ k ! ðn kÞ ! k ðI-51Þ 6 Der Binomische Lehrsatz (4) 39 Weitere wichtige Eigenschaften der Binomialkoeffizienten: n k n k ¼ n ðSymmetrieÞ nk þ n k þ1 ¼ nþ1 ðI-52Þ ðI-53Þ k þ1 Weitere Formeln: siehe Mathematische Formelsammlung. (5) Ersetzt man in der Formel (I-49) den Summanden b durch b, so erhält man die Entwicklungsformel für die Potenz ða bÞ n . Dabei ändern sich die Vorzeichen bei den ungeraden Potenzen von b. (6) Lässt man für den Exponenten n der Potenz ða þ bÞ n auch beliebige reelle Werte zu, so gelangt man zur allgemeinen Binomischen Reihe, die dann allerdings aus unendlich vielen Gliedern besteht (siehe hierzu Kap. VI, Abschnitt 3.2). Pascalsches Dreieck Die Binomialkoeffizienten n können auch direkt aus dem folgenden sog. Pascalk schen Dreieck abgelesen werden (Bildungsgesetz: Jede Zahl ist die Summe der beiden unmittelbar links und rechts über ihr stehenden Zahlen): Zeile 1 1 1 1 |fflffl{zfflffl} 1 2 1 |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} 1 3 3 1 |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} 1 4 6 4 1 |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} 1 5 10 10 5 1 |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} 1 6 15 20 15 6 2 3 4 5 6 1 7 " ! 6 4 Der Koeffizient n k steht dabei in der ðn þ 1Þ-ten Zeile an ðk þ 1Þ-ter Stelle. 40 & I Allgemeine Grundlagen Beispiele Der Binomialkoeffizient 6 (1) steht in der 7. Zeile an 5. Stelle und besitzt dem4 nach den Wert 15 (im Pascalschen Dreieck grau unterlegt). Berechnung nach der Definitionsgleichung (I-50): 6 6543 65 ¼ ¼ 3 5 ¼ 15 ¼ 1234 2 4 (2) Für n ¼ 2 erhalten wir die folgenden aus der Schulmathematik bereits bekannten Binomischen Formeln: 2 2 2 ða þ bÞ ¼ a þ a b þ b2 ¼ a2 þ 2 a b þ b2 ð1. BinomÞ 1 ða bÞ 2 ¼ a 2 (3) (4) 2 1 a b þ b2 ¼ a2 2 a b þ b2 Entsprechend erhält man für n ¼ 3: ! 3 3 3 ða þ bÞ ¼ a þ a2 b þ 1 ! 3 3 3 ða bÞ ¼ a a2 b þ 1 3 ! a b2 þ b3 ¼ a3 þ 3 a2 b þ 3 a b2 þ b3 2 3 2 ð2. BinomÞ ! a b2 b3 ¼ a3 3 a2 b þ 3 a b2 b3 Wir entwickeln das Binom ð2 x 5 yÞ 3 nach fallenden Potenzen von x: ð2 x 5 yÞ 3 ¼ ð2 xÞ 3 3 ð2 xÞ 2 ð5 yÞ þ 3 ð2 xÞ ð5 yÞ 2 ð5 yÞ 3 ¼ ¼ 8 x 3 60 x 2 y þ 150 x y 2 125 y 3 (5) Wir berechnen den Wert der Potenz 1043 mit Hilfe des Binomischen Lehrsatzes, wobei wir zunächst die Basiszahl 104 als Summe der Zahlen 100 und 4 darstellen: 3 3 3 3 3 2 1 104 ¼ ð100 þ 4Þ ¼ 100 þ 100 4 þ 100 1 4 2 þ 4 3 ¼ 1 2 ¼ 1 000 000 þ 3 10 000 4 þ 3 100 16 þ 64 ¼ ¼ 1 000 000 þ 120 000 þ 4 800 þ 64 ¼ 1 124 864 & bungsaufgaben 41 bungsaufgaben Zu Abschnitt 1 und 2 1) Stellen Sie die folgenden Mengen in der aufzählenden Form dar: M 1 ¼ f x j x 2 N* und j x j 4 g M2 : Menge aller Primzahlen p 35 L 1 ¼ f x j x 2 R und 2 x 2 þ 3 x ¼ 2 g L 2 ¼ f x j x 2 R und 2 x 2 8 x ¼ 0 g 2) Bilden Sie mit M 1 ¼ f x j x 2 R und 0 x < 4 g und M 2 ¼ f x j x 2 R und 2 < x < 2 g die folgenden Mengen: M 1 [ M 2 , M 1 \ M 2 , M 1 n M 2 . 3) Bestimmen Sie die durch 3 n 15 4 definierte Teilmenge von N* in der aufzählenden und in der beschreibenden Form. 4) In welchen Anordnungsbeziehungen stehen die Zahlen a ¼ 2, b ¼ 5 und c ¼ 8 zueinander? 5) Skizzieren Sie die folgenden Zahlenmengen auf der Zahlengerade: aÞ ð2, 10Þ dÞ A ¼ f x j x 2 R und 1 x < 2 g bÞ x > 2 8 < x < 2 cÞ Zu Abschnitt 3 1) Bestimmen Sie die reellen Lösungen der folgenden quadratischen Gleichungen: aÞ 4x2 þ 6x 1 ¼ 0 bÞ cÞ x 2 10 x ¼ 74 dÞ x 2 4 x þ 13 ¼ 0 eÞ 1 ¼ 9 ðx 2Þ 2 fÞ x 2 þ 9 x ¼ 19 gÞ 5 x 2 þ 20 x þ 20 ¼ 0 hÞ ðx 1Þ ðx þ 3Þ ¼ 4 4 x 2 þ 8 x 60 ¼ 0 2) Bestimmen Sie den Parameter c so, dass die Gleichung 2 x 2 þ 4 x ¼ c genau eine (doppelte) reelle Lösung besitzt. 3) Welche reellen Lösungen besitzen die folgenden Gleichungen? aÞ 2x3 þ 8x2 ¼ 8x bÞ t 4 13 t 2 þ 36 ¼ 0 cÞ x 3 6 x 2 þ 11 x ¼ 0 dÞ x5 3x3 þ x ¼ 0 eÞ 2 x 4 8 x 2 24 ¼ 0 fÞ ðx 1Þ 2 ðx þ 2Þ ¼ 4 ðx þ 2Þ gÞ 0,5 ð3 x 2 6Þ ðx 2 25Þ ðx þ 3Þ ¼ 0 42 4) I Allgemeine Grundlagen Lösen Sie die folgenden Wurzelgleichungen: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi aÞ 3 þ 2x ¼ 2 bÞ x2 þ 4 ¼ x 2 cÞ 5) qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 1 ¼ x þ1 dÞ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2x2 1 þ x ¼ 0 Welche reellen Lösungen besitzen die folgenden Betragsgleichungen? aÞ j x 2 x j ¼ 24 bÞ jx þ 1j ¼ jx 1 j cÞ j 2 x þ 4 j ¼ ðx 2 x 6Þ dÞ jx2 þ 2x 1j ¼ jx j Zu Abschnitt 4 1) 2) Bestimmen Sie die reellen Lösungsmengen der folgenden Ungleichungen: aÞ 2x 8 > jx j bÞ x2 þ x þ 1 0 cÞ jxj x 2 dÞ jx 4j > x2 eÞ jx2 9j < jx 1 j fÞ jx 1j jx þ 2 j gÞ x2 x þ 4 hÞ x 1 < 1 x þ1 Für welche x 2 R erhält man reelle Wurzelwerte? qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi aÞ 2x bÞ 1 þ x2 dÞ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð1 xÞ ð x þ 2Þ eÞ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x2 1 cÞ fÞ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4 x2 sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4x x þ2 Zu Abschnitt 5 1) Lösen Sie die folgenden linearen Gleichungssysteme unter Verwendung des Gaußschen Algorithmus: 1 0 10 1 0 3 x 3 x1 3 x2 þ 3 x3 ¼ 0 8 7 6 aÞ bÞ C B CB C B 8 x 1 þ 10 x 2 þ 2 x 3 ¼ 6 5A@yA ¼ @3A @ 0 4 9 z 2 x1 þ x2 3 x3 ¼ 5 1 3 2 cÞ u þ 5v þ w ¼ 10 4 u 2 v 3 w ¼ 10 3u þ v w ¼ 4 dÞ 2 x 4,5 y þ z ¼ 14,115 3,2 x 4,8 y 8,1 z ¼ 16,941 5,64 x þ y 1,4 z ¼ 11,2212 bungsaufgaben 2) 43 Zeigen Sie: Das lineare Gleichungssystem 1 0 0 10 1 2 x1 1 1 1 C B B CB C 2 1 A @ x2 A ¼ @ 6 A @1 6 x3 2 4 2 ist unlösbar. 3) Bestimmen Sie sämtliche Lösungen des homogenen linearen Gleichungssystems x þ y z ¼ 0 x þ 2y þ 3z ¼ 0 3y þ 2z ¼ 0 4) Lösen Sie das folgende lineare Gleichungssystem: 2 x1 þ x2 þ 4 x3 þ 3 x4 ¼ 0 x1 þ 2 x2 þ x3 3 x1 þ 4 x2 x3 2 x4 ¼ 0 4 x1 þ 3 x2 þ 2 x3 þ 5) x4 ¼ 4 x4 ¼ 0 Zeigen Sie: Das homogene lineare Gleichungssystem 2 x1 þ 5 x2 3 x3 ¼ 0 4 x1 4 x2 þ 4 x1 2 x2 x3 ¼ 0 ¼ 0 besitzt unendlich viele Lösungen. 6) Lösen Sie die folgenden nicht-quadratischen linearen Gleichungssysteme: aÞ x1 2 x2 þ 3 x3 2 x4 ¼ 2 x1 þ 3 x2 x3 4 x4 ¼ 15 2 6 x 1 þ 16 x 2 10 x 3 12 x 4 ¼ 22 bÞ x y z ¼ 6 4x þ 5y þ 3z ¼ 2 x 10 y þ 29 z ¼ 35 3 x 2 y þ 3 z ¼ 20 44 I Allgemeine Grundlagen Zu Abschnitt 6 1) Berechnen Sie die folgenden Binomialkoeffizienten: 13 10 13 aÞ bÞ cÞ 4 5 11 2) Welchen Wert besitzt der Binomialkoeffizient 3) Berechnen Sie die folgenden Potenzen unter Verwendung des Binomischen Lehrsatzes: aÞ 4) bÞ 99 5 k þ1 ? cÞ 996 3 Entwickeln Sie die folgenden Binome: aÞ 5) 102 4 nþk ðx þ 4Þ 5 bÞ ð1 5 yÞ 4 cÞ ða 2 2 bÞ 3 Berechnen Sie den Wert der folgenden Potenzen mit Hilfe des Binomischen Lehrsatzes auf vier Dezimalstellen nach dem Komma genau: aÞ 1,03 12 bÞ 0,99 20 cÞ 2,01 8 6) Wie lauten die ersten fünf Glieder der binomischen Entwicklung von ð2 þ 3 xÞ 10 ? 7) Bestimmen Sie den jeweiligen Koeffizienten der Potenz x 5 in der binomischen Entwicklung von: aÞ ð1 4 xÞ 8 bÞ ðx þ 0,5 aÞ 12 45 II Vektoralgebra 1 Grundbegriffe 1.1 Definition eines Vektors Unter den in Naturwissenschaft und Technik auftretenden Größen kommt den Skalaren und Vektoren eine besondere Bedeutung zu. Während man unter einem Skalar eine Größe versteht, die sich eindeutig durch die Angabe einer Maßzahl und einer Maßeinheit beschreiben lässt, benötigt man bei einer vektoriellen Größe zusätzlich noch Angaben über die Richtung, in der sie wirkt. Definition: Unter Vektoren verstehen wir Größen, die durch Angabe von Maßzahl und Richtung vollständig beschrieben sind. Zu ihrer Kennzeichnung verwenden wir Buchstabensymbole, die mit einem Pfeil versehen werden wie zum Beispiel: a Bild II-1 ~, M ~, E ~ ~ a, b~, ~ c, ~ r, ~ e, F Ein Vektor ~ a ist in symbolischer Form durch einen Pfeil darstellbar (Bild II-1). Die Maßzahl der Länge des Pfeils, der die Vektorgröße repräsentiert, heißt Betrag des Vektors und wird durch das Symbol j ~ aj oder a gekennzeichnet. Die Pfeilspitze legt die Richtung (Orientierung) des Vektors fest. Durch Betrag und Richtung ist der Vektor eindeutig bestimmt. Anmerkungen (1) Bei einer physikalisch-technischen Vektorgröße gehört zur vollständigen Beschreibung noch die Angabe der Maßeinheit. Daher verstehen wir unter dem Betrag eines physikalischen Vektors die Angabe von Maßzahl und Einheit. ~1 : j F ~1 j ¼ F1 ¼ 100 N Beispiel: Betrag einer Kraft F (2) Der Betrag eines Vektors ~ a ist stets größer oder gleich Null: j ~ aj ¼ a 0 (3) Ein Vektor lässt sich auch eindeutig durch die Angabe von Anfangspunkt P und ! Endpunkt Q festlegen (Bild II-2). Als Vektorsymbol verwendet man dann PQ . Q PQ P Bild II-2 46 & II Vektoralgebra Beispiele Skalare: Masse m, Temperatur T, Zeit t, Arbeit W, Widerstand R, Spannung U, Massenträgheitsmoment J ~, Impuls Vektoren: Strecke (Weg) ~ s, Geschwindigkeit ~ v, Beschleunigung ~ a, Kraft F ~ ~ ~ p, Drehmoment M , Elektrische Feldstärke E , Magnetische Flussdichte ~ & (magnetische Induktion) B In den Anwendungen wird noch zwischen freien, linienflüchtigen und gebundenen Vektoren unterschieden: 1. Freie Vektoren dürfen beliebig parallel zu sich selbst verschoben werden. 2. Linienflüchtige Vektoren sind längs ihrer Wirkungslinie beliebig verschiebbar (z. B. Kräfte, die an einem starren Körper angreifen). 3. Gebundene Vektoren werden von einem festen Punkt aus abgetragen. Beispiele hierfür sind der Ortsvektor ~ r eines ebenen oder räumlichen Punktes, der vom Koordinaten~, der jedem ursprung aus abgetragen wird, und der elektrische Feldstärkevektor E Punkt eines elektrischen Feldes zugeordnet wird. Spezielle Vektoren Nullvektor ~ 0: Jeder Vektor vom Betrag Null, j ~ 0 j ¼ 0, heißt Nullvektor (für ihn lässt sich keine Richtung angeben, da Anfangs- und Endpunkt zusammenfallen). Einheitsvektor ~ e: Jeder Vektor vom Betrag Eins, j~ e j ¼ 1, wird als Einheitsvektor oder Einsvektor bezeichnet. ! Ortsvektor ~ r ðPÞ ¼ OP : Er führt vom Koordinatenursprung O zum Punkt P . 1.2 Gleichheit von Vektoren Definition: Zwei Vektoren ~ a und b~ werden als gleich betrachtet, ~ a ¼ b~, wenn sie in Betrag und Richtung übereinstimmen (Bild II-3). a b Bild II-3 Zum Begriff der Gleichheit zweier Vektoren Vektoren sind demnach gleich, wenn sie durch Parallelverschiebung ineinander überführbar sind. Diese Art von Vektoren bezeichnet man als freie Vektoren. Im weiteren Verlauf der Vektorrechnung wollen wir uns ausschließlich mit den Eigenschaften und den Rechenoperationen dieser Vektorklasse auseinandersetzen. 1 Grundbegriffe & 47 Beispiel Jeder der in Bild II-4 skizzierten Vektoren ~ a 1, ~ a 2, ~ a 3 und ~ a 4 lässt sich durch Parallelverschiebung in den Vektor ~ a überführen. Sie werden daher verabredungsgemäß als gleich angesehen: ~ a1 ¼ ~ a2 ¼ ~ a3 ¼ ~ a4 ¼ ~ a. a a1 a2 a4 a3 Bild II-4 & 1.3 Parallele, anti-parallele und kollineare Vektoren Definitionen: (1) Zwei Vektoren ~ a und b~ mit gleicher Richtung (Orientierung) heißen zueinander parallel (Bild II-5). Sie werden durch das Symbol ~ a " " b~ gekennzeichnet. (2) Besitzen zwei Vektoren ~ a und b~ entgegengesetzte Richtung (Orientierung), so werden sie als zueinander anti-parallel bezeichnet (Bild II-6). Symbolische Schreibweise: ~ a " # b~ Anmerkung Parallele Vektoren werden auch als gleichsinnig parallel, anti-parallele Vektoren auch als gegensinnig parallel bezeichnet. b a a Bild II-5 Parallele Vektoren b Bild II-6 Anti-parallele Vektoren 48 II Vektoralgebra Vektoren, die zueinander parallel oder anti-parallel orientiert sind, lassen sich stets durch Parallelverschiebung in eine gemeinsame Linie (Wirkungslinie) bringen und heißen daher auch kollinear. Inverser Vektor oder Gegenvektor Wir betrachten nun einen beliebigen Vektor ~ a . Den zu ~ a anti-parallelen Vektor gleicher Länge bezeichnen wir als inversen Vektor (auch Gegenvektor genannt) und kennzeichnen ihn durch das Symbol ~ a (Bild II-7). Der inverse Vektor ~ a entsteht also aus ~ a durch Richtungsumkehr. a Bild II-7 Vektor und Gegenvektor (inverser Vektor) –a Inverser Vektor oder Gegenvektor (Bild II-7) Der zu einem Vektor ~ a gehörende inverse Vektor oder Gegenvektor ~ a besitzt den gleichen Betrag wie der Vektor ~ a, jedoch die entgegengesetzte Richtung. & Beispiel ~ belasEine elastische Schraubenfeder wird durch ein Gewicht G tet und gedehnt (Bild II-8). Im Gleichgewichtszustand wird die ~ durch die Rückstellkraft F ~ der Feder kompenGewichtskraft G ~ ~ siert. Der Vektor F ist der zu G inverse Vektor, d. h. es gilt ~ ~ ¼ G F F (sog. Kräftegleichgewicht). G Bild II-8 Kräftegleichgewicht bei einer belasteten elastischen Schraubenfeder & 1.4 Vektoroperationen Wir beschäftigen uns in diesem Abschnitt mit den elementaren Vektoroperationen. Dazu zählen wir: Addition von Vektoren Subtraktion von Vektoren Multiplikation eines Vektors mit einer reellen Zahl (einem Skalar) 1 Grundbegriffe 49 1.4.1 Addition von Vektoren Aus der Mechanik ist bekannt, dass man zwei am gleichen Massenpunkt angreifende ~1 und F ~2 zu einer resultierenden Kraft F ~R zusammenfassen kann, die die gleiKräfte F che physikalische Wirkung erzielt wie die beiden Einzelkräfte zusammen. Die Resultierende erhält man dabei durch eine geometrische Konstruktion, die unter der Bezeichnung Parallelogrammregel (Kräfteparallelogramm) bekannt ist und in Bild II-9 näher erläutert wird. Diese Regel stellt eine Anwendung einer allgemeinen Vorschrift dar, die aus zwei Vektoren ~ a und b~ einen neuen Vektor erzeugt, der als Summenvektor ~ s ¼ ~ a þ b~ bezeichnet wird. F2 FR Bild II-9 ~R ist die Resultierende Kräfteparallelogramm: F ~ ~ aus F 1 und F 2 F1 Wir definieren die Addition zweier Vektoren wie folgt: Definition: Zwei Vektoren ~ a und b~ werden nach der folgenden Vorschrift geometrisch addiert (Bild II-10): 1. Der Vektor b~ wird parallel zu sich selbst verschoben, bis sein Anfangspunkt in den Endpunkt des Vektors ~ a fällt. 2. Der vom Anfangspunkt des Vektors ~ a zum Endpunkt des verschobenen Vektors b~ gerichtete Vektor ist der Summenvektor ~ s ¼~ a þ b~. b b a a s= a+ b b a Bild II-10 Zur Addition zweier Vektoren Der Summenvektor ~ s ¼ ~ a þ b~ lässt sich auch als gerichtete Diagonale in dem aus den ~ Vektoren ~ a und b konstruierten Parallelogramm nach Bild II-11 gewinnen. 50 II Vektoralgebra b s= a+ b Bild II-11 Summenvektor ~ s ¼~ a þ b~ als gerichtete Diagonale im Parallelogramm a Die Addition von Vektoren unterliegt dabei den folgenden Rechenregeln: ~ a þ b~ ¼ b~ þ ~ a ðII-1Þ ~ a þ ðb~ þ ~ c Þ ¼ ð~ a þ b~Þ þ ~ c ðII-2Þ Kommutativgesetz Assoziativgesetz Die Summe aus mehr als zwei Vektoren wird gebildet, indem man in der bekannten Weise Vektor an Vektor setzt. Dies lässt sich durch Parallelverschiebung stets erreichen. Das Ergebnis dieser Konstruktion ist ein sog. Vektorpolygon (Bild II-12). Der Summenvektor (in den Anwendungen meist „Resultierende“ genannt) ist derjenige Vektor, der vom Anfangspunkt des ersten Vektors zum Endpunkt des letzten Vektors führt. letzter Vektor 3. Vektor Bild II-12 Zur Konstruktion eines Summenvektors (Vektorpolygon) Summenvektor 2. Vektor 1. Vektor ~2 und F ~3 zu einem resultierenden ~1 , F In Bild II-13 wird die Addition dreier Kräfte F ~R Schritt für Schritt vollzogen. Kraftvektor F F3 F3 FR F3 F2 F1 F1 F2 F1 F2 Bild II-13 Vektorielle Addition dreier Kräfte Ist das Vektorpolygon in sich geschlossen, so ist der Summenvektor der Nullvektor. In der physikalischen Realität bedeutet dies stets, dass sich die Vektoren in ihrer Wirkung gegenseitig aufheben. 1 Grundbegriffe 51 1.4.2 Subtraktion von Vektoren Die Subtraktion zweier Vektoren lässt sich wie bei den reellen Zahlen als Umkehrung der Addition auffassen und damit auf die Addition zweier Vektoren zurückführen: Definition: Unter dem Differenzvektor d~ ¼ ~ a b~ zweier Vektoren ~ a und b~ verstehen wir den Summenvektor aus ~ a und b~, wobei b~ der zu b~ inverse Vektor ist: d~ ¼ ~ a b~ ¼ ~ a þ ð b~Þ ðII-3Þ Anmerkung Der Differenzvektor d~ ¼ ~ a b~ ist also die Summe aus dem Vektor ~ a und dem Gegenvektor von b~. Die Konstruktion des Differenzvektors erfolgt daher nach der folgenden Vorschrift: Konstruktion des Differenzvektors d~ ¼ ~ a b~ (Bild II-14) 1. Der Vektor b~ wird zunächst in seiner Richtung umgekehrt: Dies führt zu dem inversen Vektor b~. 2. Dann wird der Vektor b~ parallel zu sich selbst verschoben, bis sein Anfangspunkt in den Endpunkt des Vektors ~ a fällt. 3. Der vom Anfangspunkt des Vektors ~ a zum Endpunkt des Vektors b~ gerichtete Vektor ist der gesuchte Differenzvektor d~ ¼ ~ a b~. b b a a a –b d= a– b –b Bild II-14 Zur Subtraktion zweier Vektoren Der Differenzvektor d~ ¼ ~ a b~ lässt sich auch mit Hilfe der Parallelogrammregel konstruieren. In Bild II-15 wird diese geometrische Konstruktion näher erläutert. b d= a– b a Bild II-15 Differenzvektor d~ ¼ ~ a b~ als gerichtete Diagonale im Parallelogramm 52 II Vektoralgebra Parallelogrammregel für die Addition und Subtraktion zweier Vektoren Summenvektor ~ s ¼~ a þ b~ und Differenzvektor d~ ¼ ~ a b~ lassen sich geometrisch als gerichtete Diagonalen eines Parallelogramms konstruieren, das von den beiden Vektoren ~ a und b~ aufgespannt wird. Die Konstruktion des Summenbzw. Differenzvektors wird in Bild II-16 näher erläutert. b s ~ s ¼~ a þ b~ d~ ¼ ~ a b~ d a Bild II-16 Zur Parallelogrammregel 1.4.3 Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar Definition: Durch Multiplikation eines Vektors ~ a mit einer reellen Zahl (einem Skalar) l entsteht ein neuer Vektor b~ ¼ l ~ a mit den folgenden Eigenschaften (Bild II-17): 1. Der Betrag von b~ ist das j l j-fache des Betrages von ~ a: j b~j ¼ j l ~ a j ¼ j l j j~ aj ðII-4Þ 2. Der Vektor b~ ist parallel oder anti-parallel zu ~ a orientiert: l > 0: b~ " " ~ a ðBild II-17aÞ l < 0: b~ " # ~ a ðBild II-17bÞ Für l ¼ 0 erhält man den Nullvektor ~ 0. la a a la a) l > 0 b) l < 0 Bild II-17 Zur Multiplikation eines Vektors ~ a mit einem Skalar l 1 Grundbegriffe 53 Anmerkungen (1) (2) (3) Die Vektoren l ~ a und ~ a sind kollinear. Die Multiplikation eines Vektors mit einer negativen Zahl bewirkt stets eine Richtungsumkehr des Vektors (vgl. hierzu Bild II-17b). Die Division eines Vektors ~ a durch einen Skalar m 6¼ 0 entspricht einer Multiplikation von ~ a mit dem Kehrwert l ¼ 1=m . Rechenregeln ðl 2 R; m 2 RÞ & l ð~ a þ b~Þ ¼ l ~ a þ l b~ ðII-5Þ ðl þ mÞ ~ a ¼ l~ a þ m~ a ðII-6Þ ðl mÞ ~ a ¼ l ðm ~ aÞ ¼ m ðl ~ aÞ ðII-7Þ j l~ a j ¼ j l j j~ aj ðII-8Þ Beispiele (1) Wir multiplizieren den Vektor ~ a der Reihe nach mit den Skalaren 2, 1,5 und 4 (Bild II-18): 2~ a: 2~ a "" ~ a, 1,5 ~ a: 1,5 ~ a "# ~ a, 4~ a: 4~ a "" ~ a, j 2~ aj ¼ 2 j~ aj ¼ 2a j 1,5 ~ a j ¼ 1,5 j ~ a j ¼ 1,5 a j 4~ aj ¼ 4 j~ aj ¼ 4a a 2a 4a –1,5 a Bild II-18 Zur Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar (2) Beispiele aus Physik und Technik: (a) Kraft, Masse und Beschleunigung sind durch die Newtonsche Bewegungsglei~ ¼ m~ chung F a miteinander verknüpft: ~ "" ~ F a ðwegen m > 0Þ, (b) ~j ¼ m j ~ jF a j , d: h: F ¼ ma Impuls: ~ p ¼ m~ v (Impuls = Masse mal Geschwindigkeit) ~ p "" ~ v ðwegen m > 0Þ, j~ p j ¼ m j~ vj, d: h: p ¼ mv 54 II Vektoralgebra (c) Ein geladenes Teilchen (Ladung q ) erfährt in einem elektrischen Feld der Feld~ eine Kraft F ~ ¼ qE ~ in Richtung des Feldes (bei positiver Ladung) stärke E oder in die dem Feld entgegengesetzte Richtung (bei negativer Ladung): q > 0: ~ "" E ~, F ~j ¼ q j E ~j , d: h: jF q < 0: ~ "# E ~, F ~j ¼ j q j j E ~j , d: h: jF F ¼ qE F ¼ qE & 2 Vektorrechnung in der Ebene Besonders anschaulich und übersichtlich ist die Vektorrechnung in der Ebene. Wir beschränken uns daher zunächst aus rein didaktischen Gründen auf die Darstellung der Vektoren und ihrer Rechenoperationen in der Ebene, wobei ein rechtwinkliges (kartesisches) Koordinatensystem zugrundegelegt wird. 2.1 Komponentendarstellung eines Vektors Das Koordinatensystem legen wir durch zwei aufeinander senkrecht stehende Einheitsvektoren ~ e x und ~ e y fest, die in diesem Zusammenhang auch als Basisvektoren bezeichnet werden (Bild II-19). Sie bestimmen Richtung und Maßstab der Koordinatenachsen. y y P ay ey a ey ex x Bild II-19 Festlegung eines ebenen rechtwinkligen Koordinatensystems durch zwei Einheitsvektoren (Basisvektoren) ex ax x Bild II-20 Zerlegung eines Vektors in Komponenten Wir betrachten nun einen im Nullpunkt „angebundenen“ Vektor ~ a . Die Projektionen dieses Vektors auf die beiden Koordinatenachsen führen zu den mit ~ a x und ~ a y bezeichneten Vektoren (Bild II-20). Der Vektor ~ a ist dann als Summenvektor aus ~ a x und ~ a y darstellbar: ~ ay a ¼ ~ ax þ ~ ðII-9Þ 2 Vektorrechnung in der Ebene 55 Die durch Projektion entstandenen Vektoren ~ a x und ~ a y werden als Vektorkomponenten von ~ a bezeichnet. Sie lassen sich durch die Einheitsvektoren ~ e x und ~ e y wie folgt ausdrücken: ~ ax ¼ ax ~ ex , ~ ay ¼ ay~ ey ðII-10Þ e x sind kollineare Vektoren, ebenso ~ a y und ~ e y ). Für den Vektor ~ a erhält (~ a x und ~ man somit die Darstellung ~ ay ¼ ax ~ a ¼~ ax þ ~ ex þ ay~ ey ðII-11Þ a. Sie werden Die skalaren Größen a x und a y sind die sog. Vektorkoordinaten von ~ auch als skalare Vektorkomponenten bezeichnet und stimmen mit den Koordinaten des Vektorendpunktes P überein, wenn der Vektor (wie hier) vom Nullpunkt aus abgetragen wird ( ~ a ist dann der Ortsvektor von P). Die in Gleichung (II-11) angegebene Zerlegung heißt Komponentendarstellung des Vektors ~ a. Bei fester Basis ~ e x, ~ e y ist der Vektor ~ a in umkehrbar eindeutiger Weise durch die Vektorkoordinaten a x und a y bestimmt. Daher schreibt man verkürzt in symbolischer Form ax ~ ðII-12Þ a ¼ ax~ ex þ ay~ ey ¼ ay ax als Spaltenvektor. Auch die Schreibweise in Form und bezeichnet das Symbol ay eines Zeilenvektors ða x a y Þ ist grundsätzlich möglich. Wir werden jedoch zur Darstellung von Vektoren ausschließlich Spaltenvektoren verwenden, um Verwechslungen mit Punkten zu vermeiden. Außerdem lassen sich die Rechenoperationen mit Spaltenvektoren wesentlich übersichtlicher durchführen. Wir fassen zusammen: Komponentendarstellung eines Vektors (Bild II-20) ax ~ a ¼~ ax þ ~ ay ¼ ax ~ ex þ ay~ ey ¼ ay ðII-13Þ Dabei bedeuten: ) ~ ax ¼ ax ~ ex Vektorkomponenten von ~ a ~ ay ¼ ay~ ey a x, a y : ax : ay Vektorkoordinaten (skalare Vektorkomponenten) von ~ a Spaltenvektor Anmerkung Eine Vektorkoordinate wird dabei positiv gezählt, wenn die Projektion des Vektors ~ a auf die entsprechende Koordinatenachse in die positive Richtung dieser Achse zeigt. 56 II Vektoralgebra Fällt der Projektionsvektor jedoch in die Gegenrichtung, d. h. in die negative Richtung der Koordinatenachse, so ist die entsprechende Vektorkoordinate negativ. Ist der Vektor ~ a durch den Anfangspunkt P 1 ¼ ðx 1 ; y 1 Þ und den Endpunkt P 2 ¼ ðx 2 ; y 2 Þ gegeben, so lautet seine Komponentendarstellung wie folgt (Bild II-21): P2 y a= P P2 1 ay ax ¼ x2 x1 ay ¼ y2 y1 y2 P1 ax y1 Bild II-21 x1 x2 x Komponentendarstellung eines durch zwei Punkte festgelegten Vektors (Bild II-21) ! x2 x1 ~ ðII-14Þ e x þ ðy 2 y 1 Þ ~ ey ¼ a ¼ P 1 P 2 ¼ ðx 2 x 1 Þ ~ y2 y1 Dabei bedeuten: ! P 1 ¼ ðx 1 ; y 1 Þ: Anfangspunkt des Vektors ~ a ¼ P1 P2 ! P 2 ¼ ðx 2 ; y 2 Þ: Endpunkt des Vektors ~ a ¼ P1 P2 Komponentendarstellung spezieller Vektoren ! Der vom Koordinatenursprung zum Punkt P ¼ ðx; yÞ führende Ortsvektor ~ r ðPÞ ¼ O P besitzt nach Bild II-22 die Komponentendarstellung ! x ~ r ðPÞ ¼ O P ¼ x ~ e x þ y~ ey ¼ ðII-15Þ y y r( P) P = (x;y) y ey Bild II-22 Ortsvektor eines Punktes ex x x 2 Vektorrechnung in der Ebene 57 Die Komponentendarstellung der Basisvektoren (Einheitsvektoren) ~ e x und ~ e y lautet: 1 0 ~ ~ , e y ¼ 0~ ðII-16Þ e x þ 0~ ey ¼ e x þ 1~ ey ¼ e x ¼ 1~ 0 1 Der Nullvektor ~ 0 hat die Gestalt 0 ~ 0 ¼ 0~ e x þ 0~ ey ¼ 0 ðII-17Þ Betrag eines Vektors Den Betrag eines Vektors ~ a erhält man unmittelbar aus dem Satz des Pythagoras nach Bild II-23: Betrag eines Vektors (Bild II-23) y a j~ aj ¼ a ¼ |a| qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi a 2x þ a 2y ðII-18Þ ay Bild II-23 ax x Gleichheit von Vektoren Zwei Vektoren ~ a und b~ sind genau dann gleich, wenn sie in ihren entsprechenden Vektorkoordinaten übereinstimmen: ~ a ¼ b~ ax ¼ bx , ay ¼ by ðII-19Þ Beispiele Der Ortsvektor des Punktes P ¼ ð6; 8Þ lautet (Bild II-24): ! 6 ~ ey ¼ r ðPÞ ¼ O P ¼ 6~ e x þ 8~ 8 Sein Betrag ist j~ r ðPÞ j ¼ r ðPÞ ¼ y pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 6 2 þ 8 2 ¼ 10 P = (6;8) P) (1) r( & , 8 Bild II-24 0 6 x 58 II Vektoralgebra (2) ! Der von P 1 ¼ ð2; 4Þ nach P 2 ¼ ð 4; 1Þ gerichtete Vektor ~ a ¼ P 1 P 2 besitzt die folgende Komponentendarstellung (Bild II-25): ax ¼ x2 x1 ¼ 4 2 ¼ 6 ay ¼ y2 y1 ¼ 1 4 ¼ 3 6 ! ~ e x 3~ ey ¼ a ¼ P 1 P 2 ¼ 6~ 3 y P1 P1 P2 P2 4 1 Bild II-25 –4 2 x Sein Betrag ist ! j~ a j ¼ j P1 P2 j ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi ð 6Þ 2 þ ð 3Þ 2 ¼ 45 ¼ 6,71 & 2.2 Darstellung der Vektoroperationen 2.2.1 Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar Die Multiplikation eines Vektors ~ a mit einer reellen Zahl (einem Skalar) l erfolgt komponentenweise, d. h. jede Vektorkoordinate wird mit l multipliziert. Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar Die Multiplikation eines Vektors ~ a mit einem Skalar l erfolgt komponentenweise: l ax ax ¼ ðII-20Þ l~ a ¼ l ay l ay Anmerkung Umgekehrt gilt: Besitzen die skalaren Vektorkomponenten einen gemeinsamen Faktor, so darf dieser vor den Spaltenvektor gezogen werden. 2 Vektorrechnung in der Ebene & Beispiele ey ¼ (1) ~ a ¼ 4~ e x 3~ 59 4 3 Wir multiplizieren diesen Vektor der Reihe nach mit den Skalaren l 1 ¼ 6 und l 2 ¼ 10 und erhalten die folgenden Vektoren: 4 24 6~ a ¼ 6 ¼ ¼ 24~ e x 18~ ey 3 18 4 40 10 ~ a ¼ 10 ¼ ¼ 40~ e x þ 30~ ey 3 30 Dabei gilt: 6~ a "" ~ a (2) 10 ~ a "# ~ a und ~ mit den skalaren VekZulässige Schreibweisen für einen (ebenen) Kraftvektor F torkomponenten (Kraftkomponenten) Fx ¼ 15 N und Fy ¼ 6 N sind (die Maßeinheit wird dabei wie ein Skalar behandelt): ~ ¼ ð15 NÞ ~ ey ¼ F e x þ ð6 NÞ ~ 15 N 6N ¼ 15 6 N & 2.2.2 Addition und Subtraktion von Vektoren Aus Bild II-26 folgt unmittelbar, dass die Addition zweier Vektoren ~ a und b~ komponentenweise geschieht: ~ a þ b~ ¼ ax þ ay bx ¼ by ax þ bx ðII-21Þ ay þ by y a+ b b by ay + by a ax bx ax + bx Bild II-26 Zur komponentenweisen Addition zweier Vektoren ay x 60 II Vektoralgebra Dies gilt auch für die Subtraktion zweier Vektoren: bx ax bx ax bx ax ~ ¼ þ ¼ a b~ ¼ ay by ay by ay by ðII-22Þ Addition und Subtraktion zweier Vektoren (Bild II-26) Zwei Vektoren ~ a und b~ werden komponentenweise addiert bzw. subtrahiert: bx ax bx ax ~ ~ ¼ ðII-23Þ ab ¼ ay by ay by Anmerkung Diese Regel gilt sinngemäß auch für endlich viele Vektoren. & Beispiele 2 ~ 1 3 (1) Mit den Spaltenvektoren ~ a ¼ ,b ¼ und ~ c ¼ soll der 3 5 2 Vektor ~ s ¼~ a þ 2 b~ 5~ c berechnet werden. Welchen Betrag besitzt dieser Vektor? Lösung: 3 2 1 5 ¼ þ2 2 3 5 15 15 2 2 15 2 2 ¼ ¼ þ þ ¼ 3 3 þ 10 10 10 10 3 ~ s ¼ ~ a þ 2 b~ 5~ c ¼ j~ sj ¼ (2) qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffi ð 15Þ 2 þ ð 3Þ 2 ¼ 234 ¼ 15,3 ~1 ¼ 4 N , Die an einem Massenpunkt gleichzeitig angreifenden Kräfte F 5N 2 N 4N ~ ~ und F3 ¼ können durch die folgende resultierende F2 ¼ 3N 1N ~R ersetzt werden: Kraft F ~1 þ F ~2 þ F ~3 ¼ ~R ¼ F F 4N 2 N 4N 4N 2N þ 4N ¼ þ þ ¼ ¼ 5N 3N 1N 5N þ 3N þ 1N ¼ 6N 9N 6 N ¼ 9 2 Vektorrechnung in der Ebene (3) 61 Schiefer Wurf : Ein Körper wird unter dem Winkel a (gemessen gegen die Horizontale) mit einer Geschwindigkeit vom Betrage v 0 abgeworfen (Bild II-27). Wie lautet die Komponentendarstellung des Geschwindigkeitsvektors ~ v 0? Lösung: y ~ v0 ¼ v0x ~ ex þ v0y~ ey ¼ v0 v0x v0y v0 v 0y a Bild II-27 v 0x x Aus dem rechtwinkligen Dreieck in Bild II-27 folgt unmittelbar: v0x v0 v0y sin a ¼ v0 cos a ¼ ) v 0 x ¼ v 0 cos a ) v 0 y ¼ v 0 sin a Damit besitzt der Geschwindigkeitsvektor ~ v 0 die folgende Komponentendarstellung: v0x v 0 cos a cos a ~ ¼ v0 ¼ v0 ¼ & v0y v 0 sin a sin a 2.3 Skalarprodukt zweier Vektoren 2.3.1 Definition und Berechnung eines Skalarproduktes Als weitere Vektoroperation führen wir die skalare Multiplikation zweier Vektoren ein. Sie erzeugt aus den Vektoren ~ a und b~ einen Skalar, also eine reelle Zahl, das sog. Skalarprodukt ~ a b~ (gelesen: a Punkt b). In den Anwendungen treten Skalarprodukte z. B. im Zusammenhang mit den folgenden Größen auf: Arbeit einer Kraft beim Verschieben einer Masse Spannung (Potentialdifferenz) zwischen zwei Punkten eines elektrischen Feldes Winkelberechnung zwischen zwei Kräften oder in ebenen geometrischen Figuren (z. B. in Dreiecken) 62 II Vektoralgebra Das Skalarprodukt wird wie folgt definiert: Definition: Unter dem Skalarprodukt ~ a b~ zweier Vektoren ~ a und b~ wird das Produkt aus den Beträgen der beiden Vektoren und dem Kosinus des von den Vektoren eingeschlossenen Winkels j verstanden (Bild II-28): ~ a b~ ¼ j ~ a j j b~j cos j ¼ a b cos j ðII-24Þ ð0 j 180 Þ b Bild II-28 Zum Begriff des Skalarproduktes zweier Vektoren f a Anmerkungen (1) Das Skalarprodukt ist eine skalare Größe und wird auch als inneres Produkt der Vektoren ~ a und b~ bezeichnet. (2) Man beachte, dass der in der Definitionsformel (II-24) des Skalarproduktes auftretende Winkel j stets der kleinere der beiden Winkel ist, den die Vektoren ~ a und b~ miteinander bilden. Rechenregeln für Skalarprodukte Die Skalarproduktbildung ist sowohl kommutativ als auch distributiv: Kommutativgesetz ~ a b~ ¼ b~ ~ a ðII-25Þ Distributivgesetz ~ a ðb~ þ ~ cÞ ¼ ~ a b~ þ ~ a~ c ðII-26Þ Ferner gilt für einen beliebigen reellen Skalar l: l ð~ a b~Þ ¼ ðl ~ aÞ b~ ¼ ~ a ðl b~Þ ðII-27Þ Orthogonale Vektoren Das Skalarprodukt ~ a b~ zweier vom Nullvektor verschiedener Vektoren kann nur verschwinden, wenn cos j ¼ 0, d. h. j ¼ 90 ist. In diesem Fall stehen die Vektoren aufeinander senkrecht (sog. orthogonale Vektoren, vgl. hierzu Bild II-29). b a·b=0 Bild II-29 Orthogonale Vektoren a 2 Vektorrechnung in der Ebene 63 Orthogonale Vektoren (Bild II-29) Zwei vom Nullvektor verschiedene Vektoren ~ a und b~ stehen genau dann aufeinander senkrecht, sind also orthogonal, wenn ihr Skalarprodukt verschwindet: ~ a b~ ¼ 0 ~ a ? b~ , ðII-28Þ Die Bedingung der Orthogonalität erfüllen beispielsweise die Einheitsvektoren (Basisey: vektoren) ~ e x und ~ ~ ey ¼ ~ ey ~ ex ¼ 0 ex ~ ðII-29Þ Das skalare Produkt eines Vektors ~ a mit sich selbst führt zu ~ a~ a ¼ j~ a j j~ a j cos 0 ¼ j ~ a j j~ a j 1 ¼ j~ a j2 ¼ a2 0 ðII-30Þ Der Betrag eines Vektors ~ a kann daher aus dem Skalarprodukt ~ a~ a berechnet werden: j~ aj ¼ a ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ~ a~ a ðII-31Þ ey: So erhält man beispielsweise für die Einheitsvektoren (Basisvektoren) ~ e x und ~ ~ ex ~ e x ¼ j~ e x j 2 ¼ 1, ~ ey ~ e y ¼ j~ ey j2 ¼ 1 ðII-32Þ Berechnung eines Skalarproduktes aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) Das skalare Produkt zweier Vektoren ~ a ¼ ax~ ex þ ay~ e y und b~ ¼ b x ~ ex þ by~ e y lässt sich auch direkt aus den Vektorkoordinaten (skalaren Vektorkomponenten) der beiden Vektoren wie folgt berechnen (wir verwenden dabei die Rechenregeln (II-26) und (II-27)): ~ ex þ ay~ e y Þ ðb x ~ ex þ by~ e yÞ ¼ a b~ ¼ ða x ~ ex ~ e x Þ þ a x b y ð~ ex ~ e y Þ þ a y b x ð~ ey ~ e x Þ þ a y b y ð~ ey ~ e yÞ ¼ ¼ a x b x ð~ |fflfflffl{zfflfflffl} |fflfflffl{zfflfflffl} |fflfflffl{zfflfflffl} |fflfflffl{zfflfflffl} 1 0 0 1 ¼ ax bx þ ay by ðII-33Þ In der Praxis verwenden wir für die Skalarproduktbildung das folgende Rechenschema: ~ a b~ ¼ ax ay bx by ¼ ax bx þ ay by ðII-34Þ 64 II Vektoralgebra Wir fassen diese Ergebnisse wie folgt zusammen: Berechnung eines Skalarproduktes aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) der beteiligten Vektoren Das Skalarprodukt ~ a b~ zweier Vektoren ~ a und b~ lässt sich aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) der beiden Vektoren wie folgt berechnen: bx ax ~ ¼ ax bx þ ay by ðII-35Þ a b~ ¼ ay by Regel: Komponentenweise Multiplikation, anschließende Addition der Produkte. Die Berechnung eines Skalarproduktes kann somit grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten erfolgen: Entweder nach der Definitionsformel (II-24), wenn die Beträge der beiden Vektoren sowie der von ihnen eingeschlossene Winkel bekannt sind oder über die skalaren Vektorkomponenten nach Formel (II-35): ~ a b~ ¼ j ~ a j j b~j cos j ¼ a x b x þ a y b y & ðII-36Þ Beispiele (1) (2) 1 3 ~ : und b ¼ Wir berechnen das Skalarprodukt der Vektoren ~ a ¼ 5 2 3 1 ~ a b~ ¼ ¼ 3 ð 1Þ þ 2 5 ¼ 3 þ 10 ¼ 7 2 5 1 1 ~ sind orthogonal, d. h. sie stehen aufund b ¼ Die Vektoren ~ a ¼ 1 1 einander senkrecht, da ihr skalares Produkt verschwindet: ~ a b~ ¼ 1 1 ¼ 1 ð 1Þ þ 1 1 ¼ 1 þ 1 ¼ 0 1 1 & 2.3.2 Winkel zwischen zwei Vektoren Bei der Berechnung des von zwei Vektoren ~ a und b~ eingeschlossenen Winkels j wird von der Gleichung (II-36) Gebrauch gemacht, die zunächst nach cos j aufgelöst wird: cos j ¼ ~ ax bx þ ay by a b~ ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ~ 2 j~ aj jb j a x þ a 2y b 2x þ b 2y ðII-37Þ 2 Vektorrechnung in der Ebene 65 Durch Umkehrung 1) folgt schließlich: Winkel zwischen zwei Vektoren (Bild II-28) Der von den Vektoren ~ a und b~ eingeschlossene Winkel j lässt sich wie folgt berechnen: ! ~ a b~ j ¼ arccos ð~ a 6¼ ~ 0, b~ 6¼ 0Þ ðII-38Þ j~ a j j b~ j Anmerkung Aus dem Vorzeichen des Skalarproduktes ~ a b~ lassen sich bereits Rückschlüsse auf den Winkel j zwischen den Vektoren ~ a und b~ ziehen (Bild II-30): ~ a b~ > 0 ~ a b~ ¼ 0 ~ a b~ < 0 ) j < 90 ) j ¼ 90 j > 90 ) b (spitzer Winkel; Bild II-30a)) (rechter Winkel; Bild II-30b)) (stumpfer Winkel; Bild II-30c)) b b f = 90° f < 90° f f > 90° f f a a) ~ a b~ > 0 a b) ~ a b~ ¼ 0 a c) ~ a b~ < 0 Bild II-30 Winkel zwischen zwei vom Nullvektor verschiedenen Vektoren & Beispiele (1) Welche Winkel bildet der Vektor ~ a ¼ (Bild II-31)? 2 mit den beiden Koordinatenachsen 1 y 2 ey a 1 b a Bild II-31 ex 1) x Die Auflösung der Gleichung (II-37) nach dem unbekannten Winkel j führt auf die Umkehrfunktion der Kosinusfunktion, die als Arkuskosinusfunktion bezeichnet und im nächsten Kapitel (Kap. III, Abschnitt 10.3) noch ausführlich behandelt wird. 66 II Vektoralgebra Lösung: Die gesuchten Winkel a und b sind nach Bild II-31 genau die Winkel, die der Vektor ~ a mit den beiden Einheitsvektoren ~ e x und ~ e y einschließt. Sie lassen sich daher über die Skalarprodukte des Vektors ~ a mit diesen Einheitsvektoren bestimmen. Es gilt nämlich: ~ a~ ex ¼ j~ a j j~ e x j cos a ) cos a ¼ ~ a~ ex ~ j a j j~ ex j ~ a j j~ e y j cos b a~ ey ¼ j~ ) cos b ¼ ~ a~ ey j~ a j j~ ey j Wir berechnen zunächst die in diesen Bestimmungsgleichungen für a und b auftretenden Skalarprodukte und Beträge: 1 2 ~ ¼ 2, a~ ex ¼ 0 1 j~ aj ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 22 þ 12 ¼ 5 , 0 2 ~ a~ ey ¼ ¼ 1 1 1 ey j ¼ 1 j~ e x j ¼ j~ Damit erhalten wir: ~ 2 a~ ex cos a ¼ ¼ pffiffiffiffiffi j~ a j j~ ex j 5 ) ~ 1 a~ ey ¼ pffiffiffiffiffi j~ a j j~ ey j 5 ) cos b ¼ 2 p ffiffiffiffi ffi ¼ 26,6 a ¼ arcccos 5 1 p ffiffiffiffi ffi ¼ 63,4 b ¼ arcccos 5 Kontrolle: Es ist (wie erwartet) a þ b ¼ 90 . (2) Wir interessieren uns für den Winkel j zwischen den Vektoren ~ a ¼ 3 (siehe Bild II-32). b~ ¼ 2 y a 3 b 2 ≈ 110° Bild II-32 –3 4 x 4 und 3 2 Vektorrechnung in der Ebene 67 Mit qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi 4 2 þ 3 2 ¼ 25 ¼ 5 , j b~j ¼ ð 3Þ 2 þ 2 2 ¼ 13 4 3 ~ a b~ ¼ ¼ 12 þ 6 ¼ 6 3 2 j~ aj ¼ erhalten wir nach Formel (II-38) den folgenden Wert: ! ~ 6 a b~ p ffiffiffiffiffiffi ffi ¼ ¼ arccos j ¼ arccos 5 13 j~ a j j b~ j ¼ arccos ð 0,3328Þ ¼ 109,4 & 2.4 Linear unabhängige Vektoren Aus Abschnitt 2.1 ist bekannt: Jeder Vektor ~ a ist in eindeutiger Weise als Linearkombination der Einheitsvektoren ~ e x, ~ e y darstellbar: ~ ex þ ay~ ey a ¼ ax~ ðII-39Þ e y bilden dabei eine sog. Basis (sog. Komponentendarstellung). Die Vektoren ~ e x und ~ der Ebene, erzeugen also einen 2-dimensionalen Raum und werden daher folgerichtig als Basisvektoren bezeichnet. Grundsätzlich können als Basis zwei beliebige (vom Nullvektor verschiedene) Vektoren ~ e 1, ~ e 2 gewählt werden, sofern sie (wie ~ e x und ~ e y) nicht kollinear sind, also einen von 0 und 180 verschiedenen Winkel miteinander einschließen (Bild II-33). f a) f = 0° b) f = 180° Bild II-33 a) und b) Kollineare Vektoren c) 0° < f < 180° c) Nicht-kollineare Vektoren Jeder Vektor ~ a lässt sich dann in eindeutiger Weise als Linearkombination dieser Basisvektoren darstellen: ~ e2 a ¼ l~ e 1 þ m~ ðII-40Þ Die reellen Zahlen l und m sind dabei die Vektorkoordinaten von ~ a, bezogen auf die e 2 (Bild II-34). Basis ~ e 1, ~ 68 II Vektoralgebra a = le 1 + me 2 me 2 e2 Bild II-34 Darstellung eines Vektors ~ a in der Basis ~ e 1, ~ e2 le1 e1 Basisvektoren sind dabei stets linear unabhängig, d. h. die mit ihnen gebildete lineare Vektorgleichung l1~ 0 e1 þ l2~ e2 ¼ ~ ðII-41Þ kann nur für l 1 ¼ l 2 ¼ 0 erfüllt werden 2). & Beispiel 1 1 und ~ e2 ¼ sind wie man aus Bild II-35 unex ¼ Die Vektoren ~ e1 ¼ ~ 0 1 mittelbar entnehmen kann nicht-kollinear und somit linear unabhängig. y e2 1 Bild II-35 Linear unabhängige Vektoren ~ e 1, ~ e2 e1 –1 1 x Wir wollen diese Aussage auf rechnerischem Wege bestätigen. Aus der Vektorgleichung 0 1 1 l1~ þ l2 ¼ 0 oder l1 e1 þ l2~ e2 ¼ ~ 0 0 1 erhalten wir das homogene lineare Gleichungssystem 1 l1 1 l2 ¼ 0 0 l1 þ 1 l2 ¼ 0 oder l1 l2 ¼ 0 l2 ¼ 0 e 1 und ~ e 2 sind somit linear mit der trivialen Lösung l 1 ¼ l 2 ¼ 0. Die Vektoren ~ & unabhängig. 2) Die Komponentenschreibweise der Vektorgleichung (II-41) führt zu einem homogenen linearen Gleichungssystem, das nur trivial lösbar ist ðl 1 ¼ l 2 ¼ 0Þ. 2 Vektorrechnung in der Ebene 69 Der Begriff der „Linearen Unabhängigkeit von Vektoren“ lässt sich auch auf Systeme von k Vektoren ausdehnen. Definition: Die k Vektoren ~ a 1, ~ a 2, . . . , ~ a k der Ebene heißen linear unabhängig, wenn die lineare Vektorgleichung l1 ~ 0 a1 þ l2 ~ a2 þ . . . þ lk ~ ak ¼ ~ ðII-42Þ nur für l 1 ¼ l 2 ¼ . . . ¼ l k ¼ 0 erfüllt werden kann. Verschwinden jedoch nicht alle Koeffizienten in dieser Gleichung, so heißen die k Vektoren linear abhängig. Anmerkungen (1) Es lässt sich zeigen, dass es in der Ebene maximal zwei linear unabhängige Vektoren gibt (daher stammt auch die Bezeichnung „2-dimensionaler“ Raum für die Ebene), mehr als zwei Vektoren sind immer linear abhängig. (2) Die Vektoren k sind linear abhängig, wenn sie den Nullvektor oder kollineare Vektoren enthalten oder wenn mindestens einer der Vektoren als Linearkombination der übrigen darstellbar ist. 2.5 Ein Anwendungsbeispiel: Resultierende eines ebenen Kräftesystems Wir behandeln ein Problem, das in der Technischen Mechanik von großer Bedeutung ist: Die vektorielle Addition von mehreren an einem gemeinsamen Massenpunkt angreifenden (ebenen) Kräften zu einer resultierenden Kraft. Graphische Lösung durch ein Krafteck ~1 , Es wird ein Kräfteplan erstellt: Er enthält die n angreifenden Kraftvektoren F ~2 , . . . , F ~n in einem geeigneten Kräftemaßstab 3). Von F ~1 ausgehend wird zunächst F ~2 parallel zu sich verschoben, bis sein Anfangspunkt in den Endpunkt der Kraftvektor F ~3 parallel zu sich selbst und bringen sei~1 fällt. Anschließend verschieben wir F von F ~2 zur Deckung. Auf diese Weise wird nen Anfangspunkt mit dem Endpunkt von F Kraftvektor an Kraftvektor gereiht und man erhält ein sog. Krafteck (auch Kraftpolygon ~R ist der vom Anfangspunkt des Vektors F ~1 zum genannt). Die resultierende Kraft F ~ Endpunkt des Vektors Fn gerichtete Vektor (Bild II-36). 3) Der Kräftemaßstab regelt die Umrechnung von der Längen- in die Krafteinheit, z. B. 1 cm ¼ b 100 N. 70 II Vektoralgebra F n–1 Fn FR F5 F4 Bild II-36 Krafteck (Kräftepolygon) F3 F1 F2 Rechnerische Lösung ~R ist die Vektorsumme aus den n Einzelkräften: Die resultierende Kraft F ~R ¼ F ~1 þ F ~2 þ . . . þ F ~n F & ðII-43Þ Beispiel Wir bestimmen graphisch und rechnerisch die Resultierende des in Bild II-37 skizzierten Kräftesystems: y F 2 = 300 N F 1 = 500 N 45° 30° Bild II-37 15° 20° x F 4 = 200 N F 3 = 250 N a) Graphische Lösung (Bild II-38) F2 F3 F4 Abgelesene Werte: FR FR 370 N a 61 F1 a Bild II-38 x 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 71 b) Rechnerische Lösung Wir berechnen zunächst anhand des Bildes II-37 die x- und y-Komponenten der vier ~R : Einzelkräfte und daraus dann die Resultierende F ~1 : F F1 x ¼ F1 cos 30 ¼ 500 N cos 30 ¼ F1 y ¼ F1 sin 30 ¼ 500 N sin 30 ¼ ~2 : F F2 x ¼ F2 cos 135 ¼ 300 N cos 135 ¼ 212,1 N F2 y ¼ F2 sin 135 ¼ 300 N sin 135 ¼ 212,1 N ~3 : F F3 x ¼ F3 cos 200 ¼ 250 N cos 200 ¼ 234,9 N F3 y ¼ F3 sin 200 ¼ 250 N sin 200 ¼ 85,5 N ~4 : F F4 x ¼ F4 cos 345 ¼ 200 N cos 345 ¼ 193,2 N F4 y ¼ F4 sin 345 ¼ 200 N sin 345 ¼ 51,8 N 433 N 250 N ~R : Resultierende Kraft F ~1 þ F ~2 þ F ~3 þ F ~4 ¼ ~R ¼ F F 179,2 N 193,2 N 234,9 N 212,1 N 433 N ¼ þ þ þ ¼ 324,8 N 51,8 N 85,5 N 212,1 N 250 N Wir können die resultierende Kraft aber auch durch ihren Betrag und den in Bild II-38 eingezeichneten Winkel a eindeutig festlegen: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ~R j ¼ jF ð179,2 NÞ 2 þ ð324,8 NÞ 2 ¼ 137 607,7 N ¼ 371,0 N 179,2 N 1 ~R ~ 324,8 N 0 ex 179,2 N F ¼ 0,4830 ) cos a ¼ ¼ ¼ ~ 371,0 N 371,0 N 1 j FR j j~ ex j a ¼ arccos 0,4830 ¼ 61,1 & 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum Nachdem wir uns in Abschnitt 2 eingehend mit den Vektoren der Ebene und ihren Eigenschaften beschäftigt haben, gehen wir jetzt zur Darstellung von Vektoren im 3-dimensionalen Anschauungsraum (im Folgenden kurz als Raum bezeichnet) über. Hier liegen die Verhältnisse ganz ähnlich. Zur Festlegung eines Vektors benötigt man jedoch eine weitere Komponente. Die Rechenoperationen unterliegen dabei den bereits aus der Ebene bekannten Regeln: Die Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar sowie die Addition und Subtraktion von Vektoren erfolgen jeweils komponentenweise. Die Definition des Skalarproduktes zweier Vektoren und die sich daraus ergebenden Eigenschaften behalten auch im Raum ihre Gültigkeit. Als neue Begriffe werden wir schließlich das aus zwei Vektoren gebildete Vektorprodukt sowie das aus drei Vektoren gebildete gemischte oder Spatprodukt einführen. 72 II Vektoralgebra 3.1 Komponentendarstellung eines Vektors Wir legen der Betrachtung ein rechtshändiges kartesisches Koordinatensystem mit einer x, y - und z-Achse zugrunde. Es wird durch drei paarweise aufeinander senkrecht stehende Einheitsvektoren ~ e x, ~ e y und ~ e z festgelegt (Bild II-39) 4). Richtung und Maßstab der Koordinatenachsen sind dadurch eindeutig bestimmt. Daher bezeichnet man die Einheitsvektoren in diesem Zusammenhang auch als Basisvektoren. z az z az P ez a ex ey ax y ay ay y ax x x Bild II-39 Basisvektoren eines räumlichen rechtwinkligen Koordinatensystems Bild II-40 Zerlegung eines Vektors in drei Komponenten Ein im Nullpunkt „angebundener Vektor ~ a ist dann in der Form ~ ay þ ~ az a ¼ ~ ax þ ~ ðII-44Þ a y, ~ a z sind darstellbar. Die als Vektorkomponenten von ~ a bezeichneten Vektoren ~ a x, ~ die Projektionen des Vektors ~ a auf die einzelnen Koordinatenachsen (Bild II-40). Sie liegen in Richtung oder in Gegenrichtung des jeweiligen Einheitsvektors. Daher gilt: ~ ex , ax ¼ ax ~ ~ ay ¼ ay~ ey , ~ az ¼ az~ ez ðII-45Þ Für den Vektor ~ a erhält man somit die Komponentendarstellung ~ ay þ ~ az ¼ ax ~ ex þ ay~ ey þ az~ ez a ¼ ~ ax þ ~ ðII-46Þ Die skalaren Größen a x , a y , a z werden als Vektorkoordinaten oder skalare Vektorkomponenten von ~ a bezeichnet. Wird der Vektor ~ a vom Koordinatenursprung aus abgetragen, so stimmen die Vektorkomponenten von ~ a mit den Koordinaten des Vektorendpunktes P überein (~ a ist der Ortsvektor von P). Bei fester Basis ~ e x, ~ e y, ~ e z ist der Vektor ~ a in umkehrbar eindeutiger Weise durch die drei Vektorkoordinaten a x , a y , a z bestimmt. 4) Rechtshändiges System (Rechtssystem): Spreizt man Daumen, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand so, dass sie jeweils einen rechten Winkel miteinander bilden, dann zeigen sie der Reihe nach in Richtung der drei Einheitsvektoren und damit in Richtung der x-, y- und z-Achse. Statt ~ e x, ~ e y, ~ e z sind auch folgende Symbole üblich: ~ e 1, ~ e 2, ~ e 3 und ~ i, ~ j, k~. 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 73 Es genügt daher die Angabe der skalaren Komponenten in Form eines Spaltenvektors: 0 1 ax ~ ðII-47Þ ex þ ay~ ey þ az~ ez ¼ @ ay A a ¼ ax~ az Von der ebenfalls möglichen Darstellung durch einen Zeilenvektor ða x a y a z Þ werden wir keinen Gebrauch machen 5Þ . Komponentendarstellung eines Vektors (Bild II-40) 0 1 ax ~ ay þ ~ az ¼ ax ~ ex þ ay~ ey þ az~ ez ¼ @ ay A a ¼~ ax þ ~ az ðII-48Þ Dabei bedeuten: 9 ~ ex > ax ¼ ax ~ = ~ a ay ¼ ay~ e y Vektorkomponenten von ~ > ; ~ az ¼ az~ ez a x, a y, a z : 0 1 ax @ a y A: az Vektorkoordinaten (skalare Vektorkomponenten) von ~ a Spaltenvektor Sind Anfangspunkt P 1 ¼ ðx 1 ; y 1 ; z 1 Þ und Endpunkt P 2 ¼ ðx 2 ; y 2 ; z 2 Þ eines Vek! tors ~ a bekannt, so lautet die Komponentendarstellung von ~ a ¼ P 1 P 2 wie folgt: Komponentendarstellung eines durch zwei Punkte festgelegten Vektors 0 1 x2 x1 ! ~ e x þ ðy 2 y 1 Þ ~ e y þ ðz 2 z 1 Þ ~ ez ¼ @ y2 y1 A a ¼ P 1 P 2 ¼ ðx 2 x 1 Þ ~ z2 z1 (II-49) Dabei bedeuten: ! P 1 ¼ ðx 1 ; y 1 ; z 1 Þ: Anfangspunkt des Vektors ~ a ¼ P1 P2 ! P 2 ¼ ðx 2 ; y 2 ; z 2 Þ: Endpunkt des Vektors ~ a ¼ P1 P2 5) Mit Spaltenvektoren lässt sich besonders einfach und übersichtlich rechnen (siehe folgende Abschnitte). 74 II Vektoralgebra Komponentendarstellung spezieller Vektoren Der Ortsvektor des Punktes P ¼ ðx; y; zÞ lautet: 0 1 x ! ~ e y þ z~ ez ¼ @ y A r ðPÞ ¼ O P ¼ x ~ e x þ y~ z ðII-50Þ Für die drei Basisvektoren (Einheitsvektoren) ~ e x, ~ e y, ~ e z erhält man die folgende Komponentendarstellung: 0 1 0 1 1 0 ~ ~ e x ¼ 1~ e x þ 0~ e y þ 0~ ez ¼ @ 0 A , e y ¼ 0~ e x þ 1~ e y þ 0~ ez ¼ @ 1 A , 0 0 0 1 0 ~ e z ¼ 0~ e x þ 0~ e y þ 1~ ez ¼ @ 0 A ðII-51Þ 1 Der Nullvektor ~ 0 besitzt die Komponentendarstellung 0 1 0 @ ~ e y þ 0~ ez ¼ 0 A 0 ¼ 0~ e x þ 0~ 0 ðII-52Þ Betrag eines Vektors Der Betrag eines Vektors ~ a lässt sich nach Bild II-41 aus dem rechtwinkligen Dreieck O P 0 P unter (zweimaliger) Verwendung des Satzes von Pythagoras leicht berechnen: ! j O P j ¼ j~ aj ¼ a z qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ! jOP0 j ¼ a 2x þ a 2y az ! j P 0 P j ¼ az a P |a| az 0 ay y ! ! j~ a j2 ¼ a2 ¼ j O P 0 j2 þ j P 0 P j2 ¼ ax P′ ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 þ a 2z ¼ a 2x þ a 2y x Bild II-41 ¼ a 2x þ a 2y þ a 2z j~ aj ¼ a ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi a 2x þ a 2y þ a 2z ðII-53Þ 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 75 Betrag eines Vektors (Bild II-41) qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi j~ aj ¼ a ¼ a 2x þ a 2y þ a 2z ðII-54Þ Gleichheit von Vektoren Zwei Vektoren ~ a und b~ sind genau dann gleich, wenn sie in ihren entsprechenden Komponenten übereinstimmen: ~ a ¼ b~ & , ax ¼ bx , ay ¼ by , az ¼ bz ðII-55Þ Beispiele (1) Der Ortsvektor des Punktes P ¼ ð3; 2; 1Þ lautet: 0 1 3 ! ~ e y þ 1~ ez ¼ @ 2 A r ðPÞ ¼ O P ¼ 3~ e x 2~ 1 Sein Betrag ist j~ r ðPÞ j ¼ r ðPÞ ¼ (2) qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi 3 2 þ ð 2Þ 2 þ 1 2 ¼ 14 ¼ 3,74 Wir berechnen die Länge des Vektors ~ a ¼ 3~ ex þ ~ e y þ 8~ ez: 0 1 3 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi ~ a ¼ @ 1A ) j ~ a j¼ ð 3Þ 2 þ 1 2 þ 8 2 ¼ 74 ¼ 8,60 8 & 3.2 Darstellung der Vektoroperationen 3.2.1 Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar Die Multiplikation eines Vektors ~ a mit einem Skalar (einer reellen Zahl) l wird wie in der Ebene komponentenweise durchgeführt: Multiplikation eines Vektors mit einem Skalar Die Multiplikation eines Vektors ~ a mit einem Skalar l erfolgt komponentenweise: 1 0 1 0 l ax ax C B C B ðII-56Þ l~ a ¼ l @ ay A ¼ @ l ay A az l az 76 & II Vektoralgebra Beispiel ~ die Beschleunigung Eine Masse von m ¼ 5 kg erfahre durch eine Kraft F 0 1 2 m ~ a ¼ @ 1 A 2 . Die Komponentendarstellung der einwirkenden Kraft lautet dann: s 4 0 1 0 1 0 1 2 10 10 m m ~ ¼ m~ F a ¼ 5 kg @ 1 A 2 ¼ @ 5 A kg 2 ¼ @ 5 A N s s & 4 20 20 Normierung eines Vektors ~ a sei ein beliebiger vom Nullvektor verschiedener Vektor. Wie lautet der in die gleiche Richtung weisende Einheitsvektor ~ e a ? Wir lösen diese Aufgabe wie folgt: ~ a "" ~ e a . Der Vektor ~ a besitzt die Länge j ~ a j, a und ~ e a sind parallele Vektoren: ~ der Vektor ~ e a die Länge 1. Daher gilt (vgl. hierzu Bild II-42): a ~ a ¼ j~ aj~ ea ea |a ~ ea ¼ | ~ 1 a ~ a ¼ j~ aj j~ aj ðII-57Þ ðII-58Þ Bild II-42 Normierung eines Vektors Diesen Vorgang bezeichnet man als Normierung eines Vektors. Normierung eines Vektors (Bild II-42) Durch Normierung erhält man aus einem vom Nullvektor verschiedenen Vektor ~ a einen Einheitsvektor gleicher Richtung. Er lautet wie folgt: 1 ~ ~ a ðII-59Þ ea ¼ j~ aj Regel: Die Vektorkoordinaten werden durch den Betrag des Vektors dividiert. & 1 2 Wir normieren den Vektor ~ a ¼ @ 1 A: 2 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi j~ aj ¼ 2 2 þ ð 1Þ 2 þ 2 2 ¼ 9 ¼ 3 1 0 1 0 2=3 2 1 1 B C B C ~ ~ a ¼ a ¼ 3~ ea ) ~ ea ¼ @ 1 A ¼ @ 1=3 A 3 3 2=3 2 Beispiel 0 & 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 77 3.2.2 Addition und Subtraktion von Vektoren Die Addition und Subtraktion zweier Vektoren ~ a und b~ erfolgt (wie in der Ebene) komponentenweise: Addition und Subtraktion zweier Vektoren Zwei Vektoren ~ a und b~ werden komponentenweise addiert bzw. subtrahiert: 0 1 0 1 0 1 ax bx ax bx B C B C B C ~ a b~ ¼ @ a y A @ b y A ¼ @ a y b y A ðII-60Þ az & bz az bz 0 1 0 1 0 1 2 3 4 Wir berechnen mit ~ a ¼ @ 3 A, b~ ¼ @ 0 A und ~ c ¼ @ 1 A den folgenden Vektor: 4 1 5 Beispiele (1) 0 1 0 1 0 1 2 3 4 ~ s ¼ 4~ a þ 3 b~ 8~ c ¼ 4@3A þ 3@0A 8@ 1A ¼ 4 1 5 0 1 0 1 0 1 1 0 1 8 þ 9 þ 32 49 8 9 32 4A ¼ @ 12 A þ @ 0 A þ @ 8 A ¼ @ 12 þ 0 8 A ¼ @ 40 16 þ 3 40 21 16 3 0 (2) Wir zeigen, dass die an einem Massenpunkt gleichzeitig angreifenden Kräfte 1 20 C ~1 ¼ B F @ 11 A N , 3 1 0 1 C ~3 ¼ B F @ 10 A N , 4 0 0 1 4 B C ~ F2 ¼ @ 8 A N , 9 1 0 25 C ~4 ¼ B F @ 13 A N , 2 sich in ihrer physikalischen Wirkung aufheben. ~R Lösung: Die vier Kräfte heben sich gegenseitig auf, wenn die Resultierende F den Nullvektor ergibt. Dies ist hier der Fall: 78 II Vektoralgebra ~1 þ F ~2 þ F ~3 þ F ~4 ¼ ~R ¼ F F 0 1 0 1 0 1 0 1 20 4 1 25 ¼ @ 11 A N þ @ 8 A N þ @ 10 A N þ @ 13 A N ¼ 3 9 4 2 0 1 0 1 20 þ 4 þ 1 25 0 ¼ @ 11 þ 8 10 þ 13 A N ¼ @ 0 A N 3 þ 9 4 2 0 (3) Welche Koordinaten besitzt der Punkt Q, der die Strecke zwischen den Punkten P 1 ¼ ð 4; 3; 2Þ und P 2 ¼ ð1; 0; 4Þ halbiert (Bild II-43)? P1 P1 Q Q r (P 1 ) P1 P2 P2 r (Q) r (P 2 ) Bild II-43 0 ! ! Lösung: Der Vektor P 1 Q ist parallel zum Vektor P 1 P 2, jedoch nur von halber Länge: ! 1 ! P1 Q ¼ P1 P2 2 Aus der Skizze folgt ferner, dass der Ortsvektor ~ r ðQÞ des gesuchten Punktes Q ! als Vektorsumme aus ~ r ðP 1 Þ und P 1 Q darstellbar ist: ! 1 ! ~ r ðP 1 Þ þ r ðQÞ ¼ ~ r ðP 1 Þ þ P 1 Q ¼ ~ P1 P2 2 ! Wir berechnen zunächst die benötigten Vektoren ~ r ðP 1 Þ und P 1 P 2 : 0 1 0 1 x1 4 B C B C ~ r ðP 1 Þ ¼ @ y 1 A ¼ @ 3 A z1 2 0 1 0 1 0 1 x2 x1 1 ð 4Þ 5 ! B C B C B C P1 P2 ¼ @ y2 y1 A ¼ @ 0 3 A ¼ @3A z2 z1 42 2 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 79 Für den Ortsvektor ~ r ðQÞ erhalten wir dann: 0 1 0 1 5 4 1 ! 1 @3A ¼ ~ P1 P2 ¼ @ 3 A þ r ðQÞ ¼ ~ r ðP 1 Þ þ 2 2 2 2 0 1 0 1 0 1 0 1 4 2,5 4 þ 2,5 1,5 ¼ @ 3 A þ @ 1,5 A ¼ @ 3 1,5 A ¼ @ 1,5 A 2 1 2þ1 3 Ergebnis: Q ¼ ð 1,5; 1, 5; 3Þ. & 3.3 Skalarprodukt zweier Vektoren 3.3.1 Definition und Berechnung eines Skalarproduktes Die in Abschnitt 2.3 gegebene Definition des skalaren Produktes zweier Vektoren lässt sich sinngemäß auch auf räumliche, d. h. 3-dimensionale Vektoren übertragen: Definition: Unter dem Skalarprodukt ~ a b~ zweier Vektoren ~ a und b~ versteht man den Skalar ~ a b~ ¼ j ~ a j j b~j cos j ¼ a b cos j ðII-61Þ wobei j der von den beiden Vektoren eingeschlossene Winkel ist (0 j 180 ; Bild II-44). b Bild II-44 Zum Begriff des Skalarproduktes zweier Vektoren f a Rechenregeln für Skalarprodukte Die Skalarproduktbildung ist sowohl kommutativ als auch distributiv: Kommutativgesetz ~ a b~ ¼ b~ ~ a (II-62) Distributivgesetz ~ a ðb~ þ ~ cÞ ¼ ~ a b~ þ ~ a~ c (II-63) Ferner gilt für einen beliebigen reellen Skalar l: l ð~ a b~Þ ¼ ðl ~ aÞ b~ ¼ ~ a ðl b~Þ ðII-64Þ 80 II Vektoralgebra Orthogonale Vektoren Verschwindet das skalare Produkt zweier vom Nullvektor verschiedener Vektoren, so bilden sie einen rechten Winkel miteinander, stehen also aufeinander senkrecht (auch die Umkehrung gilt). Solche Vektoren heißen (wie in der Ebene) orthogonal. Orthogonale Vektoren Zwei vom Nullvektor verschiedene Vektoren ~ a und b~ stehen genau dann aufeinander senkrecht, sind also orthogonal, wenn ihr Skalarprodukt verschwindet: ~ a b~ ¼ 0 , ~ a ? b~ ðII-65Þ Die drei Einheitsvektoren ~ e x, ~ e y, ~ e z bilden eine sog. orthonormierte Basis, d. h. die Vektoren stehen paarweise aufeinander senkrecht (orthogonale Vektoren) und besitzen jeweils den Betrag Eins (normierte Vektoren): ~ ey ¼ ~ ey ~ ez ¼ ~ ez ~ ex ¼ 0 ex ~ ~ ex ¼ ~ ey ~ ey ¼ ~ ez ~ ez ¼ 1 ex ~ ðII-66Þ Für den Sonderfall ~ a ¼ b~ erhält man: ~ a~ a ¼ j~ a j j~ a j cos 0 ¼ j ~ a j j~ a j 1 ¼ j~ a j2 ¼ a2 ðII-67Þ Der Betrag eines Vektors ~ a lässt sich daher auch über das Skalarprodukt ~ a~ a berechnen: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi j~ aj ¼ a ¼ ~ a~ a ðII-68Þ Berechnung eines Skalarproduktes aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) Das Skalarprodukt zweier Vektoren kann auch direkt aus den skalaren Komponenten der beiden Vektoren bestimmt werden: ~ a b~ ¼ ða x ~ ex þ ay~ ey þ az~ e z Þ ðb x ~ ex þ by~ ey þ bz~ e zÞ ¼ ¼ a x b x ð~ ex ~ e x Þ þ a x b y ð~ ex ~ e y Þ þ a x b z ð~ ex ~ e zÞ þ ey ~ e x Þ þ a y b y ð~ ey ~ e y Þ þ a y b z ð~ ey ~ e zÞ þ þ a y b x ð~ ez ~ e x Þ þ a z b y ð~ ez ~ e y Þ þ a z b z ð~ ez ~ e zÞ þ a z b x ð~ ðII-69Þ Die dabei auftretenden Skalarprodukte verschwinden, wenn an ihrer Bildung zwei verschiedene Einheitsvektoren beteiligt sind. In allen anderen Fällen haben die Skalarprodukte den Wert 1. Damit reduziert sich die Gleichung (II-69) wie folgt: 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 81 ~ a b~ ¼ a x b x 1 þ a x b y 0 þ a x b z 0 þ a y b x 0 þ a y b y 1 þ þ ay bz 0 þ az bx 0 þ az by 0 þ az bz 1 ¼ ¼ ax bx þ ay by þ az bz ðII-70Þ Wir fassen zusammen: Berechnung eines Skalarproduktes aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) der beteiligten Vektoren Das Skalarprodukt ~ a b~ zweier Vektoren ~ a und b~ lässt sich aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) der beiden Vektoren wie folgt berechnen: 0 1 0 1 ax bx B C B C ~ ~ a b ¼ @ ay A @ by A ¼ ax bx þ ay by þ az bz ðII-71Þ az bz Regel: Komponentenweise Multiplikation, anschließende Addition der Produkte. Das skalare Produkt zweier Vektoren kann somit (wie in der Ebene) auf zwei verschiedene Arten berechnet werden: ~ a b~ ¼ j ~ a j j b~j cos j ¼ a x b x þ a y b y þ a z b z & 0 1 0 1 1 3 Das skalare Produkt der Vektoren ~ a ¼ @ 2 A und b~ ¼ @ 2 A beträgt: 2 4 0 1 0 1 1 3 ~ a b~ ¼ @ 2 A @ 2 A ¼ 3 4 8 ¼ 9 2 4 Beispiele (1) (2) ðII-72Þ 0 1 2 Die Vektoren ~ a ¼ @1A 5 Skalarprodukt verschwindet: 0 und 1 3 b~ ¼ @ 4 A 2 sind orthogonal, da ihr 0 1 0 1 2 3 ~ a b~ ¼ @ 1 A @ 4 A ¼ 6 þ 4 10 ¼ 0 5 2 (3) Wir beweisen den Satz des Pythagoras: „In einem rechtwinkligen Dreieck ist die Summe der beiden Kathetenquadrate gleich dem Quadrat der Hypotenuse“. 82 II Vektoralgebra Beweis: Die beiden Katheten sowie die Hypotenuse des rechtwinkligen Dreiecks legen wir in der aus Bild II-45 ersichtlichen Weise durch Vektoren fest, wobei gilt: ~ a~ a ¼ a2 , ~ a b~ ¼ 0 b~ b~ ¼ b 2 , ~ c~ c ¼ c2 , ðda nach Voraussetzung ~ a ? b~Þ c b c b Bild II-45 Zur Herleitung des Satzes des Pythagoras a a Der Hypotenusenvektor ~ c ist ferner die Summe der beiden Kathetenvektoren ~ a und b~: ~ c ¼ ~ a þ b~ Wir bilden nun das skalare Produkt von ~ c mit sich selbst: ~ c~ c ¼ ð~ a þ b~Þ ð~ a þ b~Þ ¼ ~ a~ aþ~ a b~ þ b~ ~ a þ b~ b~ Wegen der Orthogonalität von ~ a und b~ ist ~ a b~ ¼ b~ ~ a ¼ 0 und es folgt: ~ c~ c ¼~ a~ a þ b~ b~ oder c2 ¼ a2 þ b2 & Damit ist der Lehrsatz des Pythagoras bewiesen. 3.3.2 Winkel zwischen zwei Vektoren Aus Gleichung (II-72) erhalten wir die folgende wichtige Beziehung für den Winkel j zwischen zwei Vektoren ~ a und b~: cos j ¼ ~ ax bx þ ay by þ az bz a b~ ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ~ 2 j~ aj jb j a x þ a 2y þ a 2z b 2x þ b 2y þ b 2z ðII-73Þ Diese Gleichung lösen wir nach dem gesuchten Winkel j auf und erhalten das folgende Ergebnis: Winkel zwischen zwei Vektoren (Bild II-44) Der von den Vektoren ~ a und b~ eingeschlossene Winkel j lässt sich wie folgt berechnen: ! ~ a b~ j ¼ arccos ð~ a 6¼ ~ 0, b~ 6¼ ~ 0Þ ðII-74Þ j~ a j j b~ j 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum & 83 Beispiel Wir berechnen nach Gleichung (II-73) bzw. (II-74) den Winkel j, den die Vektoren 0 1 0 1 3 1 ~ a ¼ @ 1 A und b~ ¼ @ 2 A miteinander einschließen: 2 4 0 1 0 1 3 1 B C B C ~ a b~ ¼ @ 1 A @ 2 A ¼ 3 1 þ ð 1Þ 2 þ 2 4 ¼ 3 2 þ 8 ¼ 9 2 4 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi j b~j ¼ 1 2 þ 2 2 þ 4 2 ¼ 21 j~ aj ¼ 3 2 þ ð 1Þ 2 þ 2 2 ¼ 14 , cos j ¼ ~ 9 a b~ ¼ pffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi ¼ 0,5249 14 21 j~ a j j b~ j ) j ¼ arcccos 0,5249 ¼ 58,3 & 3.3.3 Richtungswinkel eines Vektors Ein Vektor ~ a ist bekanntlich eindeutig durch Betrag und Richtung festgelegt. Die Berechnung des Betrages j ~ a j erfolgt dabei nach Gleichung (II-54). Die Richtung des Vektors legen wir durch die Winkel fest, die der Vektor mit den drei Koordinatenachsen (d. h. mit den drei Basisvektoren ~ e x, ~ e y und ~ e z ) bildet. Diese Richtungswinkel kennzeichnen wir der Reihe nach mit a, b und g (Bild II-46). Sie lassen sich mit Hilfe des Skalarproduktes aus der Beziehung (II-73) bzw. (II-74) berechnen, indem man dort für b~ der Reihe nach ~ e x, ~ e y, ~ e z setzt. So erhält man beispielsweise für den Winkel a zwischen dem Vektor ~ a und der x-Achse die folgende Beziehung: 0 1 0 1 1 ax @ ay A @ 0 A 0 az ~ ax þ 0 þ 0 ax ax a~ ex ¼ cos a ¼ ¼ ¼ ðII-75Þ ¼ j~ aj 1 j~ a j j~ ex j j~ aj a j~ aj z az az |a| g a ax ax x Bild II-46 Richtungswinkel eines Vektors a ay b ay y 84 II Vektoralgebra Analoge Gleichungen bestehen für die beiden übrigen Richtungswinkel: cos b ¼ ay ay ¼ , j~ aj a cos g ¼ az az ¼ j~ aj a ðII-76Þ Die Größen cos a, cos b und cos g werden als Richtungskosinus von ~ a bezeichnet. Sie genügen der Bedingung cos 2 a þ cos 2 b þ cos 2 g ¼ a 2y a 2x þ a 2y þ a 2z a 2z a 2x a2 þ þ ¼ ¼ ¼ 1 a2 a2 a2 a2 a2 ðII-77Þ Die drei Richtungswinkel a, b und g sind somit voneinander abhängige Größen. Wir fassen zusammen: Richtungswinkel zwischen einem Vektor und den Koordinatenachsen (Richtungskosinus; Bild II-46) Ein Vektor ~ a bildet mit den drei Koordinatenachsen der Reihe nach die Winkel a, b und g, die als Richtungswinkel bezeichnet werden. Sie lassen sich aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) des Vektors ~ a wie folgt berechnen: ax ay az cos a ¼ , cos b ¼ , cos g ¼ ðII-78Þ j~ aj j~ aj j~ aj Die Richtungswinkel sind jedoch nicht unabhängig voneinander, sondern über die Beziehung cos 2 a þ cos 2 b þ cos 2 g ¼ 1 ðII-79Þ miteinander verknüpft. Sind von einem Vektor ~ a Betrag und Richtung (d. h. die drei Richtungswinkel) bekannt, so berechnen sich die Vektorkoordinaten nach (II-78) der Reihe wie folgt: a j cos a, ax ¼ j~ & az ¼ j~ a j cos g 0 ðII-80Þ 1 2 Wir wollen die Richtungswinkel des Vektors ~ a ¼ @ 1 A berechnen. Mit dem Betrag 2 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffi j~ aj ¼ 2 2 þ ð 1Þ 2 þ ð 2Þ 2 ¼ 9 ¼ 3 Beispiele (1) ay ¼ j~ a j cos b, 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 85 folgt unmittelbar aus den Gleichungen (II-78): cos a ¼ ax 2 ¼ 3 j~ aj ) cos b ¼ ay 1 ¼ 3 j~ aj ) cos g ¼ az 2 ¼ j~ aj 3 ) 2 ¼ 48,2 3 1 b ¼ arccos ¼ 109,5 3 2 g ¼ arccos ¼ 131,8 3 a ¼ arccos Die drei Richtungswinkel des Vektors ~ a lauten damit der Reihe nach wie folgt: a ¼ 48,2 , (2) b ¼ 109,5 , g ¼ 131,8 Ein Vektor ~ a vom Betrage j ~ a j ¼ 5 bilde mit der x- und y-Achse jeweils einen Winkel von 60 und mit der z-Achse einen spitzen Winkel ð0 < g < 90 Þ. Wie lauten seine skalaren Vektorkomponenten? Lösung: Der noch unbekannte dritte Richtungswinkel g wird aus der Beziehung (II-79) berechnet, die wir zunächst nach cos g auflösen: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi cos g ¼ 1 cos 2 a cos 2 b Es kommt jedoch nur die positive Lösung in Frage, da g nach Voraussetzung spitz ist und somit cos g > 0 sein muss. Mit a ¼ b ¼ 60 erhält man: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffi cos g ¼ 1 cos 2 60 cos 2 60 ¼ 0,5 ¼ 0,7071 ) g ¼ arccos 0,7071 ¼ 45 Die skalaren Vektorkomponenten von ~ a bestimmen wir nach Gleichung (II.80) wie folgt: ax ¼ j~ a j cos a ¼ 5 cos 60 ¼ 2,5 ay ¼ j~ a j cos b ¼ 5 cos 60 ¼ 2,5 az ¼ j~ a j cos g ¼ 5 cos 45 ¼ 3,54 & 3.3.4 Projektion eines Vektors auf einen zweiten Vektor Ein in der Mechanik häufig wiederkehrendes Problem besteht in der Zerlegung einer Kraft in ihre Komponenten. Zum Beispiel bei einer schiefen Ebene: Die Gewichtskraft ~ einer Masse m soll in eine Tangential- und eine Normalkomponente zerlegt werden. G ~ auf die Richtung der Diese Komponenten erhält man durch Projektion des Vektors G schiefen Ebene bzw. auf die dazu senkrechte Richtung (siehe Bild II-47). Sie werden in der Mechanik auch als Hangabtrieb und Normalkraft bezeichnet. 86 II Vektoralgebra H Bild II-47 ~ in die Zerlegung der Gewichtskraft G ~ („Hangabtrieb“) Tangentialkomponente H ~ („Normalkraft“) und die Normalkomponente N N G Wir beschäftigen uns jetzt mit der Projektion eines Vektors b~ auf einen zweiten Vektor ~ a und setzen dabei zunächst voraus, dass die Vektoren ~ a und b~ einen spitzen Winkel miteinander einschließen (Bild II-48). b Bild II-48 Komponente eines Vektors b~ in Richtung eines vorgegebenen Vektors ~ a f ba a Der durch die Projektion erhaltene Vektor wird mit b~a bezeichnet, sein Betrag ist j b~a j ¼ j b~j cos j ðII-81Þ wobei j der Winkel zwischen den Vektoren b~ und ~ a ist. Aus dem Skalarprodukt ~ a j j b~a j a b~ ¼ j ~ a j j b~j cos j ¼ j ~ |fflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflffl} j b~a j ðII-82Þ erhalten wir dann nach Division durch j ~ a j den folgenden Ausdruck für j b~a j: j b~a j ¼ ~ a b~ j~ aj ðII-83Þ a und ist somit in der Form Der Vektor b~a besitzt die gleiche Richtung wie der Vektor ~ ~ a b~a ¼ j b~a j ~ e a ¼ j b~a j j~ aj ðII-84Þ a ist (wir erhalten ihn durch darstellbar, wobei ~ e a der Einheitsvektor in Richtung von ~ Normierung des Vektors ~ a ). Unter Berücksichtigung der Beziehung (II-83) wird hieraus schließlich ! ! ~ ~ ~ ~ a a b~ a a b~ ~ ~ ~ ba ¼ j ba j ¼ ¼ a ðII-85Þ j~ aj j~ aj j~ aj j~ a j2 Dieser Vektor wird auch als Komponente des Vektors b~ in Richtung des Vektor ~ a bezeichnet. 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 87 Projektion eines Vektors b~ auf einen zweiten Vektor ~ a (Bild II-48) Durch Projektion des Vektors b~ auf den Vektor ~ a entsteht der Vektor ! ~ a b~ ~ ea a ¼ ð~ e a b~Þ ~ b~a ¼ j~ a j2 ðII-86Þ Er wird als Komponente des Vektors b~ in Richtung des Vektors ~ a bezeichnet. Anmerkungen (1) (2) & Die Vektoren b~a und ~ a sind kollinear (parallel, wenn ~ a b~ > 0, anti-parallel, ~ wenn ~ a b < 0 ist). j~ a b~ j . Der Projektionsvektor b~a hat die Länge j b~a j ¼ j~ aj 0 1 0 1 4 3 Wir projizieren den Vektor b~ ¼ @ 1 A auf den Vektor ~ a ¼ @ 0 A. Um den 7 4 gesuchten Vektor b~a bestimmen zu können, benötigen wir noch das Skalarprodukt ~ a b~ und den Betrag von ~ a: 1 0 1 0 4 3 C B C B ~ ~ a b ¼ @ 0 A @ 1 A ¼ 12 þ 0 þ 28 ¼ 40 Beispiele (1) 4 7 j~ a j 2 ¼ 3 2 þ 0 2 þ 4 2 ¼ 9 þ 16 ¼ 25 , j~ a j¼ 5 Die Komponente des Vektors b~ in Richtung des Vektors ~ a lautet dann nach Formel (II-86) wie folgt: 0 1 0 1 0 1 ! 3 3 4,8 ~ ~ 40 a b @ 0 A ¼ 1,6 @ 0 A ¼ @ 0 A ~ a ¼ b~a ¼ 25 j~ a j2 4 4 6,4 (2) ~s , die der Kraftvektor Wir interessieren uns für die Komponente F 0 1 0 1 4 2 ~ ¼ @ 2 A N in Richtung des Verschiebungsvektors ~ F s ¼ @ 1 A m besitzt. 6 2 Welchen Betrag hat diese Komponente? 88 II Vektoralgebra Lösung: Mit 1 0 1 4 2 C B C B ~ ~ s F ¼ @ 1 A @ 2 A N m ¼ ð8 2 þ 12Þ N m ¼ 18 N m 6 2 0 j~ s j 2 ¼ ð2 2 þ ð 1Þ 2 þ 2 2 Þ m 2 ¼ 9 m 2 erhalten wir dann nach Formel (II-86): 0 1 0 1 0 1 ! 2 2 4 ~ ~ 18 N m s F @1A m ¼ 2@1AN ¼ @2AN ~s ¼ ~ s ¼ F j~ s j2 9 m2 2 2 4 ~s hat den folgenden Betrag: Die Komponente F qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi ~ Fs ¼ j Fs j ¼ 4 2 þ ð 2Þ 2 þ 4 2 N ¼ 36 N ¼ 6 N & 3.3.5 Ein Anwendungsbeispiel: Arbeit einer Kraft ~ um die Strecke ~ Wird ein Massenpunkt m durch eine konstante Kraft F s verschoben, so ist die an ihm verrichtete Arbeit W definitionsgemäß das skalare Produkt aus dem ~ und dem Verschiebungsvektor ~ Kraftvektor F s (Bild II-49): ~~ ~j j~ W ¼ F s ¼ jF s j cos j ¼ F s cos j ðII-87Þ ~s besitzt nach Bild II-49 den Die in Richtung des Weges wirkende Kraftkomponente F Betrag ~s j ¼ Fs ¼ j F ~j cos j ¼ F cos j jF ðII-88Þ F m f Fs m Bild II-49 Zur Definition des Arbeitsbegriffes s |s| = s Wir können daher die Definitionsgleichung (II-87) für die Arbeit W auch auf die folgende Form bringen: ~~ W ¼ F s ¼ F s cos j ¼ ðF cos j Þ s ¼ Fs s |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} Fs ðII-89Þ Dies aber ist die bereits aus der Schulphysik bekannte Formel „Arbeit ¼ Kraftkomponente in Wegrichtung mal zurückgelegtem Weg“! 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum & 0 Beispiel ~¼ B Die konstante Kraft F @ 10 N 89 1 C 2 N A verschiebe einen Massenpunkt geradlinig vom 5N Punkt P 1 ¼ ð1 m; 5 m; 3 mÞ aus in den Punkt P 2 ¼ ð0 m; 1 m; 4 mÞ (vgl. hierzu Bild II-50). Welche Arbeit wird dabei verrichtet? Wie groß ist der Winkel j zwischen dem Kraft- und dem Verschiebungsvektor? F P1 r (P 1 ) f s P2 Bild II-50 Verschiebung einer Masse längs einer Geraden vom Punkt P 1 aus nach P 2 r (P 2 ) 0 Lösung: Der Verschiebungsvektor lautet nach Bild II-50 wie folgt: 1 0 1 0 1 0 01 1 x2 x1 ! C B C B C B ~ s ¼ P1 P2 ¼ @ y2 y1 A ¼ @ 1 þ 5 A m ¼ @ 6 A m z2 z1 43 1 Die dabei verrichtete Arbeit beträgt dann nach Gleichung (II-87): 0 1 0 1 10 1 ~~ W ¼ F s ¼ @ 2 A @ 6 A Nm ¼ ð10 þ 12 þ 5Þ Nm ¼ 27 Nm 5 1 ~ und ~ Für die Winkelberechnung benötigen wir noch die Beträge von F s: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffi ~j ¼ jF ð 10Þ 2 þ 2 2 þ 5 2 N ¼ 129 N qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi j~ sj ¼ ð 1Þ 2 þ 6 2 þ 1 2 m ¼ 38 m Dann aber gilt: ~~ ~j j~ F s ¼ W ¼ jF s j cos j ) |ffl{zffl} W ~~ W 27 Nm F s pffiffiffiffiffiffiffi ¼ 0,3856 ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ cos j ¼ ~j j~ ~j j~ 129 N 38 m jF sj jF sj j ¼ arccos 0,3856 ¼ 67,3 ) & 90 II Vektoralgebra 3.4 Vektorprodukt zweier Vektoren 3.4.1 Definition und Berechnung eines Vektorproduktes Neben der Addition und Subtraktion von Vektoren und der Skalarproduktbildung wird in den Anwendungen eine weitere Vektoroperation benötigt, die sog. vektorielle Multiplikation. Sie erzeugt aus zwei Vektoren ~ a und b~ nach einer bestimmten Vorschrift einen neuen Vektor, der die Bezeichnung Vektorprodukt erhält und durch das Symbol ~ a b~ gekennzeichnet wird (gelesen: a Kreuz b). So sind beispielsweise die folgenden physikalischen Größen als Vektorprodukte darstellbar: ~ einer an einem starren Körper angreifenden Kraft Drehmoment M ~ Drehimpuls L eines rotierenden Körpers ~L , die ein Ladungsträger (z. B. ein Elektron) beim Durchgang durch Lorentz-Kraft F ein Magnetfeld erfährt Kraft auf einen stromdurchflossenen Leiter in einem Magnetfeld Das Vektorprodukt zweier Vektoren ist wie folgt definiert: Definition: Unter dem Vektorprodukt ~ c ¼~ a b~ zweier Vektoren ~ a und b~ versteht man den eindeutig bestimmten Vektor mit den folgenden Eigenschaften (Bild II-51): 1. ~ c ist sowohl zu ~ a als auch zu b~ orthogonal: ~ c~ a ¼ 0 und ~ c b~ ¼ 0 ðII-90Þ 2. Der Betrag von ~ c ist gleich dem Produkt aus den Beträgen der Vektoren ~ a und b~ und dem Sinus des von ihnen eingeschlossenen Winkels j: j~ c j ¼ j~ a j j b~j sin j ð0 j 180 Þ ðII-91Þ 3. Die Vektoren ~ a, b~, ~ c bilden in dieser Reihenfolge ein rechtshändiges System. c=axb b Bild II-51 Zum Begriff des Vektorsproduktes zweier Vektoren f a 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 91 Anmerkung Das Vektorprodukt ~ a b~ ist im Gegensatz zum Skalarprodukt eine vektorielle Größe und wird auch als äußeres Produkt oder Kreuzprodukt der Vektoren ~ a und b~ bezeichnet. Geometrische Deutung eines Vektorproduktes Für den Flächeninhalt A des von den Vektoren ~ a und b~ aufgespannten Parallelogramms erhalten wir nach Bild II-52 (grau unterlegte Fläche): A ¼ ðGrundlinieÞ ðHöheÞ ¼ a h ¼ a b sin j ¼ j ~ a j j b~j sin j ðII-92Þ Dies aber ist genau der Betrag des Vektorproduktes ~ a b~. b b sin j ¼ h b h ¼ b sin j h f Bild II-52 a a Geometrische Deutung eines Vektorproduktes (Bild II-55) Der Betrag des Vektorproduktes ~ a b~ entspricht dem Flächeninhalt des von den Vektoren ~ a und b~ aufgespannten Parallelogramms. Rechenregeln für Vektorprodukte Distributivgesetze ~ a ðb~ þ ~ cÞ ¼ ~ a b~ þ ~ a~ c (II-93) ð~ a þ b~Þ ~ c ¼ ~ a~ c þ b~ ~ c (II-94) ~ aÞ a b~ ¼ ðb~ ~ (II-95) Anti-Kommutativgesetz Ferner gilt für einen beliebigen reellen Skalar l: l ð~ a b~Þ ¼ ðl ~ a Þ b~ ¼ ~ a ðl b~Þ ðII-96Þ Das vektorielle Produkt ~ a b~ zweier vom Nullvektor verschiedener Vektoren ~ a und a und b~ sind dann zueib~ verschwindet für j ¼ 0 und j ¼ 180 . Die Vektoren ~ nander parallel oder antiparallel, d. h. kollinear. 92 II Vektoralgebra Wir können damit das folgende Kriterium für kollineare Vektoren formulieren: Kriterium für kollineare Vektoren Zwei vom Nullvektor verschiedene Vektoren ~ a und b~ sind genau dann kollinear, wenn ihr Vektorprodukt verschwindet: ~ a b~ ¼ ~ 0 , ~ a und b~ sind kollinear ðII-97Þ Für den Sonderfall ~ a ¼ b~ folgt unmittelbar aus der Definitionsgleichung (II-91) j~ a~ a j ¼ j~ a j j~ a j sin 0 ¼ j ~ a j2 0 ¼ 0 ) ~ a~ a ¼~ 0 ðII-98Þ Zwischen den Basisvektoren (Einheitsvektoren) ~ e x, ~ e y, ~ e z bestehen die folgenden wichtigen Beziehungen (Bild II-53): ~ ex ~ ex ¼ ~ ey ~ ey ¼ ~ ez ~ ez ¼ ~ 0 ez ~ ey ¼ ~ ez , ex ~ ðII-99Þ ~ ey ~ ez ¼ ~ ex , ~ ex ¼ ~ ey ez ~ ðII-100Þ ey ex Bild II-53 Berechnung eines Vektorproduktes aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) Die Komponenten des Vektorproduktes ~ a b~ lassen sich auch direkt aus den skalaren Komponenten der Vektoren ~ a und b~ berechnen (wir verwenden bei der Herleitung der Formel das Distributiv- und das Anti-Kommutativgesetz sowie die Beziehungen (II-99) und (II-100)): ~ a b~ ¼ ða x ~ ex þ ay~ ey þ az~ e z Þ ðb x ~ ex þ by~ ey þ bz~ e zÞ ¼ ¼ a x b x ð~ ex ~ e x Þ þ a x b y ð~ ex ~ e y Þ þ a x b z ð~ ex ~ e zÞ þ |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} ~ ~ ez ~ ey 0 ey ~ e x Þ þ a y b y ð~ ey ~ e y Þ þ a y b z ð~ ey ~ e zÞ þ þ a y b x ð~ |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} ~ ~ ~ ez ex 0 ez ~ e x Þ þ a z b y ð~ ez ~ e y Þ þ a z b z ð~ ez ~ e zÞ ¼ þ a z b x ð~ |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} ~ ~ ey ~ ex 0 ¼ ax by~ ez ax bz~ ey ay bx ~ ez þ ay bz~ ex þ az bx ~ ey az by~ ex ¼ e x þ ða z b x a x b z Þ ~ e y þ ða x b y a y b x Þ ~ ez ¼ ða y b z a z b y Þ ~ ðII-101Þ 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 93 Unter Verwendung von Spaltenvektoren lässt sich diese Formel auch wie folgt schreiben: 1 0 1 0 1 0 ay bz az by bx ax C B C B C B ~ ðII-102Þ a b~ ¼ @ a y A @ b y A ¼ @ a z b x a x b z A az ax by ay bx bz Berechnung eines Vektorproduktes aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) der beteiligten Vektoren Das Vektorprodukt ~ a b~ zweier Vektoren ~ a und b~ lässt sich aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) der beiden Vektoren wie folgt berechnen: 1 0 1 0 1 0 ay bz az by ax bx C B C B C B ~ a b~ ¼ @ a y A @ b y A ¼ @ a z b x a x b z A ðII-103Þ az ax by ay bx bz Anmerkung Bei der Berechnung der Komponenten eines Vektorproduktes beachte man den folgenx den Hinweis: Durch zyklisches Vertauschen der Indizes erhält man aus der ersten Komponente die zweite und aus dieser schließlich die dritte Komponente: y z x ! y ! z ! x Determinantendarstellung eines Vektorproduktes Formal lässt sich ein Vektorprodukt ~ a b~ auch durch eine dreireihige Determinante darstellen (sie enthält drei Zeilen und drei Spalten und insgesamt 9 Elemente): ~ ey ~ e z ex ~ ~ a b~ ¼ a x a y a z bx by bz Basisvektoren Koordinaten von ~ a Koordinaten von b~ Wir dürfen die Basisvektoren und Vektorkoordinaten auch spaltenweise anordnen: ~ ~ ey ~ e z ex ~ ex ~ ~ a b ¼ ax ay az ¼ ~ e y bx by bz ~ ez ax ay az b x by bz ðII-104Þ 94 II Vektoralgebra Definitionsgemäß a11 D ¼ a21 a31 besitzt eine dreireihige Determinante vom allgemeinen Typ a 1 2 a 1 3 a22 a23 a32 a33 ðII-105Þ den folgenden Wert: D ¼ a11 a22 a33 þ a12 a23 a31 þ a13 a21 a32 a31 a22 a13 a32 a23 a11 a33 a21 a12 ðII-106Þ Dieser Wert kann auch nach der Regel von Sarrus berechnet werden: 1. und 2. Spalte werden dabei rechts neben die Determinante gesetzt, die durch eine Linie miteinander verbundenen Elemente werden dann miteinander multipliziert und ergeben insgesamt sechs Produkte mit je drei Faktoren. Die in dem Schema angegebenen Vorzeichen bedeuten eine nachträgliche Multiplikation des Produktes mit dem Faktor þ 1 oder 1. Durch Addition der sechs (vorzeichenbehaftenen) Produkte erhält man schließlich den Wert der Determinante D. Die formale Ausrechnung der Determinante (II-104) führt auf das Vektorprodukt ~ a b~ in der Komponentenschreibe ~ a b~ ¼ ða y b z a z b y Þ~ e x þ ða z b x a x b z Þ~ e y þ ða x b y a y b x Þ~ ez Eine ausführliche Darstellung der Determinanten erfolgt in Band 2 (Kapitel I). Rechenbeispiel 3 D ¼ 1 4 für eine Determinante 2 0 3 1 ¼ ? 5 4 Berechnung nach der Regel von Sarrus: 3 1 4 2 3 5 0 3 1 1 4 4 2 3 5 D ¼ 334þ214þ015430513412 ¼ ¼ 36 þ 8 þ 0 0 15 8 ¼ 21 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum & 95 Beispiele (1) Wir berechnen den Flächeninhalt A des von den beiden Spaltenvektoren 0 1 0 1 1 2 ~ a ¼ @ 5 A und b~ ¼ @ 0 A aufgespannten Parallelogramms: 2 3 0 1 0 1 0 1 2 15 B C B C B ~ a b~ ¼ @ 5 A @ 0 A ¼ @ 4 2 3 0þ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi A ¼ j~ a b~j ¼ ð 15Þ 2 þ 1 2 þ 10 2 (2) 1 0 1 0 15 C B C 3A ¼ @ 1A 10 10 ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffi 326 ¼ 18,06 ~ Elektronen, die mit der Geschwindigkeit ~ v in ein Magnetfeld der Flussdichte B eintreten, erfahren dort die sog. Lorentz-Kraft ~L ¼ e ð~ ~Þ : F vB Wie groß ist die Kraftwirkung auf ein Elektron mit der Elementarladung e, wenn ~ die folgenden Komponenten besitzen? ~ v und B 1 0 1 1 0 0 0 0 2000 C Vs B C C m B ~¼ B ~ , B v ¼ @ 2000 A @0 A T ¼ @0 A 2 , s m 0,1 0,1 0 e ¼ 1,6 10 19 C Lösung: 0 1 0 1 2000 0 ~Þ ¼ 1,6 10 19 @ 2000 A @ 0 A C m Vs ¼ ~L ¼ e ð~ vB F s m2 0 0,1 0 1 0 1 200 0 200 ¼ 1,6 10 19 @ 0 200 A N ¼ 1,6 10 19 @ 200 A N ¼ 0 0 0 0 1 1 1 1 17 @ 1AN ð 200Þ @ 1 A N ¼ 3,2 10 ¼ 1,6 10 0 0 0 1 0 1 1 4 (3) Wir berechnen das Vektorprodukt der Vektoren ~ a ¼ @ 2 A und b~ ¼ @ 3 A mit Hilfe der Determinante (II-104): 8 5 ~ ey ~ e z ex ~ ~ a b~ ¼ 1 2 8 4 3 5 0 19 96 II Vektoralgebra Nach der Regel von Sarrus gilt: ~ ex 1 4 ~ ey 2 3 ~ ex e z ~ 8 1 5 4 ~ ey 2 3 ~ a b~ ¼ 10~ e x þ 32~ e y þ 3~ e z 8~ e z 24~ e x 5~ ey ¼ 0 1 14 e y 5~ e z ¼ @ 27 A ¼ 14~ e x þ 27~ 5 & 3.4.2 Anwendungsbeispiele 3.4.2.1 Drehmoment (Moment einer Kraft) Drehmomente sind vektorielle Größen, die bei der Behandlung statischer Systeme von großer Bedeutung sind. Wir betrachten einen starren Körper in Form einer Kreisscheibe, der um seine Symmetrieachse drehbar gelagert ist (Bild II-54). M=r xF 0 F F 0 r r f Q Bild II-54 Zum Begriff des Drehmomentes P rQ P s Bild II-55 Die an einem starren Körper angreifende Kraft als linienflüchtiger Vektor ~ erzeugt dann Eine im Punkt P angreifende (in der Scheibenebene liegende) Kraft F ~, das als Vektorprodukt aus dem Ortsvektor ~ ein Drehmoment M r und dem Kraftvek~ in der Form tor F ~ ¼~ ~ M r F ðII-107Þ ~ ist darstellbar ist (~ r ist der Ortsvektor des Angriffspunktes P). Der Betrag von M ~ j ¼ M ¼ j~ ~j sin j jM rj jF ðII-108Þ 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 97 Der Drehmomentvektor liegt in der Drehachse und ist daher so orientiert, dass die drei ~ und M ~ in dieser Reihenfolge ein Rechtssystem bilden. Die physikalische Vektoren ~ r, F ~ ist die einer Drehung um die in Bild II-54 eingezeichnete Drehachse. Wirkung von M ~ längs ihrer Wirkungslinie verschoben werden. Als linienflüchtiger Vektor darf die Kraft F ~ unverändert, wie wir jetzt zeiBei dieser Verschiebung bleibt jedoch das Drehmoment M gen wollen. Ist ~ s der Verschiebungsvektor von P nach Q, so gilt nach Bild II-55 ~ r þ~ s rQ ¼ ~ Unter Verwendung dieser Beziehung und des Distributivgesetzes für Vektorprodukte er~ im neuen Angriffspunkt Q den Formelaushalten wir für das Moment der Kraft F druck ~¼ M ~þ~ ~ ~ ¼ ð~ ~¼~ ~ þ~ ~Q ¼ ~ sF sF rQ F r þ~ sÞ F r F M |fflffl{zfflffl} ~ M ~ sind aber kollinear, ihr Vektorprodukt ~ ~ verschwindet Die Vektoren ~ s und F sF ~¼~ daher: ~ sF 0. Wir erhalten schließlich: ~Q ¼ M ~þ~ ~¼ M ~þ~ ~ M sF 0 ¼ M ðII-109Þ Damit haben wir bewiesen, dass die an einem starren Körper angreifende Kraft einen linienflüchtigen Vektor darstellt. Mit anderen Worten: Das Moment einer Kraft bleibt erhalten, wenn diese längs ihrer Wirkungslinie verschoben wird. 3.4.2.2 Bewegung von Ladungsträgern in einem Magnetfeld (Lorentz-Kraft) Bewegt sich ein geladenes Teilchen mit der Geschwindigkeit ~ v durch ein homogenes ~, so erfährt es eine Kraft Magnetfeld mit der magnetischen Flussdichte B ~Þ ~L ¼ q ð~ vB F ðLorentz-KraftÞ ðII-110Þ (q: Ladung des Teilchens). Die Kraftwirkung erfolgt senkrecht sowohl zur Bewegungsrichtung als auch zur Richtung des Magnetfeldes. Handelt es sich bei den Ladungsträgern um Elektronen (q ¼ e; e: Elementarladung), so ist ~L ¼ e ð~ ~Þ F vB Wir untersuchen jetzt das Verhalten der Elektronen für spezielle Einschusswinkel. (1) Die Elektronen werden in Feldrichtung (oder in der Gegenrichtung) in das Magnet~ sind dann kollinear): feld eingeschossen (die Vektoren ~ v und B ~L ¼ e ð~ ~Þ ¼ ~ F vB 0 |fflfflffl{zfflfflffl} ~ 0 Sie gehen ungehindert, d. h. kräftefrei durch das Feld hindurch, da der Geschwin~ kollineare Vektoren darstellen und digkeitsvektor ~ v und der Flussdichtevektor B ~ verschwindet (Bild II-56). somit das Vektorprodukt ~ vB 98 II Vektoralgebra B B v Bild II-56 Parallel zu einem homogenen Magnetfeld eintretende Elektronen e (2) Bewegen sich die Elektronen senkrecht zum Magnetfeld, so wird die Lorentz-Kraft ~ als Zentripetalkraft und zwingt die Elektronen auf eine Kreisbahn (die Vektoren ~ v, B ~L stehen in diesem Sonderfall paarweise aufeinander senkrecht; Bild II-57). und F B B B FL v e Bild II-57 Senkrecht in ein homogenes Magnetfeld eintretende Elektronen (3) e v Bild II-58 Schraubenlinienförmige Bahn eines Elektrons in einem homogenen Magnetfeld Die Elektronen werden unter einem Winkel a gegen die Feldrichtung eingeschossen ð0 < a < 180 , a 6¼ 90 Þ. Die Geschwindigkeitskomponente in Feldrichtung (oder in der Gegenrichtung) bewirkt eine Translation parallel zu den Feldlinien, während gleichzeitig aufgrund der zum Feld senkrechten Geschwindigkeitskomponente eine Kreisbewegung um die Feldlinien ausgeführt wird. Die Elektronenbahn ist demnach eine Schraubenlinie (Bild II-58). 3.5 Spatprodukt (gemischtes Produkt) In den Anwendungen wird häufig ein weiteres, diesmal aber aus drei Vektoren gebildetes „Produkt“ benötigt, das als Spatprodukt oder auch gemischtes Produkt bezeichnet wird. Es ist wie folgt definiert: Definition: Unter dem Spatprodukt ½ ~ a b~~ c dreier Vektoren ~ a, b~ und ~ c versteht man das skalare Produkt aus dem Vektor ~ a und dem aus den Vektoren b~ und ~ c gebildeten Vektorprodukt b~ ~ c: ½~ a b~~ c ¼ ~ a ðb~ ~ cÞ ðII-111Þ 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 99 Anmerkungen (1) Das Spatprodukt ist eine skalare Größe, also eine reelle Zahl. (2) Das Spatprodukt wird auch als gemischtes Produkt bezeichnet, da bei seiner Bildung beide Multiplikationsarten (skalare und vektorielle Multiplikation) auftreten. Bilden die Vektoren ~ a, b~, ~ c in dieser Reihenfolge ein Rechtssystem (Linkssystem), so ist das aus ihnen gebildete Spatprodukt stets positiv (negativ). (3) Rechenregeln für Spatprodukte (1) Bei einer zyklischen Vertauschung der drei Vektoren ~ a, b~ und ~ c ändert sich das Spatprodukt nicht: ½~ a b~~ c ¼ ½ b~~ c~ a ¼ ½~ c~ a b~ ðII-112Þ (2) Vertauschen zweier Vektoren bewirkt stets einen Vorzeichenwechsel. Zum Beispiel: ½~ a b~~ c ¼ ½~ a~ c b~ ðb~ und ~ c wurden vertauschtÞ ðII-113Þ Geometrische Deutung eines Spatproduktes Die drei Vektoren ~ a, b~ und ~ c spannen ein sog. Parallelepiped (auch Spat genannt) auf 6Þ a b~~ c kommt dabei die geometrische (Bild II-59) . Dem Betrag des Spatproduktes ½ ~ Bedeutung des Spatvolumens zu, wie wir jetzt zeigen werden. b xc cos j ¼ h j~ aj h ¼ j~ a j cos j a f h h f c A = |b x c| Bild II-59 Zum Begriff des Spatproduktes b Die aus der Elementarmathematik bekannte Formel V ¼ A h (Volumen ¼ Grundfläche mal Höhe) führt bei Anwendung auf den in Bild II-59 skizzierten Spat zu dem folgenden Ergebnis ðf ür 0 j 90 Þ: V ¼ A h ¼ j b~ ~ c j j~ a j cos j ¼ j ~ a j j b~ ~ c j cos j 6Þ Spat: Körper, dessen Oberfläche aus sechs Parallelogrammen besteht, von denen je zwei gegenüberliegende kongruent (deckungsgleich) sind (viele Kristalle haben diese Gestalt, z. B. Kalkspat). 100 II Vektoralgebra Für Winkel zwischen 90 und 180 ist cos j durch j cos j j zu ersetzen. Somit gilt: V ¼ j~ a j j b~ ~ c j j cos j j Dies aber ist nichts anderes als der Betrag des Spatproduktes ½ ~ a b~~ c ¼ ~ a ðb~ ~ c Þ, ~ da j der Winkel zwischen den Vektoren ~ a und b ~ c ist: V ¼ j~ a ðb~ ~ c Þ j ¼ j ½~ a b~~ c j ¼ j~ a j j b~ ~ c j j cos j j ðII-114Þ Geometrische Deutung eines Spatproduktes (Bild II-59) Das Volumen eines von drei Vektoren ~ a, b~ und ~ c aufgespannten Spats ist gleich dem Betrag des Spatproduktes ½ ~ a b~~ c : V Spat ¼ j ½ ~ a b~~ c j ¼ j~ a ðb~ ~ c Þj ðII-115Þ Berechnung eines Spatproduktes aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) hnlich wie beim Skalar- und Vektorprodukt lässt sich auch das Spatprodukt aus den skalaren Vektorkomponenten der beteiligten Vektoren berechnen: Berechnung eines Spatproduktes aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) der beteiligten Vektoren Das Spatprodukt oder gemischte Produkt ½ ~ a b~~ c dreier Vektoren ~ a, b~ und ~ c lässt sich aus den skalaren Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) der beteiligten Vektoren wie folgt berechnen: ½~ a b~~ c ¼ ~ a ðb~ ~ cÞ ¼ ¼ a x ðb y c z b z c y Þ þ a y ðb z c x b x c z Þ þ a z ðb x c y b y c x Þ ðII-116Þ Anmerkung Das Spatprodukt ½ ~ a b~~ c lässt sich auch als dreireihige Determinante darstellen: ax ½~ a b~~ c ¼ ~ a ðb~ ~ c Þ ¼ bx cx ay by cy a z bz cz ðII-117Þ 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 101 Komplanare Vektoren Verschwindet das Spatprodukt ~ a ðb~ ~ c Þ der drei vom Nullvektor verschiedenen Vektoren ~ a, b~ und ~ c, so sind die Vektoren ~ a und b~ ~ c zueinander orthogonal und umgekehrt. Dies aber bedeutet, dass der Vektor ~ a in der von b~ und ~ c aufgespannten Ebene liegt. Die drei Vektoren liegen damit in einer gemeinsamen Ebene (sog. komplanare Vektoren, vgl. Bild II-60). b xc c Bild II-60 Komplanare Vektoren ~ a, b~ und ~ c (die drei Vektoren liegen in einer Ebene) a b Wir können damit das folgende Kriterium für komplanare Vektoren formulieren: Kriterium für komplanare Vektoren (Bild II-60) Drei vom Nullvektor verschiedene Vektoren ~ a, b~ und ~ c sind genau dann komplanar (liegen also in einer gemeinsamen Ebene), wenn das aus ihnen gebildete Spatprodukt verschwindet: ½~ a b~~ c ¼ 0 & , ~ a, b~ und ~ c sind komplanar ðII-118Þ 0 1 1 0 0 1 2 0 1 B C C B C ~ B c ¼ @ 5 A gebildete Das aus den Vektoren ~ a ¼ @ 4 A, b ¼ @ 1 A und ~ 13 3 2 Spatprodukt verschwindet: 1 4 2 ½~ a b~~ c ¼ 0 1 3 ¼ 0 2 5 13 Beispiele (1) Die Berechnung der Determinante erfolgt dabei nach der Regel von Sarrus: 1 4 4 2 1 0 1 3 0 1 2 5 5 13 2 ½~ a b~~ c ¼ 13 þ 24 þ 0 ð 4 þ 15 þ 0Þ ¼ 11 11 ¼ 0 Die drei Vektoren sind daher komplanar, d. h. sie liegen in einer gemeinsamen Ebene. 102 (2) II Vektoralgebra Welches Volumen V Spat besitzt der von den drei Vektoren 0 1 2 B C ~ a ¼ @0A, 5 0 1 2 B C B C b~ ¼ @ 5 A und ~ c ¼ @1A 2 2 0 1 1 aufgespannte Spat? Lösung: Wir berechnen zunächst das Spatprodukt 2 ½~ a b~~ c ¼ 1 2 0 5 1 5 2 2 mit Hilfe der Regel von Sarrus: 2 0 0 5 2 5 5 2 1 1 2 2 1 1 2 ½~ a b~~ c ¼ 20 0 5 ð50 4 0Þ ¼ 15 46 ¼ 31 Ergebnis: V Spat ¼ j ½ ~ a b~~ c j ¼ j 31 j ¼ 31 & 3.6 Linear unabhängige Vektoren Räumliche Vektoren haben wir als Linearkombinationen der drei Einheitsvektoren ~ e y und ~ e z in der Form e x, ~ ~ ex þ ay~ ey þ az~ ez a ¼ ax ~ ðII-119Þ dargestellt (sog. Komponentendarstellung, siehe Abschnitt 3.1). Die nicht komplanaren (d. h. nicht in einer Ebene liegenden) Vektoren ~ e x, ~ e y und ~ e z werden in diesem Zusammenhang auch als Basisvektoren bezeichnet. Sie erzeugen den 3-dimensionalen Raum R3 , auch Anschauungsraum genannt. Als Basis können dabei grundsätzlich drei beliebige (von Nullvektor verschiedene) Vektoren ~ e 1, ~ e 2, ~ e 3 dienen, sofern sie wie die Vektoren ~ e x, ~ e y, ~ e z nicht komplanar sind. Dies ist der Fall, wenn das Spatprodukt ½~ e1~ a des Anschauungsraumes ist dann e2~ e 3 nicht verschwindet. Jeder Vektor ~ als Linearkombination dieser Basisvektoren darstellbar: e 2 þ n~ e3 ~ a ¼ l~ e 1 þ m~ ðII-120Þ 3 Vektorrechnung im 3-dimensionalen Raum 103 Die Basisvektoren sind dabei stets linear unabhängig, d. h. die lineare Vektorgleichung e1 þ l2~ e2 þ l3~ e3 ¼ ~ 0 l1~ ðII-121Þ ist nur für l 1 ¼ l 2 ¼ l 3 ¼ 0 erfüllbar 7). Wie in der Ebene lässt sich auch im 3-dimensionalen Raum der Begriff der „Linearen Unabhängigkeit“ auf Systeme von k Vektoren ~ a 1, ~ a 2, . . . , ~ a k übertragen. Diese k Vektoren werden als linear unabhängig bezeichnet, wenn die aus ihnen gebildete lineare Vektorgleichung 0 l1 ~ a1 þ l2 ~ a2 þ . . . þ lk ~ ak ¼ ~ ðII-122Þ nur für verschwindende Koeffizienten erfüllt werden kann ðl 1 ¼ 0, l 2 ¼ 0, . . . , l k ¼ 0Þ. Anderenfalls heißen die k Vektoren linear abhängig (es ist dann mindestens ein Koeffizient von Null verschieden). Im 3-dimensionalen Raum R3 gibt es maximal drei linear unabhängige Vektoren, mehr als drei Vektoren sind dagegen stets linear abhängig. & Beispiele (1) Die drei Einheitsvektoren ~ e x, ~ e y, ~ e z sind linear unabhängig, denn das mit diesen Vektoren gebildete Spatprodukt ist von Null verschieden (wir verwenden die Determinantenschreibweise): 1 ½~ ex ~ ey ~ e z ¼ 0 0 0 1 0 0 0 1 ¼ 1 6¼ 0 (Berechnung nach der Regel von Sarrus). (2) Wir prüfen, ob die drei Kraftvektoren 0 1 1 ~1 ¼ @ 0 A , F 1 0 1 1 ~2 ¼ @ 1 A , F 0 0 1 1 ~3 ¼ @ 1 A F 2 in einer Ebene liegen, also komplanar sind (alle Kraftkomponenten in der Einheit Newton). Dies wäre genau dann der Fall, wenn die Kraftvektoren linear abhängig sind. 7) Die Vektorgleichung führt zu einem homogenen linearen Gleichungssystem, das nur trivial lösbar ist, d. h. nur die Lösung l 1 ¼ l 2 ¼ l 3 ¼ 0 besitzt. 104 II Vektoralgebra 1. Lösungsweg Wir berechnen das Spatprodukt 1 0 ~1 F ~2 F ~3 ¼ 1 1 ½F 1 1 der drei Vektoren: 1 0 ¼ 2 þ 0 1 ð1 þ 0 þ 0Þ ¼ 1 1 ¼ 0 2 Folgerung: Das Spatprodukt verschwindet, die drei Kräfte liegen somit in einer Ebene. 2. Lösungsweg Wir prüfen, für welche Werte der Koeffizienten l 1 , l 2 , l 3 die Vektorgleichung ~1 þ l 2 F ~2 þ l 3 F ~3 ¼ ~ l1 F 0 erfüllt ist. Dies führt zu dem folgenden linearen 1 0 1 0 0 1 1 1 1 C B C B B C l1 @ 0 A þ l2 @ 1 A þ l3 @ 1 A ¼ 1 0 2 Gleichungssystem: 0 1 0 B C @0A 0 Komponentenweise geschrieben: ðIÞ l1 l2 þ l3 ¼ 0 l2 þ l3 ¼ 0 ) l2 ¼ l3 þ 2 l3 ¼ 0 ) l1 ¼ 2 l3 ðIIÞ ðIIIÞ l1 Wir setzen die aus den Gleichungen (II) und (III) gefundenen Ausdrücke l 2 ¼ l 3 und l 1 ¼ 2 l 3 in die erste Gleichung ein: 2 l3 þ l3 þ l3 ¼ 0 ) 0 ¼ 0 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 0 Diese Gleichung ist also unabhängig vom Wert des Koeffizienten l 3 immer erfüllt, d. h. l 3 ist ein frei wählbarer Parameter (wir setzen l 3 ¼ m mit m 2 R). Aus (II) und (III) erhalten wir die übrigen Unbekannten: ðIÞ ) l2 ¼ l3 ¼ m , l1 ¼ 2 l3 ¼ 2 m Die vom reellen Parameter m abhängende Lösung lautet damit: l1 ¼ 2 m , l2 ¼ m , l3 ¼ m ðm 2 RÞ Es gibt also neben der trivialen Lösung l 1 ¼ l 2 ¼ l 3 ¼ 0 ðf ür m ¼ 0Þ noch unendlich viele weitere Lösungen ðf ür m 6¼ 0Þ. Die drei Kraftvektoren sind somit & linear abhängig und liegen daher in einer Ebene. 4 Anwendungen in der Geometrie 105 4 Anwendungen in der Geometrie 4.1 Vektorielle Darstellung einer Geraden 4.1.1 Punkt-Richtungs-Form einer Geraden Eine Gerade g soll durch den Punkt P 1 mit dem Ortsvektor ~ r 1 und parallel zu einem (vorgegebenen) Vektor ~ a (Richtungsvektor genannt) verlaufen (Bild II-61). Wie lautet die Gleichung dieser Geraden in vektorieller Form? P1 r1 a la P r ( l) g Bild II-61 Zur Punkt-Richtungs-Form einer Geraden 0 Bezeichnet man den laufenden Punkt der Geraden mit P, so ist der zugehörige Orts! vektor ~ r ðPÞ die geometrische (vektorielle) Summe aus ~ r 1 und P 1 P : ! ~ r ðPÞ ¼ ~ r1 þ P1 P ðII-123Þ ! Da die Vektoren P 1 P und ~ a kollinear sind (sie liegen beide in der Geraden), gilt ferner ! P1 P ¼ l~ a ðII-124Þ l ist dabei ein geeigneter reeller Parameter, d. h. eine bestimmte reelle Zahl. Für den Ortsvektor ~ r ðPÞ erhält man dann unter Verwendung dieser Beziehung ! ~ r ðPÞ ¼ ~ r1 þ P1 P ¼ ~ r1 þ l~ a ðII-125Þ Die Lage des Punktes P auf der Geraden g ist somit eindeutig durch den Parameter l festgelegt. Wir bringen dies durch die Schreibweise ~ r ðPÞ ¼ ~ r ðlÞ zum Ausdruck. Die gesuchte Geradengleichung lautet damit in der vektoriellen Parameterdarstellung wie folgt: 106 II Vektoralgebra Vektorielle Punkt-Richtungs-Form einer Geraden (Bild II-61) ~ a r ðPÞ ¼ ~ r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ ðII-126Þ oder (in der Komponentenschreibweise) 0 1 0 1 0 1 0 1 x x1 ax x1 þ l ax @ y A ¼ @ y1 A þ l @ ay A ¼ @ y1 þ l ay A z1 az z1 þ l az z ðII-127Þ Dabei bedeuten: x, y, z: Koordinaten des laufenden Punktes P der Geraden x 1, y 1, z 1 : Koordinaten des vorgegebenen Punktes P 1 der Geraden a x , a y , a z : Skalare Vektorkomponenten des Richtungsvektors ~ a der Geraden l: Reeller Parameter ðl 2 RÞ Für l ¼ 0 erhält man den Punkt P 1 , für l > 0 werden alle Punkte in Richtung des Richtungsvektors ~ a durchlaufen, für l < 0 alle Punkte in der Gegenrichtung (jeweils vom Punkte P 1 aus betrachtet). & Beispiel Wir bestimmen die Gleichung der Geraden g, die durch den Punkt P 1 ¼ ð 3; 2; 1Þ 0 1 5 B C in Richtung des Vektors ~ a ¼ @ 2 A verläuft: 3 0 0 1 0 1 5 3 þ 5l B C B C B C ~ r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ a ¼ @2A þ l@2A ¼ @2 þ 2lA 1 3 1 þ 3l 3 1 ðl 2 RÞ So gehört beispielsweise zum Parameterwert l ¼ 3 der folgende Punkt Q: 0 1 0 1 18 3þ53 B C B C ~ r ðQÞ ¼ ~ r ðl ¼ 3Þ ¼ @ 2 þ 2 3 A ¼ @ 4 A ) Q ¼ ð18; 4; 10Þ 10 1þ33 Zum Parameter l ¼ 1 gehört der Punkt R mit den folgenden Koordinaten: 1 0 1 0 2 35 C B C B ~ r ðRÞ ¼ ~ r ðl ¼ 1Þ ¼ @ 2 2 A ¼ @ 4 A ) R ¼ ð 2; 4; 2Þ 2 13 & 4 Anwendungen in der Geometrie 107 4.1.2 Zwei-Punkte-Form einer Geraden Eine Gerade g soll durch die beiden (voneinander verschiedenen) Punkte P 1 und P 2 mit den Ortsvektoren ~ r 1 und ~ r 2 verlaufen (Bild II-62). r1 P1 r2 – r1 P2 r2 l (r 2 – r 1 ) P r ( l) g Bild II-62 Zur Zwei-Punkte-Form einer Geraden 0 Die vektorielle Gleichung dieser Geraden erhalten wir durch analoge berlegungen wie im vorangegangenen Abschnitt 4.1.1. Der Ortsvektor des laufenden Punktes P der Geraden g ist wiederum als Summenvektor in der Form ! ~ r ðPÞ ¼ ~ r1 þ P1 P ðII-128Þ ! ! r2 ~ r 1 kollinear sind, gilt darstellbar. Da die Vektoren P 1 P und P 1 P 2 ¼ ~ ! ! P 1 P ¼ l P 1 P 2 ¼ l ð~ r2 ~ r 1Þ ðII-129Þ und somit ! ! ~ r 1 þ l ð~ r ðPÞ ¼ ~ r1 þ P1 P ¼ ~ r1 þ l P1 P2 ¼ ~ r2 ~ r 1Þ ðII-130Þ Dies ist die Parameterdarstellung einer Geraden durch zwei vorgegebene Punkte P 1 ! r2 ~ und P 2 in vektorieller Form, wobei der Vektor P 1 P 2 ¼ ~ r 1 als Richtungsvektor angesehen werden kann. Für ~ r ðPÞ schreiben wir wieder ~ r ðlÞ, um die Abhängigkeit vom Parameter l zum Ausdruck zu bringen. Zusammenfassend gilt somit: Vektorielle Zwei-Punkte-Form einer Geraden (Bild II-62) ! ~ r ðPÞ ¼ ~ r 1 ðlÞ ¼ ~ r 1 þ l ð~ r1 þ l P1 P2 ¼ ~ r2 ~ r 1Þ oder (in der Komponentenschreibweise) 0 1 0 1 0 1 0 1 x x1 x2 x1 x 1 þ l ðx 2 x 1 Þ B C B C B C B C @ y A ¼ @ y 1 A þ l @ y 2 y 1 A ¼ @ y 1 þ l ðy 2 y 1 Þ A z1 z2 z1 z z 1 þ l ðz 2 z 1 Þ ðII-131Þ ðII-132Þ 108 II Vektoralgebra Dabei bedeuten: & x, y, z: x 1, y 1, z 1 x 2, y 2, z 2 Koordinaten des laufenden Punktes P der Geraden l: Reeller Parameter ðl 2 RÞ Koordinaten der vorgegebenen Punkte P 1 und P 2 der Geraden Beispiel Wie lautet die Gleichung der Geraden g durch die beiden Punkte P 1 ¼ ð1; 1; 1Þ und P 2 ¼ ð2; 0; 4Þ? Lösung: 1 0 1 0 0 1 1þl 21 1 C B C B B C ~ r2 ~ r 1Þ ¼ @ 1 A þ l @ 0 1 A ¼ @ 1 l A r ðlÞ ¼ ~ r 1 þ l ð~ 1 þ 3l 41 1 ðl 2 RÞ Zum Parameterwert l ¼ 2 beispielsweise gehört demnach der folgende Punkt Q: 0 1 0 1 1þ2 3 A ¼ @ 1 A ) Q ¼ ð3; 1; 7Þ ~ r ðQÞ ¼ ~ r ðl ¼ 2Þ ¼ @ 1 2 1þ32 7 & 4.1.3 Abstand eines Punktes von einer Geraden Gegeben ist eine Gerade g in der vektoriellen Punkt-Richtungs-Form ~ a r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ ðII-133Þ und ein Punkt Q mit dem Ortsvektor ~ rQ (Bild II-63). Wir stellen uns die Aufgabe, den (senkrechten) Abstand d dieses Punktes von der Geraden g zu bestimmen. r1 P1 P1 Q a Q rQ d P2 P1 P2 r2 0 g Bild II-63 Zur Berechnung des Abstandes eines Punktes von einer Geraden 4 Anwendungen in der Geometrie 109 ! Dazu wählen wir auf der Geraden einen weiteren Punkt P 2 im Abstand j P 1 P 2 j ¼ 1 ! vom Punkte P 1 . Der Vektor P 1 P 2 ist somit der Einheitsvektor in Richtung des Vektors ~ a: ~ a ! ea ¼ P1 P2 ¼ ~ j~ aj ðII-134Þ ! rQ ~ r 1 das in Bild II-63 Dieser Vektor bildet zusammen mit dem Vektor P 1 Q ¼ ~ grau unterlegte Parallelogramm, dessen Höhe der gesuchte Abstand d des Punktes Q von der Geraden g ist. Für den Flächeninhalt A dieses Parallelogramms gilt dann einerseits ! A ¼ ðGrundlinieÞ ðHöheÞ ¼ j P 1 P 2 j d ¼ 1 d ¼ d ðII-135Þ andererseits ~ ! j~ a ð~ rQ ~ r 1 Þj a ! r 1 Þ ¼ A ¼ j P 1 P 2 P 1 Q j ¼ ð~ rQ ~ j~ aj j~ aj ðII-136Þ Durch Gleichsetzen erhält man schließlich die gewünschte Abstandsformel: d ¼ j~ a ð~ rQ ~ r 1 Þj j~ aj ðII-137Þ Wir halten fest: Abstand eines Punktes von einer Geraden (II-63) Der Abstand eines Punktes Q mit dem Ortsvektor ~ r Q von einer Geraden g mit der Gleichung ~ r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ a lässt sich wie folgt berechnen: d ¼ j~ a ð~ rQ ~ r 1 Þj j~ aj ðII-138Þ Anmerkung Ist d ¼ 0, so liegt der Punkt Q auf der Geraden. & Beispiel Die Gleichung einer Geraden g laute: 0 1 0 1 1 2 ~ a ¼ @0A þ l@5A r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ 1 2 ðl 2 RÞ 110 II Vektoralgebra Wir berechnen den Abstand d des Punktes Q ¼ ð5; 3; 2Þ von dieser Geraden: 1 0 0 1 0 1 0 1 4 2 51 2 C B B C B C B C ~ r 1Þ ¼ @ 5 A @ 3 0 A ¼ @ 5 A @ 3 A ¼ a ð~ rQ ~ 3 2 2 1 2 1 0 1 0 21 15 6 C B C B ¼ @ 8 þ 6 A ¼ @ 14 A 14 6 20 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffi j~ a ð~ rQ ~ r 1 Þj ¼ ð 21Þ 2 þ 14 2 þ ð 14Þ 2 ¼ 833 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi j~ aj ¼ 2 2 þ 5 2 þ 2 2 ¼ 33 pffiffiffiffiffiffiffiffiffi 833 j~ a ð~ rQ ~ r 1 Þj ¼ pffiffiffiffiffiffiffi ¼ 5,02 d ¼ j~ aj 33 & 4.1.4 Abstand zweier paralleler Geraden Zwei Geraden g 1 und g 2 können folgende Lagen zueinander haben: g 1 und g 1 und g 1 und g 1 und Schnitt g2 g2 g2 g2 fallen zusammen sind zueinander parallel schneiden sich in genau einem Punkt sind windschief, d. h. sie verlaufen weder parallel noch kommen sie zum In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit dem (senkrechten) Abstand d zweier paralleler Geraden g 1 und g 2 mit den Gleichungen ~ r1 þ l1 ~ a1 r ðl 1 Þ ¼ ~ und ~ r ðl 2 Þ ¼ ~ r2 þ l2 ~ a2 ðII-139Þ (l 1 , l 2 2 R; Bild II-64). Diese Geraden sind genau dann parallel, wenn ihre Richa 2 kollinear sind, d. h. ~ a1 ~ a2 ¼ ~ 0 ist. tungsvektoren ~ a 1 und ~ P2 r2 P1 r1 a1 a2 d g2 Bild II-64 Zur Berechnung des Abstandes zweier paralleler Geraden 0 g1 4 Anwendungen in der Geometrie 111 Wir betrachten den auf der Geraden g 2 gelegenen Punkt P 2 mit dem Ortsvektor ~ r 2. Sein senkrechter Abstand von der Geraden g 1 beträgt dann nach Formel (II-138): d ¼ j~ a 1 ð~ r2 ~ r 1 Þj j~ a1 j ðII-140Þ rQ ¼ ~ r 2 ). Dieser Abstand ist zugleich der gesuchte (Punkt Q ¼ Punkt P 2 und somit ~ Abstand der beiden parallelen Geraden. Wir fassen wie folgt zusammen: Abstand zweier paralleler Geraden (Bild II-64) Der Abstand zweier paralleler Geraden g 1 und g 2 mit den Gleichungen ~ r ðl 1 Þ ¼ ~ r1 þ l1 ~ a1 und ~ r ðl 2 Þ ¼ ~ r2 þ l2 ~ a2 ðII-141Þ lässt sich wie folgt berechnen: d ¼ j~ a 1 ð~ r2 ~ r 1 Þj j~ a1 j ðII-142Þ Anmerkungen & (1) a1 ~ a2 ¼ ~ 0 ist. Die Geraden g 1 und g 2 sind genau dann parallel, wenn ~ (2) Ist d ¼ 0, so fallen die beiden Geraden zusammen. Beispiel Die Geraden 0 1 0 1 1 1 B C B C g1 : ~ r ðl 1 Þ ¼ ~ r1 þ l1 ~ a1 ¼ @ 1 A þ l1 @ 1 A 1 4 ðl 1 2 RÞ 0 1 0 1 3 4 B C B C g2 : ~ r ðl 2 Þ ¼ ~ r2 þ l2 ~ a2 ¼ @ 0 A þ l2 @ 3 A 3 3 ðl 2 2 RÞ und a 2 kollineare Vektoren darstellen: sind parallel, da ihre Richtungsvektoren ~ a 1 und ~ ~ a2 ¼ 3~ a 1 . Wir berechnen jetzt den Abstand dieser Geraden: 112 II Vektoralgebra 0 1 0 1 0 1 0 1 1 41 1 3 B C B C B C B C ~ r2 ~ r 1Þ ¼ @ 1 A @ 0 1 A ¼ @ 1 A @ 1 A ¼ a 1 ð~ 1 34 1 1 1 0 C B C B ¼ @ 3 þ 1A ¼ @ 4A 1 3 4 0 j~ a 1 ð~ r2 ~ r 1Þ j ¼ j~ a1 j ¼ d ¼ 1 þ 1 1 0 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 0 2 þ 4 2 þ ð 4Þ 2 ¼ 32 ¼ 4 2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 12 þ 12 þ 12 ¼ 3 pffiffiffiffiffi j~ a 1 ð~ r2 ~ r 1 Þj 4 2 ¼ pffiffiffiffiffi ¼ 3,27 j~ aj 3 & 4.1.5 Abstand zweier windschiefer Geraden Wir gehen von zwei windschiefen Geraden g 1 und g 2 mit den Gleichungen ~ r1 þ l1 ~ r ðl 1 Þ ¼ ~ a1 ~ r ðl 2 Þ ¼ ~ r2 þ l2 ~ a2 und ðl 1 , l 2 2 RÞ ðII-143Þ aus (die Geraden verlaufen somit weder parallel noch kommen sie zum Schnitt, siehe Bild II-65). Ihren Abstand d bestimmen wir wie folgt: P2 a2 S2 g2 r2 E2 g 1* d g1 S1 P1 r1 0 a1 g 2* E1 Bild II-65 Zur Berechnung des Abstandes zweier windschiefer Geraden 4 Anwendungen in der Geometrie 113 Zunächst wird die Gerade g 2 so parallelverschoben, dass sie mit der Geraden g 1 zum Schnitt kommt (Schnittpunkt S 1 ). Die durch Parallelverschiebung erhaltene Gerade bezeichnen wir mit g *2 , sie bildet zusammen mit der Geraden g 1 die (untere) Ebene E 1 in Bild II-65. Jetzt verschieben wir die Gerade g 1 parallel zu sich selbst nach „oben“, bis sie die Gerade g 2 in S 2 schneidet. Die durch Parallelverschiebung gewonnene Gerade bezeichnen wir mit g *1 . Die Geraden g 2 und g *1 bilden die (obere) Ebene E 2 in Bild II-65, die parallel zur Ebene E 1 verläuft. Der Abstand dieser Parallelebenen ist zugleich der gesuchte Abstand d der beiden windschiefen Geraden g 1 und g 2 . Auf die Herleitung der Abstandsformel wollen wir verzichten und teilen nur das Ergenis mit: Abstand zweier windschiefer Geraden (Bild II-65) Der Abstand zweier windschiefer Geraden g 1 und g 2 mit den Gleichungen ~ r ðl 1 Þ ¼ ~ r1 þ l1 ~ a1 und ~ r ðl 2 Þ ¼ ~ r2 þ l2 ~ a2 ðII-144Þ lässt sich wie folgt berechnen: d ¼ j ½~ a1 ~ r2 ~ r 1Þ j a 2 ð~ j~ a1 ~ a2 j ðII-145Þ Anmerkung Die Geraden g 1 und g 2 sind genau dann windschief, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: ~ a 2 6¼ ~ 0 a1 ~ & und ½~ a1 ~ r2 ~ r 1 Þ 6¼ 0 a 2 ð~ ðII-146Þ Beispiel Gegeben sind zwei Geraden g 1 und g 2 : g1 g2 0 1 1 B C durch P 1 ¼ ð1; 2; 0Þ mit dem Richtungsvektor ~ a1 ¼ @ 1 A 1 0 1 2 B C durch P 2 ¼ ð3; 0; 2Þ mit dem Richtungsvektor ~ a2 ¼ @ 0 A 1 Wir zeigen zunächst, dass es sich um windschiefe Geraden handelt und berechnen anschließend ihren Abstand. 114 II Vektoralgebra 1 ½~ a1 ~ r2 ~ r 1Þ ¼ 2 a 2 ð~ ð3 1Þ 0 1 0 1 2 1 B C B C ~ a1 ~ a2 ¼ @ 1 A @ 0 A ¼ 1 1 1 1 0 1 ¼ ð0 2Þ ð2 0Þ 1 0 1 0 1 10 C B C B @2 1A ¼ @ 1A 2 02 1 2 2 1 0 2 1 1 2 ¼ 4 Somit gilt: ~ a1 ~ a 2 6¼ ~ 0 ½~ a1 ~ a 2 ð~ r2 ~ r 1 Þ 6¼ 0 und Die Geraden g 1 und g 2 sind also nach dem Kriterium (II-146) windschief. Mit qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi j~ a1 ~ a2 j ¼ 1 2 þ 1 2 þ ð 2Þ 2 ¼ 6 folgt für ihren Abstand nach Formel (II-145): d ¼ j ½~ a1 ~ r2 ~ r 1Þ j j 4j 4 a 2 ð~ ¼ pffiffiffiffiffi ¼ pffiffiffiffiffi ¼ 1,63 j~ a1 ~ a2 j 6 6 & 4.1.6 Schnittpunkt und Schnittwinkel zweier Geraden Berechnung des Schnittpunktes (Bild II-66) Den Schnittpunkt S zweier Geraden g 1 und g 2 mit den Gleichungen ~ r1 þ l1 ~ r ðl 1 Þ ¼ ~ a1 und ~ r ðl 2 Þ ¼ ~ r2 þ l2 ~ a2 ðl 1 , l 2 2 RÞ ðII-147Þ bestimmt man aus der Vektorgleichung ~ r2 þ l2 ~ a1 ¼ ~ a2 r1 þ l1 ~ ðII-148Þ r ðl 2 Þ erhält 8). die man durch Gleichsetzen der Vektoren ~ r ðl 1 Þ und ~ Diese Vektorgleichung führt komponentenweise geschrieben zu einem linearen Gleichungssystem mit drei Gleichungen in den beiden Unbekannten l 1 und l 2 . Die (eindeutige) Lösung dieses Systems liefert die zum Schnittpunkt S gehörigen Parameterwerte l *1 , l *2 . Den Ortsvektor ~ r S des Schnittpunktes S erhält man dann durch Einsetzen dieser Werte in die Gleichung der Geraden g 1 bzw. g 2 : ~ rS ¼ ~ r 1 þ l*1 ~ a1 8) bzw: ~ rS ¼ ~ r 2 þ l*2 ~ a2 ðII-149Þ Die beiden Geraden schneiden sich genau dann in einem Punkt S, wenn die Bedingungen ~ a1 ~ a 2 6¼ ~ 0 und ½ ~ a1 ~ r2 ~ r 1 Þ ¼ 0 erfüllt sind (siehe hierzu Bild II-66). Die Vektoren ~ a 1, ~ a 2 und ~ r2 ~ r1 a 2 ð~ müssen also komplanar sein, d. h. in einer gemeinsamen Ebene liegen. 4 Anwendungen in der Geometrie 115 g2 a2 P2 r2 a2 S P1 f r1 a1 a1 g1 0 Bild II-66 Zur Berechnung des Schnittpunktes und Schnittwinkels zweier Geraden Berechnung des Schnittwinkels (Bild II-66) Definitionsgemäß verstehen wir unter dem Schnittwinkel j zweier Geraden g 1 und g 2 den Winkel zwischen den zugehörigen Richtungsvektoren ~ a 1 und ~ a 2 (Bild II-66). Für den Schnittwinkel erhalten wir nach Gleichung (II-74): Schnittwinkel zweier Geraden (Bild II-66) a1 Der Schnittwinkel j zweier Geraden g 1 und g 2 mit den Richtungsvektoren ~ und ~ a 2 lässt sich wie folgt berechnen: ~ a2 a1 ~ j ¼ arccos ðII-150Þ j~ a1 j j~ a2 j & Beispiel Gegeben sind die Geraden g1 : 0 1 0 1 1 2 B C B C ~ r ðl 1 Þ ¼ ~ r1 þ l1 ~ a1 ¼ @ 1 A þ l1 @ 1 A 0 1 g2 : 0 1 0 1 1 2 B C B C ~ r ðl 2 Þ ¼ ~ r2 þ l2 ~ a2 ¼ @ 0 A þ l2 @ 1 A 2 2 und ðl 1 2 RÞ ðl 2 2 RÞ In welchem Punkt S schneiden sich die Geraden, welcher Winkel j wird von ihnen eingeschlossen? 116 II Vektoralgebra Lösung: Wir zeigen zunächst, dass die beiden Richtungsvektoren ~ a 1 und ~ a 2 nicht-kollinear sind: 0 1 0 1 0 1 0 1 1 2þ1 3 2 B C B C B C B C ~ 0 a 2 ¼ @ 1 A @ 1 A ¼ @ 1 4 A ¼ @ 3 A 6¼ ~ a1 ~ 2 2 1 3 1 Sie liegen mit dem Verbindungsvektor ~ r2 ~ r 1 in einer Ebene (komplanare Vektoren), da das Spatprodukt dieser Vektoren verschwindet: 2 2 1 1 1 ð2 1Þ ½~ a1 ~ r2 ~ r 1 Þ ¼ 1 1 ð0 1Þ ¼ 1 1 1 ¼ a 2 ð~ 1 1 2 2 2 ð2 0Þ ¼ 4 1 þ 2 þ 1 þ 4 2 ¼ 0 Die Geraden g 1 und g 2 schneiden sich also in einem Punkt. Wir berechnen jetzt ihren Schnittpunkt S und ihren Schnittwinkel j. Berechnung des Schnittpunktes S Aus der Bedingung ~ r ðl 1 Þ ¼ ~ r ðl 2 Þ folgt die Vektorgleichung 0 1 1 0 1 0 0 1 2 2 1 1 B C C B C B B C @ 1 A þ l 1@ 1 A ¼ @ 0 A þ l 2@ 1 A 2 1 2 0 In der Komponentenschreibweise erhalten wir 1 þ 2 l1 ¼ 2 þ l2 1þ l1 ¼ 0 l2 0þ l1 ¼ 2 þ 2 l2 2 l1 oder l1 þ l2 ¼ 1 l2 ¼ 1 l1 2 l2 ¼ 2 Dieses lineare Gleichungssystem besitzt genau eine Lösung (bitte nachrechnen!): r S des gesuchten Schnittpunktes S lautet damit: l 1 ¼ 0, l 2 ¼ 1. Der Ortsvektor ~ 0 1 0 1 0 1 1 2 1 B C B C B C ~ r ðl 1 ¼ 0Þ ¼ @ 1 A þ 0 @ 1 A ¼ @ 1 A ) S ¼ ð1; 1; 0Þ rS ¼ ~ 0 1 0 Zum gleichen Ergebnis kommt man, wenn man in die Gleichung der Geraden g 2 für den Parameter l 2 den Wert 1 einsetzt: 0 1 0 1 0 1 0 1 2 1 21 1 B C B C B C B C ~ r ðl 2 ¼ 1Þ ¼ @ 0 A 1 @ 1 A ¼ @ 0 þ 1 A ¼ @ 1 A rS ¼ ~ 2 2 22 0 4 Anwendungen in der Geometrie 117 Berechnung des Schnittwinkels j (nach Formel (II-150)) 1 0 1 0 1 2 C B C B ~ a2 ¼ @ 1 A @ 1 A ¼ 2 1 þ 2 ¼ 3 a1 ~ 2 1 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi j~ a1 j ¼ 22 þ 12 þ 12 ¼ 6 , 1 2 þ ð 1Þ 2 þ 2 2 ¼ 6 j~ a2 j ¼ ~ a2 3 1 a1 ~ j ¼ arccos ¼ 60 ¼ arccos pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi ¼ arccos 2 j~ a1 j j~ a2 j 6 6 & 4.2 Vektorielle Darstellung einer Ebene 4.2.1 Punkt-Richtungs-Form einer Ebene Eine Ebene E soll durch den Punkt P 1 mit dem Ortsvektor ~ r 1 und parallel zu zwei nicht-kollinearen Vektoren ~ a und b~ (Richtungsvektoren genannt) verlaufen (Bild II-67) 9). Wie lautet die Gleichung dieser Ebene in vektorieller Form? P mb P 1P r (l;m) b E P1 a la Bild II-67 Zur Punkt-Richtungs-Form einer Ebene r1 0 Bezeichnet man den laufenden Punkt der Ebene mit P, so ist der in der Ebene liegende ! a und m b~: Vektor P 1 P die vektorielle Summe aus l ~ ! P1 P ¼ l~ a þ m b~ ðII-151Þ l und m sind dabei zwei voneinander unabhängige reelle Parameter. Der Ortsvektor von P ist dann als Summenvektor ! ~ r1 þ l~ a þ m b~ ðII-152Þ r ðPÞ ¼ ~ r1 þ P1 P ¼ ~ darstellbar. Die Lage des laufenden Punktes P auf der Ebene ist somit eindeutig durch die Parameter l und m festgelegt. Wir bringen dies durch die Schreibweise ~ r ðPÞ ¼ ~ r ðl; mÞ zum Ausdruck. 9) Wir erinnern: Zwei Vektoren ~ a und b~ sind nicht-kollinear, wenn ~ a b 6¼ ~ 0 ist. 118 II Vektoralgebra Die Gleichung der Ebene E lautet damit in der vektoriellen Parameterform wie folgt: Vektorielle Punkt-Richtungs-Form einer Ebene (Bild II-67) ~ a þ m b~ r ðPÞ ¼ ~ r ðl; mÞ ¼ ~ r1 þ l~ ðII-153Þ oder (in der Komponentenschreibweise) 1 0 1 0 1 0 1 0 0 1 ax bx x1 þ l ax þ m bx x1 x C B C B C B C B B C @ y A ¼ @ y1 A þ l @ ay A þ m @ by A ¼ @ y1 þ l ay þ m by A z1 az bz z1 þ l az þ m bz z ðII-154Þ Dabei bedeuten: x, y, z: x 1, y 1, z 1 : a x , a y, a z b x , b y, b z Koordinaten des laufenden Punktes P der Ebene Koordinaten des vorgegebenen Punktes P 1 der Ebene Skalare Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) der nicht-kollinearen Richtungsvektoren ~ a und b~ der Ebene ð~ a b~ 6¼ ~ 0Þ l, m: Voneinander unabhängige reelle Parameter ðl, m 2 RÞ Anmerkung Ein auf der Ebene E senkrecht stehender Vektor ~ n heißt Normalenvektor der Ebene. Einen solchen Vektor erhält man beispielsweise aus den beiden Richtungsvektoren ~ a und b~ durch Bildung des Vektorproduktes: ~ n ¼ ~ a b~ & ðII-155Þ Beispiel Die Ebene E verläuft 0 1 2 B C ~ a ¼ @ 5 A und b~ ¼ 1 terform wie folgt: durch den Punkt P 1 ¼ ð3; 5; 1Þ, ihre Richtungsvektoren sind 0 1 5 B C @ 1 A. Die Gleichung dieser Ebene lautet dann in der Parame3 0 1 0 1 0 1 2 3 5 C B C B ~ a þ m b~ ¼ @ 5 A þ l @ 5 A þ m @ 1 A ¼ r ðl; mÞ ¼ ~ r1 þ l~ 3 1 1 0 1 0 1 0 1 0 1 3 2l 5m 3 þ 2l þ 5m B C B C B C B C ¼ @5A þ @5lA þ @ mA ¼ @5 þ 5l þ mA 1 l 3m 1þ l þ 3m ðl, m 2 RÞ 4 Anwendungen in der Geometrie 119 So gehört z. B. zu dem Parameterpaar l ¼ 0 3þ2 B ~ r ðQÞ ¼ ~ r ðl ¼ 1; m ¼ 2Þ ¼ B @5 þ 5 1þ1 1, m ¼ 2 der folgende Punkt Q: 0 1 1 1þ52 15 B C C C ¼ B 12 C ) 1þ2 @ A A 8 þ32 Q ¼ ð15; 12; 8Þ Der Vektor 1 0 1 0 1 0 1 0 14 2 5 15 1 C B C B C B C B ~ n ¼~ a b~ ¼ @ 5 A @ 1 A ¼ @ 5 6 A ¼ @ 1 A 23 1 3 2 25 steht dabei senkrecht auf der Ebene E (Normalenvektor). & 4.2.2 Drei-Punkte-Form einer Ebene Eine Ebene E soll durch drei (voneinander verschiedene und nicht in einer gemeinsamen Geraden liegende) Punkte P 1 , P 2 und P 3 mit den Ortsvektoren ~ r 1, ~ r 2 und ~ r3 verlaufen (Bild II-68). P3 r3 – r1 r3 P r (l;m) P1 E P2 r2 – r1 r1 Bild II-68 Zur Drei-Punkte-Form einer Ebene r2 0 Die vektorielle Gleichung dieser Ebene erhalten wir durch analoge berlegungen wie im vorangegangenen Abschnitt 4.2.1. Der Ortsvektor des laufenden Punktes P der Ebene ist der Summenvektor ! ! ~ r ðPÞ ¼ ~ r1 þ l P1 P2 þ m P1 P3 ðII-156Þ 120 II Vektoralgebra Ferner ist ! r2 ~ r1 P1 P2 ¼ ~ und ! r3 ~ P1 P3 ¼ ~ r1 ðII-157Þ und somit ~ r2 ~ r 1 Þ þ m ð~ r3 ~ r 1Þ r ðPÞ ¼ ~ r 1 þ l ð~ ðl, m 2 RÞ ðII-158Þ Dies ist die Parameterdarstellung einer Ebene durch drei vorgegebene Punkte P 1 , P 2 und P 3 in vektorieller Form. Für ~ r ðPÞ schreiben wir wieder ~ r ðl; mÞ, um zum Ausdruck zu bringen, dass der laufende Punkt P der Ebene durch die beiden Parameterwerte eindeutig festgelegt ist. Wir fassen zusammen: Vektorielle Drei-Punkte-Form einer Ebene (Bild II-68) ! ! ~ r ðPÞ ¼ ~ r ðl; mÞ ¼ ~ r1 þ l P1 P2 þ m P1 P3 ¼ r2 ~ r 1 Þ þ m ð~ r3 ~ r 1Þ ¼~ r 1 þ l ð~ oder (in der Komponentenschreibweise) 0 1 0 1 0 1 0 1 x1 x2 x1 x3 x1 x B C B C B C B C @ y A ¼ @ y1 A þ l @ y2 y1 A þ m @ y3 y1 A ¼ z z1 z2 z1 z3 z1 0 1 x 1 þ l ðx 2 x 1 Þ þ m ðx 3 x 1 Þ B C ¼ @ y 1 þ l ðy 2 y 1 Þ þ m ðy 3 y 1 Þ A z 1 þ l ðz 2 z 1 Þ þ m ðz 3 z 1 Þ ðII-159Þ ðII-160Þ Dabei bedeuten: x, y, z: Koordinaten des laufenden Punktes P der Ebene 9 x 1, y 1, z 1 > = Koordinaten der vorgegebenen Punkte P 1 , P 2 und P 3 der Ebene x 2, y 2, z 2 > ; x 3, y 3, z 3 l, m: Voneinander unabhängige reelle Parameter ðl, m 2 RÞ Anmerkungen (1) Die Punkte P 1 , P 2 , P 3 dürfen nicht in einer gemeinsamen Geraden liegen, d. h. es muss die folgende Bedingung erfüllt sein: ð~ r2 ~ r 1 Þ ð~ r3 ~ r 1 Þ 6¼ ~ 0 ðII-161Þ 4 Anwendungen in der Geometrie (2) 121 ! ! r2 ~ r3 ~ Die nicht-kollinearen Vektoren P 1 P 2 ¼ ~ r 1 und P 1 P 3 ¼ ~ r 1 können als Richtungsvektoren der Ebene aufgefasst werden. Der Normalenvektor ~ n der Ebene ist dann wie folgt als Vektorprodukt darstellbar: ! ! ~ n ¼ P 1 P 2 P 1 P 3 ¼ ð~ r2 ~ r 1 Þ ð~ r3 ~ r 1Þ & ðII-162Þ Beispiel Gegeben sind drei Punkte P 1 ¼ ð1; 5; 0Þ, P 2 ¼ ð 2; 1; 8Þ und P 3 ¼ ð2; 0; 1Þ. Wie lautet die Gleichung der Ebene durch diese Punkte? Lösung: Die Ortsvektoren der drei Punkte lauten: 0 1 0 1 1 2 B C B C ~ ~ r2 ¼ @ 1 A und r1 ¼ @ 5 A , 0 8 0 1 2 B C ~ r3 ¼ @ 0 A 1 Damit erhalten wir die folgenden Richtungsvektoren: 0 1 0 1 0 1 3 1 2 ! B C B C B C P1 P2 ¼ ~ r1 ¼ @ 1 A @ 5 A ¼ @ 6 A r2 ~ 8 0 8 0 1 0 1 0 1 2 1 1 ! B C B C B C P1 P3 ¼ ~ r3 ~ r1 ¼ @ 0 A @ 5 A ¼ @ 5 A 1 0 1 Sie sind nicht-kollinear: 0 3 1 0 1 1 0 6 þ 40 1 0 34 1 B C C B C B B C 0 ð~ r2 ~ r 1 Þ ð~ r3 ~ r 1 Þ ¼ @ 6 A @ 5 A ¼ @ 8 þ 3 A ¼ @ 11 A 6¼ ~ 21 15 þ 6 1 8 Die Gleichung der Ebene lautet damit in der vektoriellen Parameterform wie folgt: ~ r ðl; mÞ ¼ ~ r 1 þ l ð~ r2 ~ r 1 Þ þ m ð~ r3 ~ r 1Þ ¼ 0 1 0 1 0 1 0 1 1 3 1 1 3l þ m B C B C B C B C ¼ @ 5 A þ l @ 6 A þ m @ 5 A ¼ @ 5 6 l 5 m A ðl, m 2 RÞ 0 8 1 8l þ m & 122 II Vektoralgebra 4.2.3 Gleichung einer Ebene senkrecht zu einem Vektor Eine Ebene E soll den Punkt P 1 mit dem Ortsvektor ~ r 1 enthalten und senkrecht zu einem Vektor ~ n (Normalenvektor genannt) verlaufen (Bild II-69). Ist ~ r der Ortsvektor ! r ~ r 1 in der Ebene des laufenden Punktes P der Ebene, so liegt der Vektor P 1 P ¼ ~ und steht somit senkrecht auf dem Normalenvektor ~ n . Dies aber bedeutet, dass das skalare Produkt der Vektoren ~ n und ~ r ~ r 1 verschwindet (orthogonale Vektoren). Die Gleichung der Ebene lautet daher: ~ n ð~ r ~ r 1Þ ¼ 0 ~ n~ r ¼ ~ n~ r1 oder ðII-163Þ n r – r1 P1 r1 P E r Bild II-69 Ebene senkrecht zu einem Normalenvektor 0 Wir fassen zusammen: Gleichung einer Ebene senkrecht zu einem Vektor (Bild II-69) ~ n ð~ r ~ r 1Þ ¼ 0 ðII-164Þ oder (ausgeschrieben) n x ðx x 1 Þ þ n y ðy y 1 Þ þ n z ðz z 1 Þ ¼ 0 ðII-165Þ Dabei bedeuten: x, y, z: Koordinaten des laufenden Punktes P der Ebene x 1, y 1, z 1 : Koordinaten des vorgegebenen Punktes P 1 der Ebene n x, n y, n z : Skalare Vektorkomponenten (Vektorkoordinaten) des Normalenvektors ~ n (steht senkrecht auf der Ebene E) Anmerkung Gleichung (II-164) bzw. (II-165) wird auch als Koordinatendarstellung der Ebene bezeichnet. Ihre allgemeine Form lautet: ax þ by þ cz þ d ¼ 0 ða, b, c, d : Reelle KonstantenÞ ðII-166Þ 4 Anwendungen in der Geometrie & 123 Beispiel Die Gleichung der Ebene E durch den Punkt P 1 ¼ ð2; 5; 3Þ senkrecht zum Vektor 0 1 4 B C ~ n ¼ @ 2 A (Normalenvektor) lautet wie folgt: 5 1 0 1 0 x 2 4 C B C B ~ n ð~ r ~ r 1 Þ ¼ @ 2 A @ y þ 5 A ¼ 4 ðx 2Þ þ 2 ðy þ 5Þ þ 5 ðz 3Þ ¼ 0 z3 5 4 x 8 þ 2 y þ 10 þ 5 z 15 ¼ 0 ) 4 x þ 2 y þ 5 z 13 ¼ 0 & 4.2.4 Abstand eines Punktes von einer Ebene Gegeben ist eine Ebene E mit der Gleichung ~ n ð~ r ~ r 1 Þ ¼ 0 und ein Punkt Q mit dem Ortsvektor ~ r Q (Bild II-70). Welchen (senkrechten) Abstand d besitzt dieser Punkt von der Ebene E? Q ′′ b Q P1 Q rQ d n E P1 Q′ r1 Bild II-70 Zur Berechnung des Abstandes eines Punktes von einer Ebene 0 ! Wir bestimmen zunächst den Vektor P 1 Q. Er ist als Differenzvektor in der Form ! P1 Q ¼ ~ rQ ~ r1 ðII-167Þ darstellbar. Seine Projektion in die Richtung des Normalenvektors ~ n ergibt den Vektor !00 ! 0 P 1 Q ¼ b~, der mit dem Vektor Q Q der Länge d übereinstimmt 10). Somit gilt ! b~ ¼ Q 0 Q 10) mit j b~j ¼ d Q 0 ist der Fußpunkt des Lotes von Q auf die Ebene E. ðII-168Þ 124 II Vektoralgebra ! Andererseits gilt für die Projektion von P 1 Q auf ~ n nach Gleichung (II-86): ! ! ! ~ ~ r 1Þ n P1 Q n ð~ rQ ~ ~ ~ n ¼ n b~ ¼ j~ n j2 j~ n j2 Dieser Vektor besitzt den Betrag ~ ~ r Þ j~ n ð~ rQ ~ r 1Þ j j~ n ð~ rQ ~ r 1Þ j n ð~ r Q 1 ~ j~ nj ¼ j b~j ¼ n ¼ j~ nj j~ n j2 j~ n j2 ðII-169Þ ðII-170Þ Somit ist wegen j b~j ¼ d : j b~j ¼ d ¼ j~ n ð~ rQ ~ r 1Þ j j~ nj ðII-171Þ der gesuchte Abstand des Punktes Q von der Ebene E. Wir fassen zusammen: Abstand eines Punktes von einer Ebene (Bild II-70) Der Abstand eines Punktes Q mit dem Ortsvektor ~ r Q von einer Ebene E mit der Gleichung ~ n ð~ r ~ r 1 Þ ¼ 0 beträgt d ¼ & j~ n ð~ rQ ~ r 1Þ j j~ nj ðII-172Þ 0 1 1 B C Eine Ebene E enthält den Punkt P 1 ¼ ð1; 0; 9Þ, ihr Normalenvektor ist ~ n ¼ @ 3 A. 5 Wir berechnen den Abstand d des Punktes Q ¼ ð 2; 1; 3Þ von dieser Ebene mit Hilfe der Formel (II-172): 0 1 0 1 0 1 0 1 1 2 1 1 3 B C B C B C B C ~ n ð~ rQ ~ r 1Þ ¼ @ 3 A @ 1 0 A ¼ @ 3 A @ 1 A ¼ 5 39 5 6 Beispiel ¼ 3 þ 3 30 ¼ 30 j~ nj ¼ d ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi 1 2 þ 3 2 þ 5 2 ¼ 35 j~ n ð~ rQ ~ r 1Þ j j 30 j 30 ¼ pffiffiffiffiffiffiffi ¼ pffiffiffiffiffiffiffi ¼ 5,07 j~ nj 35 35 & 4 Anwendungen in der Geometrie 125 4.2.5 Abstand einer Geraden von einer Ebene Eine Gerade g und eine Ebene E können folgende Lagen zueinander haben: g liegt in der Ebene E g und E sind zueinander parallel g und E schneiden sich in genau einem Punkt Wir setzen in diesem Abschnitt voraus, dass die Gerade g mit der Gleichung ~ a parallel zur Ebene E mit der Gleichung ~ n ð~ r ~ r 0 Þ ¼ 0 verläuft r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ (Bild II-71). Dies ist genau dann der Fall, wenn der Richtungsvektor ~ a der Geraden senkrecht auf dem Normalenvektor ~ n der Ebene steht, d. h. ~ n~ a ¼ 0 ist. g a P1 d r1 d n P0 Parallele zu g in der Ebene E r0 Bild II-71 Zur Berechnung des Abstandes einer Geraden von einer Ebene E 0 Dann hat jeder Punkt der Geraden g den gleichen Abstand d von der Ebene E. Wir wählen auf g den bekannten Punkt P 1 mit dem Ortsvektor ~ r 1. Nach den Ergebnissen des vorangegangenen Abschnitts gilt dann (Gleichung II-172): Abstand einer Geraden von einer Ebene (Bild II-71) Der Abstand einer Geraden g mit der Gleichung ~ r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ a von einer zu ihr parallelen Ebene E mit der Gleichung ~ n ð~ r ~ r 0 Þ ¼ 0 beträgt d ¼ j~ n ð~ r1 ~ r 0Þ j j~ nj ðII-173Þ Anmerkungen (1) Gerade und Ebene sind genau dann zueinander parallel, wenn ~ n~ a ¼ 0 ist. (2) Ist zusätzlich d ¼ 0, so liegt die Gerade g in der Ebene E. 126 & II Vektoralgebra Beispiel Wir berechnen den Abstand d zwischen der Geraden 0 g: 1 1 C B Richtungsvektor ~ a ¼ @4A 2 P 1 ¼ ð0; 1; 1Þ, und der (zu ihr parallelen) Ebene E: 0 1 2 B C Normalenvektor ~ n ¼ @1A 3 P 0 ¼ ð1; 5; 2Þ, Zunächst aber zeigen wir, dass Gerade und Ebene parallel verlaufen und die Abstandsformel (II-173) daher auf dieses Beispiel anwendbar ist: 0 1 0 1 2 1 B C B C ~ n~ a ¼ @ 1 A @ 4 A ¼ 2 4 þ 6 ¼ 0 ) g jj E 3 2 Ferner ist 1 0 1 0 1 0 1 0 1 2 01 2 C B C B C B C B ~ r 0Þ ¼ @ 1 A @ 1 5 A ¼ @ 1 A @ 4 A ¼ n ð~ r1 ~ 3 3 1 2 3 ¼ 2 4 9 ¼ 15 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi j~ nj ¼ 2 2 þ 1 2 þ 3 2 ¼ 14 Aus Gleichung (II-173) folgt dann d ¼ j~ n ð~ r1 ~ r 0Þ j j 15 j 15 ¼ pffiffiffiffiffiffiffi ¼ pffiffiffiffiffiffiffi ¼ 4,01 j~ nj 14 14 & 4.2.6 Schnittpunkt und Schnittwinkel einer Geraden mit einer Ebene Wir setzen in diesem Abschnitt voraus, dass sich die Gerade g mit der Gleichung ~ r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ a und die Ebene E mit der Gleichung ~ n ð~ r ~ r 0 Þ ¼ 0 in einem Punkt S schneiden (siehe hierzu auch Abschnitt 4.2.5). Dies ist genau dann der Fall, wenn ~ n~ a 6¼ 0 ist. 4 Anwendungen in der Geometrie 127 g n rS n r0 P0 f a S E Bild II-72 Zur Berechnung des Schnittpunktes und Schnittwinkels einer Geraden mit einer Ebene a r1 P1 0 Berechnung des Schnittpunktes (Bild II-72) Der Ortsvektor ~ r S des Schnittpunktes S erfüllt dann sowohl die Geradengleichung als auch die Gleichung der Ebene (Bild II-72): ~ r1 þ lS ~ a rS ¼ ~ und ~ r 0Þ ¼ 0 n ð~ rS ~ ðII-174Þ Durch Einsetzen der 1. Gleichung in die 2. Gleichung erhalten wir eine Bestimmungsgleichung für den zum Schnittpunkt S gehörigen Parameter l S : ~ r 0Þ ¼ ~ n ð~ r1 þ lS ~ n ð~ r1 ~ r0 þ lS ~ a~ r 0Þ ¼ ~ aÞ ¼ n ð~ rS ~ ¼ ~ n ð~ r1 ~ r 0 Þ þ l S ð~ n~ aÞ ¼ 0 ðII-175Þ Wir lösen diese Gleichung nach l S auf: lS ¼ ~ ~ r 0Þ r 1Þ n ð~ r1 ~ n ð~ r0 ~ ¼ ~ ~ n~ a n~ a ðII-176Þ Diesen Wert setzen wir in die Geradengleichung ein und erhalten den Ortsvektor ~ rS des Schnittpunktes S: ~ r 1Þ n ð~ r0 ~ ~ ~ r1 þ lS ~ a ¼~ r1 þ rS ¼ ~ a ðII-177Þ ~ n~ a Schnittpunkt einer Geraden mit einer Ebene (Bild II-72) a mit der Der Ortsvektor des Schnittpunktes S der Geraden g: ~ r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ Ebene E: ~ n ð~ r ~ r 0 Þ ¼ 0 lautet: ~ r 1Þ n ð~ r0 ~ ~ ~ ~ rS ¼ r1 þ a ð~ n~ a ¼ 6 ~ 0Þ ðII-178Þ ~ n~ a Anmerkung Gerade und Ebene schneiden sich genau dann in einem Punkt S, wenn die Bedingung ~ n~ a 6¼ ~ 0 erfüllt ist. 128 II Vektoralgebra Berechnung des Schnittwinkels (Bild II-72) Der gesuchte Schnittwinkel j zwischen Gerade und Ebene ist der Neigungswinkel der Geraden gegenüber der Ebene (Bild II-72). Für ihn gilt: 0 j 90 . Er hängt mit dem Winkel a zwischen dem Richtungsvektor ~ a der Geraden und dem Normalenvektor ~ n der Ebene wie folgt zusammen: a ¼ 90 þ j oder a ¼ 90 j ðII-179Þ (abhängig von der Orientierung (Richtung) des Normalenvektors ~ n ). Der Winkel a lässt sich dabei aus dem skalaren Produkt der Vektoren ~ n und ~ a berechnen: cos a ¼ ~ n~ a j~ n j j~ aj ðII-180Þ Wegen a ¼ 90 j gilt nach dem Additionstheorem der Kosinusfunktion cos a ¼ cos ð90 jÞ ¼ cos 90 cos j sin 90 sin j ¼ sin j |fflfflffl{zfflfflffl} |fflfflffl{zfflfflffl} 0 1 ðII-181Þ Somit ist sin j ¼ ~ n~ a j~ n j j~ aj oder sin j ¼ ~ n~ a j~ n j j~ aj ðII-182Þ Beachtet man noch, dass der Schnittwinkel j im Intervall 0 j 90 liegt und daher sin j 0 ist, so erhält man sin j ¼ j~ n~ aj j~ n j j~ aj ðII-183Þ und durch Umkehrung schließlich 11Þ : j ¼ arcsin j~ n~ aj j~ n j j~ aj ðII-184Þ Schnittwinkel einer Geraden mit einer Ebene (Bild II-72) Der Schnittwinkel j zwischen einer Geraden mit den Richtungsvektor ~ a und einer Ebene mit dem Normalenvektor ~ n lässt sich wie folgt berechnen: j~ n~ aj j ¼ arcsin ðII-185Þ j~ n j j~ aj 11Þ Die Arkussinusfunktion ist die Umkehrfunktion der Sinusfunktion (siehe Kap. III, Abschnitt 10.2). 4 Anwendungen in der Geometrie & 129 Beispiel Gerade g und Ebene E sind wie folgt gegeben: 1 3 C B Richtungsvektor ~ a ¼ @4A 0 0 g: P 1 ¼ ð2; 1; 5Þ, 0 E: 1 2 B C Normalenvektor ~ n ¼ @1A 1 P 0 ¼ ð3; 4; 1Þ, Wir berechnen Schnittpunkt S und Schnittwinkel j. Berechnung des Schnittpunktes S nach Formel (II-178) 1 1 0 0 1 1 0 0 1 2 32 2 C C B B C C B B ~ r 1Þ ¼ @ 1 A @ 4 1 A ¼ @ 1 A @ 3 A ¼ 2 3 4 ¼ 5 n ð~ r0 ~ 4 1 15 1 1 1 0 0 3 2 C C B B ~ n~ a ¼ @ 1 A @ 4 A ¼ 6 þ 4 þ 0 ¼ 10 1 0 Wegen ~ n~ a ¼ 10 6¼ 0 schneiden sich Gerade g und Ebene E genau in einem Punkt S. Für den Ortsvektor dieses Schnittpunktes erhalten wir dann nach Formel (II-178): 0 1 0 1 3 2 ~ r 1Þ 5 B n ð~ r0 ~ C B C ~ ~ r1 þ rS ¼ ~ a ¼ @1A þ @4A ¼ ~ 10 n~ a 0 5 1 0 0 1 1 0 0 1 0,5 2 1,5 3 2 C B B C C B B C ¼ @ 1 A 0,5 @ 4 A ¼ @ 1 þ 2 A ¼ @ 3 A ) S ¼ ð0,5; 3; 5Þ 0 5 5þ0 5 Berechnung des Schnittwinkels j nach Formel (II-185) ~ n~ a ¼ 10 (wurde bereits weiter oben berechnet) j~ nj ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 2 2 þ ð 1Þ 2 þ 1 2 ¼ 6 , j~ aj ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 3 2 þ ð 4Þ 2 þ 0 2 ¼ 5 j ¼ arcsin j~ n~ aj 10 ¼ arcsin pffiffiffiffiffi ¼ arcsin 0,8165 ¼ 54,7 j~ n j j~ aj 6 5 & 130 II Vektoralgebra 4.2.7 Abstand zweier paralleler Ebenen Zwei Ebenen E 1 und E 2 können folgende Lagen zueinander haben: E 1 und E 2 fallen zusammen E 1 und E 2 sind zueinander parallel E 1 und E 2 schneiden sich längs einer Geraden Wir setzen in diesem Abschnitt voraus, dass die Ebenen E 1 und E 2 mit den Gleichungen ~ n 1 ð~ r ~ r 1 Þ ¼ 0 und ~ n 2 ð~ r ~ r 2 Þ ¼ 0 zueinander parallel sind. Dies ist genau dann der Fall, wenn die zugehörigen Normalenvektoren ~ n 1 und ~ n 2 kollinear sind, d. h. ~ n1 ~ n2 ¼ ~ 0 ist (Bild II-73). n2 P2 r2 E2 d n1 P 2′ P1 r1 E1 Bild II-73 Zur Berechnung des Abstandes zweier paralleler Ebenen 0 Dann hat jeder Punkt der Ebene E 2 von der Ebene E 1 den gleichen (senkrechten) Abstand d und umgekehrt. Wir wählen auf der Ebene E 2 den bekannten Punkt P 2 mit dem Ortsvektor ~ r 2. Dieser Punkt hat nach der Abstandsformel (II-172) den folgenden Abstand von der Ebene E 1 : d ¼ j~ n 1 ð~ r2 ~ r 1Þ j j~ n1 j ðII-186Þ Zusammenfassend gilt somit: Abstand zweier paralleler Ebenen (Bild II-73) Der Abstand zweier zueinander paralleler Ebenen E 1 : ~ n 1 ð~ r ~ r 1 Þ ¼ 0 und E2: ~ n 2 ð~ r ~ r 2 Þ ¼ 0 lässt sich wie folgt berechnen: d ¼ j~ n 1 ð~ r2 ~ r 1Þ j j~ n1 j ðII-187Þ 4 Anwendungen in der Geometrie 131 Anmerkungen (1) & Die beiden Ebenen sind genau dann parallel, wenn ~ n1 ~ n2 ¼ ~ 0 ist. (2) In der Abstandsformel (II-187) darf der Normalenvektor ~ n 1 durch den Normalenvektor ~ n 2 ersetzt werden. (3) Ist zusätzlich d ¼ 0, so fallen die beiden Ebenen zusammen. Beispiel Gegeben sind die folgenden Ebenen: 0 E1 : P 1 ¼ ð7; 3; 4Þ, E2 : P 2 ¼ ð 1; 0; 8Þ, 1 1 B C Normalenvektor ~ n1 ¼ @ 4 A 2 1 0 2 C B Normalenvektor ~ n2 ¼ @ 8 A 4 Die Ebenen sind parallel, da ~ n1 ~ n2 ¼ ~ 0 ist: 0 1 1 0 1 0 1 0 16 16 2 1 B C C B C B C B 0 ~ n2 ¼ @ 4 A @ 8 A ¼ @ 4 þ 4 A ¼ @ 0 A ¼ ~ n1 ~ 0 8 þ 8 4 2 0 Wir berechnen nun den Abstand d der Ebenen nach Formel (II-187). Mit 1 1 0 1 0 1 0 8 1 1 7 1 C B C B C B C B ~ n 1 ð~ r2 ~ r 1Þ ¼ @ 4 A @ 0 3 A ¼ @ 4 A @ 3 A ¼ 12 2 8þ4 2 0 ¼ 8 12 þ 24 ¼ 20 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi j~ n1 j ¼ ð 1Þ 2 þ 4 2 þ 2 2 ¼ 21 erhalten wir schließlich: d ¼ j~ n 1 ð~ r2 ~ r 1Þ j 20 ¼ pffiffiffiffiffiffiffi ¼ 4,36 j~ n1 j 21 & 132 II Vektoralgebra 4.2.8 Schnittgerade und Schnittwinkel zweier Ebenen Wir setzen in diesem Abschnitt voraus, dass sich die Ebenen E 1 : ~ n 1 ð~ r ~ r 1Þ ¼ 0 und E 2 : ~ n 2 ð~ r ~ r 2 Þ ¼ 0 längs einer Geraden g schneiden (Bild II-74). Dies ist n 2 nicht-kolligenau dann der Fall, wenn die zugehörigen Normalenvektoren ~ n 1 und ~ near sind, d. h. die Bedingung ~ n1 ~ n 2 6¼ ~ 0 erfüllen. E2 Schnittgerade g n1 f n2 E1 Bild II-74 Zur Berechnung der Schnittgeraden und des Schnittwinkels zweier Ebenen g Bestimmung der Schnittgeraden (Bild II-74) Für die Gleichung der Schnittgeraden g wählen wir den Lösungsansatz ~ a r ðlÞ ¼ ~ r0 þ l~ ðII-188Þ Zu bestimmen sind der Richtungsvektor ~ a und der Ortsvektor ~ r 0 des auf der Geraden g gelegenen Punktes P 0 . Da die Normalenvektoren ~ n 1 und ~ n 2 der beiden Ebenen jeweils senkrecht auf der Schnittgeraden g stehen, lässt sich der Richtungsvektor ~ a von g als Vektorprodukt dieser beiden Vektoren darstellen: ~ n2 a ¼ ~ n1 ~ ðII-189Þ Den Ortsvektor ~ r 0 des auf der Schnittgeraden gelegenen (aber noch unbekannten) Punktes P 0 bestimmen wir wie folgt: r 0 erfüllt daher die Gleichungen P 0 liegt in beiden Ebenen, der zugehörige Ortsvektor ~ beider Ebenen: ~ r0 ~ r 1Þ ¼ 0 n 1 ð~ ~ r0 ~ r 2Þ ¼ 0 n 2 ð~ ðII-190Þ oder (in ausgeschriebener Form) n 1 x ðx 0 x 1 Þ þ n 1 y ðy 0 y 1 Þ þ n 1 z ðz 0 z 1 Þ ¼ 0 n 2 x ðx 0 x 2 Þ þ n 2 y ðy 0 y 2 Þ þ n 2 z ðz 0 z 2 Þ ¼ 0 ðII-191Þ 4 Anwendungen in der Geometrie 133 Dies ist ein lineares Gleichungssystem mit zwei Gleichungen und den drei unbekannten Koordinaten x 0 , y 0 und z 0 des Punktes P 0 . Eine der drei Koordinaten ist daher frei wählbar. Wir setzen daher zweckmäßigerweise x 0 ¼ 0 und berechnen dann die beiden übrigen Koordinaten aus dem linearen Gleichungssystem n 1 x x 1 þ n 1 y ðy 0 y 1 Þ þ n 1 z ðz 0 z 1 Þ ¼ 0 n 2 x x 2 þ n 2 y ðy 0 y 2 Þ þ n 2 z ðz 0 z 2 Þ ¼ 0 ðII-192Þ (Gleichungssystem (II-191) für x 0 ¼ 0 ). Damit sind die Koordinaten x 0 , y 0 und z 0 und somit auch der Ortsvektor ~ r 0 des auf der Geraden g gelegenen Punktes P 0 eindeutig bestimmt. Wir fassen die Ergebnisse zusammen: Schnittgerade zweier Ebenen (Bild II-74) n 1 ð~ r ~ r 1Þ ¼ 0 Die Gleichung der Schnittgeraden g zweier Ebenen E 1 : ~ und E 2 : ~ n 2 ð~ r ~ r 2 Þ ¼ 0 lautet in der Punkt-Richtungs-Form: ~ a r ðlÞ ¼ ~ r0 þ l~ ðII-193Þ Der Richtungsvektor ~ a ist dabei das Vektorprodukt der Normalenvektoren ~ n1 und ~ n 2 der beiden Ebenen: ~ n2 a ¼~ n1 ~ ðII-194Þ Der Ortsvektor ~ r 0 des (zunächst noch unbekannten) Punktes P 0 der Schnittgeraden lässt sich aus dem linearen Gleichungssystem ~ r0 ~ r 1Þ ¼ 0 n 1 ð~ ~ r0 ~ r 2Þ ¼ 0 n 2 ð~ ðII-195Þ oder (in der ausgeschriebenen Form) n 1 x ðx 0 x 1 Þ þ n 1 y ðy 0 y 1 Þ þ n 1 z ðz 0 z 1 Þ ¼ 0 n 2 x ðx 0 x 2 Þ þ n 2 y ðy 0 y 2 Þ þ n 2 z ðz 0 z 2 Þ ¼ 0 ðII-196Þ bestimmen, wobei eine der drei Koordinaten frei wählbar ist (z. B. kann man x 0 ¼ 0 setzen). Anmerkung Die beiden Ebenen schneiden sich genau dann, wenn ~ n1 ~ n 2 6¼ ~ 0 ist. Berechnung des Schnittwinkels (Bild II-74) Der Schnittwinkel j zweier Ebenen E 1 und E 2 ist der Winkel zwischen den zugehörigen Normalenvektoren ~ n 1 und ~ n 2 . Nach Gleichung (II-74) gilt somit: 134 II Vektoralgebra Schnittwinkel zweier Ebenen (Bild II-74) Der Schnittwinkel j zweier Ebenen E 1 und E 2 mit den Normalenvektoren ~ n1 und ~ n 2 lässt sich wie folgt berechnen: ~ n2 n1 ~ j ¼ arccos ðII-197Þ j~ n1 j j~ n2 j & Beispiel Wir bestimmen Schnittgerade g und Schnittwinkel j der folgenden Ebenen: 0 1 1 B C E 1 : P 1 ¼ ð1; 0; 1Þ, Normalenvektor ~ n1 ¼ @ 5 A 3 0 1 2 B C Normalenvektor ~ n2 ¼ @ 1 A E 2 : P 2 ¼ ð0; 3; 0Þ, 2 Bestimmung der Schnittgeraden g Ansatz der Schnittgeraden in der Punkt-Richtung-Form: ~ a (Ansatz) r ðlÞ ¼ ~ r0 þ l~ Für den Richtungsvektor ~ a erhalten wir nach Formel (II-194): 0 1 0 1 0 1 0 1 1 2 10 þ 3 13 ~ n2 ¼ @ 5 A @ 1 A ¼ @ 6 2 A ¼ @ 8 A a ¼ ~ n1 ~ 3 2 1 10 9 Wegen ~ n1 ~ n 2 6¼ ~ 0 ist damit sichergestellt, dass sich die Ebenen auch tatsächlich schneiden. Der Ortsvektor ~ r 0 des (noch unbekannten) Punktes P 0 der Schnittgeraden wird aus dem folgenden linearen Gleichungssystem berechnet: 1 1 0 0 x0 1 1 C C B B ~ r0 ~ r 1 Þ ¼ @ 5 A @ y 0 0 A ¼ x 0 1 þ 5 y 0 3 ðz 0 1Þ ¼ 0 n 1 ð~ 3 z0 1 1 0 1 0 x0 0 2 C B C B ~ n 2 ð~ r0 ~ r 2Þ ¼ @ 1 A @ y 0 3 A ¼ 2 x 0 þ y 0 3 þ 2 z 0 ¼ 0 2 z0 0 bungsaufgaben 135 Wir setzen x 0 ¼ 0 und ordnen beide Gleichungen: 5 y0 3 z0 ¼ 2 y0 þ 2 z0 ¼ 3 Diese Gleichungen werden durch y 0 ¼ 5=13 und z 0 ¼ 17=13 gelöst. Der Punkt P 0 besitzt demnach die folgenden Koordinaten: x0 ¼ 0 , y 0 ¼ 5=13 , Somit ist 0 z 0 ¼ 17=13 0 1 0 13 1 0 13 l 1 C C B B C B ~ r ðlÞ ¼ ~ r0 þ l~ a ¼ @ 5=13 A þ l @ 8 A ¼ @ 5=13 8 l A 17=13 9 l 17=13 9 ðl 2 RÞ die Gleichung der gesuchten Schnittgeraden g. Berechnung des Schnittwinkels j 0 1 0 1 1 2 B C B C ~ n1 ~ n2 ¼ @ 5 A @ 1 A ¼ 2 þ 5 6 ¼ 1 3 2 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi 1 2 þ 5 2 þ ð 3Þ 2 ¼ 35 , 22 þ 12 þ 22 ¼ 3 j~ n1 j ¼ j~ n2 j ¼ Für den Schnittwinkel j erhalten wir damit nach Gleichung (II-197): ~ n2 1 n1 ~ ¼ arccos pffiffiffiffiffiffiffi ¼ arccos 0,0563 ¼ 86,8 j ¼ arccos j~ n1 j j~ n2 j 35 3 & bungsaufgaben Zu Abschnitt 2 und 3 1) 0 1 3 Gegeben sind die Vektoren ~ a ¼ @ 2 A, 4 0 1 0 1 2 5 b~ ¼ @ 0 A und ~ c ¼ @ 1 A. 4 4 Berechnen Sie die skalaren Komponenten und die Beträge der aus ihnen gebildeten folgenden Vektoren: a 5 b~ þ 3~ c aÞ ~ s1 ¼ 3~ bÞ ~ s 2 ¼ 2 ðb~ þ 5~ c Þ þ 5 ð~ a 3 b~Þ a 2 b~Þ þ 10~ c cÞ ~ s 3 ¼ 4 ð~ dÞ ~ s 4 ¼ 3 ð~ a b~Þ ~ c 5 ðb~ ~ cÞ~ a 136 II Vektoralgebra ~ hebt die vier Einzelkräfte 2) Welche Gegenkraft F 0 1 0 1 200 10 ~1 ¼ @ 110 A N , ~2 ¼ @ 30 A N , F F 50 1 40 ~3 ¼ @ 85 A N , F 120 0 40 0 1 30 ~4 ¼ @ 50 A N F 40 in ihrer physikalischen Wirkung auf? 3) Berechnen Sie die Resultierende der in Bild II-75 skizzierten (ebenen) Kräfte nach Betrag und Richtung (Richtungswinkel). y z P5 F 2 = 100 N P8 F 3 = 80 N F 1 = 120 N 18° P6 40° P7 a P1 30° 50° a x x F 4 = 40 N Bild II-75 a P2 P4 y P3 Bild II-76 4) Bestimmen Sie die Ortsvektoren der acht Ecken eines Würfels mit der Kantenlänge a gemäß Bild II-76. 5) Normieren Sie die folgenden Vektoren: 0 1 2 B C ~ a ¼ @ 1 A, b~ ¼ 3~ e x 4~ e y þ 8~ e z, 0 B ~ c ¼ @ 1 1 C 1A 1 0 4 1 1 B C 6) Wie lautet der Einheitsvektor ~ e, der die zum Vektor ~ a ¼ @ 4 A entgegengesetzte Richtung hat? 3 7) Bestimmen Sie die Koordinaten des Punktes Q, der vom Punkte P ¼ ð3; 1; 5Þ 0 1 3 B C in Richtung des Vektors ~ a ¼ @ 5 A um 20 Längeneinheiten entfernt liegt. 4 bungsaufgaben 137 8) Wie lautet die Gleichung der durch die Punkte P 1 ¼ ð10; 5; 1Þ und P 2 ¼ ð1; 2; 5Þ verlaufenden Geraden? Bestimmen Sie die Koordinaten der Mitte ! Q von P 1 P 2 . 9) Liegen die drei Punkte P 1 ¼ ð3; 0; 4Þ, P 2 ¼ ð1; 1; 1Þ und P 3 ¼ ð 1; 2; 2Þ in einer Geraden? 10) 1 0 1 0 1 0 4 1 3 C B C B C B c ¼ @ 10 A die Bilden Sie mit den Vektoren ~ a ¼ @ 1 A, b~ ¼ @ 0 A und ~ folgenden Skalarprodukte: 2 1 4 aÞ ~ a b~ 11) bÞ ð~ a 3 b~Þ ð4~ cÞ 13) ð~ a þ b~Þ ð~ a~ cÞ Welchen Winkel schließen die Vektoren ~ a und b~ miteinander ein? 0 1 1 0 0 1 0 1 3 10 1 3 B C C B B C B C bÞ ~ a ¼ @ 5 A , b~ ¼ @ 1 A aÞ ~ a ¼ @ 1 A , b~ ¼ @ 4 A 0,5 10 2 2 b~ ¼ ~ e x 10~ ez cÞ ~ a ¼~ e x 2~ e y þ 5~ ez , 12) cÞ Zeigen Sie: Die Vektoren ~ a und b~ sind zueinander orthogonal: 0 1 0 1 0 1 0 1 1 4 3 4 B C B C B C B C aÞ ~ a ¼ @ 2 A , b~ ¼ @ 8 A bÞ ~ a ¼ @ 2 A , b~ ¼ @ 1 A 5 4 10 1 Beweisen Sie den Kosinussatz c 2 ¼ a 2 þ b 2 2 a b cos g (Bild II-77). C g a b 14) Bild II-77 Zur Herleitung des Kosinussatzes A c Zeigen Sie: Die Vektoren 0 pffiffiffiffiffi 1 1= 2 C B ~ e1 ¼ @ 0 A , pffiffiffiffiffi 1= 2 pffiffiffiffiffi 1 1= 2 C B ~ e2 ¼ @ A 0 pffiffiffiffiffi 1= 2 B 0 0 und 0 1 C B ~ e3 ¼ @ 1 A 0 bilden ein orthonormiertes System, d. h. die Vektoren stehen paarweise senkrecht aufeinander und besitzen jeweils die Länge 1. 138 15) II Vektoralgebra Zeigen Sie: Die drei Vektoren 0 1 0 1 2 1 B C B C ~ b~ ¼ @ 2 A a ¼ @ 4 A, 3 2 0 B ~ c ¼ @ und 1 1 C 6A 1 bilden ein rechtwinkliges Dreieck. 16) Bestimmen Sie Betrag und Richtung (Richtungswinkel) des Vektors ~ a: 1 0 0 1 0 1 4 1 1 C B B C B C cÞ ~ a ¼ @ 3A bÞ ~ a ¼ @4A aÞ ~ a ¼ @1A 2 0 1 17) Durch die drei Punkte A ¼ ð1; 4; 2Þ, B ¼ ð3; 1; 0Þ und C ¼ ð 1; 1; 2Þ wird ein Dreieck festgelegt. Berechnen Sie die Länge der drei Seiten, die Innenwinkel im Dreieck sowie den Flächeninhalt. 1 0 10 C ~¼ B Ein Massenpunkt wird durch die Kraft F @ 4 A N geradlinig von 18) 2 P 1 ¼ ð1 m; 20 m; 3 mÞ nach P 2 ¼ ð4 m; 2 m; 1 mÞ verschoben. Welche Arbeit leistet die Kraft? Welchen Winkel bildet sie mit dem Verschiebungsvektor ~ s? 19) Eine Kraft vom Betrage F ¼ 85 N verschiebt einen Massenpunkt geradlinig um die Strecke s ¼ 32 m und verrichtet dabei die Arbeit W ¼ 1360 J. Unter welchem Winkel greift die Kraft an? 20) Berechnen Sie die Komponente des Vektors 1 0 2 C B ~ a ¼ @ 2 A: aÞ 1 0 1 5 B C b~ ¼ @ 1 A 3 0 bÞ B b~ ¼ @ 2 1 C 5A 0 b~ in Richtung des Vektors 0 cÞ B b~ ¼ @ 10 1 C 4A 2 21) Ein Vektor ~ a sei durch Betrag und Richtungswinkel wie folgt festgelegt: j ~ a j ¼ 10, a? a ¼ 30 , b ¼ 60 , 90 g 180 . Wie lauten die Vektorkoordinaten von ~ 22) Bestimmen Sie die Richtungswinkel a, b und g der folgenden Vektoren: 1 1 0 0 0 1 11 3 5 C C B B B C cÞ ~ a ¼ @2A bÞ ~ a ¼ @ 5A aÞ ~ a ¼ @1A 10 8 4 bungsaufgaben 139 0 23) 1 0 0 1 0 B C ~ B C B C Gegeben sind die Vektoren ~ a ¼ @ 4 A, b ¼ @ 1 A und ~ c ¼ @ 2 A. 6 2 3 1 2 1 Berechnen Sie mit ihnen die folgenden Vektorprodukte: 24) 25) aÞ ~ a b~ bÞ ð~ a b~Þ ð3~ cÞ cÞ ð ~ a þ 2~ c Þ ð b~Þ dÞ ð2 ~ a Þ ð b~ þ 5~ cÞ Bestimmen Sie den Flächeninhalt des von den Vektoren ~ a und b~ aufgespannten Parallelogramms: 0 1 1 0 1 0 1 0 3 1 3 4 B C C B C B C B ~ ~ b ¼ @ 1A bÞ ~ a ¼ @4A, b ¼ @1A aÞ ~ a ¼ @ 10 A , 12 0 3 5 An einem Hebel greifen die in Bild II-78 skizzierten senkrechten Kräfte an. Wie ~ sein, die im Abstand von 20 cm vom Hebelpunkt angroß muss eine 3. Kraft F greift, damit Gleichgewicht besteht? Anleitung: Die Summe aller Drehmomente muss verschwinden. 100 cm 50 cm 20 cm F 1 = 400 N F=? F 2 = 600 N Bild II-78 Zweiseitiger Hebel im Gleichgewicht 26) Wie muss der Parameter l 0 1 1 B C ~ a ¼ @lA, b~ ¼ 4 komplanar sind? gewählt werden, damit die 1 0 2 C B und ~ c ¼ @ 4A 11 drei Vektoren 0 1 3 B C @ 5A 1 140 27) II Vektoralgebra Zeigen Sie: Die Vektoren ~ a, b~ und ~ c liegen jeweils in einer gemeinsamen Ebene. 1 0 1 0 1 0 2 1 3 C B C B C B ~ b~ ¼ @ 3 A, c ¼ @ 3A aÞ ~ a ¼ @ 4A, 5 25 0 0 1 1 B C bÞ ~ a ¼ @1A, 1 0 0 1 1 B C ~ b ¼ @0A, 2 B ~ c ¼ @ 1 1 C 4A 2 28) Bestimmen Sie das Volumen des von den Vektoren 0 1 0 1 0 1 1 3 1 B C B C B C ~ a ¼ @ 1A, b~ ¼ @ 4 A und ~ c ¼ @ 2A 1 7 8 gebildeten Spats. 29) Zeigen Sie: ð~ a b~Þ ~ c ¼ ð~ a~ c Þ b~ ðb~ ~ cÞ~ a Anleitung: Komponentenweise Ausrechnung auf beiden Seiten. 30) Zeigen Sie die lineare Unabhängigkeit der folgenden Vektoren: 0 1 0 1 3 1 B C B C ~ aÞ ~ a ¼ @0A, b ¼ @5A 1 0 1 1 1 C B bÞ ~ a ¼ @6A, 4 0 1 1 C B b~ ¼ @ 2 A , 2 0 1 1 B C ~ c ¼ @2A 3 31) Zeigen Sie: Die Vektoren sind jeweils linear abhängig. 0 1 0 1 2 6 B C B C aÞ ~ a ¼ @1A, b~ ¼ @ 3 A 9 3 0 1 1 B C bÞ ~ a1 ¼ @ 2 A , 5 0 1 1 B C ~ a2 ¼ @ 2 A , 3 0 5 1 B C ~ a 3 ¼ @ 10 A 1 bungsaufgaben 32) 141 Gegeben sind die Vektoren 0 1 1 0 5 1 B C C B ~ ~ b ¼ @ 1 A, a ¼ @ 1 A, 2 2 0 1 1 B C ~ c ¼ @2A 3 0 und 13 1 B C d~ ¼ @ 5 A 2 Zeigen Sie: a) Die Vektoren ~ a, b~ und ~ c sind linear unabhängig, b) die Vektoren ~ a, b~ und d~ dagegen linear abhängig. Zu Abschnitt 4 1) Wie lautet die Vektorgleichung der Geraden g durch den Punkt P 1 parallel zum Vektor ~ a ? Welche Punkte gehören zu den Parameterwerten l ¼ 1, l ¼ 2 und l ¼ 5? 1 0 0 1 1 5 C B B C ~ ~ bÞ P 1 ¼ ð3; 2; 1Þ , aÞ P 1 ¼ ð4; 0; 3Þ , a ¼ @ 1A a ¼ @2A 1 3 2) Bestimmen Sie die Gleichung der Geraden g durch die Punkte P 1 und P 2 . Welche Punkte ergeben sich für die Parameterwerte l ¼ 2, l ¼ 3 und l ¼ 5? aÞ P 1 ¼ ð1; 3; 2Þ , P 2 ¼ ð6; 5; 8Þ bÞ P 1 ¼ ð 2; 3; 1Þ , P 1 ¼ ð1; 0; 5Þ 3) Wie lautet die Gleichung der durch die Punkte P 1 ¼ ð10; 5; 1Þ und P 2 ¼ ð1; 2; 5Þ verlaufenden Geraden? Bestimmen Sie die Koordinaten der Mitte ! Q von P 1 P 2 . 4) Liegen die drei Punkte P 1 ¼ ð3; 0; 4Þ, P 2 ¼ ð1; 1; 1Þ und P 3 ¼ ð 7; 5; 11Þ in einer Geraden? 5) Von einer Geraden g ist der Punkt P 1 ¼ ð4; 2; 3Þ und der Richtungsvektor 0 1 2 B C ~ a ¼ @ 1 A bekannt. Berechnen Sie den Abstand des Punktes Q ¼ ð4; 1; 1Þ von 3 dieser Geraden. 6) P 1 ¼ ð1; 4; 3Þ sei ein Punkt der Geraden g 1 , P 2 ¼ ð5; 3; 0Þ ein solcher der Geraden g 2 . Beide Geraden verlaufen außerdem parallel zum Vektor ~ a mit den Vektorkoordinaten a x ¼ 3, a y ¼ 1 und a z ¼ 2. Welchen Abstand besitzen diese Geraden voneinander? 142 II Vektoralgebra 7) Von einer Geraden g ist der Punkt P 1 ¼ ð1; 2; 8Þ und der Richtungsvektor ~ a mit den folgenden Eigenschaften bekannt: j ~ a j ¼ 1, b ¼ 60 , g ¼ 45 , a mit cos a > 0. Bestimmen Sie die Gleichung der Geraden. In welchen Punkten schneidet die Gerade die drei Koordinatenebenen? 8) Eine Gerade g verlaufe durch den Punkt P 1 ¼ ð5; 3; 1Þ parallel zu einem Vektor ~ a mit den drei Richtungswinkeln a ¼ 30 , b ¼ 90 , g mit cos g < 0. Wie lautet die Gleichung dieser Geraden? 9) Welche Lage besitzen die folgenden Geradenpaare g 1 , g 2 zueinander? Bestimmen Sie gegebenenfalls Abstand, Schnittpunkt und Schnittwinkel. aÞ bÞ g 1 durch P 1 ¼ ð3; 4; 6Þ und g 2 durch P 3 ¼ ð3; 7; 2Þ und P 4 ¼ ð5; 15; 6Þ g1 : g2 : cÞ g1 g2 10) P 2 ¼ ð 1; 2; 4Þ 0 1 0 1 2 5 B C B C ~ r ðl 1 Þ ¼ ~ r1 þ l1 ~ a1 ¼ @ 1 A þ l1 @ 1 A 3 0 1 0 1 0 1 6 C B C B ~ r ðl 2 Þ ¼ ~ r2 þ l2 ~ a2 ¼ @ 1 A þ l2 @ 3 A 5 9 0 1 2 B C durch P 1 ¼ ð1; 2; 0Þ mit dem Richtungsvektor ~ a1 ¼ @ 0 A 5 1 0 1 C B durch P 2 ¼ ð6; 0; 13Þ mit dem Richtungsvektor ~ a2 ¼ @ 2 A 3 Zeigen Sie, dass die Geraden g 1 und g 2 mit den folgenden Vektorgleichungen windschief sind und berechnen Sie ihren Abstand: 1 0 0 1 1 1 C B B C g1 : ~ r ðl 1 Þ ¼ ~ r1 þ l1 ~ a 1 ¼ @ 2 A þ l 1@ 1 A 3 g2 : 11) 1 0 1 0 1 3 0 B C B C ~ r ðl 2 Þ ¼ ~ r2 þ l2 ~ a 2 ¼ @ 3 A þ l 2@ 2 A 3 1 Die in der x, y-Ebene verlaufende Gerade g 1 schneidet die beiden Koordinatenachsen jeweils bei 3. Welchen Abstand besitzt diese Gerade von der z-Achse? bungsaufgaben 12) 143 Zeigen Sie, dass sich die Geraden g 1 und g 2 in genau einem Punkt schneiden und bestimmen Sie Schnittpunkt und Schnittwinkel: g 1 durch P 1 ¼ ð4; 2; 8Þ und P 2 ¼ ð3; 6; 11Þ g 2 durch P 3 ¼ ð5; 8; 21Þ und P 4 ¼ ð7; 10; 31Þ 13) Wie lautet die Vektorgleichung der Ebene E, die den Punkt P 1 enthält und parallel zu den Richtungsvektoren ~ a und b~ verläuft? Bestimmen Sie ferner einen Normalenvektor ~ n der Ebene. Welche Punkte gehören zu den Parameterwertepaaren l ¼ 1, m ¼ 3 und l ¼ 2, m ¼ 1? 0 1 0 1 2 1 B C B C ~ ~ b ¼ @1A aÞ P 1 ¼ ð3; 5; 1Þ , a ¼ @1A, 3 1 1 0 1 0 2 2 C B C B ~ bÞ P 1 ¼ ð6; 0; 3Þ , b~ ¼ @ 3 A a ¼ @ 8A, 3 3 14) Bestimmen Sie die Gleichung der Ebene E durch die drei Punkte P 1 , P 2 und P 3 . Welche Punkte dieser Ebene erhält man für die Parameterwertepaare l ¼ 3, m ¼ 2 und l ¼ 2, m ¼ 1? aÞ P 1 ¼ ð3; 1; 0Þ , P 2 ¼ ð 4; 1; 1Þ , P 3 ¼ ð5; 9; 3Þ bÞ P 1 ¼ ð5; 1; 2Þ , P 2 ¼ ð 2; 1; 3Þ , P 3 ¼ ð0; 5; 10Þ 15) Liegen die vier Punkte P 1 ¼ ð1; 1; 1Þ, P 2 ¼ ð3; 2; 0Þ, P 3 ¼ ð4; 1; 5Þ und P 4 ¼ ð12; 4; 12Þ in einer Ebene? 16) Wie lautet die Gleichung einer Ebene E, die auf den drei Koordinatenachsen jeweils die gleiche Strecke a abschneidet und ferner den Punkt Q ¼ ð3; 4; 7Þ enthält? Hinweis: Stellen Sie zunächst die Gleichung der Ebene durch die drei Schnittpunkte mit den Koordinatenachsen in Abhängigkeit von der Strecke a auf. 0 1 4 17) Eine Ebene E verläuft senkrecht zum Vektor ~ n ¼ @ 3 A und enthält den 1 Punkt A ¼ ð5; 8; 10Þ. Bestimmen Sie die Gleichung dieser Ebene. Berechnen Sie ferner die fehlende Koordinate des auf der Ebene gelegenen Punktes B ¼ ð2; y ¼ ?; 1Þ. 18) Ein Normalenvektor ~ n einer Ebene E besitze die drei Richtungswinkel a ¼ 60 , b ¼ 120 und g mit cos g < 0. Wie lautet die Gleichung dieser Ebene, wenn diese noch den Punkt P 1 ¼ ð3; 5; 2Þ enthält? 144 II Vektoralgebra 19) Welche Lage haben Gerade g und Ebene E zueinander? Bestimmen Sie gegebenenfalls Abstand, Schnittpunkt und Schnittwinkel. 0 1 3 B C aÞ g durch P 1 ¼ ð5; 1; 2Þ mit dem Richtungsvektor ~ a ¼ @1A 2 0 B E durch P 0 ¼ ð2; 1; 8Þ mit dem Normalenvektor ~ n ¼ @ bÞ g: 0 1 0 1 5 2 B C B C ~ r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ a ¼ @3A þ l@5A 6 1 0 E: cÞ 3 1 0 x 1 1 1 C 3A 1 1 C B C B ~ n ð~ r ~ r 0Þ ¼ @ 1 A @ y 1 A ¼ 0 z1 1 g durch P 1 ¼ ð2; 0; 3Þ und P 2 ¼ ð5; 6; 18Þ E durch P 3 ¼ ð1; 2; 2Þ, P 4 ¼ ð0; 1; 1Þ und P 5 ¼ ð 1; 0; 1Þ 20) Eine Gerade g durch die Punkte A ¼ ð1; 1; 1Þ und B ¼ ð5; 4; 3Þ verlaufe senkrecht zu einer Ebene E. Wie lautet die Gleichung dieser Ebene, wenn P 1 ¼ ð2; 1; 5Þ ein Punkt dieser Ebene ist? 21) Eine Ebene E 1 gehe durch den Punkt P 1 ¼ ð1; 2; 3Þ, ihr Normalenvektor sei 0 1 2 @ ~ n ¼ 1 A. Bestimmen Sie den Parameter a so, dass der Abstand des Punktes a Q ¼ ð0; 2; 5Þ von dieser Ebene d ¼ 2 beträgt. Wie lautet die Gleichung der Parallelebene E 2 durch den Punkt A ¼ ð5; 1; 2Þ? 22) Eine Ebene E enthält den Punkt P 0 ¼ ð2; 1; 8Þ und verläuft senkrecht zum 0 1 2 Vektor ~ n ¼ @ 6 A. Zeigen Sie, dass die Gerade g mit der Vektorgleichung 1 1 0 0 1 4 5 C B B C ~ a ¼ @3A þ l@ 1A r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ 2 1 zu dieser Ebene parallel ist. Wie groß ist der Abstand zwischen Gerade und Ebene? bungsaufgaben 23) 145 Gegeben sind eine Gerade g und eine Ebene E: 0 1 0 1 3 1 B C B C g: ~ r ðlÞ ¼ ~ r1 þ l~ a ¼ @2A þ l@ 2A 0 3 E: ~ n ð~ r ~ r 0 Þ ¼ 2 ðx 1Þ þ 1 ðy 2Þ þ 1 ðz þ 3Þ ¼ 0 Zeigen Sie, dass Gerade und Ebene sich schneiden und berechnen Sie den Schnittpunkt sowie den Schnittwinkel. 24) Zeigen Sie die Parallelität der beiden Ebenen E 1 und E 2 und berechnen Sie ihren Abstand: 0 1 1 B C n1 ¼ @ 3 A E 1 durch P 1 ¼ ð3; 5; 6Þ mit dem Normalenvektor ~ 2 1 3 C B durch P 2 ¼ ð1; 5; 2Þ mit dem Normalenvektor ~ n2 ¼ @ 9 A 6 0 E2 25) Bestimmen Sie die Schnittgerade und den Schnittwinkel der beiden Ebenen: 0 1 0 1 3 x 2 B C B C E1 : ~ n 1 ð~ r ~ r 1Þ ¼ @ 1 A @ y 5 A ¼ 0 2 z6 1 0 1 0 x 1 2 C B C B E2 : ~ n 2 ð~ r ~ r 2Þ ¼ @ 0 A @ y 5 A ¼ 0 3 z1 146 III Funktionen und Kurven 1 Definition und Darstellung einer Funktion 1.1 Definition einer Funktion Funktionen dienen zur Darstellung und Beschreibung von Zusammenhängen und Abhängigkeiten zwischen zwei physikalisch-technischen Messgrößen. So ist z. B. die Auslenkung einer elastischen Stahlfeder von der Größe der Belastung abhängig. Beim freien Fall sind Fallweg und Fallgeschwindigkeit zeitabhängige Größen, d. h. Funktionen der Zeit. In elektrischen Stromkreisen ist die Stromstärke abhängig von der angelegten Spannung, somit also eine Funktion der Spannung. Allgemein lässt sich der Funktionsbegriff wie folgt definieren: Definition: Unter einer Funktion versteht man eine Vorschrift, die jedem Element x aus einer Menge D genau ein Element y aus einer Menge W zuordnet. Symbolische Schreibweise: y ¼ f ðxÞ mit x 2 D Dabei sind folgende Bezeichnungen üblich: x : Unabhängige Veränderliche (Variable) oder Argument y: Abhängige Veränderliche (Variable) oder Funktionswert D: Definitionsbereich der Funktion W : Wertebereich oder Wertevorrat der Funktion Anmerkungen (1) Wir beschränken uns auf reelle Funktionen einer reellen Variablen, d. h. D und W sind Teilmengen von R. (2) Die Zuordnung muss immer eindeutig sein (zu jedem x genau ein y). (3) Eine weitere übliche Schreibweise ist: f : x 7! y ¼ f ðxÞ (4) (mit x 2 D) Eine Funktion kann auch aufgefasst werden als Menge der geordneten reellen Zahlenpaare ðx; yÞ mit x 2 D und y ¼ f ðxÞ. 1 Definition und Darstellung einer Funktion & 147 Beispiele (1) Fallgeschwindigkeit v als Funktion der Zeit t : v ¼ gt (g: Erdbeschleunigung) Definitionsbereich: t 0; Wertebereich: v 0 (2) Parabel y ¼ x 2 (3) Defintionsbereich: D ¼ ð1, 1Þ; Wertebereich: W ¼ ½ 0, 1Þ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi y ¼ x 1 Definitionsbereich: x 1 0, Wertebereich: W ¼ ½ 0, 1Þ (4) x 1 d. h. oder y 0 Weg-Zeit-Gesetz einer harmonischen Schwingung (Modell: Feder-Masse-Schwinger oder Federpendel): x ¼ x ðtÞ ¼ A sin ðw t þ jÞ ðf ür t 0Þ (x : Auslenkung zur Zeit t; A > 0: Amplitude; w > 0: Kreisfrequenz; j: Null& phasenwinkel) 1.2 Darstellungsformen einer Funktion 1.2.1 Analytische Darstellung Bei dieser Darstellungsart ist die Zuordnungsvorschrift in Form einer Gleichung gegeben (Funktionsgleichung genannt): y ¼ f ðxÞ: Explizite Darstellung (die Funktion ist nach einer Variablen –– in der Regel wie hier nach y –– aufgelöst) F ðx; yÞ ¼ 0: Implizite Darstellung (die Funktion ist nicht nach einer der beiden Variablen aufgelöst) Eine weitere analytische Darstellungsform ist die Parameterdarstellung, die wir in Abschnitt 1.2.4 behandeln werden. & Beispiele Die folgenden Funktionen sind explizit dargestellt: y ¼ x2 , y ¼ sin x , v ðtÞ ¼ g t , U ðIÞ ¼ RI (Ohmsches Gesetz) Beispiele für implizit vorgegebene Funktionen sind: F ðx; yÞ ¼ ln y þ x 2 ¼ 0 und F ðx; yÞ ¼ x y 2 ¼ 0 & 148 III Funktionen und Kurven 1.2.2 Darstellung durch eine Wertetabelle (Funktionstafel) Funktionen können auch tabellarisch in Form einer Wertetabelle (Funktionstafel) dargestellt werden. Man erhält sie häufig als Ergebnis von Messreihen. & Beispiel In einem Versuch wird der Spannungsabfall U an einem ohmschen Widerstand in Abhängigkeit von der Stromstärke I gemessen. Die Wertetabelle hat dabei das folgende Aussehen (zu jedem Wert von I gehört genau ein Messwert U ): I=mA 50 100 150 200 250 ... U=V 2,0 3,9 6,0 7,9 10,1 ... & 1.2.3 Graphische Darstellung Die Funktionsgleichung y ¼ f ðxÞ ordnet jedem x-Wert aus D in eindeutiger Weise einen y-Wert zu: x 0 7! y 0 ¼ f ðx 0 Þ. Das Wertepaar ðx 0 ; y 0 Þ kann dann als ein Punkt P 0 der Ebene mit einem rechtwinkligen Koordinatensystem gedeutet werden (Bild III-1). y y = f (x) P0 y0 Bild III-1 Graph einer Funktion x0 x Dabei sind folgende Bezeichnungen üblich: x 0, y 0 : x0: y0: Rechtwinklige oder kartesische Koordinaten Abszisse des Punktes P 0 ¼ ðx 0 ; y 0 Þ Ordinate g Für jedes Wertepaar ðx 0 ; y 0 Þ erhalten wir genau einen Punkt. Die Menge aller Punkte ðx; y ¼ f ðxÞÞ mit x 2 D bildet die Funktionskurve (auch Schaubild oder Funktionsgraph genannt), die in anschaulicher Weise den Funktionsverlauf von y ¼ f ðxÞ beschreibt (Bild III-1). Wegen der eindeutigen Zuordnung gilt: Jede Parallele zur y-Achse schneidet die Kurve höchstens einmal (siehe Bild III-2). 1 Definition und Darstellung einer Funktion y 149 y Parallele zur y-Achse x Parallele zur y-Achse x a) b) Bild III-2 Eindeutige Zuordnung bei einer Funktion a) Funktion b) Keine Funktion (2 Schnittstellen) & Beispiele (1) Fallgeschwindigkeit v ¼ g t, t 0 s; g ¼ 10 m=s 2 (gerundet) (Bild III-3) (2) Parabel mit der Funktionsgleichung y ¼ x 2 , x 2 R (siehe Bild III-4) v m/s y y=x2 30 v = gt 20 10 1 1 2 3 t /s Bild III-3 Fallgeschwindigkeit als Funktion der Zeit –1 1 x Bild III-4 Normalparabel y ¼ x 2 & 1.2.4 Parameterdarstellung einer Funktion Bei der mathematischen Beschreibung eines Bewegungsablaufes ist es oft zweckmäßig, die augenblickliche Lage des Körpers durch kartesische Koordinaten ðx; yÞ zu beschreiben, die sich aber im Laufe der Zeit t verändern und somit Funktionen der Zeit sind: x ¼ x ðtÞ , y ¼ y ðtÞ ða t bÞ ðIII-1Þ Eine Darstellung dieser Art mit der reellen Hilfsvariablen t als Parameter heißt Parameterdarstellung einer Funktion (im angeführten Beispiel handelt es sich um einen Zeit- 150 III Funktionen und Kurven parameter). In den naturwissenschaftlich-technischen Anwendungen bedeutet der Parameter t meist die Zeit oder einen Winkel. Für jeden Wert des Parameters t aus dem Intervall a t b erhalten wir genau einen Kurvenpunkt. Die Parametergleichungen (III-1) beschreiben dann eine Kurve, wie in Bild III-5 dargestellt. y b t a y (t) Bild III-5 Zur Parameterdarstellung einer Funktion x (t) x Um die Kurve zu zeichnen geht man in der Praxis zweckmäßigerweise wie folgt vor: Man erstellt zunächst eine Wertetabelle, indem man einige Parameterwerte vorgibt, dann die zugehörigen x- und y-Werte aus den gegebenen Parametergleichungen berechnet und diese Wertepaare schließlich als Punkte in einem rechtwinkligen Koordinatensystem darstellt (die Wertetabelle besteht hier aus drei Spalten). Durch Verbinden dieser (dicht genug aufeinanderfolgenden) Punkte erhält man dann den gesuchten Kurvenverlauf. & Beispiel Waagerechter Wurf: Ein Körper wird im luftleeren Raum aus einer gewissen Höhe waagerecht mit der konstanten Geschwindigkeit vom Betrage v 0 abgeworfen und bewegt sich dabei auf einer Parabelbahn (sog. Wurfparabel; Bild III-6). Die Parametergleichungen dieser Bewegung lauten wie folgt: 1 gt2 (mit t 0) 2 (g: Erdbeschleunigung; t : Zeitparameter) x ¼ v0 t , y ¼ v0 x y Bild III-6 Wurfparabel beim waagerechten Wurf (die y-Achse zeigt zum Erdmittelpunkt) x Wurfparabel y 2 Allgemeine Funktionseigenschaften 151 Durch Eliminieren des Parameters t erhält man schließlich die Gleichung der Wurfparabel in expliziter Form: x ðEinsetzen in die 2. ParametergleichungÞ ) x ¼ v0 t ) t ¼ v0 2 1 1 x g x2 ¼ gt2 ¼ g 2 2 v0 2 v 20 y ¼ Rechenbeispiel: v 0 ¼ 15 m=s, y ¼ 1 45 m ðx 0Þ g ¼ 10 m=s 2 x2 ðx 0 mÞ & 2 Allgemeine Funktionseigenschaften 2.1 Nullstellen Definition: Eine Funktion y ¼ f ðxÞ besitzt an der Stelle x 0 eine Nullstelle, wenn f ðx 0 Þ ¼ 0 ist. In einer Nullstelle x 0 schneidet oder berührt die Funktionskurve die x-Achse. & Beispiele (1) (2) Die lineare Funktion (Gerade) y ¼ x 2 schneidet die x-Achse an der Stelle x 1 ¼ 2 (Bild III-7). 2 Die Parabel y ¼ x 1 besitzt an der Stelle x 1 ¼ 1 eine doppelte Nullstelle, d. h. einen Berührungspunkt (Bild III-8). y y y = (x – 1) 2 y=x–2 1 1 2 x –2 1 Bild III-7 Einfache Nullstelle Bild III-8 Doppelte Nullstelle x 152 (3) III Funktionen und Kurven Ein Beispiel für eine Funktion mit unendlich vielen Nullstellen liefert die Sinusfunktion y ¼ sin x. Sie liegen bei x k ¼ k p mit k ¼ 0, 1, 2, . . . (Bild III-9): y 1 –p y = sin x p 0 2p x –1 Bild III-9 Nullstellen der Sinusfunktion y ¼ sin x & 2.2 Symmetrieverhalten Wir unterscheiden zwischen Spiegel- und Punktsymmetrie. Definition: Eine Funktion y ¼ f ðxÞ mit einem zum Nullpunkt symmetrischen Definitionsbereich D heißt gerade, wenn sie für jedes x 2 D die Bedingung f ðxÞ ¼ f ðxÞ ðIII-2Þ erfüllt. Die Funktionskurve einer geraden Funktion verläuft spiegelsymmetrisch zur y-Achse: Jeder Punkt der Kurve geht dabei durch Spiegelung an der y-Achse wieder in einen Kurvenpunkt über. Einfache Beispiele für spiegelsymmetrische Funktionen liefern die Parabel y ¼ x 2 (Bild III-10) und die Kosinusfunktion y ¼ cos x (Bild III-11). y y y=x 2 y = cos x f (–x) f (–x) –x Bild III-10 f (x) x f (x) –x x x Normalparabel y ¼ x 2 Bild III-11 Kosinusfunktion y ¼ cos x x 2 Allgemeine Funktionseigenschaften 153 Definition: Eine Funktion y ¼ f ðxÞ mit einem zum Nullpunkt symmetrischen Definitionsbereich D heißt ungerade, wenn sie für jedes x 2 D die Bedingung f ðxÞ ¼ f ðxÞ ðIII-3Þ erfüllt. Das Bild einer ungeraden Funktion verläuft punktsymmetrisch zum Koordinatenursprung: Spiegelt man einen beliebigen Kurvenpunkt am Nullpunkt, so liegt der Bildpunkt ebenfalls auf der Funktionskurve. Die kubische Parabel y ¼ x 3 (Bild III-12) und die Sinusfunktion y ¼ sin x (Bild III-13) sind einfache Beispiele für ungerade Funktionen. y y y=x3 y = sin x f (x) f (x) –x –x x x Bild III-12 & x f (–x) f (–x) Kubische Parabel y ¼ x 3 Bild III-13 x Sinusfunktion y ¼ sin x Beispiele (1) (2) (3) Die Potenzfunktionen y ¼ x n (mit n ¼ 1, 2, 3, . . .) sind entweder spiegelsymmetrisch zur y-Achse, also gerade Funktionen (für n ¼ gerade) oder punktsymmetrisch und damit ungerade Funktionen (für n ¼ ungerade). Sie erklären die Bezeichnungen „gerade“ bzw. „ungerade“ für die beiden Symmetriearten. pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi f ðxÞ ¼ x 2 þ 1, x 2 R ist eine gerade Funktion, denn es gilt: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 x þ 1 ¼ x 2 þ 1 ¼ f ðxÞ f ðxÞ ¼ f ðxÞ ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 x 1 þ x, 1 x 1 Diese Funktion ist ungerade, denn es gilt für alle x-Werte aus dem Definitionsbereich: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi f ðxÞ ¼ 1 ðxÞ 1 þ ðxÞ ¼ 1 þ x 1 x ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ 1 x 1 þ x ¼ f ðxÞ |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} f ðxÞ & 154 III Funktionen und Kurven 2.3 Monotonie In Abschnitt 2.5 werden wir uns mit dem wichtigen Problem der Umkehrung einer Funktion beschäftigen. Ob diese gelingt, wird dabei entscheidend von einer speziellen Eigenschaft der Funktion abhängen, die man als Monotonie bezeichnet. Dieser Begriff wird wie folgt definiert: Definition: x 1 und x 2 seien zwei beliebige Werte aus dem Definitionsbereich D einer Funktion y ¼ f ðxÞ, die der Bedingung x 1 < x 2 genügen. Dann heißt die Funktion monoton wachsend, falls f ðx 1 Þ f ðx 2 Þ streng monoton wachsend, falls f ðx 1 Þ < f ðx 2 Þ monoton fallend, falls f ðx 1 Þ f ðx 2 Þ streng monoton fallend, falls f ðx 1 Þ > f ðx 2 Þ ist. Eine streng monoton wachsende Funktion besitzt demnach die Eigenschaft, dass zum kleineren x-Wert stets auch der kleinere y-Wert gehört (Bild III-14). Läuft man auf der Kurve von links nach rechts, d. h. in Richtung zunehmender x-Werte, so nehmen auch die y-Werte ständig zu. Bei einer streng monoton fallenden Funktion ist es genau umgekehrt: Zum kleineren Abszissenwert gehört stets der größere Ordinatenwert (Bild III-15). y y y = f (x) y = f (x) f (x 1 ) f (x 2 ) f (x 2 ) f (x 1 ) x1 Bild III-14 x2 x Graph einer streng monoton wachsenden Funktion x1 x2 x Bild III-15 Graph einer streng monoton fallenden Funktion Viele Funktionen zeigen in ihrem gesamten Definitionsbereich keine Monotonie-Eigenschaft, sind jedoch in gewissen Teilintervallen monoton wachsend oder fallend (siehe hierzu das nachfolgende Beispiel (3) über die Normalparabel). 2 Allgemeine Funktionseigenschaften & 155 Beispiele (1) Streng monoton wachsende Funktionen sind: a) Jede Gerade mit positiver Steigung b) Kubische Parabel y ¼ x 3 (Bild III-12) c) Aufladung eines Kondensators über einen ohmschen Widerstand auf die Endspannung u 0 (u ¼ u ðtÞ: Spannung zur Zeit t, t 0; Bild III-16). d) Wachstumsprozesse in der Natur wie z. B. die Vermehrung von Bakterien verlaufen meist exponentiell ansteigend wie in Bild III-17 dargestellt (y 0 ist dabei der Anfangswert oder Anfangsbestand). y u u0 y0 t t Bild III-16 Zeitlicher Spannungsverlauf am Kondensator (Aufladung) (2) Bild III-17 Zeitlicher Verlauf eines Wachstumsprozesses Streng monoton fallende Funktionen sind: a) Jede Gerade mit negativer Steigung b) Radioaktiver Zerfall: Beim natürlichen radioaktiven Zerfall nimmt die Anzahl n der Atomkerne nach einem Exponentialgesetz mit der Zeit t ab (n 0 : Anzahl der Atomkerne zu Beginn, d. h. zur Zeit t ¼ 0, siehe Bild III-18). n u n0 u0 n = n (t) u = u (t) t t Bild III-18 Zerfallsgesetz beim radioaktiven Zerfall Bild III-19 Entladung eines Kondensators über einen ohmschen Widerstand 156 III Funktionen und Kurven c) Entladung eines Kondensators: Entlädt man einen Kondensator über einen ohmschen Widerstand, so klingt die Kondensatorspannung u exponentiell mit der Zeit t ab (u 0 : Anfangsspannung zur Zeit t ¼ 0, siehe Bild III-19). d) Bei einem idealen Gas sind bei konstanter absoluter Temperatur T Gasdruck p und Volumen V umgekehrt proportionale Größen (Boyle-Mariottesches Gesetz): p ¼ p ðVÞ ¼ const: V ðV > 0Þ Die in Bild III-20 skizzierte Kurve wird in der Physikalischen Chemie als Isotherme bezeichnet (Kurve konstanter Temperatur). p p= const. V Bild III-20 Boyle-Mariottesches Gesetz für ein ideales Gas V (3) Die Normalparabel y ¼ x 2 , x 2 R ist in R weder monoton fallend noch monoton wachsend. Beschränkt man sich jedoch auf das Intervall x 0, d. h. auf den 1. Quadranten, so verläuft die Parabel dort streng monoton wachsend. Im Intervall x 0 dagegen fällt sie streng monoton (siehe Bild III-21). y y=x2 x 0: streng monoton fallend 1 x 0: streng monoton wachsend 1 Bild III-21 (4) x Zur Untersuchung des Monotonieverhaltens der Normalparabel y ¼ x 2 Die Erdbeschleunigung g besitzt an der Erdoberfläche, d. h. im Abstand r 0 vom Erdmittelpunkt den Wert g 0 ¼ 9,81 m=s2 . Mit zunehmender Entfernung r von der Erdoberfläche nimmt g nach dem Gravitationsgesetz von Newton wie folgt ab: 2 Allgemeine Funktionseigenschaften g ¼ g ðrÞ ¼ f M 1 r2 157 ðr r 0 Þ (r 0 : Erdradius; M : Masse der Erde; f : Gravitationskonstante) Die Erdbeschleunigung g ist somit eine streng monoton fallende Funktion der Abstandskoordinate r. (5) Die in Bild III-22 skizzierte „Rampenfunktion“ mit der Gleichung 8 9 x < 0> > y <0 = x f ür 0 x 1 f ðxÞ ¼ > > : ; 1 1 x > 1 verläuft im gesamten Definitionsbereich monoton wachsend, nicht aber streng monoton wachsend (diese Eigenschaft hat sie nur im Intervall 0 x 1). 1 x Bild III-22 & 2.4 Periodizität Zahlreiche Vorgänge in Naturwissenschaft und Technik verlaufen periodisch, d. h. sie wiederholen sich in regelmäßigen (meist zeitlichen) Abständen. Musterbeispiele hierfür sind die mechanischen und elektromagnetischen Schwingungen. Zur Beschreibung solcher Abläufe werden periodische Funktionen benötigt, die wie folgt definiert sind: Difinition: Eine Funktion y ¼ f ðxÞ heißt periodisch mit der Periode p, wenn mit jedem x 2 D auch x p zum Definitionsbereich der Funktion gehört und f ðx pÞ ¼ f ðxÞ ðIII-4Þ ist. Anmerkungen (1) (2) & Mit der Periode p ist auch k p eine Periode der Funktion ðk 2 N*Þ. Die kleinste positive Periode p heißt auch primitive Periode. Beispiel Ein wichtiges Beispiel liefert die Sinusfunktion y ¼ sin x. Sie ist periodisch mit der (primitiven) Periode p ¼ 2 p (Bild III-23): sin ðx þ 2 pÞ ¼ sin x ðx 2 RÞ Aber auch 2 p, 4 p, 6 p, 8 p, . . . sind Perioden der Sinusfunktion. 158 III Funktionen und Kurven y y = sin x 1 sin (x + 2 p ) sin x p x 2p x+2p 3p x –1 p=2p Bild III-23 Die Sinusfunktion y ¼ sin x als Beispiel für eine periodische Funktion & Periodische Funktionen durchlaufen somit ihren gesamten Wertevorrat in jedem Periodenintervall, d. h. in jedem Intervall der Länge p. So nimmt beispielsweise die Sinusfunktion in dem Periodenintervall 0 x 2 p sämtliche Funktionswerte an (1 y 1Þ: & Beispiele (1) (2) Die vier trigonometrischen Funktionen, deren Eigenschaften wir in Abschnitt 9 noch ausführlich erörtern werden, sind periodische Funktionen: y ¼ sin x, y ¼ cos x : Periode p ¼ 2 p y ¼ tan x, y ¼ cot x : Periode p ¼ p Periodische Funktionen spielen u. a. bei der Beschreibung und Darstellung mechanischer und elektromagnetischer Schwingungen eine bedeutende Rolle. Die Periode p wird in diesem Zusammenhang meist als Schwingungsdauer T bezeichnet. In Bild III-24 ist als Beispiel für eine nicht-sinusförmige Schwingung der zeitliche Verlauf einer sog. Kippspannung mit der Schwingungsdauer T ¼ 4 ms dargestellt. u/V 50 4 8 12 t / ms T = 4 ms Bild III-24 Die Kippspannung als Beispiel für einen nicht-sinusförmigen Schwingungsvorgang („Sägezahn-Impuls“) & 2 Allgemeine Funktionseigenschaften 159 2.5 Umkehrfunktion oder inverse Funktion Nach der in Abschnitt 1.1 gegebenen Definition ordnet eine Funktion y ¼ f ðxÞ jedem Argument x 2 D genau einen Funktionswert y 2 W zu. Diese eindeutige Zuordnung ist in Bild III-25 durch Pfeile kenntlich gemacht. So gehört beispielsweise zum Argument x 1 der Funktionswert y 1 und zum Argument x 2 der Funktionswert y 2 . Häufig stellt sich das umgekehrte Problem: Zu einem vorgegebenen Funktionswert (y-Wert) ist der zugehörige x-Wert zu bestimmen. Die in Bild III-26 dargestellte Funktion ordnet beispielsweise dem Funktionswert y 1 das Argument x 1 und dem Funktionswert y 2 das Argument x 2 zu. y y y = f (x) y2 y1 y = f (x) y2 y1 x1 Bild III-25 x2 x Zum Begriff einer Funktion x1 x2 x Bild III-26 Zur Umkehrung einer Funktion Folgt aus x 1 6¼ x 2 stets f ðx 1 Þ 6¼ f ðx 2 Þ, d. h. gehören zu verschiedenen Abszissenwerten stets auch verschiedene Ordinatenwerte, so gehört zu jedem y-Wert auch genau ein x-Wert. Eine Funktion y ¼ f ðxÞ mit dieser Eigenschaft heißt umkehrbar. Definition: Eine Funktion y ¼ f ðxÞ heißt umkehrbar, wenn aus x 1 6¼ x 2 stets f ðx 1 Þ 6¼ f ðx 2 Þ folgt. Ist also eine Funktion y ¼ f ðxÞ umkehrbar, so gehört zu jedem y 2 W genau ein x 2 D. Diese durch die eindeutige Zuordnung y 7! x gewonnene Funktion wird als die „nach der Variablen x aufgelöste Form von y ¼ f ðxÞ“ bezeichnet. Wir verwenden dafür die symbolische Schreibweise x ¼ f 1 ðyÞ oder besser x ¼ g ðyÞ. Jetzt aber ist y die unabhängige und x die abhängige Variable und wir müssten daher bei einer graphischen Darstellung der Funktion x ¼ g ðyÞ in einem rechtwinkligen Koordinatensystem konsequenterweise die Bezeichnungen der beiden Achsen miteinander vertauschen, d. h. die waagerechte Achse müsste als y-Achse und die senkrechte Achse als x-Achse bezeichnet werden. Dies aber ist allgemein nicht üblich. Statt dessen vertauscht man in der Gleichung x ¼ g ðyÞ die beiden Variablen miteinander und erhält auf diese Weise eine neue Funktion y ¼ g ðxÞ, die als Umkehrfunktion oder inverse Funktion von y ¼ f ðxÞ bezeichnet wird. 160 III Funktionen und Kurven In vielen (aber nicht allen) Fällen gelingt es, die Funktionsgleichung der Umkehrfunktion wie folgt zu bestimmen: Bestimmung der Funktionsgleichung einer Umkehrfunktion 1. Man löst zunächst die Funktionsgleichung y ¼ f ðxÞ nach der Variablen x auf (diese Auflösung muss natürlich möglich und eindeutig sein!) und erhält so „die nach der Variablen x aufgelöste Form x ¼ g ðyÞ“: y ¼ f ðxÞ Funktionsgleichung I nach der Variablen x auflösen x ¼ g ðyÞ 2. Durch formales Vertauschen der beiden Variablen x und y gewinnt man hieraus schließlich die Umkehrfunktion y ¼ g ðxÞ: x ¼ g ðyÞ Variablen x und y I miteinander vertauschen y ¼ g ðxÞ Anmerkungen (1) Die beiden Schritte können auch in der umgekehrten Reihenfolge ausgeführt werden. (2) Bei der Umkehrung einer Funktion werden Definitionsbereich und Wertebereich miteinander vertauscht. Nicht jede Funktion ist jedoch umkehrbar, wie bereits das einfache Beispiel der Normalparabel y ¼ x 2 , x 2 R zeigt. Zu jedem Funktionswert y 0 > 0 gehören genau zwei verschiedene Werte x 0 und x 0 der Variablen x. Denn jede oberhalb der x-Achse verlaufende Parallele zur x-Achse schneidet die Parabel in zwei spiegelsymmetrisch zur y-Achse angeordneten Punkten P und P 0 (Bild III-27). Die Funktion y ¼ x 2 ist daher im Intervall 1 < x < 1 nicht umkehrbar. Offensichtlich liegt dies an der fehlenden Monotonie der Normalparabel. y P′ y=x2 y0 P Bild III-27 Die Normalparabel y ¼ x 2 , x 2 R als Beispiel für eine nicht umkehrbare Funktion – x0 x0 x Am Kurvenverlauf lässt sich bereits leicht erkennen, ob eine Funktion umkehrbar ist oder nicht. Wenn jede Parallele zur x-Achse die Kurve höchstens einmal schneidet, ist die Funktion umkehrbar (siehe hierzu Bild III-28). Diese Bedingung erfüllen alle streng monoton verlaufenden Funktionen. 2 Allgemeine Funktionseigenschaften 161 y y Parallele zur x-Achse Parallele zur x-Achse x x a) b) Bild III-28 Zur Umkehrung einer Funktion a) Umkehrbare Funktion b) Nicht umkehrbare Funktion (zwei Schnittstellen) & Beispiele (1) y ¼ 2x þ 1 ðx 2 RÞ Diese Gerade verläuft streng monoton wachsend und ist daher umkehrbar. Durch Auflösen der Geradengleichung nach x erhält man zunächst x ¼ g ðyÞ ¼ 0,5 y 0,5 ðmit y 2 RÞ Formales Vertauschen der beiden Variablen führt schließlich zur gesuchten Umkehrfunktion: y ¼ g ðxÞ ¼ 0,5 x 0,5 ðx 2 RÞ Die Umkehrfunktion der Geraden y ¼ 2 x þ 1 ist also wiederum eine Gerade mit der Gleichung y ¼ 0,5 x 0,5 (Bild III-29). y y = 2x + 1 5 y=x y = 0,5 x – 0,5 1 1 Bild III-29 5 x Gerade y ¼ 2 x þ 1 und ihre Umkehrfunktion y ¼ 0,5 x 0,5 162 (2) III Funktionen und Kurven y ¼ x2 ðx 0Þ Es handelt sich bei dieser Funktion um den im 1. Quadranten verlaufenden Teil der Normalparabel. Diese Funktion ist streng monoton wachsend und daher umkehrbar. Die Auflösung der Funktionsgleichung nach der Variablen x liefert die pffiffiffi Wurzelfunktion x ¼ y , y 0 (es kommt nur der positive Wert infrage, da alle Kurvenpunkte im 1. Quadranten liegen). Durch Vertauschen pffiffiffi der beiden Variablen erhält man hieraus schließlich die Umkehrfunktion y ¼ x, x 0 (Bild III-30). y 3 y=x2 y=x 2 y= x 1 1 Bild III-30 2 3 x pffiffiffi Die Wurzelfunktion y ¼ x, x 0 als Umkehrfunktion der „Halbparabel“ y ¼ x 2, x 0 & Wie die Beispiele zeigen, verlaufen die Graphen einer Funktion y ¼ f ðxÞ und ihrer Umkehrfunktion y ¼ g ðxÞ spiegelsymmetrisch zur Geraden y ¼ x (Winkelhalbierende des 1. und 3. Quadranten). Diese Aussage lässt sich verallgemeinern, sofern auf beiden Koordinatenachsen der gleiche Maßstab verwendet wird (Bild III-31). y y = f (x) y=x y = g (x) x Bild III-31 Zur Umkehrung einer Funktion y ¼ f ðxÞ auf graphischem Wege 3 Koordinatentransformation 163 Wir fassen die wichtigsten Ergebnisse dieses Abschnitts wie folgt zusammen: ber die Umkehrung einer Funktion 1. Jede streng monoton wachsende oder fallende Funktion ist umkehrbar. 2. Bei der Umkehrung einer Funktion werden Definitions- und Wertebereich miteinander vertauscht. 3. Zeichnerisch erhält man das Schaubild der Umkehrfunktion durch Spiegelung der Funktionskurve an der Geraden y ¼ x (Bild III-31; Voraussetzung: gleicher Maßstab auf beiden Koordinatenachsen). 3 Koordinatentransformationen 3.1 Ein einführendes Beispiel Die Gleichung einer Funktion oder einer Kurve hängt entscheidend von der Wahl des zugrunde gelegten Koordinatensystems ab. Besonders einfache Gleichungen erhält man immer dann, wenn ein symmetriegerechtes Koordinatensystem gewählt wird, das den speziellen Symmetrieeigenschaften der Funktion oder der Kurve Rechnung trägt. Wir erläutern dieses Problem an einem einfachen Beispiel. y y v P P 3 2 3 M y M 1 1 a) Bild III-32 x v u u 2 x x b) Zur Koordinatentransformation eines Kreises a) Kreis im x, y-System b) Kreis im u, v-System Der in Bild III-32a) skizzierte Kreis mit dem Mittelpunkt M ¼ ð1; 2Þ und dem Radius r ¼ 3 wird in dem zugrunde gelegten x, y-Koordinatensystem durch die Gleichung 2 2 x 1 þ y2 ¼ 9 ðIII-5Þ 164 III Funktionen und Kurven beschrieben. Diese Gleichung lässt sich wesentlich vereinfachen, wenn wir zu einem neuen u, v-Koordinatensystem übergehen, das die spezielle Symmetrie des Kreises berücksichtigt. Dazu wählen wir den Mittelpunkt des Kreises als neuen Koordinatenursprung und legen durch ihn zur x-Achse bzw. y-Achse parallele Koordinatenachsen. In dem neuen u, v-System nimmt dann die Kreisgleichung die einfache Gestalt u2 þ v2 ¼ 9 ðIII-6Þ an, wie man mit Hilfe des bekannten Lehrsatzes des Pythagoras dem Bild III-32b) unmittelbar entnehmen kann. Zwischen den neuen und den alten Koordinaten besteht dabei der folgende Zusammenhang: u ¼ x 1 bzw: v ¼ y2 x ¼ uþ1 ðIII-7Þ y ¼ vþ2 Der bergang vom x, y-System zum u, v-System wird als Koordinatentransformation bezeichnet. In diesem einführenden Beispiel handelt es sich dabei um eine Parallelverschiebung des kartesischen x, y-Koordinatensystems. 3.2 Parallelverschiebung eines kartesischen Koordinatensystems Wir gehen bei unseren Betrachtungen von einem rechtwinkligen oder kartesischen x, y-Koordinatensystem aus. Durch Parallelverschiebung der Koordinatenachsen entsteht hieraus ein neues, wiederum kartesisches Koordinatensystem (Bild III-33). Es soll im Folgenden als u, v-Koordinatensystem bezeichnet werden. Der Koordinatenursprung des neuen u, v-Systems falle dabei in den Punkt O 0 ¼ ða; bÞ, bezogen auf das alte x, y-System. y v P v 0′ a u y u b 0 x x Bild III-33 Parallelverschiebung eines kartesischen Koordinatensystems Ein beliebig herausgegriffener Punkt P besitze im x, y-System die Koordinaten ðx; yÞ und im u, v-System die Koordinaten ðu; vÞ. Zwischen ihnen bestehen die folgenden Transformationsgleichungen, die sich unmittelbar aus Bild III-33 ablesen lassen: x ¼ uþa y ¼ vþb bzw: u ¼ x a v ¼ yb ðIII-8Þ 3 Koordinatentransformation 165 Wie verändert sich bei einer solchen Koordinatentransformation die Gleichung einer Funktion y ¼ f ðxÞ? Mit Hilfe der Transformationsgleichungen (III-8) finden wir: x¼uþa y ¼ f ðxÞ ! v þ b ¼ f ðu þ aÞ y¼vþb oder v ¼ f ðu þ aÞ b ðIII-9Þ Bei einer sinnvoll gewählten Koordinatentransformation erreicht man dabei stets eine erhebliche Vereinfachung der Funktions- oder Kurvengleichung, wie bereits im einführenden Beispiel gezeigt wurde. Weitere Beispiele im Anschluss an die nachfolgende Zusammenfassung werden diese Aussage bestätigen. Parallelverschiebung eines kartesischen Koordinatensystems (Bild III-33) Das kartesische x, y-Koordinatensystem gehe durch eine Parallelverschiebung der Koordinatenachsen in das ebenfalls rechtwinklige u, v-Koordinatensystem über (Bild III-33). Ein beliebiger Punkt P besitze im „alten“ x, y-System die Koordinaten ðx; y) und im „neuen“ u, v-System die Koordinaten ðu; vÞ. Zwischen diesen Koordinaten bestehen dann die folgenden linearen Transformationsgleichungen: x ¼ uþa y ¼ vþb bzw: u ¼ x a v ¼ yb ðIII-10) Dabei bedeuten: ða; bÞ: Koordinatenursprung des neuen u, v-Koordinatensystems, bezogen auf das alte x, y-System Die Konstanten a und b besitzen die folgende geometrische Bedeutung: j a j: Abstand der beiden vertikalen Koordinatenachsen j b j: Abstand der beiden horizontalen Koordinatenachsen a > 0: Verschiebung der y-Achse nach rechts (sonst nach links) b > 0: Verschiebung der x-Achse nach oben (sonst nach unten) & Beispiele (1) Die Parabel y ¼ x 2 þ 2 x þ 3 lässt sich durch quadratische Ergänzung in die folgende Gestalt bringen: y ¼ x 2 þ 2 x þ 3 ¼ ðx 2 þ 2 x þ 1 Þ þ 2 ¼ ðx þ 1Þ 2 þ 2 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} ðx þ 1Þ 2 y 2 ¼ ðx þ 1Þ 2 Mit Hilfe der linearen Transformationsgleichungen u ¼ x þ1 und v ¼ y2 ) 166 III Funktionen und Kurven führen wir ein neues, parallelverschobenes u, v-Koordinatensystem ein, dessen Ursprung im Scheitelpunkt der Parabel liegt und im x, y-System die Koordinaten x 0 ¼ 1 und y 0 ¼ 2 besitzt 1Þ . Die Funktionsgleichung der Parabel lautet daher im neuen u, v-System wie folgt: y 2 ¼ ðx þ 1Þ 2 u¼xþ1 !" v¼y2 v ¼ u2 Durch diese Parallelverschiebung haben wir eine wesentliche Vereinfachung der Parabelgleichung erreicht und dabei erkannt, dass es sich letztendlich um die bekannte Normalparabel handelt (Bild III-34). 2 v y 0′ 1 2 u Bild III-34 –1 0 x 1 (2) Die Parabel y ¼ 0,5 x 2 soll um zwei Einheiten in Richtung der positiven x-Achse und gleichzeitig um drei Einheiten in Richtung der negativen y-Achse verschoben werden. Wie lautet die Gleichung der verschobenen Parabel im x, y-Koordinatensystem? Lösung: Der Scheitelpunkt S der verschobenen Parabel besitzt die Koordinaten x 0 ¼ 2 und y 0 ¼ 3. Wir wählen ihn als Ursprung eines neuen u, v-Koordinatensystems. In diesem System besitzt die verschobene Parabel die gleiche Lage wie die unverschobene Parabel im alten x, y-System. Aus der Funktionsgleichung y ¼ 0,5 x 2 wird daher im u, v-System die Gleichung v ¼ 0,5 u 2 (x wird durch u und y durch v ersetzt). Zwischen den beiden Koordinatensystemen bestehen dabei die Transformationsgleichungen x ¼ uþ2 y ¼ v3 bzw: u ¼ x 2 v ¼ yþ3 Man erhält sie am bequemsten aus einer Skizze, die neben dem alten x, y-System auch das neue u, v-System sowie einen beliebigen Punkt P enthält, den man (um 1Þ Die Koordinaten des neuen Koordinatenursprungs im alten x, y-System erhält man aus den Transformationsgleichungen für u ¼ 0 und v ¼ 0. 3 Koordinatentransformation 167 Vorzeichenfehler zu vermeiden) zweckmäßigerweise so auswählt, dass er im 1. Quadranten beider Koordinatensysteme liegt (Bild III-35): y v P y v x x 3 Bild III-35 u u 2 P besitzt im x, y-System die Koordinaten x und y und im u, v-System die Koordinaten u und v. Aus der Skizze lassen sich dann die gesuchten Transformationsgleichungen sofort ablesen. Die Parabel v ¼ 0,5 u 2 besitzt demnach im x, y-System die folgende Funktionsgleichung (wobei u ¼ x 2 und v ¼ y þ 3 gesetzt wird): y þ 3 ¼ 0,5 ðx 2Þ 2 y ¼ 0,5 x 2 2 x 1 oder Beide Parabeln sind in Bild III-36 dargestellt. y v y = 0,5 x 2 v = 0,5 u 2 3 –1 1 2 x –3 S Bild III-36 Parallelverschiebung der Parabel y ¼ 0,5 x 2 u 2 & 168 III Funktionen und Kurven 3.3 bergang von kartesischen Koordinaten zu Polarkoordinaten 3.3.1 Definition der Polarkoordinaten Bisher wurde die Lage eine Punktes P der Ebene ausschließlich durch rechtwinklige oder kartesische Koordinaten beschrieben. In vielen Fällen ist es jedoch günstiger, auf die wie folgt definierten Polarkoordinaten r und j zurückzugreifen (Bild III-37): y P r y Bild III-37 Polarkoordinaten ðr; jÞ eines Punktes P ¼ ðx; yÞ f 0 x x Definition: Die Polarkoordinaten ðr; jÞ eines Punktes P der Ebene bestehen aus einer Abstandskoordinate r und einer Winkelkoordinate j (Bild III-37): r : Abstand des Punktes P vom Koordinatenursprung O j: Winkel zwischen der positiven x-Achse und dem vom Koordinatenursprung O zum Punkt P gerichteten Radiusvektor Anmerkungen (1) Für die Abstandskoordinate r gilt definitionsgemäß stets r 0, d. h. negative r-Werte sind nicht zugelassen! (2) Der Winkel j wird positiv gezählt bei Drehung im Gegenuhrzeigersinn (mathematisch positiver Drehsinn), negativ dagegen bei Drehung im Uhrzeigersinn (mathematisch negativer Drehsinn). Er ist jedoch nur bis auf ganzzahlige Vielfache von 360 (bzw. 2 p im Bogenmaß) bestimmt. Man kann sich daher bei der Winkelangabe auf den im Intervall 0 j < 360 (bzw. 0 j < 2 p) gelegenen Hauptwert beschränken (wir werden so verfahren). In der Technik, insbesondere in der Elektrotechnik, werden die Hauptwerte häufig dem Intervall 180 < j 180 (bzw. p < j p) zugeordnet. Den 1. und 2. Quadranten erreicht man dabei durch Drehung im Gegenuhrzeigersinn (Drehwinkel von 0 bis 180 ), den 3. und 4. Quadranten durch Drehung im Uhrzeigersinn (Drehwinkel von 0 bis 180 ). (3) Das Polarkoordinatensystem ist ein krummliniges Koordinatensystem. Die Koordinatenlinien bestehen aus konzentrischen Kreisen um den Koordinatenursprung O (sog. j-Linien) und Strahlen, die radial von O nach außen verlaufen (sog. r-Linien; Bild III-38). Koordinatenursprung O und x-Achse werden in diesem Zusammenhang auch wie folgt bezeichnet: Koordinatenursprung O: Pol x-Achse: Polarachse 3 Koordinatentransformation 169 y f = const. (r - Linie) Bild III-38 Ebenes Polarkoordinatensystem x r = const. ( f - Linie) Ein entsprechendes Koordinatenpapier ist im Handel erhältlich („Polarkoordinatenpapier“). (4) Der Koordinatenursprung (Pol) O hat die Abstandskoordinate r ¼ 0, die Winkelkoordinate j dagegen ist unbestimmt. Zwischen den kartesischen und den Polarkoordinaten bestehen dabei die folgenden Transformationsgleichungen, die sich unmittelbar aus Bild III-37 ergeben: Koordinatentransformation: Kartesische Koordinaten ! Polarkoordinaten Polarkoordinaten " Kartesische Koordinaten (Bild III-31) x ¼ r cos j, y ¼ r sin j Kartesische Koordinaten " Polarkoordinaten (Bild III-31) pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi y tan j ¼ r ¼ x 2 þ y 2, x ðIII-11) ðIII-12Þ Anmerkungen (1) Die Berechnung der Winkelkoordinate j aus den vorgegebenen kartesischen Koordinaten nach der Gleichung tan j ¼ y=x ist häufig mit Schwierigkeiten verbunden, da die Auflösung dieser Gleichung nach j noch vom Quadranten des Winkels abhängt. Wir empfehlen daher, die Winkelberechnung auf indirektem Wege wie folgt vorzunehmen: Zunächst wird anhand einer Skizze die Lage des Punktes und damit der Quadrant des gesuchten Winkels j bestimmt, dann erfolgt die Berechnung des Winkels j über einen geeigneten Hilfswinkel a in einem rechtwinkligen Dreieck. Im nachfolgenden Beispiel (1) wird dieses Verfahren näher erläutert. 170 (2) III Funktionen und Kurven Die Berechnung des Winkels j kann auch wie folgt vorgenommen werden (in Abhängigkeit vom Quadranten): Quadrant I II, III IV j¼ arctan (y=x) arctan (y=x) þ 180 arctan (y=x) þ 360 (arctan x ist dabei die Umkehrfunktion von tan x und wird in Abschnitt 10.4 noch ausführlich besprochen). & Beispiele (1) Der Punkt P1 ¼ ð3; 4Þ liegt im 2. Quadrant (Bild III-39). Für die Abstandskoordinate r erhalten wir nach der ersten der Gleichungen (III-12): qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi r ¼ ð3Þ 2 þ 4 2 ¼ 25 ¼ 5 Für den Hauptwert der gesuchten Winkelkoordinate j entnehmen wir der Lageskizze: 90 < j < 180 . Wir berechnen zunächst den Hilfswinkel a des eingezeichneten rechtwinkligen Dreiecks mit den Katheten der Längen 3 und 4 und daraus schließlich den Winkel j: 4 4 tan a ¼ ) a ¼ arctan ¼ 53,1 3 3 j ¼ 180 a ¼ 180 53,1 ¼ 126,9 Ergebnis: r ¼ 5, j ¼ 126,9 y P1 y 4 210° x 4 r x y a –3 3 3,8 f Bild III-39 (2) P2 x Bild III-40 Die Lage des Punktes P2 in Bild III-40 wird eindeutig durch die Polarkoordinaten r ¼ 3,8 und j ¼ 210 beschrieben. Seine kartesischen Koordinaten berechnen wir aus Gleichung (III-11) wie folgt: x ¼ 3,8 cos 210 ¼ 3,29 und y ¼ 3,8 sin 210 ¼ 1,9 & 3 Koordinatentransformation 171 3.3.2 Darstellung einer Kurve in Polarkoordinaten Ein in Polarkoordinaten ðr; jÞ dargestellte Kurve wird durch eine Gleichung r ¼ f ðjÞ r ¼ r ðjÞ oder ðIII-13Þ beschrieben. Um die Kurve zeichnen zu können, erstellen wir eine Wertetabelle. Für den Polarwinkel j werden dabei verschiedene Werte j 1 , j 2 , j 3 , . . . vorgegeben und aus der Funktionsgleichung r ¼ r ðjÞ die zugehörigen Abstandswerte r 1 ¼ r ðj 1 Þ, r 2 ¼ r ðj 2 Þ, r 3 ¼ r ðj 3 Þ, . . . berechnet: j j1 j2 j3 ... r ¼ r ðjÞ r 1 ¼ r ðj 1 Þ r 2 ¼ r ðj 2 Þ r 3 ¼ r ðj 3 Þ ... Dabei ist zu beachten, dass definitionsgemäß nur positive Werte für r infrage kommen, da r der Abstand eines Kurvenpunktes vom Koordinatenursprung ist und somit als physikalische Größe nie negativ sein kann. Erhält man für einen Winkel j* durch formales Einsetzen in die Kurvengleichung r ¼ r ðjÞ einen negativen Abstandswert r* ¼ r ðj*Þ, so befindet sich in dieser Winkelrichtung kein Kurvenpunkt. Der Winkel j* liegt in diesem Fall außerhalb des Definitionsbereiches der Funktion r ¼ r ðjÞ. Den Kurvenverlauf erhält man schließlich, indem man auf den Strahlen j ¼ j 1 , j ¼ j 2 , j ¼ j 3 , . . . die zugehörigen (positiven) Abstandswerte r 1 , r 2 , r 3 , . . . vom Nullpunkt (Pol) aus nach außen hin abträgt und die auf diese Weise erhaltenen Kurvenpunkte miteinander verbindet (Bild III-41). y f3 f2 r = r ( f) r3 f1 r2 Bild III-41 Zur graphischen Darstellung einer in Polarkoordinaten definierten Kurve r ¼ r ðjÞ r1 Pol & Polarachse x Beispiele (1) Durch die Gleichung r ¼ r ðjÞ ¼ 2 j ð0 j 2 pÞ wird die in Bild III-42 skizzierte spiralförmige Kurve beschrieben (sog. Archimedische Spirale). Dieses Kurvenbild erhalten wir mit Hilfe der folgenden 172 III Funktionen und Kurven Wertetabelle (gewählte Schrittweite: Dj ¼ 30 ¼ b p=6; die Winkelwerte müssen dabei im Bogenmaß eingesetzt werden, damit die Abstandkoordinate r ¼ 2 j dimensionslos bleibt!): p 6 j 0 r 0 1,05 j 9 p 6 r 1 2 p 6 10,47 p 6 3 2,09 10 9,42 p 6 3,14 p 6 11 11,52 4 p 6 4,19 12 5 p 6 5,24 6 p 6 6,28 7 p 6 7,33 8 p 6 8,38 p 6 12,57 y 5 r = 2f 1 –5 –1 1 5 10 x –5 –10 Bild III-42 (2) Archimedische Spirale r ¼ 2 j (mit 0 j 2 p) Die Kurve mit der Gleichung ð0 j 360 Þ r ¼ r ðjÞ ¼ 1 þ cos j heißt Kardioide (Herzkurve) und besitzt den in Bild III-43 skizzierten Verlauf (Spiegelsymmetrie zur x-Achse), den wir mit Hilfe der folgenden Wertetabelle erhalten haben (gewählte Schrittweite: Dj ¼ 30 ): j 0 30 60 90 120 150 180 r 2 1,87 1,5 1 0,5 0,13 0 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion 173 Die Punkte des 3. und 4. Quadranten erhält man durch Spiegelung der berechneten Kurvenpunkte an der x-Achse (die Winkel werden nach unten abgetragen). y r = 1 + cos f 1 1 2 Bild III-43 Kardioide r ¼ 1 þ cos j x ð0 j 360 Þ –1 & 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion 4.1 Reelle Zahlenfolgen 4.1.1 Definition und Darstellung einer reellen Zahlenfolge Definition: Jeder positiven ganzen Zahl n wird in eindeutiger Weise eine reelle Zahl a n zugeordnet. Die unendliche Menge reeller Zahlen a 1 , a 2 , a 3 , . . . heißt reelle Zahlenfolge. Symbolische Schreibweise: ha n i ¼ a 1 , a 2 , a 3 , . . . , a n , . . . ðn 2 N*Þ ðIII-14) Die Zahlen a 1 , a 2 , a 3 , . . . heißen die Glieder der Folge, a n ist das n-te Glied der Folge. Anmerkungen (1) Eine reelle Zahlenfolge wird auch kurz als Folge bezeichnet. (2) Anschauliche Deutung einer Folge: Wie im Kino werden die Plätze fortlaufend durchnummeriert und jeder Platz mit einer reellen Zahl „belegt“. Platzziffer: 1 2 3 Element: # a1 # a2 # a3 ... n ... ... # an ... Die Nummerierung kann auch bei 0 oder einer beliebigen anderen natürlichen Zahl k beginnen. 174 III Funktionen und Kurven Eine Zahlenfolge ha n i kann auch als diskrete Funktion aufgefasst werden, die jedem n 2 N* genau eine Zahl a n 2 R zugeordnet. Eine Zuordnungsvorschrift in Form einer Gleichung (3) a n ¼ f ðnÞ ðn 2 N*Þ ðIII-15Þ heißt Bildungsgesetz der Folge. & Beispiele 1 1 1 , , , ... 2 4 6 (1) ha n i ¼ (2) ha n i ¼ 1 3 , 2 3 , 3 3 , . . . (3) ha n i ¼ 0, Bildungsgesetz: a n ¼ 1 2n Bildungsgesetz: a n ¼ n 3 1 2 3 , , , ... 2 3 4 Bildungsgesetz: a n ¼ 1 ðn 2 N*Þ ðn 2 N*Þ 1 n ðn 2 N*Þ & Die Glieder einer Folge ha n i lassen sich durch Punkte auf einem Zahlenstrahl darstellen. Für die Zahlenmenge 1 1 2 3 4 ha n i ¼ 1 ¼ 0, , , , , . . . ðn 2 N*Þ ðIII-16Þ n 2 3 4 5 beispielsweise erhalten wir die in Bild III-44 skizzierte Abbildung (Anordnung): a1 a2 a3 a4 a5 0 1 2 2 3 3 4 Bild III-44 4 5 Darstellung der Zahlenfolge ha n i ¼ h1 1=ni auf einer Zahlengerade ðn 2 N*Þ Eine Folge ha n i lässt sich auch durch einen Graph anschaulich darstellen. Wir interpretieren dabei die Folge ha n i als eine diskrete Funktion und ordnen jedem Wertepaar ðn; a n Þ einen Punkt Pn in einem rechtwinkligen Koordinatensystem zu. Die Menge aller Punkte P n ¼ ðn; a n Þ mit n 2 N* heißt Graph der Folge ha n i. & Beispiel Die Folge (III-16) lässt sich durch die Funktionsgleichung (Bildungsgesetz) a n ¼ f ðnÞ ¼ n1 1 ¼ 1 n n ðn 2 N*Þ beschreiben. Der zugehörige Graph besitzt das in Bild III-45 skizzierte Aussehen. 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion 175 an 1 0,5 Bild III-45 Darstellung der Zahlenfolge ha n i ¼ h1 1=ni mit n 2 N* durch einen Graph 1 2 3 4 n 5 & 4.1.2 Grenzwert einer Folge Wir wollen uns zunächst eingehend mit den Eigenschaften der Zahlenfolge n1 1 ¼ 1 ðn 2 N*Þ ha n i ¼ n n ðIII-17Þ beschäftigen und erstellen zu diesem Zweck eine Wertetabelle: n 1 2 3 ... 10 ... 100 ... 1000 ... an 0 1 2 2 3 ... 0,9 ... 0,99 ... 0,999 ... Aus ihr entnehmen wir die folgenden Eigenschaften 2Þ : 1. Alle Glieder (Funktionswerte) sind kleiner als 1, d. h. es gilt a n < 1. 2. Mit zunehmendem Index n werden die Glieder der Folge größer und unterscheiden sich dabei immer weniger von der Zahl 1. Wir ziehen daraus die Folgerung, dass in jeder noch so kleinen Umgebung der Zahl 1 fast alle Glieder der Folge liegen. So ist beispielsweise ab dem 11. Glied der Abstand aller folgenden Glieder von der Zahl 1 kleiner als 0,1. Mit anderen Worten: Alle Glieder a n mit n 11 erfüllen die Ungleichung j a n 1j < 0,1 (Bild III-46). a1 a2 a3 0 1 2 2 3 a 10 0,9 1 in diesem Intervall liegen alle Glieder a n mit n ≥ 11 Bild III-46 2Þ Die Zahlenfolge ha n i ¼ h1 1=ni konvergiert gegen den Grenzwert 1 Es handelt sich hier um eine streng monoton wachsende und beschränkte Zahlenfolge. 176 III Funktionen und Kurven Vom 101. Glied an ist der Abstand aller folgenden Glieder von der Zahl 1 sogar kleiner als 0,01, d. h. jedes Glied a n mit n 101 erfüllt die Ungleichung j a n 1j < 0,01. Die Glieder der Zahlenfolge (III-17) unterscheiden sich demnach mit zunehmender „Platzziffer“ n immer weniger von der Zahl 1, die daher als Grenzwert der Folge 1 für n ! 1 bezeichnet wird. ha n i ¼ 1 n Allgemein definieren wird den Grenzwert einer Zahlenfolge wie folgt: Definition: Die reelle Zahl g heißt Grenzwert oder Limes der Zahlenfolge ha n i, wenn es zu jedem e > 0 eine natürliche Zahl n 0 > 0 gibt, so dass für alle n n 0 stets j an g j < e ðIII-18Þ ist. Anmerkungen (1) Die natürliche Zahl n 0 hängt i. A. noch von der Wahl der Zahl e > 0 ab. Daher schreibt man häufig auch n 0 ðeÞ statt n 0 . (2) Es lässt sich zeigen, dass eine Folge ha n i höchstens einen Grenzwert besitzen kann. Besitzt eine Folge ha n i den Grenzwert g, so liegen innerhalb einer jeden e-Umgebung von g fast alle Glieder der Folge. Mit anderen Worten: die Glieder a 1, a 2 , a 3 , . . . , a n 0 1 liegen außerhalb, alle darauf folgenden Glieder a n 0 , a n 0 þ 1 , a n 0 þ 2 , . . . innerhalb der Umgebung (vgl. hierzu Bild III-47). Eine Folge mit dieser Eigenschaft heißt konvergent mit dem Grenzwert g. g–e a1 a2 a n 0 –1 g+e g in diesem Intervall liegen alle Glieder a n mit n ≥ n 0 Bild III-47 Zum Begriff des Grenzwertes g einer Zahlenfolge ha n i Definitionen: (1) Eine Folge ha n i heißt konvergent, wenn sie einen Grenzwert g besitzt. Symbolische Schreibweise: lim a n ¼ g ðIII-19Þ n!1 (gelesen: Limes von a n für n gegen Unendlich gleich g) (2) Eine Folge ha n i, die keinen Grenzwert besitzt, heißt divergent. 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion & 177 Beispiele (1) 1 1 1 1 ¼ 1, , , , . . . ist konvergent mit dem Grenzwert Die Folge ha n i ¼ n 2 3 4 1 g ¼ lim ¼ 0 ðsog: NullfolgeÞ: n n!1 (2) ha n i ¼ 1 1 n 1 2 3 ¼ 0, , , , ... 2 3 4 ) 1 g ¼ lim 1 ¼ 1 n n!1 Es handelt sich demnach um eine konvergente Folge mit dem Grenzwert g ¼ 1. (3) Die Folge ha n i ¼ 1þ 1 n n ¼ 2, 9 64 625 , , , . . . ist konvergent mit dem 4 27 256 Grenzwert g ¼ lim n!1 1þ 1 n n ¼ 2,718 281 82 . . . ¼ e (ohne Beweis). Die Zahl e heißt Eulersche Zahl. Sie ist die Basis der wichtigsten Exponentialfunktion, der sog. e-Funktion (siehe hierzu Abschnitt 11.2). (4) ha n i ¼ hn 3 i ¼ 1 3 , 2 3 , 3 3 , 4 3 , . . . g ¼ lim n 3 ¼ 1 n!1 ðsog: uneigentlicher GrenzwertÞ Die Zahlenfolge ist divergent (sie wird auch als bestimmt divergente Folge bezeich& net). 4.2 Grenzwert einer Funktion Mit Hilfe des Begriffes „Grenzwert“ lässt sich das Verhalten einer Funktion f ðxÞ in der Umgebung einer festen Stelle x 0 näher untersuchen und zwar auch dann, wenn die Funktion an dieser Stelle nicht definiert ist, der Funktionswert f ðx 0 Þ also nicht existiert. 4.2.1 Grenzwert einer Funktion für x ! x 0 Den Begriff des Grenzwertes einer Funktion wollen wir zunächst anhand eines einfachen Beispiels erläutern. Wir wählen dazu die Funktion f ðxÞ ¼ x 2 aus und untersuchen ihr Verhalten bei einer beliebig feinen Annäherung an die Stelle x 0 ¼ 2. Annäherung von links Ausgangspunkt unserer Betrachtung sei die im Definitionsbereich der Funktion liegende und von links gegen die Zahl 2 konvergierende Folge von x-Werten hx n i ¼ 1,9; 1,99; 1,999; 1,9999; ... 178 III Funktionen und Kurven Jedem Glied dieser Folge wird durch die Funktionsgleichung f ðxÞ ¼ x 2 genau ein Funktionswert zugeordnet: f ðx n Þ ¼ x n2 . Die Funktionstafel (Wertetabelle) hat dabei das folgende Aussehen: xn 1,9 1,99 1,999 1,9999 ... f ðx n Þ ¼ x n2 3,61 3,9601 3,996 001 3,999 600 01 ... Ihr entnehmen wir, dass die Folge der Funktionswerte h f ðx n Þi ¼ hx n2 i offensichtlich gegen den Wert 4 konvergiert. Wir hätten aber auch eine andere Auswahl der Zahlenfolge hx n i treffen können (sofern diese Folge gegen die Zahl 2 konvergiert). Das Ergebnis wäre jedoch dasselbe. Dies aber bedeutet, dass aus hx n i ! 2 mit x n < 2 stets h f ðx n Þi ! 4 folgt. Symbolisch schreibt man dafür lim f ðx n Þ ¼ lim x n2 ¼ lim x 2 ¼ 4 n!1 n!1 ðIII-20Þ x!2 ðx < 2Þ und bezeichnet diesen Wert als den linksseitigen Grenzwert der Funktion f ðxÞ ¼ x 2 an der Stelle x 0 ¼ 2. Annäherung von rechts Nun betrachten wir die von der rechten Seite her gegen die Zahl 2 konvergierende Folge von x-Werten hx n i ¼ 2,1; 2,01; 2,001; 2,0001; ... Die zugehörigen Funktionswerte entnehmen wir der folgenden Funktionstafel (Wertetabelle): xn 2,1 2,01 2,001 2,0001 ... f ðx n Þ ¼ x n2 4,41 4,0401 4,004 001 4,000 4001 ... Die Folge h f ðx n Þi strebt wiederum gegen den Wert 4. Dies gilt auch für jede andere gegen die Zahl 2 konvergierende Folge hx n i mit x n > 2. Das Ergebnis dieser Grenzwertbildung ist der rechtsseitige Grenzwert von f ðxÞ ¼ x 2 an der Stelle x 0 ¼ 2: lim f ðx n Þ ¼ lim x n2 ¼ lim x 2 ¼ 4 n!1 n!1 x!2 ðx > 2Þ ðIII-21Þ In unserem Beispiel stimmen die beiden Grenzwerte von links und rechts überein. Daher schreibt man kurz lim x 2 ¼ 4 x!2 und spricht von dem Grenzwert der Funktion f ðxÞ ¼ x 2 an der Stelle x 0 ¼ 2. ðIII-22Þ 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion 179 Allgemein lässt sich der Grenzwertbegriff wie folgt definieren: Definition: Eine Funktion y ¼ f ðxÞ sei in einer Umgebung von x 0 definiert. Gilt dann für jede im Definitionsbereich der Funktion liegende und gegen die Stelle x 0 konvergierende Zahlenfolge hx n i mit x n 6¼ x 0 stets lim f ðx n Þ ¼ g ðIII-23Þ n!1 so heißt g der Grenzwert von y ¼ f ðxÞ an der Stelle x 0 . Die symbolische Schreibweise lautet: lim f ðxÞ ¼ g ðIII-24Þ x ! x0 (gelesen: Limes von f ðxÞ für x gegen x 0 gleich g). Anmerkungen (1) Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Funktion y ¼ f ðxÞ an der Stelle x 0 nicht definiert sein muss. Es kann daher der Fall eintreten, dass eine Funktion an einer Stelle x 0 einen Grenzwert besitzt, obwohl sie dort überhaupt nicht definiert ist (vgl. hierzu das folgende Beispiel (2)). (2) Der Grenzübergang x ! x 0 bedeutet: x kommt der Stelle x 0 beliebig nahe, ohne sie jedoch jemals zu erreichen. Es ist also stets x 6¼ x 0 , was bei der Berechnung von Grenzwerten zu beachten ist. (3) Anschaulich (aber etwas unpräzise) lässt sich der Grenzwert g einer Funktion f ðxÞ an der Stelle x 0 wie folgt deuten: Der Funktionswert f ðxÞ unterscheidet sich beliebig wenig vom Grenzwert g, wenn man sich an der Stelle x 0 nur genügend nähert. Gilt für jede von links her gegen x 0 strebende Folge hx n i lim f ðxÞ ¼ g l ðIII-25Þ x ! x0 ðx < x 0 Þ so heißt g l der linksseitige Grenzwert von f ðxÞ für x ! x 0. Entsprechend ist der rechtsseitige Grenzwert von f ðxÞ für x ! x 0 erklärt: Für jede von rechts her gegen x 0 konvergierende Folge gilt dann (sofern der Grenzwert existiert): lim f ðxÞ ¼ g r ðIII-26Þ x ! x0 ðx > x 0 Þ Besitzt die Funktion f ðxÞ an der Stelle x 0 den Grenzwert g, so gilt: lim f ðxÞ ¼ lim f ðxÞ ¼ lim f ðxÞ ¼ g x ! x0 ðx < x 0 Þ x ! x0 ðx > x 0 Þ x ! x0 ðg l ¼ g r ¼ gÞ ðIII-27Þ 180 & III Funktionen und Kurven Beispiele (1) Die in Bild III-48 skizzierte sog. Sprungfunktion mit der Funktionsgleichung 0 x < 0 y ¼ s ðxÞ ¼ f ür 1 x 0 ist zwar an der Stelle x 0 ¼ 0 definiert, s ð0Þ ¼ 1, besitzt dort aber keinen Grenzwert, da der linksseitige Grenzwert nicht mit dem rechtsseitigen Grenzwert übereinstimmt: g l ¼ lim s ðxÞ ¼ lim 0 ¼ 0 x!0 ðx < 0Þ y x!0 ðx < 0Þ 1 g r ¼ lim s ðxÞ ¼ lim 1 ¼ 1 x!0 ðx > 0Þ x!0 ðx > 0Þ x Bild III-48 (2) 3x2 6x ist an der Stelle x 0 ¼ 2 nicht definiert. x 2 Sie besitzt an dieser Stelle jedoch einen Grenzwert: Die Funktion y ¼ f ðxÞ ¼ lim x!2 (3) Sprungfunktion y ¼ s ðxÞ 3x2 6x 3 x ðx 2Þ ¼ lim ¼ lim 3 x ¼ 6 x 2 x 2 x!2 x!2 (der Faktor x 2 ist wegen x 6¼ 2 stets von Null verschieden und kann daher gekürzt werden). pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1x 1 ¼ ? lim x x!0 Der Grenzwert führt zunächst auf den „unbestimmten Ausdruck“ 0=0, da Zähler und Nenner für x ! 0 jeweils verschwinden. Die Grenzwertberechnung gelingt jedoch mit einem legalen „mathematischen Trick“.pEr besteht im Erweitern des ffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ffi Bruches mit dem von 0 verschiedenen Ausdruck 1 x þ 1 (im Zähler steht dann das 3. Binom): pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð 1 x 1Þ ð 1 x þ 1Þ 1x 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi lim ¼ ¼ lim x x ð 1 x þ 1Þ x!0 x!0 ¼ lim x!0 ð1 xÞ 1 x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ lim ¼ x ð 1 x þ 1Þ x ! 0 x ð 1 x þ 1Þ 1 1 1 1 ¼ lim pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ pffiffiffi ¼ ¼ 1 þ 1 2 1x þ1 1þ1 x!0 & 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion 181 4.2.2 Grenzwert einer Funktion für x ! 1 In vielen Fällen interessiert das Verhalten einer Funktion für den Fall, dass die x-Werte unbeschränkt wachsen ðx ! 1Þ. Wir studieren das Problem zunächst am Beispiel der 1 Funktion f ðxÞ ¼ , x > 0. Wie verhält sich diese Funktion für immer größer werx dende x-Werte? Eine solche Folge ist beispielsweise hx n i ¼ 10, 100, 1000, 10 000, ... 1 Die ihr zugeordneten Funktionswerte f ðx n Þ ¼ entnehmen wir der folgenden Funkxn tionstafel (Wertetabelle): xn 10 100 1000 10 000 1 f ðx n Þ ¼ xn 0,1 0,01 0,001 0,0001 ... ... Dabei stellen wir fest, dass die Funktionswerte zunehmend kleiner werden und sich immer weniger von der Zahl 0 unterscheiden. Diese Aussage bleibt auch für jede andere, über alle Grenzen hinaus wachsende Zahlenfolge hx n i gültig. Symbolisch wird das beschrie1 bene Verhalten der Funktion f ðxÞ ¼ , x > 0 für unbeschränkt wachsende x-Werte x durch den Grenzwert 1 ¼ 0 ðIII-28Þ lim x x!1 zum Ausdruck gebracht. Der Funktionsgraph nähert sich dabei asymptotisch der x-Achse (Bild III-49). y y= 1 , x>0 x Bild III-49 Asymptotisches Verhalten der Funktion y ¼ 1=x, x > 0 im Unendlichen 1 1 x Allgemein definieren wir den Grenzwert einer Funktion für x ! 1 wie folgt: Definition: Besitzt eine Funktion y ¼ f ðxÞ die Eigenschaft, dass die Folge ihrer Funktionswerte h f ðx n Þi für jede über alle Grenzen hinaus wachsende Zahlenfolge hx n i mit x n 2 D gegen eine Zahl g strebt, so heißt g der Grenzwert der Funktion für x ! 1. Wir verwenden dafür die symbolische Schreibweise lim f ðxÞ ¼ g x!1 ðIII-29Þ 182 III Funktionen und Kurven Entsprechend wird der Grenzwert einer Funktion y ¼ f ðxÞ für den Fall erklärt, dass die x-Werte kleiner werden als jede noch so kleine Zahl (Grenzübergang x ! 1Þ. Falls dieser Grenzwert vorhanden ist, schreibt man symbolisch lim f ðxÞ ¼ g x ! 1 & ðIII-30Þ Beispiele Vorbemerkung: Nach elementaren Umformungen gelingt die Berechnung der folgenden Grenzwerte: 2x 1 1 (1) lim ¼ lim 2 ¼ 2 x x x!1 x!1 (2) (nach gliedweiser Division durch x) 1 0 3 x B x C ¼ 1 (uneigentlicher Grenzwert). ¼ lim @ lim 2 1A x!1 x þ 1 x!1 1þ 2 x (nach gliedweiser Division durch x 2 ) (3) lim x!1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x þ1 x 1 ¼ ? 2 Der Grenzwert führt zunächst auf den „unbestimmten Ausdruck“ 1 1, da beide Summanden des Zählers für x ! 1 jeweils beliebig groß werden. Wir müssen daher den Ausdruck zunächst in geeigneter Weise umformen. Dieses Ziel pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi wird erreicht, indem wir den Bruch mit x þ 1 þ x 1 erweitern. Im Zähler steht dann das 3. Binom ða bÞ ða þ bÞ ¼ a 2 b 2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi mit a ¼ x þ 1 und b ¼ x 1. Nach dieser (trickreichen) Umformung lässt sich der Grenzwert bestimmen: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð x þ 1 x 1Þ ð x þ 1 þ x 1Þ x þ1 x 1 p ffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ffi ¼ lim ¼ lim pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 2 ð x þ 1 þ x 1Þ x!1 x!1 ¼ lim x!1 ðx þ 1Þ ðx 1Þ 2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ lim pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 ð x þ 1 þ x 1Þ x 1Þ x!1 2 ð x þ 1 þ 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ 0 ¼ lim pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x þ1þ x 1 x!1 (der Nenner strebt gegen 1, der Bruch somit gegen 0). & 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion 183 4.2.3 Rechenregeln für Grenzwerte Für den Umgang mit Grenzwerten gelten folgende Regeln (ohne Beweis): Rechenregeln für Grenzwerte von Funktionen Unter der Voraussetzung, dass die Grenzwerte der Funktionen f ðxÞ und g ðxÞ existieren, gelten die folgenden Regeln: (1) (2) lim ½ C f ðxÞ ¼ C x ! x0 lim ½ f ðxÞ g ðxÞ ¼ lim f ðxÞ lim g ðxÞ x ! x0 x ! x0 lim ½ f ðxÞ g ðxÞ ¼ x ! x0 (5) x ! x0 lim rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi p ffiffiffiffiffiffiffiffiffi n f ðxÞ ¼ n lim f ðxÞ lim x ! x0 (7) lim ½ f ðxÞ ¼ lim ða f ðxÞ Þ ¼ a (III-35) (III-36) lim f ðxÞ x ! x0 (III-37) x ! x0 lim ½ log a f ðxÞ ¼ log a x ! x0 (III-34) (8) lim g ðxÞ 6¼ 0 x ! x0 n lim f ðxÞ x ! x0 (III-33) x ! x0 n x ! x0 x ! x0 x ! x0 (6) lim f ðxÞ lim g ðxÞ x ! x0 (III-31) (III-32) x ! x0 lim f ðxÞ f ðxÞ x ! x0 ¼ g ðxÞ lim g ðxÞ (4) ðC: Konstante) x ! x0 (3) lim f ðxÞ lim f ðxÞ x ! x0 (III-38) Anmerkungen (1) (2) Diese Regeln gelten entsprechend auch für Grenzwerte vom Typ x ! 1 bzw. x ! 1. 0 1 Grenzwerte, die zu einem sog. unbestimmten Ausdruck vom Typ oder 0 1 führen, können nach der Regel von Bernoulli-L’Hospital weiterbehandelt werden. Wir kommen an anderer Stelle darauf zurück (siehe Kap. VI, Abschnitt 3.3.3). 184 & III Funktionen und Kurven Beispiele (1) lim x ! 1 3 ðx 2 1Þ ðx þ 1Þ ðx 1Þ ¼ 3 lim ¼ 3 lim ðx 1Þ ¼ x þ1 x þ1 x ! 1 x ! 1 ¼ 3 ð2Þ ¼ 6 ðzunächst den von Null verschiedenen gemeinsamen Faktor x þ 1 kürzenÞ (2) x2 2x þ 5 lim ¼ cos x x!0 lim ðx 2 2 x þ 5Þ x!0 lim cos x ¼ x!0 5 5 ¼ ¼ 5 cos 0 1 & 4.2.4 Ein Anwendungsbeispiel: Erzwungene Schwingung eines mechanischen Systems Wir betrachten ein schwingungsfähiges mechanisches System (z. B. ein Federpendel) mit der Masse m und der Eigenkreisfrequenz w 0 3Þ . Durch eine periodische äußere Kraft F ðtÞ ¼ F 0 sin ðw tÞ wird das System zu erzwungenen Schwingungen erregt, d. h. nach Ablauf einer gewissen Einschwingphase tritt ein stationärer Zustand ein, in dem das System mit der von außen aufgezwungenen Kreisfrequenz w schwingt. Bei fehlender Dämpfung hängt die Schwingungsamplitude A wie folgt von der Erregerkreisfrequenz w ab: A ¼ A ðwÞ ¼ F0 , m j w 2 w 20 j w 6¼ w 0 A ðwÞ ist demnach eine gebrochenrationale Funktion. Sie zeigt den in Bild III-50 dargestellten typischen Verlauf und wird allgemein als Resonanzkurve bezeichnet. A v0 Bild III-50 3Þ v Resonanzkurve bei einer erzwungenen mechanischen Schwingung Unter der Eigenkreisfrequenz w 0 wird die Kreisfrequenz des frei und ungedämpft schwingenden Systems verstanden. 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion 185 Was passiert eigentlich, wenn sich die Erregerkreisfrequenz w der Eigenkreisfrequenz w 0 beliebig nähert, also w gegen w 0 strebt? Die Grenzwertbildung führt zu dem folgenden Ergebnis: lim A ðwÞ ¼ lim w ! w0 w ! w0 F0 m j w 2 w 20 j ¼ 1 Die Schwingungsamplitude wächst also über alle Grenzen hinaus (Polstelle), d. h. das schwingungsfähige System wird zerstört (sog. „Resonanzkatastrophe“). Zum Schluss untersuchen wir noch das Verhalten des Systems für große Erregerkreisfrequenzen, wenn also w gegen 1 strebt: lim A ðwÞ ¼ lim w!1 w!1 F0 mj w2 w 20 j ¼ 0 Die Schwingungsamplitude A strebt also gegen Null, d. h. es findet keine Schwingung mehr statt. Physikalisch einleuchtender Grund: Das System ist nicht mehr in der Lage, den raschen nderungen der äußeren Kraft zu folgen, es kommt daher zum Stillstand! 4.3 Stetigkeit einer Funktion Definition: Eine in x 0 und in einer gewissen Umgebung von x 0 definierte Funktion y ¼ f ðxÞ heißt an der Stelle x 0 stetig, wenn der Grenzwert der Funktion an dieser Stelle vorhanden ist und mit dem dortigen Funktionswert übereinstimmt: lim f ðxÞ ¼ f ðx 0 Þ x ! x0 ðIII-39Þ Anmerkungen & (1) Anschaulich (aber etwas unpräzise) lässt sich die Stetigkeit einer Funktion y ¼ f ðxÞ an der Stelle x 0 wie folgt interpretieren: Der Funktionswert f ðxÞ unterscheidet sich beliebig wenig von f ðx 0 Þ, wenn x nur genügend nahe an der Stelle x 0 liegt. (2) Eine Funktion, die an jeder Stelle ihres Definitionsbereiches stetig ist, wird als stetige Funktion bezeichnet. Beispiele (1) Funktionswert und Grenzwert der Funktion f ðxÞ ¼ x 2 stimmen an der Stelle x 0 ¼ 1 überein: lim x 2 ¼ f ð1Þ ¼ 1 x!1 Daher ist die Funktion an dieser Stelle stetig. Sie ist sogar überall in ihrem Definitionsbereich D ¼ ð1, 1Þ stetig und somit eine stetige Funktion. 186 (2) (3) III Funktionen und Kurven Die meisten der elementaren Funktionen (wir behandeln sie in den folgenden Abschnitten) sind stetige Funktionen. Zu ihnen gehören beispielsweise die ganzrationalen Funktionen, die trigonometrischen Funktionen und die Exponentialfunktionen. qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Die Funktion f ðxÞ ¼ j x 1 j ist überall definiert, da j x 1 j 0 ist für jedes reelle x. Wir untersuchen, ob sie an der Stelle x 0 ¼ 1 stetig ist. Funktionswert an der Stelle x 0 ¼ 1: f ð1Þ ¼ 0 Linksseitiger Grenzwert g l : Wir setzen x ¼ 1 h mit h > 0 und erhalten: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffi j 1 h 1 j ¼ lim j h j ¼ lim h ¼ 0 g l ¼ lim f ðxÞ ¼ lim x!1 ðx < 1Þ h!0 h!0 h!0 Rechtsseitiger Grenzwert g r : Wir setzen x ¼ 1 þ h mit h > 0 und erhalten: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffi j 1 þ h 1 j ¼ lim j h j ¼ lim h ¼ 0 g r ¼ lim f ðxÞ ¼ lim x!1 ðx > 1Þ h!0 h!0 h!0 Somit ist g r ¼ g l ¼ 0 und die Funktion besitzt an der Stelle x 0 ¼ 1 den Grenzwert g ¼ 0. Funktionswert und Grenzwert stimmen also an der Stelle x 0 ¼ 1 überein, die Funktion ist daher an dieser Stelle stetig. (4) 1 kann bei x 0 ¼ 1 nicht stetig sein, da sie an dieser 1x Stelle nicht definiert ist. Sie besitzt dort eine Definitionslücke. Auch der Grenzwert ist nicht vorhanden. Die Funktion f ðxÞ ¼ & 4.4 Unstetigkeiten (Lücken, Pole, Sprünge) Stellen, in denen eine Funktion die Stetigkeitsbedingung (III-39) nicht erfüllt, heißen Unstetigkeitsstellen. Eine Funktion f ðxÞ ist also an einer Stelle x 0 unstetig, wenn mindestens eine der folgenden Aussagen zutrifft: 1. f ðxÞ ist an der Stelle x 0 nicht definiert, hat dort also eine Definitionslücke; 2. Der Grenzwert von f ðxÞ an der Stelle x 0 ist nicht vorhanden; 3. Funktionswert f ðx 0 Þ und Grenzwert g sind zwar vorhanden, jedoch voneinander verschieden, d. h. es gilt f ðx 0 Þ 6¼ g. Anhand von Beispielen zeigen wir die verschiedenen Arten von Unstetigkeiten (Lücken, Pole, endliche Sprünge). 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion & 187 Beispiele (1) Hebbare Lücke x2 1 besitzt in x 0 ¼ 1 eine Defix þ1 nitionslücke und ist daher an dieser Stelle unstetig. Der Grenzwert ist jedoch vorhanden: Die gebrochenrationale Funktion f ðxÞ ¼ x2 1 ðx þ 1Þ ðx 1Þ ¼ lim ¼ lim ðx 1Þ ¼ 2 x þ1 x þ1 x ! 1 x ! 1 lim x ! 1 Vor der Durchführung des Grenzübergangs haben wir den Zähler und Nenner gemeinsamen Faktor x þ 1 gekürzt (dieser kann wegen x 6¼ 1 nicht Null werden). Die Definitionslücke in x 0 ¼ 1 kann durch die nachträgliche Festsetzung f ð 1Þ ¼ lim x ! 1 x2 1 ¼ 2 x þ1 behoben werden (man setzt Funktionswert ¼ Grenzwert). Durch diese Abänderung erhalten wir aus f ðxÞ eine neue Funktion g ðxÞ, die für alle x 2 R definiert und stetig ist und sich als identisch erweist mit der linearen Funktion (Geraden) y ¼ x 1 (Bild III-51): 8 2 9 > <x 1 ¼ x 1 = x 6¼ 1 > x þ1 g ðxÞ ¼ ¼ x 1 f ür > > : ; x ¼ 1 2 y y=x–1 1 1 x Bild III-51 Graph der „erweiterten“ Funktion y ¼ x 1 Aus diesem Beispiel ziehen wir eine wichtige Folgerung: Eine Definitionslücke (Unstetigkeit) x 0 lässt sich beheben, wenn der Grenzwert an dieser Stelle vorhanden ist. Man setzt dann f ðx 0 Þ ¼ lim f ðxÞ x ! x0 und erhält eine in x 0 stetige Funktion. 188 (2) III Funktionen und Kurven Unendlichkeitsstelle (Pol) Die gebrochenrationale Funktion f ðxÞ ¼ 1 besitzt an der Stelle x 0 ¼ 3 ðx 3Þ 2 eine Definitionslücke. Sie verläuft bei Annäherung an diese Stelle ins Unendliche: lim x!3 1 ðx 3Þ 2 ¼ þ1 (uneigentlicher Grenzwert). Die Funktion hat hier eine sog. Unendlichkeitsstelle oder Polstelle (Bild III-52). Diese Unstetigkeit lässt sich nicht beheben, da der Grenzwert an der Stelle x 0 ¼ 3 nicht vorhanden ist. y 8 6 4 2 Bild III-52 1 (3) 2 3 4 5 6 x Endlicher Sprung (Sprungunstetigkeit) Die in Bild III-53 skizzierte Funktion 4Þ 8 9 x < 0> > < 1 = y ¼ f ðxÞ ¼ 0 f ür x ¼ 0 > > : ; 1 x > 0 ist in x 0 ¼ 0 unstetig, da der Grenzwert an dieser Stelle nicht existiert. Zwar sind links- und rechtsseitiger Grenzwert vorhanden, sie unterscheiden sich jedoch voneinander: Linksseitiger Grenzwert: g l ¼ lim f ðxÞ ¼ lim ð 1Þ ¼ 1 x!0 ðx < 0Þ x!0 ðx < 0Þ Rechtsseitiger Grenzwert: g r ¼ lim f ðxÞ ¼ lim ð1Þ ¼ 1 x!0 ðx > 0Þ x!0 ðx > 0Þ Eine Unstetigkeit dieser Art bezeichnet man als Sprungunstetigkeit. In diesem Beispiel „springt“ der Funktionswert von 1 über 0 nach þ 1. 4Þ Diese Funktion wird auch als „Vorzeichenfunktion“ oder Signumfunktion bezeichnet ð f ðxÞ ¼ sgn ðxÞÞ. 4 Grenzwert und Stetigkeit einer Funktion 189 y 1 x –1 Bild III-53 (4) Ein Beispiel für eine Funktion mit einer Sprungunstetigkeit in x 0 ¼ 0 Sprungfunktion der Regelungstechnik Die in der Regelungstechnik benötigte zeitabhängige Sprungfunktion 0 t < 0 u ¼ f ðtÞ ¼ f ür (Bild III-54) u0 t 0 ist für t 0 ¼ 0 zwar definiert ðes ist f ð0Þ ¼ u 0 Þ, besitzt jedoch an dieser Stelle keinen Grenzwert, da der linksseitige Grenzwert vom rechtsseitigen Grenzwert abweicht (es findet ein Sprung der Größe u 0 statt). Die Funktion ist daher an der Stelle t 0 ¼ 0 unstetig. u u0 Bild III-54 Sprungfunktion der Regelungstechnik t (5) Periodische Funktion mit unendlich vielen Sprungstellen Funktionen mit Sprungunstetigkeiten treten z. B. in der Elektrotechnik im Zusammenhang mit periodischen Impulsen auf. Der in Bild III-55 skizzierte „Sägezahnimpuls“ besitzt an den Stellen T, 2 T, 3 T, . . . jeweils eine Sprungunstetigkeit. An diesen Stellen fällt der Impuls von seinem Maximalwert y 0 auf den Wert 0. y y0 T Bild III-55 2T 3T „Sägezahnimpuls“ mit periodischen Sprungunstetigkeiten t & 190 III Funktionen und Kurven 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) 5.1 Definition einer ganzrationalen Funktion Definition: Funktionen vom Typ f ðxÞ ¼ a n x n þ a n 1 x n 1 þ . . . þ a 1 x 1 þ a 0 ðIII-40Þ werden als ganzrationale Funktionen oder Polynomfunktionen bezeichnet ðmit x 2 R und n 2 NÞ. Die reellen Koeffizienten a 0 , a 1 , . . ., a n heißen Polynomkoeffizienten ða n 6¼ 0Þ, der höchste Exponent n in der Funktionsgleichung bestimmt den Polynomgrad. & Beispiele (1) y ¼ 4 Polynom vom Grade 0 (Konstante Funktion) y ¼ 2x 3 Polynom vom Grade 1 (Lineare Funktion) y ¼ 2x 3x þ 5 Polynom vom Grade 2 (Quadratische Funktion) y ¼ x x Polynom vom Grade 3 (Kubische Funktion) 2 3 y ¼ 4x x þ 3x 8 5 Polynom vom Grade 8 (2) Zu den ganzrationalen Funktionen gehören auch die Potenzfunktionen y ¼ x n mit n 2 N*. Ihre ersten Vertreter sind: y ¼ x, y ¼ x 2 , y ¼ x 3 usw. . (3) Einfache Beispiele aus den physikalisch-technischen Anwendungen, die sich durch Polynomfunktionen beschreiben lassen sind: Wurfparabel beim waagerechten bzw. senkrechten Wurf Weg-Zeit-Gesetz beim freien Fall Biegelinie eines durch Kräfte belasteten Balkens & Polynomfunktionen (kurz auch als Polynome bezeichnet) sind Linearkombinationen von Potenzen und überall in R definiert und stetig. Sie besitzen in vieler Hinsicht besonders einfache und überschaubare Eigenschaften und spielen daher in den Anwendungen eine bedeutende Rolle. Gründe hierfür sind u. a.: –– Der Kurvenverlauf lässt sich leicht aus den Nullstellen und dem Verhalten der höchsten Potenz im Unendlichen ermitteln. –– Polynomfunktionen lassen sich problemlos differenzieren und integrieren. –– Zahlreiche bei der Lösung naturwissenschaftlich-technischer Probleme auftretende Funktionen können zumindest in bestimmten Teilbereichen durch ganzrationale Funktionen angenähert werden (siehe hierzu Kap. VI, Abschnitt 3.3.1). 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) 191 5.2 Konstante und lineare Funktionen Polynomfunktionen vom Grade 0 bezeichnet man als konstante Funktionen: y ¼ const: ¼ a 0 oder y ¼ const: ¼ a ðIII-41Þ In der graphischen Darstellung erhält man eine zur x-Achse parallel verlaufende Gerade (Bild III-56). y y = const. = a a Bild III-56 Konstante Funktion y ¼ const: ¼ a x & Beispiele (1) Bei einer geradlinig gleichförmigen Bewegung ist die Geschwindigkeit v unabhängig von der Zeit t : v ¼ v ðtÞ ¼ const: (2) Die Gesamtenergie (Schwingungsenergie) E eines reibungsfrei schwingenden Federpendels bleibt zeitlich unverändert, d. h. E ¼ E ðtÞ ¼ const: & Besonders häufig treten in den Anwendungen lineare Funktionen (Polynomfunktionen vom Grade 1) auf: y ¼ a1 x þ a0 oder y ¼ mx þ b ðIII-42Þ (mit a 1 6¼ 0) bzw. m 6¼ 0). Die zeichnerische Darstellung ergibt eine Gerade mit der Steigung m und dem Achsenabschnitt b auf der y-Achse (Bild III-57). Steigung m und Steigungswinkel a sind dabei über die Beziehung m ¼ tan a miteinander verknüpft. y y = mx + b a Bild III-57 Gerade y ¼ m x þ b b x 192 III Funktionen und Kurven Neben der Haupt- oder Normalform y ¼ m x þ b und der allgemeinensten Form A x þ B y þ C ¼ 0 sind noch weitere Formen der Geradengleichung von Bedeutung: Punkt-Steigungs-Form einer Geraden (Bild III-58) Die Gleichung einer Geraden durch den Punkt P 1 ¼ ðx 1 ; y 1 Þ mit der Steigung m lautet: y y1 ¼ m x x1 ðIII-43Þ y P P1 y – y1 a Bild III-58 Zur Punkt-Steigungs-Form einer Geraden y x – x1 y1 a x1 x x Zwei-Punkte-Form einer Geraden (Bild III-59) Die Gleichung einer Geraden durch zwei (voneinander verschiedene) Punkte P 1 ¼ ðx 1 ; y 1 Þ und P 2 ¼ ðx 2 ; y 2 Þ lautet: y y1 y2 y1 ¼ x x1 x2 x1 ðIII-44Þ y P P2 y – y1 P1 a y2 – y1 a x2 – x1 y1 y2 Bild III-59 Zur Zwei-Punkte-Form einer Geraden y x – x1 x1 x2 x x 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) 193 Achsenabschnittsform einer Geraden (Bild III-60) Die Gleichung einer Geraden mit den Achsenabschnitten a und b lautet: x y þ ¼ 1 a b ðIII-45Þ a: Achsenabschnitt auf der x-Achse (Schnittpunkt mit der x-Achse) b: Achsenabschnitt auf der y-Achse (Schnittpunkt mit der y-Achse) Anmerkung Die Achsenabschnitte können positiv oder negativ ausfallen, je nachdem ob die zugehörigen Achsenschnittpunkte der Geraden auf dem positiven oder negativen Teil der Achse liegen. y b Bild III-60 Zur Achsenabschnittsform einer Geraden a & x Beispiele (1) Beim freien Fall ist die Fallgeschwindigkeit v eine lineare Funktion der Zeit t : v ¼ g t þ v0 ( g: Erdbeschleunigung; v 0 : Anfangsgeschwindigkeit) (2) Für eine elastische Feder gilt das folgende lineare Kraftgesetz: F ¼ c s ðHookesches GesetzÞ (c: Federkonstante; s: Auslenkung der Feder; F : Rückstellkraft der Feder) (3) P 1 ¼ ð3; 10Þ und P 2 ¼ ð5; 14Þ sind zwei Punkte einer Geraden. Wie lautet die Funktionsgleichung dieser Geraden? Lösung: Aus der Zwei-Punkte-Form (III-44) folgt unmittelbar: y 10 14 10 ¼ ¼ 2 x 3 53 ) y 10 ¼ 2 ðx 3Þ ) y ¼ 2x þ 4 & 194 III Funktionen und Kurven 5.3 Quadratische Funktionen Quadratische Funktionen sind Polynomfunktionen 2. Grades und in der Haupt- oder Normalform y ¼ a2 x2 þ a1 x þ a0 oder y ¼ ax2 þ bx þ c ðIII-46Þ darstellbar (mit a 2 6¼ 0 bzw. a 6¼ 0). In der graphischen Darstellung erhält man eine Parabel. Der Koeffizient a bestimmt die ffnung der Parabel und wird daher auch als ffnungsparameter bezeichnet, wobei gilt (Bild III-61): a > 0: Parabel ist nach oben geöffnet, Scheitelpunkt S ist zugleich Tiefpunkt a < 0: Parabel ist nach unten geöffnet, Scheitelpunkt S ist zugleich Hochpunkt Die einzige Symmetrieachse der Parabel verläuft parallel zur y-Achse durch den Scheitelpunkt S. y S a>0 x a<0 S Bild III-61 & Nach unten geöffnete Parabel ða < 0Þ bzw. nach oben geöffnete Parabel ða > 0Þ Beispiele 1 m v 2 eines Körpers der Masse m ist eine qua2 dratische Funktion der Geschwindigkeit v. (1) Die kinetische Energie E kin ¼ (2) Bei einer geradlinig gleichförmig beschleunigten Bewegung ist der zurückgelegte Weg s eine quadratische Funktion der Zeit t : s ¼ 1 a t 2 þ v0 t þ s0 2 (a: Beschleunigung; s 0 und v 0 sind Anfangslage bzw. Anfangsgeschwindigkeit zu Beginn der Bewegung, d. h. zum Zeitpunkt t ¼ 0) (3) Wird ein Körper im luftleeren Raum aus der Höhe h 0 > 0 waagerecht mit der konstanten Geschwindigkeit v 0 abgeworfen, so bewegt er sich auf einer als Wurfparabel bezeichneten Parabel mit der Funktionsgleichung g ðx 0Þ y ¼ 2 x2 þ h0 v0 (Abwurfort auf der y-Achse: x ¼ 0, y ðx ¼ 0Þ ¼ h 0 ; g: Erdbeschleunigung). & 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) 195 Spezielle Formen einer Parabelgleichung Sehr von Nutzen sind in den Anwendungen zwei spezielle Formen der Parabelgleichung. Es handelt sich dabei um die Produkt- bzw. Scheitelpunktsform. Produktform einer Parabel (Bild III-62) y ¼ a x 2 þ b x þ c ¼ a ðx x 1 Þ ðx x 2 Þ ðIII-47Þ x 1; x 2 : Schnittpunkte der Parabel mit der x-Achse (reelle Nullstellen) a: ffnungsparameter ða 6¼ 0Þ y y S x1 x2 x1 = x 2 x x S Bild III-62 Zur Produktform einer Parabel Bild III-63 Doppelte Nullstelle einer Parabel (Berühungspunkt ¼ Scheitelpunkt) Anmerkungen (1) Die linearen Bestandteile x x 1 und x x 2 in der Produktform (III-47) werden als Linearfaktoren bezeichnet. Diese Zerlegung ist nur möglich, wenn die Parabel mit der x-Achse zum Schnitt kommt, also zwei reelle Nullstellen hat. (2) Aus Symmetriegründen liegt der Scheitelpunkt S immer genau in der Mitte zwischen den beiden Nullstellen (vgl. hierzu auch Bild III-62). (3) Sonderfall: Fallen die beiden Nullstellen zusammen (x 1 ¼ x 2 , sog. doppelte Nullstelle), so liegt der Scheitelpunkt auf der x-Achse und ist zugleich Berühungspunkt (Bild III-63). Die Produktform besitzt dann die spezielle Form y ¼ a ðx x 1 Þ ðx x 1 Þ ¼ a ðx x 1 Þ 2 ðIII-48Þ Diese Gleichung ist ein Sonderfall der Scheitelpunktsform, die wir im Anschluss an die nachfolgenden Beispiele kennenlernen werden. 196 & III Funktionen und Kurven Beispiele (1) y ¼ 2x2 8x þ 6 (siehe Bild III-64) Nullstellen: 2 x 2 8 x þ 6 ¼ 0 j : 2 x 1 ¼ 1, ) x2 4x þ 3 ¼ 0 ) x2 ¼ 3 Scheitelpunkt (¼ Minimum): S ¼ ð2; 2Þ Produktform der Parabel: y ¼ 2 ðx 1Þ ðx 3Þ y y = 2x 2 – 8x + 6 1 1 3 Bild III-64 Schaubild der Parabel y ¼ 2x2 8x þ 6 x –1 S = (2 , – 2) (2) y ¼ 0,5 x 2 2 x 2 ðsiehe Bild III-65Þ Nullstellen: 0,5 x 2 x 2 ¼ 0 j ð 2Þ ) 2 x2 þ 4x þ 4 ¼ 0 ) x 1 ¼ x 2 ¼ 2 ðdoppelte NullstelleÞ Scheitelpunkt (¼ Maximum): S ¼ ð 2; 0Þ Produktform der Parabel: y ¼ 0,5 ðx þ 2Þ 2 y S –2 1 x –1 Bild III-65 Schaubild der Parabel y ¼ 0,5 x 2 2 x 2 y = – 0,5 x 2 – 2 x – 2 & Scheitelpunktsform einer Parabel (Bild III-66) y y 0 ¼ a ðx x 0 Þ 2 x 0 , y 0 : Koordinaten des Scheitelpunktes S a: ffnungsparameter ðIII-49Þ 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) 197 y S y0 Bild III-66 Zur Scheitelpunktsform einer Parabel x0 & x Beispiele (1) Wo liegt der Scheitelpunkt der Parabel y ¼ 3 x 2 6 x þ 12? Wie lautet die Scheitelpunktsform dieser Parabel? Lösung: Durch quadratische Ergänzung erhält man y ¼ 3 x 2 6 x þ 12 ¼ 3 ðx 2 2 xÞ þ 12 ¼ ¼ 3 ðx 2 2 x þ 1 1Þ þ 12 ¼ ¼ 3 ðx 2 2 x þ 1 Þ þ 3 ð 1Þ þ 12 ¼ 3 ðx 1Þ 2 þ 9 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} ðx 1Þ 2 Scheitelpunktsform: y 9 ¼ 3 ðx 1Þ 2 Scheitelpunkt: S ¼ ð1; 9Þ (2) Schiefer Wurf: Ein Körper wird zur Zeit t ¼ 0 unter einem Winkel a gegen die Horizontale mit der Geschwindigkeit v 0 schräg nach oben geworfen (Bild III-67). Die Gleichung der durchlaufenden Bahnkurve lautet dann in der Parameterform wie folgt: x ¼ ðv 0 cos aÞ t , y ¼ ðv 0 sin aÞ t 1 gt2 2 ðt 0Þ Wir suchen die Gleichung der Wurfparabel in expliziter Form sowie Wurfweite W und Wurfhöhe H für v 0 ¼ 20 m=s, a ¼ 30 und g ¼ 10 m=s 2 . y S P Wurfparabel v0 y y0 a x1 Bild III-67 x x0 Wurfparabel beim schiefen Wurf x2 x 198 III Funktionen und Kurven Lösung: Parameterdarstellung der Wurfparabel: x ¼ 17,3205 m t; s m m t 5 2 t2 s s y ¼ 10 ðt 0 sÞ Gleichung der Wurfparabel in expliziter Form (wir lösen die 1. Gleichung nach t auf und setzen den gefundenen Ausdruck in die 2. Gleichung ein): y ¼ 0,5774 x 0,0167 x2 m ðx 0 mÞ Nullstellen: x 1 ¼ 0 m (Abwurfort), x 2 ¼ 34,58 m Der Scheitelpunkt S liegt aus Symmetriegründen genau in der Mitte zwischen den beiden Nullstellen. Seine Koordinaten lauten daher: x0 ¼ x1 þ x2 ¼ 17,29 m ; 2 y 0 ¼ y ðx 0 ¼ 17,29 mÞ ¼ 4,99 m Wurfweite: W ¼ x 2 x 1 ¼ 34,58 m Wurfhöhe: H ¼ y 0 ¼ 4,99 m & 5.4 Polynomfunktionen höheren Grades Quadratische Funktionen lassen sich unter bestimmten Voraussetzungen in der Produktform y ¼ a ðx x 1 Þ ðx x 2 Þ schreiben, wobei x 1 und x 2 die reellen Nullstellen der Parabel bedeuten. Gibt es für Polynome höheren Grades ðn 3Þ ähnliche Darstellungen? Diese Frage dürfen wir bejahen. Wir werden im Folgenden zeigen, dass auch ganzrationale Funktionen 3., 4. und höheren Grades in Form eines Produktes aus lauter Linearfaktoren darstellbar sind, sofern gewisse Voraussetzungen erfüllt sind. Die Eigenschaften von Polynomfunktionen n-ten Grades formulieren wir in den folgenden drei Sätzen und belegen sie durch zahlreiche Beispiele. Abspaltung eines Linearfaktors Abspaltung eines Linearfaktors Besitzt die Polynomfunktion f ðxÞ vom Grade n an der Stelle x 1 eine Nullstelle, ist also f ðx 1 Þ ¼ 0, so ist die Funktion auch in der Form f ðxÞ ¼ ðx x 1 Þ f 1 ðxÞ ðIII-50Þ darstellbar. Der Faktor ðx x 1 Þ heißt Linearfaktor, f 1 ðxÞ ist das sog. 1. reduzierte Polynom vom Grade n 1. Diese Art der Zerlegung einer Polynomfunktion wird auch als Abspaltung eines Linearfaktors bezeichnet. 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) & 199 Beispiel y ¼ f ðxÞ ¼ x 3 2 x 2 5 x þ 6 Durch Probieren findet man eine Nullstelle bei x 1 ¼ 1. Die Polynomfunktion ist daher in der Form y ¼ f ðxÞ ¼ x 3 2 x 2 5 x þ 6 ¼ ðx 1Þ f 1 ðxÞ darstellbar, wobei das 1. reduzierte Polynom f 1 ðxÞ eine quadratische Funktion ist, die man wie folgt durch Polynomdivision erhält: f 1 ðxÞ ¼ ðx 3 2 x 2 5 x þ 6Þ : ðx 1Þ ¼ x 2 x 6 ðx 3 x 2Þ x2 5x þ 6 ð x 2 þ xÞ 6x þ 6 ð 6 x þ 6Þ 0 Daher gilt y ¼ f ðxÞ ¼ x 3 2 x 2 5 x þ 6 ¼ ðx 1Þ ðx 2 x 6Þ & Nullstellen einer Polynomfunktion ber die Anzahl der Nullstellen einer Polynomfunktion n-ten Grades gibt der folgende fundamentale Satz aus der Algebra Aufschluss (ohne Beweis): Nullstellen einer Polynomfunktion Eine Polynomfunktion n-ten Grades besitzt höchstens n reelle Nullstellen. Anmerkung Mehrfach auftretende Nullstellen werden entsprechend oft mitgezählt (siehe hierzu das nachfolgende Beispiel (2)). & Beispiele (1) y ¼ f ðxÞ ¼ x 3 2 x 2 5 x þ 6, Drei reelle Nullstellen in x 1 ¼ 2, (2) n ¼ 3 x2 ¼ 1 y ¼ f ðxÞ ¼ x 3 þ 0,1 x 2 4,81 x 4,225, und x 3 ¼ 3. n ¼ 3 Drei reelle Nullstellen bei x 1 ¼ x 2 ¼ 1,3 (doppelte Nullstelle) und x 3 ¼ 2,5. 200 III Funktionen und Kurven (3) Die Polynomfunktion y ¼ f ðxÞ ¼ x 3 x 2 þ 4 x 4 ist vom Grade 3, besitzt jedoch nur eine reelle Nullstelle an der Stelle x 1 ¼ 1. (4) Die Funktion y ¼ f ðxÞ ¼ x 2 þ 1 liefert ein einfaches Beispiel für eine Polynomfunktion 2. Grades ohne reelle Nullstellen. Es handelt sich um die um eine Einheit nach oben verschobene Normalparabel (keine Schnittpunkte mit der x-Achse). & Produktherstellung einer Polynomfunktion Aus den als bekannt vorausgesetzten (reellen) Nullstellen einer Polynomfunktion lässt sich ähnlich wie bei einer Parabel eine spezielle Darstellungsform der Funktion gewinnen, die als Produktdarstellung oder Produktform bezeichnet wird: Produktdarstellung einer Polynomfunktion Besitzt eine Polynomfunktion n-ten Grades genau n reelle Nullstellen x 1 , x 2 , . . . , x n , so lässt sich die Funktion auch in Form eines Produktes wie folgt darstellen: f ðxÞ ¼ a n x n þ a n 1 x n 1 þ . . . þ a 1 x þ a 0 ¼ ¼ a n ðx x 1 Þ ðx x 2 Þ . . . ðx x n Þ ðIII-51Þ Die n Faktoren x x 1 , x x 2 , . . . , x x n werden als Linearfaktoren der Produktdarstellung bezeichnet. Anmerkungen (1) Die Produktdarstellung (III-51) wird auch als Zerlegung eines Polynoms in Linearfaktoren bezeichnet. (2) Den Koeffizienten a n in der Produktform (III-51) nicht vergessen! (3) Bei einer doppelten Nullstelle tritt der zugehörige Linearfaktor doppelt, bei einer dreifachen Nullstelle dreifach auf usw. (vgl. hierzu die nachfolgenden Beispiele (2) und (4)). Sie werden dann jeweils zu Potenzen zusammengefasst. (4) Ist die Anzahl k der reellen Nullstellen (inklusive der entsprechend oft gezählten mehrfachen Nullstellen) kleiner als der Polynomgrad n, so besitzt die Produktdarstellung die folgende spezielle Form: f ðxÞ ¼ a n ðx x 1 Þ ðx x 2 Þ . . . ðx x k Þ f * ðxÞ ðIII-52Þ Dabei ist f * ðxÞ eine Polynomfunktion vom Grade n k ohne reelle Nullstellen, d. h. es gilt im Reellen f * ðxÞ 6¼ 0. Das Restpolynom f * ðxÞ lässt sich also nicht weiter zerlegen. Der Koeffizient a n kann auch in f * ðxÞ einbezogen werden. Hinweis: Im Bereich der komplexen Zahlen liefert das Restpolynom (bei reellen Polynomkoeffizienten) stets sog. konjugiert komplexe Nullstellen (siehe hierzu Kap. VII). Der Fundamentalsatz lautet dann wie folgt: „Ein Polynom vom Grade n mit ausschließlich reellen Koeffizienten besitzt genau n (reelle oder komplexe) Nullstellen“. 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) & 201 Beispiele (1) y ¼ f ðxÞ ¼ 2 x 2 þ 7 x 22 Nullstellen: x 1 ¼ 2, x 2 ¼ 5,5 Produktdarstellung: y ¼ 2 ðx 2Þ ðx þ 5,5Þ (2) y ¼ f ðxÞ ¼ 3 x 3 þ 3 x 2 3 x 3 Nullstellen: x 1 ¼ 1 (doppelte Nullstelle, Berührungspunkt), x2 ¼ 1 Produktdarstellung: y ¼ 3 ðx þ 1Þ ðx þ 1Þ ðx 1Þ ¼ 3 ðx þ 1Þ 2 ðx 1Þ Bild III-68 zeigt den Verlauf der Polynomfunktion, ermittelt aus den Nullstellen, der Schnittstelle mit der y-Achse bei y ðx ¼ 0Þ ¼ 3 und dem Verhalten der Funktion für x ! 1 (die höchste Potenz 3 x 3 und damit die Funktion selbst streben für x ! 1 gegen 1). y 4 y = 3 (x + 1) 2 (x –1) 2 Bild III-68 –2 –1 1 2 x –2 –4 (3) Die Nullstellenberechnung der Funktion y ¼ x 4 13 x 2 þ 36 führt zu der biquadratischen Gleichung x 4 13 x 2 þ 36 ¼ 0 die durch die Substitution z ¼ x 2 wie folgt gelöst wird (bitte nachrechnen): z 2 13 z þ 36 ¼ 0 ) z 1 ¼ 4, z 2 ¼ 9 x2 ¼ z1 ¼ 4 ) x 1 ¼ 2, x2 ¼ 2 x2 ¼ z2 ¼ 9 ) x 3 ¼ 3, x4 ¼ 3 Das Polynom besitzt demnach vier verschiedene reelle Nullstellen bei x 1 ¼ 2, x 2 ¼ 2, x 3 ¼ 3 und x 4 ¼ 3. Die Produktdarstellung lautet daher: y ¼ ðx 2Þ ðx þ 2Þ ðx 3Þ ðx þ 3Þ 202 (4) III Funktionen und Kurven Eine Polynomfunktion 3. Grades besitze in x 1 ¼ 5 eine doppelte und in x 2 ¼ 8 eine einfache Nullstelle und schneide die y-Achse bei y ð0Þ ¼ 100. Wie lautet die Gleichung der Funktion? Lösung: Ansatz der Funktion in der Produktform: y ¼ a ðx þ 5Þ ðx þ 5Þ ðx 8Þ ¼ a ðx þ 5Þ 2 ðx 8Þ Der Koeffizient a wird aus dem Schnittpunkt mit der y-Achse bestimmt: y ð0Þ ¼ 100 ) a 5 2 ð 8Þ ¼ 200 a ¼ 100 ) a ¼ 0,5 Die gesuchte Funktion besitzt damit die Funktionsgleichung y ¼ 0,5 ðx þ 5Þ 2 ðx 8Þ ¼ 0,5 x 3 x 2 þ 27,5 x þ 100 (5) Die Polynomfunktion y ¼ 2 x 3 6 x 2 þ 2 x 6 besitzt nur eine einfache (reelle) Nullstelle bei x 1 ¼ 3. Ihre Produktdarstellung lautet daher wie folgt: y ¼ ðx 3Þ f * ðxÞ f * ðxÞ ist dabei eine Polynomfunktion 2. Grades ohne (reelle) Nullstellen. Durch Polynomdivision findet man: f * ðxÞ ¼ ð2 x 3 6 x 2 þ 2 x 6Þ : ðx 3Þ ¼ 2 x 2 þ 2 ð2 x 3 6 x 2 Þ 2x 6 ð2 x 6Þ 0 Somit gilt: y ¼ 2 x 3 6 x 2 þ 2 x 6 ¼ ðx 3Þ ð2 x 2 þ 2Þ ¼ 2 ðx 3Þ ðx 2 þ 1Þ (6) Das Polynom y ¼ x 4 1 lässt sich mit Hilfe des 3. Binoms wie folgt zerlegen: y ¼ x 4 1 ¼ ðx 2 þ 1Þ ðx 2 1Þ Es besitzt demnach genau zwei einfache Nullstellen bei x 1=2 ¼ 1, da nur der rechte Faktor verschwinden kann: ðx 2 þ 1 Þ ðx 2 1Þ ¼ 0 |fflfflffl{zfflfflffl} 6¼ 0 ) x2 1 ¼ 0 Produktform des Polynoms: y ¼ x 4 1 ¼ ðx 1Þ ðx þ 1Þ ðx 2 þ 1Þ ) x 1=2 ¼ 1 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) (7) 203 Die ganzrationale Funktion y ¼ 2 x 4 þ 3 x 2 þ 2 hat, wie man leicht ohne Rechnung zeigen kann, im Bereich der reellen Zahlen keine Nullstellen. Begründung: Die Summanden 2 x 4 und 3 x 2 können wegen der geraden Potenzen und der positiven Koeffizienten nicht negativ werden. Sie verschwinden beide für x ¼ 0 und sind für jedes x 6¼ 0 stets größer Null. Die Funktion kann damit nur Werte annehmen, die größer oder gleich 2 sind: y ¼ 2x4 þ 3x2 þ 2 2 ðf ür jedes reelle xÞ & 5.5 Horner-Schema und Nullstellenberechnung einer Polynomfunktion Das Horner-Schema ist ein Rechenverfahren, das bei der Nullstellenberechnung einer Polynomfunktion durch schrittweise Reduzierung des Polynomgrades wertvolle Dienste leistet. Wir wollen das Verfahren am Beispiel einer Polynomfunktion 3. Grades kurz erläutern. Dividiert man die Funktion f ðxÞ ¼ a 3 x 3 þ a 2 x 2 þ a 1 x þ a 0 durch die lineare Funktion x x 0 , wobei x 0 ein zunächst beliebiger, dann aber fester Wert ist, so erhält man eine Polynomfunktion 2. Grades und eine Restfunktion r ðxÞ: f ðxÞ a3 x3 þ a2 x2 þ a1 x þ a0 ¼ ¼ b 2 x 2 þ b 1 x þ b 0 þ r ðxÞ x x0 x x0 ðIII-53Þ Die Koeffizienten b 2 , b 1 , b 0 sind dabei eindeutig durch die Polynomkoeffizienten a 3 , a 2 , a 1 , a 0 und den Wert x 0 bestimmt, wie eine hier nicht durchgeführte Rechnung zeigt: b 2 ¼ a 3, b1 ¼ a2 þ a3 x0 , b 0 ¼ a 1 þ a 2 x 0 þ a 3 x 02 ðIII-54Þ Die Restfunktion r ðxÞ ist echt gebrochen und hat die Form r ðxÞ ¼ a 0 þ a 1 x 0 þ a 2 x 02 þ a 3 x 03 f ðx 0 Þ ¼ x x0 x x0 ðIII-55Þ Man beachte, dass im Zähler genau der Funktionswert von f ðxÞ an der Stelle x 0 auftritt. Die Restfunktion r ðxÞ verschwindet daher, wenn x 0 eine Polynomnullstelle ist (dann nämlich ist f ðx 0 Þ ¼ 0 und damit der ganze Bruch gleich Null). Die Koeffizienten b 2 , b 1 , b 0 sind in diesem Fall genau die Koeffizienten des 1. reduzierten Polynoms, da wir die Polynomfunktion f ðxÞ durch den Linearfaktor x x 0 dividiert haben: f ðxÞ a3 x3 þ a2 x2 þ a1 x þ a0 ¼ ¼ b2 x2 þ b1 x þ b0 x x0 x x0 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 1. reduzierts Polynom von f ðxÞ ðIII-56Þ 204 III Funktionen und Kurven Horner-Schema Von Horner stammt das folgende Schema zur Berechnung der Polynomkoeffizienten b 2 , b 1 , b 0 und des Funktionswertes f ðx 0 Þ in der Zerlegung (III-53): a3 x0 a2 ! 2 a1 þ a2 x0 þ a3 x0 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} ða 1 þ a 2 x 0 þ a 3 x 02 Þ x 0 a3 |{z} a2 þ a3 x0 |fflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflffl} I ða 2 þ a 3 x 0 Þ x 0 I ! I a3 x0 a0 I ! a1 a 0 þ a 1 x 0 þ a 2 x 02 þ a 3 x 03 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} b2 b1 b0 f ðx 0 Þ Anleitung zum Horner-Schema In der 1. Zeile stehen die Polynomkoeffizienten in der Reihenfolge fallender Potenzen: a 3, a 2, a 1, a 0 : Die 2. Zeile bleibt zunächst frei. Die 3. Zeile beginnt mit dem Koeffizienten a 3 , der aus der 1. Zeile übernommen wird. Dieser wird dann mit dem x-Wert x 0 multipliziert und das Ergebnis a 3 x 0 in die 2. Zeile unter den Koeffizienten a 2 gesetzt und zu diesem addiert. Das Ergebnis dieser Addition (also die Zahl a 2 þ a 3 x 0 ) wird in der 3. Zeile unter dem Koeffizienten a 2 „gespeichert“. Jetzt wird die in der 3. Zeile unterhalb von a 2 stehenden Zahl a 2 þ a 3 x 0 mit dem x-Wert x 0 multipliziert und das Ergebnis ða 2 þ a 3 x 0 Þ x 0 ¼ a 2 x 0 þ a 3 x 02 in die 2. Zeile unter den Koeffizienten a 1 gesetzt und schließlich zu diesem addiert. Das Ergebnis dieser Addition ist die Zahl a 1 þ a 2 x 0 þ a 3 x 02 und wird wieder in der 3. Zeile, diesmal unterhalb des Koeffizienten a 1 gespeichert. Sodann wird die in der 3. Zeile unterhalb von a 1 stehende Zahl a 1 þ a 2 x 0 þ a 3 x 02 mit dem x-Wert x 0 multipliziert und das Ergebnis in der 2. Zeile unter dem Koeffizienten a 0 gespeichert, schließlich zu diesem addiert und die neue Summe a 0 þ a 1 x 0 þ a 2 x 02 þ a 3 x 03 in die 3. Zeile unterhalb des Koeffizienten a 0 gesetzt. Das Schema ist nun ausgefüllt. Die in der 3. Zeile stehenden Zahlenwerte sind der Reihe nach die Koeffizienten b 2 , b 1 , b 0 aus der Zerlegung (III-53) sowie der Funktionswert f ðx 0 Þ. Anmerkungen (1) Das Horner-Schema ist sinngemäß auch auf Polynomfunktionen höheren Grades ðn > 3Þ anwendbar (siehe nachfolgende Beispiele). (2) Beachten Sie: Das Polynom muss nach absteigenden Potenzen geordnet sein. Fehlen gewisse Potenzen (man spricht dann auch von einem unvollständigen Polynom), so sind die entsprechenden Koeffizienten gleich Null und müssen im Horner-Schema berücksichtigt werden. 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) 205 Berechnung der Nullstellen einer Polynomfunktion mit Hilfe des Horner-Schemas Die praktische Bedeutung des Horner-Schemas liegt in der Nullstellenberechnung von Polynomfunktionen. Zweckmäßigerweise geht man dabei wie folgt vor (bei einem Polynom 3. Grades): Nullstellenberechnung einer Polynomfunktion mit Hilfe des Horner-Schemas Die Nullstellen einer Polynomfunktion f ðxÞ vom Grade 3 lassen sich schrittweise wie folgt berechnen: 1. Zunächst versucht man durch Probieren, Erraten oder durch graphische oder auch numerische Rechenverfahren eine (reelle) Nullstelle x 1 zu bestimmen. 2. Ist dies gelungen, so wird mit Hilfe des Horner-Schemas der zugehörige Linearfaktor x x 1 abgespalten. Man erhält automatisch die Koeffizienten des 1. reduzierten Polynoms f 1 ðxÞ vom Grade 2. Sie stehen in der untersten (d. h. dritten) Zeile des Horner-Schemas, die das folgende Aussehen hat: b2 b1 b0 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 0 |ffl{zffl} 3: Zeile f ðx 1 Þ Koeffizienten des 1. reduzierten Polynoms 3. Die restlichen Polynomnullstellen (falls überhaupt vorhanden) sind dann die Lösungen der quadratischen Gleichung f 1 ðxÞ ¼ 0. Bei Polynomfunktionen 4. und höheren Grades erfolgt die Nullstellenberechnung analog durch mehrmaliges Reduzieren. Dabei wird grundsätzlich so lange reduziert, bis man auf eine Polynomfunktion 2. Grades stößt. Die zugehörige quadratische Gleichung liefert dann die restlichen Nullstellen (sofern solche überhaupt vorhanden sind). So muss beispielsweise eine Polynomfunktion 4. Grades zweimal nacheinander reduziert werden: f ðxÞ ðNullstelle x 1 Þ f 1 ðxÞ n ¼ 3 2: Reduktion " ðNullstelle x 2 Þ f 2 ðxÞ n ¼ 2 I n ¼ 4 Reduktion " 1: f 2 ðxÞ ¼ 0 f ðxÞ: Polynomfunktion vom Grade 4 f 1 ðxÞ: 1. reduziertes Polynom vom Grade 3 f 2 ðxÞ: 2. reduziertes Polynom vom Grade 2 I Bezeichnungen: Nullstellen x 3, x 4 206 & III Funktionen und Kurven Beispiele (1) Unter Verwendung des Horner-Schemas ist zu zeigen, dass die Polynomfunktion y ¼ 3 x 3 þ 18 x 2 þ 9 x 30 an der Stelle x 1 ¼ 5 eine Nullstelle besitzt. Wo liegen die übrigen Nullstellen? Wie lautet die Produktdarstellung der Funktion? Lösung: Das Polynom ist bereits geordnet und vollständig. Das Horner-Schema liefert dann: 3 x1 ¼ 5 18 9 30 15 15 30 3 3 6 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 0 |ffl{zffl} f ð 5Þ Koeffizienten des 1. reduzierten Polynoms Die restlichen Nullstellen sind die Nullstellen des 1. reduzierten Polynoms f 1 ðxÞ ¼ 3 x 2 þ 3 x 6: 3x2 þ 3x 6 ¼ 0 ) x2 þ x 2 ¼ 0 ) x 2 ¼ 1, x3 ¼ 2 Produktdarstellung: y ¼ 3 ðx þ 5Þ ðx 1Þ ðx þ 2Þ (2) Zerlege das Polynom y ¼ x 4 þ 6 x 3 8 x 2 6 x þ 9 in Linearfaktoren. Lösung: Durch Probieren findet man eine erste Nullstelle bei x 1 ¼ 1. Die Abspaltung des zugehörigen Linearfaktors x 1 erfolgt über das Horner-Schema (das Polynom ist geordnet und vollständig): 1 x1 ¼ 1 1 6 8 6 9 1 5 3 9 5 3 9 0 1. reduziertes Polynom: f 1 ðxÞ ¼ x 3 þ 5 x 2 3 x 9 Eine weitere Nullstelle liegt bei x 2 ¼ 3 (ebenfalls durch Probieren gefunden). Wir spalten den zugehörigen Linearfaktor x 3 ab (das 1. reduzierte Polynom ist geordnet und vollständig): 1 x2 ¼ 3 1 5 3 9 3 6 9 2 3 0 2. reduziertes Polynom: f 2 ðxÞ ¼ x 2 þ 2 x þ 3 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) 207 Die restlichen beiden Nullstellen erhält man aus der quadratischen Gleichung x2 þ 2x þ 3 ¼ 0 oder x2 2x 3 ¼ 0 Sie lauten: x 1=2 ¼ 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffi 12 þ 3 ¼ 1 4 ¼ 1 2 Die Nullstellen liegen an den Stellen x 3 ¼ 3 und x 4 ¼ 1. Die Produktdarstellung der Funktion lautet damit: y ¼ 1 ðx 1Þðx 3Þ ðx 3Þ ðx þ 1Þ ¼ ðx 1Þ ðx þ 1Þ ðx 3Þ2 & 5.6 Interpolationspolynome 5.6.1 Allgemeine Vorbetrachtung In den naturwissenschaftlich-technischen Anwendungen stellt sich häufig das folgende Problem: Von einer unbekannten Funktion sind n þ 1 Kurvenpunkte (sog. Stützpunkte) bekannt: P 0 ¼ ðx 0 ; y 0 Þ, P 1 ¼ ðx 1 ; y 1 Þ, P 2 ¼ ðx 2 ; y 2 Þ, . . . , P n ¼ ðx n ; y n Þ ðIII-57Þ (mit x 0 < x 1 < x 2 < . . . < x n Þ. Diese Punkte können beispielsweise in Form einer durch Messungen gewonnenen Wertetabelle vorliegen oder aber als Messpunkte in einer graphischen Darstellung. Die Abszissenwerte x 0 , x 1 , x 2 , . . . , x n werden in diesem Zusammenhang als Stützstellen, ihre zugehörigen Ordinatenwerte y 0 , y 1 , y 2 , . . ., y n als Stützwerte bezeichnet. Wir suchen nun eine möglichst einfache Ersatz- oder Näherungsfunktion y ¼ f ðxÞ, die mit der unbekannten Funktion in den n þ 1 Stützstellen übereinstimmt (Bild III-69). y P n –1 P0 P1 y0 x0 Bild III-69 Pn Näherungspolynom y1 x1 P2 y2 x2 y n –1 x n –1 yn xn x Näherungspolynom für eine unbekannte Funktion durch n þ 1 vorgegebene „Stützpunkte“ 208 III Funktionen und Kurven Eine solche Funktion lässt sich durch den Polynomansatz y ¼ a0 þ a1 x þ a2 x2 þ . . . þ an xn ðIII-58Þ leicht gewinnen. Diese Näherungsfunktion wird als Interpolationspolynom n-ten Grades 5Þ bezeichnet, da man mit ihr näherungsweise beliebige Zwischenwerte der unbekannten Funktion im Intervall x 0 x x n berechnen kann (sog. Interpolation). Prinzipiell lassen sich die Polynomkoeffizienten des Ansatzes (III-58) wie folgt bestimmen: Man setzt der Reihe nach die Koordinaten der n þ 1 Stützpunkte P 0 , P 1 , P 2 , . . . , P n in den Lösungsansatz ein und erhält ein lineares Gleichungssystem mit n þ 1 Gleichungen und den n þ 1 Unbekannten a 0 , a 1 , a 2 , . . . , a n : a 0 þ a 1 x 0 þ a 2 x 02 þ . . . þ a n x 0n ¼ y 0 a 0 þ a 1 x 1 þ a 2 x 12 þ . . . þ a n x 1n ¼ y 1 a 0 þ a 1 x 2 þ a 2 x 22 þ . . . þ a n x 2n ¼ y 2 (III-59) .. . a 0 þ a 1 x n þ a 2 x n2 þ . . . þ a n x nn ¼ y n Dieses Gleichungssystem besitzt genau eine Lösung, wenn sämtliche Stützstellen x 0 , x 1 , x 2 , . . . , x n voneinander verschieden sind. Der Rechenaufwand beim Lösen dieses linearen Gleichungssystems ist jedoch erheblich (Gaußscher Algorithmus!). Der Lösungsansatz (III-58) ist daher in dieser Form für die Praxis wenig geeignet. Im nachfolgenden Abschnitt werden wir einen „praxisfreundlicheren“ Polynomansatz kennenlernen, das sog. Interpolationspolynom von Newton. 5.6.2 Interpolationspolynom von Newton Von Newton stammt der folgende Ansatz für ein Interpolationspolynom n-ten Grades: y ¼ a 0 þ a 1 ðx x 0 Þ þ a 2 ðx x 0 Þ ðx x 1 Þ þ þ a 3 ðx x 0 Þðx x 1 Þ ðx x 2 Þ þ . . . . . . þ a n ðx x 0 Þ ðx x 1 Þ ðx x 2 Þ . . . ðx x n 1 Þ ðIII-60Þ x 0 , x 1 , x 2 , . . . , x n sind dabei die Stützstellen der n þ 1 vorgegebenen Kurvenpunkte (Stützpunkte), wobei formal gesehen die Stützstelle x n in der Interpolationsformel (III-60) nicht enthalten ist. Die Koeffizienten a 0 , a 1 , a 2 , . . . , a n können dabei bequem nach dem folgenden sog. Steigungs- oder Differenzenschema berechnet werden: 5Þ Das Interpolationspolynom kann auch von niedrigerem Grade sein! 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) ½ x 2, x 3 ...... y2 y3 .. . .. . .. . n xn yn a3 ½ x 0, x 1, x 2, x 3 ... a2 ½ x 0, x 1, x 2 ½x 1 , x 2 , x 3 x3 ½ x 1, x 2 3 x2 y1 a1 ½ x 0, x 1 2 x1 ... a0 1 III II ............ x0 y0 I yk 0 xk k 209 ............... Anleitung zum Steigungs- oder Differenzenschema Die im Rechenschema gebildeten Größen ½ x 0 , x 1 , ½ x 0 , x 1 , x 2 , ½ x 0 , x 1 , x 2 , x 3 , . . . heißen dividierte Differenzen 1., 2., 3., . . . Ordnung. Sie sind wie folgt definiert: (1) Spalte I enthält die dividierten Differenzen 1. Ordnung, die aus zwei aufeinanderfolgenden Stützpunkten gebildet werden 6Þ : ½ x 0, x 1 ¼ (2) y0 y1 ; x0 x1 ½ x 1, x 2 ¼ y1 y2 ; x1 x2 ... ðIII-61Þ Spalte II enthält die dividierten Differenzen 2. Ordnung. Sie werden aus drei aufeinanderfolgenden Stützpunkten gebildet: ½ x 0, x 1, x 2 ¼ ½ x 0, x 1 ½ x 1, x 2 x0 x2 ½ x 1, x 2, x 3 ¼ ½ x 1, x 2 ½ x 2, x 3 x1 x3 ðIII-62Þ .. . 6Þ Es handelt sich um Differenzenquotienten, d. h. Steigungswerte. Dies erklärt auch die Bezeichnung des Rechenschemas. 210 (3) III Funktionen und Kurven Spalte III enthält die dividierten Differenzen 3. Ordnung, die aus vier aufeinanderfolgenden Stützpunkten gebildet werden: ½ x 0, x 1, x 2, x 3 ¼ ½ x 0, x 1, x 2 ½ x 1, x 2, x 3 x0 x3 ½ x 1, x 2, x 3, x 4 ¼ ½ x 1, x 2, x 3 ½ x 2, x 3, x 4 x1 x4 .. . ðIII-63Þ Entsprechend werden die dividierten Differenzen höherer Ordnung gebildet. Wir fassen zusammen: Interpolationspolynom von Newton (Bild III-69) Das Newtonsche Interpolationspolynom n-ten Grades durch n þ 1 vorgegebene Stützpunkte P 0 ¼ ðx 0 ; y 0 Þ, P 1 ¼ ðx 1 ; y 1 Þ, P 2 ¼ ðx 2 ; y 2 Þ, . . . , P n ¼ ðx n ; y n Þ lautet wie folgt: y ¼ a 0 þ a 1 ðx x 0 Þ þ a 2 ðx x 0 Þ ðx x 1 Þ þ þ a 3 ðx x 0 Þ ðx x 1 Þ ðx x 2 Þ þ . . . . . . þ a n ðx x 0 Þ ðx x 1 Þ ðx x 2 Þ . . . ðx x n 1 Þ ðIII-64Þ Die Berechnung der Koeffizienten a 0 , a 1 , a 2 , . . . , a n erfolgt dabei zweckmäßigerweise nach dem Steigungs- oder Differenzenschema. Anmerkungen (1) Die Interpolationsformel von Newton besitzt gegenüber anderen Polynomansätzen den großen Vorteil, dass die Anzahl der Stützpunkte vergrößert (oder auch verkleinert) werden kann, ohne dass man die Koeffizienten neu berechnen muss. Das Steigungs- oder Differenzenschema ist nur entsprechend zu ergänzen. (2) Ein Nachteil aller Polynomansätze ist die „Welligkeit“ der Näherungsfunktionen. Denn ein Polynom n-ten Grades besitzt bis zu n 1 relative Extremwerte. (3) Die Newtonsche Interpolationsformel (III-64) wird häufig auch dann angewendet, wenn die Funktionsgleichung zwar bekannt, jedoch zu kompliziert ist. Man berechnet dann einige Kurvenpunkte und nimmt diese als Stützpunkte des Interpolationspolynoms. 5 Ganzrationale Funktionen (Polynomfunktionen) Beispiel Das Ergebnis einer Messreihe liege in Form der folgenden Wertetabelle vor: k 0 1 2 3 xk 0 2 5 7 yk 12 16 28 54 Der Lösungsansatz lautet (das Interpolationspolynom durch die vier vorgegebenen Stützpunkte ist von höchstens 3. Grade): y ¼ a 0 þ a 1 ðx x 0 Þ þ a 2 ðx x 0 Þðx x 1 Þ þ a 3 ðx x 0 Þðx x 1 Þðx x 2 Þ Die Berechnung der Koeffizienten a 0 , a 1 , a 2 und a 3 erfolgt nach dem folgenden Steigungs- oder Differenzenschema: I 0 0 a0 12 1 2 16 2 5 28 3 7 54 II a1 14 4 41 xk III a2 2 9 yk k & 211 a3 1 Die Koeffizienten lauten somit: a 0 ¼ 12, a 1 ¼ 14, a 2 ¼ 2, a3 ¼ 1 Damit erhalten wir das folgende Interpolationspolynom (siehe Bild III-70): y ¼ 12 þ 14 ðx 0Þ 2 ðx 0Þ ðx 2Þ 1 ðx 0Þ ðx 2Þ ðx 5Þ ¼ ¼ x 3 þ 5 x 2 þ 8 x 12 y 40 y = – x 3 + 5 x 2 + 8 x –12 20 Bild III-70 –2 –1 1 2 3 4 5 6 7 8 x – 20 – 40 – 60 & 212 III Funktionen und Kurven 5.7 Ein Anwendungsbeispiel: Biegelinie eines Balkens Wir wenden uns einem einfachen Beispiel aus der Festigkeitslehre zu: Ein homogener Balken der Länge l mit konstanter Querschnittsfläche wird einseitig fest eingespannt und am freien Ende durch eine Kraft vom Betrag F auf Biegung beansprucht (Bild III-71): x l Bild III-71 Biegelinie x y F Biegelinie y Die Durchbiegung y des Balkens ist dabei von Ort zu Ort verschieden, d. h. eine Funktion y ¼ y ðxÞ der Ortskoordinate x. Man bezeichnet diese Funktion als Biegelinie oder elastische Linie. Sie ist die Funktionsgleichung der neutralen Faser. In unserem Beispiel wird die Biegelinie durch die folgende Polynomfunktion 3. Grades beschrieben: F 1 3 2 y ¼ y ðxÞ ¼ ð0 x lÞ lx x 2EI 3 (E: Elastizitätsmodul; I: Flächenmoment des Balkenquerschnitts; l: Balkenlänge). 6 Gebrochenrationale Funktionen 6.1 Definition einer gebrochenrationalen Funktion Definition: Funktionen, die als Quotient zweier Polynomfunktionen (ganzrationaler Funktionen) g ðxÞ und h ðxÞ darstellbar sind, heißen gebrochenrationale Funktionen: y ¼ g ðxÞ am xm þ am1 xm1 þ . . . þ a1 x þ a0 ¼ h ðxÞ bn xn þ bn1 xn1 þ . . . þ b1 x þ b0 ðIII-65Þ Eine gebrochenrationale Funktion ist für jedes x 2 R definiert und stetig mit Ausnahme der Nullstellen des Nennerpolynoms. Man unterscheidet noch zwischen echt und unecht gebrochenrationalen Funktionen: n > m: Echt gebrochenrationale Funktion n m: Unecht gebrochenrationale Funktion Merke: Ist der Polynomgrad im Nenner größer als im Zähler, so ist die Funktion echt gebrochenrational, in allen anderen Fällen jedoch unecht gebrochenrational. 6 Gebrochenrationale Funktionen & 213 Beispiele (1) Zu den echt gebrochenrationalen Funktionen zählen alle Potenzfunktionen mit einem negativen ganzzahligen Exponenten: y ¼ xn ¼ 1 xn ðn 2 N*Þ 1 1 Die ersten Vertreter sind die Funktionen y ¼ und y ¼ 2 (siehe hierzu x x auch die Bilder III-72 und III-73). (2) Echt gebrochenrational sind auch folgende Funktionen (die höchste Potenz tritt jeweils im Nennerpolynom auf): y ¼ (3) x2 3x þ 2 , x3 4x þ 1 y ¼ x 1 , ðx þ 2Þ ðx þ 5Þ y ¼ 4x x4 1 Unecht gebrochenrationale Funktionen sind dagegen: y ¼ x2 1 , x2 þ 1 y ¼ 2 x 3 þ 2 x 2 32 x þ 40 x 3 þ 2 x 2 13 x þ 10 ðZähler- und Nennerpolynom besitzen jeweils den gleichen GradÞ y ¼ 4x4 2x þ 5 , x 2 3 x 10 y ¼ x3 6x2 þ 8x x þ1 ðDas Zählerpolynom ist jeweils von höherem GradeÞ & 6.2 Nullstellen, Definitionslücken, Pole Nullstellen Eine gebrochenrationale Funktion besitzt überall dort eine Nullstelle x 0 , wo das Zählerpolynom g ðxÞ den Wert Null, das Nennerpolynom h ðxÞ jedoch einen von Null verschiedenen Wert annimmt: Nullstelle x 0 : & g ðx 0 Þ ¼ 0 und h ðx 0 Þ 6¼ 0 ðIII-66Þ Beispiele (1) Wir berechnen die Nullstellen der Funktion y ¼ x2 1 ¼ 0 x2 þ 1 ) x2 1 ¼ 0 ) x2 1 : x2 þ 1 x 1=2 ¼ 1 (der Nenner x 2 þ 1 ist für jedes x ungleich Null). Sie liegen an den Stellen x 1 ¼ 1 und x 2 ¼ 1. 214 (2) III Funktionen und Kurven y ¼ x3 6x2 þ 8x , x þ1 x 6¼ 1 Wir bestimmen zunächst die Nullstellen des Zählerpolynoms (bitte nachrechnen): x 3 6 x 2 þ 8 x ¼ x ðx 2 6 x þ 8Þ ¼ 0 x1 ¼ 0 , x2 ¼ 2 , ) x3 ¼ 4 Sie sind zugleich die Nullstellen der gebrochenrationalen Funktion, da der Nenner & an diesen Stellen von Null verschieden ist. Definitionslücken, Pole In den Nullstellen des Nennerpolynoms ist eine gebrochenrationale Funktion nicht definiert, da die Division durch die Zahl Null nicht erlaubt ist. Stellen dieser Art werden daher folgerichtig als Definitionslücken der Funktion bezeichnet. Eine gebrochenrationale Funktion vom Typ (III-65) besitzt daher höchstens n Definitionslücken. So ist beispielsweise die echt gebrochenrationale Funktion y ¼ 1=x an der Stelle x 0 ¼ 0 nicht definiert. In der unmittelbaren Umgebung dieser Stelle zeigt die Funktion jedoch ein charakteristisches Verhalten: Bei Annäherung von der linken Seite her werden die Funktionswerte kleiner als jede noch so kleine Zahl, bei Annäherung von rechts her wachsen die Funktionswerte über jede Grenze hinaus (Bild III-72). Definitionslücken dieser Art werden als Pole oder Unendlichkeitsstellen bezeichnet. hnlich liegen die Verhältnisse bei der Funktion y ¼ 1=x 2 . Auch diese Funktion ist an der Stelle x 0 ¼ 0 nicht definiert. Bei beliebiger Annäherung an diese Stelle (von links bzw. rechts) streben die Funktionswerte jeweils gegen 1 (siehe Bild III-73). Wir haben es hier mit einem Pol 2. Ordnung zu tun (zweifache Nennernullstelle). y y y= 1 x 1 1 x y = 12 x y = 12 x y= 1 x 1 1 Bild III-72 Funktionsgraph von y ¼ 1=x x Bild III-73 Funktionsgraph von y ¼ 1=x 2 Definition: Stellen, in deren unmittelbarer Umgebung die Funktionswerte über alle Grenzen hinaus fallen oder wachsen, heißen Pole oder Unendlichkeitsstellen der Funktion. 6 Gebrochenrationale Funktionen 215 Polstellen einer gebrochenrationalen Funktion sind demnach Stellen, in denen das Nennerpolynom h ðxÞ verschwindet, das Zählerpolynom g ðxÞ jedoch einen von Null verschiedenen Wert annimmt: Polstelle x 0 : h ðx 0 Þ ¼ 0 und g ðx 0 Þ 6¼ 0 ðIII-67Þ Die Funktionskurve schmiegt sich dabei asymptotisch an die in der Polstelle errichtete Parallele zur y-Achse an (sog. senkrechte Asymptote, auch Polgerade genannt). Verhält sich die Funktion bei der Annäherung von beiden Seiten her gleichartig, so liegt ein Pol ohne Vorzeichenwechsel vor. Es ist dann lim f ðxÞ ¼ þ 1 x ! x0 lim f ðxÞ ¼ 1 oder ðIII-68Þ x ! x0 Bei einem Pol mit Vorzeichenwechsel führt die Annäherung von rechts und links in entgegengesetzte Richtungen. Allgemein gilt für einen Pol k-ter Ordnung (k-fache Nennernullstelle): gerade ) Pol ohne Vorzeichenwechsel k ¼ ungerade ) Pol mit Vorzeichenwechsel & Beispiel x besitzt in x 1 ¼ 0 eine Nullstelle x2 4 und in x 2=3 ¼ 2 jeweils einen Pol mit Vorzeichenwechsel (die Annäherung von links und rechts führt jeweils in verschiedene Richtungen. Die Kurve verläuft punktsymmetrisch (ungerade Funktion) und nähert sich für j x j ! 1 beliebig der x-Achse (Bild III-74). Die echt gebrochenrationale Funktion y ¼ y 1 –5 –2 2 5 x –1 Bild III-74 Funktionsgraph von y ¼ x x2 4 & 216 III Funktionen und Kurven Sonderfall: Zähler und Nenner haben gemeinsame Nullstellen Ist x 0 eine a-fache Nullstelle des Zählers und zugleich eine b-fache Nullstelle des Nenners, so besitzt die gebrochenrationale Funktion f ðxÞ ¼ g ðxÞ=h ðxÞ an dieser Stelle eine Lücke (wir erhalten den unbestimmten Ausdruck 0=0). Zähler und Nenner lassen sich dann aber wie folgt zerlegen: g ðxÞ ¼ ðx x 0 Þ a g* ðxÞ mit g* ðx 0 Þ 6¼ 0 h ðxÞ ¼ ðx x 0 Þ b h* ðxÞ mit h* ðx 0 Þ 6¼ 0 Wir interessieren uns jetzt für den Grenzwert an der Stelle x ¼ x 0 : lim f ðxÞ ¼ lim x ! x0 x ! x0 g ðxÞ ðx x 0 Þ a g* ðxÞ ¼ lim b h ðxÞ x ! x 0 ðx x 0 Þ h* ðxÞ ðIII-69Þ Wegen x 6¼ x 0 dürfen wir vor der Grenzwertbildung durch den Linearfaktor x x 0 kürzen. Alles Weitere hängt dann im Wesentlichen davon ab, wo die nach dem Kürzen verbliebenen restlichen Linearfaktoren stehen. Dabei sind drei Fälle zu unterscheiden: 1: Fall : a > b Der Linearfaktor x x 0 verschwindet komplett aus dem Nenner, im Zähler aber verbleiben ða bÞ Faktoren. Dann gilt: lim f ðxÞ ¼ lim x ! x0 x ! x0 ðx x 0 Þ a b g* ðxÞ 0 g* ðx 0 Þ ¼ 0 ¼ h* ðxÞ h* ðx 0 Þ ðIII-70Þ Der Grenzwert ist also vorhanden und die Lücke bei x ¼ x 0 kann durch die nachträgliche Festsetzung f ðx 0 Þ ¼ 0 behoben werden. Die (erweiterte) Funktion f ðxÞ hat dann an dieser Stelle eine Nullstelle und ist dort sogar stetig. 2: Fall : a ¼ b Der Linearfaktor x x 0 kürzt sich komplett heraus und wir erhalten einen von Null verschiedenen Grenzwert: lim f ðxÞ ¼ lim x ! x0 x ! x0 g* ðxÞ g* ðx 0 Þ ¼ ¼ c 6¼ 0 h* ðxÞ h* ðx 0 Þ ðIII-71Þ Die Lücke kann dann durch die nachträgliche Festsetzung f ðx 0 Þ ¼ c behoben werden. 3: Fall : b > a Es verbleiben ðb aÞ Faktoren im Nenner, wobei gilt: lim f ðxÞ ¼ lim x ! x0 x ! x0 g* ðxÞ ðx x 0 Þ b a h* ðxÞ ¼ þ1 oder 1 ðIII-72Þ 6 Gebrochenrationale Funktionen 217 (uneigentlicher Grenzwert). Die Lücke an der Stelle x ¼ x 0 lässt sich nicht beheben, f ðxÞ besitzt hier eine Polstelle der Ordnung ðb aÞ. & Beispiele (1) f ðxÞ ¼ x2 þ x 2 ðx 1Þ ðx þ 2Þ ¼ x 1 x 1 ðx 6¼ 1Þ Bei x 1 ¼ 1 liegt eine hebbare Lücke, da der Grenzwert an dieser Stelle vorhanden ist: lim x!1 ðx 1Þ ðx þ 2Þ ¼ lim ðx þ 2Þ ¼ 3 x 1 x!1 Durch die nachträgliche Festsetzung f ð1Þ ¼ 3 wird f ðxÞ zu einer überall definierten und stetigen Funktion erweitert: 8 2 9 x þx 2 > > > x 6¼ 1 > < = x 1 ¼ x þ2 ðf ür x 2 RÞ f ðxÞ ¼ f ür > > > > : ; 3 x ¼ 1 (2) f ðxÞ ¼ x2 þ x 2 ðx 1Þ 3 ¼ ðx 1Þ ðx þ 2Þ ðx 6¼ 1Þ ðx 1Þ 3 Auch diese Funktion hat an der Stelle x 1 ¼ 1 eine Lücke, die sich jedoch nicht beheben lässt, da der Grenzwert nicht vorhanden ist (der Linearfaktor x 1 kann nur einmal gekürzt werden): lim ðx 1Þ ðx þ 2Þ x!1 ðx 1Þ 3 ¼ lim x!1 x þ2 ðx 1Þ 2 ¼ 1 f ðxÞ hat also bei x 1 ¼ 1 eine Unendlichkeitsstelle (und zwar einen Pol ohne Vorzeichenwechsel). (3) f ðxÞ ¼ ðx 2 þ x 2Þ 2 x2 2x þ 1 ðx 6¼ 1Þ Die Zerlegung von Zähler und Nenner in Linearfaktoren führt zu der Darstellung f ðxÞ ¼ ðx 2 þ x 2Þ 2 ðx 1Þ 2 ðx þ 2Þ 2 ¼ x2 2x þ 1 ðx 1Þ 2 ðx 6¼ 1Þ Die Funktion besitzt an der Stelle x 1 ¼ 1 eine Lücke (Zähler und Nenner verschwinden), die jedoch behoben werden kann, da der Grenzwert an dieser Stelle vorhanden ist: lim f ðxÞ ¼ lim x!1 x!1 ðx 1Þ 2 ðx þ 2Þ 2 ðx 1Þ 2 ¼ lim ðx þ 2Þ 2 ¼ 3 2 ¼ 9 x!1 & 218 III Funktionen und Kurven Wir können daher bei einer gebrochenrationalen Funktion auch wie folgt vorgehen: Zunächst zerlegen wir Zähler- und Nennerpolynom in Linearfaktoren und kürzen gemeinsame Faktoren, soweit vorhanden, heraus. Auf diese Weise lassen sich unter Umständen Definitionslücken beheben und der Definitionsbereich der Funktion damit erweitern (siehe hierzu auch das nachfolgende Beispiel). Wir vereinbaren daher, bei der Bestimmung der Null- und Polstellen einer gebrochenrationalen Funktion wie folgt vorzugehen: Bestimmung der Null- und Polstellen einer gebrochenrationalen Funktion 1. Man zerlege zunächst Zähler- und Nennerpolynom in Linearfaktoren und kürze (falls überhaupt vorhanden) gemeinsame Faktoren heraus. 2. Die im Zähler verbliebenen Linearfaktoren liefern dann die Nullstellen, die im Nenner verbliebenen Linearfaktoren die Polstellen der gebrochenrationalen Funktion. & Beispiel y ¼ 2 x 3 þ 2 x 2 32 x þ 40 x 3 þ 2 x 2 13 x þ 10 Zähler- und Nennerpolynom dieser unecht gebrochenrationalen Funktion werden zunächst in Linearfaktoren zerlegt (Horner-Schema verwenden), gemeinsame Linearfaktoren anschließend herausgekürzt: y ¼ 2 x 3 þ 2 x 2 32 x þ 40 2 ðx 2Þ 2 ðx þ 5Þ ¼ x 3 þ 2 x 2 13 x þ 10 ðx 1Þ ðx 2Þ ðx þ 5Þ y ¼ 2 ðx 2Þ x 1 ðx 6¼ 1, 2, 5Þ ðx 6¼ 1Þ Die ursprünglich vorhandenen Definitionslücken an den Stellen x ¼ 2 und x ¼ 5 wurden somit behoben! Die „neue“ erweiterte Funktion besitzt jetzt nur noch eine Definitionslücke bei x ¼ 1. Die verbliebenen Linearfaktoren des Zählers liefern dann die Nullstellen, die des Nenners die Polstellen der Funktion: Nullstelle: x1 ¼ 2 Polstelle: x2 ¼ 1 (Pol mit Vorzeichenwechsel) 2 ðx 2Þ skizziert. Sie besitzt x 1 nur noch eine Definitionslücke (Polstelle) bei x 2 ¼ 1. Die ursprüngliche Funktion hat den gleichen Verlauf, jedoch bei 5 und 2 zwei Lücken (Unstetigkeiten). In Bild III-75 ist der Verlauf der „neuen“ Funktion y ¼ 6 Gebrochenrationale Funktionen 219 y 4 2 –5 –1 –1 2 5 x Bild III-75 Funktionsgraph von y ¼ 2 ðx 2Þ x 1 –5 & 6.3 Asymptotisches Verhalten einer gebrochenrationalen Funktion im Unendlichen Eine echt gebrochenrationale Funktion f ðxÞ nähert sich für große x-Werte stets asymptotisch der x-Achse, da das Nennerpolynom infolge des höheren Grades schneller wächst als das Zählerpolynom. Die Gleichung der Asymptote im Unendlichen, d. h. für x ! 1 lautet daher y ¼ 0 (x-Achse). & Beispiele 1 1 (Bild III-72), y ¼ 2 (Bild III-73) Die echt gebrochenrationalen Funktionen y ¼ x x x und y ¼ 2 (Bild III-74) nähern sich für x ! 1 jeweils asymptotisch x 4 & der x-Achse. Bei einer unecht gebrochenrationalen Funktion f ðxÞ muss man wie folgt verfahren, um ihr Verhalten im Unendlichen beurteilen zu können: Zunächst wird die unecht gebrochene Funktion f ðxÞ durch Polynomdivision in eine ganzrationale Funktion (Polynomfunktion) p ðxÞ und eine echt gebrochene Funktion r ðxÞ zerlegt: f ðxÞ ¼ p ðxÞ þ r ðxÞ ðIII-73Þ Diese Zerlegung ist stets möglich und eindeutig! Für x ! 1 verschwindet der echt gebrochenrationale Anteil r ðxÞ der Zerlegung und die gegebene Funktion zeigt daher in diesem Bereich ein ähnliches Verhalten wie die Polynomfunktion p ðxÞ. Diese ist somit Asymptote im Unendlichen. 220 III Funktionen und Kurven Wir fassen die Ergebnisse dieses Abschnitts wie folgt zusammen: Bestimmung der Asymptote einer gebrochenrationalen Funktion im Unendlichen 1. Jede echt gebrochenrationale Funktion y ¼ f ðxÞ nähert sich für x ! 1 beliebig der x-Achse. Daher ist y ¼ 0 die Gleichung ihrer Asymptote im Unendlichen. 2. Eine unecht gebrochenrationale Funktion y ¼ f ðxÞ wird zunächst durch Polynomdivision in eine ganzrationale Funktion (Polynomfunktion) p ðxÞ und eine echt gebrochenrationale Funktion r ðxÞ zerlegt: f ðxÞ ¼ p ðxÞ þ r ðxÞ ðIII-74Þ Für x ! 1 strebt r ðxÞ ! 0 und die unecht gebrochene Funktion f ðxÞ nähert sich asymptotisch der Polynomfunktion p ðxÞ, d. h. y ¼ p ðxÞ ist die Gleichung ihrer Asymptote im Unendlichen. Anmerkung Die Kurve y ¼ f ðxÞ ¼ p ðxÞ þ r ðxÞ schneidet ihre Asymptote y ¼ p ðxÞ überall dort, wo die Restfunktion r ðxÞ verschwindet. Diese Schnittpunkte lassen somit aus der Gleichung r ðxÞ ¼ 0 berechnen. & Beispiel y ¼ 0,5 x 3 1,5 x þ 1 x2 þ 3x þ 2 (unecht gebrochenrationale Funktion) Zähler- und Nennerpolynom werden in Linearfunktion zerlegt, gemeinsame Faktoren (vereinbarungsgemäß) herausgekürzt: y ¼ 0,5 x 3 1,5 x þ 1 0,5 ðx 1Þ 2 ðx þ 2Þ ¼ x2 þ 3x þ 2 ðx þ 1Þ ðx þ 2Þ ðx 6¼ 1, 2Þ (gemeinsamen Faktor x þ 2 kürzen) y ¼ 0,5 ðx 1Þ 2 0,5 x 2 x þ 0,5 ¼ x þ1 x þ1 ðx 6¼ 1Þ Nullstellen: x 1=2 ¼ 1 (doppelte Nullstelle, d. h. Berührungspunkt und zugleich Extremwert) Polstelle: x 3 ¼ 1 (Pol mit Vorzeichenwechsel) Die ursprüngliche Definitionslücke bei x ¼ 2 wurde behoben, die in ihrem Definitionsbereich nachträglich erweiterte Funktion besitzt damit nur noch eine einzige Definitionslücke an der Stelle x ¼ 1 (Pol mit Vorzeichenwechsel). 6 Gebrochenrationale Funktionen 221 Wir zerlegen nun die unecht gebrochene erweiterte Funktion durch Polynomdivision in einen ganzrationalen und einen echt gebrochenrationalen Anteil: y ¼ ð0,5 x 2 x þ 0,5Þ : ðx þ 1Þ ¼ 0,5 x 1,5 þ 2 x þ1 ð0,5 x 2 þ 0,5 xÞ 1,5 x þ 0,5 ð 1,5 x 1,5Þ 2 Somit gilt: y ¼ 0,5 ðx 1Þ 2 0,5 x 2 x þ 0,5 2 ¼ 0,5 x 1,5 þ ¼ x þ1 x þ1 x þ1 Die Gleichung der Asymptote im Unendlichen lautet daher: y ¼ 0,5 x 1,5 2 x þ1 nirgends verschwindet. In Bild III-76 ist der Funktionsverlauf graphisch dargestellt. Die ursprüngliche Funktion hat den gleichen Verlauf mit Ausnahme der Stelle x ¼ 2 (dort besitzt sie eine Lücke). Kurve und Asymptote besitzen keine Schnittpunkte, da die Restfunktion r ðxÞ ¼ y 5 1 –5 –1 Asymptote 1 5 x Bild III-76 Funktionsgraph von 0,5 ðx 1Þ 2 y ¼ x þ1 Maximum –5 & 222 III Funktionen und Kurven 6.4 Ein Anwendungsbeispiel: Kapazität eines Kugelkondensators Wir betrachten einen aus zwei konzentrischen, leitenden Kugelschalen mit den Radien r 1 und r 2 bestehenden Kugelkondensator (r 1 < r 2 ; Bild III-77). Seine Kapazität beträgt: C ¼ 4 p e0 er r1 r2 r2 r1 ðIII-75Þ (e 0 : Elektrische Feldkonstante; e r : Dielektrizitätskonstante der Kondensatorfüllung). Die Differenz zwischen Außen- und Innenradius bezeichnen wir mit x: x ¼ r2 r1 > 0 ðIII-76Þ Die Kapazitätsformel (III-75) geht dann über in: C ¼ 4 p e 0 e r r 1 ðr 1 þ xÞ x ðx > 0Þ ðIII-77Þ Bei fest vorgegebenem Innenradius r 1 ¼ const: ¼ R ist die Kapazität C nur noch von der Größe x abhängig: 4 p e 0 e r R ðR þ xÞ R ¼ 4 p e0 er R 1 þ ðx > 0Þ ðIII-78Þ C ¼ C ðxÞ ¼ x x Die Größen C und x sind über eine unecht gebrochenrationale Funktion miteinander verknüpft, die für x ! 1 gegen den Grenzwert R ¼ 4 p e0 er R lim C ðxÞ ¼ lim 4 p e 0 e r R 1 þ ðIII-79Þ x x!1 x!1 strebt (Bild III-78). C r2 r1 C = C(x) x 4 pe 0 e r R x Bild III-77 Kugelkondensator Bild III-78 Kapazität eines Kugelkondensators in Abhängigkeit vom Abstand der beiden Kugelschalen 7 Potenz- und Wurzelfunktionen 223 7 Potenz- und Wurzelfunktionen 7.1 Potenzfunktionen mit ganzzahligen Exponenten Die einfachsten Potenzfunktionen sind vom Typ y ¼ f ðxÞ ¼ x n ðn 2 N*Þ ðIII-80Þ und gehören zu den ganzrationalen Funktionen. Sie sind überall in R definiert und stetig und abwechselnd gerade und ungerade: 8 9 n ¼ gerade = < f ðxÞ f ür f ð xÞ ¼ ðIII-81Þ : f ðxÞ n ¼ ungerade ; & Beispiele Bild III-79 zeigt die Graphen der ungeraden Potenzfunktionen y ¼ x, y ¼ x 3 und y ¼ x 5 , Bild III-80 die der geraden Potenzfunktionen y ¼ x 2 , y ¼ x 4 und y ¼ x 6 . y y y=x2 2 y=x y=x4 1 y=x3 1 y=x5 –1 1 x y=x6 –1 1 x –1 Bild III-79 Ungerade Potenzfunktionen Bild III-80 Gerade Potenzfunktionen & Für negativ-ganzzahlige Exponenten erhält man gebrochenrationale Funktionen vom Typ y ¼ xn ¼ 1 xn ðn 2 N*Þ ðIII-82Þ Sie sind für jedes reelle x 6¼ 0 definiert und stetig und besitzen an der Stelle x 0 ¼ 0 einen Pol mit oder ohne Vorzeichenwechsel, je nachdem ob n eine ungerade oder gerade Zahl ist. Für gerades n sind diese Potenzfunktionen gerade, für ungerades n ungerade. 224 & III Funktionen und Kurven Beispiele (1) Die ersten Vertreter dieser Funktionen lauten wie folgt: y ¼ x1 ¼ 1 x ðungerade Funktion; Bild III-81Þ y ¼ x2 ¼ 1 x2 ðgerade Funktion; Bild III-82Þ Beide Funktionen sind für jedes x 6¼ 0 definiert und besitzen an der Stelle x 0 ¼ 0 einen Pol mit bzw. ohne Vorzeichenwechsel. y y y= 1 x 1 x 1 y = 12 x y = 12 x y= 1 x 1 –1 Bild III-81 Potenzfunktion y ¼ x 1 ¼ 1=x (2) 1 x Bild III-82 Potenzfunktion y ¼ x 2 ¼ 1=x 2 Ein Beispiel aus der physikalischen Chemie liefert die Zustandsgleichung für 1 Mol eines idealen Gases bei konstanter Temperatur T. Druck p und Volumen V sind dabei zueinander umgekehrt proportionale Größen (Bild III-83): p V ¼ R T ¼ const: p ¼ const: , V p V > 0 (R: allgemeine Gaskonstante) p= const. V V Bild III-83 Isotherme eines idealen Gases 7 Potenz- und Wurzelfunktionen (3) 225 Gravitationsfeld der Erde Eine Masse m erfährt im Gravitationsfeld der Erde die Anziehungskraft F ¼ F ðrÞ ¼ f Mm 1 2 2 r r ðr r 0 Þ wobei r der Abstand der Masse vom Erdmittelpunkt ist (M: Erdmasse; r 0 : Erd& radius; f : Gravitationskonstante). 7.2 Wurzelfunktionen Bereits in Abschnitt 2.5 haben wir erkannt, dass die Potenzfunktion y ¼ x 2 (Normalparabel) in ihrem Definitionsbereich 1 < x < 1 wegen fehlender Monotonie-Eigenschaft nicht umkehrbar ist. Beschränken wir uns jedoch auf den 1. Quadranten, d. h. auf das Intervall x 0, so verläuft diese Funktion dort streng monoton wachsend und ist daher in diesem Intervall auch umkehrbar. Ihre Umkehrfunktion ist die als Wurzelfunktion bezeichnete Funktion pffiffiffiffi y ¼ x ðx 0Þ ðIII-83Þ Bild III-84 zeigt den Verlauf der „Halbparabel“ und ihrer Umkehrfunktion. Aus dem gleichen Grund ist jede Potenzfunktion mit einem geraden Exponent, d. h. jede Potenzfunktion vom Typ y ¼ x 2 k mit k 2 N* im Intervall x 0 umkehrbar. y y=x2 y=x y= x Bild III-84 pffiffiffiffi Die Wurzelfunktion y ¼ x als Umkehrfunktion der auf das Intervall x 0 beschränkten Potenzfunktion y ¼ x 2 („Halbparabel“) 1 1 x Wir betrachten nun die Potenzfunktion y ¼ x 3 (siehe hierzu Bild III-79). Sie verläuft in ihrem gesamten Definitionsbereich 1 < x < 1 streng monoton wachsend und ist somit pffiffiffiffi dort umkehrbar. Ihre Umkehrfunktion müsste daher konsequenterweise mit y ¼ 3 x bezeichnet werden und wäre damit eine für alle x 2 R definierte Funktion. hnlich liegen die Verhältnisse bei den übrigen Potenzfunktionen vom Typ y ¼ x 2 k 1 mit k 2 N* (Potenzen mit ungeraden Exponenten). 226 III Funktionen und Kurven Aus systematischen Gründen erscheint es aber sinnvoll, die Umkehrung der Potenzfunktionen y ¼ x n mit n 2 N* auf ein allen Potenzen gemeinsames Intervall zu beschränken, in dem diese Funktionen streng monoton verlaufen. Ein solches Intervall ist x 0. Diese berlegungen führen zu der folgenden Definition: Definition: Die Umkehrfunktionen der auf das Intervall x 0 beschränkten Potenzfunktionen vom Typ y ¼ x n heißen Wurzelfunktionen (mit n 2 N*). Symbolische Schreibweise: pffiffiffiffi y ¼ n x ðx 0Þ ðIII-84Þ (gelesen: n-te Wurzel aus x) Anmerkungen & (1) Die Wurzelfunktionen sind streng monoton wachsende Funktionen. (2) Die Definition des Begriffs „Wurzelfunktion“ erfolgt in der mathematischen Literatur keineswegs einheitlich. Nach unserer Definition (III-84) sind die Wurzelfunktionen nur für nicht-negative Argumente, d. h. für x 0 erklärt und dort stetig. Der Wertebereich ist y 0, die Kurven verlaufen daher alle im ersten Quadranten. Beispiele (1) Die Umkehrfunktion der auf das Intervall x 0 beschränkten pffiffiffiffi pNormalparabel ffiffiffiffi y ¼ x 2 ist die für x 0 definierte Wurzelfunktion y ¼ 2 x x (siehe Bild III-84). (2) Ein Beispiel aus den Anwendungen: In einem LC-Kreis mit der Induktivität L und der Kapazität C hängt die Schwingungsdauer T bei konstanter Induktivität L 0 wie folgt von der Kapazität C ab (Bild III-85): T ¼ 2p pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi L 0 C ¼ 2 p L 0 C ¼ const: C |fflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflffl} const: ðf ür C 0Þ T C Bild III-85 Schwingungsdauer T in Abhängigkeit von der Kapazität C in einem LC-Kreis 7 Potenz- und Wurzelfunktionen (3) 227 Die sog. kubische Parabel y ¼ x 3 verläuft in ihrem gesamten Definitionsbereich 1 < x < 1 streng monoton wachsend, ist dort also umkehrbar. Wie lautet ihre Umkehrfunktion? pffiffiffiffi Lösung: Die Wurzelfunktion y ¼ 3 x ðx 0Þ ist definitionsgemäß die Umkehrfunktion der auf den 1. Quadranten beschränkten kubischen Parabel. Die Funktionsgleichung der Umkehrfunktion von y ¼ x 3 für x < 0 lautet (wegen der Punktsymmetrie der Gesamtkurve): y ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffi ffiffiffiffiffiffiffiffiffi p 3 x ¼ 3 jxj ðx < 0Þ Insgesamt erhält man damit im Intervall 1 < x < 1 die folgende Darstellung für die gesuchte Umkehrfunktion der kubischen Parabel (Bild III-86): y ¼ f ðxÞ ¼ 8 < p ffiffiffiffi 3 x ffiffiffiffiffiffiffiffi :p 3 jxj f ür 9 x 0= x < 0; y 1 1 x Bild III-86 Umkehrfunktion der kubischen Parabel y ¼ x 3 Berechnung einiger Funktionswerte: ffiffiffiffiffiffiffiffiffi p 3 125 ¼ 5 ffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi p p ffiffiffiffiffi 3 f ð 1Þ ¼ 3 j 1 j ¼ 1 ¼ ð1Þ ¼ 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi f ð 82,5Þ ¼ 3 j 82,5 j ¼ 3 82,5 ¼ ð4,3533Þ ¼ 4,3533 f ð125Þ ¼ & 228 III Funktionen und Kurven 7.3 Potenzfunktionen mit rationalen Exponenten Unter Verwendung der für alle x 0 definierten Wurzelfunktionen sind wir jetzt in der Lage, den Begriff der Potenzfunktion auch auf rationale Exponenten auszudehnen: Definition: Unter einer Potenzfunktion mit dem rationalen Exponenten m=n verstehen wir die Funktion y ¼ f ðxÞ ¼ x mit m 2 Z m n ¼ p n ffiffiffiffiffiffiffiffi xm ðx > 0Þ ðIII-85Þ und n 2 N*. Die Potenzfunktion y ¼ x m=n ist also definitionsgemäß die n-te Wurzel aus der Potenz x m . Man beachte, dass diese Funktion zunächst nur für x > 0 erklärt ist. Für positive Exponenten lässt sich jedoch der Definitionsbereich auf das Intervall x 0 erweitern. p n ffiffiffiffi Die Wurzelfunktionen y ¼ x ðx 0Þ sind auch als Potenzfunktionen mit rationalem Exponenten wie folgt darstellbar: p p n ffiffiffiffiffiffiffi n ffiffiffiffi ðx 0Þ ðIII-86Þ y ¼ x ¼ x 1 ¼ x 1=n Anmerkungen (1) Der Begriff der Potenzfunktion lässt sich auch auf beliebige reelle Exponenten a ausdehnen. Man setzt in diesem Falle y ¼ x a ¼ e ln x ¼ e a ln x a ðx > 0Þ ðIII-87Þ Dies erklärt auch, warum der Definitionsbereich einer allgemeinen Potenzfunktion auf das Intervall x > 0 beschränkt werden muss 7Þ . (2) & Die Potenzfunktionen sind für positive Exponenten streng monoton wachsend, für negative Exponenten dagegen streng monoton fallend (vgl. hierzu auch die beiden nachfolgenden Beispiele). Beispiele (1) Die für x 0 definierte streng monoton wachsende Potenzfunktion p ffiffiffiffiffiffiffi 2 3 y ¼ x 3 ¼ x2 besitzt den in Bild III-87 dargestellten Verlauf. 7Þ ln x ist der „natürliche Logarithmus“ von x und nur für x > 0 definiert. In Abschnitt 12 wird diese wichtige Funktion ausführlich behandelt. Die Basis e ist die Eulersche Zahl. 7 Potenz- und Wurzelfunktionen 229 y y y = x 2/3 1 y = x –1/2 1 1 2 Bild III-87 Graph der Potenzfunktion y ¼ x 2=3 ðx 0Þ (2) 1 x x Bild III-88 Graph der Potenzfunktion y ¼ x 1=2 ðx > 0Þ Die für x > 0 erklärte und streng monoton fallende Potenzfunktion y ¼ x 1=2 ¼ 1 x 1=2 1 ¼ pffiffiffiffi x & ist in Bild III-88 graphisch dargestellt. 7.4 Ein Anwendungsbeispiel: Beschleunigung eines Elektrons in einem elektrischen Feld Ein Elektron erfährt in einem elektrischen Feld der konstanten Feldstärke E die Kraft F ¼ e E entgegen der Feldrichtung (e: Elementarladung) 8Þ . Es wird daher beschleunigt und nimmt dabei kinetische Energie auf. Die vom Feld verrichtete Arbeit beträgt W ¼ e U, wobei U die vom Elektron durchlaufene Spannung ist. Nach dem Energiesatz gilt dann: 1 m0 v2 ¼ e U 2 ðIII-88Þ (m 0 : Ruhemasse des Elektrons; v: Geschwindigkeit des Elektrons). Das Elektron erreicht damit nach Durchlaufen der Spannung U die Endgeschwindigkeit v ¼ rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffi e e 2 U ¼ const: U U ¼ 2 m0 m0 ðIII-89Þ Die Größen v und U sind demnach über eine Wurzelfunktion miteinander verknüpft. 8Þ ~ bzw. der Kraft F ~. E und F sind die Beträge der Feldstärke E 230 III Funktionen und Kurven 8 Kegelschnitte 8.1 Darstellung eines Kegelschnittes durch eine algebraische Gleichung 2. Grades mit konstanten Koeffizienten Die durch Schnitt eines geraden Doppelkegels mit einer Ebene entstehenden (ebenen) Kurven werden unter der Bezeichnung Kegelschnitte zusammengefasst. Zu ihnen gehören Kreis, Ellipse, Hyperbel und Parabel. Sie lassen sich durch algebraische Gleichungen 2. Grades vom allgemeinen Typ A x2 þ B y2 þ C x þ D y þ E ¼ 0 ðA 2 þ B 2 6¼ 0Þ ðIII-90Þ beschreiben, wobei die Symmetrieachsen der Kegelschnitte parallel zu den Koordinatenachsen verlaufen. ber die Art und Lage des Kegelschnittes entscheiden ausschließlich die konstanten Koeffizienten A, B, C, D und E in der Gleichung (III-90). Im Einzelnen gilt dabei (sog. Entartungsfälle eingeschlossen): Kriterium zur Feststellung der Art eines Kegelschnittes Kegelschnitte (Kreis, Ellipse, Hyperbel und Parabel) mit achsenparallelen Symmetrieachsen lassen sich in einem kartesischen x, y-Koordinatensystem durch algebraische Gleichungen 2. Grades vom Typ A x2 þ B y2 þ C x þ D y þ E ¼ 0 ðA 2 þ B 2 6¼ 0Þ ðIII-91Þ beschreiben, wobei die konstanten Koeffizienten dieser Gleichung wie folgt über die Art eines Kegelschnittes entscheiden: Kreis: A ¼ B Ellipse: A B > 0, Hyperbel: AB < 0 Parabel: A ¼ 0, A 6¼ B B 6¼ 0 oder B ¼ 0, A 6¼ 0 Anmerkungen (1) Bei gleichem Vorzeichen der Koeffizienten A und B handelt es sich also um eine Ellipse (im Sonderfall A ¼ B um einen Kreis), bei unterschiedlichem Vorzeichen dagegen um eine Hyperbel. Eine Parabel liegt immer dann vor, wenn einer der beiden Koeffizienten verschwindet (nur ein quadratisches Glied). (2) Es können sog. Entartungsfälle auftreten, wie das folgende einfache Beispiel zeigt. Für die algebraische Gleichung x 2 þ y 2 þ 1 ¼ 0 gilt A ¼ B ¼ 1. Wir vermuten daher, dass es sich hier um einen Kreis handelt (andere Kegelschnitte scheiden jedenfalls aus). Eine geringfügige Umstellung der Gleichung auf die Form x 2 þ y 2 ¼ 1 zeigt jedoch, dass diese einen Widerspruch enthält. Denn die 8 Kegelschnitte 231 Summe zweier Quadrate (linke Seite) kann niemals negativ sein (rechte Seite). Daher gibt es keine Punkte ðx; yÞ, die diese Gleichung erfüllen. Die oben angegebenen Bedingungen sind zwar notwendig, nicht aber hinreichend. In den folgenden Abschnitten geben wir zunächst einen kurzen berblick über die Gleichungen der einzelnen Kegelschnitte (Mittelpunktsgleichung bzw. Scheitelgleichung, Hauptform, Funktionsgleichungen). Dann zeigen wir anhand von konkreten Beispielen, wie man Art und Lage eines Kegelschnittes bestimmt. Zusätzliche Informationen über die Kegelschnitte findet der Leser in der Mathematischen Formelsammlung für Ingenieure und Naturwissenschaftler. 8.2 Gleichungen eines Kreises Der Kreis ist definitionsgemäß der geometrische Ort aller Punkte P einer Ebene, die von einem festen Punkt, dem Kreismittelpunkt M, den gleichen Abstand r (Radius genannt) besitzen (Bild III-89): MP ¼ const: ¼ r y Bezeichnungen (siehe Bild III-89): M: Mittelpunkt r: Radius Bild III-89 Zur geometrischen Definition eines Kreises P r M x Gleichungen eines Kreises Mittelpunktsgleichung (Bild III-90): x2 þ y2 ¼ r2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi y ¼ r2 x2 M ¼ ð0; 0Þ ðIII-92Þ ð r x rÞ ðIII-93Þ (Oberer und unterer Halbkreis) Hauptform der Kreisgleichung (verschobener Kreis; Bild III-91): ðx x 0 Þ 2 þ ðy y 0 Þ 2 ¼ r 2 y ¼ y0 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r 2 ðx x 0 Þ 2 (Oberer und unterer Halbkreis) M ¼ ðx 0 ; y 0 Þ ðIII-94Þ ðx 0 r x x 0 þ rÞ ðIII-95Þ 232 III Funktionen und Kurven Anmerkungen (1) Der Mittelpunktskreis wird auch als Ursprungskreis bezeichnet. (2) Jede durch den Mittelpunkt M gehende Gerade (Durchmesser) ist zugleich auch Symmetrieachse. (3) Der verschobene Kreis lässt sich stets durch eine Koordinatentransformation (Parallelverschiebung des Koordinatensystems) auf den Mittelpunktskreis zurückführen. Als neuen Koordinatenursprung wählt man dabei den Kreismittelpunkt M. In Bild III-91 sind die neuen Koordinatenachsen durch Strichelung angedeutet. y y P P M r y0 r M x x0 Bild III-90 Mittelpunktskreis x Bild III-91 Zur Hauptform der Kreisgleichung (verschobener Kreis) 8.3 Gleichungen einer Ellipse Die Ellipse ist definitionsgemäß die Menge aller Punkte P einer Ebene, für die die Summe der Entfernungen von zwei festen Punkten, den sog. Brennpunkten F 1 und F 2 , konstant ist (Bild III-92): F 1 P þ F 2 P ¼ const: ¼ 2 a y Bezeichnungen (siehe Bild III-92): M: P Mittelpunkt b F 1 , F 2 : Brennpunkte a > 0: Große Halbachse b > 0: Kleine Halbachse e > 0: Brennweite M F2 a e F1 Bild III-92 Zur geometrischen Definition einer Ellipse x 8 Kegelschnitte 233 Zwischen den Halbachsen a und b und der Brennweite e besteht die Beziehung a2 ¼ b2 þ e2 ðIII-96Þ Gleichungen einer Ellipse Mittelpunktsgleichung (Bild III-93): x2 y2 þ ¼ 1 oder a2 b2 b pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi a2 x2 y ¼ a b2 x2 þ a2 y2 ¼ a2 b2 M ¼ ð0; 0Þ ð a x aÞ ðIII-97Þ ðIII-98Þ (Obere und untere Halbellipse) Hauptform der Ellipsengleichung (verschobene Ellipse; Bild III-94): ðx x 0 Þ 2 ðy y 0 Þ 2 þ ¼ 1 M ¼ ðx 0 ; y 0 Þ a2 b2 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi b y ¼ y0 a 2 ðx x 0 Þ 2 ðx 0 a x x 0 þ aÞ a ðIII-99Þ ðIII-100Þ (Obere und untere Halbellipse) y y b M b a x y0 M a x0 Bild III-93 Mittelpunktsellipse x Bild III-94 Zur Hauptform der Ellipsengleichung (verschobene Ellipse) 234 III Funktionen und Kurven Anmerkungen (1) Die Mittelpunktsellipse wird auch als Ursprungsellipse bezeichnet. (2) Die durch den Mittelpunkt M gehenden Parallelen zu den Koordinatenachsen sind zugleich auch die (einzigen) Symmetrieachsen. (3) Die verschobene Ellipse lässt sich stets durch eine Koordinatentransformation (Parallelverschiebung des Koordinatensystems) auf die Mittelpunktsellipse zurückführen. Man wählt dabei den Ellipsenmittelpunkt M als neuen Koordinatenursprung. In Bild III-94 sind die neuen Koordinatenachsen durch Strichelung angedeutet. (4) Für den Sonderfall a ¼ b erhält man einen Kreis mit dem Radius r ¼ a. (5) Eine Ellipse lässt sich aus den vier Scheitelpunkten (Schnittpunkte mit den beiden Symmetrieachsen) leicht skizzieren. 8.4. Gleichungen einer Hyperbel Die Hyperbel ist die Menge aller Punkte P einer Ebene, für die die Differenz der Entfernungen von zwei festen Punkten, den Brennpunkten F 1 und F 2 , konstant ist (Bild III-95): j F 1 P F 2 P j ¼ const: ¼ 2 a y P b Bild III-95 Zur geometrischen Definition einer Hyperbel M F2 S2 e S1 F1 x a Bezeichnungen (siehe Bild III-95): M: Mittelpunkt S 1, S 2 : Scheitelpunkte a > 0: Große oder reelle Halbachse b > 0: Kleine oder imaginäre Halbachse e > 0: Brennweite |fflfflfflfflffl{zfflfflfflfflffl} F 1 , F 2 : Brennpunkte e2 ¼ a2 þ b2 8 Kegelschnitte 235 Gleichungen einer Hyperbel Mittelpunktsgleichung (Bild III-96): x2 y2 2 ¼ 1 2 a b y ¼ oder b pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x2 a2 a b2 x2 a2 y2 ¼ a2 b2 M ¼ ð0; 0Þ ðj x j aÞ ðIII-101Þ ðIII-102Þ (Oberer und unterer Teil der Hyperbel) Asymptoten im Unendlichen: y ¼ b x a Hauptform der Hyperbelgleichung (verschobene Hyperbel; Bild III-97): ðx x 0 Þ 2 ðy y 0 Þ 2 ¼ 1 M ¼ ðx 0 ; y 0 Þ a2 b2 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi b y ¼ y0 ðj x x 0 j aÞ ðx x 0 Þ 2 a 2 a ðIII-103Þ ðIII-104Þ (Oberer und unterer Teil der Hyperbel) Asymptoten im Unendlichen: y ¼ y 0 b ðx x 0 Þ a y Asymptote Asymptote b Bild III-96 Mittelpunktshyperbel a F2 S2 M S1 F1 x 236 III Funktionen und Kurven y Asymptote Asymptote b y0 F2 S2 M a S1 F1 x0 x Bild III-97 Zur Hauptform der Hyperbelgleichung (verschobene Hyperbel) Anmerkungen (1) Die Mittelpunktshyperbel wird auch als Ursprungshyperbel bezeichnet. (2) Die durch den Mittelpunkt M gehenden Parallelen zu den Koordinatenachsen sind zugleich auch die (einzigen) Symmetrieachsen. (3) Die verschobene Hyperbel lässt sich stets durch eine Koordinatentransformation (Parallelverschiebung des Koordinatensystems) auf die Mittelpunktshyperbel zurückführen. Neuer Koordinatenursprung wird dabei der Hyperbelmittelpunkt M. Die neuen Koordinatenachsen sind in Bild III-97 durch Strichelung angedeutet. (4) Im Sonderfall a ¼ b stehen die beiden Asymptoten aufeinander senkrecht. Die Mittelpunktshyperbel besitzt dann die spezielle Gleichung x2 y2 2 ¼ 1 2 a a oder x2 y2 ¼ a2 ðIII-105Þ und wird als rechtwinklige oder gleichseitige Hyperbel bezeichnet. Die Gleichungen der beiden Asymptoten lauten in diesem Sonderfall: y ¼ x. (5) Weil a eine geometrische Bedeutung hat (2 a ist der Abstand der beiden Scheitelpunkte), b dagegen keine, wird a auch als „reelle“ und b als „imaginäre“ Halbachse bezeichnet. (6) Der ungefähre Verlauf einer Hyperbel lässt sich aus den beiden Scheitelpunkten und den beiden Asymptoten leicht ermitteln. Die Asymptoten sind die Flächendiagonalen des in Bild III-96 gestrichelt gezeichneten Rechtecks mit den Seitenlängen 2 a und 2 b. 8 Kegelschnitte 237 8.5. Gleichungen einer Parabel Die Parabel ist als geometrischer Ort aller Punkte P einer Ebene definiert, die von einem festen Punkt, dem Brennpunkt F, und einer festen Geraden, Leitlinie genannt, gleich weit entfernt sind (Bild III-98): F P ¼ AP y Leitlinie Bezeichnungen (siehe Bild III-98): p: Parameter (der Betrag von p ist der Abstand zwischen Brennpunkt und Leitlinie) S: Scheitelpunkt der Parabel F: Brennpunkt (Brennweite: e ¼ F S ¼ j p j = 2) P A S F x p Bild III-98 Zur geometrischen Definition einer Parabel Gleichungen einer Parabel Scheitelgleichung (Bild III-99): y2 ¼ 2 p x S ¼ ð0; 0Þ ðIII-106Þ p > 0: Parabel ist nach rechts geöffnet (Bild III-99) pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi y ¼ 2px ðx 0Þ ðIII-107Þ p < 0: Parabel ist nach links geöffnet pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi y ¼ 2px ðx 0Þ ðIII-108Þ Hauptform der Parabelgleichung (verschobene Parabel; Bild III-100): ð y y 0 Þ 2 ¼ 2 p ðx x 0 Þ S ¼ ðx 0 ; y 0 Þ ðIII-109Þ p > 0: Parabel ist nach rechts geöffnet (Bild III-100) pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi y ¼ y0 2 p ðx x 0 Þ ðx x 0 Þ ðIII-110Þ p < 0: Parabel ist nach links geöffnet pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 p ðx x 0 Þ ðx x 0 Þ y ¼ y0 ðIII-111Þ 238 III Funktionen und Kurven y y S x y0 S x x0 Bild III-99 Zur Scheitelgleichung der Parabel Bild III-101 Zur Konstruktion einer Parabel aus 5 Punkten Anmerkungen (1) Die nach oben bzw. unten geöffneten Parabeln wurden bereits im Zusammenhang mit den Polynomfunktionen in Abschnitt 5.3 ausführlich behandelt. (2) Die durch den Scheitelpunkt S gehende Parallele zur x-Achse ist zugleich auch die (einzige) Symmetrieachse. (3) Die Hauptform (bei einer verschobenen Parabel) lässt sich stets durch eine Koordinatentransformation (Parallelverschiebung des Koordinatensystems) auf die Scheitelgleichung zurückführen. Man wählt dabei den Scheitelpunkt S als neuen Koordinatenursprung. Die neuen Koordinatenachsen sind in Bild III-100 durch Strichelung angedeutet. (4) Der ungefähre Verlauf einer Parabel mit der Scheitelgleichung y 2 ¼ 2 p x lässt sich aus den folgenden fünf Parabelpunkten leicht ermitteln (Bild III-101): y P4 2p P 1 ¼ S ¼ ð0; 0Þ p P 2=3 ¼ ð p=2 ; pÞ S P 4=5 ¼ ð2 p ; 2 pÞ –p P2 p/2 2p x P3 –2p P5 Bild III-100 Zur Hauptform der Parabelgleichung (verschobene Parabel) 8 Kegelschnitte 239 8.6 Beispiele zu den Kegelschnitten Bei der Feststellung der Art und Lage eines Kegelschnittes, dessen Gleichung in der allgemeinen Form (III-90) vorliegt, gehen wir schrittweise wie folgt vor: 1. Zunächst bestimmen wir anhand des in Abschnitt 8.1 beschriebenen Kriteriums aus den bekannten Koeffizienten der Kegelschnittgleichung die Art des vorliegenden Kegelschnittes (z. B. Kreis oder Ellipse). 2. Dann wird die Lage des Kegelschnittes ermittelt, indem man die von x bzw. y abhängigen Terme in der Kegelschnittgleichung jeweils für sich getrennt quadratisch ergänzt und die Kegelschnittgleichung schließlich auf die entsprechende Hauptform bringt, aus der sich die Lageparameter und alle weiteren benötigten Größen sofort ablesen lassen. & Beispiele Hinweis: Ohne Rechnung lassen sich bereits aus der Kegelschnittgleichung wichtige Informationen gewinnen. Ein unverschobener Kegelschnitt liegt genau dann vor, wenn die Gleichung keine linearen Glieder enthält. Bei nur einem linearen Glied ist der Kegelschnitt in der entsprechenden Koordinatenrichtung verschoben (z. B. bei einem linearen x-Glied in Richtung der x-Achse, am Vorzeichen des Koeffizienten kann man die Richtung der Verschiebung erkennen). Sind beide Glieder vorhanden, so ist der Kegelschnitt in beiden Koordinatenrichtungen verschoben. (1) Die algebraische Gleichung 2 x 2 6 x þ 2 y 2 þ 4 y ¼ 11,5 beschreibt wegen A ¼ B ¼ 2 einen Kreis. Wegen der vorhandenen linearen Glieder liegt der Kreismittelpunkt außerhalb des Koordinatenursprungs (verschobener Kreis, in der x-Richtung nach rechts, in der y-Richtung nach unten verschoben). Durch quadratische Ergänzung lässt sich dann die Kreisgleichung wie folgt auf die Hauptform bringen: 2 x 2 6 x þ 2 y 2 þ 4 y ¼ 11,5 |fflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} x-Term ðFaktor 2 ausklammernÞ y-Term 2 ðx 2 3 xÞ þ 2 ðy 2 þ 2 yÞ ¼ 11,5 ðTerme quadratisch ergänzenÞ 2 ðx 2 3 x þ 1,5 2 Þ þ 2 ðy 2 þ 2 y þ 1 2 Þ ¼ 11,5 þ 2 1,5 2 þ 2 1 2 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 2 ðx 1,5Þ ðy þ 1Þ 2 2 ðx 1,5Þ 2 þ 2 ðy þ 1Þ 2 ¼ 11,5 þ 4,5 þ 2 ¼ 18 j : 2 ðx 1,5Þ 2 þ ðy þ 1Þ 2 ¼ 9 Dies ist die Gleichung eines (verschobenen) Kreises mit dem Mittelpunkt M ¼ ð1,5; 1Þ und dem Radius r ¼ 3 (Bild III-102). 240 III Funktionen und Kurven y x 1,5 –1 M 3 (2) Bild III-102 Ein Massenpunkt bewege sich auf einer Kurve mit der Gleichung 16 x 2 þ 4 y 2 þ 76,8 x 24 y þ 64,16 ¼ 0 Es handelt sich dabei offensichtlich um eine Ellipse. Denn aus A ¼ 16 und B ¼ 4 folgt: A B ¼ 16 4 ¼ 64 > 0 Um die Lage dieser wegen der vorhandenen linearen Glieder verschobenen Ellipse zu bestimmen, ordnen wir zunächst die Glieder wie folgt: 16 x 2 þ 76,8 x þ 4 y 2 24 y ¼ 64,16 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflffl} x-Term y-Term Durch quadratische Ergänzung folgt dann weiter (vorher den Faktor 16 bzw. 4 ausklammern): 16 ðx 2 þ 4,8 xÞ þ 4 ðy 2 6 yÞ ¼ 64,16 16 ðx 2 þ 4,8 x þ 2,4 2 Þ þ 4 ðy 2 6 y þ 3 2 Þ ¼ 64,16 þ 16 2,4 2 þ 4 3 2 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 2 ðx þ 2,4Þ ðy 3Þ 2 16 ðx þ 2,4Þ 2 þ 4 ðy 3Þ 2 ¼ 64,16 þ 92,16 þ 36 ¼ 64 j : 64 16 ðx þ 2,4Þ 2 4 ðy 3Þ 2 þ ¼ 1 64 64 ) ðx þ 2,4Þ 2 ðy 3Þ 2 þ ¼ 1 4 16 Es handelt sich demnach um eine achsenparallel verschobene Ellipse mit den folgenden Eigenschaften (Bild III-103): pffiffiffi pffiffiffiffiffi M ¼ ð 2,4; 3Þ , Halbachsen : a ¼ 4 ¼ 2 , b ¼ 16 ¼ 4 8 Kegelschnitte 241 y M 3 1 Bild III-103 1 – 2,4 (3) x Die Kegelschnittgleichung 4 x 2 9 y 2 þ 16 x þ 72 y ¼ 164 beschreibt eine Hyperbel, falls keine Entartung vorliegt. Denn es ist A ¼ 4 und B ¼ 9 und somit A B ¼ 4 ð 9Þ ¼ 36 < 0 Wegen der vorhandenen linearen Glieder handelt es sich dabei um eine verschobene Hyperbel. Wir ordnen zunächst die einzelnen Glieder und bringen anschließend die Kegelschnittgleichung durch quadratische Ergänzung auf die gewünschte Hauptform (Gleichung (III-103)): 4 x 2 þ 16 x 9 y 2 þ 72 y ¼ 164 |fflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflffl} x-Term ðFaktor 4 bzw. 9 ausklammernÞ y-Term 4 ðx 2 þ 4 xÞ 9 ðy 2 8 yÞ ¼ 164 ðTerme quadratisch ergänzenÞ 4 ðx 2 þ 4 x þ 2 2 Þ 9 ðy 2 8 y þ 4 2 Þ ¼ 164 þ 4 2 2 9 4 2 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} ðx þ 2Þ 2 ðy 4Þ 2 4 ðx þ 2Þ 2 9 ðy 4Þ 2 ¼ 164 þ 16 144 ¼ 36 j : 36 4 ðx þ 2Þ 2 9 ðy 4Þ 2 ¼ 1 36 36 ) ðx þ 2Þ 2 ðy 4Þ 2 ¼ 1 9 4 Der Mittelpunkt der Hyperbel fällt in den Punkt M ¼ ð 2; 4Þ, die Werte der pffiffiffi pffiffiffi 9 ¼ 3 und b ¼ 4 ¼ 2 (Bild III-104). beiden Halbachsen betragen a ¼ 242 III Funktionen und Kurven y Asymptote Asymptote 4 S2 M S1 2 Bild III-104 –2 (4) 2 x Durch die Gleichung y 2 þ 2 x þ 4 y þ 10 ¼ 0 wird eine Parabel beschrieben, denn es ist A ¼ 0 und B ¼ 1 6¼ 0. Der Scheitelpunkt dieser Parabel liegt wegen der vorhandenen linearen Glieder außerhalb des Koordinatenursprungs (verschobene Parabel). Wir bringen jetzt die Parabelgleichung durch quadratische Ergänzung des y-Terms auf die gewünschte Hauptform (Gleichung (III-109)): y 2 þ 4 y ¼ 2 x 10 |fflfflfflfflffl{zfflfflfflfflffl} y-Term y 2 þ 4 y þ 2 2 ¼ 2 x 10 þ 2 2 ¼ 2 x 6 ¼ 2 ðx þ 3Þ |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} ðy þ 2Þ 2 ðy þ 2Þ 2 ¼ 2 ðx þ 3Þ Der Parameter p besitzt den Wert p ¼ 1, die verschobene Parabel ist demnach nach links geöffnet. Ihr Scheitelpunkt liegt im Punkt S ¼ ð 3; 2Þ. Bild III-105 zeigt den Verlauf dieser Parabel. y 1 –8 –6 –3 –1 S x –2 Bild III-105 –4 & 9 Trigonometrische Funktionen 243 9 Trigonometrische Funktionen 9.1 Grundbegriffe Trigonometrische Funktionen (auch Winkel- oder Kreisfunktionen genannt) sind periodische Funktionen und daher zur Beschreibung und Darstellung periodischer Bewegungsabläufe besonders geeignet. Als Beispiele hierfür führen wir an: Mechanische und elektromagnetische Schwingungen (z. B. Federpendel, elektromagnetischer Schwingkreis) Biegeschwingungen, Torsionsschwingungen Gekoppelte mechanische oder elektromagnetische Schwingungen Ausbreitung von Wellen (Schallwellen, elektromagnetische Wellen) Definition der trigonometrischen Funktionen im rechtwinkligen Dreieck c a a b a: Gegenkathete b: Ankathete c: Hypotenuse |ffl{zffl} Die vier trigonometrischen Funktionen Sinus, Kosinus, Tangens und Kotangens sind zunächst nur für Winkel zwischen 0 und 90 als gewisse Seitenverhältnisse in einem rechtwinkligen Dreieck definiert (Bild III-106): bezüglich des Winkels a Bild III-106 sin a ¼ Gegenkathete a ¼ Hypotenuse c ðIII-112Þ cos a ¼ Ankathete b ¼ Hypotenuse c ðIII-113Þ tan a ¼ Gegenkathete a a=c sin a ¼ ¼ ¼ Ankathete b b=c cos a ðIII-114Þ cot a ¼ Ankathete b b=c cos a 1 ¼ ¼ ¼ ¼ Gegenkathete a a=c sin a tan a ðIII-115Þ 244 III Funktionen und Kurven Winkelmaße (Grad- und Bogenmaß) Winkel werden im Grad- oder Bogenmaß gemessen. Als Gradmaß verwenden wir das sog. Altgrad, d. h. eine Unterteilung des Kreises in 360 Grade. Das Bogenmaß definieren wir wie folgt: Definition: Unter dem Bogenmaß x eines Winkel a (im Gradmaß) verstehen wir die Maßzahl der Länge des Bogens, der dem Winkel a im Einheitskreis (Radius r ¼ 1) gegenüberliegt (Bild III-107). v v Bogenmaß x Bogenlänge b 1 r a a u u Bild III-107 Bild III-108 Anmerkungen (1) Das Bogenmaß x lässt sich auch etwas allgemeiner definieren. Ist b die Länge des Bogens, der in einem Kreis vom Radius r dem Winkel a gegenüber liegt, so gilt (Bild III-108): x ¼ Bogenlänge b ¼ Radius r ðIII-116Þ Das Bogenmaß ist demnach eine dimensionslose Größe, die „Einheit“ Radiant (rad) wird meist weggelassen. Bei einem vollen Umlauf wird der Winkel 2 p überstrichen (entspricht dem Umfang des Einheitskreises). (2) In der Vermessungstechnik erfolgt die Winkelangabe in Gon oder Neugrad (Unterteilung des Kreises bzw. Vollwinkels in 400 gon). Zwischen dem Bogenmaß x und dem Gradmaß a besteht die lineare Beziehung x 2p p ¼ ¼ a 360 180 ðIII-117Þ Sie ermöglicht eine Umrechnung zwischen den beiden Winkelmaßen. Für die Einheiten 1 rad bzw. 1 gilt: 1 rad 57,2958 ; 1 0,017 453 9 Trigonometrische Funktionen & 245 Beispiele (1) (2) p a 180 Umrechnung vom Gradmaß (a) ins Bogenmaß (x): x ¼ a 30 45 90 127,5 180 225 310,5 x p=6 p=4 p=2 2,2253 p 5 p 4 5,4192 Umrechnung vom Bogenmaß (x) ins Gradmaß (a): a ¼ 180 x p x 0,43 0,98 1,61 2,08 p 4,12 a 26,64 56,15 92,25 119,18 180 236,06 & Drehsinn eines Winkels Beim Abtragen der Winkel im Einheitskreis wird der folgende Drehsinn zugrunde gelegt: Im Gegenuhrzeigersinn überstrichene Winkel werden positiv (positiver Drehsinn), im Uhrzeigersinn überstrichene Winkel negativ gezählt (negativer Drehsinn) (Bild III-109). v P 1 x Bild III-109 Zur Festlegung des Drehsinns eines Winkels a –a u –x P′ Darstellung der Sinusfunktion im Einheitskreis Wir sind nun in der Lage, die Sinusfunktion für beliebige positive und negative Winkel zu definieren. Ist P der zum Winkel a gehörende Punkt auf dem Einheitskreis (Bild III-110), so gilt per Definition (III-112) für den Sinus von a die Beziehung sin a ¼ Gegenkathete Ordinate von P ¼ ¼ Ordinate von P Hypotenuse 1 ðIII-118Þ 246 III Funktionen und Kurven Der Sinus eines zwischen 0 und 90 gelegenen Winkels stellt sich somit im Einheitskreis als der Ordinatenwert des Punktes P dar. Wir verallgemeinern diesen Sachverhalt für beliebige (positive oder negative) Winkel und gelangen damit zu der folgenden allgemeingültigen Definition der Sinusfunktion: Definition: Unter dem Sinus eines beliebigen Winkels a versteht man den Ordinatenwert des zu a gehörenden Punktes P auf dem Einheitskreis (Bild III-110). v 1 a sin a P cos a Bild III-110 Darstellung von Sinus und Kosinus im Einheitskreis u Bei einem vollen Umlauf auf dem Einheitskreis (im positiven Drehsinn) durchläuft der Winkel a alle Werte zwischen 0 und 360 und die Sinusfunktion sin a dabei alle zwischen 1 und þ 1 gelegenen Werte. Bei nochmaligem Umlauf wiederholen sich diese Funktionswerte: Die Sinusfunktion ist daher eine periodische Funktion mit der ( primitiven) Periode p ¼ 360 ( bzw. p ¼ 2 p im Bogenmaß): sin ða þ 360 Þ ¼ sin a ðIII-119Þ Diese Aussage gilt unverändert auch bei einem mehrmaligen Umlauf im positiven oder negativen Drehsinn. Bei n Umläufen gilt also: sin ða n 360 Þ ¼ sin a ðn 2 N*Þ ðIII-120Þ Wird der Einheitskreis im negativen Drehsinn (Uhrzeigersinn) durchlaufen, so tritt bei den Funktionswerten ein Vorzeichenwechsel ein, d. h. sin a ist eine ungerade Funktion: sin ð aÞ ¼ sin a ðIII-121Þ Diese wichtige Symmetrieeigenschaft lässt sich unmittelbar aus Bild III-111 entnehmen. 9 Trigonometrische Funktionen 247 v P sin a 1 a Bild III-111 –a sin (– a ) u P′ Darstellung der Kosinusfunktion im Einheitskreis Den Kosinus eines Winkels a findet man als Abszissenwert des Punktes P auf dem Einheitskreis wieder (Bild III-110). Dies folgt unmittelbar aus der Definitionsgleichung (III-113) des Kosinus: cos a ¼ Ankathete Abszisse von P ¼ ¼ Abszisse von P Hypotenuse 1 ðIII-122Þ Analoge berlegungen wie beim Sinus führen schließlich zu der für beliebige Winkel a definierten Kosinusfunktion cos a. Sie ist ebenfalls periodisch mit der ( primitiven) Periode p ¼ 360 ( bzw. p ¼ 2 p im Bogenmaß): cos ða þ 360 Þ ¼ cos a ðIII-123Þ Entsprechend gilt bei n Umläufen (im positiven oder negativen Drehsinn): cos ða n 360 Þ ¼ cos a ðn 2 N*Þ ðIII-124) Im Gegensatz zur Sinusfunktion ist die Kosinusfunktion jedoch eine gerade Funktion: cos ð aÞ ¼ cos a ðIII-125Þ Denn die zu den betragsmäßig gleichen Winkeln a und a gehörenden Punkte P und P 0 auf dem Einheitskreis in Bild III-111 liegen spiegelsymmetrisch zur u-Achse und besitzen daher die gleiche Abszisse. Anmerkung Auch die beiden übrigen trigonometrischen Funktionen Tangens und Kotangens lassen sich im Einheitskreis durch Strecken bildlich darstellen. Wir verzichten jedoch auf diese Darstellung und definieren diese Funktionen in Abschnitt 9.3 mit Hilfe der dann bereits bekannten Sinus- und Kosinusfunktion. 248 III Funktionen und Kurven 9.2 Sinus- und Kosinusfunktion In den Anwendungen treten Sinus- und Kosinusfunktion fast ausschließlich als Funktionen eines im Bogenmaß x dargestellten Winkels auf (z. B. im Zusammenhang mit mechanischen oder elektromagnetischen Schwingungen). Wir verwenden daher für diese Funktionen die Schreibweisen y ¼ sin x und y ¼ cos x. Die Eigenschaften beider Funktionen, die überall definiert und stetig sind, lassen sich unmittelbar aus dem Schaubild Bild III-112 ablesen und sind in der folgenden Tabelle 1 im Einzelnen aufgeführt. Tabelle 1: Eigenschaften der Sinus- und Kosinusfunktion (k 2 Z; Bild III-112) y ¼ sin x y ¼ cos x Definitionsbereich 1 < x < 1 1 < x < 1 Wertebereich 1 y 1 1 y 1 Periode (primitive) 2p 2p Symmetrie ungerade gerade Nullstellen xk ¼ k p xk ¼ Relative Maxima xk ¼ p þ k 2p 2 xk ¼ k 2 p Relative Minima xk ¼ 3 p þ k 2p 2 xk ¼ p þ k 2 p p þk p 2 Hinweis: Wegen der Periodizität der Funktionen genügt es, sich die Eigenschaften und den Kurvenverlauf im Periodenintervall 0 x 2 p gut einzuprägen. y y = cos x 1 –p – p y = sin x 0 2 p 2 p 3 p 2 –1 Bild III-112 Funktionsgraphen der Sinus- und Kosinusfunktion 2p 5 p 2 3p x 9 Trigonometrische Funktionen 249 9.3 Tangens- und Kotangensfunktion Die Tangens- und Kotangensfunktion definieren wir in Verallgemeinerung der Beziehungen (III-114) bzw. (III-115) durch die folgenden Gleichungen: tan x ¼ sin x cos x cot x ¼ und cos x 1 ¼ sin x tan x ðIII-126Þ Diese Funktionen sind überall definiert und stetig mit Ausnahme der Nennernullstellen. Ihre in Tabelle 2 zusammengestellten Eigenschaften lassen sich daher aus den Eigenschaften der Sinus- und Kosinusfunktion herleiten. In den Bildern III-113 und III-114 sind die Funktionsgraphen von y ¼ tan x und y ¼ cot x skizziert. y 1 – –p 3 p 2 – p p 0 2 p 2 3 p 2 2p 5 p 2 x Bild III-113 Funktionsgraph der Tangensfunktion y 1 –2p – 3 p 2 –p – p 2 0 p p 2 Bild III-114 Funktionsgraph der Kotangensfunktion 3 p 2 2p x 250 III Funktionen und Kurven Tabelle 2: Eigenschaften der Tangens- und Kotangensfunktion ðk 2 Z; Bild III-113 bzw. Bild III-114Þ Definitionsbereich y ¼ tan x y ¼ cot x x 2 R mit Ausnahme der Stellen x 2 R mit Ausnahme der Stellen x k ¼ k p xk ¼ p þk p 2 Wertebereich 1 < y < 1 1 < y < 1 Periode ( primitive) p p Symmetrie ungerade ungerade Nullstellen xk ¼ k p xk ¼ Pole xk ¼ Senkrechte Asymptoten p þk p 2 p x ¼ þk p 2 p þk p 2 xk ¼ k p x ¼ k p Hinweis: Prägen Sie sich die Eigenschaften und den Kurvenverlauf in einem Periodenintervall gut ein (Periodenintervall des Tangens: p=2 < x < p=2; Periodenintervall des Kotangens: 0 < x < p). 9.4 Wichtige Beziehungen zwischen den trigonometrischen Funktionen Zwischen den vier trigonometrischen Funktionen bestehen zahlreiche Beziehungen, von denen wir an dieser Stelle nur einige besonders häufig auftretende anführen können 9). Aus Bild III-112 folgt unmittelbar, dass die Kosinuskurve als eine um p=2 nach links verschobene Sinuskurve aufgefasst werden kann. Daher ist p cos x ¼ sin x þ 2 ðIII-127Þ Umgekehrt geht die Sinuskurve aus der Kosinuskurve durch Verschiebung um p=2 nach rechts hervor. Dies entspricht der Beziehung p sin x ¼ cos x 2 9Þ ðIII-128Þ Alle wesentlichen trigonometrischen Formeln findet der Leser in der Mathematischen Formelsammlung des Autors (Kap. III, Abschnitt 7). 9 Trigonometrische Funktionen 251 Zwischen der Sinus- und Kosinusfunktion besteht ferner die folgende wichtige Relation, die man durch Anwendung des Satzes von Pythagoras auf das in Bild III-115 eingezeichnete rechtwinklige Dreieck erhält: „Trigonometrischer Pythagoras“ im Bogenmaß (Bild III-115) ðsin xÞ 2 þ ðcos xÞ 2 ¼ sin 2 x þ cos 2 x ¼ 1 ðIII-129Þ v sin a 1 a cos a u Bild III-115 Zur Herleitung des „trigonometrischen Pythagoras“ sin 2 a þ cos 2 a ¼ 1 bzw. sin 2 x þ cos 2 x ¼ 1 (im Bogenmaß) Weitere häufig benutzte Zusammenhänge liefern die sog. Additionstheoreme für Sinus, Kosinus und Tangens (x 1 , x 2 sind Winkel): Additionstheoreme für die Sinus-, Kosinus- und Tangensfunktion sin ðx 1 x 2 Þ ¼ sin x 1 cos x 2 cos x 1 sin x 2 ðIII-130Þ cos ðx 1 x 2 Þ ¼ cos x 1 cos x 2 sin x 1 sin x 2 ðIII-131Þ tan ðx 1 x 2 Þ ¼ tan x 1 tan x 2 1 tan x 1 tan x 2 ðIII-132Þ Aus ihnen lassen sich weitere wichtige Beziehungen herleiten. Setzt man in den Additionstheoremen von Sinus und Kosinus x 1 ¼ x 2 ¼ x und nimmt jeweils das obere Vorzeichen, so erhält man folgende Formeln: sin ð2 xÞ ¼ 2 sin x cos x ðIII-133Þ cos ð2 xÞ ¼ cos 2 x sin 2 x ðIII-134Þ Aus diesen wiederum ergeben sich zusammen mit dem „trigonometrischen Pythagoras“ (III-129) die Beziehungen sin 2 x ¼ 1 ½ 1 cos ð2 xÞ 2 und cos 2 x ¼ 1 ½ 1 þ cos ð2 xÞ 2 ðIII-135Þ 252 III Funktionen und Kurven 9.5 Anwendungen in der Schwingungslehre 9.5.1 Harmonische Schwingungen (Sinusschwingungen) 9.5.1.1 Die allgemeine Sinus- und Kosinusfunktion Bei der Beschreibung von (mechanischen oder elektromagnetischen) Schwingungsvorgängen benötigt man Sinus- und Kosinusfunktionen in der allgemeinsten Form y ¼ a sin ðb x þ cÞ bzw: y ¼ a cos ðb x þ cÞ ðIII-136Þ ða > 0, b > 0Þ. Die Bedeutung der drei Konstanten (Kurvenparameter) a, b und c und die von ihnen verursachten Veränderungen gegenüber der Ausgangsfunktion y ¼ sin x bzw. y ¼ cos x werden im Folgenden ausführlich beschrieben, wobei wir uns zunächst auf die Sinusfunktion beschränken werden. Wir gehen also von der elementaren Sinusfunktion y ¼ sin x aus und untersuchen, welchen Einfluss die drei Kurvenparameter haben, wenn diese nacheinander einzeln eingeführt werden. Bedeutung der Konstanten a ð y ¼ sin x I y ¼ a sin xÞ Der Faktor a in der Funktion y ¼ a sin x bewirkt eine Veränderung der Funktionswerte gegenüber der Ausgangsfunktion y ¼ sin x. Der neue Wertebereich lautet: a y a. Die Sinuskurve wird also in der y-Richtung gedehnt (falls a > 1) oder gestaucht (falls a < 1). & Beispiel y ¼ 2 sin x : Die Ordinatenwerte haben sich verdoppelt. Wertebereich: 2 y 2 y (siehe Bild III-116) y = 2· sin x 2 y = sin x 1 –p 0 –1 p 2p 3p x –2 Bild III-116 Funktionsgraphen von y ¼ sin x und y ¼ 2 sin x & 9 Trigonometrische Funktionen 253 Bedeutung der Konstanten b ð y ¼ sin x I y ¼ sin ðb xÞÞ Der Faktor b im Argument der Sinusfunktion y ¼ sin ðb xÞ verändert gegenüber der Ausgangsfunktion y ¼ sin x die Periode: y ¼ sin ðb xÞ : Periode p ¼ 2p b ðvorher : p ¼ 2 pÞ Denn es gilt: 2p ¼ sin ðb x þ 2 pÞ ¼ sin ðb xÞ sin ½ b ðx þ pÞ ¼ sin b x þ b ðIII-137Þ Dabei bewirkt b > 1 eine Verkleinerung, b < 1 dagegen eine Vergrößerung der Periode. Die Sinuskurve wird also in der x-Richtung gestaucht oder gedehnt. & Beispiele (1) y ¼ sin ð2 xÞ: Periode p ¼ 2 p=2 ¼ p (siehe Bild III-117) Die Periode der Sinuskurve wurde halbiert, die Kurve somit in der x-Richtung gestaucht. y y = sin x y = sin (2 x ) 1 –p – p p 0 2 p 2 3 p 2 2p 3p 5 p 2 x –1 Bild III-117 Funktionsgraphen von y ¼ sin x und y ¼ sin ð2 xÞ (2) y ¼ sin ðp xÞ : p ¼ 2 p=p ¼ 2 y ¼ sin ð4 xÞ : p ¼ 2 p=4 ¼ p=2 y ¼ sin ð0,2 xÞ : p ¼ 2 p=0,2 ¼ 10 p & Bedeutung der Konstanten c ð y ¼ sin x I y ¼ sin ðx þ cÞÞ Die Konstante c in der Sinusfunktion y ¼ sin ðx þ cÞ bewirkt eine Verschiebung der Sinuskurve y ¼ sin x längs der x-Achse. Während die erste nicht-negative Nullstelle von y ¼ sin x bekanntlich an der Stelle x 0 ¼ 0 liegt, befindet sich die entsprechende Nullstelle von y ¼ sin ðx þ cÞ an der Stelle x 0 ¼ c (man setzt das Argument der Funktion gleich Null): y ¼ sin ðx þ c Þ ¼ sin 0 ¼ 0 |fflffl{zfflffl} 0 ) x þc ¼ 0 ) x0 ¼ c ðIII-138Þ 254 III Funktionen und Kurven Die Kurve y ¼ sin ðx þ cÞ „beginnt“ also nicht an der Stelle x 0 ¼ 0 wie die elementare Sinusfunktion y ¼ sin x, sondern an der Stelle x 0 ¼ c. Der Kurvenparameter c bewirkt also eine Verschiebung der Kurve längs der x-Achse um die Strecke j c j. Für c > 0 ist die Kurve nach links, für c < 0 dagegen nach rechts verschoben. & Beispiele (1) y ¼ sin ðx þ pÞ: Diese Funktion ist gegenüber der Sinusfunktion y ¼ sin x um p Einheiten nach links verschoben (die Kurve „beginnt“ an der Stelle x 0 ¼ p, vgl. hierzu Bild III-118). Sie lässt sich auch durch die Funktionsgleichung y ¼ sin x beschreiben (an der x-Achse gespiegelte Sinusfunktion). Dies folgt auch unmittelbar aus dem Additionstheorem der Sinusfunktion (Gleichung III-130 mit x 1 ¼ x und x 2 ¼ p): y ¼ sin ðx þ pÞ ¼ sin x cos p þ cos x sin p ¼ sin x |fflffl{zfflffl} |ffl{zffl} 1 0 y y = sin x y = sin (x + p ) 1 –p p 0 2p 3p x –1 Bild III-118 Funktionsgraphen von y ¼ sin x und y ¼ sin ðx þ pÞ (2) y ¼ sin ðx 1Þ: Diese Funktion ist gegenüber der elementaren Sinusfunktion y ¼ sin x um eine Einheit nach rechts verschoben, die „1. Nullstelle“ liegt also bei x 0 ¼ 1 (Bild III-119). y y = sin x y = sin (x – 1) 1 –p 0 1 p 2p 3p x –1 Bild III-119 Funktionsgraphen von y ¼ sin x und y ¼ sin ðx 1Þ & 9 Trigonometrische Funktionen 255 Eigenschaften der allgemeinen Sinusfunktion y ¼ a sin ðb x þ cÞ Die drei Kurvenparameter a > 0, b > 0 und c in der allgemeinen Sinusfunktion y ¼ a sin ðb x þ cÞ bewirken insgesamt gegenüber der elementaren Sinusfunktion y ¼ sin x die folgenden Veränderungen in Periode, „1. Nullstelle“ und Wertebereich: Eigenschaften der allgemeinen Sinusfunktion y ¼ a sin ðb x þ cÞ (Bild III-120) Periode: p ¼ 2 p=b (vorher: p ¼ 2 p) „1. Nullstelle“: x 0 ¼ c=b (vorher: x 0 ¼ 0) Wertebereich: a y a (vorher: 1 y 1) y p = 2 p/ b a x0 x x0 + p y = a · sin (bx + c) –a Bild III-120 Allgemeine Sinusfunktion y ¼ a sin ðb x þ cÞ (gezeichnet für c > 0) Hinweis für eine Skizze (siehe Bild III-121) Sie wählen x 0 als Anfangspunkt eines Periodenintervalls der Länge p ¼ 2 p=b (x 0 eintragen, dann die Strecke p nach rechts abtragen, der Endpunkt des Periodenintervalls liegt dann bei x 0 þ p). ber diesem Intervall liegt eine volle Sinuskurve (Nullstellen in den beiden Randpunkten und in der Mitte, dazwischen jeweils genau in der Mitte liegen Maximum bzw. Minimum). Am Schluss müssen Sie noch den Maßstab auf der y-Achse ändern ð a y aÞ. y a Bild III-121 x0 –a x0 + p x 256 & III Funktionen und Kurven Beispiel y ¼ 2 sin ð0,5 x þ 0,5 pÞ (Bild III-122) Periode: p ¼ 2 p=0,5 ¼ 4 p „1. Nullstelle“: 0,5 x þ 0,5 p ¼ 0 Wertebereich: 2 y 2 ) 0,5 x ¼ 0,5 p ) x0 ¼ p y y = 2 · sin (0,5 x + 0,5 p ) 2 y = sin x 1 –p 0 p 2p 3p 4p 5p 6p x –1 –2 Bild III-122 Verlauf der Funktionen y ¼ sin x und y ¼ 2 sin ð0,5 x þ 0,5 pÞ & Eigenschaften der allgemeinen Kosinusfunktion y ¼ a cos ðb x þ cÞ Analoge berlegungen führen bei einer Kosinusfunktion vom allgemeinen Typ y ¼ a cos ðb x þ cÞ zu dem folgenden Ergebnis: Eigenschaften der allgemeinen Kosinusfunktion y ¼ a cos ðb x þ cÞ (Bild III-123) Periode: p ¼ 2 p=b (vorher: p ¼ 2 p) „1. Maximum“: x 0 ¼ c=b (vorher: x 0 ¼ 0) Wertebereich: a y a (vorher: 1 y 1) Anmerkung Eine Skizze der Kosinuskurve erhalten Sie, wenn Sie ähnlich wie bei der Sinuskurve vorgehen (Bezugspunkt ist diesmal das 1. Maximum an der Stelle x 0 ). Alternative: Die Kosinusfunktion zunächst in eine Sinusfunktion verwandeln (der Nullphasenwinkel vergrößert sich dabei um p=2), dann die bekannte Konstruktion anwenden. 9 Trigonometrische Funktionen 257 y a y = a · cos (bx + c) x0 + p x0 –a x p = 2 p/ b Bild III-123 Allgemeine Kosinusfunktion y ¼ a cos ðb x þ cÞ (gezeichnet für c > 0) 9.5.1.2 Harmonische Schwingung eines Federpendels (Feder-Masse-Schwingers) Die Schwingung eines Federpendels (Feder-Masse-Schwingers) kann als Modellfall einer Sinusschwingung (auch harmonische Schwingung genannt) betrachtet werden (Bild III-124). Schwingungen dieser Art treten auf, wenn ein lineares Kraftgesetz vorliegt (wie beispielsweise des Hookesche Gesetz bei einer elastischen Feder). Die Auslenkung y ist dann eine periodische Funktion der Zeit t und kann in der Sinusform y ¼ A sin ðw t þ jÞ ðA > 0, w > 0Þ ðIII-139Þ dargestellt werden. Dabei bedeuten: A: Maximale Auslenkung, Amplitude genannt w: Kreisfrequenz der Schwingung j: Phase (auch Phasen- oder Nullphasenwinkel genannt) elastische Feder Gleichgewichtslage y Pendelmasse augenblickliche Lage zur Zeit t Bild III-124 Federpendel (Feder-Masse-Schwinger) 258 III Funktionen und Kurven Die Periodendauer der Funktion ist p ¼ 2 p=w und wird in diesem Zusammenhang als Schwingungsdauer T bezeichnet. Dabei besteht zwischen Kreisfrequenz w, Frequenz f und Schwingungsdauer T die folgende Beziehung: 1 f ¼ T 2p w ¼ 2pf ¼ T ðIII-140Þ Die Sinusschwingung „beginnt“ zur Zeit t 0 ¼ j= w (sog. Phasenverschiebung). Für j > 0 ist die Kurve auf der Zeitachse nach links, für j < 0 nach rechts verschoben. & Beispiel p , t 0 s: Schwingung mit der Funktionsgleichung y ¼ 5 cm sin 2 s 1 t þ 2 A ¼ 5 cm , w ¼ 2 s1 , T ¼ Phasenverschiebung: 2 s 1 t þ 2p 2p ¼ ¼ ps w 2 s1 p ¼ 0 2 ) t0 ¼ p s 4 Bild III-125 zeigt den Schwingungsverlauf für t 0 s (der gestrichelte Teil der Kurve hat keine physikalische Bedeutung, da die Schwingung erst zum Zeitpunkt t ¼ 0 s beginnt). y /cm y = 5 cm · sin 2 s –1 · t + 5 – p 0 4 p p 4 2 p 2 3 p 4 p 5 p 4 3 p 2 7 p 4 t /s –5 Bild III-125 Darstellung der Schwingung y ¼ 5 cm sin ð2 s 1 t þ p=2Þ, t 0 s & 9.5.2 Darstellung von Schwingungen im Zeigerdiagramm Darstellung einer Sinusschwingung durch einen rotierenden Zeiger Im Bereich der Schwingungslehre hat sich eine unter dem Namen Zeigerdiagramm bekannte Darstellungsform durchgesetzt, die in besonders einfacher und anschaulicher Weise Schwingungsvorgänge durch rotierende, d. h. zeitabhängige Zeiger beschreibt. Anwendung findet diese Darstellungsart beispielsweise bei der Behandlung von Wechselstromkreisen: Sinusförmige Wechselspannungen bzw. Wechselströme werden dabei durch 9 Trigonometrische Funktionen 259 rotierende Zeiger dargestellt. Auch bei der Superposition (berlagerung) von Schwingungen gleicher Frequenz bedient man sich mit großem Vorteil des Zeigerdiagramms. Eine Sinusschwingung vom allgemeinen Typ y ¼ A sin ðw t þ jÞ ðIII-141Þ mit A > 0 und w > 0 wird im Zeigerdiagramm durch einen mit der Winkelgeschwindigkeit (Kreisfrequenz) w im Gegenuhrzeigersinn um den Nullpunkt rotierenden Zeiger der Länge A beschrieben (Bild III-126). Zu Beginn der Rotation, d. h. zur Zeit t ¼ 0 befindet sich der Zeiger in der Position (1), sein Winkel gegenüber der Horizontalen beträgt j. Der Phasenwinkel j der Sinusschwingung (III-141) bestimmt somit die Anfangslage des rotierenden Zeigers. Bis zum Zeitpunkt t hat sich der Zeiger um den Winkel w t in positiver Richtung weitergedreht und nimmt dann die Lage (2) ein (Drehwinkel insgesamt: j þ w t). Dabei entspricht die Ordinate der Zeigerspitze dem augenblicklichen Funktionswert von y ¼ A sin ðw t þ jÞ. Bei einer vollen Drehung des Zeigers durchläuft dann die Ordinate sämtliche Funktionswerte der Sinusfunktion, also alle Werte aus dem Intervall A y A. Zwischen der Position des Zeigers und der Ordinate y seiner Pfeilspitze (die ja dem augenblicklichen Funktionswert der Sinusschwingung entspricht) besteht somit der folgende Zusammenhang: Lage zur Zeit t ¼ 0 (Position (1)): y ð0Þ ¼ A sin j Lage zur Zeit t > 0 (Position (2)): y ðtÞ ¼ A sin ðw t þ jÞ ( 2) v A · sin ( v t + f ) y A A vt (1) A A · sin f f f Bild III-126 Darstellung einer Sinusschwingung im Zeigerdiagramm Bild III-127 Anfangslage eines rotierenden Sinuszeigers im Zeigerdiagramm 260 III Funktionen und Kurven Wir fassen die wichtigsten Ergebnisse wie folgt zusammen: Darstellung einer Sinusschwingung durch einen rotierenden Zeiger (Bild III-126) Eine sinusförmige Schwingung vom Typ y ¼ A sin ðw t þ jÞ ðA > 0, w > 0Þ ðIII-142Þ lässt sich im Zeigerdiagramm durch einen im mathematisch positiven Drehsinn mit der Winkelgeschwindigkeit w um den Ursprung rotierenden Zeiger der Länge A darstellen (Bild III-126). Der Zeiger „startet“ dabei zur Zeit t ¼ 0 aus der durch den Phasenwinkel j eindeutig festgelegten Position heraus (Anfangslage (1) in Bild III-126). Zur Zeit t > 0 befindet er sich dann in der Position (2). Wir treffen jetzt die folgende verbindliche Vereinbarung: Eine sinusförmige Schwingung wird im Zeigerdiagramm stets durch die Anfangslage des zugehörigen (rotierenden) Zeigers symbolisch dargestellt (Bild III-127). & Beispiele Die durch die folgenden Funktionsgleichungen beschriebenen harmonischen Schwingungen (Sinusschwingungen) mit gleicher Amplitude A ¼ 4 und gleicher Kreisfrequenz w ¼ 2 sind im Zeigerdiagramm symbolisch darzustellen ðt 0Þ: p 2p y 2 ¼ 4 sin 2 t þ y 1 ¼ 4 sin ð2 tÞ y 3 ¼ 4 sin 2 t þ 4 3 p 2p y 6 ¼ 4 sin 2 t y 5 ¼ 4 sin 2 t y 4 ¼ 4 sin ð2 t þ pÞ 6 3 Die Zeiger y 2 , y 3 , y 4 , y 5 und y 6 lassen sich aus dem Zeiger y 1 ¼ 4 sin ð2 tÞ durch Drehung um die folgenden Winkel gewinnen (Bild III-128): Zeiger y2 y3 y4 Drehwinkel (Bogenmaß) p 4 2p 3 p 45 120 180 Drehwinkel (Gradmaß) y5 p 6 30 y6 2p 3 120 Die sechs Zeiger rotieren mit der Winkelgeschwindigkeit w ¼ 2 um den gemeinsamen Nullpunkt im Gegenuhrzeigersinn (Start zum Zeitpunkt t ¼ 0). 9 Trigonometrische Funktionen 261 y3 y2 Bild III-128 y4 y1 y5 y6 & Darstellung einer Kosinusschwingung durch einen rotierenden Zeiger Eine Kosinusschwingung vom allgemeinen Typ y ¼ A cos ðw t þ jÞ ðA > 0, w > 0Þ ist auch als Sinusschwingung in der Form p ¼ A sin ðw t þ j*Þ y ¼ A sin w t þ j þ 2 |fflfflffl{zfflfflffl} j* ðIII-143Þ ðIII-144Þ darstellbar und lässt sich somit durch einen mit der Winkelgeschwindigkeit w rotierenden Sinuszeiger der Länge A beschreiben, der zu Beginn der Drehung die durch die Phase j* ¼ j þ p=2 eindeutig festgelegte Position einnimmt (Bild III-129). Mit anderen Worten: Einer Kosinusschwingung mit dem Phasenwinkel j entspricht eine Sinusschwingung mit einem um p=2 vergrößerten Phasenwinkel j* ¼ j þ p=2. Eine unverschobene Kosinusschwingung y ¼ A cos ðw tÞ kann daher als eine Sinusschwingung mit dem Nullphasenwinkel p=2 aufgefasst werden. Der zugehörige Zeiger ist daher im Zeigerdiagramm nach oben abzutragen. y A f 90° Bild III-129 Darstellung einer Kosinusschwingung im Zeigerdiagramm (Anfangslage) 262 & III Funktionen und Kurven Beispiele y 1 ¼ 3 cos ð5 tÞ y 2 ¼ 3 cos ð5 t þ pÞ p y 3 ¼ 3 cos 5 t þ 3 y 4 ¼ 3 cos ð5 t 0,5Þ 7 y 5 ¼ 3 cos 5 t þ p 6 4p y 6 ¼ 3 cos 5 t 3 Alle Schwingungen sind gleichfrequent ðw ¼ 5Þ und haben die gleiche Amplitude A ¼ 3, die Spitzen der zugehörigen Zeiger liegen daher auf einem Kreis mit dem Radius r ¼ 3. Der Zeiger der unverschobenen Kosinusschwingung y 1 ist nach oben abzutragen. Die Anfangslage der übrigen 5 Zeiger erhält man, indem man den Zeiger y 1 der Reihe nach um die Winkel p, p=3, 0,5, 7 p=6 und 4 p=3 oder (im Gradmaß) um 180 , 60 , 28,6 , 210 und 240 dreht, wie in Bild III-130 dargestellt. Vom Zeitpunkt t ¼ 0 an rotieren die Zeiger um den gemeinsamen Nullpunkt mit der Winkelgeschwindigkeit w ¼ 5 (im Gegenuhrzeigersinn). y1 y4 y3 y6 y5 y2 Bild III-130 & Zeigerdiagramm für Sinus- und Kosinusschwingungen Für die symbolische Darstellung von Sinus- und Kosinusschwingungen in einem Zeigerdiagramm gelten somit die folgenden Regeln: Eine unverschobene Sinusschwingung y ¼ A sin ðw tÞ wird im Zeigerdiagramm durch einen nach rechts gerichteten Zeiger, eine unverschobene Kosinusschwingung y ¼ A cos ðw tÞ durch einen nach oben gerichteten Zeiger dargestellt (Bild III-131). Lässt man auch einen negativen „Amplitudenfaktor“ A zu, so bedeutet A < 0 eine Vergrößerung des Phasenwinkels um 180 , d. h. eine zusätzliche Drehung des Zeigers um 180 im Gegenuhrzeigersinn. Unverschobene Sinus- und Kosinusschwingungen mit einem negativen „Amplitudenfaktor“ werden demnach in der jeweiligen Gegenrichtung d. h. nach links bzw. nach unten abgetragen (Bild III-132). 9 Trigonometrische Funktionen 263 y = A · cos ( v t) A A y = A · sin ( v t) Bild III-131 Anfangslage einer unverschobenen Sinusbzw. Kosinusschwingung Bild III-132 Zeiger der unverschobenen Sinus- und Kosinusschwingungen Somit gelten allgemein die folgenden Regeln für die Zeigerdarstellung von unverschobenen Sinus- und Kosinusschwingungen: Schwingungstyp A > 0 A < 0 y ¼ A sin ðw tÞ nach rechts abtragen nach links abtragen y ¼ A cos ðw tÞ nach oben abtragen nach unten abtragen Bei phasenverschobenen Schwingungen der allgemeinen Form y ¼ A sin ðw t þ jÞ bzw. y ¼ A cos ðw t þ jÞ erfolgt noch eine zusätzliche Drehung um den Winkel j und zwar für j > 0 im Gegenuhrzeigersinn, für j < 0 dagegen im Uhrzeigersinn. & Beispiele (1) Die durch die Funktionen p y 1 ¼ 3 sin 2 t þ 6 3p y 3 ¼ 4 cos 2 t þ 4 y 5 ¼ 4 sin ð2 t þ 1Þ y 2 ¼ 2 cos ð2 t pÞ p y 4 ¼ 4 sin 2 t 12 p y 6 ¼ 3 cos 2 t þ 4 beschriebenen (gleichfrequenten) Schwingungen sind im Zeigerdiagramm darzustellen. Die Lösung der Aufgabe ist in Bild III-133 dargestellt. 264 III Funktionen und Kurven + cos y5 4 y4 y1 3 4 + sin – sin 3 2 4 Bild III-133 y2 y6 y3 – cos (2) Die harmonischen Schwingungen mit den Gleichungen p y 1 ¼ 3 cos w t 4 p y 2 ¼ 3 sin w t 6 und sind durch Sinusfunktionen vom Typ y ¼ A sin ðw t þ jÞ ðA > 0Þ darzustellen (die Kreisfrequenz w ist zahlenmäßig nicht bekannt). Lösung: Bild III-134 zeigt die Anfangslage der zugehörigen Zeiger der Länge 3. + cos y1 y2 – sin 150° 45° y0 – cos + sin Bild III-134 9 Trigonometrische Funktionen 265 Der Zeiger y 1 entsteht dabei durch Drehung des unverschobenen Sinuszeigers y 0 ¼ 3 sin ðw tÞ um den Winkel j 1 ¼ 45 ¼ b p=4 im positiven Drehsinn (Bild III-134). Daher ist p p ¼ 3 sin w t þ y 1 ¼ 3 cos w t 4 4 Analog erhält man den Zeiger y 2 durch Drehung des Zeigers y 0 um den Winkel j 2 ¼ 150 ¼ b 5 p=6 im positiven Drehsinn. Es gilt daher p 5p y 2 ¼ 3 sin w t ¼ 3 sin w t þ 6 6 Die vorgegebenen Schwingungen y 1 und y 2 können somit auch als Sinusschwingungen mit der Amplitude A ¼ 3 und dem Phasenwinkel j ¼ p=4 bzw. & j ¼ 5 p=6 aufgefasst werden. 9.5.3 Superposition (berlagerung) gleichfrequenter Schwingungen Nach dem Superpositionsprinzip der Physik entsteht durch ungestörte berlagerung zweier gleichfrequenter sinusförmiger Schwingungen vom Typ y 1 ¼ A 1 sin ðw t þ j1 Þ und y 2 ¼ A 2 sin ðw t þ j2 Þ ðIII-145Þ eine resultierende Schwingung gleicher Frequenz: y ¼ y 1 þ y 2 ¼ A sin ðw t þ jÞ ðIII-146Þ Amplitude A und Phase j der Resultierenden sind dabei eindeutig durch die Amplituden A 1 , A 2 und die Phasen j1 , j2 der Einzelschwingungen y 1 und y 2 bestimmt (alle Amplituden > 0; w > 0). Zeichnerische Lösung (Bild III-135) Im Zeigerdiagramm werden die Zeiger von y 1 und y 2 zu einem Parallelogramm zusammengesetzt, dessen Diagonale die resultierende Schwingung nach Bild III-135 darstellt. Amplitude A und Phase j lassen sich unmittelbar aus dem Diagramm ablesen. y = y1 + y2 y2 A A2 f2 f1 f A1 y1 Bild III-135 Geometrische Addition zweier gleichfrequenter Schwingungen im Zeigerdiagramm 266 III Funktionen und Kurven Berechnung von Amplitude A und Phase j (Bild III-136) Aus Bild III-136 gewinnt man durch Anwendung des Satzes von Pythagoras auf das rechtwinklige Dreieck mit den Katheten u ¼ u 1 þ u 2 und v ¼ v 1 þ v 2 und der Hypotenuse A die folgende Beziehung für die Amplitude A der resultierenden Schwingung: A 2 ¼ u 2 þ v 2 ¼ ðu 1 þ u 2 Þ 2 þ ðv 1 þ v 2 Þ 2 ¼ ¼ ðA 1 cos j1 þ A 2 cos j2 Þ 2 þ ðA 1 sin j1 þ A 2 sin j2 Þ 2 ¼ ¼ A 21 cos 2 j1 þ 2 A 1 A 2 cos j1 cos j2 þ A 22 cos 2 j2 þ A 21 sin 2 j1 þ þ 2 A 1 A 2 sin j1 sin j2 þ A 22 sin 2 j2 ¼ ¼ A 21 ðcos 2 j1 þ sin 2 j1 Þ þ A 22 ðcos 2 j2 þ sin 2 j2 Þ þ |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 1 1 þ 2 A 1 A 2 ðcos j1 cos j2 þ sin j1 sin j2 Þ ¼ |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} cos ðj1 j2 Þ ¼ cos ðj2 j1 Þ ¼ A 21 þ A 22 þ 2 A 1 A 2 cos ðj2 j1 Þ ðIII-147Þ (unter Verwendung des Additionstheorems des Kosinus). Somit ist A ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi A 21 þ A 22 þ 2 A 1 A 2 cos ðj2 j1 Þ ðIII-148Þ Die Phase j der resultierenden Schwingung berechnet man aus der Formel tan j ¼ v v1 þ v2 A 1 sin j1 þ A 2 sin j2 ¼ ¼ u u1 þ u2 A 1 cos j1 þ A 2 cos j2 ðIII-149Þ y Hilfsgrößen: u 1 ¼ A 1 cos j1 y2 u 2 ¼ A 2 cos j2 v2 A A2 v = v1 + v 2 v 2 ¼ A 2 sin j2 y1 f2 A1 f v1 f1 u1 u = u1 + u 2 v 1 ¼ A 1 sin j1 u2 Bild III-136 Zur Bestimmung der Amplitude und Phase einer resultierenden Schwingung 9 Trigonometrische Funktionen 267 Wir fassen zusammen: Superposition zweier gleichfrequenter Schwingungen (Bild III-136) Durch ungestörte berlagerung zweier gleichfrequenter Schwingungen vom Typ y 1 ¼ A 1 sin ðw t þ j1 Þ und y 2 ¼ A 2 sin ðw t þ j2 Þ ðIII-150Þ mit A 1 > 0, A 2 > 0 und w > 0 entsteht eine resultierende Schwingung der gleichen Frequenz: y ¼ y 1 þ y 2 ¼ A sin ðw t þ jÞ ðmit A > 0Þ ðIII-151Þ Amplitude A und Phasenwinkel j lassen sich dabei aus den Amplituden A 1 und A 2 und den Phasenwinkeln j1 und j2 der beiden Einzelschwingungen wie folgt berechnen: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi A ¼ A 21 þ A 22 þ 2 A 1 A 2 cos ðj2 j1 Þ ðIII-152Þ tan j ¼ A 1 sin j1 þ A 2 sin j2 A 1 cos j1 þ A 2 cos j2 ðIII-153Þ Anmerkungen (1) Man beachte die Voraussetzungen: Beide Schwingungen müssen als Sinusschwingungen mit jeweils positiver Amplitude vorliegen. Die Formeln (III-152) und (III-153) gelten aber auch dann, wenn beide Einzelschwingungen in der Kosinusform mit jeweils positiver Amplitude vorgegeben sind. In diesem Fall ist die resultierende Schwingung eine gleichfrequente phasenverschobene Kosinusschwingung. Die Einzelschwingungen müssen also gegebenenfalls erst auf die Sinusform (oder Kosinusform) gebracht werden. (2) Es ist ratsam, sich zunächst anhand einer Skizze über die Lage des resultierenden Zeigers zu informieren. Den Phasenwinkel j erhält man dann aus Gleichung (III-153) unter Berücksichtigung des Quadranten (siehe hierzu auch das nachfolgende Beispiel (3)). Die dabei zu lösende Gleichung tan j ¼ const: ¼ c besitzt in Abhängigkeit vom Quadranten die folgende Lösung (Hauptwert im Gradmaß) 10) : Quadrant I II, III IV j¼ arctan c arctan c + 180 arctan c + 360 Hinweis: Der Phasenwinkel j muss in der Schwingungsgleichung aus Dimensionsgründen stets im Bogenmaß angegeben werden. 10Þ Die Funktion y ¼ arctan x ist die Umkehrfunktion der auf das Intervall p=2 < x < p=2 beschränkten Tangensfunktion und wird in Abschnitt 10.4 noch ausführlich behandelt. 268 & III Funktionen und Kurven Beispiele (1) Wie lautet die durch Superposition der beiden gleichfrequenten mechanischen Schwingungen y 1 ¼ 4 cm sin ð2 s 1 tÞ und y 2 ¼ 3 cm cos ð2 s 1 t p=6Þ entstandene resultierende Schwingung? Lösung: Zunächst wird die Kosinusschwingung y 2 mit Hilfe des Zeigerdiagramms in eine Sinusschwingung umgewandelt (Bild III-137): y 2 ¼ 3 cm cos ð2 s 1 t p=6Þ ¼ 3 cm sin ð2 s 1 t þ p=3Þ + cos y2 30° 60° + sin Bild III-137 Umwandlung einer Kosinusschwingung in eine Sinusschwingung Mit A 1 ¼ 4 cm, A 2 ¼ 3 cm, j1 ¼ 0 und j2 ¼ p=3 erhält man aus den Gleichungen (III-152) und (III-153) die folgenden Werte für die Amplitude A und die Phase j der resultierenden Schwingung (der resultierende Zeiger liegt im 1. Quandranten): qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi A ¼ ð4 cmÞ 2 þ ð3 cmÞ 2 þ 2 4 cm 3 cm cos ðp=3Þ ¼ ¼ pffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 16 þ 9 þ 12 cm ¼ 37 cm ¼ 6,08 cm tan j ¼ ¼ 4 cm sin 0 þ 3 cm sin ðp=3Þ ð0 þ 2,5981Þ cm ¼ ¼ 4 cm cos 0 þ 3 cm cos ðp=3Þ ð4 þ 1,5Þ cm 2,5981 cm ¼ 0,4724 5,5 cm ) j ¼ arctan 0,4724 ¼ 25,29 ¼ b 0,44 Die resultierende Schwingung lautet damit: y ¼ y 1 þ y 2 ¼ 4 cm sin ð2 s 1 tÞ þ 3 cm cos ð2 s 1 t p=6Þ ¼ ¼ 6,08 cm sin ð2 s 1 t þ 0,44Þ 9 Trigonometrische Funktionen (2) 269 Die gleichfrequenten Wechselspannungen u 1 ¼ 50 V sin ð314 s 1 tÞ und u 2 ¼ 80 V cos ð314 s 1 tÞ werden zur berlagerung gebracht. Die durch Superposition entstehende resultierende Wechselspannung u ¼ u 0 sin ð314 s 1 t þ jÞ kann unmittelbar aus dem Zeigerdiagramm berechnet werden (unverschobene Sinus- bzw. Kosinuszeiger, siehe Bild III-138): u = u1 + u 2 u2 u0 ¼ u0 80 V qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð50 VÞ 2 þ ð80 VÞ 2 ¼ 94,34 V tan j ¼ 80 V ¼ 1,6 50 V ) j ¼ arctan 1,6 ¼ 57,99 ¼ b 1,01 f 50 V u1 Bild III-138 Die resultierende Wechselspannung lässt sich somit durch die Funktion u ¼ u 1 þ u 2 ¼ 50 V sin ð314 s 1 tÞ þ 80 V cos ð314 s 1 tÞ ¼ ¼ 94,34 V sin ð314 s 1 t þ 1,01Þ beschreiben. (3) Wir bringen die gleichfrequenten mechanischen Schwingungen p 5 und y 2 ¼ 10 cm sin w t þ p y 1 ¼ 6 cm sin w t þ 6 6 zur ungestörten berlagerung. Der Zeiger der resultierenden Schwingung y ¼ A sin ðw t þ jÞ liegt im 2. Quadranten ð90 < j < 180 Þ, wie man dem Zeigerdiagramm entnehmen kann (siehe Bild III-139). y = y1 + y2 A = 8,7 cm y2 y1 10 cm f = 113° 30° 30° 6 cm Bild III-139 270 III Funktionen und Kurven Für die Amplitude A erhalten wir nach Formel (III-152) den folgenden Wert: sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 5 p 2 2 p A ¼ ð6 cmÞ þ ð10 cmÞ þ 2 6 cm 10 cm cos ¼ 6 6 |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} 2 p=3 p ffiffiffiffiffiffi ffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ 36 þ 100 60 cm ¼ 76 cm ¼ 8,72 cm Den Phasenwinkel j bestimmen wir aus Gleichung (III-153): p 5 þ 10 cm sin p 6 cm sin 6 6 ¼ tan j ¼ p 5 6 cm cos þ 10 cm cos p 6 6 ¼ ð3 þ 5Þ cm 8 ¼ ¼ 2,3094 ð5,1962 8,6603Þ cm 3,4641 Diese Gleichung besitzt wegen 90 < j < 180 die Lösung j ¼ arctan ð 2,3094Þ þ 180 ¼ 113,41 ¼ b 1,98 Die resultierende Schwingung wird somit durch die Gleichung y ¼ y 1 þ y 2 ¼ 8,72 cm sin ðw t þ 1,98Þ & beschrieben. 9.5.4 Lissajous-Figuren Lissajous-Figuren entstehen durch berlagerung zweier aufeinander senkrecht stehender Schwingungen, deren Frequenzen in einem rationalen Verhältnis stehen. Sie lassen sich z. B. auf einem Kathodenstrahloszillograph (Braunsche Röhre) durch Anlegen von (sinusförmigen) Wechselspannungen an die beiden Kondensatorplattenpaare realisieren. Eine Sinusspannung am horizontal ablenkenden Plattenpaar (x-Richtung) bewirkt, dass der Elektronenstrahl eine Schwingung in waagerechter Richtung nach der Gleichung x ¼ a sin ðw tÞ ausführt. Eine Kosinusspannung gleicher Frequenz am vertikal ablenkenden Plattenpaar ( y-Richtung) veranlasst den Elektronenstrahl zu einer periodischen Bewegung in vertikaler Richtung gemäß der Gleichung y ¼ b cos ðw tÞ. Die augenblickliche Lage des Strahls bei gleichzeitigem Anlegen beider Spannungen wird dann durch die Parameter-Gleichungen x ¼ a sin ðw tÞ , y ¼ b cos ðw tÞ ðt 0Þ beschrieben ða > 0, b > 0 und w > 0Þ. Löst man diese Gleichungen nach sin ðw tÞ bzw. cos ðw tÞ auf und berücksichtigt die Beziehung (III-129), so erhält man als Bahnkurve des Elektronenstrahls eine unverschobene Ellipse mit den Halbachsen a und b (Bild III-140): x 2 y 2 x2 y2 sin 2 ðw tÞ þ cos 2 ðw tÞ ¼ 1 ) þ ¼ 1 ) þ ¼ 1 a b a2 b2 10 Arkusfunktionen 271 y Startpunkt (t = 0) Bild III-140 Lissajous-Figur (Ellipse): Die Pfeilrichtung kennzeichnet den Durchlaufsinn des Elektronenstrahls b a x 10 Arkusfunktionen 10.1 Das Problem der Umkehrung trigonometrischer Funktionen Die trigonometrischen Funktionen ordnen einem Winkel x in eindeutiger Weise einen Funktionswert zu. In den Anwendungen jedoch stellt sich häufig genau das umgekehrte Problem (z. B. beim Lösen einer trigonometrischen Gleichung): Der Funktionswert einer bestimmten trigonometrischen Funktion ist bekannt, gesucht ist der zugehörige Winkel. So besitzt beispielsweise die einfache trigonometrische Gleichung tan x ¼ 1 unendlich viele Lösungen, d. h. es gibt unendlich viele Winkel, deren Tangens gleich Eins ist. Die Lösungen dieser Gleichung können bequem auf zeichnerischem Wege als Schnittpunkte der Tangensfunktion y ¼ tan x mit der Geraden y ¼ 1 (Parallele zur x-Achse) ermittelt werden (Bild III-141). Sie liegen wegen der Periodizität der Tangensfunktion in regelmäßigen Abständen von einer Periodenlänge p : xk ¼ p þk p 4 ðk 2 ZÞ y y = tan x y=1 – 3 p 2 – – 3 p 4 p p 2 2 p 4 3 p 2 5 p 4 Bild III-141 Zur Umkehrung einer trigonometrischen Funktion 5 p 2 9 p 4 x 272 III Funktionen und Kurven Die Umkehrung der Tangensfunktion ist demnach nicht eindeutig. Offensichtlich ist dies eine Folge der fehlenden Monotonieeigenschaft (bedingt durch die Periodizität). Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei den übrigen trigonometrischen Funktionen. Beschränken wir uns jedoch bei der Lösung der Gleichung tan x ¼ 1 auf den Winkelbereich p=2 < x < p=2 (hier ist der Tangens streng monoton wachsend), so erhält man genau eine Lösung: Lösung im Intervall tan x ¼ 1 I x 0 ¼ p=4 p=2 < x < p=2 Zur Umkehrung der trigonometrischen Funktionen Grundsätzlich lassen sich die trigonometrischen Funktionen infolge fehlender Monotonieeigenschaft nicht umkehren. Beschränkt man sich jedoch auf gewisse Intervalle, in denen die Funktionen streng monoton verlaufen und dabei sämtliche Funktionswerte annehmen, so ist jede der vier Winkelfunktionen dort umkehrbar. Die Umkehrfunktionen werden als Arkusfunktionen oder zyklometrische Funktionen bezeichnet. Ihre Funktionswerte sind im Bogen- oder Gradmaß dargestellte Winkel. Bei der Auswahl der Intervalle, in denen die Umkehrung vorgenommen werden soll, gehen wir wie folgt vor: Wenn möglich, wählen wir ein zum Nullpunkt symmetrisches Intervall, in dem die trigonometrische Funktion die für die Umkehrung nötigen Voraussetzungen erfüllt (! Sinus, Tangens). Falls dies jedoch nicht möglich ist, wählen wir ein im Nullpunkt beginnendes Intervall (! Kosinus, Kotangens). Die Umkehrfunktionen der vier trigonometrischen Funktionen werden der Reihe nach mit arcsin x, arccos x, arctan x und arccot x bezeichnet, auf den Taschenrechnern auch mit sin 1 x, cos 1 x, tan 1 x (nicht zu verwechseln mit den Kehrwerten; cot 1 x fehlt auf dem Rechner). 10.2 Arkussinusfunktion Die Sinusfunktion verläuft in dem zum Nullpunkt symmetrischen Intervall p=2 x p=2 streng monoton wachsend, durchläuft dabei ihren gesamten Wertevorrat und ist daher in diesem Intervall umkehrbar. Ihre Umkehrung führt zur Arkussinusfunktion (Bild III-142). Definition: Die Arkussinusfunktion y ¼ arcsin x ist die Umkehrfunktion der auf das Intervall p=2 x p=2 beschränkten Sinusfunktion y ¼ sin x. 10 Arkusfunktionen 273 y y p y = sin x 1 – 2 y = arcsin x p 2 p x 2 –1 1 x –1 a) Bild III-142 Zur Umkehrung der Sinusfunktion a) Funktionsgraph von y ¼ sin x b) Funktionsgraph von y ¼ arcsin x – b) p 2 In der folgenden Tabelle 3 haben wir die wesentlichen Eigenschaften der Arkussinusfunktion zusammengestellt. Tabelle 3: Eigenschaften der Arkussinusfunktion y ¼ arcsin x (Bild III-142) y ¼ sin x y ¼ arcsin x p p x 2 2 Definitionsbereich Wertebereich 1 y 1 Nullstellen x0 ¼ 0 x0 ¼ 0 Symmetrie ungerade ungerade Monotonie streng monoton wachsend streng monoton wachsend 1 x 1 p p y 2 2 Anmerkung Der Arkussinus liefert nur Winkel aus dem 1. und 4. Quadranten. & Beispiele arcsin 0,5 ¼ p=6 ¼ b 30 arcsin 0 ¼ 0 sin ðarcsin xÞ ¼ arcsin ðsin xÞ ¼ x arcsin x ¼ p 6 ) arcsin ð 0,75Þ ¼ 0,8481 ðf ür 1 x 1Þ p x ¼ sin ðarcsin xÞ ¼ sin ¼ 0,5 6 & 274 III Funktionen und Kurven 10.3 Arkuskosinusfunktion Die Kosinusfunktion ist im Intervall 0 x p streng monoton fallend, durchläuft dabei ihren gesamten Wertevorrat und ist daher dort umkehrbar. Ihre Umkehrung führt zur Arkuskosinusfunktion (Bild III-143). Definition: Die Arkuskosinusfunktion y ¼ arccos x ist die Umkehrfunktion der auf das Intervall 0 x p beschränkten Kosinusfunktion y ¼ cos x. Ihre Eigenschaften entnimmt man Tabelle 4. y y p 1 y = cos x p p x p 2 2 y = arccos x –1 a) Bild III-143 Zur Umkehrung der Kosinusfunktion a) Funktionsgraph von y ¼ cos x b) b) Funktionsgraph von y ¼ arccos x –1 1 x Tabelle 4: Eigenschaften der Arkuskosinusfunktion y ¼ arccos x (Bild III-143) y ¼ cos x y ¼ arccos x Definitionsbereich 0 x p 1 x 1 Wertebereich 1 y 1 0 y p Nullstellen x0 ¼ Monotonie streng monoton fallend p 2 x0 ¼ 1 streng monoton fallend Anmerkung Der Arkuskosinus liefert nur Winkel aus dem 1. und 2. Quadranten. & Beispiele arccos 0 ¼ p 2 arccos 0,5 ¼ p ¼ b 60 3 arccos ð 0,237Þ ¼ 1,8101 & 10 Arkusfunktionen 275 10.4 Arkustangens- und Arkuskotangensfunktion Die Umkehrung der Tangensfunktion erfolgt im zum Nullpunkt symmetrischen Intervall p=2 < x < p=2, in dem der Tangens streng monoton wachsend verläuft und dabei seinen gesamten Wertebereich durchläuft. Die Umkehrfunktion wird als Arkustangensfunktion bezeichnet (Bild III-144). Definition: Die Arkustangensfunktion y ¼ arctan x ist die Umkehrfunktion der auf das Intervall p=2 < x < p=2 beschränkten Tangensfunktion y ¼ tan x. Ihre Funktionseigenschaften sind in Tabelle 5 näher beschrieben. y y p 2 y = tan x y = arctan x 1 – p 2 –1 p –1 x – 2 1 x p 2 b) Bild III-144 Zur Umkehrung der Tangensfunktion a) Funktionsgraph von y ¼ tan x b) Funktionsgraph von y ¼ arctan x a) Tabelle 5: Eigenschaften der Arkustangensfunktion y ¼ arctan x (Bild III-144) y ¼ tan x p p < x < 2 2 y ¼ arctan x Definitionsbereich Wertebereich 1 < y < 1 Nullstellen x0 ¼ 0 x0 ¼ 0 Symmetrie ungerade ungerade Monotonie streng monoton wachsend streng monoton wachsend Asymptoten x ¼ p 2 1 < x < 1 p p < y < 2 2 y ¼ p 2 Anmerkung Der Arkustangens liefert nur Winkel aus dem 1. und 4. Quadranten. 276 III Funktionen und Kurven Die Kotangensfunktion ist im Intervall 0 < x < p umkehrbar. Denn dort ist der Kotangens streng monoton fallend und durchläuft dabei seinen gesamten Wertebereich. Die Umkehrfunktion heißt Arkuskotangensfunktion (Bild III-145). Definition: Die Arkuskotangensfunktion y ¼ arccot x ist die Umkehrfunktion der auf das Intervall 0 < x < p beschränkten Kotangensfunktion y ¼ cot x. In Tabelle 6 sind die Eigenschaften dieser Funktion zusammengetragen. y y p y = cot x p 1 y = arccot x 2 p –1 p x –1 2 1 Bild III-145 Zur Umkehrung der Kotangensfunktion a) Funktionsgraph von y ¼ cot x b) Funktionsgraph von y ¼ arccot x a) Tabelle 6: Eigenschaften der Arkuskotangensfunktion y ¼ arccot x (Bild III-145) y ¼ cot x y ¼ arccot x Definitionsbereich 0 < x < p 1 < x < 1 Wertebereich 1 < y < 1 0 < y < p Nullstellen x0 ¼ Monotonie streng monoton fallend streng monoton fallend x ¼ 0 y ¼ 0 x ¼ p y ¼ p Asymptoten x b) p 2 10 Arkusfunktionen 277 Anmerkung Die Arkuskotangensfunktion spielt in der Praxis keine nennenswerte Rolle. Sie fehlt daher auf den Taschenrechnern. Ihre Funktionswerte werden meist unter Verwendung der Beziehung arccot x ¼ p arctan x 2 ðIII-154Þ über die Arkustangensfunktion berechnet (x im Bogenmaß; bei Verwendung des Gradmaßes ist p=2 durch 90 zu ersetzen). Man erhält stets Winkel aus dem 1. und 2. Quadranten. & Beispiele (1) (2) p arctan 125,3 ¼ 1,5628 4 p p p arctan 0 ¼ 0 ¼ arccot 0 ¼ 2 2 2 arccot 1,51 ¼ p p arctan 1,51 ¼ 0,9859 ¼ 0,5849 2 2 arccot ð 23,5Þ ¼ (3) arctan ð 3 pÞ ¼ 1,4651 arctan 1 ¼ p p arctan ð 23,5Þ ¼ ð 1,5283Þ ¼ 3,0991 2 2 Die Superposition der gleichfrequenten mechanischen Schwingungen y 1 ¼ 5 cm sin ð3 s 1 tÞ y 2 ¼ 6 cm cos ð3 s 1 tÞ und führt zu einer resultierenden Schwingung gleicher Frequenz, deren Amplitude A und Phase j direkt aus dem Zeigerdiagramm (Bild III-146) berechnet werden kann: y = y1 + y2 y2 ¼ A 6 cm A ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð5 cmÞ 2 þ ð6 cmÞ 2 ¼ pffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 25 þ 36 cm ¼ 61 cm ¼ 7,81 cm tan j ¼ f 5 cm y1 6 cm ¼ 1,2 5 cm ) j ¼ arctan 1,2 ¼ 0,8761 Bild III-146 Die Gleichung der resultierenden Schwingung lautet damit: y ¼ y 1 þ y 2 ¼ 5 cm sin ð3 s 1 tÞ þ 6 cm cos ð3 s 1 tÞ ¼ ¼ 7,81 cm sin ð3 s 1 t þ 0,8761Þ & 278 III Funktionen und Kurven 10.5 Trigonometrische Gleichungen Unter einer trigonometrischen Gleichung versteht man eine Gleichung, bei der die Unbekannte x in den Argumenten trigonometrischer Funktionen auftritt. Den Lösungsmechanismus zeigen wir anhand eines ausgewählten Beispiels, da sich ein allgemeines Lösungsverfahren für Gleichungen dieser Art nicht angeben lässt. & Beispiel sin ð2 xÞ ¼ 1,5 cos x Störend ist zunächst, dass auf der linken Seite der doppelte Winkel 2 x auftritt. Unter Verwendung der trigonometrischen Formel sin ð2 xÞ ¼ 2 sin x cos x lässt sich diese Ungleichheit in den Argumenten beseitigen und die gegebene Gleichung wie folgt umformen: 2 sin x cos x ¼ 1,5 cos x oder 2 sin x cos x 1,5 cos x ¼ 0 cos x ¼ 0 cos x ð2 sin x 1,5Þ ¼ 0 2 sin x 1,5 ¼ 0 (ein Produkt ist Null, wenn mindestens ein Faktor Null ist!). Die Ausgangsgleichung zerfällt damit in die beiden (wesentlich einfacheren) Gleichungen cos x ¼ 0 und 2 sin x 1,5 ¼ 0, mit deren Lösung wir uns jetzt beschäftigen wollen. Lösungen der Gleichung cos x ¼ 0 Die Lösungen dieser Gleichung sind die Nullstellen der Kosinusfunktion. Sie liegen nach Bild III-147 bei x1k ¼ p þ kp 2 ðk 2 ZÞ Da es noch weitere Lösungen geben wird, müssen wir zur Kennzeichnung der einzelnen Werte zwei Indizes verwenden. Der erste Index (hier: 1) kennzeichnet dabei die verschiedenen Teillösungsmengen, der zweite Index k ist der Laufindex ðk 2 ZÞ. y 1 – y = cos x p p 2 2 –1 3 p 2 5 p 2 Bild III-147 Zur Lösung der Gleichung cos x ¼ 0 7 p 2 x 10 Arkusfunktionen 279 Lösungen der Gleichung 2 sin x 1,5 ¼ 0 oder sin x ¼ 0,75 Die Lösungen dieser trigonometrischen Gleichung ergeben sich als Schnittpunkte zwischen der Sinuskurve y ¼ sin x und der Parallelen zur x-Achse mit der Gleichung y ¼ 0,75 (Bild III-148). y y = sin x y = 0,75 1 0,75 –2p –p p 0 2p 3p x arcsin 0,75 –1 p – arcsin 0,75 Bild III-148 Zur Lösung der Gleichung sin x ¼ 0,75 Anhand der Skizze erkennt man, dass die Gleichung unendlich viele Lösungen besitzt. Die im Intervall p=2 x p=2 liegende Lösung findet man durch Umkehrung, d. h. mit Hilfe der Arkussinusfunktion: sin x ¼ 0,75 ) x 2 ¼ arcsin 0,75 ¼ 0,848 Weitere Lösungen folgen offensichtlich wegen der Periodizität der Sinusfunktion im Abstand jeweils einer Periode 2 p : x 2 k ¼ arcsin 0,75 þ k 2 p ¼ 0,848 þ k 2 p ðk 2 ZÞ Sie sind in Bild III-148 durch kurze Pfeile gekennzeichnet. Eine weitere Lösung liegt nach der Skizze aus Symmetriegründen bei x 3 ¼ p arcsin 0,75 ¼ p 0,848 ¼ 2,294 Wegen der Periodizität sind auch x 3 k ¼ p arcsin 0,75 þ k 2 p ¼ 2,294 þ k 2 p ðk 2 ZÞ Lösungen der Gleichung sin x ¼ 0,75. Sie entsprechen den langen Pfeilen in Bild III-148. Damit besitzt die Ausgangsgleichung sin ð2 xÞ ¼ 1,5 cos x insgesamt folgende Lösungen: 9 p > x1k ¼ þk p > > = 2 x 2 k ¼ 0,848 þ k 2 p > ðk 2 ZÞ > > x 3 k ¼ 2,294 þ k 2 p ; & 280 III Funktionen und Kurven 11 Exponentialfunktionen Exponentialfunktionen spielen in den Anwendungen eine bedeutende Rolle. Sie werden z. B. benötigt bei der Beschreibung von Abkling-, Sättigungs- und Wachstumsprozessen sowie bei gedämpften Schwingungen und in der Statistik. 11.1 Grundbegriffe Zu den Exponentialfunktionen gelangt man durch Verallgemeinerung des Begriffes Potenz. Potenzen sind dabei Ausdrücke vom Typ a n : a: Grundzahl oder Basiszahl (kurz Basis genannt) n: Hochzahl oder Exponent Sie genügen den folgenden Rechenregeln (bei gleicher Basis): Rechenregeln für Potenzen m a ¼ a n Zahlenbeispiele mþn 2 3 2 5 ¼ 2 3 þ 5 ¼ 2 8 ¼ 256 (1) a (2) am ¼ amn an 35 1 1 ¼ 357 ¼ 32 ¼ 2 ¼ 3 9 37 (3) ða m Þ n ¼ a m n ð2 3 Þ 5 ¼ 2 3 5 ¼ 2 15 ¼ 32 768 11.2 Definition und Eigenschaften einer Exponentialfunktion Lässt man für den Exponenten in einer Potenz a n mit positiver Basis a 6¼ 1 beliebige reelle Werte zu, so gelangt man zu den Exponentialfunktionen. Definition: Funktionen vom Typ y ¼ a x mit positiver Basis a > 0 und a 6¼ 1 heißen Exponentialfunktionen. Ihre Eigenschaften haben wir in Tabelle 7 zusammengetragen, wobei wir noch zwischen den Fällen 0 < a < 1 und a > 1 unterscheiden. Tabelle 7: Eigenschaften der Exponentialfunktionen (Bild III-149) y ¼ ax ð0 < a < 1Þ y ¼ ax ða > 1Þ Definitionsbereich 1 < x < 1 1 < x < 1 Wertebereich 0 < y < 1 0 < y < 1 Monotonie streng monoton fallend streng monoton wachsend Asymptoten y ¼ 0 y ¼ 0 ðf ür x ! 1Þ ðf ür x ! 1Þ 11 Exponentialfunktionen 281 Die streng monoton verlaufenden Exponentialfunktionen besitzen daher weder Nullstellen noch Extremwerte. Ihre Funktionsgraphen schneiden die y-Achse bei y ¼ 1 : y ð0Þ ¼ a0 ¼ 1. In Bild III-149 ist je ein Vertreter der streng monoton fallenden und der streng monoton wachsenden Exponentialfunktionen skizziert. y y= 1 3 x y=2x 1 Bild III-149 Funktionsgraphen von y ¼ 2 x und y ¼ ð1=3Þ x –1 1 x Anmerkung Die Exponentialfunktion y ¼ a x ist nicht mit der Potenzfunktion y ¼ x n zu verwechseln. Bei einer Exponentialfunktion ist die Basis a fest, der Exponent aber variabel (daher auch die Bezeichnung). Bei einer Potenzfunktion dagegen ist der Exponent fest und die Basis variabel. & Beispiele (1) Streng monoton wachsende Exponentialfunktionen sind beispielsweise y ¼ 2 x (Bild III-149), (2) y ¼ 5x und y ¼ 10 x . Streng monoton fallend sind die folgenden Exponentialfunktionen: x x 1 1 (Bild III-149), y ¼ und y ¼ 0,1 x . y ¼ 3 2 & Spezielle Exponentialfunktionen Von besonderer Bedeutung sind die Exponentialfunktionen x 1 und y ¼ ¼ ex y ¼ ex e (Bild III-150). Dabei ist e die durch den Grenzwert 1 n e ¼ lim 1 þ ¼ 2,718 281 . . . n n!1 ðIII-155Þ ðIII-156Þ 282 III Funktionen und Kurven definierte Eulersche Zahl. Die Funktion y ¼ e x wird kurz als e-Funktion bezeichnet. Sie ist die mit Abstand wichtigste Exponentialfunktion. y y = e –x y = ex 1 Bild III-150 Funktionsgraphen der e-Funktionen y ¼ e x und y ¼ e x –1 x 1 Die Funktionsgraphen von y ¼ e x und y ¼ e x sind dabei spiegelsymmetrisch zur y-Achse angeordnet (vgl. hierzu Bild III-150). Diese Eigenschaft trifft allgemein für jede Basis a > 0 ða 6¼ 1Þ zu, d. h. die Kurven von y ¼ a x und y ¼ a x gehen durch Spiegelung an der y-Achse ineinander über. Neben den e-Funktionen y ¼ e x und y ¼ e x spielen noch die beiden Exponentialfunktionen y ¼ 2 x und y ¼ 10 x eine gewisse Rolle. Sie werden beispielsweise im Zusammenhang mit der Darstellung von Zahlen benötigt (Dualsystem, Dezimalsystem). Jede Exponentialfunktion vom allgemeinen Typ y ¼ a x ist auch in der Form y ¼ e l x mit l ¼ ln a, d. h. als eine spezielle e-Funktion darstellbar, wobei gilt 11) : l > 0: streng monoton wachsende Funktion l < 0: streng monoton fallende Funktion 11.3 Spezielle, in den Anwendungen häufig auftretende Funktionstypen mit e-Funktionen 11.3.1 Abklingfunktionen Dieser in den Anwendungen meist in der zeitabhängigen Form y ¼ a elt oder y ¼ a e t t ðt 0Þ ðIII-157Þ mit a > 0, l > 0 und t ¼ 1=l > 0 auftretende Funktionstyp verläuft streng monoton fallend und strebt für t ! 1 asymptotisch gegen die t-Achse, d. h. die t-Achse y ¼ 0 ist Asymptote im Unendlichen (Bild III-151). 11) ln a ist der natürliche Logarithmus der Basiszahl a. Er wird in Abschnitt 12.1 noch ausführlich erklärt. Dort werden wir auch auf die Umrechnung a x ¼ e l x mit l ¼ ln a zurückkommen. 11 Exponentialfunktionen 283 y a y = a · e – lt 0,37 a Bild III-151 Abklingfunktion vom Typ y ¼ a e l t (für t 0) t1 Tangente in t 0 = 0 t Funktionen dieser Art werden als Abklingfunktionen bezeichnet. Sie beschreiben Vorgänge, bei denen eine Größe y im Laufe der Zeit vom Anfangswert a auf den Endwert 0 abklingt. Die Kurventangente in t 0 ¼ 0 schneidet dabei die t-Achse an der Stelle t 1 ¼ 1=l ¼ t. Der Funktionswert an dieser Stelle beträgt rund 37 % des „Anfangswertes“ y ð0Þ ¼ a, d. h. es ist y ðt 1 Þ ¼ y ðtÞ ¼ 0,37 a. & Beispiele (1) Radioaktiver Zerfall: Eine radioaktive Substanz zerfällt auf natürliche Weise nach dem exponentiellen Zerfallsgesetz n ðtÞ ¼ n 0 e l t ðt 0Þ (Bild III-152) Dabei bedeuten: n0: Anzahl der zu Beginn vorhandenen Atomkerne n ðtÞ: Anzahl der Atomkerne zur Zeit t l > 0: Zerfallskonstante n n0 n = n 0 · e – lt 1 n 2 0 t t Bild III-152 Zerfallsgesetz beim radioaktiven Zerfall (t : Halbwertszeit) 284 (2) III Funktionen und Kurven Ein weiteres Beispiel liefert die Entladung eines Kondensators mit der Kapazität C über einen ohmschen Widerstand R. Die Kondensatorspannung u klingt dabei exponentiell mit der Zeit t ab: t u ðtÞ ¼ u 0 e R C ðt 0Þ (u 0 : Kondensatorspannung zu Beginn; R C : Zeitkonstante). Der Kurvenverlauf ist ähnlich wie beim radioaktiven Zerfall. (3) Zwischen dem Luftdruck p und der Höhe h (gemessen gegenüber dem Meeresniveau h ¼ 0) gilt unter der Annahme konstanter Lufttemperatur der folgende Zusammenhang (sog. barometrische Höhenformel): h p ðhÞ ¼ p 0 e 7991 m ðh=m 0Þ ðp 0 ¼ 1,013 barÞ. Der Luftdruck nimmt dabei mit zunehmender Höhe exponentiell ab. Die Kurve verläuft auch hier ähnlich wie beim radioaktiven Zerfall. & Einen etwas allgemeineren Typ einer Abklingfunktion erhält man durch Hinzufügen einer additiven Konstanten b: y ¼ a elt þ b oder t y ¼ a et þ b ðt 0Þ ðIII-158Þ Diese Konstante beschreibt eine Verschiebung der Kurve längs der y-Achse, wobei gilt: b > 0: Verschiebung nach oben um die Strecke b b < 0: Verschiebung nach unten um die Strecke j b j Funktionen von diesem Typ besitzen für t ! 1 den Grenzwert b, d. h. y ¼ b ist Asymptote im Unendlichen (Bild III-153). Die Kurventangente in t 0 ¼ 0 schneidet dabei die Asymptote an der Stelle t 1 ¼ 1=l ¼ t. Der Funktionswert der Abklingfunktion an dieser Stelle beträgt y ðt 1 Þ ¼ y ðtÞ ¼ 0,37 a þ b. y a+b y = a · e – lt + b 0,37 a + b y=b b Bild III-153 Abklingfunktion vom Typ y ¼ a e l t þ b, t 0 Tangente in t 0 = 0 t1 t 11 Exponentialfunktionen & 285 Beispiel Ein Körper besitze zur Zeit t ¼ 0 die Temperatur T 0 und werde in der Folgezeit durch vorbeiströmende Luft der (konstanten) Temperatur T L gekühlt ðT L < T 0 Þ. Mit der Zeit nimmt dabei seine Temperatur T nach dem Exponentialgesetz T ðtÞ ¼ ðT 0 T L Þ e k t þ T L ðt 0Þ ab (Abkühlungsgesetz nach Newton; k ist dabei eine positive Konstante). Die Körpertemperatur T strebt asymptotisch dem Grenzwert T 1 ¼ lim T ðtÞ ¼ T L t!1 zu, d. h. der Körper kühlt sich im Laufe der Zeit so lange ab, bis er die Temperatur der Luft erreicht hat (Bild III-154). T T0 T ( t) TL Bild III-154 Abkühlungsgesetz nach Newton t & 11.3.2 Sättigungsfunktionen Dieser in den technischen Anwendungen weit verbreitete Funktionstyp tritt meist in der zeitabhängigen Form y ¼ a ð1 e l t Þ oder t y ¼ a 1 e t ðt 0Þ ðIII-159Þ auf und verläuft für a > 0, l > 0 und t ¼ 1=l > 0 streng monoton wachsend (Bild III-155). Er wird bei der mathematischen Beschreibung von Sättigungsprozessen benötigt und daher folgerichtig als Sättigungsfunktion bezeichnet. Die physikalisch-technische Größe y nähert sich dabei im Laufe der Zeit ihrem Endwert (Sättigungswert) a (meist vom Anfangswert 0 aus). Der Funktionswert strebt dabei für t ! 1 asymptotisch gegen den Grenzwert a, d. h. y ¼ a ist Asymptote im Unendlichen. Die Kurventangente in t 0 ¼ 0 schneidet die Asymptote an der Stelle t 1 ¼ 1=l ¼ t. Der Funktionswert an dieser Stelle beträgt rund 63 % des „Endwertes“ a, d. h. es ist y ðt 1 Þ ¼ y ðtÞ ¼ 0,63 a. 286 III Funktionen und Kurven y Tangente in t 0 = 0 y=a a y = a (1 – e – l t) 0,63 a Bild III-155 Sättigungsfunktion vom Typ y ¼ a ð1 e l t Þ, t 0 t t1 & Beispiele (1) Die Aufladung eines Kondensators mit der Kapazität C über einen ohmschen Widerstand R erfolgt nach der Gleichung t u ðtÞ ¼ u 0 1 e R C ðt 0Þ Dabei ist u ðtÞ die Spannung am Kondensator zum Zeitpunkt t und u 0 der Endwert der Kondensatorspannung. Bild III-156 zeigt den Verlauf dieser Sättigungsfunktion für die Werte u 0 ¼ 100 V und R C ¼ 1 ms. u/ V 1 100 1 (2) 2 3 4 5 t / ms Bild III-156 Aufladung eines Kondensators (gezeichnet für u 0 ¼ 100 V und R C ¼ 1 ms) Bei einem KFZ-Stoßdämpfer legt der Kolben beim Einschieben einen Weg y nach dem Zeitgesetz y ¼ y 0 ð1 e k t Þ zurück ðy 0 > 0, k > 0Þ. ðt 0Þ 11 Exponentialfunktionen (3) 287 Fallschirmsprung unter der Annahme eines geschwindigkeitsproportionalen Luftwiderstandes Für die Fallgeschwindigkeit v gilt dann in Abhängigkeit von der Fallzeit t: mg v ðtÞ ¼ k k mt 1e ðf ür t 0Þ m: Masse (Fallschirmspringer mit Fallschirm); k > 0: Reibungsfaktor g: Erdbeschleunigung; Die Fallgeschwindigkeit nähert sich dabei im Laufe der Zeit asymptotisch ihrem Endwert („Sättigungswert“) vE ¼ m g=k (siehe hierzu Bild III-157): v E ¼ lim v ðtÞ ¼ lim t!1 mg k k 1 e m t ¼ mg k v mg k v= k mg – t 1–e m k Bild III-157 Zeitlicher Verlauf der Fallgeschwindigkeit beim Fallschirmsprung t & Etwas allgemeiner ist der folgende Typ einer Sättigungsfunktion: y ¼ a ð1 e l t Þ þ b oder t y ¼ a 1 e t þ b ðIII-160Þ (für t 0). Die additive Konstante b beschreibt dabei eine Verschiebung der Kurve in Richtung der y-Achse: b > 0: Verschiebung nach oben um die Strecke b b < 0: Verschiebung nach unten um die Strecke j b j Für t ! 1 streben diese Sättigungsfunktionen gegen den Grenzwert a þ b, d. h. y ¼ a þ b ist Asymptote im Unendlichen (Bild III-158). Die Kurventangente in t 0 ¼ 0 schneidet dabei die Asymptote an der Stelle t 1 ¼ 1=l ¼ t. Der Funktionswert der Sättigungskurve an dieser Stelle beträgt y ðt 1 Þ ¼ y ðtÞ ¼ 0,63 a þ b. 288 III Funktionen und Kurven y Tangente in t 0 = 0 y=a+b a+b y = a (1 – e – l t) + b 0,63 a + b b t t1 Bild III-158 Sättigungsfunktion vom Typ y ¼ a ð1 e l t Þ þ b, t 0 11.3.3 Wachstumsfunktionen Zeitabhängige Wachstumsprozesse verlaufen meist exponentiell und lassen sich durch streng monoton wachsende Exponentialfunktionen vom Typ y ¼ y0 eat ðt 0Þ ðIII-161Þ beschreiben. Dabei bedeuten: y 0 > 0: Anfangsbestand zur Zeit t ¼ 0 a > 0: Wachstumsrate & Beispiel Die Vermehrung von Bakterien genügt dem folgenden Exponentialgesetz (Bild III-159): n ðtÞ ¼ n 0 e a t ðt 0Þ n Dabei bedeuten: n0: Anzahl der Bakterien zu Beginn ðt ¼ 0Þ n ðtÞ: Anzahl der Bakterien zur Zeit t a > 0: Wachstumsrate Bild III-159 n0 t & 11 Exponentialfunktionen 289 11.3.4 Gedämpfte Schwingungen Ungedämpfte harmonische Schwingungen lassen sich bekanntlich durch (zeitabhängige) phasenverschobene Sinus- oder Kosinusfunktionen beschreiben (siehe hierzu Abschnitt 9.5). Wird das schwingungsfähige (mechanische oder elektromagnetische) System jedoch gedämpft, so nimmt die Schwingungsamplitude im Laufe der Zeit ab und wir erhalten (bei schwacher Dämpfung) eine sog. gedämpfte Schwingung, die durch die Gleichung y ðtÞ ¼ A e d t sin ðw t þ jÞ ðt 0Þ ðIII-162Þ beschrieben werden kann (mit A > 0, w > 0 und d > 0). Der streng monoton fallende Exponentialfaktor e d t sorgt dabei für die Abnahme der Schwingungsamplitude im Laufe der Zeit (Bild III-160). y t Bild III-160 Zeitlicher Verlauf einer gedämpften Schwingung Kriechfall (aperiodisches Verhalten) Der sog. Kriechfall (aperiodisches Verhalten) tritt ein, wenn ein schwingungsfähiges (mechanisches oder elektromagnetisches) System infolge zu großer Dämpfung (Reibung) zu keiner echten Schwingung mehr fähig ist, sondern sich im Laufe der Zeit asymptotisch der Gleichgewichtslage nähert (vgl. hierzu die Bilder III-161 und III-162). Die bei der mathematischen Behandlung auftretenden Funktionen sind vom Typ y ðtÞ ¼ A e l 1 t þ B e l 2 t ðt 0Þ ðIII-163Þ ðl 1 > 0, l 2 > 0, l 1 6¼ l 2 Þ und stellen eine berlagerung zweier streng monoton fallender e-Funktionen dar. Für t ! 1 streben diese Funktionen dabei dem Grenzwert Null zu: lim y ðtÞ ¼ 0 t!1 Das System befindet sich dann im Gleichgewichtszustand. Wir behandeln in den folgenden Beispielen zwei typische Fälle. 290 & III Funktionen und Kurven Beispiele (1) y ðtÞ ¼ 10 e 2 t 10 e 4 t ¼ 10 ðe 2 t e 4 t Þ ðt 0Þ Diese Funktion beginnt bei y ð0Þ ¼ 0, erreicht zur Zeit t 1 ¼ 0,347 ihr Maximum (dieser Wert wurde mit Hilfe der Differentialrechnung ermittelt) und strebt für t ! 1 asymptotisch gegen die Zeitachse (Bild III-161). y 3 Umkehrpunkt (Maximum) 2 y = 10(e – 2t – e – 4t) 1 Bild III-161 Kriechfall bei starker Dämpfung (aperiodisches Verhalten) t1 1 1,5 2 t Physikalische Interpretation (im Falle einer mechanischen Schwingung): Der Körper entfernt sich zunächst infolge seiner Anfangsgeschwindigkeit von der Gleichgewichtslage, erreicht dann den Umkehrpunkt (Maximum) und kehrt anschließend asymptotisch in die Gleichgewichtslage zurück. (2) y ðtÞ ¼ 2 e 2 t þ 2 e 4 t ¼ 2 ðe 2 t þ e 4 t Þ ðt 0Þ Diese streng monoton verlaufende Kriechfunktion fällt von ihrem Maximalwert zu Beginn ðy ð0Þ ¼ 4Þ asymptotisch gegen Null ab (Bild III-162). y 4 3 2 y = 2 (e – 2t + e – 4t) 1 Bild III-162 Kriechfunktion bei starker Dämpfung (aperiodisches Verhalten) 0,5 1 1,5 2 t & 11 Exponentialfunktionen 291 Aperiodischer Grenzfall Der bergang vom Schwingungsfall zum Kriechfall wird als aperiodischer Grenzfall bezeichnet. Er wird durch die folgende Funktion beschrieben: y ðtÞ ¼ ðA þ B tÞ e l t ðl > 0; t 0Þ ðIII-164Þ Auch diese Funktion „kriecht“ für t ! 1 asymptotisch gegen die Zeitachse: lim y ðtÞ ¼ 0 t!1 & Beispiel y ðtÞ ¼ ð2 10 tÞ e 3 t ðt 0Þ Diese Kriechfunktion fällt zunächst streng monoton von ihrem Maximalwert y ð0Þ ¼ 2 zu Beginn, schneidet dann bei t 1 ¼ 0,2 die Zeitachse und erreicht schließlich zur Zeit t 2 ¼ 0,53 ihr Minimum, von wo aus sie asymptotisch gegen die Zeitachse strebt (Bild III-163). Physikalische Interpretation (bei einer mechanischen Schwingung): Der Körper schwingt zunächst durch die Gleichgewichtslage hindurch bis zu seinem Umkehrpunkt und von dort aus asymptotisch zur Gleichgewichtslage zurück. y 2 1 y = (2 – 10 t) e – 3t Bild III-163 Schwingungstyp beim aperiodischen Grenzfall t2 t1 –1 1 2 t Umkehrpunkt & 11.3.5 Gauß-Funktionen Gauß-Funktionen spielen in der Wahrscheinlichkeitsrechnung, Statistik und Fehlerrechnung eine überragende Rolle (Stichwort: Gaußsche Normalverteilung, siehe Band 3). Die Gleichung einer Gauß-Funktion lautet dabei im einfachsten Fall wie folgt: y ¼ ex 2 ðx 2 RÞ ðIII-165Þ 292 III Funktionen und Kurven Die Kurve verläuft spiegelsymmetrisch zur y-Achse, besitzt an der Stelle x ¼ 0 ihr einziges Maximum und fällt dann nach beiden Seiten hin gleichmäßig und asymptotisch gegen Null ab. Wegen ihrer äußeren Gestalt, die stark einer Glocke ähnelt, wird sie auch als Gaußsche Glockenkurve bezeichnet (Bild III-164). Maximum: (0; 1) y Wendepunkte: x ¼ 1 Max 1 y = e –x W2 –2 2 W1 –1 1 2 x Bild III-164 Graph der Gauß-Funktion 2 y ¼ ex Durch die Gleichung y ¼ a e b ðx x 0 Þ 2 ðx 2 RÞ ðIII-166Þ wird eine Gauß-Funktion in allgemeiner Form beschrieben. Sie enthält noch drei Parameter a > 0, b > 0 und x 0 . Das Symmetriezentrum befindet sich jetzt an der Stelle x 0 , an der die Funktion ihren größten Wert annimmt (absolutes Maximum y max ¼ a). Der Parameter b bestimmt dabei im Wesentlichen die Breite der Kurve (Breitenparameter). Bild III-165 zeigt den Verlauf dieser Glockenkurve. y a Max y = a · e – b( x – x 0 ) 2 Bild III-165 Graph der Gauß-Funktion y ¼ a e b ðx x 0 Þ 2 x x0 12 Logarithmusfunktionen 12.1 Grundbegriffe Jede positive reelle Zahl r ist als Potenz einer beliebigen positiven Basiszahl a mit a 6¼ 1 darstellbar: r ¼ ax ðr > 0, a > 0 und a 6¼ 1Þ ðIII-167Þ 12 Logarithmusfunktionen 293 Für den Exponenten x führt man die Bezeichnung „Logarithmus von r zur Basis a“ ein und kennzeichnet ihn durch das Symbol ðIII-168Þ x ¼ log a r Der Logarithmus von r zur Basis a ist demnach diejenige Zahl x, mit dem die Basis a zu potenzieren ist, um die Zahl r zu erhalten. Daher gilt: r ¼ ax & , x ¼ log a r ðIII-169Þ Beispiele (1) 1000 ¼ 10 3 , log 10 1000 ¼ log 10 10 3 ¼ 3 (2) log 2 32 ¼ 5 , 32 ¼ 2 5 (3) 0,01 ¼ 10 2 , log 10 0,01 ¼ log 10 10 2 ¼ 2 & Man beachte, dass Logarithmen definitionsgemäß nur für positive Zahlen und eine positive Basis a mit a 6¼ 1 erklärt sind. Ihre Berechnung erfolgt mit Hilfe spezieller Reihen (siehe hierzu auch Kap. VI). Die Werte werden tabelliert und können dann einer sog. Logarithmentafel entnommen werden oder (bequemer) auf einem Taschenrechner direkt abgelesen werden. Für Logarithmen gelten folgende Rechenregeln (mit u > 0, v > 0 und n 2 R): Rechenregeln für Logarithmen Zahlenbeispiele (1) log a ðu vÞ ¼ log a u þ log a v log 2 ð8 4Þ ¼ log 2 8 þ log 2 4 ¼ 3 þ 2 ¼ 5 81 log 3 ¼ log 3 81 log 3 27 ¼ 4 3 ¼ 1 27 (2) log a u v ¼ log a u log a v (3) log a u n ¼ n log a u log 5 125 4 ¼ 4 log 5 125 ¼ 4 3 ¼ 12 Spezielle Logarithmen Von besonderer Bedeutung ist in den Anwendungen der natürliche Logarithmus: Basiszahl ist die Eulersche Zahl e. Er wird durch das Symbol log e r ln r ðLogarithmus naturalisÞ ðIII-170Þ gekennzeichnet (gelesen: Natürlicher Logarithmus von r). Daneben spielen auch noch die Logarithmen für die Basiszahlen a ¼ 10 und a ¼ 2 eine gewisse Rolle: log 10 r lg r ðZehnerlogarithmusÞ ðIII-171Þ (auch Briggscher oder Dekadischer Logarithmus genannt. Gelesen: Zehnerlogarithmus von r) log 2 r lb r ðZweierlogarithmusÞ (auch Binärlogarithmus genannt. Gelesen: Zweierlogarithmus von r) ðIII-172Þ 294 & III Funktionen und Kurven Beispiele Die folgenden Logarithmen wurden auf einem Taschenrechner abgelesen: ln 50,3 ¼ 3,9180 lg 108,56 ¼ 2,0357 lb 328,9 ¼ 8,3615 ln 0,014 ¼ 4,2687 lg 0,783 ¼ 0,1062 lb 1,772 ¼ 0,8254 & Basiswechsel a ! b Logarithmen lassen sich problemlos von einer Basis a in eine andere Basis b wie folgt umrechnen: log a r 1 log b r ¼ ¼ log a r ¼ K log a r ðIII-173Þ log a b log a b |fflffl{zfflffl} K Folgerung: Bei einem Basiswechsel multiplizieren sich die Logarithmen mit einer Konstanten. Dieser Umrechnungsfaktor bei einem Wechsel von der Basis a zur Basis b ist der Kehrwert von log a b. So gilt beispielsweise für die Umrechnung zwischen dem Zehnerlogarithmus und dem natürlichen Logarithmus: & ln r ¼ lg r lg r ¼ ¼ 2,3026 lg r lg e 0,4343 ðIII-174Þ lg r ¼ ln r ln r ¼ ¼ 0,4343 ln r ln 10 2,3026 ðIII-175Þ Beispiele (1) ln 4,765 ¼ 1,5613 , lg 4,765 ¼ ? lg 4,765 ¼ 0,4343 ln 4,765 ¼ 0,4343 1,5613 ¼ 0,6781 (2) lg 144,08 ¼ 2,1586 , ln 144,08 ¼ ? ln 144,08 ¼ 2,3026 lg 144,08 ¼ 2,3026 2,1586 ¼ 4,9704 (3) Beim Wechsel von der Basis a ¼ e zur Basis b ¼ 2 multiplizieren sich die Logarithmen mit der folgenden Konstante: K ¼ 1 1 1 ¼ ¼ 1,4427 ¼ log e 2 ln 2 0,6931 & 12 Logarithmusfunktionen 295 12.2 Definition und Eigenschaften einer Logarithmusfunktion Die Exponentialfunktionen verlaufen streng monoton (wachsend oder fallend) und sind somit in ihrem Definitionsbereich umkehrbar. Ihre Umkehrfunktionen werden als Logarithmusfunktionen bezeichnet. Definition: Unter der Logarithmusfunktion y ¼ log a x versteht man die Umkehrfunktion der Exponentialfunktion y ¼ a x ða > 0, a 6¼ 1Þ. Die Eigenschaften der Logarithmusfunktionen sind in Tabelle 8 im Einzelnen aufgeführt. Sie ergeben sich unmittelbar aus den Eigenschaften der zugehörigen Exponentialfunktionen. Den Funktionsgraph einer speziellen Logarithmusfunktion erhält man durch Spiegelung der entsprechenden Exponentialfunktion an der Winkelhalbierenden des 1. und 3. Quadranten (siehe hierzu Bild III-167). Tabelle 8: Eigenschaften der Logarithmusfunktionen (Bild III-166) y ¼ ax y ¼ log a x Definitionsbereich 1 < x < 1 0 < x < 1 Wertebereich 0 < y < 1 1 < y < 1 x0 ¼ 1 Nullstellen Monotonie Asymptoten 0 < a < 1: streng monoton fallend a > 1: y ¼ 0 streng monoton wachsend (x-Achse) x ¼ 0 (y-Achse) Anmerkungen (1) Man beachte, dass Logarithmen nur für positive reelle Zahlen ðx > 0Þ und eine positive Basis a 6¼ 1 gebildet werden können. (2) Die Logarithmusfunktionen besitzen unabhängig von der Basis a genau eine Nullstelle bei x 0 ¼ 1: log a 1 ¼ 0 ðIII-176Þ Alle Kurven gehen somit an dieser Stelle durch die x-Achse (siehe hierzu auch Bild III-166). & Beispiele Bild III-166 zeigt den Verlauf der beiden Logarithmusfunktionen y ¼ log 0,5 x (Umkehrfunktion von y ¼ 0,5 x ) und y ¼ ln x (Umkehrfunktion von y ¼ e x ). 296 III Funktionen und Kurven y 3 y = ln x 2 Bild III-166 Funktionsgraphen der logarithmischen Funktionen y ¼ log 0,5 x und y ¼ ln x 1 1 2 3 4 5 6 x –1 y = log 0,5 x –2 –3 & Spezielle Logarithmusfunktionen Von großer praktischer Bedeutung ist die Umkehrfunktion der e-Funktion: y ¼ log e x ln x ðx > 0Þ ðIII-177Þ (natürliche Logarithmusfunktion). Sie wird auch kurz als ln-Funktion bezeichnet. Daneben spielen die Umkehrfunktionen von y ¼ 10 x und y ¼ 2 x nur eine untergeordnete Rolle. Auch sie werden wie folgt durch eigene Symbole gekennzeichnet: y ¼ log 10 x lg x ðx > 0Þ ðIII-178Þ y ¼ log 2 x lb x ðx > 0Þ ðIII-179Þ In Bild III-167 zeigen wir, wie man die Funktionskurve von y ¼ ln x durch Spiegelung der e-Funktion y ¼ e x an der Winkelhalbierenden des 1. und 3. Quadranten erhält. y y = ex y=x 1 y = ln x 1 x Bild III-167 Funktionsgraphen der e-Funktion y ¼ e x und ihrer Umkehrfunktion y ¼ ln x 12 Logarithmusfunktionen 297 Weitere wichtige Rechenregeln (1) (2) log a a x ¼ x log a a ¼ x ðx 2 RÞ |fflffl{zfflffl} 1 x ln e ¼ x ln e ¼ x ðx 2 RÞ |{z} 1 ðIII-180Þ a log a x ¼ x ðIII-182Þ e ln x ¼ x (3) ðIII-181Þ ðx > 0Þ ðx > 0Þ ln f ðxÞ ¼ ln g ðxÞ ðIII-183Þ ) f ðxÞ ¼ g ðxÞ ðIII-184Þ (Entlogarithmierung; f ðxÞ > 0, g ðxÞ > 0) In Abschnitt 11.2 haben wir bereits erwähnt, dass sich jede Exponentialfunktion auf die e-Funktion zurückführen lässt. Mit Hilfe der Rechenregel (III-183) können wir die Exponentialfunktion y ¼ a x wie folgt auf die e-Funktion „umschreiben“: y ¼ a x ¼ e ln a ¼ e x ln a ¼ e ðln aÞ x ¼ e l x x & ðmit l ¼ ln aÞ ðIII-185Þ Beispiele (1) Die Halbwertszeit t einer radioaktiven Substanz ist der Zeitraum, in dem genau die Hälfte der ursprünglich vorhandenen Atomkerne ðn 0 Þ zerfallen ist. Aus dem Zerfallsgesetz n ðtÞ ¼ n 0 e l t ðt 0Þ folgt dann (siehe hierzu auch Bild III-152): n ðtÞ ¼ n 0 e l t ¼ 1 n0 2 oder elt ¼ 1 2 Durch Logarithmieren auf beiden Seiten erhält man schließlich 1 ) ð l tÞ ln e ¼ ln 1 ln 2 ln e l t ¼ ln |{z} |{z} 2 1 0 l t ¼ ln 2 ) t ¼ ) ln 2 0,693 ¼ l l Die Halbwertszeit t einer radioaktiven Substanz ist somit zur Zerfallskonstanten l umgekehrt proportional. 298 (2) III Funktionen und Kurven Beim Aufladen eines Kondensators mit der Kapazität C über einen ohmschen Widerstand R gilt für die Kondensatorspannung u das folgende Zeitgesetz (vgl. hierzu auch Bild III-156): t u ðtÞ ¼ u 0 1 e R C Wir berechnen für die speziellen Werte R ¼ 100 W, C ¼ 10 mF und u 0 ¼ 50 V den Zeitpunkt T, in dem die Kondensatorspannung genau 90 % ihres Endwertes u 0 erreicht hat: u ðTÞ ¼ 90 % von 50 V ¼ 45 V Mit der Zeitkonstanten R C ¼ 100 W 10 5 F ¼ 10 3 s ¼ 1 ms ð1 mF ¼ 10 6 FÞ erhalten wir die folgende Bestimmungsgleichung für T: T 45 V ¼ 50 V 1 e 1 ms Wir dividieren jetzt durch 50 V und isolieren dann die e-Funktion: T 0,9 ¼ 1 e 1 ms ) T e 1 ms ¼ 0,1 Beide Seiten werden jetzt logarithmiert: T T ln e 1 ms ¼ ln 0,1 ) ln e ¼ ln 0,1 |{z} 1 ms 1 T ¼ 2,3026 ) T ¼ 2,3026 ms 2,3 ms 1 ms ) Nach rund 2,3 ms erreicht die Kondensatorspannung 90 % ihres Endwertes & u 0 ¼ 50 V. 12.3 Exponential- und Logarithmusgleichungen Exponentialgleichungen Eine Exponentialgleichung liegt vor, wenn die unbekannte Größe nur im Exponenten von Potenzausdrücken auftritt. Ein allgemeines Lösungsverfahren für Gleichungen dieser Art lässt sich leider nicht angeben. In vielen Fällen jedoch gelingt es, die Exponentialgleichung mit Hilfe von elementaren Umformungen und anschließendem Logarithmieren zu lösen. Wir geben zwei einfache Beispiele. 12 Logarithmusfunktionen & 299 Beispiele (1) Die Exponentialgleichung e cos x ¼ 1 kann wie folgt durch Logarithmieren gelöst werden: ln e cos x ¼ ln 1 ¼ 0 x k ¼ p=2 þ k p ) ðcos xÞ ln e ¼ cos x ¼ 0 |{z} 1 ðk 2 ZÞ ) Die Gleichung besitzt demnach unendlich viele Lösungen (es sind die Nullstellen der Kosinusfunktion). (2) 2x þ 4 2x 5 ¼ 0 2x þ oder 4 5 ¼ 0 2x Wir lösen diese Exponentialgleichung durch die Substitution z ¼ 2 x und erhalten eine quadratische Gleichung mit zwei reellen Lösungen: zþ 4 5 ¼ 0j z z oder z2 5 z þ 4 ¼ 0 z2 þ 4 5 z ¼ 0 rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 5 25 5 3 4 ¼ ) z1 ¼ 4 , z 1=2 ¼ 2 4 2 2 z2 ¼ 1 Nach Rücksubstitution und anschließendem Logarithmieren folgt schließlich: 2x ¼ z1 ¼ 4 ) ln 2 x ¼ ln 4 ¼ ln 2 2 x ln 2 ¼ 2 ln 2 j : ln 2 2x ¼ z2 ¼ 1 ) ) ) x1 ¼ 2 ln 2 x ¼ ln 1 ¼ 0 ) x ln 2 ¼ 0 ) x2 ¼ 0 Die Exponentialgleichung besitzt somit die Lösungen x 1 ¼ 2 und x 2 ¼ 0. & Logarithmusgleichungen Gleichungen, in denen die Unbekannte nur im Argument von Logarithmusfunktionen auftritt, werden als logarithmische Gleichungen bezeichnet. Sie können häufig nach elementaren Umformungen und einer sich anschließenden Entlogarithmierung gelöst werden, wie die folgenden Beispiele zeigen werden. & Beispiele (1) lg ð4 x 5Þ ¼ 1,5 ð4 x 5 > 0, d: h: x > 1,25Þ Diese logarithmische Gleichung kann durch Entlogarithmierung wie folgt gelöst werden (die Basis 10 wird mit der linken bzw. rechten Seite der Gleichung potenziert): 10 lg ð4 x 5Þ ¼ 10 1,5 ) 4 x ¼ 36,6228 x 1 ¼ 9,1557 ) 4 x 5 ¼ 10 1,5 ¼ 31,6228 ) Die Logarithmusgleichung besitzt genau eine Lösung x 1 ¼ 9,1557. 300 (2) III Funktionen und Kurven ln ðx 2 1Þ ¼ ln x þ 1 Die gesuchten Lösungen dieser Gleichung müssen die Bedingungen x 2 1 > 0 und x > 0 erfüllen. Nur dann sind die logarithmischen Terme definiert. Somit sind nur Lösungen aus dem Intervall x > 1 möglich. Da 1 ¼ ln e ist, lässt sich die Gleichung unter Verwendung der bekannten Rechenregeln für Logarithmen wie folgt umformen: ln ðx 2 1Þ ¼ ln x þ 1 ¼ ln x þ ln e ¼ ln ðe xÞ Durch Entlogarithmieren erhalten wir schließlich eine quadratische Gleichung mit zwei reellen Lösungen: e ln ðx x 1=2 ¼ e ln ðe xÞ ) x 2 1 ¼ e x ) rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi e e2 þ 1 ¼ 1,3591 1,6874 ¼ 2 4 2 1Þ x2 ex 1 ¼ 0 ) Wegen der Bedingung x > 1 kommt allerdings nur die positive Lösung & x 1 ¼ 1,3591 þ 1,6874 ¼ 3,0465 infrage. 13 Hyperbel- und Areafunktionen 13.1 Hyperbelfunktionen 13.1.1 Definition der Hyperbelfunktionen In den Anwendungen treten vereinzelt Funktionen auf, die in der mathematischen Literatur unter der Bezeichnung Hyperbelfunktionen bekannt sind. Sie setzen sich aus den beiden speziellen Exponentialfunktionen y ¼ e x und y ¼ e x wie folgt zusammen: Definition: Die Definitionsgleichungen der Hyperbelfunktionen lauten: Sinus hyperbolicus: y ¼ sinh x ¼ 1 x ðe e x Þ 2 ðIII-186Þ Kosinus hyperbolicus: y ¼ cosh x ¼ 1 x ðe þ e x Þ 2 ðIII-187Þ Tangens hyperbolicus: y ¼ tanh x ¼ ex ex ex þ ex ðIII-188Þ Kotangens hyperbolicus: y ¼ coth x ¼ ex þ ex ex ex ðIII-189Þ 13 Hyperbel- und Areafunktionen 301 Anmerkungen (1) blich sind auch die folgenden Bezeichnungen für die vier Hyperbelfunktionen: Hyperbelsinus, Hyperbelkosinus, Hyperbeltangens und Hyperbelkotangens. (2) Die Bezeichnungen dieser Funktionen lassen auf eine gewisse Verwandtschaft mit der Hyperbel und den trigonometrischen Funktionen schließen. hnlich wie sich die trigonometrischen Funktionen am Einheitskreis darstellen lassen, kann man die Hyperbelfunktionen an der (rechtwinkligen) Einheitshyperbel erklären (wir wollen darauf aber nicht näher eingehen). Zwischen den Hyperbelfunktionen bestehen ferner analoge Beziehungen wie zwischen den Winkelfunktionen. Durch eine formale Substitution gewinnt man aus einer trigonometrischen Beziehung stets eine entsprechende hyperbolische Beziehung. Im Gegensatz zu den trigonometrischen Funktionen sind die Hyperbelfunktionen jedoch nicht-periodische Funktionen. 13.1.2 Die Hyperbelfunktionen y ¼ sinh x und y ¼ cosh x Die Eigenschaften der in Bild III-168 skizzierten (überall definierten und stetigen) Hyperbelfunktionen y ¼ sinh x und y ¼ cosh x sind in Tabelle 9 zusammengestellt. Tabelle 9: Eigenschaften der Hyperbelfunktionen y ¼ sinh x und y ¼ cosh x (Bild III-168) y ¼ sinh x y ¼ cosh x Definitionsbereich 1 < x < 1 1 < x < 1 Wertebereich 1 < y < 1 1 y < 1 Symmetrie ungerade gerade Nullstellen x0 ¼ 0 x 0 ¼ 0 (Minimum) Extremwerte Monotonie streng monoton wachsend y ¼ Asymptoten 1 ex 2 (für x ! 1) y ¼ 1 ex 2 (für x ! 1) 302 III Funktionen und Kurven y y = sinh x y = cosh x 1 & Bild III-168 Funktionsgraphen der Hyperbelfunktionen y ¼ sinh x und y ¼ cosh x 1 x Beispiele (1) Mit einem Taschenrechner wurden die folgenden Funktionswerte ermittelt: sinh 1,3 ¼ 1,6984 cosh 0,8 ¼ 1,3374 sinh ð 0,5Þ ¼ 0,5211 cosh ð 1,5Þ ¼ 2,3524 sinh 10 cosh 10 (2) 1 e 10 ¼ 11 013,2329 2 Eine an zwei Punkten P 1 und P 2 in gleicher Höhe befestigte, freihängende Kette nimmt unter dem Einfluss der Schwerkraft die geometrische Form einer sog. Kettenlinie an, die durch die hyperbolische Funktion y ¼ a cosh ðx=aÞ ða : Parameter mit a > 0Þ beschrieben wird (Bild III-169). y P2 P1 a Bild III-169 Kettenlinie x & 13 Hyperbel- und Areafunktionen 303 13.1.3 Die Hyperbelfunktionen y ¼ tanh x und y ¼ coth x Die Hyperbelfunktionen y ¼ tanh x und y ¼ coth x besitzen die in Tabelle 10 aufgeführten Eigenschaften. Die zugehörigen Kurven sind in Bild III-170 dargestellt. y y = coth x Asymptote Bild III-170 Funktionsgraphen der Hyperbelfunktionen y ¼ tanh x und y ¼ coth x 1 y = tanh x –1 1 x –1 Asymptote y = coth x Tabelle 10: Eigenschaften der Hyperbelfunktionen y ¼ tanh x und y ¼ coth x (Bild III-170) y ¼ tanh x y ¼ coth x Definitionsbereich 1 < x < 1 jxj > 0 Wertebereich 1 < y < 1 jyj > 1 Symmetrie ungerade ungerade Nullstellen x0 ¼ 0 x0 ¼ 0 Pole Monotonie Asymptoten streng monoton wachsend y ¼ 1 (für x ! 1) y ¼ 1 (für x ! 1) x ¼ 0 (Polgerade) y ¼ 1 (für x ! 1) y ¼ 1 (für x ! 1) 304 & III Funktionen und Kurven Beispiele Auf einem Taschenrechner wurden folgende Funktionswerte abgelesen: tanh 2 ¼ 0,9640 coth 1,2 ¼ 1,1995 tanh ð 1,4Þ ¼ 0,8854 coth ð 2,3Þ ¼ 1,0203 tanh 5 ¼ 0,9999 1 coth 5 ¼ 1,0001 1 & 13.1.4 Wichtige Beziehungen zwischen den Hyperbelfunktionen Aus den Definitionsgleichungen (III-186) bis (III-189) folgen unmittelbar die folgenden Beziehungen: tanh x ¼ sinh x , cosh x coth x ¼ cosh x 1 ¼ sinh x tanh x ðIII-190Þ Von Bedeutung sind auch die sog. Additionstheoreme für sinh x, cosh x und tanh x. Sie lauten: Additionstheoreme der Hyperbelfunktionen sinh ðx 1 x 2 Þ ¼ sinh x 1 cosh x 2 cosh x 1 sinh x 2 ðIII-191Þ cosh ðx 1 x 2 Þ ¼ cosh x 1 cosh x 2 sinh x 1 sinh x 2 ðIII-192Þ tanh ðx 1 x 2 Þ ¼ tanh x 1 tanh x 2 1 tanh x 1 tanh x 2 ðIII-193Þ Aus ihnen gewinnt man weitere wichtige Beziehungen wie z. B.: cosh 2 x sinh 2 x ¼ 1 ð,,Hyperbolischer Pythagoras‘‘) ðIII-194Þ sinh ð2 xÞ ¼ 2 sinh x cosh x ðIII-195Þ cosh ð2 xÞ ¼ sinh 2 x þ cosh 2 x ðIII-196Þ Die Exponentialfunktionen y ¼ e x und y ¼ e x lassen sich durch die Hyperbelfunktionen y ¼ sinh x und y ¼ cosh x wie folgt ausdrücken: e x ¼ cosh x þ sinh x und e x ¼ cosh x sinh x ðIII-197Þ Ferner gilt für n 2 N* die Formel von Moivre: ðcosh x sinh xÞ n ¼ cosh ðn xÞ sinh ðn xÞ ¼ e n x ðIII-198Þ 13 Hyperbel- und Areafunktionen 305 13.2 Areafunktionen 13.2.1 Definition der Areafunktionen Die hyperbolischen Funktionen y ¼ sinh x und y ¼ tanh x sind in ihrem gesamten Definitionsbereich streng monoton wachsende Funktionen und daher dort umkehrbar. Bei der Hyperbelfunktion y ¼ cosh x müssen wir uns jedoch auf ein Teilintervall beschränken, in dem die Funktion ein streng monotones Verhalten zeigt und dabei sämtliche Funktionswerte durchläuft. Wir wählen das Intervall x 0. Die hyperbolische Funktion y ¼ coth x ist in den Teilintervallen x < 0 und x > 0 jeweils streng monoton fallend, durchläuft dabei den gesamten Wertevorrat und ist daher in diesen Teilintervallen umkehrbar. Die Umkehrung der Hyperbelfunktionen in den genannten Bereichen führt zu den Areafunktionen. Definition: Die Umkehrfunktionen der Hyperbelfunktionen heißen Areafunktionen. Bezeichnung und Schreibweise dieser Funktionen lauten: Areasinus hyperbolicus: y ¼ arsinh x Areakosinus hyperbolicus: y ¼ arcosh x Areatangens hyperbolicus: y ¼ artanh x Areakotangens hyperbolicus: y ¼ arcoth x Anmerkung Auf dem Taschenrechner werden diese Funktionen häufig auch sinh 1 x, cosh 1 x usw. bezeichnet (nicht zu verwechseln mit den Kehrwerten). 13.2.2 Die Areafunktionen y ¼ arsinh x und y ¼ arcosh x Die wesentlichen Eigenschaften der Areafunktionen y ¼ arsinh x und y ¼ arcosh x sind in Tabelle 11 zusammengestellt. Ihren Kurvenverlauf erhält man aus den Funktionsbildern der entsprechenden Hyperbelfunktionen durch Spiegelung an der Winkelhalbierenden des 1. und 3. Quadranten (Bild III-171). Tabelle 11: Eigenschaften der Areafunktionen y ¼ arsinh x und y ¼ arcosh x (Bild III-171) y ¼ arsinh x y ¼ arcosh x Definitionsbereich 1 < x < 1 1 x < 1 Wertebereich 1 < y < 1 0 y < 1 Symmetrie ungerade Nullstellen x0 ¼ 0 x0 ¼ 1 Monotonie streng monoton wachsend streng monoton wachsend 306 III Funktionen und Kurven y y = arcosh x 1 –1 1 x –1 y = arsinh x Bild III-171 Funktionsgraphen der Areafunktionen y ¼ arsinh x und y ¼ arcosh x 13.2.3 Die Areafunktionen y ¼ artanh x und y ¼ arcoth x Die Areafunktionen y ¼ artanh x und y ¼ arcoth x besitzen die in der Tabelle 12 aufgeführten Eigenschaften und den in Bild III-172 skizzierten Funktionsverlauf. Tabelle 12: Eigenschaften der Areafunktionen y ¼ artanh x und y ¼ arcoth x (Bild III-172) y ¼ artanh x y ¼ arcoth x Definitionsbereich 1 < x < 1 jxj > 1 Wertebereich 1 < y < 1 jyj > 0 Symmetrie ungerade ungerade Nullstellen x0 ¼ 0 Pole x 1=2 ¼ 1 Monotonie streng monoton wachsend Asymptoten x ¼ 1 (Polgeraden) x 1=2 ¼ 1 x ¼ 1 (Polgeraden) y ¼ 0 (für x ! 1) 13 Hyperbel- und Areafunktionen 307 y y = arcoth x 1 –1 1 x –1 y = artanh x y = arcoth x Bild III-172 Funktionsgraphen der Areafunktionen y ¼ artanh x und y ¼ arcoth x 13.2.4 Darstellung der Areafunktionen durch Logarithmusfunktionen Die Areafunktionen lassen sich unter Verwendung der ln-Funktion auch wie folgt als logarithmische Funktionen darstellen: Darstellung der Areafunktionen durch Logarithmusfunktionen pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð 1 < x < 1Þ y ¼ arsinh x ¼ ln ðx þ x 2 þ 1Þ y ¼ arcosh x ¼ ln ðx þ 1 ln y ¼ artanh x ¼ 2 1 y ¼ arcoth x ¼ ln 2 & pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 2 1Þ 1þx 1x ðIII-199Þ ðx 1Þ ðIII-200Þ ðj x j < 1Þ ðIII-201Þ ðj x j > 1Þ ðIII-202Þ x þ1 x 1 Beispiele Ein Taschenrechner liefert die folgenden Funktionswerte: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi arsinh 1,5 ¼ ln ð1,5 þ 1,5 2 þ 1Þ ¼ 1,1948 arsinh ð 3,47Þ ¼ ln ð 3,47 þ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð 3,47Þ 2 þ 1Þ ¼ 1,9574 308 III Funktionen und Kurven arcosh 12,8 ¼ ln ð12,8 þ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 12,8 2 1Þ ¼ 3,2411 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi arcosh 1,03 ¼ ln ð1,03 þ 1,03 2 1Þ ¼ 0,2443 1 1 þ 0,72 ln ¼ 0,9076 artanh 0,72 ¼ 2 1 0,72 1 1 0,29 artanh ð 0,29Þ ¼ ln ¼ 0,2986 2 1 þ 0,29 1 14,7 þ 1 ln ¼ 0,0681 arcoth 14,7 ¼ 2 14,7 1 & 13.2.5 Ein Anwendungsbeispiel: Freier Fall unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes Im luftleeren Raum erfährt bekanntlich jeder Körper die gleiche konstante Fallbeschleunigung g, so dass die Fallgeschwindigkeit v proportional zur Fallzeit t wächst: v ¼ v ðtÞ ¼ g ðtÞ ðt 0Þ ðIII-203Þ In einem t, v-Diagramm erhält man den in Bild III-173a) skizzierten linearen Verlauf. Wesentlich anders liegen die Verhältnisse bei Berücksichtigung des Luftwiderstandes. Wir behandeln dieses Problem ausführlich in den Anwendungen der Integralrechnung (Kap. V) sowie im Zusammenhang mit den Differentialgleichungen in Band 2 (Kap. IV). An dieser Stelle teilen wir nur das Ergebnis mit. Wird die Reibungskraft R proportional zum Quadrat der Geschwindigkeit v angenommen, R ¼ k v 2 (k ist dabei eine positive Konstante), so erhält man für die Abhängigkeit der Fallgeschwindigkeit v von der Fallzeit t die hyperbolische Funktion g v ¼ v ðtÞ ¼ v E tanh t ðt 0Þ ðIII-204Þ vE pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi m g=k Þ. Bild III-173 b) verdeutlicht, wie sich die Fallgeschwindigkeit v im ðv E ¼ Laufe der Zeit, d. h. für t ! 1 asymptotisch ihrem Endwert g v 1 ¼ lim v E tanh t ¼ vE ðIII-205Þ vE t!1 nähert. Physikalische Deutung: Die Endgeschwindigkeit v E wird erreicht, wenn sich Gewichtskraft G ¼ m g und Luftwiderstand R ¼ k v 2 das Gleichgewicht halten und die Fallbewegung damit kräftefrei geworden ist: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi m g=k ðIII-206Þ k v 2E ¼ m g ) v E ¼ bungsaufgaben 309 v v vE v = v E · tanh g t vE v = gt t t a) b) Bild III-173 Abhängigkeit der Fallgeschwindigkeit v von der Fallzeit t a) ohne Berücksichtigung des Luftwiderstandes b) mit Berücksichtigung des Luftwiderstandes bungsaufgaben Zu Abschnitt 1 1) Bestimmen Sie für die folgenden Funktionen den größtmöglichen Definitionsbereich sowie den Wertebereich: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x bÞ y ¼ x 2 1 cÞ y ¼ ln j x j aÞ y ¼ 2 x þ1 dÞ y ¼ x2 4 x 2 16 y ¼ eÞ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 2 0,5 x 3 fÞ y ¼ x 1 x þ1 2) Bestimmen Sie den jeweils größtmöglichen Definitionsbereich und zeichnen Sie anschließend den Funktionsgraphen: aÞ y ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2x þ 6 bÞ y ¼ 1 jx 1j cÞ y ¼ ejxj 310 III Funktionen und Kurven 3) Bei einem schwingungsfähigen mechanischen System werden folgende Auslenkungen in Abhängigkeit von der Zeit gemessen (aperiodisches Verhalten): t=s 0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 0,6 y=cm 4 2,87 2,01 1,37 0,90 0,55 0,30 t=s 0,7 0,8 0,9 1 1,1 1,2 1,3 y=cm 0,12 0 0,08 0,14 0,17 0,18 0,19 t=s 1,4 1,5 1,6 1,7 1,8 1,9 2 y=cm 0,18 0,17 0,16 0,15 0,14 0,12 0,11 t=s 2,3 2,5 3 3,5 y=cm 0,08 0,06 0,03 0,01 Skizzieren Sie den Funktionsverlauf y ¼ y ðtÞ in einem geeigneten Maßstab. 4) Eine Funktion ist durch die Parametergleichungen pffiffiffiffi x ðtÞ ¼ 0,5 t , y ðtÞ ¼ t þ t 2 ðt 0Þ definiert. Stellen Sie die Funktion explizit, d. h. in der Form y ¼ y ðxÞ dar und skizzieren Sie den Funktionsverlauf im Intervall 0 t 15 (Schrittweite: Dt ¼ 1). Welche Koordinaten gehören zu den Parameterwerten t 1 ¼ 1,5 und t 2 ¼ 5? Zu Abschnitt 2 1) Bestimmen Sie das Symmetrieverhalten der folgenden Funktionen in ihrem maximalen Definitionsbereich: x3 þ1 cÞ y ¼ sin x cos x x2 1 1 þ x2 fÞ y ¼ aÞ y ¼ 4 x 2 16 bÞ y ¼ dÞ y ¼ j x 2 4 j eÞ y ¼ hÞ y ¼ 4 sin 2 x gÞ y ¼ 1 x 1 x2 2) Wo besitzen die folgenden Funktionen Nullstellen? x2 9 x þ1 aÞ y ¼ cÞ y ¼ x 4 4 x 2 45 p bÞ y ¼ sin x 4 dÞ y ¼ ðx 1Þ e x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 2 25 bungsaufgaben 3) 311 Untersuchen Sie die folgenden Funktionen auf Monotonie: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi bÞ y ¼ x 1 ðx 1Þ cÞ y ¼ x 3 þ 2 x aÞ y ¼ x 4 dÞ y ¼ jx2 2x þ 1j ðx 1Þ fÞ y ¼ 2 ln ð2 x 4Þ eÞ y ¼ e2x ðx > 2Þ 4) Zeigen Sie: Die Funktion y ¼ 2 sin t 4 cos t besitzt die Periode p ¼ 2 p. 5) Wie lauten die Umkehrfunktionen von: aÞ y ¼ 1 2x ðx > 0Þ bÞ y ¼ pffiffiffiffiffiffiffi 3 x ðx > 0Þ y ¼ 2 e x 0,5 cÞ Zu Abschnitt 3 1) Wie ändert sich die Funktionsgleichung von y ¼ x 2 sin x þ 3 a) bei Verschieben der Kurve um drei Einheiten in positiver x-Richtung und zwei Einheiten in negativer y-Richtung, b) bei Verschieben der Kurve um jeweils fünf Einheiten in positiver x-Richtung und positiver y-Richtung? 2) Führen Sie die Parabel mit der Funktionsgleichung y ¼ 2 x 2 16 x þ 28,5 durch eine geeignete Koordinatentransformation (Parallelverschiebung) auf die Parabel y ¼ 2 x 2 zurück. p 2 3) Zeigen Sie, dass die Sinuskurve mit der Funktionsgleichung y ¼ sin x 4 durch Parallelverschiebung der Sinuskurve y ¼ sin x entsteht. 4) Der Mittelpunktskreis x 2 þ y 2 ¼ 16 soll parallel zu den Koordinatenachsen so verschoben werden, dass sein Mittelpunkt in den Punkt M ¼ ð 2; 5Þ fällt. Wie verändert sich dabei die Kreisgleichung? 5) Wie lauten die Polarkoordinaten folgender Punkte? P 1 ¼ ð4; 12Þ P 2 ¼ ð 3; 3Þ P 3 ¼ ð5; 4Þ 6) Von einem Punkt P sind die Polarkoordinaten r, j bekannt. Wie lauten seine kartesischen Koordinaten? aÞ P: r ¼ 10, j ¼ 35 bÞ P: r ¼ 3,56, j ¼ 256,5 7) Skizzieren Sie den Verlauf der folgenden, in Polarkoordinaten dargestellten Kurven: aÞ r ðjÞ ¼ 1 þ sin j ð0 j < 2 pÞ bÞ r ðjÞ ¼ e 0,5 j ð0 j pÞ 312 III Funktionen und Kurven 8) Gegeben ist die in kartesischen Koordinaten dargestellte Kurve mit der (impliziten) Funktionsgleichung ðx 2 þ y 2 Þ 2 2 x y ¼ 0. a) Wie lautet die Funktionsgleichung in Polarkoordinaten? b) Skizzieren Sie den Kurvenverlauf. Zu Abschnitt 4 1) Bestimmen Sie das Bildungsgesetz der unendlichen Folgen: aÞ 0,2; 0,04; 0,008; . . . 1 4 9 ; ; ; ... 2 3 4 bÞ cÞ 1 2 3 ; ; ; ... 2 4 8 2) Zeichnen Sie den Graph der Zahlenfolge n2 ha n i ¼ ðn 2 N*Þ n 2 þ 10 3) Bestimmen Sie den Grenzwert der Zahlenfolgen für n ! 1: 2 2n þ 1 n þ4 bÞ ha n i ¼ aÞ ha n i ¼ 4n n cÞ ha n i ¼ n2 þ 4 n 1 n2 3 n 4) Berechnen Sie (gegebenenfalls nach elementaren Umformungen) die folgenden Grenzwerte: aÞ lim x!1 dÞ lim x!2 fÞ x2 1 x2 þ 1 bÞ ðx 2Þ ð3 x þ 1Þ 4x 8 eÞ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1þx 1 lim x x!0 lim x!3 lim x!1 gÞ lim x!1 x 2 x 12 x þ3 cÞ x!0 sin ð2 xÞ sin x x3 2x þ 3 x2 þ 1 x2 x2 4x þ 1 5) Welchen Grenzwert besitzt die Funktion f ðxÞ ¼ 1x pffiffiffiffi 1 x hÞ lim x!1 x4 1 x 1 für x ! 1? Anleitung: Erweitern Sie zunächst die Funktionsgleichung mit 1 þ 6) Zeigen Sie: Die Funktion f ðxÞ ¼ Grenzwert g ¼ 0. lim pffiffiffiffi x. pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffi x þ 2 x besitzt für x ! 1 den bungsaufgaben 313 7) An welchen Stellen besitzen die folgenden Funktionen Definitionslücken? aÞ y ¼ x þ2 x 4 dÞ y ¼ 1 sin x bÞ y ¼ x2 þ 4x þ 8 x2 þ 3x þ 2 cÞ y ¼ sin x x 8) Zeigen Sie, dass die Funktion 8 9 x 0= < x f ðxÞ ¼ f ür : ; x 2 x > 0 an der Stelle x 0 ¼ 0 unstetig ist. 9) Zeigen Sie: Die für alle x 2 R definierte Funktion 8 2 9 x 1 > > > > > x 6¼ 1 > < = x 1 f ðxÞ ¼ f ür > > > > > > : ; 2 x ¼ 1 ist an der Stelle x 0 ¼ 1 stetig. 10) Lassen sich die Definitionslücken der Funktion y ¼ x2 x beheben? x3 x2 þ x 1 Zu Abschnitt 5 1) Geben Sie die Funktionsgleichung der durch P 1 ¼ ð1,5; 2Þ und P 2 ¼ ð 3; 3Þ verlaufenden Gerade in der Hauptform und in der Achsenabschnittsform an. 2) Der elektrische Widerstand R eines Leiters ist temperaturabhängig: R ¼ R 0 ð1 þ a D#Þ (R 0 : Widerstand bei 20 C; a > 0: Temperaturkoeffizient; D#: Temperaturänderung). Welchen Widerstand besitzt eine Kupferleitung bei 50 C, wenn ihr Widerstand bei 20 C genau R 0 ¼ 100 W beträgt ða Cu ¼ 4 10 3 = CÞ? 3) Bringen Sie die folgenden Parabelgleichungen in die Produkt- und Scheitelpunktsform: aÞ y ¼ 2x2 4x þ 3 bÞ y ¼ 5 x 2 þ 20 x þ 20 cÞ y ¼ 2 x 2 þ 10 x dÞ y ¼ 4 x 2 þ 8 x 60 314 III Funktionen und Kurven 4) Gegeben sind die drei Punkte P ¼ ð1; 2Þ, Q ¼ ð4; 3Þ und R ¼ ð8; 0Þ. Wie lautet die Gleichung der durch diese Punkte verlaufenden Parabel in der Normal-, Produkt- und Scheitelpunktsform? Wo liegt der Scheitelpunkt S der Parabel? 5) Die Flugbahn eines Geschosses laute (der Luftwiderstand bleibt unberücksichtigt): y ðxÞ ¼ x 2 þ 5 x þ 4 a) Welche maximale Höhe y max erreicht das Geschoss? b) An welcher Stelle erreicht das Geschoss die Erdoberfläche ðy ¼ 0Þ? 6) Bestimmen Sie die Gleichung der Parabel mit den folgenden Funktionseigenschaften: a) Nullstellen in x 1 ¼ 1 und x 2 ¼ 5 b) Ordinate des Scheitelpunktes: y 0 ¼ 18 7) Zerlegen Sie die folgenden Polynomfunktionen in Linearfaktoren. Wie lautet die jeweilige Produktdarstellung? aÞ y ¼ x 3 4 x 2 þ 4 x 16 bÞ y ¼ 0,5 ð3 x 2 1Þ cÞ y ¼ 3 x 3 þ 18 x 2 33 x dÞ y ¼ 2x3 þ 8x2 8x eÞ y ¼ x 3 6 x 2 12 x 8 8) Skizzieren Sie den Funktionsgraph von z ¼ 4 t 3 16 t 2 þ 16 t unter ausschließlicher Verwendung der Lage und Vielfachheit der Polynomnullstellen. 9) Die folgenden Polynomfunktionen besitzen mindestens eine ganzzahlige Nullstelle. Bestimmen Sie die übrigen Nullstellen und geben Sie die Funktionen in der Produktform an: aÞ y ¼ x3 2x2 5x þ 6 bÞ z ¼ 2t4 2t3 4t þ 8 10) Berechnen Sie den Funktionswert des Polynoms f ðxÞ an der Stelle x 0 unter Verwendung des Horner-Schemas: aÞ f ðxÞ ¼ 4,5 x 3 5,1 x 2 þ 4 x 3, x 0 ¼ 1,51 bÞ f ðxÞ ¼ 9,32 x 3 2,54 x þ 10,56, x 0 ¼ 3,56 11) Zeigen Sie: Die Polynomfunktion y ¼ 3 x 3 þ 18 x 2 þ 9 x 30 besitzt an der Stelle x 1 ¼ 5 eine Nullstelle. Bestimmen Sie unter Verwendung des HornerSchemas das 1. reduzierte Polynom, die übrigen Nullstellen sowie den Funktionswert an der Stelle x 0 ¼ 3,25. Skizzieren Sie grob den Funktionsverlauf. bungsaufgaben 315 12) Von einer ganzrationalen Funktion 4. Grades sind folgende Eigenschaften bekannt: a) y ðxÞ ist eine gerade Funktion; b) Nullstellen liegen bei x 1 ¼ 3 und x 2 ¼ 6; c) Der Funktionsgraph schneidet die y-Achse an der Stelle y ð0Þ ¼ 3. Wie lautet die Funktionsgleichung? 13) Die folgenden Polynomfunktionen besitzen mindestens zwei ganzzahlige Nullstellen. Berechnen Sie unter Verwendung des Horner-Schemas sämtliche Nullstellen der Funktionen. aÞ y ¼ x 4 x 3 x 2 x 2 bÞ y ¼ 2 x 4 þ 8 x 3 12 x 2 8 x þ 10 14) Bestimmen Sie das jeweilige Interpolationspolynom von Newton durch die vorgegebenen Stützpunkte: aÞ P 0 ¼ ð 1; 2Þ, P 1 ¼ ð1; 10Þ, P 2 ¼ ð2; 11Þ, P 3 ¼ ð5; 10Þ bÞ P 0 ¼ ð 1; 13,1Þ, P 1 ¼ ð2; 17,9Þ, P 2 ¼ ð4; 32,9Þ, P 3 ¼ ð6; 322,9Þ cÞ A ¼ ð 4; 50,05Þ, B ¼ ð1; 7,8Þ, C ¼ ð2; 4,55Þ, D ¼ ð5; 91Þ dÞ P 0 ¼ ð 4; 594Þ, P 1 ¼ ð 2; 252Þ, P 2 ¼ ð1; 96Þ, P 3 ¼ ð3; 48Þ, P 4 ¼ ð8; 198Þ 15) Von der logarithmischen Funktion y ¼ ln ð1 þ x 2 Þ 1 x 2 folgende fünf Werte bekannt: sind im Intervall k 0 1 2 3 4 xk 1 1,25 1,5 1,75 2 yk 0,693 147 0,940 983 1,178 655 1,401 799 1,609 438 Bestimmen Sie das Newtonsche Interpolationspolynom 4. Grades durch diese Punkte und berechnen Sie mit dieser Näherungsfunktion den Funktionswert an den Stellen x 1 ¼ 1,1 und x 2 ¼ 1,62. Vergleichen Sie die berechneten Werte mit den exakten Funktionswerten. 316 III Funktionen und Kurven Zu Abschnitt 6 1) Wo besitzen die folgenden gebrochenrationalen Funktionen Nullstellen, wo Pole? aÞ y ¼ x2 þ x 2 x 2 bÞ y ¼ x 3 5 x 2 2 x þ 24 x3 þ 3x2 þ 2x cÞ y ¼ x2 2x þ 1 x2 1 dÞ y ¼ x3 4x2 4x x4 4 eÞ y ¼ ðx 2 1Þ ðx 2 25Þ x3 þ 4x2 5x 2) Bestimmen Sie für die folgenden gebrochenrationalen Funktionen Nullstellen, Pole und ihre Asymptote im Unendlichen und skizzieren Sie grob den Funktionsverlauf: aÞ y ¼ x2 4 x2 þ 1 bÞ y ¼ cÞ y ¼ x3 5x2 þ 8x 4 x 3 6 x 2 þ 12 x 8 dÞ y ¼ x 3 6 x 2 þ 12 x 8 x2 4 ðx 1Þ 2 ðx þ 1Þ 2 3) Eine gebrochenrationale Funktion besitzt die folgenden Eigenschaften: a) Nullstellen: x 1 ¼ 2 (einfach), b) Pole: x 3 ¼ 1, x 2 ¼ 4 (doppelt) x 4 ¼ 1 (jeweils von 1. Ordnung) c) Schnittstelle mit der y-Achse: y ð0Þ ¼ 4 Weitere Nullstellen und Pole liegen nicht vor. Wie lautet die Funktionsgleichung? 4) Ein vom Strom I durchflossener Leiter ist von einem Magnetfeld umgeben, dessen Feldlinien in Form konzentrischer Kreise um die Leiterachse verlaufen. Für den Betrag der magnetischen Feldstärke H gilt dabei die Abhängigkeit vom Abstand r von der Leiterachse: H ðrÞ ¼ I 2pr ðr > 0Þ Skizzieren Sie diese Funktion für I ¼ 10 A. Zu Abschnitt 7 1) Skizzieren Sie die Potenzfunktion y ¼ x 3=2 im Intervall 0 < x 3 (Schrittweite: Dx ¼ 0,2). 2) Beim freien Fall ohne Berücksichtigung des Luftwiderstandes erreicht ein Körper pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi nach Durchfallen der Strecke h die Geschwindigkeit v ¼ v ðhÞ ¼ 2 g h . Skizzieren Sie diese Funktion im Intervall 0 h=m 100 ðg ¼ 9,81 m=s 2 Þ. bungsaufgaben 317 Zu Abschnitt 8 1) A ¼ ð2; 1Þ, B ¼ ð 5; 0Þ und C ¼ ð8; 2Þ sind Punkte eines Kreises. Bestimmen Sie die Kreisgleichung. Welchen Radius besitzt der Kreis und wo liegt sein Mittelpunkt? 2) Bestimmen Sie die Gleichung eines Kreises, der die x-Achse in P 1 ¼ ð3; 0Þ berührt und durch den Punkt P 2 ¼ ð0; 1Þ geht. 3) Welche Kegelschnitte werden durch die folgenden algebraischen Gleichungen 2. Grades dargestellt? Wo liegt der Mittelpunkt bzw. Scheitelpunkt? Anleitung: Durch quadratische Ergänzung bringe man die Kegelschnittgleichung auf die jeweilige Hauptform. aÞ x 2 2 x þ y 2 þ 4 y 20 ¼ 0 bÞ x2 y2 4 ¼ 0 cÞ 9 x 2 þ 16 y 2 18 x ¼ 135 dÞ 2 x 2 þ 2 y 2 þ 12 x 6 y ¼ 0 eÞ 2 y 2 9 x þ 12 y ¼ 0 fÞ x2 2 x þ 4 y2 þ 8 y ¼ 2 gÞ 4 x 2 þ 9 y 2 4 x þ 24 y ¼ 127 hÞ y2 þ 2 x ¼ 4 y 4) Ein parabolischer Brückenträger besitzt die Spannweite 200 m. Die Fahrbahn liegt 10 m über den Auflagern und 20 m unterhalb des Scheitelpunktes des Trägers (Bild III-174). Bestimmen Sie die Gleichung des Brückenbogens und die Schnittpunkte von Fahrbahn und Bogen. y Scheitel 20 m Bild III-174 10 m x 200 m Zu Abschnitt 9 und 10 1) Rechnen Sie die folgenden Winkel vom Grad- ins Bogenmaß bzw. vom Bogenins Gradmaß um: Gradmaß Bogenmaß 40,36 278,19 78,46 1,4171 5,6213 118,6 0,0843 318 III Funktionen und Kurven 2) Berechnen Sie die folgenden Funktionswerte: sin 12,5 aÞ bÞ eÞ cos 1,4 cos 128,3 cot 120 3 p jÞ sin 8 fÞ iÞ cot ð 1,46Þ cÞ cos 5,2 dÞ tan ð 3,18Þ gÞ tan 14,8 hÞ sin ð 3,56Þ 3) Leiten Sie aus dem Additionstheorem der Kosinusfunktion die wichtige trigonometrische Beziehung sin 2 x þ cos 2 x ¼ 1 her (sog. trigonometrischer Pythagoras). 4) Die Sinusfunktion y ¼ sin x ist im Intervall 0 x p durch eine Parabel zu ersetzen, die mit ihr in den beiden Nullstellen und dem Extremwert (Maximum) übereinstimmt. Wie lautet die Funktionsgleichung der Parabel? 5) Bestimmen Sie für die folgenden Funktionen Amplitude A, Periode p und Phasenverschiebung x 0 : p bÞ y ¼ 5 cos ð2 x þ 4,2Þ aÞ y ¼ 2 sin 3 x 6 p cÞ y ¼ 10 sin ðp x 3 pÞ dÞ y ¼ 2,4 cos 4 x 2 6) Skizzieren Sie den Funktionsverlauf von: y ¼ 4 sin ð3 x þ 2Þ aÞ bÞ y ¼ 2 cos ð2 x pÞ 7) Von einer Sinusschwingung der Form y ðtÞ ¼ A sin ðw t þ jÞ mit A > 0 und w > 0 sind folgende Daten bekannt: a) Das 1. Maximum y max ¼ 5 cm wird nach t 1 ¼ 3 s, b) das 1. Minimum y min ¼ 5 cm nach t 2 ¼ 10 s erreicht. Bestimmen Sie A, w und j und skizzieren Sie den Funktionsverlauf. 8) Wie lautet die Funktionsgleichung des in Bild III-175 skizzierten sinusförmigen Wechselstroms i ðtÞ ¼ i 0 sin ðw t þ jÞ? i/A 2 Bild III-175 –1 4 –2 9 t / ms bungsaufgaben 319 9) Skizzieren Sie den Funktionsverlauf der folgenden harmonischen Schwingungen: p aÞ y ¼ 2 sin ð2 t 4Þ bÞ y ¼ 3 cos 0,5 t 8 10) Skizzieren Sie die Funktion y ¼ 1 sin 2 x. Wie groß ist ihre Periode, wo liegen ihre Nullstellen und relativen Extremwerte? 11) Die folgenden Schwingungen sind mit Hilfe des Zeigerdiagramms durch eine Sinusschwingung vom Typ y ðtÞ ¼ A sin ðw t þ jÞ mit A > 0 und w > 0 darzustellen (Zeigerdiagramm verwenden!): aÞ cÞ y ¼ 5 cos ð3 t þ pÞ p y ¼ 3 cos 2 t 4 bÞ y ¼ 3 cos ðp t pÞ dÞ y ¼ 4 sin ð0,5 t þ 3Þ 12) Zeigen Sie anhand des Zeigerdiagramms die Richtigkeit der folgenden trigonometrischen Beziehungen: p p bÞ sin t ¼ cos t aÞ cos t ¼ sin t þ 2 2 13) Berechnen Sie die folgenden Funktionswerte: aÞ arcsin 0,563 dÞ 5 arcsin gÞ arcsin 0,926 pffiffiffiffiffiffiffiffi 0,6 bÞ arctan ð 3,128Þ eÞ arctan ðp=3Þ hÞ arccos ð 3 cÞ arccos 0,473 fÞ arccot p pffiffiffiffiffiffiffiffi 0,1 Þ 14) Gegeben sind die beiden gleichfrequenten Wechselspannungen u 1 ðtÞ und u 2 ðtÞ. Berechnen Sie die durch Superposition entstehende resultierende Wechselspannung u ðtÞ ¼ u 1 ðtÞ þ u 2 ðtÞ. aÞ bÞ 9 u 1 ðtÞ ¼ 100 V sin ðw tÞ = p ðw ¼ 500 s 1 Þ ; u 2 ðtÞ ¼ 160 V cos w t 4 p 9 > u 1 ðtÞ ¼ 380 V sin w t > 6 = ðw ¼ 1000 s 1 Þ p > > ; u 2 ðtÞ ¼ 200 V sin w t þ 8 320 III Funktionen und Kurven 15) Bringen Sie die beiden gleichfrequenten mechanischen Schwingungen p y 1 ðtÞ ¼ 12 cm sin 4,5 s 1 t þ 5 und p y 2 ðtÞ ¼ 20 cm cos 4,5 s 1 t þ 3 zur ungestörten berlagerung und berechnen Sie die Amplitude A und Phase j der resultierenden Schwingung. Skizzieren Sie ferner beide Einzelschwingungen sowie die resultierende Schwingung im Zeigerdiagramm. 16) Bestimmen Sie sämtliche reellen Lösungen der folgenden trigonometrischen Gleichungen: aÞ sin ð2 x þ 5Þ ¼ 0,4 bÞ tan 2 ðx þ 1Þ ¼ 1 cÞ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 cos ðx 1Þ ¼ pffiffiffiffiffi 2 dÞ sin x ¼ 17) Beweisen Sie: sin ðarccos xÞ ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 sin 2 x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 x 2 ð 1 x 1Þ 18) x ðtÞ und y ðtÞ seien zwei aufeinander senkrecht stehende Schwingungen gleicher Frequenz. Bestimmen Sie die durch ungestörte berlagerung entstehenden Lissajous-Figuren für: aÞ x ðtÞ ¼ 3 cm sin ð5 s 1 tÞ , bÞ x ðtÞ ¼ 5 cm cos ð2 s 1 tÞ , y ðtÞ ¼ 4 cm cos ð5 s 1 tÞ y ðtÞ ¼ 5 cm sin ð2 s 1 tÞ Zu Abschnitt 11, 12 und 13 1) Eine radioaktive Substanz zerfällt nach dem Zerfallsgesetz n ðtÞ ¼ n 0 e l t ðt 0Þ. Für das Element Radon 222 86 Rn besitzt die Zerfallskonstante l den Wert l ¼ 2,0974 10 6 s 1 . Berechnen Sie die Halbwertszeit t. 2) Wird ein Kondensator mit der Kapazität C über einen ohmschen Widerstand R entladen, so nimmt seine Ladung q exponentiell mit der Zeit t nach der Gleit chung q ðtÞ ¼ q 0 e R C mit t 0 ab. Berechnen Sie denjenigen Zeitpunkt, von dem an die Kondensatorladung unter 10 % ihres Anfangswertes q ð0Þ ¼ q 0 gesunken ist (Zeitkonstante R C ¼ 0,3 ms). h 3) Bestimmen Sie aus der barometrischen Höhenformel p ðhÞ ¼ 1,013 bar e 7991 m den Luftdruck p in den Höhen h 1 ¼ 500 m, h 2 ¼ 1000 m, h 3 ¼ 2000 m, h 4 ¼ 5000 m und h 5 ¼ 8000 m. bungsaufgaben 321 4) Durch die Gleichung y ðtÞ ¼ 2 e 0,2 t cos ðp tÞ mit t 0 wird eine gedämpfte Schwingung beschrieben. Skizzieren Sie den Schwingungsvorgang im Periodenintervall 0 t 2 (Schrittweite: Dt ¼ 0,1). 5) Wir betrachten einen Stromkreis mit einer Induktivität L und einem ohmschen Widerstand R. Beim Einschalten der Gleichspannungsquelle erreicht der Strom i infolge der Selbstinduktion erst nach einiger Zeit den nach dem Ohmschen Gesetz erwarteten Endwert i 0 . Dabei gilt: R ðt 0Þ i ðtÞ ¼ i 0 1 e L t Berechnen Sie für die Werte i 0 ¼ 4 A, R ¼ 5 W und L ¼ 2,5 H den Zeitpunkt, in dem die Stromstärke 95 % ihres Endwertes erreicht hat. Skizzieren Sie die Strom-Zeit-Funktion. 6) Bestimmen Sie die Parameter a und b der Funktion y ¼ a e b x þ 2 so, dass die Punkte A ¼ ð0; 10Þ und B ¼ ð5; 3Þ auf der Kurve liegen. 7) Wie sind die Parameter a und b zu wählen, damit die Kurve y ¼ a e b x durch die Punkte A ¼ ð3,5; 12Þ und B ¼ ð8; 2,4Þ verläuft? 2 8) Eine Flüssigkeit mit der Anfangstemperatur T 0 wird durch ein Kühlmittel mit der (konstanten) Temperatur T 1 gekühlt ðT 1 < T 0 Þ. Die Temperaturabnahme verläuft dabei exponentiell nach der Gleichung T ðtÞ ¼ ðT 0 T 1 Þ e k t þ T 1 ðt 0Þ wobei T ðtÞ die Temperatur der Flüssigkeit zur Zeit t ist. In einem Versuch mit l werden bei einer Kühltemperatur von T 1 ¼ 20 C folgende Werte gemessen: Nach 50 min beträgt die ltemperatur 85 C, nach 150 min dagegen nur noch 30 C. Bestimmen Sie T 0 und k und berechnen Sie anschließend, nach welcher Zeit t 1 das l eine Temperatur von 60 C erreicht hat. 9) Der Kolben eines KFZ-Stoßdämpfers lege beim Einschieben einen Weg x nach dem Zeitgesetz t 0,5 s x ðtÞ ¼ 30 cm 1 e ðt 0 sÞ zurück. Nach welcher Zeit ist der Kolben um 15,2 cm eingeschoben? 10) Der aperiodische Grenzfall einer (gedämpften) Schwingung wird durch eine Funktion vom Typ y ðtÞ ¼ ðA þ B tÞ e l t mit t 0 beschrieben. Skizzieren Sie für A ¼ 3, B ¼ 8 und l ¼ 2 diese „Kriechfunktion“ im Intervall 0 t 3. 322 III Funktionen und Kurven 11) Ein durchhängendes Seil genüge der Gleichung y ¼ a cosh ðx=aÞ (Kettenlinie). Berechnen Sie gemäß der Skizze (Bild III-176) den Durchhang H für die Werte a ¼ 20 m und l ¼ 90 m. y H a Bild III-176 x l 12) Lösen Sie die folgenden Exponentialgleichungen: aÞ e x 2 2x ¼ 2 bÞ ex þ 2 ex ¼ 3 13) Welche Lösungen besitzen die folgenden logarithmischen Gleichungen? pffiffiffiffi aÞ ln x þ 1,5 ln x ¼ ln ð2 xÞ bÞ ðlg xÞ 2 lg x ¼ 2 323 IV Differentialrechnung 1 Differenzierbarkeit einer Funktion 1.1 Das Tangentenproblem Zunächst wollen wir anhand eines einfachen und überschaubaren Beispiels die Problemstellung der Differentialrechnung aufzeigen. Ausgangspunkt unserer Betrachtung ist dabei die Normalparabel mit der Funktionsgleichung y ¼ f ðxÞ ¼ x 2 . Wir stellen uns die Aufgabe, die Steigung der Kurventangente an der Stelle x ¼ 0,5, d. h. im Kurvenpunkt P ¼ ð0,5; 0,25Þ zu bestimmen, und lösen dieses Problem schrittweise wie folgt: (1) In der Umgebung von P wird ein weiterer, von P verschiedener Parabelpunkt Q ausgewählt. Dieser kann, wie in Bild IV-1 skizziert, rechts von P oder auch links von P liegen. Bezeichnen wir die Abszissendifferenz der beiden Punkte mit Dx, so lauten ihre Koordinaten wie folgt ðDx 6¼ 0Þ: Q ¼ ð0,5 þ Dx; ð0,5 þ DxÞ 2 Þ P ¼ ð0,5; 0,25Þ, ðIV-1Þ y y=x2 Sekante 2 Q Tangente in P Δy 1 P 0,25 a e Δx 0,5 1 Bild IV-1 0,5 + Δ x x Die durch P und Q verlaufende Sekante besitzt dann die Steigung m s ¼ tan e ¼ ¼ Dy ð0,5 þ DxÞ 2 0,25 0,25 þ Dx þ ðDxÞ 2 0 25 ¼ ¼ ¼ Dx Dx Dx Dx þ ðDxÞ 2 Dx ð1 þ DxÞ ¼ 1 þ Dx ¼ Dx Dx ðIV-2Þ 324 IV Differentialrechnung und stellt eine erste Näherung der gesuchten Tangente dar. Die Sekantensteigung m s hängt dabei erwartungsgemäß noch von Dx, d. h. der Lage des Parabelpunktes Q ab. (2) Wir lassen jetzt den Punkt Q längs der Parabel auf den Punkt P zuwandern ðQ ! PÞ. Dabei strebt die Abszissendifferenz Dx gegen Null ðDx ! 0Þ. Beim Grenzübergang geht die Sekante in die Tangente und die Sekantensteigung m s damit in die Tangentensteigung m t über. In unserem Beispiel erhalten wir (und zwar unabhängig davon, ob wir den Punkt Q links oder rechts von P gewählt haben): m t ¼ tan a ¼ lim Dx ! 0 Dy ¼ lim ð1 þ DxÞ ¼ 1 Dx Dx ! 0 ðIV-3Þ Die Kurventangente im Parabelpunkt P ¼ ð0,5; 0,25Þ besitzt somit den Steigungswert m t ¼ 1. Symbolisch schreiben wir dafür: y 0 ð0,5Þ ¼ f 0 ð0,5Þ ¼ 1 ðIV-4Þ (gelesen: y Strich an der Stelle 0,5 bzw. f Strich an der Stelle 0,5). Man bezeichnet diesen Grenzwert als Ableitung der Funktion y ¼ f ðxÞ ¼ x 2 an der Stelle x ¼ 0,5 und nennt die Funktion an dieser Stelle differenzierbar. 1.2 Ableitung einer Funktion Wir formulieren nun das im vorangegangenen Abschnitt dargestellte Tangentenproblem in allgemeiner Form: Gegeben sei eine Funktion y ¼ f ðxÞ, gesucht wird die Steigung der Kurventangente an der Stelle x 0 d. h. im Kurvenpunkt P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ mit y 0 ¼ f ðx 0 Þ. Die Lösung der gestellten Aufgabe erfolgt dabei in zwei Schritten: (1) Zunächst wählen wir auf der Funktionskurve in der Nachbarschaft von P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ einen weiteren, von P verschiedenen Kurvenpunkt Q aus (Bild IV-2). y y = f (x) Sekante Q Δy e P y0 x0 Δx a Tangente in P x 0 + Δx x Bild IV-2 Zum Begriff der Ableitung einer Funktion 1 Differenzierbarkeit einer Funktion 325 Wird die Abszissendifferenz der beiden Punkte wieder mit Dx bezeichnet, so besitzen P und Q die folgenden Koordinaten: P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ mit y 0 ¼ f ðx 0 Þ Q ¼ ðx 0 þ Dx; f ðx 0 þ DxÞÞ ðIV-5Þ Die Steigung der durch die Punkte P und Q verlaufenden Sekante ist dann durch den sog. Differenzenquotienten m s ¼ tan e ¼ Dy f ðx 0 þ DxÞ f ðx 0 Þ ¼ Dx Dx ðIV-6Þ gegeben, wobei Dy die Ordinatendifferenz ist. (2) Wandert nun der Punkt Q längs der Kurve auf den Punkt P zu ðQ ! PÞ, so strebt gleichzeitig die Abszissendifferenz Dx ! 0 und beim Grenzübergang fällt die Sekante in die (gesuchte) Tangente. Die Tangentensteigung m t ist somit der Grenzwert der Sekantensteigung m s , d. h. der Grenzwert des Differenzenquotienten (IV-6) für Dx ! 0: m t ¼ tan a ¼ lim Dx ! 0 Dy f ðx 0 þ DxÞ f ðx 0 Þ ¼ lim Dx Dx Dx ! 0 ðIV-7Þ Man nennt diesen Grenzwert, falls er vorhanden ist, die Ableitung der Funktion y ¼ f ðxÞ an der Stelle x 0 und kennzeichnet ihn durch eines der folgenden Symbole: dy 0 0 f ðx 0 Þ oder ðIV-8Þ y ðx 0 Þ , dx x ¼ x 0 dy wird als Differentialquotient der Funktion Der formale Quotient dx x ¼ x 0 y ¼ f ðxÞ an der Stelle x ¼ x 0 bezeichnet (gelesen: dy nach dx an der Stelle x ¼ x 0 ). Wir kommen später darauf zurück. Definition: Eine Funktion y ¼ f ðxÞ heißt an der Stelle x 0 differenzierbar, wenn der Grenzwert lim Dx ! 0 Dy f ðx 0 þ DxÞ f ðx 0 Þ ¼ lim Dx Dx Dx ! 0 ðIV-9Þ vorhanden ist. Man bezeichnet ihn als die (erste) Ableitung von y ¼ f ðxÞ an der Stelle x 0 oder als Differentialquotient von y ¼ f ðxÞ an der Stelle x 0 und kennzeichnet ihn durch das Symbol dy 0 0 f ðx 0 Þ oder y ðx 0 Þ, dx x ¼ x 0 326 IV Differentialrechnung Anmerkungen (1) Die Ableitung y 0 ðx 0 Þ wird auch als 1. Ableitung an der Stelle x 0 bezeichnet. (2) Der Vorgang, der zur Bestimmung der Ableitung, d. h. zur Berechnung des Grenzwertes (IV-9) führt, heißt Differentiation oder Differenzieren. (3) Wählt man den Punkt Q rechts (links) vom Punkte P, so erhält man beim Grenzübergang Q ! P die rechtsseitige (linksseitige) Ableitung. Nur wenn beide Ableitungen übereinstimmen, ist die Funktion an der Stelle x 0 differenzierbar (vgl. hierzu das nachfolgende Beispiel (4)). (4) Geometrische Interpretation der Ableitung: Die Differenzierbarkeit einer Funktion y ¼ f ðxÞ an der Stelle x 0 bedeutet, dass die Funktionskurve an dieser Stelle eine eindeutig bestimmte Tangente mit endlicher Steigung besitzt. (5) Die Stelle x 0 ist eine beliebige Stelle aus dem Inneren des Intervalls. Wir lassen im Folgenden wie allgemein üblich den Index „0“ weg und sprechen von der (ersten) Ableitung der Funktion y ¼ f ðxÞ an der Stelle x. (6) Die Ableitungsfunktion y 0 ðxÞ ¼ f 0 ðxÞ ordnet jeder Stelle x aus einem Intervall I als Funktionswert den Steigungswert (Grenzwert IV-9) zu. Man spricht dann kurz von der Ableitung der Funktion y ¼ f ðxÞ. (7) Eine im Intervall I differenzierbare Funktion ist dort stetig (die Umkehrung gilt nicht, siehe hierzu das nachfolgende Beispiel (4)). Die Stetigkeit ist daher eine notwendige Bedingung für die Differenzierbarkeit einer Funktion. (8) Eine Funktion f ðxÞ wird als stetig differenzierbar bezeichnet, wenn sie im Intervall I eine stetige Ableitung hat. Eine weitere sehr nützliche Schreibweise für die Ableitung einer Funktion erhält man d unter Verwendung des sog. Differentialoperators . Dieser erzeugt aus der Funktion dx y ¼ f ðxÞ die Ableitungsfunktion y 0 ¼ f 0 ðxÞ: d ½ f ðxÞ ¼ f 0 ðxÞ dx & ðIV-10Þ Beispiele (1) y ¼ f ðxÞ ¼ const: ¼ a y 0 ¼ f 0 ðxÞ ¼ 0 Dy f ðx þ DxÞ f ðxÞ aa 0 ¼ ¼ ¼ ¼ 0 Dx Dx Dx Dx Dy y 0 ¼ lim ¼ lim 0 ¼ 0 Dx ! 0 Dx Dx ! 0 Differenzenquotient: 1. Ableitung: ) 1 Differenzierbarkeit einer Funktion (2) y ¼ f ðxÞ ¼ x 1. Ableitung: (3) Dy f ðx þ DxÞ f ðxÞ ðx þ DxÞ x Dx ¼ ¼ ¼ ¼ 1 Dx Dx Dx Dx y 0 ¼ lim Dx ! 0 y ¼ f ðxÞ ¼ x 2 Dy ¼ lim 1 ¼ 1 Dx Dx ! 0 y 0 ¼ f 0 ðxÞ ¼ 2 x ) Differenzenquotient: 1. Ableitung: y 0 ¼ f 0 ðxÞ ¼ 1 ) Differenzenquotient: 327 Dy f ðx þ DxÞ f ðxÞ ðx þ DxÞ 2 x 2 ¼ ¼ ¼ Dx Dx Dx y 0 ¼ lim ¼ x 2 þ 2 x Dx þ ðDxÞ 2 x 2 ¼ Dx ¼ 2 x Dx þ ðDxÞ 2 ¼ 2 x þ Dx Dx Dx ! 0 Dy ¼ lim ð2 x þ DxÞ ¼ 2 x Dx Dx ! 0 So beträgt beispielsweise die Steigung der Tangente an der Stelle x 1 ¼ 0,5 bzw. x 2 ¼ 1: y 0 ð0,5Þ ¼ 2 0,5 ¼ 1 (4) y 0 ð1Þ ¼ 2 1 ¼ 2 bzw: Die in Bild IV-3 dargestellte Betragsfunktion 8 9 x 0= < x y ¼ f ðxÞ ¼ j x j ¼ f ür : ; x x < 0 liefert ein Beispiel für eine stetige Funktion, die aber nicht überall in ihrem Definitionsbereich differenzierbar ist. y Q1 Q2 1 Bild IV-3 Betragsfunktion –1 P 1 x 328 IV Differentialrechnung Diese Funktion ist an der Stelle x ¼ 0 nicht differenzierbar, da sie dort keine eindeutig bestimmte Tangente besitzt. Denn rechts- und linksseitige Ableitung in x ¼ 0 sind zwar vorhanden, weichen jedoch voneinander ab: Rechtsseitige Ableitung ðQ 1 ! PÞ: lim Dx ! 0 f ð0 þ DxÞ f ð0Þ Dx 0 ¼ lim ¼ lim ð1Þ ¼ 1 Dx Dx Dx ! 0 Dx ! 0 Linksseitige Ableitung ðQ 2 ! PÞ: lim Dx ! 0 f ð0 þ DxÞ f ð0Þ Dx 0 ¼ lim ¼ lim ð 1Þ ¼ 1 Dx Dx Dx ! 0 Dx ! 0 & 1.3 Ableitung der elementaren Funktionen Die Ableitungen der wichtigsten elementaren Funktionen lassen sich auf direktem Wege als Grenzwert des Differenzenquotienten nach der Definitionsgleichung (IV-9) gewinnen. Sie sind in der folgenden Tabelle 1 zusammengestellt. Tabelle 1: Erste Ableitung der elementaren Funktionen Ableitung f 0 ðxÞ Funktion f ðxÞ Konstante Funktion c ¼ const. Potenzfunktion xn 0 ðn 2 RÞ n xn1 ðPotenzregelÞ Wurzelfunktion pffiffiffiffi x 2 Trigonometrische Funktionen 1 pffiffiffiffi x sin x cos x cos x sin x 1 cos 2 x tan x cot x 1 sin 2 x 1 Differenzierbarkeit einer Funktion 329 Tabelle 1 (Fortsetzung) Ableitung f 0 ðxÞ Funktion f ðxÞ Arkusfunktionen arcsin x 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 x2 arccos x 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 x2 arctan x 1 1 þ x2 arccot x Exponentialfunktionen Logarithmusfunktionen Hyperbelfunktionen 1 1 þ x2 ex ex ax ðln aÞ a x ln x 1 x log a x 1 ðln aÞ x sinh x cosh x cosh x sinh x tanh x 1 cosh 2 x coth x Areafunktionen 1 sinh 2 x arsinh x 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x2 þ 1 arcosh x 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x2 1 artanh x 1 1 x2 arcoth x 1 1 x2 330 IV Differentialrechnung Wir beweisen jetzt exemplarisch die Potenzregel d ðx n Þ ¼ n x n 1 dx ðIV-11Þ für positiv-ganzzahlige Exponenten ðn 2 N*Þ. Dabei machen wir Gebrauch vom Binomischen Lehrsatz in der Form ! n n n n n1 1 ða þ bÞ ¼ a þ a b þ ðIV-12Þ an2 b2 þ . . . þ bn 1 2 (siehe hierzu Abschnitt I.6). Für den Differenzenquotient der Potenzfunktion f ðxÞ ¼ x n folgt dann unter Verwendung dieser Entwicklungsformel mit a ¼ x und b ¼ Dx : Dy f ðx þ DxÞ f ðxÞ ðx þ DxÞ n x n ¼ ¼ ¼ Dx Dx Dx ! n n n x þ x n 2 ðDxÞ 2 þ . . . þ ðDxÞ n x n x n 1 Dx þ 2 1 ¼ ¼ Dx n n n1 x Dx þ x n 2 ðDxÞ 2 þ . . . þ ðDxÞ n 1 2 ¼ ¼ Dx n n n1 þ x n 2 Dx þ . . . þ ðDxÞ n 1 ðIV-13Þ x ¼ 2 1 Beim Grenzübergang Dx ! 0 dürfen wir nach der Grenzwertregel (III-32) gliedweise vorgehen. Dabei verschwinden alle Glieder bis auf den ersten Summand. Folglich ist d n n n1 n n1 n2 x x ¼ ðx Þ ¼ lim þ Dx þ . . . þ ðDxÞ 1 2 dx Dx ! 0 n ¼ xn1 ¼ n xn1 ðIV-14Þ 1 Damit ist die Potenzregel für positiv-ganzzahlige Exponenten bewiesen. Sie gilt jedoch allgemein für beliebige reelle Exponenten. Auf den Beweis verzichten wir. & Beispiele y0 ¼ 2 2 2 pffiffiffiffi x 1=3 ¼ ¼ 3 3 3 x 3 x 1=3 (1) y ¼ x 2=3 (2) 1 1 y ¼ pffiffiffiffi ¼ 1=2 ¼ x 1=2 x x y0 ¼ ) ) 1 1 1 pffiffiffiffiffiffiffi x 3=2 ¼ ¼ 3=2 2 2x 2 x3 & 2 Ableitungsregeln 331 2 Ableitungsregeln Wir behandeln in diesem Abschnitt eine Reihe von Ableitungsregeln, die das Differenzieren einer Funktion wesentlich erleichtern. Bei ihrer Herleitung benötigen wir die in Kap. III, Abschnitt 4.2.3 aufgeführten Rechenregeln für Grenzwerte und setzen ferner voraus, dass alle in den Formelausdrücken auftretenden Funktionen auch differenzierbar sind. 2.1 Faktorregel Faktorregel Ein konstanter Faktor bleibt beim Differenzieren erhalten: y ¼ C f ðxÞ ) y 0 ¼ C f 0 ðxÞ ðC : Reelle KonstanteÞ ðIV-15Þ Beweis der Faktorregel: Wir setzen vorübergehend y ¼ g ðxÞ ¼ C f ðxÞ. Unter Verwendung der Grenzwertregel (III-31) gilt dann: y 0 ¼ lim Dx ! 0 g ðx þ DxÞ g ðxÞ C f ðx þ DxÞ C f ðxÞ ¼ lim ¼ Dx Dx Dx ! 0 ¼ lim C Dx ! 0 f ðx þ DxÞ f ðxÞ f ðx þ DxÞ f ðxÞ ¼ C lim ¼ Dx Dx Dx ! 0 ¼ C f 0 ðxÞ & ðIV-16Þ Beispiele (1) y ¼ 10 x 4 ) y0 ¼ d d ð10 x 4 Þ ¼ 10 ðx 4 Þ ¼ 10 4 x 3 ¼ 40 x 3 dx dx (2) y ¼ 3 ex ) y0 ¼ d d ð 3 e x Þ ¼ 3 ðe x Þ ¼ 3 e x dx dx (3) x ¼ 4 sin t ) dx d d ¼ ð4 sin tÞ ¼ 4 ðsin tÞ ¼ 4 cos t dt dt dt (4) y ¼ 5 ln x ) y0 ¼ d d 1 5 ð5 ln xÞ ¼ 5 ðln xÞ ¼ 5 ¼ dx dx x x & 332 IV Differentialrechnung 2.2 Summenregel Summenregel Bei einer endlichen Summe von Funktionen darf gliedweise differenziert werden: y ¼ f 1 ðxÞ þ f 2 ðxÞ þ . . . þ f n ðxÞ ) ðIV-17Þ y 0 ¼ f 01 ðxÞ þ f 02 ðxÞ þ . . . þ f 0n ðxÞ Beweis der Summenregel: Wir beweisen diese Ableitungsregel für f ðxÞ ¼ f 1 ðxÞ þ f 2 ðxÞ, d. h. eine Summe aus zwei Funktionen. Unter Verwendung der Grenzwertregel (III-32) ist dann: y 0 ¼ lim Dx ! 0 f ðx þ DxÞ f ðxÞ ¼ Dx f 1 ðx þ DxÞ þ f 2 ðx þ DxÞ f 1 ðxÞ f 2 ðxÞ ¼ Dx Dx ! 0 f 1 ðx þ DxÞ f 1 ðxÞ f 2 ðx þ DxÞ f 2 ðxÞ ¼ lim þ ¼ Dx Dx Dx ! 0 ¼ lim ¼ lim Dx ! 0 f 1 ðx þ DxÞ f 1 ðxÞ f 2 ðx þ DxÞ f 2 ðxÞ þ lim ¼ Dx Dx Dx ! 0 ¼ f 01 ðxÞ þ f 02 ðxÞ ðIV-18Þ Folgerung aus der Summen- und Faktorregel: Die Ableitung einer aus n Funktionen gebildeten Linearkombination y ¼ C 1 f 1 ðxÞ þ C 2 f 2 ðxÞ þ . . . þ C n f n ðxÞ ðIV-19Þ erfolgt gliedweise, wobei die konstanten Faktoren C 1 , C 2 , . . . , C n erhalten bleiben: y 0 ¼ C 1 f 01 ðxÞ þ C 2 f 02 ðxÞ þ . . . þ C n f 0n ðxÞ ðIV-20Þ Eine Polynomfunktion (ganzrationale Funktion) vom Grade n wird nach dieser Regel differenziert, wir erhalten wieder ein Polynom (vom Grade n 1). & Beispiele ) y 0 ¼ 28 x 6 3 sin x 5 e x þ (1) y ¼ 4 x 7 þ 3 cos x 5 e x þ ln x (2) y ¼ 4 arctan x 2 arccos x þ 10 sinh x þ 3 x 4 2 þ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi þ 10 cosh x þ 3 y0 ¼ 2 1þx 1 x2 ) 1 x 2 Ableitungsregeln (3) 333 Wir differenzieren das Weg-Zeit-Gesetz s ðtÞ einer gleichförmig beschleunigten Bewegung und erhalten die Momentangeschwindigkeit v ðtÞ ¼ s 0 ðtÞ (siehe hierzu auch Abschnitt 2.14.1): s ðtÞ ¼ 1 a t2 þ v0 t þ s0 2 ) v ðtÞ ¼ s 0 ðtÞ ¼ ds ¼ a t þ v0 dt (a: Beschleunigung; s 0 ; v 0 : Wegmarke und Geschwindigkeit zu Beginn, d. h. zum & Zeitpunkt t ¼ 0) 2.3 Produktregel Produktregel Die Ableitung einer in der Produktform y ¼ u ðxÞ v ðxÞ darstellbaren Funktion erhält man nach der Produktregel: y 0 ¼ u 0 ðxÞ v ðxÞ þ v 0 ðxÞ u ðxÞ ðIV-21Þ Anmerkungen (1) In der Praxis verwendet man meist die folgende Kurzschreibweise: y ¼ uv (2) ) y0 ¼ u0 v þ v0 u ðIV-22Þ Die Produktregel lässst sich auch wie folgt darstellen: d ðu vÞ ¼ u 0 v þ v 0 u dx ðIV-23Þ Beweis der Produktregel: Der Differenzenquotient der Produktfunktion y ¼ f ðxÞ ¼ u ðxÞ v ðxÞ lautet: Dy f ðx þ DxÞ f ðxÞ u ðx þ DxÞ v ðx þ DxÞ u ðxÞ v ðxÞ ¼ ¼ Dx Dx Dx ðIV-24Þ Gleichzeitig addieren und subtrahieren wir jetzt im Zähler den Term u ðxÞ v ðx þ DxÞ und erhalten nach einer Umordnung der Glieder den folgenden Ausdruck: Dy u ðx þ DxÞ v ðx þ DxÞ u ðxÞ v ðx þ DxÞ þ u ðxÞ v ðx þ DxÞ u ðxÞ v ðxÞ ¼ ¼ Dx Dx ¼ ½ u ðx þ DxÞ u ðxÞ v ðx þ DxÞ þ u ðxÞ ½ v ðx þ DxÞ v ðxÞ ¼ Dx ¼ ½ u ðx þ DxÞ u ðxÞ v ðx þ DxÞ u ðxÞ ½ v ðx þ DxÞ v ðxÞ þ ¼ Dx Dx ¼ u ðx þ DxÞ u ðxÞ v ðx þ DxÞ v ðxÞ v ðx þ DxÞ þ u ðxÞ Dx Dx ðIV-25Þ 334 IV Differentialrechnung Beim Grenzübergang Dx ! 0 beachten wir die Grenzwertregeln (III-31) bis (III-33) und erhalten schließlich u ðx þ DxÞ u ðxÞ v ðx þ DxÞ v ðxÞ v ðx þ DxÞ þ lim u ðxÞ ¼ Dx Dx Dx ! 0 u ðx þ DxÞ u ðxÞ ¼ lim lim v ðx þ DxÞ þ Dx Dx ! 0 Dx ! 0 v ðx þ DxÞ v ðxÞ ¼ þ u ðxÞ lim Dx Dx ! 0 y 0 ¼ lim Dx ! 0 ¼ u 0 ðxÞ v ðxÞ þ u ðxÞ v 0 ðxÞ ¼ u 0 ðxÞ v ðxÞ þ v 0 ðxÞ u ðxÞ & ðIV-26Þ Beispiele (1) y ¼ ð4 x 3 3 x Þ ð2 e x sin x Þ ¼ u v |fflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} v u u ¼ 4x3 3x ) v ¼ 2 e x sin x u 0 ¼ 12 x 2 3 ) v 0 ¼ 2 e x cos x y 0 ¼ u 0 v þ v 0 u ¼ ð12 x 2 3Þ ð2 e x sin xÞ þ ð2 e x cos xÞ ð4 x 3 3 xÞ ¼ ¼ ð8 x 3 þ 24 x 2 6 x 6Þ e x ð12 x 2 3Þ sin x ð4 x 3 3 xÞ cos x (2) y ¼ arctan x ln x ¼ u v |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} |{z} u v u ¼ arctan x ) y0 ¼ u0 v þ v0 u ¼ u0 ¼ 1 ; 1 þ x2 v ¼ ln x ) v0 ¼ 1 x 1 1 ln x arctan x arctan x ¼ ln x þ þ 1 þ x2 x 1 þ x2 x & Die Produktregel lässt sich auch für Produktfunktionen mit mehr als zwei Faktoren formulieren. Bei drei Faktoren u ¼ u ðxÞ, v ¼ v ðxÞ und w ¼ w ðxÞ gilt beispielsweise: Produktregel bei drei Faktorfunktionen d ðu v wÞ ¼ u 0 v w þ u v 0 w þ u v w 0 dx ðIV-27Þ 2 Ableitungsregeln & 335 Beispiel y ¼ 5 x 3 sin x e x ¼ u v w |{z} |ffl{zffl} |{z} u v w u ¼ 5x3 w ¼ ex u 0 ¼ 15 x 2 ; ) v ¼ sin x ) v 0 ¼ cos x w 0 ¼ ex ) y0 ¼ u0 vw þ uv0 w þ uvw0 ¼ ¼ 15 x 2 sin x e x þ 5 x 3 cos x e x þ 5 x 3 sin x e x ¼ ¼ 5 x 2 e x ð3 sin x þ x cos x þ x sin xÞ & 2.4 Quotientenregel Quotientenregel Die Ableitung einer Funktion, die als Quotient zweier Funktionen u ðxÞ und v ðxÞ u ðxÞ in der Form y ¼ darstellbar ist, erhält man nach der Quotientenregel: v ðxÞ y0 ¼ u 0 ðxÞ v ðxÞ v 0 ðxÞ u ðxÞ v 2 ðxÞ ðv ðxÞ 6¼ 0Þ ðIV-28Þ Anmerkungen (1) Die in der Praxis übliche Kurzschreibweise lautet: y ¼ (2) u v ) y0 ¼ u0v v0u v2 ðIV-29Þ Die Quotientenregel lässt sich auch wie folgt formulieren: d u u0 v v0 u ¼ dx v v2 ðIV-30Þ Die Ableitung einer gebrochenrationalen Funktion erfolgt mit Hilfe der Quotientenregel, man erhält wiederum eine gebrochenrationale Funktion. Auf den Beweis der Quotientenregel wollen wir an dieser Stelle verzichten. Wir werden ihn aber später im Zusammenhang mit der sog. logarithmischen Differentiation nachholen (vgl. hierzu Abschnitt 2.7). 336 & IV Differentialrechnung Beispiele (1) y ¼ x3 4x þ 5 u ¼ 2x2 4x þ 1 v u ¼ x3 4x þ 5 v ¼ 2x2 4x þ 1 y0 ¼ ¼ ¼ ¼ ¼ (2) y ¼ ) ) u0 ¼ 3x2 4 v 0 ¼ 4 x 4 ¼ 4 ðx 1Þ u0v v0u ð3 x 2 4Þ ð2 x 2 4 x þ 1Þ 4 ðx 1Þ ðx 3 4 x þ 5Þ ¼ ¼ v2 ð2 x 2 4 x þ 1Þ 2 6 x 4 12 x 3 þ 3 x 2 8 x 2 þ 16 x 4 4 ðx 4 4 x 2 þ 5 x x 3 þ 4 x 5Þ ð2 x 2 4 x þ 1Þ 2 6 x 4 12 x 3 5 x 2 þ 16 x 4 4 ðx 4 x 3 4 x 2 þ 9 x 5Þ ð2 x 2 4 x þ 1Þ 2 ¼ 6 x 4 12 x 3 5 x 2 þ 16 x 4 4 x 4 þ 4 x 3 þ 16 x 2 36 x þ 20 ð2 x 2 4 x þ 1Þ 2 ¼ ¼ 2 x 4 8 x 3 þ 11 x 2 20 x þ 16 ð2 x 2 4 x þ 1Þ 2 ln x þ x u ¼ x e v u ¼ ln x þ x v ¼ ex ) u0 ¼ 1 1þx x þ1 þ1 ¼ ¼ x x x v 0 ¼ ex ) x þ1 e x e x ðln x þ xÞ u vv u x 0 y ¼ ¼ ¼ v2 ðe x Þ 2 0 0 ex ¼ x þ1 ðln x þ xÞ x ex ex x þ1 ðln x þ xÞ x ¼ ¼ ex x þ 1 x ðln x þ xÞ x þ 1 x ðln x þ xÞ x ¼ ¼ ex x ex & 2 Ableitungsregeln 337 2.5 Kettenregel Die bisher bekannten Ableitungsregeln (Faktor-, Summen-, Produkt- und Quotientenregel) versetzen uns in die Lage, einfache Funktionen problemlos zu differenzieren. Sie reichen jedoch nicht mehr aus, wenn es um die Ableitung zusammengesetzter oder ineinander geschachtelter Funktionen geht, die man auch als mittelbare oder verkettete Funktionen bezeichnet. Ein einfaches Anwendungsbeispiel soll dies verdeutlichen. Wenn wir uns für die Geschwindigkeit einer harmonisch nach der Gleichung y ¼ y ðtÞ ¼ A sin ðw t þ jÞ , t 0 schwingenden Masse interessieren, müssen wir die zeitliche Ableitung dieser Funktion bilden 1). Dies wird uns mit den bisher bekannten Ableitungsregeln nicht gelingen. Der Grund: Wir kennen zwar die Ableitung von sin t, nicht aber die Ableitung der aus zwei Grundfunktionen zusammengesetzten Funktion sin ðw t þ jÞ. Diese Funktion setzt sich aus der elementaren Sinusfunktion sin u und der linearen Funktion u ¼ w t þ j zusammen, d. h. der Sinus ist hier eine Funktion der linearen Funktion u ¼ w t þ j, hängt also über die Hilfsvariable u noch von der Variablen t ab. Um die gewünschte Ableitung y 0 ðtÞ bilden zu können, benötigen wir eine weitere Ableitungsregel, die unter der Bezeichnung Kettenregel bekannt ist. Bei der Herleitung dieser wichtigen Regel lassen wir uns von den folgenden berlegungen leiten: Mit Hilfe einer geeigneten Substitution u ¼ u ðxÞ versuchen wir, die vorgegebene Funktion y ¼ f ðxÞ in eine einfacher gebaute und möglichst elementare Funktion y ¼ F ðuÞ umzuwandeln: Substitution y ¼ f ðxÞ ! y ¼ F ðuÞ u ¼ u ðxÞ Für die Funktionen u ¼ u ðxÞ und y ¼ F ðuÞ haben sich dabei die Bezeichnungen u ¼ u ðxÞ: Innere Funktion y ¼ F ðuÞ: ußere Funktion eingebürgert. Zwischen ihnen besteht dann der folgende Zusammenhang: y ¼ F ðuÞ ¼ F ðu ðxÞÞ ¼ f ðxÞ ðIV-31Þ y ist eine von der „Hilfsvariablen“ u abhängige Funktion, wobei u wiederum von x abhängt (y hängt also über u von x ab, ist somit eine mittelbare Funktion von x). Die gesuchte Ableitung der Funktion y ¼ f ðxÞ nach der Variablen x lässt sich dann als Produkt aus den Ableitungen der äußeren und der inneren Funktion gewinnen: y0 ¼ 1) dy dy du ¼ dx du dx ðIV-32Þ In Abschnitt 2.14.1 werden wir zeigen, dass die 1. Ableitung des Weges nach der Zeit die Momentangeschwindigkeit ergibt. 338 IV Differentialrechnung (sog. Kettenregel; zuerst y nach u, dann u nach x differenzieren). Wir haben somit unsere Aufgabe gelöst, falls sowohl die äußere als auch die innere Funktion elementar, d. h. unter Verwendung der bekannten Ableitungsregeln in Verbindung mit der Tabelle 1 differenzierbar sind. Mit den Bezeichnungen dy : ußere Ableitung ðAbleitung der äußeren Funktion y ¼ F ðuÞÞ du du : Innere Ableitung ðAbleitung der inneren Funktion u ¼ u ðxÞÞ dx lässt sich die Kettenregel allgemein wie folgt formulieren: Kettenregel Die Ableitung einer zusammengesetzten (verketteten) Funktion y ¼ F ðu ðxÞÞ ¼ f ðxÞ erhält man als Produkt aus der äußeren und der inneren Ableitung: y0 ¼ dy dy du ¼ dx du dx ðIV-33Þ Anmerkungen (1) Für die erfolgreiche Anwendung der Kettenregel ist von entscheidender Bedeutung, dass es mit Hilfe einer geeigneten Substitution u ¼ u ðxÞ gelingt, die vorgegebene Funktion y ¼ f ðxÞ in eine elementar differenzierbare Funktion y ¼ F ðuÞ überzuführen. Die nachfolgenden Beispiele werden dies unterstreichen. (2) Man beachte, dass die innere Funktion u ¼ u ðxÞ immer mit der Substitutionsgleichung identisch ist. (3) In der äußeren Ableitung, die zunächst von der „Hilfsvariablen“ u abhängt, muss am Schluss eine Rücksubstitution durchgeführt werden. (4) Die Kettenregel lässt sich auch in der Form y 0 ðxÞ ¼ F 0 ðuÞ u 0 ðxÞ ðIV-34Þ darstellen (F 0 ðuÞ: äußere Ableitung; u 0 ðxÞ: innere Ableitung). Beweis der Kettenregel: Wir wollen den Beweis dieser wichtigen Regel nur andeuten. Der Differenzenquotient lässt sich in der Form Dy Dy Du Dy Du ¼ ¼ Dx Dx Du Du Dx ðIV-35Þ 2 Ableitungsregeln 339 darstellen und setzt sich somit aus den Differenzenquotienten der äußeren und der inneren Funktion zusammen. Beim Grenzübergang Dx ! 0 strebt auch Du ! 0 und es gilt unter Verwendung der Grenzwertregel (III-33): dy Dy ¼ lim ¼ lim dx Dx ! 0 Dx Dx ! 0 ¼ lim Du ! 0 Dy Du Dy Du ¼ lim lim ¼ Du Dx Dx ! 0 Du Dx ! 0 Dx Dy Du dy du lim ¼ Du du dx Dx ! 0 Dx ðIV-36Þ Die Kettenregel ist die wichtigste Ableitungsregel überhaupt. Die in Naturwissenschaft und Technik auftretenden Funktionen sind (von wenigen Ausnahmen abgesehen) stets zusammengesetzte, d. h. verkettete Funktionen, deren Ableitungen nur mit Hilfe der Kettenregel gebildet werden können. & Beispiele Vorgehensweise Zunächst muss die vorliegende Funktion genau analysiert werden, d. h. man muss den Funktionstyp erkennen (z. B. ob es sich um eine Sinus- oder Kosinusfunktion, Wurzelfunktion, Logarithmus- oder Exponentialfunktion handelt). Dann wird die Funktion mit Hilfe einer geeigneten Substitution auf die elementare Grundform zurückgeführt (dies sind die in der Tabelle 1 aufgeführten elementaren Funktionen). Stellen Sie sich also vor dem Differenzieren die folgende Frage: Wie muss ich substituieren, damit die neue von der Hilfsvariablen u abhängige (äußere) Funktion möglichst einfach wird, d. h. in eine der in der Tabelle 1 enthaltenen Funktionen übergeht? In den nachfolgenden sechs Beispielen wird diese Vorgehensweise Schritt für Schritt erläutert. (1) y ¼ ð3 x 4Þ 8 Grundform: Potenzfunktion u 8 Substitution: u ¼ u ðxÞ ¼ 3 x 4 ußere und innere Funktion: y ¼ F ðuÞ ¼ u 8 mit u ¼ 3x 4 Kettenregel (mit nachträglicher Rücksubstitution): y0 ¼ dy dy du ¼ ¼ 8 u 7 3 ¼ 24 u 7 ¼ 24 ð3 x 4Þ 7 dx du dx 340 (2) IV Differentialrechnung y ¼ e ð4 x 2 3 x þ 2Þ Grundform: Exponentialfunktion e u Substitution: u ¼ u ðxÞ ¼ 4 x 2 3 x þ 2 ußere und innere Funktion: y ¼ F ðuÞ ¼ e u mit u ¼ 4x2 3x þ 2 Kettenregel (mit nachträglicher Rücksubstitution): y0 ¼ (3) dy dy du 2 ¼ ¼ e u ð8 x 3Þ ¼ ð8 x 3Þ e ð4 x 3 x þ 2Þ dx du dx y ¼ 10 ln ð1 þ x 2 Þ Grundform: Logarithmusfunktion ln u Substitution: u ¼ u ðxÞ ¼ 1 þ x 2 ußere und innere Funktion: y ¼ F ðuÞ ¼ 10 ln u mit u ¼ 1 þ x2 Kettenregel (mit nachträglicher Rücksubstitution): y0 ¼ (4) y ¼ dy dy du 1 20 x 20 x ¼ ¼ 10 2x ¼ ¼ dx du dx u u 1 þ x2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x3 þ x2 þ 1 pffiffiffiffiffi u Grundform: Wurzelfunktion Substitution: u ¼ u ðxÞ ¼ x 3 þ x 2 þ 1 ußere und innere Funktion: pffiffiffiffiffi y ¼ F ðuÞ ¼ u mit u ¼ x3 þ x2 þ 1 Kettenregel (mit nachträglicher Rücksubstitution): y0 ¼ ¼ dy dy du 1 3x2 þ 2x pffiffiffi ¼ ¼ ¼ pffiffiffiffiffi ð3 x 2 þ 2 xÞ ¼ dx du dx 2 u 2 u 3x2 þ 2x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 x3 þ x2 þ 1 2 Ableitungsregeln (5) 341 y ¼ y ðtÞ ¼ A sin ðw t þ jÞ ðA, w, j: KonstantenÞ Grundform: Sinusfunktion sin u Substitution: u ¼ u ðtÞ ¼ w t þ j ußere und innere Funktion: y ¼ F ðuÞ ¼ A sin u u ¼ wt þ j mit Kettenregel (mit nachträglicher Rücksubstitution): y 0 ðtÞ ¼ dy dy du ¼ ¼ ðA cos uÞ w ¼ A w cos u ¼ dt du dt ¼ A w cos ðw t þ jÞ (6) y ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 3 ðx 2 4 x þ 10Þ 2 ¼ ðx 2 4 x þ 10Þ 2=3 Grundform: Potenzfunktion u 2=3 Substitution: u ¼ u ðxÞ ¼ x 2 4 x þ 10 ußere und innere Funktion: y ¼ F ðuÞ ¼ u 2=3 u ¼ x 2 4 x þ 10 mit Kettenregel (mit nachträglicher Rücksubstitution): y0 ¼ ¼ dy dy du 2 2 ð2 x 4Þ ¼ ¼ u 1=3 ð2 x 4Þ ¼ ¼ dx du dx 3 3 u 1=3 4 ðx 2Þ 4 ðx 2Þ ffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi p ffiffiffiffiffi ¼ p 3 3 3 u 3 x 2 4 x þ 10 & In einigen Fällen müssen mehrere Substitutionen hintereinander ausgeführt werden (stets von innen nach außen), um die vorgebebene Funktion in eine elementar differenzierbare Funktion zu überführen. Wir geben hierfür ein Beispiel: & Beispiel y ¼ ln ½ sin ð2 x 3Þ 1. Substitution: u ¼ u ðxÞ ¼ 2 x 3 ) y ¼ ln ðsin uÞ Diese Funktion ist noch nicht elementar differenzierbar. Erst eine weitere Substitution führt zum Ziel. 2. Substitution: v ¼ v ðuÞ ¼ sin u ) y ¼ ln v 342 IV Differentialrechnung Somit gilt: y ¼ ln v mit v ¼ sin u und u ¼ 2x 3 Die Kettenregel besitzt jetzt die folgende Gestalt: y0 ¼ dy dy dv du ¼ dx dv du dx Erst y nach v differenzieren, dann v nach u und schließlich u nach x. Formale Kontrolle der richtigen Schreibweise der Kettenregel: Auf der rechten Seite kürzen sich die Differentiale du und dv heraus und wir erhalten wie auf der linken Seite den Quotienten dy=dx. Die Kettenregel liefert dann: y0 ¼ dy dy dv du 1 2 cos u ¼ ¼ ðcos uÞ 2 ¼ dx dv du dx v v Nach stufenweiser Rücksubstitution ðv ! u ! xÞ folgt schließlich: y0 ¼ 2 cos u 2 cos u ¼ ¼ 2 cot u ¼ 2 cot ð2 x 3Þ v sin u & Die nachfolgende Tabelle 2 enthält die Ableitungen einiger in den Anwendungen häufig auftretender verketteter Funktionen. Tabelle 2: Ableitung spezieller verketteter Funktionen ( g ðxÞ ist eine beliebige differenzierbare Funktion) Funktion Grundform Ableitung y ¼ ½ g ðxÞ n y ¼ un y 0 ¼ n ½ g ðxÞ n 1 g 0 ðxÞ y ¼ sin ½ g ðxÞ y ¼ sin u y 0 ¼ cos ½ g ðxÞ g 0 ðxÞ y ¼ cos ½ g ðxÞ y ¼ cos u y 0 ¼ sin ½ g ðxÞ g 0 ðxÞ y ¼ e g ðxÞ y ¼ eu y 0 ¼ e g ðxÞ g 0 ðxÞ y ¼ ln ½ g ðxÞ y ¼ ln u y0 ¼ 1 g 0 ðxÞ g ðxÞ pffiffiffiffiffi u y0 ¼ 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi g 0 ðxÞ 2 g ðxÞ y ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi g ðxÞ y ¼ Anmerkung In allen Fällen wird u ¼ g ðxÞ substituiert. In den Funktionen ln ½ g ðxÞ und wird g ðxÞ > 0 vorausgesetzt. pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi g ðxÞ 2 Ableitungsregeln 343 2.6 Kombinationen mehrerer Ableitungsregeln Beim Differenzieren komplizierter Funktionen müssen oft mehrere Ableitungsregeln eingesetzt werden, zum Beispiel die Produkt- oder Quotientenregel in Verbindung mit der Kettenregel. Wir zeigen das Vorgehen anhand von zwei Beispielen. & Beispiele (1) y ¼ x2 ðx 2 þ 1Þ 3 ¼ u v Wir benötigen neben der Quotientenregel noch die Kettenregel (für die Ableitung des Nenners): y0 ¼ ¼ u0v v0u 2 x ðx 2 þ 1Þ 3 3 ðx 2 þ 1Þ 2 2 x x 2 ¼ ¼ v2 ½ ðx 2 þ 1Þ 3 2 ðx 2 þ 1Þ 2 ½ 2 x ðx 2 þ 1Þ 6 x 3 ðx 2 þ 1Þ 6 ¼ 2x3 þ 2x 6x3 ¼ ðx 2 þ 1Þ 4 2x 4x3 ðx 2 þ 1Þ 4 Die Ableitung des Nenners erfolgte dabei mit Hilfe der Kettenregel: v ¼ ðx 2 þ 1Þ 3 ¼ z 3 |fflfflffl{zfflfflffl} z v0 ¼ (2) mit z ¼ x2 þ 1 dv dv dz ¼ ¼ 3 z 2 2 x ¼ 3 ðx 2 þ 1Þ 2 2 x dx dz dx Die in Bild IV-4 skizzierte gedämpfte Schwingung eines Feder-Masse-Schwingers genüge der Gleichung (Weg-Zeit-Gesetz) y ðtÞ ¼ e t cos ð5 t þ 6Þ , t 0 Dabei beschreibt die Größe y ðtÞ die Lage (Auslenkung) der Masse zum Zeitpunkt t. y 1 y = e –t · cos (5 t + 6) 0,5 2 1 – 0,5 t Bild IV-4 344 IV Differentialrechnung Wir interessieren uns für die Geschwindigkeit v ðtÞ ¼ y 0 ðtÞ der Masse (siehe hierzu auch Fußnote 1). Mit Hilfe der Produkt- und Kettenregel erhalten wir: y ðtÞ ¼ e t cos ð5 t þ 6Þ ¼ a b |{z} |fflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflffl} a b a ¼ et ) a 0 ¼ e t ð 1Þ ¼ e t b ¼ cos ð5 t þ 6Þ ) b 0 ¼ sin ð5 t þ 6Þ 5 ¼ 5 sin ð5 t þ 6Þ v ðtÞ ¼ y 0 ðtÞ ¼ a 0 b þ b 0 a ¼ ¼ e t cos ð5 t þ 6Þ 5 sin ð5 t þ 6Þ e t ¼ ¼ e t ½ cos ð5 t þ 6Þ þ 5 sin ð5 t þ 6Þ & 2.7 Logarithmische Ableitung Bei der Bildung der Ableitung von f ðxÞ ¼ x x , x > 0 ist keine der bisher bekannten Ableitungsregeln direkt anwendbar, da die Variable x sowohl in der Basis als auch im Exponenten auftritt 2). Dennoch gelingt die Differentiation dieser Funktion, wenn man die Funktionsgleichung zunächst logarithmiert und anschließend beide Seiten dieser Gleichung unter Verwendung von Ketten- und Produktregel differenziert ðSubstitution auf der linken Seite: u ¼ f ðxÞÞ: ln f ðxÞ ¼ ln x x ¼ x ln x |ffl{zffl} u 1 f 0 ðxÞ 1 f 0 ðxÞ ¼ ¼ 1 ln x þ x ¼ ln x þ 1 f ðxÞ f ðxÞ x ðIV-37Þ ) ðIV-38Þ f 0 ðxÞ ¼ f ðxÞ ðln x þ 1Þ ¼ x x ðln x þ 1Þ Man bezeichnet diese Art des Differenzierens als logarithmische Differentiation und die dabei auftretende Ableitung der Funktion ln f ðxÞ als logarithmische Ableitung von f ðxÞ, wobei nach der Kettenregel gilt: d 1 f 0 ðxÞ ½ ln f ðxÞ ¼ f 0 ðxÞ ¼ dx f ðxÞ f ðxÞ 2) Man beachte, dass f ðxÞ ¼ x x weder eine Potenzfunktion noch eine Exponentialfunktion ist. ðIV-39Þ 2 Ableitungsregeln 345 Wir fassen dieses Ergebnis wie folgt zusammen: Logarithmische Differentiation In vielen Fällen, beispielsweise bei Funktionen vom Typ f ðxÞ ¼ ½ u ðxÞ v ðxÞ mit u ðxÞ > 0, gelingt die Differentiation einer Funktion nach dem folgenden Schema: 1. Logarithmieren der Funktionsgleichung. 2. Differenzieren der logarithmierten Gleichung unter Verwendung der Kettenregel. & Beispiele (1) y ¼ x sin x ðx > 0Þ Die Funktionsgleichung wird zunächst logarithmiert: ln y ¼ ln x sin x ¼ sin x ln x Jetzt wird diese Gleichung differenziert, wobei zu beachten ist, dass y eine Funktion von x ist (Kettenregel anwenden beim Differenzieren der linken Seite, die rechte Seite wird nach der Produktregel differenziert): 1 y0 1 x cos x ln x þ sin x y0 ¼ sin x ¼ ¼ cos x ln x þ y x x y y0 ¼ y ðx cos x ln x þ sin xÞ x sin x ðx cos x ln x þ sin xÞ ¼ ¼ x x ¼ x ðsin x 1Þ ðx cos x ln x þ sin xÞ (2) Wir wollen jetzt die Quotientenregel (IV-28) mit Hilfe der logarithmischen Diffeu rentiation beweisen. Zunächst wird der Quotient y ¼ logarithmiert: v u u ) ln y ¼ ln ¼ ln u ln v y ¼ v v Beim Differenzieren der logarithmierten Funktion ist zu beachten, dass y, u und v Funktionen von x sind (Kettenregel anwenden!): 1 1 1 y0 ¼ u0 v0 y u v oder y0 u0 v0 u0v v0u ¼ ¼ uv y u v Durch Auflösen nach y 0 erhalten wir schließlich die bereits bekannte Quotientenregel: y0 ¼ y u0 v v0 u u u0v v0u u0 v v0 u ¼ ¼ uv v uv v2 & 346 IV Differentialrechnung 2.8 Ableitung der Umkehrfunktion Gegeben sei eine umkehrbare Funktion y ¼ f ðxÞ und ihre Ableitung y 0 ¼ f 0 ðxÞ. Wir suchen die Ableitung der Umkehrfunktion y ¼ f 1 ðxÞ ¼ g ðxÞ. Bei der Lösung des Problems schlagen wir den folgenden Weg ein: Zunächst lösen wir die Funktionsgleichung y ¼ f ðxÞ nach der Variablen x auf und erhalten die nach x aufgelöste Funktionsgleichung x ¼ f 1 ðyÞ ¼ g ðyÞ. Zwischen den Funktionen y ¼ f ðxÞ und x ¼ g ðyÞ besteht dann der folgende Zusammenhang: f ðxÞ ¼ f ðg ðyÞÞ ¼ y ðIV-40Þ Die Funktion f ðg ðyÞÞ ist dabei eine aus den beiden Funktionen f und g zusammengesetzte (verkettete) Funktion, wobei f die äußere und g die innere Funktion ist. Differenziert man die Gleichung f ðg ðyÞÞ ¼ y unter Verwendung der Kettenregel beiderseits nach der Variablen y, so erhält man: f 0 ðxÞ g 0 ðyÞ ¼ 1 ðIV-41Þ Diese Beziehung lösen wir nach g 0 ðyÞ auf: g 0 ðyÞ ¼ 1 f 0 ðxÞ ð f 0 ðxÞ 6¼ 0 Þ ðIV-42Þ Hieraus erhält man die gewünschte Ableitung der Umkehrfunktion, indem man zunächst in der Ableitung f 0 ðxÞ die Variable x durch g ðyÞ ersetzt ðx ¼ g ðyÞÞ und anschließend auf beiden Seiten der Gleichung die Variablen x und y miteinander vertauscht (Umbenennung der beiden Variablen). Wir fassen die Ergebnisse wie folgt zusammen: Ableitung der Umkehrfunktion Eine Funktion y ¼ f ðxÞ sei umkehrbar, x ¼ g ðyÞ die nach der Variablen x aufgelöste Form dieser Funktion. Dann besteht zwischen diesen beiden Funktionen der folgende Zusammenhang: g 0 ðyÞ ¼ 1 f 0 ðxÞ ð f 0 ðxÞ 6¼ 0 Þ ðIV-43Þ Hieraus erhält man durch die beiden folgenden Schritte die gesuchte Ableitung der Umkehrfunktion y ¼ g ðxÞ: 1. In der Ableitung f 0 ðxÞ wird zunächst die Variable x durch g ðyÞ ersetzt. 2. Anschließend werden auf beiden Seiten die Variablen x und y miteinander vertauscht (formale Umbenennung der beiden Variablen). 2 Ableitungsregeln & 347 Beispiele (1) f 0 ðxÞ ¼ e x Gegeben: y ¼ f ðxÞ ¼ e x , Gesucht: Ableitung der Umkehrfunktion y ¼ g ðxÞ ¼ ln x Lösung: Wir lösen zunächst die Funktionsgleichung y ¼ e x nach der Variablen x auf und erhalten x ¼ g ðyÞ ¼ ln y. Die Ableitung dieser Funktion ist nach Gleichung (IV-43): g 0 ðyÞ ¼ 1 1 1 ¼ x ¼ f 0 ðxÞ e y (unter Berücksichtigung von e x ¼ y). Durch Vertauschen der beiden Variablen erhalten wir hieraus die gesuchte Ableitung der Umkehrfunktion y ¼ g ðxÞ ¼ ln x. Sie lautet: g 0 ðxÞ ¼ (2) Gegeben: Gesucht: d 1 ðln xÞ ¼ dx x 1 ¼ tan 2 x þ 1 cos 2 x Ableitung der Umkehrfunktion y ¼ g ðxÞ ¼ arctan x y ¼ f ðxÞ ¼ tan x, f 0 ðxÞ ¼ Lösung: Die nach der Variablen x aufgelöste Form von y ¼ tan x lautet: x ¼ g ðyÞ ¼ arctan y Wir bestimmen ihre Ableitung nach Gleichung (IV-43): g 0 ðyÞ ¼ 1 1 1 ¼ ¼ 2 f 0 ðxÞ tan 2 x þ 1 y þ1 (unter Berücksichtigung von tan x ¼ y ). Durch Vertauschen der beiden Variablen erhalten wir die gesuchte Ableitung der Umkehrfunktion y ¼ g ðxÞ ¼ arctan x : g 0 ðxÞ ¼ d 1 1 ðarctan xÞ ¼ 2 ¼ dx x þ1 1 þ x2 & 2.9 Implizite Differentiation Wir gehen von einer in der impliziten Form F ðx; yÞ ¼ 0 dargestellten Funktion aus. Gelingt es, diese Gleichung in eindeutiger Weise nach einer der beiden Variablen aufzulösen, so lässt sich die Ableitung der Funktion mit Hilfe der bekannten Ableitungsregeln meist ohne Schwierigkeiten bilden. Wir geben ein einfaches Beispiel. 348 & IV Differentialrechnung Beispiel Durch Auflösen der Kreisgleichung x 2 þ y 2 ¼ 1 oder F ðx; yÞ ¼ x 2 þ y 2 1 ¼ 0 nach der Variablen y erhalten wir zwei Wurzelfunktionen: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 ð 1 x 1Þ y ¼ þ 1x Unter Verwendung der Kettenregel (Substitution: u ¼ 1 x 2 ) ergeben sich hieraus die gesuchten Ableitungen: pffiffiffi mit u ¼ 1 x2 y ¼ þ u y0 ¼ dy dy du 1 x x ¼ ¼ þ 2 pffiffiuffi ð 2 xÞ ¼ þ pffiffiuffi ¼ þ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi2ffi dx du dx 1x & In vielen Fällen jedoch ist die Auflösung der Funktionsgleichung F ðx; yÞ ¼ 0 nicht möglich oder nur mit großem Aufwand zu erreichen. Die Ableitung der Funktion nach der Variablen x kann dann durch gliedweise Differentiation der impliziten Funktionsgleichung nach x gewonnen werden. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Variable y eine von x abhängige Größe darstellt, also als eine von x abhängige Funktion zu betrachten ist. Bei der Differentiation ist daher jeder Term, der die abhängige Variable y enthält, nach der Kettenregel zu differenzieren. Durch Auflösen dieser Gleidy chung nach y 0 ¼ erhält man schließlich die gewünschte Ableitung. Diese Art des dx Differenzierens wird daher als implizite Differentiation bezeichnet. Implizite Differentiation Der Anstieg einer in der impliziten Form F ðx; yÞ ¼ 0 dargestellten Funktionskurve lässt sich schrittweise wie folgt bestimmen: 1. Gliedweise Differentiation der Funktionsgleichung F ðx; yÞ ¼ 0 nach x, wobei die Variable y als eine Funktion von x anzusehen ist. Jeder Term in der Funktionsgleichung, der die abhängige Variable y enthält, ist daher unter Verwendung der Kettenregel zu differenzieren. dy 2. Auflösung der differenzierten Funktionsgleichung nach y 0 ¼ führt zur dx gesuchten Ableitung (Anstieg der Kurventangente). Anmerkung dy enthält meist beide Variable. x und y sind jedoch nicht unabdx hängig voneinander, sondern über die implizite Funktionsgleichung F ðx; yÞ ¼ 0 miteinander verknüpft. Die Ableitung y 0 ¼ 2 Ableitungsregeln & 349 Beispiele (1) Gegeben ist die in der impliziten Form dargestellte Funktion F ðx; yÞ ¼ 2 y 3 þ 6 x 3 24 x þ 6 y ¼ 0 Wir berechnen die Steigung der Kurventangente in den Schnittpunkten der Kurve mit der x-Achse. Schnittpunkte mit der x-Achse: y ¼ 0 6 x 3 24 x ¼ 0 S 1 ¼ ð0; 0Þ, ) 6 x ðx 2 4Þ ¼ 0 S 2 ¼ ð2; 0Þ, ) x 1 ¼ 0, x 2=3 ¼ þ 2 S 3 ¼ ð 2; 0Þ Implizite Differentiation: d d ½ F ðx; yÞ ¼ ð2 y 3 þ 6 x 3 24 x þ 6 yÞ ¼ dx dx ¼ 6 y 2 y 0 þ 18 x 2 24 þ 6 y 0 ¼ 0 Die Terme 2 y 3 und 6 y wurden dabei nach der Kettenregel differenziert! Wir lösen die Gleichung jetzt nach y 0 auf und erhalten: ð6 y 2 þ 6Þ y 0 ¼ 24 18 x 2 y0 ¼ ) 24 18 x 2 6 ð4 3 x 2 Þ 4 3x2 ¼ ¼ 6 y2 þ 6 y2 þ 1 6 ðy 2 þ 1Þ Damit ergeben sich die folgenden Steigungswerte für die Kurventangente in den drei Schnittpunkten mit der x-Achse: y 0 ðS 1 Þ ¼ 4, (2) y 0 ðS 2 Þ ¼ 8, y 0 ðS 3 Þ ¼ 8 Wir bestimmen den Anstieg der Kurventangente im Punkt P ¼ ðx; yÞ des Mittelpunktskreises F ðx; yÞ ¼ x 2 þ y 2 25 ¼ 0 durch implizite Differentiation: d d ½ F ðx; yÞ ¼ ðx 2 þ y 2 25Þ ¼ 2 x þ 2 y y 0 ¼ 0 dx dx 2y y0 ¼ 2x ) y0 ¼ ) x y Für den Kreispunkt P 1 ¼ ð3; 4Þ beispielsweise erhalten wir damit den Steigungs& wert y 0 ðP 1 Þ ¼ 3=4 ¼ 0,75. 350 IV Differentialrechnung 2.10 Differential einer Funktion Wir betrachten auf dem Graph einer differenzierbaren Funktion y ¼ f ðxÞ einen beliebigen Punkt P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ. Eine nderung des Abszissenwertes um Dx zieht eine nderung des Ordinatenwertes (Funktionswertes) um Dy nach sich und wir gelangen zu dem ebenfalls auf der Kurve gelegenen Punkt Q (Bild IV-5). P und Q besitzen dabei die folgenden Koordinaten: P ¼ ðx 0 ; y 0 ¼ f ðx 0 ÞÞ , Q ¼ ðx 0 þ Dx; f ðx 0 þ DxÞÞ ðIV-44Þ Für die nderung des Funktionswertes (auch Zuwachs genannt) gilt daher: Dy ¼ f ðx 0 þ DxÞ f ðx 0 Þ ðIV-45Þ Die entsprechenden Koordinatenänderungen auf der in P errichteten Kurventangente bezeichnen wir als Differentiale: dx : Unabhängiges Differential dy: Abhängiges Differential, auch Differential df von f ðxÞ genannt y y = f (x) Q Tangente in P Δy Q′ dy P a dx = Δ x y0 x 0 + Δx x0 x Bild IV-5 Zum Begriff des Differentials einer Funktion dy ist die nderung des Ordinatenwertes, wenn man von P aus längs der dortigen Tangente um dx ¼ Dx in der (positiven) x-Richtung fortschreitet. Dabei wird der Punkt Q 0 erreicht, der zwar ein Punkt der Tangente, im Allgemeinen jedoch kein Punkt der Kurve ist. Aus dem in Bild IV-5 eingezeichneten Steigungsdreieck ergibt sich unmittelbar der folgende Zusammenhang zwischen den beiden Differentialen (a ist der Steigungswinkel der Tangente): tan a ¼ f 0 ðx 0 Þ ¼ dy dx ) dy ¼ f 0 ðx 0 Þ dx ðIV-46Þ 2 Ableitungsregeln 351 Wir fassen zusammen: Differential einer Funktion (Bild IV-5) Das Differential dy ¼ d f ¼ f 0 ðx 0 Þ dx ðIV-47Þ einer Funktion y ¼ f ðxÞ beschreibt den Zuwachs der Ordinate auf der an der Stelle x 0 errichteten Kurventangente bei einer nderung der Abszisse x um dx. Anmerkungen (1) Man beachte, dass die Koordinatenänderungen auf der Funktionskurve mit Dx und Dy, die entsprechenden Veränderungen auf der Kurventangente dagegen mit dx und dy bezeichnet werden, wobei Dx ¼ dx angenommen wird. Die Differenz Dy dy misst dann die Ordinatenabweichung zwischen der Kurve und ihrer Tangente bei einer nderung des Argumentes x um Dx, ausgehend vom gemeinsamen Tangentenberührungspunkt P (vgl. hierzu Bild IV-5). (2) Aus der Beziehung dy ¼ f 0 ðxÞ dx ziehen wir den Schluss, dass die Ableitung einer Funktion als Quotient zweier Differentiale aufgefasst werden darf: y 0 ¼ f 0 ðxÞ ¼ dy Dy ¼ lim dx Dx Dx ! 0 Dies rechtfertigt die in Abschnitt 1.2 eingeführte Bezeichnung „Differentialquotient“ für die Ableitung einer Funktion. Der Differentialquotient liefert somit die Steigung der im Kurvenpunkt P angelegten Tangente, dargestellt als Quotient aus der Ordinatenänderung dy und der Abszissenänderung dx. Zum Abschluss wollen wir aus der Gleichung (IV-47) noch eine für die Praxis wichtige Folgerung ziehen. Für kleine Argumentsänderungen Dx ¼ dx, also kleine nderungen der Abszisse, gilt näherungsweise: Dy dy ¼ f 0 ðx 0 Þ dx ¼ f 0 ðx 0 Þ Dx ðIV-48Þ Dies aber bedeutet: Die Funktion y ¼ f ðxÞ darf in der unmittelbaren Umgebung des Punktes P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ näherungsweise durch die dortige Kurventangente, d. h. durch eine lineare Funktion ersetzt werden. Anwendung findet diese Näherung u. a. bei der Linearisierung von Funktionen (z. B. von Kennlinien) sowie in der Fehlerrechnung. Beide Probleme werden an anderer Stelle eingehend behandelt (siehe hierzu Abschnitt 3.2 sowie Band 2, Kap. III, Abschnitt 2.5.5). 352 & IV Differentialrechnung Beispiel y ¼ f ðxÞ ¼ x 2 þ e x 1 , Kurvenpunkt P ¼ ð1; 2Þ Wir groß ist die Ordinatenänderung längs der Kurve bzw. längs der im Kurvenpunkt P ¼ ð1; 2Þ errichteten Tangente, wenn man (von P aus) in positiver x-Richtung um Dx ¼ dx ¼ 0,1 fortschreitet? Lösung: Zuwachs auf der Kurve: Dy ¼ f ð1,1Þ f ð1Þ ¼ ð1,1 2 þ e 0,1 Þ 2 ¼ 2,3152 2 ¼ 0,3152 Zuwachs auf der Kurventangente: f 0 ðxÞ ¼ 2 x þ e x 1 f 0 ð1Þ ¼ 2 þ e 0 ¼ 2 þ 1 ¼ 3 ) dy ¼ f 0 ð1Þ dx ¼ 3 0,1 ¼ 0,3 Die Ordinatenänderungen Dy und dy unterscheiden sich nur geringfügig voneinander & (um rund 5 %). 2.11 Höhere Ableitungen Durch Differenzieren gewinnt man aus einer (differenzierbaren) Funktion y ¼ f ðxÞ die 1. Ableitung y 0 ¼ f 0 ðxÞ. Falls auch f 0 ðxÞ eine differenzierbare Funktion darstellt, erhält man aus ihr durch nochmaliges Differenzieren die als 2. Ableitung bezeichnete Funktion d d dy 00 00 0 y ¼ f ðxÞ ¼ ð f ðxÞÞ ¼ ðIV-49Þ dx dx dx Sie ist die 1. Ableitung der 1. Ableitung y 0 ¼ f 0 ðxÞ. Durch wiederholtes Differenzieren gelangt man schließlich zu den Ableitungen höherer Ordnung: 000 d ð f 00 ðxÞÞ dx 3. Ableitung: y 000 ¼ f 4. Ableitung: . . . y ð4Þ ¼ f ð4Þ ðxÞ ¼ ðxÞ ¼ d ðf dx 000 ðxÞÞ d n-te Ableitung: y ðnÞ ¼ f ðnÞ ðxÞ ¼ ð f ðn 1Þ ðxÞÞ dx . . . (gelesen: y n Strich bzw. f n Strich von x). Sie werden der Reihe nach als Ableitungen 1., 2., 3., . . . , n-ter Ordnung usw. bezeichnet. 2 Ableitungsregeln 353 Daneben ist die Schreibweise in Form höherer Differentialquotienten möglich: y0 ¼ dy d2 y d3 y , y 00 ¼ , y 000 ¼ , 2 dx dx dx 3 . . . , y ðnÞ ¼ dn y , dx n ... ðIV-50Þ dn y ist dabei der Differentialquotient n-ter Ordnung (gelesen: d n y nach d x hoch n). dx n & Beispiele (1) Die e-Funktion y ¼ e x ist beliebig oft differenzierbar. Alle Ableitungen sind dabei gleich und ergeben wiederum die e-Funktion: y 0 ¼ y 00 ¼ y 000 ¼ . . . ¼ y ðnÞ ¼ . . . ¼ e x (2) y ¼ 4 x 3 þ x cos x Die ersten drei Ableitungen dieser Funktion lauten ( jeweils unter Verwendung der Produktregel ): y0 ¼ d ð4 x 3 þ x cos xÞ ¼ 12 x 2 þ cos x x sin x dx y 00 ¼ d ð12 x 2 þ cos x x sin xÞ ¼ dx ¼ 24 x sin x sin x x cos x ¼ 24 x 2 sin x x cos x y 000 ¼ d ð24 x 2 sin x x cos xÞ ¼ dx ¼ 24 2 cos x cos x þ x sin x ¼ 24 3 cos x þ x sin x (3) Mit Hilfe der Produkt- und Kettenregel bilden wir die ersten beiden Ableitungen der Funktion y ¼ e x sin ð2 xÞ: y 0 ¼ e x sin ð2 xÞ þ 2 cos ð2 xÞ e x ¼ ¼ e x ½ sin ð2 xÞ þ 2 cos ð2 xÞ y 00 ¼ e x ½ sin ð2 xÞ þ 2 cos ð2 xÞ þ þ ½ 2 cos ð2 xÞ 4 sin ð2 xÞ e x ¼ ¼ e x ½ sin ð2 xÞ þ 2 cos ð2 xÞ þ 2 cos ð2 xÞ þ 4 sin ð2 xÞ ¼ ¼ e x ½ 3 sin ð2 xÞ þ 4 cos ð2 xÞ & 354 IV Differentialrechnung 2.12 Ableitung einer in der Parameterform dargestellten Funktion (Kurve) Wir gehen von einer in der Parameterform x ¼ x ðtÞ , y ¼ y ðtÞ ða t bÞ ðIV-51Þ gegebenen Funktion bzw. Kurve aus und interessieren uns für den Anstieg der Kurventangente in dem zum Parameterwert t gehörenden Kurvenpunkt P ¼ ðx ðtÞ; y ðtÞÞ (Bild IV-6). y Tangente in P P y (t) x (t) x Bild IV-6 Dabei soll zunächst vorausgesetzt werden, dass es durch Elimination des Parameters t möglich ist, die Gleichung der Funktionskurve in der expliziten Form y ¼ f ðxÞ darzustellen. y ist dann eine Funktion von x, wobei x wiederum vom Parameter t abhängt, d. h. y kann als eine mittelbare oder verkettete Funktion von t aufgefasst werden: y ¼ f ðx ðtÞÞ. Nach der Kettenregel gilt dann (zunächst wird y nach x differenziert, dann x weiter nach t): dy dy dx ¼ dt dx dt oder y_ ¼ y 0 x_ ðIV-52Þ Die Ableitungen nach dem Parameter t werden dabei üblicherweise durch Punkte ðx_, y_Þ, die Ableitungen nach der Variablen x weiterhin durch Striche gekennzeichnet. Durch Auflösen der Gleichung (IV-52) nach y 0 erhalten wir die wichtige Beziehung y0 ¼ y_ x_ ð x_ 6¼ 0Þ ðIV-53Þ die auch dann ihre Gültigkeit unverändert beibehält, wenn eine explizite Darstellung der in der Parameterform (IV-51) gegebenen Funktion nicht möglich ist. 2 Ableitungsregeln 355 Ableitung einer in der Parameterform gegebenen Funktion (Kurve; Bild IV-6) Die Ableitung einer Funktion bzw. Kurve mit der Parameterdarstellung x ¼ x ðtÞ, y ¼ y ðtÞ ða t bÞ ðIV-54Þ kann aus den Ableitungen der beiden Parametergleichungen wie folgt bestimmt werden: y0 ¼ dy y_ ¼ dx x_ ð x_ 6¼ 0Þ ðIV-55Þ Anmerkungen & dy ist eine Funktion des Parameters t. dx (1) Die Ableitung y 0 ¼ (2) In den naturwissenschaftlich-technischen Anwendungen bedeutet der Parameter t häufig die Zeit oder einen Winkel. Beispiele (1) Die Parameterdarstellung eines Mittelpunktskreises mit dem Radius r ¼ 5 lautet: x ðtÞ ¼ 5 cos t , y ðtÞ ¼ 5 sin t ð0 t < 2 pÞ (t: Winkelparameter; siehe Bild IV-7). y P 5 y t x a x Bild IV-7 Zur Parameterdarstellung eines Mittelpunktskreises vom Radius r ¼ 5 Wir bestimmen Steigung m und Steigungswinkel a der Kreistangente im zum Parameterwert t 0 ¼ p=4 gehörenden Kurvenpunkt P 0 ¼ ðx 0 ; y 0 Þ, dessen rechtwinklige Koordinaten wie folgt lauten: ) x 0 ¼ 5 cos ðp=4Þ ¼ 3,54 ) P 0 ¼ ð3,54; 3,54Þ y 0 ¼ 5 sin ðp=4Þ ¼ 3,54 356 IV Differentialrechnung Für den Anstieg der Kreistangente erhält man nach Gleichung (IV-55): y0 ¼ y_ 5 cos t cos t ¼ ¼ cot t ¼ 5 sin t sin t x_ m ¼ y 0 ðP 0 Þ ¼ y 0 ðt 0 ¼ p=4Þ ¼ cot ðp=4Þ ¼ 1 m ¼ tan a ¼ 1 ) a ¼ 180 þ arctan ð 1Þ ¼ 180 45 ¼ 135 Die in P 0 ¼ ð3,54; 3,54Þ errichtete Kurventangente besitzt demnach die Steigung m ¼ 1 und den Steigungswinkel a ¼ 135 . (2) Ein Punkt eines Kreises, der auf einer Geraden abrollt, beschreibt eine als Rollkurve oder (gewöhnliche) Zykloide bezeichnete periodische Bahnkurve (Bild IV-8). Sie ist in der Parameterform x ðtÞ ¼ R ðt sin tÞ , y ðtÞ ¼ R ð1 cos tÞ ðt 0Þ darstellbar (t: Parameter ¼ Wälzwinkel; R: Radius des Kreises). Nach einer vollen Umdrehung wiederholen sich die Ordinatenwerte, wobei sich der Abszissenwert um 2 p R vergrößert hat (entspricht dem Umfang des Kreises, der in der positiven x-Richtung diese Strecke zurückgelegt hat). y P1 P2 2R pR 2 pR 3 pR 4 pR x Bild IV-8 Gewöhnliche Zykloide (Rollkurve) Wir wollen nun zeigen, dass die Zykloide für die Parameterwerte t 1 ¼ p, t 2 ¼ 3 p, t 3 ¼ 5 p, . . . , d. h. t n ¼ ð2 n 1Þ p mit n 2 N* waagerechte Tangenten besitzt. Mit den Ableitungen x_ ¼ R ð1 cos tÞ , y_ ¼ R ð0 þ sin tÞ ¼ R sin t erhalten wir für den Kurvenanstieg y 0 nach Gleichung (IV-55) die Beziehung y0 ¼ y_ R sin t sin t ¼ ¼ R ð1 cos tÞ 1 cos t x_ Für t ¼ t n verlaufen die Tangenten waagerecht: y 0 ðt n Þ ¼ sin t n sin ð2 n 1Þ p sin p 0 ¼ ¼ ¼ 0 ¼ 1 cos ð2 n 1Þ p 1 cos p 2 1 cos t n 2 Ableitungsregeln 357 Den Parameterwerten t n entsprechen dabei der Reihe nach die Kurvenpunkte t1 ¼ p: P 1 ¼ ðp R; 2 RÞ t2 ¼ 3 p: P 2 ¼ ð3 p R; 2 RÞ t3 ¼ 5 p: P 3 ¼ ð5 p R; 2 RÞ usw:, die im regelmäßigen Abstand von jeweils einer Periodendauer 2 p R aufeinander folgen (vgl. hierzu Bild IV-8). & 2.13 Anstieg einer in Polarkoordinaten dargestellten Kurve r ¼ r ðjÞ mit a j b sei die Gleichung einer in Polarkoordinaten dargestellten Kurve. Wir bringen diese Gleichung zunächst in die Parameterform. Bekanntlich bestehen zwischen den kartesischen Koordinaten x, y und den Polarkoordinaten r, j die Transformationsgleichungen x ¼ r cos j und y ¼ r sin j. Setzt man nun in diese Gleichungen für die Abstandskoordinate r die Kurvengleichung r ðjÞ ein, so erhält man die gewünschte Parameterdarstellung der Kurve r ¼ r ðjÞ in der Form x ¼ x ðjÞ ¼ r ðjÞ cos j , y ¼ y ðjÞ ¼ r ðjÞ sin j ðIV-56Þ mit der Winkelkoordinate j als Parameter (Bild IV-9). y P Tangente in P r ( f) y ( f) f x ( f) Bild IV-9 x Die Ableitungen dieser Parametergleichungen nach dem Winkelparameter j führen mit Hilfe der Produktregel zu den folgenden Gleichungen: x_ ¼ r_ ðjÞ cos j r ðjÞ sin j y_ ¼ r_ ðjÞ sin j þ r ðjÞ cos j ðIV-57Þ Mit diesen Beziehungen erhalten wir für den Anstieg der Kurventangente nach Gleichung (IV-55): y0 ¼ y_ r_ ðjÞ sin j þ r ðjÞ cos j ¼ x_ r_ ðjÞ cos j r ðjÞ sin j ðIV-58Þ 358 IV Differentialrechnung Wir fassen dieses Ergebnis zusammen: Anstieg einer in Polarkoordinaten gegebenen Kurve (Bild IV-9) Eine in Polarkoordinaten gegebene Kurve r ¼ r ðjÞ mit a j b lässt sich auch in der Parameterform x ¼ r ðjÞ cos j , y ¼ r ðjÞ sin j ðIV-59Þ mit dem Winkel j als Parameter darstellen. Der Anstieg der Kurve, d. h. die Steigung der Kurventangente kann dann nach der Formel y0 ¼ y_ r_ ðjÞ sin j þ r ðjÞ cos j ¼ x_ r_ ðjÞ cos j r ðjÞ sin j ðIV-60Þ berechnet werden. Anmerkung Die Ableitung y 0 ¼ & dy ist eine Funktion der Winkelkoordinate j. dx Beispiel Wir untersuchen die als Kardioide oder Herzkurve bezeichnete Kurve mit der Gleichung r ðjÞ ¼ 1 þ cos j ð0 j < 2 pÞ auf Stellen mit waagerechter bzw. senkrechter Tangente. Aus der Parameterdarstellung x ðjÞ ¼ r ðjÞ cos j ¼ ð1 þ cos jÞ cos j ¼ cos j þ cos 2 j y ðjÞ ¼ r ðjÞ sin j ¼ ð1 þ cos jÞ sin j ¼ sin j þ sin j cos j erhalten wir durch Differentiation nach dem Winkelparameter j die benötigten Ableitungen x_ und y_. Sie lauten (unter Verwendung von Ketten- und Produktregel): x_ ¼ sin j þ 2 cos j ð sin jÞ ¼ sin j ð1 þ 2 cos jÞ y_ ¼ cos j þ cos j cos j sin j sin j ¼ cos j þ cos 2 j sin 2 j ¼ ¼ cos j þ cos 2 j ð1 cos 2 jÞ ¼ cos j þ cos 2 j 1 þ cos 2 j ¼ ¼ 2 cos 2 j þ cos j 1 (unter Berücksichtigung der Beziehung sin 2 j þ cos 2 j ¼ 1). 2 Ableitungsregeln 359 Der Anstieg der Kurve beträgt daher nach Gleichung (IV-60) y_ 2 cos 2 j þ cos j 1 ¼ sin j ð1 þ 2 cos jÞ x_ y0 ¼ Kurvenpunkte mit einer waagerechten Tangente In einem solchen Punkt ist y 0 ¼ 0 d. h. y_ ¼ 0 und x_ 6¼ 0: y_ ¼ 0 ) 2 cos 2 j þ cos j 1 ¼ 0 Diese Gleichung lösen wir durch die Substitution u ¼ cos j: 2 u2 þ u 1 ¼ 0 ) u 1 ¼ 0,5 , u2 ¼ 1 Rücksubstitution führt zu zwei trigonometrischen Gleichungen, deren im Intervall 0 j < 2 p gelegene Lösungen wir mit Hilfe von Bild IV-10 wie folgt bestimmen: cos j ¼ u 1 ¼ 0,5 ) j1 ¼ arccos 0,5 ¼ p=3 ; j2 ¼ 2 p j1 ¼ 2 p p=3 ¼ cos j ¼ u 2 ¼ 1 ) 5 p 3 j3 ¼ arccos ð 1Þ ¼ p y 1 y = cos f y = 0,5 0,5 f3 2p f1 f f2 –1 Bild IV-10 Lösungen der Gleichung cos j ¼ 0,5 im Intervall 0 j < 2 p x_ ist sowohl für j1 ¼ p=3 als auch für j2 ¼ 5 p=3 von Null verschieden. An diesen Stellen hat die Kardioide daher waagerechte Tangenten. Für j3 ¼ p dagegen wird auch x_ gleich Null: x_ ðpÞ ¼ 0. Die Ableitung y 0 ist daher an dieser Stelle zunächst unbestimmt: y 0 ðpÞ ¼ y_ ðpÞ 0 ¼ 0 x_ ðpÞ (sog. unbestimmter Ausdruck) 360 IV Differentialrechnung Eine Grenzwertbetrachtung, auf die wir an dieser Stelle nicht näher eingehen können, zeigt jedoch, dass die Kardioide auch für j3 ¼ p eine waagerechte Tangente besitzt 3). Damit gibt es insgesamt drei Kurvenpunkte mit waagerechter Tangente. Sie lauten der Reihe nach (siehe hierzu auch Bild IV-12): j1 ¼ p : 3 A 1 ¼ ð0,75; 1,299Þ j2 ¼ 5 p: 3 A 2 ¼ ð0,75; 1,299Þ j3 ¼ p : A 3 ¼ ð0; 0Þ Kurvenpunkte mit einer senkrechten Tangente In diesen Punkten ist der Anstieg y 0 ¼ 1 , d. h. x_ ¼ 0 und y_ 6¼ 0: x_ ¼ 0 ) sin j ¼ 0 sin j ð2 cos j þ 1Þ ¼ 0 2 cos j þ 1 ¼ 0 Wir lösen zunächst die untere Gleichung 2 cos j þ 1 ¼ 0 oder cos j ¼ 0,5 (siehe hierzu Bild IV-11): cos j ¼ 0,5 ) j1 ¼ arccos ð 0,5Þ ¼ 2 p; 3 j2 ¼ 2 p j1 ¼ 2 p 2 4 p ¼ p 3 3 y 1 y = cos f 2p f – 0,5 y = – 0,5 –1 f1 f2 Bild IV-11 Lösungen der Gleichung 2 cos j þ 1 ¼ 0 im Intervall 0 j < 2 p 3) 0 lässt sich mit Hilfe der Grenzwertregel von Bernoulli und de 0 L’Hospital berechnen und führt zu dem Wert 0 (siehe hierzu Beispiel (5) in Kap. VI, Abschnitt 3.3.3). Der zunächst unbestimmte Ausdruck 2 Ableitungsregeln 361 Die 2. Gleichung sin j ¼ 0 besitzt im Intervall 0 j < 2 p die beiden Lösungen j3 ¼ 0 und j4 ¼ p (Nullstellen der Sinusfunktion im halboffenen Intervall 0 j < 2 pÞ. Für j4 ¼ p tritt der bereits bei der Bestimmung der waagerechten Tangenten diskutierte Sonderfall ein. An dieser Stelle liegt keine senkrechte, sondern eine waagerechte Tangente, wie wir inzwischen wissen (Bild IV-12). Senkrechte Tangenten besitzt die Kardioide demnach in den folgenden drei Punkten: j1 ¼ 2 p: 3 B 1 ¼ ð 0,25; 0,433Þ j2 ¼ 4 p: 3 B 2 ¼ ð 0,25; 0,433Þ j3 ¼ 0 : B 3 ¼ ð2; 0Þ Bild IV-12 zeigt den Verlauf der Kardioide mit ihren waagerechten und senkrechten Tangenten. y A1 r = 1 + cos f 1 B1 B3 –1 A3 1 2 x B2 Bild IV-12 Kardioide mit ihren waagerechten und senkrechten Tangenten –1 A2 & 2.14 Einfache Anwendungsbeispiele aus Physik und Technik 2.14.1 Bewegung eines Massenpunktes (Geschwindigkeit, Beschleunigung) Momentangeschwindigkeit eines Massenpunktes Ein Massenpunkt bewege sich längs einer Geraden nach dem Weg-Zeit-Gesetz s ¼ s ðtÞ. Zur Zeit t befinde er sich an der Wegmarke s ðtÞ, in dem darauf folgenden Zeitintervall Dt lege er den Weg Ds zurück. Er erreicht somit zur Zeit t þ Dt die Wegmarke s ðt þ DtÞ ¼ s ðtÞ þ Ds (siehe Bild IV-13): t Δt t + Δt s (t) Δs s (t + Δ t) Bild IV-13 Zum Begriff der Momentangeschwindigkeit 362 IV Differentialrechnung Seine durchschnittliche Geschwindigkeit v in diesem Zeitraum beträgt dann definitionsgemäß v ¼ Ds s ðt þ DtÞ s ðtÞ ¼ Dt Dt ðIV-61Þ Die zur Zeit t erreichte sog. Momentangeschwindigkeit erhält man aus dieser Gleichung für ein genügend kleines Zeitintervall Dt, d. h. für den Grenzübergang Dt ! 0: Ds s ðt þ DtÞ s ðtÞ ¼ lim ¼ s_ Dt Dt Dt ! 0 v ¼ lim Dt ! 0 ðIV-62Þ Die Momentangeschwindigkeit ist somit die 1. Ableitung des Weges nach der Zeit: v ¼ s_ ¼ ds dt ðIV-63Þ Momentanbeschleunigung eines Massenpunktes Die Beschleunigung einer Bewegung misst die Geschwindigkeitsänderung Dv in dem Zeitintervall Dt. Der Massenpunkt besitzt zur Zeit t die Geschwindigkeit v ðtÞ und zum Zeitpunkt t þ Dt die Geschwindigkeit v ðt þ DtÞ (siehe Bild IV-14): t Δt t + Δt v (t) Δv v (t + Δ t) Bild IV-14 Zum Begriff der Momentanbeschleunigung Die durchschnittliche Beschleunigung a zwischen den Zeitmarken t und t þ Dt beträgt dann definitionsgemäß a ¼ Dv v ðt þ DtÞ v ðtÞ ¼ Dt Dt ðIV-64Þ Für Dt ! 0 , d. h. für ein genügend kleines Zeitintervall Dt, erhalten wir hieraus die Momentanbeschleunigung a: a ¼ lim Dt ! 0 Dv v ðt þ DtÞ v ðtÞ ¼ lim ¼ v_ Dt Dt Dt ! 0 ðIV-65Þ Die Momentanbeschleunigung ist daher die 1. Ableitung der Geschwindigkeit nach der Zeit und damit zugleich die 2. Ableitung des Weges nach der Zeit: a ¼ v_ ¼ dv ¼ __ s dt ðIV-66Þ 2 Ableitungsregeln 363 Wir fassen diese wichtigen Ergebnisse zusammen: Bestimmung von Geschwindigkeit und Beschleunigung aus der Weg-Zeit-Funktion Geschwindigkeit v und Beschleunigung a erhält man als 1. bzw. 2. Ableitung der Weg-Zeit-Funktion s ¼ s ðtÞ nach der Zeit t: v ðtÞ ¼ & ds ¼ s_ ðtÞ dt a ðtÞ ¼ und dv ¼ v_ ðtÞ ¼ __ s ðtÞ dt ðIV-67Þ Beispiele (1) Das Weg-Zeit-Gesetz für den freien Fall (ohne Berücksichtigung des Luftwiderstandes) lautet wie folgt: s ðtÞ ¼ 1 gt2 2 ðt 0; g : ErdbeschleunigungÞ Geschwindigkeit und Beschleunigung erhält man hieraus durch ein- bzw. zweimaliges Differenzieren nach der Zeit t: v ðtÞ ¼ s_ ¼ (2) 1 g 2t ¼ gt 2 und a ðtÞ ¼ v_ ¼ __ s ¼ g1 ¼ g Die harmonische Schwingung eines Federpendels (Feder-Masse-Schwingers) lässt sich durch das Weg-Zeit-Gesetz y ¼ A sin ðw t þ jÞ ðt 0Þ beschreiben. Unter Verwendung der Kettenregel erhalten wir hieraus durch einbzw. zweimaliges Differenzieren nach der Zeit t Geschwindigkeit v und Beschleunigung a: v ðtÞ ¼ y_ ¼ A w cos ðw t þ jÞ a ðtÞ ¼ v_ ¼ __ y ¼ A w 2 sin ðw t þ jÞ ¼ ¼ w 2 A sin ðw t þ jÞ ¼ w 2 y |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} y Die Rückstellkraft der Feder ist F ¼ m a ¼ m w 2 y und damit eine der Auslenkung y proportionale Größe (Hookesches Gesetz F ¼ c y). Die Federkonstante c genügt daher der Gleichung c ¼ m w 2 , aus der man für die Kreisfrequenz w und die Schwingungsdauer T die folgenden Beziehungen gewinnt: rffiffiffiffiffiffiffi rffiffiffiffiffiffi c 2p m w ¼ und T ¼ ¼ 2p m w c 364 (3) IV Differentialrechnung Ein Feder-Masse-Schwinger ist so stark gedämpft, dass gerade der aperiodische Grenzfall eintritt (bergang vom Schwingungsfall zum aperiodischen Verhalten). Das Weg-Zeit-Gesetz lautet dann wie folgt (siehe hierzu Bild IV-15): y ¼ y ðtÞ ¼ ðA þ B tÞ e d t ðt 0Þ ( y: Auslenkung; t: Zeit; d > 0: Dämpfungsfaktor; A, B: von den Anfangsbedingungen abhängige Konstanten). Wir bestimmen Geschwindigkeit v und Beschleunigung a als Funktionen der Zeit (jeweils mit Hilfe der Produkt- und Kettenregel ): v ¼ y_ ðtÞ ¼ B e dt d e dt ðA þ B tÞ ¼ ðB dA dB tÞ e dt a ¼ v_ ¼ __ y ðtÞ ¼ dB e dt d e dt ðB dA dB tÞ ¼ ¼ d e d t ðB þ B d A d B tÞ ¼ d ðdA 2 B þ dB tÞ e dt y y = (A + Bt ) · e – dt A Bild IV-15 t & 2.14.2 Induktionsgesetz Das Induktionsgesetz der Physik lautet: Ein zeitlich veränderlicher Induktionsfluss F erzeugt in einem elektrischen Leiter eine im Allgemeinen zeitabhängige Spannung u nach der Gleichung u ¼ n dF ¼ n F_ dt ðIV-68Þ Die Induktionsspannung ist also der Ableitung des Induktionsflusses F nach der Zeit t direkt proportional (n: Anzahl der Windungen). Wir wenden jetzt dieses Gesetz auf eine in einem konstanten Magnetfeld mit der magnetischen Flussdichte B mit der Winkelgeschwindigkeit w rotierende Spule an (Bild IV-16): B vt vt A A: Querschnittsfläche der Spule (senkrecht zur Papierebene) A s : Wirksame Querschnittsfläche der Spule (senkrecht zum Magnetfeld) As F: Induktionsfluss ðF ¼ B A s Þ B Bild IV-16 Zum Induktionsgesetz 2 Ableitungsregeln 365 Nach t Sekunden hat sich die Spule um den Winkel w t aus der Anfangsstellung (senkrecht zu den Feldlinien) herausgedreht. Die wirksame Spulenfläche A s beträgt dann A s ¼ A cos ðw tÞ, wie man dem Bild IV-16 entnehmen kann. Nach dem Induktionsgesetz (IV-68) erhält man die folgende sinusförmige Wechselspannung: u ¼ n dF d d ¼ n ðB A s Þ ¼ n ðB A cos ðw tÞÞ ¼ dt dt dt ¼ nBA d ðcos ðw tÞÞ ¼ n B A w sin ðw tÞ ¼ u 0 sin ðw tÞ dt |fflfflffl{zfflfflffl} u0 ðIV-69Þ u 0 ¼ n B A w ist der Scheitelwert der in Bild IV-17 dargestellten Induktionsspannung. u u = u 0 · sin ( v t) u0 T= 2p v t – u0 Bild IV-17 Induzierte sinusförmige Wechselspannung 2.14.3 Elektrischer Schwingkreis Wir betrachten einen aus Kondensator (Kapazität C) und Spule (Induktivität L) bestehenden elektrischen Schwingkreis (Bild IV-18). Führen wir dem Kondensator zum Zeitpunkt t ¼ 0 durch kurzzeitiges Aufladen auf die Spannung u 0 elektrische Feldenergie zu, so entstehen in diesem Kreis ungedämpfte elektrische Schwingungen (der ohmsche Widerstand sei vernachlässigbar klein): Spannung, Strom, elektrisches und pffiffiffiffiffiffiffiffi ffi magnetisches Feld ändern sich periodisch mit der Schwingungsdauer T ¼ 2 p L C (Thomsonsche Schwingungsgleichung). C Bild IV-18 Elektrischer Schwingkreis (LC-Kreis) L Die am Kondensator liegende Spannung beträgt dann in Abhängigkeit von der Zeit t 0: pffiffiffiffiffiffiffiffiffi u ¼ u 0 cos ðw tÞ ðw ¼ 2 p=T ¼ 1= L C Þ ðIV-70Þ 366 IV Differentialrechnung Für die auf den Kondensatorplatten befindliche Ladung gilt q ¼ C u ¼ C u 0 cos ðw tÞ ¼ q 0 cos ðw tÞ ðq 0 ¼ C u 0 Þ ðIV-71Þ In dem Schwingkreis fließt somit der folgende sinusförmige Wechselstrom: i ¼ dq d ¼ ½ q 0 cos ðw tÞ ¼ q 0 w sin ðw tÞ ¼ i 0 sin ðw tÞ dt dt ðIV-72Þ Dabei ist i 0 ¼ q 0 w ¼ C u 0 w der Scheitelwert des Wechselstromes. 3 Anwendungen der Differentialrechnung 3.1 Tangente und Normale P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ sei ein Punkt auf der Kurve mit der Gleichung y ¼ f ðxÞ. Der Anstieg der Kurventangente in P ist dann m t ¼ f 0 ðx 0 Þ. Die Tangentengleichung lautet damit in der Punkt-Steigungs-Form (III-43) wie folgt: y y0 ¼ f 0 ðx 0 Þ x x0 ð y 0 ¼ f ðx 0 ÞÞ ðIV-73Þ y y = f (x) Tangente P y0 Bild IV-19 Tangente und Normale im Kurvenpunkt P Normale x0 x Die Normale im Kurvenpunkt P ist eine Gerade, die senkrecht zur Kurventangente verläuft (Bild IV-19). Ihre Steigung m n ist daher das negativ Reziproke der Tangentensteigung m t : mn ¼ 1 1 ¼ 0 mt f ðx 0 Þ ðIV-74Þ Die Gleichung der Normale lässt sich somit in der Punkt-Steigungs-Form y y0 1 ¼ 0 f ðx 0 Þ x x0 darstellen. ð f 0 ðx 0 Þ 6¼ 0Þ ðIV-75Þ 3 Anwendung der Differentialrechnung 367 Wir fassen zusammen: Tangenten- und Normalengleichung (Bild IV-19) Tangente und Normale besitzen im Punkt P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ der Kurve y ¼ f ðxÞ die folgenden Gleichungen: & Tangente: y y0 ¼ f 0 ðx 0 Þ x x0 Normale: y y0 1 ¼ 0 f ðx 0 Þ x x0 (IV-76) ð f 0 ðx 0 Þ 6¼ 0Þ (IV-77) Beispiel Wie lauten die Gleichungen der Tangente und Normale im Schnittpunkt der Parabel y ¼ x 2 2 x þ 1 mit der y-Achse (Bild IV-20)? Lösung: Schnittpunkt mit der y-Achse: Tangentensteigung: P ¼ ð0; 1Þ y0 ¼ 2x 2 Tangente: y1 ¼ 2 x 0 Normale: y1 1 ¼ x 0 2 ) ) ) m t ¼ y 0 ð0Þ ¼ 2 y 1 ¼ 2x y1 ¼ 1 x 2 ) ) y ¼ 2x þ 1 y ¼ 1 x þ1 2 y Tangente Normale 1 –1 y = x 2 – 2 x +1 P 1 x Bild IV-20 Parabel y ¼ x 2 2 x þ 1 mit Tangente und Normale im Kurvenpunkt P ¼ ð0; 1Þ & 368 IV Differentialrechnung 3.2 Linearisierung einer Funktion Eine nichtlineare Funktion y ¼ f ðxÞ lässt sich in der Umgebung eines Kurvenpunktes P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ näherungsweise durch die dortige Tangente, d. h. durch eine lineare Funktion ersetzen (Bild IV-21). Diesen Vorgang bezeichnet man als Linearisierung einer Funktion. Die Funktionsgleichung der in P errichteten Tangente lautet nach Gleichung (IV-76): y y0 ¼ f 0 ðx 0 Þ x x0 ðIV-78Þ Wir können diese Gleichung aber auch in der Form y y 0 ¼ f 0 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ oder Dy ¼ f 0 ðx 0 Þ Dx ðIV-79Þ mit x x 0 ¼ Dx und y y 0 ¼ Dy darstellen. Sie liefert in der unmittelbaren Umgebung des Kurvenpunktes P, der in den technischen Anwendungen meist als „ Arbeitspunkt“ bezeichnet wird, eine brauchbare lineare Näherung für den tatsächlichen Funktionsverlauf. y y = f (x) P y0 Linearisierte Funktion (Tangente) x0 x Bild IV-21 Zur Linearisierung einer Funktion y ¼ f ðxÞ in der Umgebung des „Arbeitspunktes“ P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ Wir fassen zusammen: Linearisierung einer Funktion (Bild IV-21) In der Umgebung des Kurvenpunktes („ Arbeitspunktes“) P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ kann die nichtlineare Funktion y ¼ f ðxÞ näherungsweise durch die lineare Funktion (Kurventangente) y y 0 ¼ f 0 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ oder Dy ¼ f 0 ðx 0 Þ Dx ersetzt werden. Dabei bedeuten: Dx, Dy: Relativkoordinaten, bezogen auf den Arbeitspunkt P ðIV-80Þ 3 Anwendung der Differentialrechnung 369 In den naturwissenschaftlich-technischen Anwendungen (insbesondere in der Automation und Regelungstechnik) interessieren häufig nur die Abweichungen der Größen (Koordinaten) vom Arbeitspunkt P. Man führt dann zunächst durch Parallelverschiebung ein neues u, v-Koordinatensystem mit dem Arbeitspunkt P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ als Koordinatenursprung ein (Bild IV-22). y v y = f (x) v = mu P Bild IV-22 u y0 x x0 Zwischen dem „alten“ x, y-System und dem „ neuen“ u, v-System bestehen dabei folgende Transformationsgleichungen: u ¼ x x0 , v ¼ y y0 ðIV-81Þ Die linearisierte Funktion (IV-80) besitzt dann im neuen u, v-System die besonders einfache Funktionsgleichung v ¼ mu ðmit m ¼ f 0 ðx 0 ÞÞ ðIV-82Þ Die Koordinaten u und v sind die Abweichungen gegenüber dem Arbeitspunkt P (Koordinatenursprung), also Relativkoordinaten. & Beispiele (1) Die e-Funktion y ¼ e x soll in der Umgebung der Stelle x 0 ¼ 0 durch eine lineare Funktion angenähert werden (Bild IV-23). Lösung: Tangentenberührungspunkt: Tangentensteigung: Tangente: y 0 ¼ ex y1 ¼ 1 x 0 ) P ¼ ð0; 1Þ ) m t ¼ y 0 ð0Þ ¼ e 0 ¼ 1 y1 ¼ x ) y ¼ x þ1 370 IV Differentialrechnung y y = ex Tangente in P 1 –1 Bild IV-23 Zur Linearisierung der e-Funktion in der Umgebung des Punktes P ¼ ð0; 1Þ P 1 x In der unmittelbaren Umgebung der Stelle x 0 ¼ 0 kann somit die e-Funktion näherungsweise durch die lineare Funktion y ¼ x þ 1 ersetzt werden: y ¼ ex x þ 1 ðf ür j x j 1Þ Mit dieser Näherungsfunktion berechnen wir einige Funktionswerte und vergleichen sie mit den exakten Werten: x 0,01 0,05 0,1 0,2 Näherungswert y ¼ x þ 1 1,010 000 1,050 000 1,100 000 1,200 000 Exakter Wert y ¼ e x 1,010 050 1,051 271 1,105 171 1,221 403 Folgerung: Die Näherung ist erwartungsgemäß um so besser, je weniger wir uns vom „Entwicklungszentrum“ x 0 ¼ 0 entfernen. (2) Die Schwingungsdauer T einer ungedämpften elektromagnetischen Schwingung wird nach der Thomsonschen Formel pffiffiffiffiffiffiffiffiffi T ¼ 2p LC berechnet (L: Eigeninduktivität; C: Kapazität). Für die Werte L ¼ 0,1 H und C ¼ 10 mF ¼ 10 5 F beispielsweise erhält man: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi T ¼ 2 p 0,1 H 10 5 F ¼ 6,28 10 3 s ¼ 6,28 ms Eine geringfügige nderung der Kapazität C um DC zieht bei unveränderter Induktivität eine geringfügige nderung der Schwingungsdauer T um DT nach sich, wobei näherungsweise der folgende lineare Zusammenhang gilt (wir ersetzen die Kurve durch ihre Tangente): pffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi DT dT d d ¼ ð2 p L C Þ ¼ ð2 p L C Þ ¼ DC dC dC dC rffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 1 pffiffiffiffiffi d pffiffiffiffiffi L p ffiffiffiffiffi ð CÞ ¼ 2p L ¼ p ¼ 2p L dC C 2 C 3 Anwendung der Differentialrechnung 371 Eine Zunahme der Kapazität um beispielsweise DC ¼ 0,2 mF ¼ 2 10 7 F bewirkt eine Erhöhung der Schwingungsdauer um rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi rffiffiffiffiffiffiffi L 0,1 H DC ¼ p 2 10 7 F ¼ 0,06 ms DT p C 10 5 F Die Schwingungsdauer beträgt somit bei einer Kapazität von C ¼ 10,2 mF näherungsweise T ¼ 6,34 ms. Der exakte Wert ist T ¼ 6,35 ms. & 3.3 Monotonie und Krümmung einer Kurve 3.3.1 Geometrische Vorbetrachtungen Das Verhalten einer (zweimal differenzierbaren) Funktion y ¼ f ðxÞ in der Umgebung eines Kurvenpunktes P ¼ ðx 0 ; y 0 Þ wird im Wesentlichen durch die ersten beiden Ableitungen y 0 und y 00 bestimmt. Geometrische Deutung der 1. Ableitung Die 1. Ableitung y 0 ¼ f 0 ðxÞ gibt die Steigung der Kurventangente an und gestattet daher auch Aussagen über das Monotonieverhalten der Funktion an der betreffenden Stelle: f 0 ðx0 Þ > 0: Die Funktionskurve wächst streng monoton beim Durchgang durch den Kurvenpunkt P (Bild IV-24). f 0 ðx0 Þ < 0: Die Funktionskurve fällt streng monoton beim Durchgang durch den Kurvenpunkt P (Bild IV-25). Dabei wird die Kurve stets in Richtung zunehmender x-Werte durchlaufen. y y y = f (x) f ′ (x 0 ) < 0 P Tangente in P P y = f (x) y0 f ′ (x 0 ) > 0 y0 Tangente in P x0 x Bild IV-24 Streng monoton wachsende Funktion x0 x Bild IV-25 Streng monoton fallende Funktion 372 IV Differentialrechnung Geometrische Deutung der 2. Ableitung Die 2. Ableitung y 00 ¼ f 00 ðxÞ ist die Ableitungsfunktion der 1. Ableitung y 0 ¼ f 0 ðxÞ. Sie beschreibt daher das Monotonie-Verhalten von f 0 ðxÞ und bestimmt damit das Krümmungsverhalten der Funktionskurve: f 00 ðx0 Þ > 0: Die Steigung der Kurventangente nimmt beim Durchgang durch den Kurvenpunkt P zu, d. h. die Tangente dreht sich im positiven Drehsinn (Gegenuhrzeigersinn). Die Kurve besitzt daher in P Linkskrümmung (Bild IV-26). f 00 ðx0 Þ < 0: Die Steigung der Kurventangente nimmt beim Durchgang durch den Kurvenpunkt P ab, d. h. die Tangente dreht sich im negativen Drehsinn (Uhrzeigersinn). Die Kurve besitzt daher in P Rechtskrümmung (Bild IV-27). Statt von Links- bzw. Rechtskrümmung spricht man häufig auch von einer konvex bzw. konkav gekrümmten Kurve. y y y = f (x) y = f (x) P P y0 f ′′ (x 0 ) > 0 y0 x0 x0 x Bild IV-26 Zum Begriff der Linkskrümmung einer Kurve f ′′ (x 0 ) < 0 x Bild IV-27 Zum Begriff der Rechtskrümmung einer Kurve 3.3.2 Monotonie Mit Hilfe der 1. Ableitung lassen sich also Aussagen über das Monotonieverhalten einer in einem Intervall I differenzierbaren Funktion y ¼ f ðxÞ gewinnen. Es gilt die folgende Aussage: y 0 ¼ f 0 ðxÞ > 0 ) streng monoton wachsend y 0 ¼ f 0 ðxÞ < 0 ) streng monoton fallend Für f 0 ðxÞ 0 verläuft die Funktion monoton wachsend, für f 0 ðxÞ 0 dagegen monoton fallend. 3 Anwendung der Differentialrechnung & 373 Beispiele (1) Die e-Funktion y ¼ e x ist wegen y 0 ¼ e x > 0 in ihrem gesamten Definitionsbereich streng monoton wachsend, während die Exponentialfunktion y ¼ e x wegen y 0 ¼ e x < 0 überall streng monoton fällt (siehe hierzu auch Bild III-150 in Kap. III). Auch der natürliche Logarithmus y ¼ ln x, x > 0 ist wegen y 0 ¼ 1=x > 0 eine streng monoton wachsende Funktion (siehe hierzu auch Bild III-166 in Kap. III). (2) Die Polynomfunktion y ¼ x 3 þ 3 x þ 5 verläuft im gesamten Definitionsbereich ðx 2 RÞ streng monoton wachsend: Denn es gilt: y 0 ¼ 3 x 2 þ 3 ¼ 3 ðx 2 þ 1Þ > 0 (3) ðf ür alle x 2 RÞ Wir untersuchen das Monotonieverhalten der überall differenzierbaren Funktion y ¼ ð2 2 x x 2 Þ e 1 x Die für die Untersuchung benötigte 1. Ableitung erhalten wir mit Hilfe der Produkt- und Kettenregel: y 0 ¼ ð 2 2 xÞ e 1 x þ e 1 x ð 1Þ ð2 2 x x 2 Þ ¼ ¼ ð 2 2 x 2 þ 2 x þ x 2 Þ e 1 x ¼ ðx 2 4Þ e 1 x Wegen e 1 x > 0 für jedes reelle x bestimmt der Faktor x 2 4 das Vorzeichen der 1. Ableitung y 0 und damit das Monotonieverhalten der Funktion. Wir müssen daher zwei Fälle unterscheiden: 1: Fall : x2 4 > 0 ) x2 > 4 ) jxj > 2 Die Ableitung y 0 ist hier positiv, die Funktion verläuft daher in den Intervallen x < 2 und x > 2 streng monoton wachsend. 2: Fall : x2 4 < 0 ) x2 < 4 ) jxj < 2 Die Ableitung ist negativ. Im Intervall 2 < x < 2 verläuft die Funktion somit streng monoton fallend. An den Stellen x 1=2 ¼ þ 2 verschwindet die 1. Ableitung, die Funktion besitzt hier waagerechte Tangenten (und Extremwerte). Der Verlauf der Kurve ist in Bild IV-28 dargestellt. 374 IV Differentialrechnung y 40 y = ( 2 – 2x – x 2 ) · e 1– x 20 2 Bild IV-28 x –2 & 3.3.3 Krümmung einer ebenen Kurve Kurvenkrümmung In Abschnitt 3.3.1 hatten wir bereits erkannt, dass man mit Hilfe der 2. Ableitung qualitative Aussagen über das Krümmungsverhalten einer ebenen Kurve y ¼ f ðxÞ in einem Kurvenpunkt P ¼ ðx; yÞ treffen kann. Das Vorzeichen dieser Ableitung entscheidet dabei wie folgt über die Art der Kurvenkrümmung (Links- oder Rechtskrümmung, siehe Bild IV-29): y 00 ¼ f 00 ðxÞ > 0 ) Linkskrümmung y 00 ¼ f 00 ðxÞ < 0 ) Rechtskrümmung Bei Linkskrümmung liegen die Tangenten unterhalb, bei Rechtskrümmung oberhalb der Kurve. y y = f (x) f ′′ (x) > 0 f ′′ (x) < 0 Links- Rechts- krümmung krümmung Bild IV-29 Krümmungsarten einer Kurve (Links- und Rechtskrümmung) x 3 Anwendung der Differentialrechnung 375 Damit wissen wir aber noch nichts über die Stärke der Kurvenkrümmung, d. h. darüber, ob die Kurve in der unmittelbaren Umgebung des betrachteten Kurvenpunktes P stark oder eher schwach vom geradlinigen (tangentialen) Verlauf abweicht. Ein geeignetes quantitatives Maß für die Stärke der Kurvenkrümmung ist die aus der 1. und 2. Ableitung gebildete Größe j ¼ h y 00 1 þ ð y 0Þ 2 i 3=2 ¼ h f 00 ðxÞ 1 þ ½ f 0 ðxÞ 2 ðIV-83Þ i 3=2 Sie wird als Krümmung der Kurve y ¼ f ðxÞ im Kurvenpunkt P ¼ ðx; yÞ bezeichnet und ist eine Funktion der Koordinate x, d. h. die Krümmung einer Kurve ändert sich (von wenigen Ausnahmen abgesehen) von Kurvenpunkt zu Kurvenpunkt: j ¼ j ðxÞ. Wir fassen zusammen: Krümmung einer ebenen Kurve (Bild IV-29) Die Krümmung einer ebenen Kurve y ¼ f ðxÞ im Kurvenpunkt P ¼ ðx; yÞ ist ein Maß dafür, wie stark der Kurvenverlauf in der unmittelbaren Umgebung dieses Punktes von einer Geraden abweicht. Sie lässt sich in Abhängigkeit von der Abszisse x des Kurvenpunktes P wie folgt berechnen: j ¼ j ðxÞ ¼ h y 00 1 þ ð y 0Þ 2 i 3=2 ¼ h f 00 ðxÞ 1 þ ½ f 0 ðxÞ 2 i 3=2 ðIV-84Þ Das Vorzeichen der Krümmung bestimmt dabei die Art der Kurvenkrümmung. Es gilt (siehe Bild IV-29): j > 0 , Linkskrümmung j < 0 , Rechtskrümmung Anmerkungen (1) Man beachte, dass sich die Krümmung einer Kurve im Allgemeinen von Kurvenpunkt zu Kurvenpunkt ändert. Ausnahmen: Geraden und Kreise (siehe nachfolgende Beispiele). (2) Die Krümmung einer Kurve ist ein Maß für die „ nderungs- oder Wachstumsgeschwindigkeit “ des Steigungswinkels der Kurventangente. (3) Eine exakte Definition des Begriffes „Krümmung einer Kurve“ sowie die Herleitung der Berechnungsformel (IV-84) erfolgt in Band 3 im Rahmen der Vektoranalysis (Kapitel I, Abschnitt 1.6). 376 & IV Differentialrechnung Beispiele (1) Für eine lineare Funktion y ¼ m x þ b gilt y 0 ¼ m, y 00 ¼ 0 und somit nach Formel (IV-84) auch j ¼ 0. Dieses Ergebnis war zu erwarten, da lineare Funktionen bekanntlich geradlinig verlaufen. (2) Der Mittelpunktskreis x 2 þ y 2 ¼ r 2 setzt sich aus zwei Halbkreisen mit den Funktionsgleichungen y ¼ þ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r2 x2 , r x r zusammen (oberer und unterer Halbkreis). pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Oberer Halbkreis: y ¼ r 2 x 2 ¼ ðr 2 x 2 Þ 1=2 Wir bilden zunächst die benötigten Ableitungen y 0 und y 00 mit Hilfe der Kettenregel bzw. der Produkt- und Kettenregel (bei der 2. Ableitung): y0 ¼ 1 2 ðr x 2 Þ 1=2 ð 2 xÞ ¼ x ðr 2 x 2 Þ 1=2 2 y 00 ¼ 1 ðr 2 x 2 Þ 1=2 1 2 ðr x 2 Þ 3=2 ð 2 xÞ ð xÞ ¼ 2 ¼ ðr 2 x 2 Þ 1=2 x 2 ðr 2 x 2 Þ 3=2 ¼ ¼ ¼ 1 ðr 2 x 2 Þ 1=2 þ r2 þ x2 x2 ðr 2 x 2 Þ 3=2 x2 ðr 2 x 2 Þ 3=2 ¼ ¼ 1 ðr 2 x 2 Þ x 2 ðr 2 x 2 Þ 3=2 ¼ r2 ðr 2 x 2 Þ 3=2 (in der vorletzten Zeile haben wir den Hauptnenner gebildet, d. h. den 1. Teilbruch mit r 2 x 2 erweitert). Somit ist 1 þ ð y 0Þ 2 ¼ 1 þ ¼ 1þ h x ðr 2 x 2 Þ 1=2 x2 ðr 2 x 2Þ 1 ¼ i2 ¼ 1 þ x 2 ðr 2 x 2 Þ 1 ¼ 1 ðr 2 x 2 Þ þ x 2 r2 ¼ 2 2 2 r x r x2 und weiter 0 2 1 þ ðy Þ 3=2 ¼ r2 r2 x2 3=2 ¼ ðr 2 Þ 3=2 ðr 2 x 2 Þ 3=2 ¼ r3 ðr 2 x 2 Þ 3=2 3 Anwendung der Differentialrechnung 377 Die Kurvenkrümmung beträgt damit nach Formel (IV-84) r2 j ¼ h ¼ y 00 1 þ ð y 0Þ 2 i 3=2 ¼ ðr 2 x 2 Þ 3=2 r2 ðr 2 x 2 Þ 3=2 ¼ ¼ r3 r3 ðr 2 x 2 Þ 3=2 ðr 2 x 2 Þ 3=2 r2 1 ¼ < 0 r3 r (grau unterlegte Ausdrücke kürzen). Der obere Halbkreis besitzt also konstante Rechtskrümmung (siehe Bild IV-30). pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Unterer Halbkreis: y ¼ r 2 x 2 ¼ ðr 2 x 2 Þ 1=2 Eine analoge Rechnung führt zu dem Ergebnis j ¼ 1=r > 0. Der untere Halbkreis hat demnach konstante Linkskrümmung (siehe Bild IV-30). y oberer Halbkreis (Rechtskrümmung) Bild IV-30 Zur Krümmung eines Kreises –r r x unterer Halbkreis (Linkskrümmung) Folgerung: Die Ergebnisse sind anschaulich einleuchtend, da beide Halbkreise jeweils von links nach rechts, d. h. in Richtung der positiven x-Achse durchlaufen werden. Wegen j j j ¼ 1=r ¼ const: ist der Kreis eine Kurve mit konstanter Krümmung, das unterschiedliche Vorzeichen für die Krümmung der beiden Halbkreise kennzeichnet lediglich die Art der Kurvenkrümmung (Rechts- bzw. Linkskrümmung). (3) Anhand des Kurvenbildes (Bild IV-31) vermuten wir, dass die logarithmische Funktion y ¼ ln x, x > 0 überall nach rechts gekrümmt ist. Diese Vermutung soll auf rechnerischem Wege bestätigt werden. Ferner interessieren wir uns für die Stärke der Kurvenkrümmung. 378 IV Differentialrechnung y 2 y = ln x 1 1 2 3 4 5 Bild IV-31 Natürlicher Logarithmus y ¼ ln x, x > 0 x –1 –2 Lösung: Mit Hilfe der 2. Ableitung lässt sich die Art der Kurvenkrümmung leicht feststellen: 1 1 , y 00 ¼ 2 < 0 y0 ¼ ðwegen x 2 > 0Þ x x Diese ist stets negativ, die Kurve ist daher in jedem Punkt nach rechts gekrümmt (wie vermutet). Die Stärke der Krümmung berechnen wir nach Formel (IV-84). Mit 2 1 1 x2 þ 1 0 2 1 þ ðy Þ ¼ 1 þ ¼ 1þ 2 ¼ x x x2 und somit 3=2 2 3=2 x þ1 ðx 2 þ 1Þ 3=2 ðx 2 þ 1Þ 3=2 ¼ ¼ ¼ 1 þ ð y 0Þ 2 x2 x3 ðx 2 Þ 3=2 erhalten wir für die Kurvenkrümmung in Abhängigkeit von der Koordinate x den folgenden Ausdruck: 1 2 y 00 1 x3 x j ðxÞ ¼ h ¼ ¼ i 3=2 ¼ x 2 ðx 2 þ 1Þ 3=2 ðx 2 þ 1Þ 3=2 1 þ ð y 0Þ 2 x3 x ¼ ðx > 0Þ 2 ðx þ 1Þ 3=2 (4) Wir bestimmen das Krümmungsverhalten der Kurve y ¼ x e x und speziell die Krümmung im Nullpunkt. Mit den beiden Ableitungen y 0 ¼ 1 e x e x x ¼ ð1 xÞ e x y 00 ¼ 1 e x e x ð1 xÞ ¼ ð 1 1 þ xÞ e x ¼ ðx 2Þ e x die wir jeweils mit Hilfe der Produkt- und Kettenregel erhalten haben, folgt nach Formel (IV-84): j ðxÞ ¼ h y 00 1 þ ð y 0Þ 2 i 3=2 ¼ h ðx 2Þ e x 1 þ ð1 xÞ 2 e 2 x i 3=2 3 Anwendung der Differentialrechnung 379 Das Krümmungsverhalten wird im Wesentlichen durch die 2. Ableitung y 00 bestimmt (der Nenner des Bruches ist stets positiv). Wegen e x > 0 für jedes reelle x hängt die Krümmungsart (Links- oder Rechtskrümmung) nur vom Vorzeichen des Faktors x 2 im Zähler ab. Es dann (Bild IV-32): y 00 > 0 Linkskrümmung: 00 x 2 > 0 ) x 2 < 0 ) x > 2 ) x < 2 1 pffiffiffiffiffi Im Nullpunkt beträgt die Krümmung j ð0Þ ¼ 2 < 0 (Rechtskrümmung). 2 Rechtskrümmung: y < 0 ) y = x · e–x y 0,4 0,2 1 2 3 4 x Bild IV-32 Krümmungsverhalten der Kurve y ¼ x e x (die Drehpfeile kennzeichnen die Art der Krümmung, d. h. den Drehsinn der Tangente) & Krümmungskreis Eine ebene Kurve y ¼ f ðxÞ kann in der unmittelbaren Umgebung des Kurvenpunktes P ¼ ðx; yÞ durch einen speziellen Kreis, den sog. Krümmungskreis, angenähert werden (Bild IV-33). Dabei gilt: Kurve und Krümmungskreis haben im Berührungspunkt P eine gemeinsame Tangente und dieselbe Krümmung, d. h. sie stimmen in P in ihren ersten beiden Ableitungen überein (sog. Berührung 2. Ordnung). y Tangente Normale y = f (x) P r M Bild IV-33 Krümmungskreis einer Kurve im Kurvenpunkt P Krümmungskreis x 380 IV Differentialrechnung Der Radius r des Krümmungskreises wird als Krümmungsradius bezeichnet und ist der Kehrwert des Betrages der Kurvenkrümmung: h r ¼ 1 ¼ jj j 1 þ ð y 0Þ 2 i 3=2 ðIV-85Þ j y 00 j Der Mittelpunkt M des Krümmungskreises, auch Krümmungsmittelpunkt genannt, liegt dabei auf der Kurvennormale des Punktes P. Wir fassen zusammen und ergänzen: Krümmungskreis einer Kurve (Bild IV-33) Der Krümmungskreis einer Kurve y ¼ f ðxÞ im Kurvenpunkt P ¼ ðx; yÞ berührt die Kurve dort von 2. Ordnung (gemeinsame Tangente, dieselbe Krümmung). Der Krümmungsradius beträgt h i 3=2 1 þ ð y 0Þ 2 1 ¼ r ¼ ðIV-86Þ jj j j y 00 j Die Koordinaten x 0 und y 0 des Krümmungsmittelpunktes M können aus den folgenden Gleichungen berechnet werden: x0 ¼ x y 0 1 þ ð y 0Þ 2 , y 00 y0 ¼ y þ 1 þ ð y 0Þ 2 y 00 ðIV-87Þ Dabei bedeuten: x, y: 0 Koordinaten des Kurvenpunktes P 00 y , y : 1. bzw. 2. Ableitung von y ¼ f ðxÞ in P Anmerkungen (1) Der Krümmungskreis ist derjenige Kreis, der sich in der Umgebung des Berührungspunktes (Kurvenpunktes) P optimal an die Kurve anschmiegt. Er ist (von Ausnahmen abgesehen) von Kurvenpunkt zu Kurvenpunkt verschieden. (2) Der Krümmungsradius r ist eine Funktion der Koordinate x des Kurvenpunktes P: r ¼ r ðxÞ. (3) Der Krümmungsmittelpunkt liegt stets auf der Kurvennormale des Berührungspunktes P. (4) Sonderfälle Gerade: Es ist j ¼ 0 und somit r ¼ 1. Die Gerade kann daher als ein Kreis mit einem unendlich großen Radius aufgefasst werden. Kreis: Es ist j j j ¼ 1=r und somit r ¼ r ¼ const:. Kreis und Krümmungskreis sind daher in jedem Punkt identisch. 3 Anwendung der Differentialrechnung (5) & 381 Die Verbindungslinie aller Krümmungsmittelpunkte einer Kurve heißt Evolute, die Kurve selbst wird in diesem Zusammenhang als Evolvente bezeichnet. Die Gleichungen (IV-87) beschreiben die Abhängigkeit der Koordinaten x 0 und y 0 des Krümmungsmittelpunktes M von der Abszisse x des (laufenden) Kurvenpunktes P und bilden somit eine Parameterdarstellung der zur Kurve y ¼ f ðxÞ gehörenden Evolute (Kurvenparameter ist die Koordinate x). Beispiel Wir bestimmen den Krümmungskreis der Kettenlinie mit der Gleichung y ¼ cosh x im tiefsten Kurvenpunkt P ¼ ð0; 1Þ. Die dabei benötigten Ableitungen lauten: y 0 ¼ sinh x , y 00 ¼ cosh x Damit erhalten wir für den Krümmungsradius in Abhängigkeit von der Koordinate x den folgenden allgemeinen Ausdruck, wobei wir von der hyperbolischen Beziehung cosh 2 x sinh 2 x ¼ 1 Gebrauch machen: r ðxÞ ¼ ¼ ½ 1 þ ðy 0 Þ 2 3=2 ½ 1 þ sinh 2 x 3=2 ½ cosh 2 x 3=2 ¼ ¼ ¼ j y 00 j cosh x cosh x cosh 3 x ¼ cosh 2 x cosh x Im Kurvenpunkt P ¼ ð0; 1Þ gilt dann: r ð0Þ ¼ cosh 2 0 ¼ 1 2 ¼ 1 Der Krümmungsmittelpunkt M liegt bekanntlich auf der Kurvennormale, hier also wegen der Achsensymmetrie der Kettenlinie auf der y-Achse und zwar im Abstand r ð0Þ ¼ 1 oberhalb des Punktes P. Die Koordinaten von M besitzen daher die Werte x 0 ¼ 0 und y 0 ¼ 2 (siehe Bild IV-34). Dieses Ergebnis liefern uns auch die Gleichungen (IV-87). y 4 3 2 y = cosh x M 1 P Bild IV-34 –2 –1 1 2 x & 382 IV Differentialrechnung 3.4 Charakteristische Kurvenpunkte 3.4.1 Relative oder lokale Extremwerte Wir beschäftigen uns jetzt mit jenen Stellen, in denen eine Funktion y ¼ f ðxÞ einen größten bzw. kleinsten Funktionswert, bezogen auf die unmittelbare beidseitige Umgebung, annimmt. Definition: Eine Funktion y ¼ f ðxÞ besitzt an der Stelle x 0 ein relatives Maximum bzw. ein relatives Minimum, wenn in einer gewissen Umgebung von x 0 stets f ðx 0 Þ > f ðxÞ bzw: f ðx 0 Þ < f ðxÞ ðIV-88Þ ist ðx 6¼ x0 Þ. So besitzt beispielsweise die in Bild IV-35 skizzierte Funktion in x 1 und x 3 jeweils ein relatives Maximum, an den Stellen x 2 und x 4 dagegen jeweils ein relatives Minimum (eingezeichnet ist ferner die jeweilige Kurventangente). y Max Max y = f (x) Min x4 x1 x2 x3 x Min Bild IV-35 Zum Begriff eines relativen Extremwertes Anmerkungen (1) Die relativen Maxima und Minima einer Funktion werden unter dem Sammelbegriff „Relative Extremwerte“ zusammengefasst. (2) Ein relativer Extremwert wird auch als lokaler Extremwert bezeichnet. Damit soll zum Ausdruck gebracht werden, dass die extreme Lage im Allgemeinen nur in der unmittelbaren Umgebung, d. h. lokal angenommen wird. 3 Anwendung der Differentialrechnung 383 (3) Die den relativen Maxima bzw. Minima entsprechenden Kurvenpunkten werden als Hoch- bzw. Tiefpunkte bezeichnet. (4) Relative Extremwerte sind nur im Innern eines Intervalls möglich, nicht aber in den Randpunkten. (5) Eine Funktion kann durchaus mehrere relative Maxima und Minima besitzen. So hat beispielsweise die Sinusfunktion y ¼ sin x infolge ihrer Periodizität sogar unendlich viele relative Maxima und Minima (Bild IV-36). Sie liegen an den Stellen 9 p > þ k 2p ðRelative MaximaÞ > xk ¼ = 2 ðk 2 ZÞ > 3 ; xk ¼ p þ k 2 p ðRelative MinimaÞ > 2 y Max Max Max 1 – – p 3 p 2 2 p 3 p 2 5 p 2 2 x –1 Min Min Bild IV-36 Die Sinusfunktion y ¼ sin x als Beispiel für eine Funktion mit unendlich vielen relativen Extremwerten Bei einer differenzierbaren Funktion verläuft die Kurventangente in einem Extremum stets waagerecht (vgl. Bild IV-35). So ist beispielsweise in einem relativen Minimum x 0 die Steigung der linksseitigen Sekante nie positiv, die Steigung der rechtsseitigen Sekante dagegen nie negativ. Beim Grenzübergang fallen links- und rechtsseitige Sekante in die gemeinsame Tangente, deren Steigung daher der Bedingung 0 f 0 ðx 0 Þ 0 genügt, woraus unmittelbar f 0 ðx 0 Þ ¼ 0 folgt. Wir können damit das folgende notwendige Kriterium für einen relativen Extremwert formulieren: Notwendige Bedingung für einen relativen Extremwert (Bild IV-35) Eine differenzierbare Funktion y ¼ f ðxÞ besitzt in einem relativen Extremum x 0 stets eine waagerechte Tangente. Die Bedingung f 0 ðx 0 Þ ¼ 0 ist daher eine notwendige Voraussetzung für die Existenz eines relativen Extremwertes an der Stelle x 0 . Dieses Kriterium ist zwar notwendig, jedoch keinesfalls hinreichend. Mit anderen Worten: In einem Hoch- oder Tiefpunkt verläuft die Kurventangente stets waagerecht, jedoch ist nicht jeder Kurvenpunkt mit waagerechter Tangente ein Extremwert, wie das folgende Beispiel zeigt. 384 & IV Differentialrechnung Beispiel Die kubische Parabel y ¼ x 3 besitzt im Nullpunkt P ¼ ð0; 0Þ zwar eine waagerechte Tangente, denn es ist f 0 ð0Þ ¼ 0, jedoch keinen Extremwert. Wegen der Punktsymmetrie der Kurve liegen alle Kurvenpunkte mit x > 0 oberhalb, alle Punkte mit x < 0 jedoch unterhalb der x-Achse. In jeder noch so kleinen Umgebung des Nullpunktes gibt es daher Kurvenpunkte mit positiver und solche mit negativer Ordinate (Bild IV-37). y y=x3 1 Bild IV-37 Kubische Parabel y ¼ x 3 –1 P x 1 –1 & Die Bedingung y 0 ¼ 0 reicht daher für die Existenz eines relativen Extremwertes nicht aus. Eine Funktion y ¼ f ðxÞ besitzt jedoch mit Sicherheit in x 0 ein relatives Maximum bzw. relatives Minimum, wenn die dortige Kurventangente waagerecht verläuft und die Kurve an dieser Stelle Rechts- bzw. Linkskrümmung besitzt (vgl. hierzu Bild IV-35). Dies ist der Fall, wenn an der Stelle x 0 die 1. Ableitung verschwindet und zugleich die 2. Ableitung entweder kleiner oder größer als Null und somit ungleich Null ist. Diese berlegungen führen schließlich zu dem folgenden hinreichenden Kriterium für relative Extremwerte bei einer (mindestens) zweimal differenzierbaren Funktion: Hinreichende Bedingungen für einen relativen Extremwert (Bild IV-35) Eine (mindestens) zweimal differenzierbare Funktion y ¼ f ðxÞ besitzt an der Stelle x 0 mit Sicherheit einen relativen Extremwert, wenn die Bedingungen f 0 ðx 0 Þ ¼ 0 und f 00 ðx 0 Þ 6¼ 0 ðIV-89Þ erfüllt sind. Für f 00 ðx 0 Þ > 0 liegt dabei ein relatives Minimum vor, für f 00 ðx 0 Þ < 0 dagegen ein relatives Maximum. 3 Anwendung der Differentialrechnung & 385 Beispiele (1) Die Normalparabel y ¼ x 2 besitzt in x 0 ¼ 0 ein relatives (und sogar absolutes) Minimum (siehe Bild IV-38; absolutes Minimum ¼ kleinster Funktionswert im gesamten Definitionsbereich): y0 ¼ 2x, y ¼ x2 , y 0 ð0Þ ¼ 0 , y 00 ¼ 2 y 00 ð0Þ ¼ 2 > 0 ) Relatives Maximum in ð0; 0Þ y y=x2 Bild IV-38 Normalparabel y ¼ x 2 Min (2) x x2 . Dazu benöWir bestimmen die relativen Extremwerte der Funktion y ¼ 1 þ x2 tigen wir die ersten beiden Ableitungen: y0 ¼ y 00 ¼ ¼ 2 x ð1 þ x 2 Þ 2 x x 2 ð1 þ x 2Þ 2 ¼ 2x þ 2x3 2x3 ð1 þ x 2 Þ 2 2 ð1 þ x 2 Þ 2 2 ð1 þ x 2 Þ ð2 xÞ 2 x ð1 þ x 2 Þ 4 ð1 þ x 2 Þ ½ 2 ð1 þ x 2 Þ 8 x 2 ð1 þ x 2Þ 4 ¼ ¼ 2x ð1 þ x 2 Þ 2 ¼ 2 þ 2x2 8x2 ð1 þ x 2Þ 3 ¼ 2 6x2 ð1 þ x 2 Þ 3 Diese Ableitungen wurden gebildet mit Hilfe der Quotientenregel bzw. der Quotienten- und Kettenregel (bei der 2. Ableitung). Aus der für relative Extremwerte notwendigen Bedingung y 0 ¼ 0 berechnen wir zunächst die Stellen mit einer waagerechten Kurventangente: y0 ¼ 0 ) 2x ð1 þ x 2 Þ 2 ¼ 0 ) 2x ¼ 0 ) x1 ¼ 0 , y1 ¼ 0 Der Kurvenpunkt (0; 0) ist ein Tiefpunkt, da die Kurve an dieser Stelle Linkskrümmung besitzt: y 00 ð0Þ ¼ 20 ð1 þ 0Þ 3 ¼ 2 > 0 ) Minimum in ð0; 0Þ Der Verlauf der Kurve ist in Bild IV-39 skizziert. 386 IV Differentialrechnung y 1 y= –1 Bild IV-39 Funktionsgraph von y ¼ (3) x2 1+x2 x 1 x2 1 þ x2 Wo liegen die relativen Extremwerte der Funktion y ¼ x 2 e 0,5 x ? Lösung: Zunächst bilden wir mit Hilfe der Produkt- und Kettenregel die benötigten Ableitungen y 0 und y 00 : y 0 ¼ 2 x e 0,5 x 0,5 e 0,5 x x 2 ¼ ð2 x 0,5 x 2 Þ e 0,5 x y 00 ¼ ð2 xÞ e 0,5 x 0,5 e 0,5 x ð2 x 0,5 x 2 Þ ¼ ¼ ð2 x x þ 0,25 x 2 Þ e 0,5 x ¼ ð0,25 x 2 2 x þ 2Þ e 0,5 x Aus der notwendigen Bedingung y 0 ¼ 0 folgt dann wegen e 0,5 x 6¼ 0: ð2 x 0,5 x 2 Þ e 0,5 x ¼ 0 ) 2 x 0,5 x 2 ¼ 0 ) ) x ð2 0,5 xÞ ¼ 0 ) ) x 1 ¼ 0, x2 ¼ 4 An diesen Stellen besitzt die Kurve somit waagerechte Tangenten. Die zugehörigen Ordinatenwerte sind y 1 ¼ 0 und y 2 ¼ 2,165. Wir setzen jetzt die gefundenen x-Werte in die 2. Ableitung ein und prüfen, ob die hinreichende Bedingung für einen relativen Extremwert erfüllt ist: y 00 ðx 1 ¼ 0Þ ¼ 2 e 0 ¼ 2 1 ¼ 2 > 0 ) Relatives Minimum ) Relatives Maximum y 00 ðx 2 ¼ 4Þ ¼ ð4 8 þ 2Þ e 2 ¼ ¼ 2 e 2 ¼ 0,271 < 0 Die Funktionskurve besitzt daher einen Tiefpunkt in (0; 0) und einen Hochpunkt in (4; 2,165). Ihr Verlauf ist in Bild IV-40 skizziert. 3 Anwendung der Differentialrechnung 387 y Max y = x 2· e – 0,5x 1 –1 Min 1 4 x Bild IV-40 Funktionsgraph von y ¼ x 2 e 0,5 x (4) f ðxÞ sei eine Polynomfunktion vom Grade n mit einer doppelten Nullstelle an der Stelle x 0 . Wir zeigen, dass f ðxÞ an dieser Stelle einen relativen Extremwert besitzt. Die Polynomfunktion ist wegen der doppelten Nullstelle in der Form f ðxÞ ¼ ðx x 0 Þ 2 g ðxÞ mit g ðx 0 Þ 6¼ 0 darstellbar, wobei g ðxÞ eine Polynomfunktion vom Grade n 2 ist (siehe hierzu auch Kap. III, Abschnitt 5.4). Die benötigten ersten beiden Ableitungen f 0 ðxÞ und f 00 ðxÞ erhalten wir unter Verwendung der Produkt- und Kettenregel: f 0 ðxÞ ¼ 2 ðx x 0 Þ g ðxÞ þ ðx x 0 Þ 2 g 0 ðxÞ f 00 ðxÞ ¼ 2 g ðxÞ þ 2 ðx x 0 Þ g 0 ðxÞ þ 2 ðx x 0 Þ g 0 ðxÞ þ þ ðx x 0 Þ 2 g 00 ðxÞ ¼ ¼ 2 g ðxÞ þ 4 ðx x 0 Þ g 0 ðxÞ þ ðx x 0 Þ 2 g 00 ðxÞ An der Stelle x 0 gilt dann: f 0 ðx 0 Þ ¼ 2 0 g ðx 0 Þ þ 0 2 g 0 ðx 0 Þ ¼ 0 f 00 ðx 0 Þ ¼ 2 g ðx 0 Þ þ 4 0 g 0 ðx 0 Þ þ 0 2 g 00 ðx 0 Þ ¼ 2 g ðx 0 Þ 6¼ 0 |fflffl{zfflffl} 6¼ 0 Die hinreichende Bedingung für einen relativen Extremwert ist somit erfüllt. Für g ðx 0 Þ > 0 erhält man ein relatives Minimum, für g ðx 0 Þ < 0 ein relatives Maximum (siehe hierzu Bild IV-41), gezeichnet für g ðx 0 Þ > 0Þ: Tiefpunkt f ür g ðx 0 Þ > 0 ðx 0 ; 0Þ Hochpunkt f ür g ðx 0 Þ < 0 388 IV Differentialrechnung y Bild IV-41 Polynom mit einer doppelten Nullstelle bei x 0 x0 x & 3.4.2 Wendepunkte, Sattelpunkte Von Bedeutung sind auch jene Kurvenpunkte, in denen sich der Drehsinn der Kurventangente ändert. Sie werden als Wendepunkte bezeichnet. Definitionen: (1) Kurvenpunkte, in denen sich der Drehsinn der Tangente ändert, heißen Wendepunkte (Bild IV-42). (2) Wendepunkte mit waagerechter Tangente werden als Sattelpunkte bezeichnet (Bild IV-43). y y f ′′ (x) < 0 f ′′ > 0 f ′′ (x) > 0 y = f (x) y=x3 1 W Wendetangente –1 1 Sattelpunkt x –1 f ′′ < 0 x0 Bild IV-42 Zum Begriff des Wendepunktes (der Drehpfeil charakterisiert den Drehsinn der Tangente) x Bild IV-43 Zum Begriff des Sattelpunktes (am Beispiel der kubischen Parabel) In den Wendepunkten einer Funktion findet demnach eine nderung der Krümmungsart statt: Die Kurve geht dabei von einer Rechtskurve in eine Linkskurve über oder umgekehrt (siehe Bild IV-42). Daher ist in solchen Punkten notwendigerweise y 00 ¼ 0. 3 Anwendung der Differentialrechnung 389 Diese Bedingung reicht jedoch nicht aus. Mit Sicherheit liegt ein Wendepunkt erst dann vor, wenn die 2. Ableitung an der betreffenden Stelle ihr Vorzeichen ändert. Dies aber ist genau dann der Fall, wenn die Ableitung von y 00 , also die 3. Ableitung y 000 an dieser Stelle einen von Null verschiedenen Wert annimmt. Wir fassen diese Aussagen wie folgt zusammen: Hinreichende Bedingungen für einen Wendepunkt (Bild IV-42) Eine (mindestens) dreimal differenzierbare Funktion y ¼ f ðxÞ besitzt an der Stelle x 0 einen Wendepunkt, wenn dort die Bedingungen f 00 ðx 0 Þ ¼ 0 und f 000 ðx 0 Þ 6¼ 0 ðIV-90Þ erfüllt sind. Anmerkungen (1) In einem Wendepunkt verschwindet die 2. Ableitung und damit auch die Kurvenkrümmung j (notwendige Bedingung für einen Wendepunkt). (2) Die in einem Wendepunkt errichtete Tangente heißt Wendetangente (siehe hierzu Bild IV-42). (3) Ein Wendepunkt mit waagerechter Tangente wird als Sattel- oder Terrassenpunkt bezeichnet. Ein solcher Punkt liegt vor, wenn an der Stelle x 0 die folgenden (hinreichenden) Bedingungen erfüllt sind: f 0 ðx 0 Þ ¼ 0 , & f 00 ðx 0 Þ ¼ 0 und f 000 ðx 0 Þ 6¼ 0 ðIV-91Þ Beispiele (1) Bei den trigonometrischen Funktionen fallen die Wendepunkte mit den jeweiligen Nullstellen zusammen (siehe hierzu die Bilder III-112, III-113 und III-114). Wir führen den Nachweis für die Sinusfunktion y ¼ sin x, beschränken uns dabei auf das Periodenintervall 0 x < 2 p : y 0 ¼ cos x , y 00 ¼ 0 ) y 00 ¼ sin x , sin x ¼ 0 ) y 000 ¼ cos x sin x ¼ 0 ) x 1 ¼ 0, x 2 ¼ p y 000 ðx 1 ¼ 0Þ ¼ cos 0 ¼ 1 6¼ 0 y 000 ðx 2 ¼ pÞ ¼ cos p ¼ ð 1Þ ¼ 1 6¼ 0 Die hinreichende Bedingung y 00 ¼ 0, y 000 6¼ 0 ist in den Nullstellen x 1 ¼ 0 und x 2 ¼ p erfüllt, die Behauptung damit bewiesen (siehe hierzu auch Bild IV-44). 390 IV Differentialrechnung y 1 W y = sin x W W –π W π W 2π 3π x –1 Bild IV-44 Wendepunkte der Sinusfunktion y ¼ sin x (2) 2 Behauptung: Die Funktion y ¼ x 3 þ 2 x 2 2 x þ 2 besitzt an der Stelle 3 x 0 ¼ 1 einen Sattelpunkt. Beweis: Wir zeigen, dass die folgenden Bedingungen erfüllt sind: y 0 ð1Þ ¼ 0 , y 00 ð1Þ ¼ 0 und y 000 ð1Þ 6¼ 0 Denn es gilt: y0 ¼ 2x2 þ 4x 2 ) y 0 ð1Þ ¼ 0 y 00 ¼ 4 x þ 4 ) y 00 ð1Þ ¼ 0 y 000 ¼ 4 ) y 000 ð1Þ ¼ 4 6¼ 0 ) waagerechte Tangente ) ) Wendepunkt Die Funktion besitzt somit an der Stelle x 0 ¼ 1 einen Wendepunkt mit waagerechter Tangente, d. h. also einen Sattelpunkt (die Ordinate ist y 0 ¼ 4=3). Damit ist die Behauptung bewiesen (siehe auch Bild IV-45). y Sattelpunkt 2 Tangente Bild IV-45 1 (3) x Wo besitzt die Funktion y ¼ ðx 2 xÞ e x Wendepunkte bzw. Sattelpunkte? Lösung: Mit Hilfe der Produkt- und Kettenregel erhalten wir die für die Untersuchung benötigten ersten drei Ableitungen: y 0 ¼ ð2 x 1Þ e x þ e x ð 1Þ ðx 2 xÞ ¼ ¼ ð2 x 1 x 2 þ xÞ e x ¼ ð x 2 þ 3 x 1Þ e x 3 Anwendung der Differentialrechnung 391 y 00 ¼ ð 2 x þ 3Þ e x þ e x ð 1Þ ð x 2 þ 3 x 1Þ ¼ ¼ ð 2 x þ 3 þ x 2 3 x þ 1Þ e x ¼ ðx 2 5 x þ 4Þ e x y 000 ¼ ð2 x 5Þ e x þ e x ð 1Þ ðx 2 5 x þ 4Þ ¼ ¼ ð2 x 5 x 2 þ 5 x 4Þ e x ¼ ð x 2 þ 7 x 9Þ e x Aus der für Wendepunkte notwendigen Bedingung y 00 ¼ 0 folgt dann wegen e x 6¼ 0: y 00 ¼ 0 ) x2 5x þ 4 ¼ 0 ) x1 ¼ 1 , x2 ¼ 4 Die 3. Ableitung ist an diesen Stellen von Null verschieden: y 000 ðx 1 ¼ 1Þ ¼ ð 1 þ 7 9Þ e 1 ¼ 3 e 1 6¼ 0 y 000 ðx 2 ¼ 4Þ ¼ ð 16 þ 28 9Þ e 4 ¼ 3 e 4 6¼ 0 Es handelt sich also um Wendepunkte. Sie lauten: W 1 ¼ ð1; 0Þ und W 2 ¼ ð4; 0,22Þ Es sind jedoch keine Sattelpunkte, da die Wendetangenten nicht parallel zur x-Achse verlaufen: y 0 ðx 1 ¼ 1Þ ¼ ð 1 þ 3 1Þ e 1 ¼ e 1 6¼ 0 y 0 ðx 2 ¼ 4Þ ¼ ð 16 þ 12 1Þ e 4 ¼ 5 e 4 6¼ 0 Bild IV-46 zeigt den Verlauf der Kurve mit den beiden Wendepunkten (W 1 fällt mit der Nullstelle bei 1 zusammen). y 1 0,6 y = (x 2 – x) · e – x W2 0,2 Bild IV-46 W1 2 3 4 5 x & 392 IV Differentialrechnung 3.4.3 Ergänzungen Die Bestimmung der relativen Extremwerte einer Funktion y ¼ f ðxÞ erfolgte bisher nach dem folgenden Schema: 1. Zunächst werden aus der notwendigen Bedingung f 0 ðxÞ ¼ 0 alle Stellen mit einer waagerechten Tangente ermittelt. 2. Dann prüft man anhand der 2. Ableitung, wie sich die Kurvenkrümmung in diesen Punkten verhält und ob das hinreichende Kriterium für relative Extremwerte, d. h. die Bedingungen (IV-89) erfüllt sind. In einigen Fällen jedoch versagt dieses Verfahren, wenn nämlich an der betreffenden Stelle x 0 neben der 1. Ableitung auch die 2. Ableitung verschwindet, also f 0 ðx 0 Þ ¼ 0 und f 00 ðx 0 Þ ¼ 0 gilt. Jetzt prüft man, ob an dieser Stelle vielleicht ein Sattelpunkt vorliegt. Dies ist der Fall, wenn f 000 ðx 0 Þ 6¼ 0 ist. Verschwindet jedoch auch die 3. Ableitung an der Stelle x 0 , so muss man auf das folgende allgemeine Kriterium zurückgreifen, das wir hier ohne Beweis anführen: Allgemeines Kriterium für einen relativen Extremwert Eine Funktion y ¼ f ðxÞ besitze an der Stelle x 0 eine waagerechte Tangente, d. h. es gelte also f 0 ðx 0 Þ ¼ 0. Die nächstfolgende an dieser Stelle nichtverschwindende Ableitung sei die n-te Ableitung f ðnÞ ðx 0 Þ (mit n > 1Þ. Dann besitzt die Funktion an der Stelle x 0 einen relativen Extremwert, falls die Ordnung n dieser Ableitung gerade ist und zwar ein relatives Minimum f ür f ðnÞ ðx 0 Þ > 0 ein relatives Maximum f ür f ðnÞ ðx 0 Þ < 0 ðIV-92Þ Ist die Ordnung n jedoch ungerade, so besitzt die Funktion an der Stelle x 0 einen Sattelpunkt. & Beispiele (1) Wir zeigen, dass die Funktion y ¼ x 4 an der Stelle x 0 ¼ 0 einen relativen (und sogar absoluten) Extremwert besitzt: y0 ¼ 4x3 ) y 0 ð0Þ y 00 ¼ 12 x 2 ) y 00 ð0Þ ¼ 0 y 000 ¼ 24 x ) y 000 ð0Þ ¼ 0 y ð4Þ ¼ 24 ) y ð4Þ ð0Þ ¼ 24 6¼ 0 ¼ 0 ðwaagerechte TangenteÞ Die auf y 0 nächstfolgende an der Stelle x 0 ¼ 0 nichtverschwindende Ableitung y ð4Þ ist von vierter und damit gerader Ordnung. Daher hat die Funktion an dieser 3 Anwendung der Differentialrechnung 393 Stelle einen relativen Extremwert und zwar wegen y ð4Þ ð0Þ ¼ 24 > 0 ein relatives Minimum (Bild IV-47). y y y=x5 y=x 4 1 1 1 –1 –1 1 x x Sattelpunkt Tiefpunkt –1 Bild IV-47 Funktionsgraph von y ¼ x 4 Bild IV-48 Funktionsgraph von y ¼ x 5 (2) Besitzt die Funktion y ¼ x 5 relative Extremwerte? Um diese Frage zu beantworten, bestimmen wir zunächst alle Stellen mit einer waagerechten Tangente: y 0 ¼ 5 x4 y0 ¼ 0 ) 5 x4 ¼ 0 ) x1 ¼ 0 Die Ordnung der nächsten, an der Stelle x 1 ¼ 0 nichtverschwindenden Ableitung entscheidet darüber, ob ein relativer Extremwert oder ein Sattelpunkt vorliegt: y 00 ¼ 20 x 3 ) y 00 ð0Þ ¼ 0 y 000 ¼ 60 x 2 ) y 000 ð0Þ ¼ 0 y ð4Þ ¼ 120 x ) y ð4Þ ð0Þ ¼ 0 y ð5Þ ¼ 120 ) y ð5Þ ð0Þ ¼ 120 6¼ 0 Erst die 5. Ableitung besitzt für x 1 ¼ 0 einen von Null verschiedenen Wert. Die Ordnung dieser Ableitung ist ungerade, die Funktion y ¼ x 5 besitzt somit an der Stelle x 1 ¼ 0 einen Sattelpunkt. Relative Extremwerte sind bei dieser Funktion nicht vorhanden (siehe hierzu Bild IV-48). & 394 IV Differentialrechnung 3.5 Extremwertaufgaben In zahlreichen Anwendungen stellt sich das folgende Problem: Von einer vorgegebenen Funktion y ¼ f ðxÞ ist der größte (bzw. der kleinste) Funktionswert in einem gewissen Intervall I zu bestimmen 4Þ . Problemstellungen dieser Art werden als Extremwertaufgaben bezeichnet. Bei der Lösung einer solchen Aufgabe geht man so vor, dass man zunächst mit Hilfe der Differentialrechnung die im Innern des Intervalls gelegenen relativen Extremwerte berechnet. Das gesuchte absolute Maximum (oder absolute Minimum) kann aber auch in einem Randpunkt des Intervalls I liegen (vgl. hierzu das nachfolgende Beispiel (3)). Durch einen Vergleich der Randwerte mit den im Intervallinnern gelegenen relativen Extremwerten erhält man die Lösung der gestellten Aufgabe. Lösungsverfahren für Extremwertaufgaben Von einer zweimal differenzierbaren Funktion y ¼ f ðxÞ lässt sich der größte (bzw. der kleinste) Wert in einem vorgegebenen Intervall I wie folgt bestimmen: 1. Zunächst werden mit Hilfe der Differentialrechnung die im Innern des Intervalls I liegenden relativen Maxima (bzw. relativen Minima) berechnet. 2. Durch Vergleich dieser Werte mit den Funktionswerten in den Randpunkten des Intervalls erhält man den gesuchten größten (oder kleinsten) Wert der Funktion y ¼ f ðxÞ im Intervall I. Anmerkungen (1) Bei einem offenen Intervall kann der gesuchte größte bzw. kleinste Wert nur im Innern des Intervalles I liegen (er ist dann einer der relativen Extremwerte). (2) Die Funktion y ¼ f ðxÞ, deren absolutes Maximum bzw. Minimum im Intervall I bestimmt werden soll, heißt in diesem Zusammenhang auch Zielfunktion. (3) Bei zahlreichen Extremwertaufgaben ist die Gleichung der Zielfunktion y ¼ f ðxÞ zunächst noch unbekannt und muss daher erst aufgestellt werden. Dabei kann der Fall eintreten, dass die Größe y von mehr als einer Variablen abhängt. Diese Variablen sind jedoch nicht unabhängig voneinander, sondern durch sog. Nebenoder Kopplungsbedingungen miteinander verknüpft. Das Aufstellen der Nebenbedingungen ist dann oft das eigentliche Problem bei der Lösung einer Extremwertaufgabe. Man findet diese Bedingungen häufig durch Anwendung elementarer geometrischer Lehrsätze (wie z. B. Satz des Pythagoras, Strahlensätze, Höhensatz). Mit Hilfe der Nebenbedingungen lässt sich dann die Größe y als eine nur noch von der einen Variablen x abhängige Funktion y ¼ f ðxÞ darstellen (siehe hierzu auch das nachfolgende Beispiel (4)). 4) Der größte (bzw. kleinste) Wert einer Funktion in einem Intervall wird auch als absolutes Maximum (bzw. absolutes Minimum) bezeichnet. 3 Anwendung der Differentialrechnung & 395 Beispiele (1) Problemstellung: Einem Quadrat mit der vorgegebenen Seitenlänge a ist ein Rechteck mit größtem Flächeninhalt einzubeschreiben (Bild IV-49). Die Rechteckseiten sollen dabei parallel zu den Flächendiagonalen des Quadrates verlaufen. x a–x I a /2 a /2 III a a A IV A max II Bild IV-49 a Bild IV-50 Lösung: Offensichtlich gibt es unendlich viele Möglichkeiten, dem vorgegebenen Quadrat ein Rechteck einzubeschreiben. In Bild IV-49 ist ein solches Rechteck dargestellt (grau unterlegt). Zielgröße ist dabei der Flächeninhalt A des einbeschriebenen Rechteckes in Abhängigkeit von der (eingezeichneten) Strecke x. Diese Funktion bestimmen wir wie folgt: Vom Quadrat mit dem Flächeninhalt a 2 ziehen wir die Flächen der vier Dreiecke I, II, III und IV ab. Die Dreiecke I und II ergänzen sich dabei zu einem Quadrat vom Flächeninhalt x 2 , ebenso die Dreiecke III und IV zu einem Quadrat vom Flächeninhalt ða xÞ 2 . Daher gilt: A ðxÞ ¼ a 2 x 2 ða xÞ 2 ¼ a 2 x 2 a 2 þ 2 a x x 2 ¼ ¼ 2ax 2x2 Wir ermitteln jetzt das im offenen Intervall 0 < x < a gelegene absolute Maximum dieser Flächenfunktion 5) : A 0 ðxÞ ¼ 2 a 4 x , A 0 ðxÞ ¼ 0 ) A 00 ¼ 4 2a 4x ¼ 0 ) x 1 ¼ a=2 A 00 ðx 1 ¼ a=2Þ ¼ 4 < 0 Die hinreichende Bedingung für ein Maximum ist somit für den Wert x 1 ¼ a=2 erfüllt. Lösung der gestellten Aufgabe ist demnach ein Quadrat vom Flächeninhalt A ðx 1 ¼ a=2Þ ¼ a 2 =2, dessen Ecken auf den Seitenmitten des gegebenen Quadrates liegen (Bild IV-50). Dieses spezielle Rechteck (Quadrat) besitzt im Vergleich zu allen anderen möglichen Rechtecken den größten Flächeninhalt. 5) Die speziellen Werte x ¼ 0 bzw. x ¼ a kommen als Lösungen nicht in Frage, da in diesen Fällen das Rechteck entartet ist (eine der beiden Seiten hat dann jeweils die Länge 0). 396 IV Differentialrechnung Hinweis Die Flächenfunktion A ðxÞ ist eine quadratische Funktion von x und entspricht der in Bild IV-51 skizzierten nach unten geöffneten Parabel mit Nullstellen bei x ¼ 0 und x ¼ a. Das gesuchte absolute Maximum der Fläche A ðxÞ im offenen Intervall 0 < x < a ist daher die Ordinate des Scheitelpunktes S, der wegen der Symmetrie der Kurve genau in der Mitte zwischen den beiden Nullstellen, also an der Stelle x 1 ¼ a=2 liegen muss. Daher gilt: A max ¼ A ðx ¼ a=2Þ ¼ a 2 =2 A(x) S a 2/2 Bild IV-51 0 (2) a /2 a x In einem Wechselstromkreis sind ein ohmscher Widerstand R, eine Spule mit der Induktivität L und ein Kondensator mit der Kapazität C in Reihe geschaltet (Bild IV-52). Beim Anlegen einer sinusförmigen Wechselspannung u ¼ u 0 sin ðw tÞ fließt in dem Kreis ein Wechselstrom i ¼ i 0 sin ðw t þ jÞ, dessen Scheitelwert i 0 nach der Formel u0 i 0 ¼ sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2ffi 1 R2 þ w L wC ðw > 0Þ berechnet wird. Der im Nenner stehende Ausdruck sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2ffi 1 Z ¼ R2 þ w L wC ist dabei der Scheinwiderstand des Stromkreises. Bei welcher Kreisfrequenz wr erreicht der Scheitelwert i 0 sein Maximum? C R L u Bild IV-52 Wechselstromkreis in Reihenschaltung 3 Anwendung der Differentialrechnung 397 Lösung: i 0 wird am größten, wenn der Scheinwiderstand seinen kleinsten Wert annimmt. Dies ist genau dann der Fall, wenn der unter der Wurzel stehende Ausdruck (also der Wurzelradikand) am kleinsten wird. Es genügt daher, das (absolute) Minimum der Zielfunktion 1 2 2 2 y ¼ f ðwÞ ¼ Z ¼ R þ w L wC im offenen Intervall 0 < w < 1 zu bestimmen. Dazu benötigen wir die ersten beiden Ableitungen, die wir mit der Kettenregel bzw. der Produkt- und Kettenregel erhalten (bitte nachrechnen): 1 1 y 0 ðwÞ ¼ 2 w L Lþ 2 wC w C y 00 ðwÞ ¼ 2 L þ 1 2 w2 C 1 w L w3 C wC 4 Aus der notwendigen Bedingung y 0 ðwÞ ¼ 0 folgt dann: 1 1 1 ¼ 0 ) wL Lþ 2 ¼ 0 2 wL wC w C wC |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} 6¼ 0 wL ¼ 1 wC ) w2 ¼ 1 LC ) ) 1 w r ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffi LC Auch die hinreichende Bedingung ist für diesen Wert erfüllt (der 2. Summand in y 00 verschwindet für w ¼ w r ): 1 LC 2 00 p ffiffiffiffiffiffiffiffi ffi 0 ¼ 2 ðL þ LÞ 2 ¼ 8 L 2 > 0 y wr ¼ ¼ 2 Lþ C LC erreicht daher sein absolutes Maximum bei der Der Scheitelwert i 0 despStromes ffiffiffiffiffiffiffiffiffi Kreisfrequenz w r ¼ 1= L C (sog. Resonanzkreisfrequenz). Der Scheinwiderstand Z ist dann gleich dem ohmschen Widerstand R und es gilt i 0 ¼ u 0 =R. (3) Die Biegelinie eines einseitig eingespannten und am freien Ende durch eine Kraft vom Betrage F auf Biegung beanspruchten Balkens der Länge l lautet wie folgt (Bild IV-53): F 1 3 2 ð0 x l Þ y ðxÞ ¼ lx x 2EI 3 (siehe hierzu auch Kap. III, Abschnitt 5.7, in dem dieses Anwendungsbeispiel erstmals angesprochen wurde; E und I sind positive Konstanten). An welcher Stelle des Balkens ist die Durchbiegung y am größten? 398 IV Differentialrechnung x l y x Tangente F Biegelinie y(x) Bild IV-53 Biegelinie y Lösung: Zunächst ermitteln wir die im Intervall 0 x l gelegenen relativen Extremwerte: y0 ¼ F ð2 l x x 2 Þ , 2EI y0 ¼ 0 ) y 00 ¼ 2lx x2 ¼ 0 F F ð2 l 2 xÞ ¼ ðl xÞ 2EI EI ) x1 ¼ 0 , x2 ¼ 2 l Der zweite Wert ðx 2 ¼ 2 l Þ liegt außerhalb des Intervalles und kommt daher nicht in Frage (Scheinlösung). An der Stelle x 1 ¼ 0, d. h. an der Einspannstelle ist die Durchbiegung des Balkens wegen y 00 ðx 1 ¼ 0Þ ¼ Fl > 0 EI am kleinsten: y min ¼ y ðx 1 ¼ 0Þ ¼ 0 (physikalisch einleuchtend: wegen der Einspannung ist eine Durchbiegung nicht möglich). Die maximale Durchbiegung erfährt der Balken daher im rechten Randpunkt x ¼ l, d. h. am freien Ende, wo auch die Kraft einwirkt: F 1 3 F 2 3 F l3 y max ¼ y ðx ¼ lÞ ¼ ¼ l3 l l ¼ 2EI 3 2EI 3 3EI Wir haben es hier mit dem eingangs geschilderten Sonderfall eines Randextremwertes zu tun. Mit Hilfe der Differentialrechnung können nur relative Extremwerte mit waagerechter Tangente bestimmt werden. Dies aber trifft für den am freien Ende liegenden Randpunkt des Balkens gerade nicht zu. Die dortige Tangente an die Biegelinie verläuft gegen die Horizontale geneigt (Bild IV-53). (4) Wir behandeln ein weiteres Beispiel aus der Festigkeitslehre: Aus einem Baumstamm mit kreisförmigem Querschnitt soll ein Balken mit rechteckigem Querschnitt 1 so herausgeschnitten werden, dass sein Widerstandsmoment W ¼ b h 2 einen 6 größten Wert annimmt (Bild IV-54). 2R M h b: Breite des Balkens h: Dicke des Balkens 2 R: Durchmesser des Baumstammes b Bild IV-54 Zum Widerstandsmoment eines Balkens 3 Anwendung der Differentialrechnung 399 Lösung: Das Widerstandsmoment W hängt von den Größen b und h ab, die jedoch nicht unabhängig voneinander sind, sondern über den Satz des Pythagoras mit dem Radius R des Baumstammes wie folgt verknüpft sind: b 2 þ h 2 ¼ ð2 RÞ 2 ¼ 4 R 2 ) h2 ¼ 4 R2 b2 Mit Hilfe dieser als Nebenbedingung oder auch Kopplungsbedingung bezeichneten Beziehung lässt sich das Widerstandsmoment W als eine nur von der Größe b abhängige Funktion darstellen: W ðbÞ ¼ 1 1 1 b h2 ¼ b ð4 R 2 b 2 Þ ¼ ð4 R 2 b b 3 Þ 6 6 6 ð0 < b < 2 RÞ. Die „Randwerte“ b ¼ 0 und b ¼ 2 R kommen als Lösungen nicht infrage 6Þ . Wir bestimmen jetzt das absolute Maximum unserer Zielfunktion W ðbÞ im offenen Intervall 0 < b < 2 R. Die dabei benötigten Ableitungen lauten: d 2W ¼ b db 2 dW 1 ¼ ð4 R 2 3 b 2 Þ , db 6 Aus der für ein Maximum notwendigen Bedingung 4 R2 3 b2 ¼ 0 b2 ¼ ) 4 2 4 R ¼ 3 R2 3 9 3 b2 ¼ 4 R2 ) ) dW ¼ 0 folgt dann: db 2 pffiffiffiffiffi b 1=2 ¼ þ 3R þ 3 1,155 R Der negative Wert scheidet dabei als Lösung aus, der positive Wert dagegen liegt im Intervall 0 < b < 2 R und erweist sich wegen d 2W 2 pffiffiffiffiffi 2 pffiffiffiffiffi 3 R ¼ 3R < 0 b ¼ 1 2 db 3 3 2 pffiffiffiffiffi als das gesuchte Maximum. Der Balkenbreite b ¼ 3 R entspricht eine Höhe 3 2 pffiffiffiffiffi von h ¼ 6 R (ermittelt aus der Nebenbedingung). Für diese Werte ist das 3 Widerstandsmoment des Balkens am größten. Es beträgt dann (bitte nachrechnen) 2 pffiffiffiffiffi 8 pffiffiffiffiffi 3 W max ¼ W b ¼ 3R ¼ 3R 3 27 Hinweis: Das Widerstandsmoment W lässt sich sowohl durch die Balkenbreite b als auch durch die Balkendicke h ausdrücken. Wir haben uns hier für die erste Variante entschieden, weil dann der funktionale Zusammenhang besonders einfach ist (W ist eine Polynomfunktion 3. Grades von b). Drückt man jedoch W durch h aus, so erhält man (wiederum unter Verwendung der Nebenbedingung) die weitaus kompliziertere Funktion ffi 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi W ðhÞ ¼ 4 R2 h2 h2 ¼ 4 R2 h4 h6 ð0 < h < 2 RÞ 6 6 6) b ¼ 0: Balken der Breite 0; b ¼ 2 R: Balken der Dicke 0 400 IV Differentialrechnung Das gesuchte absolute Maximum dieser Funktion lässt sich jedoch über die Zielfunktion y ¼ 4 R2 h4 h6 ð0 < h < 2 RÞ bestimmen (Radikand der Wurzel). & 3.6 Kurvendiskussion Der Verlauf einer Funktion lässt sich in seinen wesentlichen Zügen aus bestimmten charakteristischen Kurvenpunkten und Funktionsmerkmalen wie beispielsweise Nullstellen, Symmetrie, relativen Extremwerten, Wendepunkten und Asymptoten leicht erschließen. Kurvendiskussion bedeutet daher an dieser Stelle: Untersuchung und Feststellung der Funktionseigenschaften und des Funktionsverlaufs mit den Hilfsmitteln der Differentialrechnung. Wir empfehlen, die Diskussion einer Funktion nach dem folgenden Schema vorzunehmen: Definitionsbereich/Definitionslücken Symmetrie (gerade, ungerade Funktion) Nullstellen, Schnittpunkt mit der y-Achse Pole, senkrechte Asymptoten (Polgeraden) Ableitungen (in der Regel bis zur 3. Ordnung) Relative Extremwerte (Maxima und Minima) Wendepunke, Sattelpunkte Verhalten der Funktion für x ! þ 1, Asymptoten im Unendlichen Wertebereich der Funktion Zeichnung der Funktion in einem geeigneten Maßstab Auch Untersuchungen des Monotonie- und Krümmungsverhaltens sind oft sehr nützlich. & Beispiele (1) y ¼ 5x2 þ 5 x3 (echt gebrochenrationale Funktion; x 6¼ 0) Definitionsbereich: Die Funktion ist für jedes reelle x 6¼ 0 definiert. An der Stelle x 0 ¼ 0 besitzt sie eine Definitionslücke. Symmetrie: Der Zähler ist eine gerade, der Nenner eine ungerade Funktion. Daher ist die Funktion selbst ungerade (Punktsymmetrie). Nullstellen, Pole: Zähler und Nenner werden zunächst in Linearfaktoren zerlegt, aus denen sich dann die Nullstellen bzw. Pole der Funktion unmittelbar ablesen lassen: y ¼ 5x2 þ 5 5 ðx 2 1Þ 5 ðx þ 1Þ ðx 1Þ ¼ ¼ 3 x x3 x3 Wir stellen fest: Zähler und Nenner haben keine gemeinsamen Nullstellen. 3 Anwendung der Differentialrechnung Nullstellen: x 1 ¼ 1 , 401 x2 ¼ 1 Pole: x 3 ¼ 0 ( Pol mit Vorzeichenwechsel wegen der Punktsymmetrie) Senkrechte Asymptote (Polgerade): x ¼ 0 (y-Achse) Ableitungen der Funktion ( jeweils mit Hilfe der Quotientenregel ): y0 ¼ 5 ðx 2 3Þ , x4 y 00 ¼ Relative Extremwerte: y 0 ¼ 0 10 ðx 2 6Þ , x5 y 000 ¼ 30 ðx 2 10Þ x6 und y 00 6¼ 0 y0 ¼ 0 ) y 00 ðx 4 ¼ pffiffiffiffiffi 10 pffiffiffiffiffi 3 > 0 3Þ ¼ 9 x2 3 ¼ 0 x 4=5 ¼ þ ) pffiffiffiffiffi 3 ) pffiffiffiffiffi Relatives Minimum an der Stelle x 4 ¼ 3 pffiffiffiffiffi 10 pffiffiffiffiffi Min ¼ 3; 3 ¼ ð1,73; 1,92Þ 9 y 00 ðx 5 ¼ pffiffiffiffiffi 10 pffiffiffiffiffi 3 < 0 3Þ ¼ 9 ) pffiffiffiffiffi Relatives Maximum an der Stelle x 5 ¼ 3 pffiffiffiffiffi 10 pffiffiffiffiffi Max ¼ 3 ; 3 ¼ ð 1,73; 1,92Þ 9 Wendepunkte: y 00 ¼ 0 y 00 ¼ 0 ) und y 000 6¼ 0 x2 6 ¼ 0 ) x 6=7 ¼ þ pffiffiffiffiffi 6 pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 5 y 000 ðx 6=7 ¼ þ 6 Þ ¼ 9 6¼ 0 ) Wendepunkte f ür x 6=7 ¼ þ 6 pffiffiffiffiffi 25 pffiffiffiffiffi W1 ¼ 6 ¼ ð2,45; 1,70Þ 6; 36 pffiffiffiffiffi 25 pffiffiffiffiffi ¼ ð 2,45; 1,70Þ W2 ¼ 6 ; 6 36 Krümmungsverhalten: Wir zerlegen zunächst den Definitionsbereich in vier Teilbereiche (Intervalle) gemäß Bild IV-55 und untersuchen dann das Krümmungsverhalten in den einzelnen Intervallen. 402 IV Differentialrechnung x<– 6 – 6<x<0 0<x< 6 – 6 x> 6 x 6 0 Bild IV-55 pffiffiffiffiffi Im Intervall 0 < x < 6 beispielsweise gilt y 00 > 0, da Zähler und Nenner der 2. Ableitung dort positiv sind. Die Kurve ist hier also nach links gekrümmt. Für die übrigen Teilintervalle erhalten wir analog folgende Aussagen: Teilintervall Krümmungsart pffiffiffiffiffi 1 < x < 6 pffiffiffiffiffi 6 < x < 0 pffiffiffiffiffi 0 < x < 6 pffiffiffiffiffi 6 < x < 1 y 00 > 0 y y y ) Linkskrümmung 00 < 0 ) Rechtskrümmung 00 > 0 ) Linkskrümmung 00 < 0 ) Rechtskrümmung Verhalten der Funktion im Unendlichen: Die Funktion ist echt gebrochen und strebt daher für x ! þ 1 asymptotisch gegen die x-Achse. Asymptote im Unendlichen: y ¼ 0 (x-Achse) Wertebereich: 1 < y < 1 Zeichnung der Funktion: Der Funktionsverlauf ist in Bild IV-56 dargestellt. Dabei wurde auf beiden Achsen der gleiche Maßstab gewählt. y 5 y= W2 – 5x 2 + 5 x3 Max 1 –10 –5 –1 –1 10 1 5 Min W1 –5 Bild IV-56 Funktionsgraph von y ¼ 5x2 þ 5 , x 6¼ 0 x3 x 3 Anwendung der Differentialrechnung (2) 403 Wir untersuchen den Verlauf einer durch die Funktionsgleichung y ¼ y ðtÞ ¼ 3 e 0,1 t cos t ðt 0Þ beschriebenen gedämpften Schwingung 7Þ . Definitionsbereich: t 0 (aus physikalischen Gründen) Nullstellen: y ¼ 0 3 e 0,1 t cos t ¼ 0 |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} 6¼ 0 ) cos t ¼ 0 Lösungen sind die positiven Nullstellen der Kosinusfunktion: tk ¼ p þ kp 2 ðk 2 NÞ Ableitungen der Funktion (mit Hilfe der Produkt- und Kettenregel): y ¼ 3 e 0,1 t cos t ¼ 3 ðu vÞ |fflffl{zfflffl} |ffl{zffl} u v y_ ¼ 3 ðu_ v þ v_ uÞ ¼ 3 ½ 0,1 e 0,1 t cos t sin t e 0,1 t ¼ ¼ 3 e 0,1 t ðsin t þ 0,1 cos tÞ Analog erhält man die 2. und 3. Ableitung: __y ¼ 3 e 0,1 t ð0,2 sin t 0,99 cos tÞ ___y ¼ 3 e 0,1 t ð0,97 sin t þ 0,299 cos tÞ Relative Extremwerte: y_ ¼ 0 y_ ¼ 0 ) __y 6¼ 0 3 e 0,1 t ðsin t þ 0,1 cos tÞ ¼ 0 |fflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflffl} 6¼ 0 sin t þ 0,1 cos t ¼ 0 sin t ¼ 0,1 cos t und ) ) sin t ¼ 0,1 cos t ) ) tan t ¼ 0,1 Die im Intervall t 0 gelegenen Lösungen dieser trigonometrischen Gleichung lassen sich anhand der folgenden Skizze leicht bestimmen (Bild IV-57): 7) Mechanisches Modell: Feder-Masse-Schwinger. y ðtÞ ist dann die Auslenkung (Lagekoordinate) in Abhängigkeit von der Zeit t. 404 IV Differentialrechnung y – p p 2 2 3 p 2 5 p 2 t – 0,1 y = – 0,1 arctan (– 0,1) t0 t1 Bild IV-57 Positive Lösungen der Gleichung tan t ¼ 0,1 (Skizze) Die erste positive Lösung liegt bei t 0 ¼ arctan ð 0,1Þ þ p ¼ 3,04, alle weiteren (positiven) Lösungen in Abständen von jeweils einer Periode: t k ¼ 3,04 þ k p ðk 2 NÞ Wie verhält sich die 2. Ableitung an diesen Stellen? Für gerades k (einschließlich y positiv: k ¼ 0Þ ist __ __y ð3,04 þ k pÞ ¼ 3 e 0,1 ð3,04 þ k pÞ ½ 0,2 sin ð3,04 þ k pÞ 0,99 cos ð3,04 þ k pÞ ¼ ¼ 3 ½ 0,2 sin 3,04 0,99 cos 3,04 e 0,1 ð3,04 þ k pÞ ¼ ¼ 3,016 e 0,1 ð3,04 þ k pÞ > 0 ðk ¼ 0, 2, 4, . . .Þ (Wir erinnern: Sinus und Kosinus sind periodische Funktionen mit der primitiven Periode 2 p). An diesen Stellen liegen daher relative Minima. Sie beginnen mit Min 1 ¼ ð3,04; 2,20Þ Min 2 ¼ ð9,32; 1,17Þ Min 3 ¼ ð15,61; 0,63Þ usw: Für ungerades k ist die 2. Ableitung negativ: __y ð3,04 þ k pÞ ¼ 3,016 e 0,1 ð3,04 þ k pÞ < 0 Wir erhalten an diesen Stellen daher relative Maxima: Max 1 ¼ ð6,18; 1,61Þ Max 2 ¼ ð12,47; 0,86Þ Max 3 ¼ ð18,75; 0,46Þ usw: ðk ¼ 1, 3, 5, . . .Þ 3 Anwendung der Differentialrechnung 405 Minima und Maxima folgen daher abwechselnd aufeinander im Abstand einer halben Periode. Wendepunkte: __ y ¼ 0 __y ¼ 0 und ___y 6¼ 0 3 e 0,1 t ð0,2 sin t 0,99 cos tÞ ¼ 0 |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} 6¼ 0 ) 0,2 sin t 0,99 cos t ¼ 0 sin t 0,99 ¼ ¼ 4,95 cos t 0,2 ) ) ) 0,2 sin t ¼ 0,99 cos t ) tan t ¼ 4,95 Die positiven Lösungen dieser Gleichung lauten nach Bild IV-58: t k ¼ arctan 4,95 þ k p ¼ 1,37 þ k p y ðk 2 NÞ y = 4,95 4,95 – p p 2 2 arctan 4,95 3 p 2 t1 5 p 2 t t2 Bild IV-58 Positive Lösungen der Gleichung tan t ¼ 4,95 (Skizze) Die 3. Ableitung ist an diesen Stellen abwechselnd positiv und negativ und damit von Null verschieden, so dass tatsächlich Wendepunkte vorliegen. Sie beginnen mit W 1 ¼ ð 1,37; 0,52Þ W 2 ¼ ð 4,51; 0,38Þ W 3 ¼ ð 7,65; 0,28Þ W 4 ¼ ð10,80; 0,20Þ W 5 ¼ ð13,94; 0,15Þ usw: Wertebereich: 2,20 y 3 (Der größte Wert wird dabei für t ¼ 0, der kleinste im 1. Minimum angenommen!). Zeichnung der Funktion: Der Funktionsverlauf ist in Bild IV-59 skizziert, wobei auf beiden Achsen der gleiche Maßstab verwendet wurde. 406 IV Differentialrechnung y y = 3 · e – 0,1t · cos t 3 Max Max 1 –1 10 1 15 t 5 Min Min –3 Min Bild IV-59 Verlauf einer gedämpften Schwingung, dargestellt am Beispiel der Funktion y ¼ 3 e 0,1 t cos t für t 0 & 3.7 Näherungsweise Lösung einer Gleichung nach dem Tangentenverfahren von Newton 3.7.1 Iterationsverfahren Die Bestimmung der Lösungen einer Gleichung f ðxÞ ¼ 0 mit der Unbekannten x gehört zu den wichtigsten Aufgaben der „praktischen“ Mathematik 8). Ist x 1 eine solche Lösung, d. h. f ðx 1 Þ ¼ 0, so kann der Wert x 1 auch als eine Nullstelle der Funktion y ¼ f ðxÞ aufgefasst werden. Daher ist das Problem, die Lösungen einer Gleichung vom Typ f ðxÞ ¼ 0 zu bestimmen, dem Problem, die Nullstellen der Funktion y ¼ f ðxÞ zu ermitteln, völlig gleichwertig. Das von Newton stammende Näherungsverfahren zur Berechnung der reellen Nullstellen einer Funktion y ¼ f ðxÞ ist ein sog. Iterationsverfahren, das von einem Näherungswert x 0 (auch Anfangswert, Startwert oder Rohwert genannt) ausgeht und durch wiederholtes Anwenden einer bestimmten Rechenvorschrift eine Folge von Näherungswerten x 0 , x 1 , x 2 , . . . , x n , . . . konstruiert, die unter bestimmten Voraussetzungen gegen die exakte Lösung x konvergiert: x 0 , x 1 , x 2 , . . . , x n , . . . ! x ðIV-93Þ Diese Rechenvorschrift (Iterationsvorschrift) ist in Form einer Gleichung vom Typ x n ¼ F ðx n 1 Þ ðn ¼ 1, 2, 3, . . .Þ ðIV-94Þ darstellbar. Durch Einsetzen des Startwertes x 0 in die Rechenvorschrift erhält man die 1. Näherung x 1 ¼ F ðx 0 Þ. Fasst man jetzt x 1 als einen neuen (verbesserten) „Anfangswert“ für die (unbekannte) exakte Lösung (Nullstelle) x auf, so erhält man durch Einsetzen von x 1 in die Iterationsgleichung (IV-94) die 2. Näherung x 2 ¼ F ðx 1 Þ usw.. 8) In den Anwendungen sind in der Regel nur die reellen Lösungen einer Gleichung von Bedeutung. Daher beschränken wir uns auf diesen wichtigsten Fall. 3 Anwendung der Differentialrechnung 407 Die so konstruierte Folge von Näherungswerten konvergiert dann unter gewissen Voraussetzungen gegen die gesuchte exakte Lösung x. 3.7.2 Tangentenverfahren von Newton Das Newtonsche Tangentenverfahren geht von den folgenden berlegungen aus: (1) Ist x 0 irgendein geeigneter Näherungswert für die (unbekannte) Nullstelle x einer Funktion y ¼ f ðxÞ, so wird im 1. Schritt der Funktionsgraph von y ¼ f ðxÞ durch die im Kurvenpunkt P 0 ¼ ðx 0 ; y 0 Þ errichtete Kurventangente mit der Gleichung y y0 ¼ f 0 ðx 0 Þ ðmit y 0 ¼ f ðx 0 ÞÞ ðIV-95Þ x x0 ersetzt. Diese Tangente schneidet dabei die x-Achse an der Stelle x 1 , die in der Regel eine bessere Näherung für die gesuchte Nullstelle darstellt als der Startwert x 0 (Bild IV-60). Der Wert x 1 wird dabei aus der Gleichung 0 y0 ¼ f 0 ðx 0 Þ x1 x0 ðIV-96Þ berechnet (Schnittpunkt mit der x-Achse: S 1 ¼ ðx 1 ; 0ÞÞ. y y = f (x) Tangente in P 0 Tangente in P 1 P0 P1 y0 y1 x x2 x1 x0 x Bild IV-60 Zum Tangentenverfahren von Newton Durch Auflösen dieser Gleichung nach x 1 erhält man den 1. Näherungswert x1 ¼ x0 y0 f ðx 0 Þ ¼ x0 0 f ðx 0 Þ f 0 ðx 0 Þ ðIV-97Þ der eine Verbesserung gegenüber dem Startwert x 0 darstellt. Bild IV-60 verdeutlicht diese Aussage. Dabei muss ausdrücklich f 0 ðx 0 Þ 6¼ 0 vorausgesetzt werden. Auf dieses Thema gehen wir später noch ein. 408 (2) IV Differentialrechnung Den Näherungswert x 1 fassen wir nun als Anfangswert eines weiteren Iterationsschrittes auf. Die im Kurvenpunkt P 1 ¼ ðx 1 ; y 1 Þ errichtete Kurventangente besitzt die Gleichung y y1 ¼ f 0 ðx 1 Þ ðmit y 1 ¼ f ðx 1 ÞÞ ðIV-98Þ x x1 Ihr Schnittpunkt S 2 ¼ ðx 2 ; 0Þ mit der x-Achse liefert die 2. Näherung x 2 für die gesuchte Nullstelle der Funktion: 0 y1 ¼ f 0 ðx 1 Þ x2 x1 ) x2 ¼ x1 y1 f ðx 1 Þ ¼ x1 0 f ðx 1 Þ f ðx 1 Þ 0 ðIV-99Þ Dieser Wert ist eine bessere Näherung als der Wert x 1 aus der 1. Näherung. (3) Jetzt wird x 2 als Startwert betrachtet und das beschriebene Verfahren wiederholt. Nach n Schritten gelangen wir schließlich zur n-ten Näherung x n , die aus der allgemeinen Iterationsvorschrift xn ¼ xn1 f ðx n 1 Þ f 0 ðx n 1 Þ ðn ¼ 1, 2, 3, . . .Þ ðIV-100Þ berechnet wird (Newtonsches Tangentenverfahren). Bevor wir das Newtonsche Iterationsverfahren auf konkrete Beispiele anwenden, wollen wir noch auf drei wichtige Punkte näher eingehen: Konvergenzkriterium Die Konvergenz der nach dem Newtonschen Tangentenverfahren konstruierte Folge von Näherungswerten x 0 , x 1 , x 2 , . . . , x n , . . . gegen die exakte Lösung x ist mit Sicherheit gewährleistet, wenn im Intervall ½ a, b , in dem alle Näherungswerte liegen sollen, die Bedingung f ðxÞ f 00 ðxÞ ð f 0 ðxÞ 6¼ 0Þ ðIV-101Þ < 1 ½ f 0 ðxÞ 2 stets erfüllt ist (hinreichende Konvergenzbedingung). Dabei wird vorausgesetzt, dass f ðxÞ (mindestens) zweimal differenzierbar ist. „Günstig“ ist somit ein Startwert x 0 , bei dem sowohl der Funktionswert f ðx 0 Þ als auch die 2. Ableitung f 00 ðx 0 Þ möglichst klein sind (dann nämlich ist der Zähler der Konvergenzbedingung klein). Die 1. Ableitung f 0 ðx 0 Þ sollte dagegen nicht zu klein sein (sonst wird der Nenner der Konvergenzbedingung zu klein und der Bruch damit zu groß). Mit anderen Worten: Der dem Startwert entsprechende Kurvenpunkt sollte eine möglichst kleine Ordinate haben, die Kurve an dieser Stelle möglichst schwach gekrümmt sein und die dortige Kurventangente nicht zu flach verlaufen. Ist die Konvergenzbedingung jedoch bereits für den Startwert x 0 nicht erfüllt, so ist dieser Wert als Startwert „ungeeignet“, d. h., es ist nicht sichergestellt, dass die aus diesem Startwert x 0 resultierende Folge von Näherungswerten gegen die gesuchte Lösung strebt. In einem solchen Fall ist es in der Regel günstiger, sich nach einem neuen, „besseren“ Startwert umzusehen. 3 Anwendung der Differentialrechnung 409 Ungeeignete Startwerte Völlig ungeeignet sind dagegen Startwerte, in deren unmittelbarer Umgebung die Kurventangente nahezu parallel zur x-Achse verläuft. In solchen Punkten ist nämlich f 0 ðxÞ nur wenig von Null verschieden: Der Schnittpunkt der nur schwach geneigten Kurventangente mit der x-Achse liegt daher meist in großer Entfernung vom Startwert x 0 . Die Folge der Näherungswerte konvergiert daher in diesem Falle im Allgemeinen nicht gegen die gesuchte Lösung. Dies folgt auch unmittelbar aus dem Konvergenzkriterium (IV-101). Denn der Ausdruck der linken Seite in diesem Kriterium wird immer dann sehr groß sein, wenn der Nenner und damit die Ableitung f 0 ðxÞ sehr klein ist. Dieser Fall wird aber genau dann eintreten, wenn die Kurventangente flach verläuft (wie beispielsweise in der Nähe eines relativen Extremwertes oder eines Sattelpunktes, siehe hierzu Bild IV-61). Das Konvergenzkriterium (IV-101) kann daher in einem solchen Fall nicht erfüllt werden. y Tangente in P 0 P0 x x0 x1 x Bild IV-61 Ungeeigneter Startwert in der Nähe eines Extremwertes Beschaffung eines geeigneten Startwertes x 0 Zu Beginn dieses Abschnittes haben wir bereits darauf hingewiesen, dass man die Lösungen einer Gleichung f ðxÞ ¼ 0 auch als Nullstellen der Funktion y ¼ f ðxÞ auffassen kann, deren ungefähre Lage sich in vielen Fällen auf graphischem Wege durch Zeichnen des zugehörigen Funktionsgraphen ermitteln lässt. Bei komplizierter gebauten Gleichungen kann man versuchen, diese durch Termumstellungen auf folgende Form zu bringen: f ðxÞ ¼ 0 , f 1 ðxÞ ¼ f 2 ðxÞ ðIV-102Þ (Aufspalten der Funktion f ðxÞ in zwei einfacher gebaute Funktionen f 1 ðxÞ und f 2 ðxÞÞ. Die Lösungen dieser Gleichung ergeben sich dann auf zeichnerischem Wege als Schnittpunkte der beiden Kurven y ¼ f 1 ðxÞ und y ¼ f 2 ðxÞ. Da die Funktionen y ¼ f 1 ðxÞ und y ¼ f 2 ðxÞ wesentlich einfacher gebaut sind als die Ausgangsfunktion y ¼ f ðxÞ, ist das Zeichnen der zugehörigen Kurven im Allgemeinen kein großes Problem. Die Abszissenwerte der Kurvenschnittpunkte liefern dann geeignete Rohwerte (Startwerte) für die gesuchten Lösungen der Gleichung f ðxÞ ¼ 0 und können direkt aus der Skizze abgelesen werden. 410 IV Differentialrechnung Wir fassen diese wichtigen Ergebnisse wie folgt zusammen: Tangentenverfahren von Newton (Bild IV-60) Ausgehend von einem geeigneten Startwert x 0 , der die Konvergenzbedingung f ðx Þ f 00 ðx Þ 0 0 ðIV-103Þ < 1 ½ f 0 ðx 0 Þ 2 erfüllen soll, erhält man aus der Iterationsvorschrift xn ¼ xn1 f ðx n 1 Þ f 0 ðx n 1 Þ ðn ¼ 1, 2, 3, . . .Þ ðIV-104Þ eine Folge von Näherungswerten x 0 , x 1 , x 2 , . . . für die (unbekannte) Lösung der Gleichung f ðxÞ ¼ 0. Diese Folge konvergiert mit Sicherheit gegen die gesuchte Lösung, wenn die Konvergenzbedingung (IV-103) für jeden dieser Näherungswerte erfüllt ist. Den für dieses Verfahren benötigten Startwert x 0 erhält man in vielen Fällen am bequemsten auf graphischem Wege nach einer der beiden folgenden Methoden: 1. Methode: Man zeichnet grob den Verlauf der Funktion y ¼ f ðxÞ und liest aus der Skizze die ungefähre Lage der (gesuchten) Nullstelle ab. Dieser Näherungswert wird dann als Startwert x 0 verwendet. 2. Methode: Zunächst wird die Gleichung f ðxÞ ¼ 0 durch Termumstellungen in eine geeignetere Form vom Typ f 1 ðxÞ ¼ f 2 ðxÞ ðIV-105Þ gebracht. Dann werden die Kurven y ¼ f 1 ðxÞ und y ¼ f 2 ðxÞ grob skizziert und der Abszissenwert des Kurvenschnittpunktes abgelesen. Er liefert den benötigten Startwert x 0 . Anmerkungen (1) Die Anzahl der gültigen Dezimalstellen der Näherungslösungen verdoppelt sich nahezu mit jedem Iterationsschritt. (2) Besitzt die Gleichung f ðxÞ ¼ 0 mehrere Lösungen, so muss man zu jeder (gesuchten) Lösung einen geeigneten Startwert bestimmen und dann das NewtonVerfahren für die einzelnen Startwerte getrennt anwenden. Wir werden nun die Brauchbarkeit des Newtonschen Tangentenverfahrens an zwei ausgewählten Beispielen demonstrieren. 3 Anwendung der Differentialrechnung & 411 Beispiele (1) f ðxÞ ¼ 2,2 x 3 7,854 x 2 þ 6,23 x 22, 2411 ¼ 0 Um uns einen berblick über die Lage der Nullstellen von f ðxÞ zu verschaffen (bis zu drei Nullstellen sind möglich), berechnen wir einige Funktionswerte und skizzieren in diesem Bereich grob den Funktionsverlauf (Bild IV-62): Wertetabelle: x y 0 1 2 3 4 22,24 21,67 23,60 14,84 þ 17,81 y 20 10 1 2 3 4 x –10 –20 x ≈ 3,5 Bild IV-62 –30 Anhand der Skizze erkennt man, dass eine Lösung der Gleichung zwischen x ¼ 3 und x ¼ 4 liegen muss. Wir wählen daher als Startwert x 0 ¼ 3,5. Bevor wir mit der Newton-Iteration beginnen, prüfen wir noch mit Hilfe des Konvergenzkriteriums (IV-103), ob dieser Wert auch als Startwert „geeignet“ ist. Für das Kriterium benötigen wir noch den Funktionswert f ð3,5Þ sowie die Ableitungswerte f 0 ð3,5Þ und f 00 ð3,5Þ: f ðxÞ ¼ 2,2 x 3 7,854 x 2 þ 6,23 x 22,2411 0 ) f ð3,5Þ ¼ 2,3226 0 f ðxÞ ¼ 6,6 x 15,708 x þ 6,23 ) f ð3,5Þ ¼ 32,1020 f 00 ðxÞ ¼ 13,2 x 15,708 ) f 00 ð3,5Þ ¼ 30,4920 2 Das Konvergenzkriterium (IV-104) führt dann zu dem folgenden Ergebnis: f ð3,5Þ f 00 ð3,5Þ ð 2,3226Þ 30,4920 ¼ 0,0687 < 1 ¼ 32,1020 2 ½ f 0 ð3,5Þ 2 Folgerung: Der Startwert x 0 ¼ 3,5 ist also „geeignet“. Mit der Iterationsformel (IV-104) erhalten wir im 1. Schritt einen verbesserten Näherungswert: x1 ¼ x0 f ðx 0 Þ f ð3,5Þ 2,3226 ¼ 3,5724 ¼ 3,5 0 ¼ 3,5 f 0 ðx 0 Þ f ð3,5Þ 32,1020 412 IV Differentialrechnung Die weiteren Näherungswerte lauten dann: n xn1 f ðx n 1 Þ f 0 ðx n 1 Þ xn 2,3226 32,1020 3,5724 1 3,5 2 3,5724 0,0823 34,3442 3,5700 3 3,5700 0,0000 Bereits nach zwei Iterationsschritten erhalten wir die (sogar exakte) Lösung x ¼ 3,5700. Anmerkung zum verwendeten Startwert Hätten wir als Startwert z. B. den gröberen Wert x 0 ¼ 4 gewählt, so wäre ein weiterer Interationsschritt nötig gewesen: n xn1 f ðx n 1 Þ f 0 ðx n 1 Þ xn 17,8149 48,9980 3,6364 1 4 2 3,6364 2,3453 36,3839 3,5719 3 3,5719 0,0652 34,3285 3,5700 4 3,5700 0,0000 Allgemein gilt daher die Faustregel: Je genauer der Startwert x 0 , um so weniger Iterationsschritte werden benötigt. Besitzt die vorgegebene Gleichung 3. Grades noch weitere Lösungen (bis zu drei Lösungen sind ja bekanntlich möglich)? Um diese Frage zu beantworten, reduzieren wir die Gleichung zunächst mit Hilfe des Horner-Schemas (Abspaltung des Linearfaktors x 3,57, der zur bereits bekannten Lösung 3,57 gehört): 2,2 x ¼ 3,57 2,2 7,854 6,23 22,2411 7,854 0 22,2411 0 6,23 0 Das 1. reduzierte Polynom f 1 ðxÞ ¼ 2,2 x 2 þ 0 x þ 6,23 ¼ 2,2 x 2 þ 6,23 hat keine reellen Nullstellen. Damit besitzt die Ausgangsgleichung genau eine reelle Lösung an der Stelle x ¼ 3,57. (2) Die Lösungen der transzendenten Gleichung x 2 þ 2 e x ¼ 0 oder (nach einer Termumstellung) x 2 þ 2 ¼ e x können als die Abszissenwerte der Schnittpunkte der Parabel y ¼ x 2 þ 2 mit der Exponentialfunktion y ¼ e x aufgefasst werden. Aus der graphischen Darstellung in Bild IV-63 folgt, dass genau eine Lösung in der Nähe von x 0 ¼ 1,5 existiert. 3 Anwendung der Differentialrechnung 413 y y = ex y=x2+2 5 Bild IV-63 Graphische Ermittlung einer Näherungslösung der Gleichung x 2 þ 2 ¼ e x 1 –1 1 2 x ≈ 1,5 Dieser Wert ist als Startwert geeignet, da er das Konvergenzkriterium erfüllt: f ðxÞ ¼ x2 þ 2 ex f 0 ðxÞ ¼ 2 x e x ) f ð1,5Þ ¼ 0,2317 ) f 0 ð1,5Þ ¼ 1,4817 f 00 ðxÞ ¼ 2 e x ) f 00 ð1,5Þ ¼ 2,4817 f ð1,5Þ f 00 ð1,5Þ ð 0,2317Þ ð 2,4817Þ ¼ ¼ 0,2619 < 1 2 2 0 ½ f ð1,5Þ ð 1,4817Þ Damit ergeben sich aus der Iterationsformel (IV-104) folgende Näherungswerte: n xn1 f ðx n 1 Þ f 0 ðx n 1 Þ xn 1 2 3 4 1,5 1,3436 1,3195 1,3190 0,2317 0,0276 0,0005 þ 0,0000 1,4817 1,1456 1,1026 1,3436 1,3195 1,3190 Die einzige Lösung der transzendenten Gleichung x 2 þ 2 e x ¼ 0 liegt daher an der Stelle x ¼ 1,3190. & 414 IV Differentialrechnung bungsaufgaben Zu Abschnitt 1 1) Berechnen Sie auf dem direkten Wege über den Differenzenquotienten die Ableitung der Funktion f ðxÞ ¼ x 3 a) an der Stelle x 0 ¼ 1 , b) an der Stelle x 0 : 2) Differenzieren Sie die folgenden Funktionen von x nach der Potenzregel: p ffiffiffiffiffiffiffi 4 aÞ y ¼ 4 x 5 bÞ y ¼ 2 x a þ 1 cÞ y ¼ x 3 p ffiffiffiffiffiffiffi x2 3 ffiffiffiffi fÞ y ¼ x 1=2 dÞ y ¼ p eÞ y ¼ x4 3 x Zu Abschnitt 2 1) Differenzieren Sie die folgenden Funktionen nach der Summenregel: aÞ y ¼ 10 x 4 þ 2 x 3 2 cÞ y ¼ bÞ 10 3 lg x þ tan x x3 dÞ z ðtÞ ¼ a cos t t 2 þ e t þ 1 ffiffiffiffiffiffiffi p 3 y ¼ 4 x 5 4 e x þ sin x 2) Differenzieren Sie die folgenden Funktionen nach der Produktregel: aÞ y ¼ ð4 x 3 2 x þ 1Þ ðx 2 2 x þ 5Þ bÞ y ¼ tan 2 x cÞ eÞ y ¼ 2 x ln x hÞ y ¼ ln x cosh x dÞ y ¼ ð3 x þ 5 x 2 1Þ 2 fÞ y ¼ e t cos t gÞ y ¼ xn ex iÞ y ¼ x 2 arcsin x jÞ y ¼ 2 x e x cos x y ¼ sin x cos x 3) Differenzieren Sie die folgenden Funktionen nach der Quotientenregel: aÞ y ¼ 5x5 6x2 þ 1 x2 þ 2x þ 1 bÞ dÞ y ¼ 2x3 6x2 þ x 3 x3 5x gÞ y ¼ cot x ¼ cos x sin x hÞ jÞ y ¼ tanh x ¼ sinh x cosh x cÞ y ¼ ln x x2 eÞ y ¼ e x ln x fÞ y ¼ ln x x y ¼ 1 þ cos x 1 sin x iÞ y ¼ arctan x ex kÞ y ¼ x 1=2 x 2 x2 þ 1 lÞ y ¼ y ¼ 10 x x2 þ 1 ex x 1 bungsaufgaben 415 4) Differenzieren Sie die folgenden Funktionen nach der Kettenregel: 10 2x þ 5 aÞ y ¼ 5 ð4 x 3 x 2 þ 1Þ 5 bÞ y ¼ cÞ y ¼ sin ðx þ 2Þ dÞ y ¼ 2 cos ð10 t p=3Þ eÞ y ¼ 3 e4x fÞ y ¼ sin 2 ð2 x 4Þ hÞ y ¼ ex jÞ y ¼ arctan ðx 2 þ 1Þ lÞ y ¼ ðx 3 4 x þ 5Þ 5=3 nÞ y ¼ ln j cos x j y ¼ 2 ln ðx 3 2 xÞ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi iÞ y ¼ arccos x 2 1 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 3 kÞ y ¼ ðx 2 4 x þ 10Þ 2 gÞ mÞ y ¼ 5 cos ðx 2 þ 2 x 1Þ 2 x3 2 2xþ5 5) Differenzieren Sie die folgenden Funktionen: aÞ y ¼ e 2 t cos t bÞ u ¼ e x sin x cÞ y ¼ ðx 2 1Þ 2 ðx þ 5Þ 3 dÞ y ¼ ð2 x 2 4 x þ 5Þ sin ð2 xÞ eÞ y ¼ e 2 x arcsin ðx 1Þ fÞ z ¼ ð2 3 tÞ e 5 t gÞ y ¼ x ln ðx þ e x Þ 2 hÞ y ¼ 4 x ln x jÞ y ¼ 4 cos ðx 4Þ þ sin ð2 x þ 3Þ lÞ y ¼ ln ðtanh tÞ nÞ y ¼ 2x y ¼ sin ðx 2 þ 1Þ cos ð4 xÞ 1 x þ4 þ ln kÞ y ¼ ln x2 x n 1þx mÞ y ¼ x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi oÞ y ¼ sin x iÞ qÞ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x2 1 pÞ y ðtÞ ¼ A e a t þ B e b t y ðtÞ ¼ A sin ðw t þ jÞ rÞ v ðtÞ ¼ ðA þ B tÞ e d t 6) Bestimmen Sie die jeweiligen Kurvenpunkte mit waagerechter Tangente: aÞ y ¼ 5 ex cÞ y ¼ sin x cos x dÞ y ¼ ½ 1 e x þ 2 2 eÞ y ¼ 4x3 6x2 9x fÞ y ðtÞ ¼ ð2 tÞ e 5 t 2 bÞ y ¼ 3 ðx 2Þ 2 ðx 1Þ 1 3 x x ver7) In welchen Punkten der Kurve mit der Funktionsgleichung y ¼ 3 1 x 2? laufen die Tangenten parallel zur Geraden y ¼ 4 416 IV Differentialrechnung 8) Bestimmen Sie für die folgenden Funktionen diejenigen Kurvenpunkte, in denen die Tangenten parallel zur x-Achse verlaufen: aÞ y ¼ x ex 2 bÞ y ¼ 5 þ 3x2 1 4 x 2 9) Bestimmen Sie den auf der Kurve y ¼ 2 e 3 t gelegenen Punkt, dessen Tangente mit der positiven t-Achse einen Winkel von 30 bildet. 10) Bilden Sie die 1. Ableitung der nachstehenden Funktionen durch logarithmische Differentiation: aÞ y ¼ x cos x bÞ y ¼ e x cos x cÞ y ¼ 2 e 1=x 11) Beweisen Sie die Potenzregel mit Hilfe der logarithmischen Differentiation. Hinweis: y ¼ x n erst logarithmieren, dann differenzieren. 12) Bilden Sie die 1. Ableitung über die jeweilige Umkehrfunktion: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi aÞ y ¼ arcsin x bÞ y ¼ x þ 1 cÞ y ¼ ln x dy der folgenden 13) Durch implizite Differentiation gewinne man die Ableitung y 0 ¼ dx Funktionen (Kurven): aÞ Kreis : x2 þ y2 ¼ r2 bÞ Ellipse : b2 x2 þ a2 y2 ¼ a2 b2 cÞ Kardioide : ðx 2 þ y 2 Þ 2 2 x ðx 2 þ y 2 Þ ¼ y 2 dÞ x2 ¼ y3 eÞ y3 2 x y2 ¼ 1 x 14) Bestimmen Sie durch implizite Differentiation den Anstieg der Kreistangente im Punkte P 0 ¼ ð4; y 0 > 0Þ des Kreises ðx 2Þ 2 þ ðy 1Þ 2 ¼ 25. 15) Differenzieren Sie die folgenden Funktionen zweimal: aÞ y ¼ e 0,8 t cos t bÞ y ¼ x 3 ln x x arctan x x2 1 þ x2 dÞ y ¼ A sin ðw t þ jÞ fÞ y ¼ cÞ y ¼ eÞ y ¼ 4 x sin x ðx 2Þ ðx þ 5Þ x3 þ x2 2 bungsaufgaben 417 16) Bilden Sie die jeweils verlangte Ableitung: __y ð0Þ aÞ y ¼ e 2 t sin ð4 t þ 5Þ , bÞ y ¼ x ln x , y 000 ðxÞ ¼ ? , x 1 2 y ¼ , y 0 ð0Þ ¼ ? , x þ1 cÞ ¼ ? y 000 ð1Þ ¼ ? y 00 ð0Þ ¼ ? , y 000 ð0Þ ¼ ? dy 17) Bilden Sie den 1. Differentialquotient ¼ y 0 für die folgenden in der Paramedx terform dargestellten Funktionen: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffi aÞ y ¼ t , y ¼ t þ1, t 0, y 0 ðt 0 ¼ 1Þ ¼ ? x ¼ cos 3 t , bÞ Astroide : cÞ x ¼ arcsin t , dÞ x ¼ t 2, y ¼ sin 3 t , y ¼ t2 , y ¼ t 3, 1 < t < 1 1 < t < 1 1 < t < 1, y 0 ðt 0 ¼ 3Þ ¼ ? 18) Die Mittelpunktsellipse mit den Halbachsen a und b besitzt die Parameterdarstellung x ¼ a cos t, y ¼ b sin t ð0 t < 2 pÞ. Bestimmen Sie den Anstieg der zum Parameterwert t 1 ¼ p=4 gehörenden Ellipsentangente. Wo besitzt die Ellipse waagerechte bzw. senkrechte Tangenten? 19) Die durch die Parameterdarstellung x ¼ t2 1 , t2 þ 1 y ¼ t ðt 2 1Þ , t2 þ 1 1 < t < 1 definierte Kurve heißt Strophoide. Bestimmen Sie die Kurvenpunkte mit waagerechter bzw. senkrechter Tangente und skizzieren Sie den Kurvenverlauf. dy 20) Bilden Sie die 1. Ableitung y 0 ¼ der nachstehenden in Polarkoordinaten dardx gestellten Funktionen (Kurven): aÞ r ¼ ej bÞ r ¼ e j sin j cÞ r ¼ 1 j 21) Bestimmen Sie die waagerechten und senkrechten Tangenten der in Polarkoordinapffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ffi ten dargestellten Lemniskate r ¼ cos ð2 jÞ und skizzieren Sie den Kurvenverlauf. 22) Für die logarithmische Spirale r ¼ e j bestimme man alle im Intervall 0 j 2 p gelegenen Punkte mit waagerechter bzw. senkrechter Tangente. 23) Die Weg-Zeit-Funktion s ðtÞ ¼ 1,8 ms 2 t 2 þ 4 ms 1 t þ 10 m beschreibe die geradlinige Bewegung eines Massenpunktes. Berechnen Sie den Weg s, die Geschwindigkeit v und die Beschleunigung a nach t ¼ 10 s. 418 IV Differentialrechnung 24) Die gedämpfte Schwingung eines elastischen Federpendels werde durch die Gleichung y ðtÞ ¼ 2 e 0,1 t sin ð4 tÞ beschrieben. Berechnen Sie Auslenkung y, Geschwindigkeit v und Beschleunigung a zur Zeit t ¼ 3 (in willkürlichen Einheiten). 25) Eine ungedämpfte mechanische Schwingung unterliege dem Weg-Zeit-Gesetz y ðtÞ ¼ 10 cm cos ð2 s 1 t p=3Þ. Bestimmen Sie die Geschwindigkeit-ZeitFunktion v ¼ v ðtÞ und die Beschleunigung-Zeit-Funktion a ¼ a ðtÞ und berechnen Sie ihre Werte nach 3,2 s. Zu Abschnitt 3 1) Bestimmen Sie die Tangenten- und Normalengleichung an der angegebenen Stelle: y ¼ 10 ð1 e 0,2 t Þ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi bÞ y ¼ 16 x 2 in aÞ t0 ¼ 2 in x 0 ¼ 1,2 cÞ y ¼ 4 ln ðx 2 4 x þ 3Þ x0 ¼ 4 in 2) Zeigen Sie: Die an der Stelle t 0 ¼ 0 errichtete Kurventangente der Funktion y ¼ A ð1 e t=T Þ schneidet die Asymptote y ¼ A an der Stelle t 1 ¼ T. 3) Linearisieren Sie die folgenden Funktionen in der Umgebung der jeweils genannten Stelle: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi aÞ y ¼ 1 þ x4 , x0 ¼ 1 bÞ y ¼ 3 ln ð1 þ 3 x 5 Þ , cÞ r ¼ 2 cos j , x0 ¼ 3 j0 ¼ p=4 ðKurve in Polarkoordinatendarstellung) 4) Die Funktion y ¼ ln x ist in der unmittelbaren Umgebung der Stelle x 0 ¼ 5 zu linearisieren, d. h. durch die dortige Kurventangente zu ersetzen. Berechnen Sie mit dieser Näherungsfunktion die Funktionswerte an den Stellen x 1 ¼ 4,8 und x 2 ¼ 5,3 und vergleichen Sie das Ergebnis mit den exakten Werten. 5) Untersuchen Sie das Monotonie- und Krümmungsverhalten der Polynomfunktion 2 3 x 4 x 2 þ 9 x þ 1. y ¼ 3 6) Wie lautet die Gleichung derpTangente, die vom Punkte A ¼ ð 1; 0Þ aus an den ffiffiffiffi Funktionsgraphen von y ¼ x gelegt wird? 7) Zeigen Sie, dass die e-Funktion überall Linkskrümmung hat. Wie groß sind Krümmung und Krümmungsradius an der Stelle x ¼ 0? bungsaufgaben 419 8) Welche Krümmung und welchen Krümmungsradius besitzt die Mittelpunktellipse mit den Halbachsen a und b im Schnittpunkt mit der positiven y-Achse? 9) Berechnen Sie die Krümmung der Gauß-Funktion y ¼ e 0,5 x Wendepunkten (diese liegen bei 1 und þ 1). 2 in den beiden 10) Bestimmen Sie den jeweiligen Krümmungskreis (Angabe von Radius r und Mittelpunkt M): aÞ Sinusfunktion y ¼ sin x , bÞ Normalparabel y ¼ x 2 , cÞ y ¼ ð1 e x 2 Þ , Hochpunkt P ¼ ðp=2; 1Þ Scheitelpunkt S ¼ ð0; 0Þ P ¼ ð0; 0Þ 2a a2 2 , r > 0 an der Stelle r r r 0 ¼ a ein relatives (und sogar absolutes) Minimum besitzt (a und D sind positive Konstanten). 11) Zeigen Sie, dass die Funktion V ðrÞ ¼ D 12) Wo besitzen die folgenden Funktionen relative Extremwerte? bÞ z ¼ t 4 8 t 2 þ 16 cÞ y ¼ 8 x 3 þ 12 x 2 þ 18 x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi u ¼ 1þz þ 1z dÞ y ¼ x ex eÞ y ¼ sin x cos x fÞ y ¼ aÞ 2x 2x2 x2 x 6 13) Es ist zu zeigen, dass die Funktion y ¼ x 6 16 x 5 þ 105 x 4 360 x 3 þ 675 x 2 648 x þ 243 an der Stelle x 1 ¼ 3 einen Sattelpunkt besitzt. 14) Zeigen Sie, dass bei den vier trigonometrischen Funktionen die Wendepunkte mit den Nullstellen zusammenfallen und berechnen Sie die Steigung der Wendetangenten. 15) Ein Balken auf zwei Stützen (Stützweite l) hat bei gleichmäßig verteilter Last q im Abstand x vom linken Auflager das Biegemoment M ðxÞ ¼ q ðl xÞ x 2 ð0 x lÞ An welcher Stelle ist das Biegemoment am größten? 16) Zeigen Sie: Eine Parabel besitzt in ihrem Scheitelpunkt S ¼ ðx 0 ; y 0 Þ die größte Krümmung. Hinweis: Gehen Sie von der Scheitelpunktsform der Parabel aus. 420 IV Differentialrechnung 17) Die Bremskraft einer Wirbelstromscheibenbremse ist durch die Gleichung K ðvÞ ¼ a2 v þ b2 ðv 0Þ v2 als Funktion der Umfangsgeschwindigkeit v gegeben (a, b: Konstanten). a) Bei welcher Umfangsgeschwindigkeit ist die Bremskraft am größten? b) Wie groß ist dann die Bremskraft? 18) Die Leistungsaufnahme eines Verbrauchers vom Widerstand R, der durch eine Zweipolquelle (Innenwiderstand R i ; Quellspannung U 0 ) gespeist wird, beträgt P ðRÞ ¼ U 02 R ðR þ R i Þ 2 Zeigen Sie, dass der Verbraucherwiderstand R die größtmögliche Leistung aufnimmt, wenn R ¼ R i gewählt wird (sog. Leistungsanpassung). 19) Einem Kreis vom Radius R soll ein Rechteck mit größtem Flächenmoment 1 Ia ¼ a b 3 einbeschrieben werden (a, b: Seitenlängen des Rechtecks). 12 Hinweis: Das Flächenmoment ist bezogen auf eine zur Rechteckseite a parallele, durch den Flächenschwerpunkt verlaufende Bezugsachse. 20) Wie ist der rechteckige Querschnitt eines Kanals zu dimensionieren, damit der Materialverbrauch am kleinsten wird? (Querschnittsfläche des Kanals: A ¼ 4 m 2 ) 21) Einer Kugel vom Radius R ¼ 2 m ist ein senkrechter Kreiszylinder größten Volumens einzubeschreiben. 22) Zwei Massenpunkte A und B bewegen sich längs der beiden Koordinatenachsen gleichförmig mit den Geschwindigkeiten v A ¼ 0,5 m/s bzw. v B ¼ 0,6 m/s in Richtung Koordinatenursprung. Zu Beginn (d. h. zur Zeit t ¼ 0 s) befinden sie sich an den Orten x ð0Þ ¼ 15 m bzw. y ð0Þ ¼ 12 m. Nach welcher Zeit ist ihr gegenseitiger Abstand am kleinsten? 23) Unter sämtlichen Kreiszylindern vom Rauminhalt V ¼ 1000 cm 3 ist derjenige mit minimaler Gesamtoberfläche zu bestimmen. 24) Diskutieren Sie unter Verwendung der Hilfsmittel der Differentialrechnung den Verlauf der folgenden Funktionen: x2 þ 1 x 3 ln x dÞ y ¼ x aÞ y ¼ gÞ y ¼ ð1 e 2 x Þ 2 bÞ y ¼ ðx 1Þ2 x þ1 eÞ y ¼ sin 2 x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 x þ 9 x2 2 cÞ y ¼ fÞ y ¼ sin x þ cos x bungsaufgaben 421 25) Diskutieren Sie den Verlauf der folgenden aperiodischen Bewegungen eines FederMasse-Schwingers: aÞ y ¼ 4 ðe t e 3 t Þ ðt 0Þ bÞ y ¼ 5 ð1 3 tÞ e 2 t ðt 0Þ 26) Eine sog. Parabel 3. Ordnung vom Typ y ¼ a x 3 þ b x 2 þ c x þ d geht durch den Koordinatenursprung und besitzt im Punkt (1; 2) einen Wendepunkt. Die Wendetangente schneidet dabei die x-Achse an der Stelle x 1 ¼ 2. Bestimmen Sie aus diesen Funktionseigenschaften die vier Koeffizienten a, b, c und d. 27) Bestimmen Sie nach dem Tangentenverfahren von Newton sämtliche (reellen) Lösungen der folgenden Gleichungen mit einer Genauigkeit von vier Dezimalstellen nach dem Komma: pffiffiffiffi bÞ ln x ¼ 4 e 0,3 x aÞ x 2 2 cos x ¼ 0 cÞ u 3 ¼ 1,5 u þ 1 dÞ x e x ¼ 0,5 28) Bestimmen Sie nach dem Newtonschen Tangentenverfahren die im Intervall p p liegenden Lösungen der Gleichung tan x ¼ x þ 2. ; 2 2 422 V Integralrechnung 1 Integration als Umkehrung der Differentiation Das Grundproblem der in Kapitel IV behandelten Differentialrechnung besteht in der Bestimmung der Ableitung einer vorgegebenen Funktion y ¼ f ðxÞ. Dieser Vorgang wird als Differentiation bezeichnet und lässt sich schematisch wie folgt darstellen: y ¼ f ðxÞ Differentiation " y 0 ¼ f 0 ðxÞ In den naturwissenschaftlich-technischen Anwendungen stellt sich aber auch häufig das umgekehrte Problem: Von einer zunächst noch unbekannten Funktion y ¼ f ðxÞ ist die Ableitung y 0 ¼ f 0 ðxÞ bekannt und die Funktion selbst ist zu bestimmen. Die Aufgabe besteht also darin, von der gegebenen Ableitung auf die Funktion zu schließen: y 0 ¼ f 0 ðxÞ !" y ¼ f ðxÞ Auf ein solches Problem stößt man beispielsweise in der Mechanik, wenn von einer Bewegung das Geschwindigkeits-Zeit-Gesetz v ¼ v ðtÞ bekannt ist und daraus dann das Weg-Zeit-Gesetz s ¼ s ðtÞ ermittelt werden soll. Denn bekanntlich ist die Geschwindigkeit die 1. Ableitung des Weges nach der Zeit: v ¼ s_ (siehe hierzu auch Kap. IV, Abschnitt 2.13.1). Auch hier soll also von der bekannten Ableitung s_ einer noch unbekannten Funktion s ¼ s ðtÞ auf die Funktion selbst geschlossen werden: s_ ¼ v ðtÞ & !" s ¼ s ðtÞ Beispiele Auf Grund der Kenntnisse aus der Differentialrechnung lassen sich die folgenden Aufgaben leicht lösen. (1) Gegeben: y 0 ¼ 1 Gesucht: Sämtliche Funktionen y ¼ f ðxÞ mit der 1. Ableitung y 0 ¼ 1 Lösung: Jede lineare Funktion vom Typ y ¼ x þ C ist wegen y0 ¼ d ðx þ CÞ ¼ 1 þ 0 ¼ 1 dx eine Lösung der gestellten Aufgabe (C: beliebige reelle Zahl). Es handelt sich dabei um die in Bild V-1 skizzierte parallele Geradenschar. Für jeden Wert des 1 Integration als Umkehrung der Differentiation 423 Parameters C erhält man genau eine Gerade. Weitere Lösungen gibt es nicht. Geometrische Bedeutung des Parameters C: Schnittstelle mit der y-Achse (Achsenabschnitt). y Bild V-1 Geradenschar y ¼ x þ C x (2) Gegeben: y 0 ¼ 2 x Gesucht: Sämtliche Funktionen y ¼ f ðxÞ mit der 1. Ableitung y 0 ¼ 2 x Lösung: y ¼ x2 þ C (Parabelschar, siehe Bild V-2) Denn für jedes (reelle) C ist y0 ¼ d ðx 2 þ CÞ ¼ 2 x þ 0 ¼ 2 x dx Geometrische Bedeutung des Parameters C: Er bestimmt die Lage des Scheitelpunktes auf der y-Achse. y Bild V-2 Parabelschar y ¼ x 2 þ C x (3) Bewegung einer Masse mit konstanter Beschleunigung a längs einer Geraden Aus dem als bekannt vorausgesetzten Geschwindigkeit-Zeit-Gesetz v ¼ a t þ v 0 für t 0 schließen wir wie folgt auf das Weg-Zeit-Gesetz: v ¼ s_ ¼ a t þ v 0 ) s ¼ 1 a t2 þ v0 t þ C 2 424 V Integralrechnung (v 0 ¼ v ðt ¼ 0Þ: Anfangsgeschwindigkeit zur Zeit t ¼ 0). Denn es gilt: d 1 1 a t 2 þ v 0 t þ CÞ ¼ a 2 t þ v0 þ 0 ¼ a t þ v0 s_ ¼ dt 2 2 Die Konstante C ermitteln wir aus der Anfangslage s ðt ¼ 0Þ ¼ s 0 : s ðt ¼ 0Þ ¼ s0 ) 1 a 02 þ v0 0 þ C ¼ s0 2 ) C ¼ s0 Somit: s ¼ 1 a t2 þ v0 t þ s0 2 ðf ür t 0Þ & Wir nehmen noch folgende Umbenennungen vor: f ðxÞ: Vorgegebene 1. Ableitung einer (zunächst noch unbekannten) Funktion F ðxÞ: Jede Funktion mit der 1. Ableitung F 0 ðxÞ ¼ f ðxÞ Eine Funktion F ðxÞ mit dieser Eigenschaft wird als eine Stammfunktion von f ðxÞ bezeichnet. Wir definieren daher: Definition: Eine differenzierbare Funktion F ðxÞ heißt eine Stammfunktion von f ðxÞ, wenn F 0 ðxÞ ¼ f ðxÞ ðV-1Þ gilt. & Beispiele (1) f ðxÞ ¼ 2 x ) F ðxÞ ¼ x 2 þ C (C 2 R; Parabelschar aus Bild V-2) Denn die 1. Ableitung von F ðxÞ ergibt genau f ðxÞ: F 0 ðxÞ ¼ (2) f ðxÞ ¼ cos x d ðx 2 þ CÞ ¼ 2 x þ 0 ¼ 2 x ¼ f ðxÞ dx ) F ðxÞ ¼ sin x þ C ðC 2 RÞ Denn es ist: F 0 ðxÞ ¼ d ðsin x þ CÞ ¼ cos x þ 0 ¼ cos x ¼ f ðxÞ dx 1 Integration als Umkehrung der Differentiation (3) f ðxÞ ¼ e x þ 1 1 þ x2 ) 425 F ðxÞ ¼ e x þ arctan x þ C ðC 2 RÞ Denn es gilt: d 1 þ0 ¼ ðe x þ arctan x þ CÞ ¼ e x þ dx 1 þ x2 1 ¼ ex þ ¼ f ðxÞ 1 þ x2 F 0 ðxÞ ¼ (4) f ðxÞ ¼ 1 cos 2 x ) F ðxÞ ¼ tan x þ C ðC 2 R; cos x 6¼ 0Þ Denn die erste Ableitung von F ðxÞ ergibt genau die Funktion f ðxÞ: F 0 ðxÞ ¼ (5) d 1 1 þ0 ¼ ¼ f ðxÞ ðtan x þ CÞ ¼ 2 dx cos x cos 2 x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 F ðxÞ ¼ ln ðx þ a 2 þ x 2 Þ ist eine Stammfunktion von f ðxÞ ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi , 2 þ x2 a denn es gilt (unter Verwendung der Kettenregel): pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi d 1 2x 0 2 2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 þ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ ln ðx þ a þx Þ ¼ F ðxÞ ¼ dx x þ a2 þ x2 2 a2 þ x2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi a2 þ x2 þ x 1 1 ¼ ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ f ðxÞ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 2 2 2 2 a þx a þ x2 x þ a þx & Anhand dieser Beispiele lassen sich die wesentlichen Eigenschaften der Stammfunktionen erkennen. Wir fassen sie wie folgt zusammen: Eigenschaften der Stammfunktionen 1. Es gibt zu jeder stetigen Funktion f ðxÞ unendlich viele Stammfunktionen. 2. Zwei beliebige Stammfunktionen F1 ðxÞ und F2 ðxÞ von f ðxÞ unterscheiden sich durch eine additive Konstante: F1 ðxÞ F2 ðxÞ ¼ const: ðV-2Þ 3. Ist F1 ðxÞ eine beliebige Stammfunktion von f ðxÞ, so ist auch F1 ðxÞ þ C eine Stammfunktion von f ðxÞ. Daher lässt sich die Menge aller Stammfunktionen in der Form F ðxÞ ¼ F1 ðxÞ þ C darstellen (C ist dabei eine beliebige reelle Konstante). ðV-3Þ 426 V Integralrechnung Der zum Auffinden sämtlicher Stammfunktionen führende Prozess heißt Integration: Definition: Das Aufsuchen sämtlicher Stammfunktionen F ðxÞ zu einer vorgegebenen stetigen Funktion f ðxÞ wird als Integration bezeichnet: f ðxÞ Integration !" F ðxÞ mit F 0 ðxÞ ¼ f ðxÞ ðV-4Þ Wir können daher die Integration als Umkehrung der Differentiation auffassen. Während der Differentiationsprozess aus einer vorgegebenen Funktion die Ableitung erzeugt, wird durch den Prozess der Integration aus einer vorgegebenen Ableitungsfunktion die Gesamtheit der Stammfunktionen ermittelt. 2 Das bestimmte Integral als Flächeninhalt In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns mit dem sog. Flächenproblem, d. h. der Aufgabe, die Fläche zwischen einer Kurve y ¼ f ðxÞ und der x-Achse im Intervall a x b zu bestimmen. Die Lösung dieser Aufgabe wird uns dabei zu dem wichtigen Begriff des bestimmten Integrals einer Funktion f ðxÞ führen. Zunächst aber soll das Problem an einem einfachen Beispiel näher erläutert werden. 2.1 Ein einführendes Beispiel Wir stellen uns die Aufgabe, den Flächeninhalt A zwischen der Normalparabel y ¼ x 2 und der x-Achse im Intervall 1 x 2 zu berechnen (Bild V-3). y y=x2 4 Bild V-3 Zur Bestimmung der Fläche zwischen der Parabel y ¼ x 2 und der x-Achse im Intervall 1 x 2 A 1 1 2 x 2 Das bestimmte Integral als Flächeninhalt 427 Dabei verfahren wir wie folgt: (1) Das Flächenstück wird zunächst durch Schnitte parallel zur y-Achse in n Streifen gleicher Breite Dx zerlegt. (2) Anschließend wird jeder Streifen in geeigneter Weise durch ein Rechteck ersetzt (der Flächeninhalt eines Rechtecks lässt sich nämlich elementar als Produkt der beiden Seiten berechnen). Der gesuchte Flächeninhalt A ist dann näherungsweise gleich der Summe aller Rechtecksflächen. (3) Dabei gilt: Je größer die Anzahl der Streifen, umso besser die Näherung! Beim Grenzübergang n ! 1 strebt die Summe der Rechtecksflächen gegen den gesuchten Flächeninhalt A. Wir wollen jetzt das beschriebene Verfahren für eine Zerlegung der Fläche in 5, 10 bzw. 20 Streifen näher studieren. Zerlegung der Fläche in n ¼ 5 Streifen Dx ¼ 0,2 Streifenbreite: Die Teilpunkte P 0 , P 1 , . . . , P 5 auf der Parabel besitzen die folgenden Koordinaten (siehe hierzu die Bilder V-4 und V-5): x y P0 P1 1 1,2 1 2 P2 P3 1,4 2 1,6 2 1,2 P4 1,8 2 1,4 2 1,6 y P5 1,8 2 22 y y=x 2 4 4 P4 P4 P3 P3 P2 P2 P1 P1 1 y=x2 P5 P5 P0 1 1 2 Bild V-4 Zum Begriff der Untersumme P0 x 1 2 x Bild V-5 Zum Begriff der Obersumme Untersumme (Bild V-4) Jeder Streifen wird durch ein zu klein ausfallendes Rechteck ersetzt (die Höhe entspricht dem Ordinatenwert im jeweiligen linken Randpunkt, siehe hierzu Bild V-4). Die Summe dieser Rechtecksflächen bezeichnet man daher als Untersumme U5. Es ist: U 5 ¼ 1 2 0,2 þ 1,2 2 0,2 þ 1,4 2 0,2 þ 1,6 2 0,2 þ 1,8 2 0,2 ¼ ¼ ð1 2 þ 1,2 2 þ 1,4 2 þ 1,6 2 þ 1,8 2 Þ 0,2 ¼ 2,04 ðV-5Þ 428 V Integralrechnung Obersumme (Bild V-5) Jetzt ersetzen wir jeden Streifen durch ein zu groß ausfallendes Rechteck (als Höhe wählen wir den Ordinatenwert im jeweiligen rechten Randpunkt, siehe hierzu Bild V-5). Die Summe dieser Rechtecksflächen heißt daher Obersumme O5. Es ist: O 5 ¼ 1,2 2 0,2 þ 1,4 2 0,2 þ 1,6 2 0,2 þ 1,8 2 0,2 þ 2 2 0,2 ¼ ¼ ð1,2 2 þ 1,4 2 þ 1,6 2 þ 1,8 2 þ 2 2 Þ 0,2 ¼ 2,64 ðV-6Þ Flächeninhalt A In beiden Fällen (Unter- bzw. Obersumme) haben wir den tatsächlichen Kurvenverlauf durch eine treppenförmige Kurve ersetzt. Der gesuchte Flächeninhalt A liegt dabei zwischen Unter- und Obersumme: U5 A O5 , d: h: 2,04 A 2,64 ðV-7Þ Die Abweichung zwischen den beiden Summen beträgt 0,6, d. h. diese Näherung ist noch viel zu grob. Zerlegung der Fläche in n ¼ 10 Streifen Streifenbreite: Dx ¼ 0,1 Für Unter- und Obersumme ergeben sich jetzt folgende Werte: U 10 ¼ 1 2 0,1 þ 1,1 2 0,1 þ 1,2 2 0,1 þ . . . þ 1,9 2 0,1 ¼ ¼ ð1 2 þ 1,1 2 þ 1,2 2 þ . . . þ 1,9 2 Þ 0,1 ¼ 2,185 ðV-8Þ O 10 ¼ 1,1 2 0,1 þ 1,2 2 0,1 þ 1,3 2 0,1 þ . . . þ 2 2 0,1 ¼ ¼ ð1,1 2 þ 1,2 2 þ 1,3 2 þ . . . þ 2 2 Þ 0,1 ¼ 2,485 ðV-9Þ Dabei gilt für den Flächeninhalt A: U 10 A O 10 , d: h: 2,185 A 2,485 ðV-10Þ Die Abweichung zwischen Ober- und Untersumme beträgt jetzt nur noch 0,3, hat sich also genau halbiert. Eine weitere Verbesserung erhält man durch abermalige Verdoppelung der Streifenanzahl. Zerlegung der Fläche in n ¼ 20 Streifen Streifenbreite: Dx ¼ 0,05 U 20 ¼ ð1 2 þ 1,05 2 þ 1,10 2 þ . . . þ 1,95 2 Þ 0,05 ¼ 2,258 75 ðV-11Þ O 20 ¼ ð1,05 2 þ 1,10 2 þ 1,15 2 þ . . . þ 2 2 Þ 0,05 ¼ 2,408 75 ðV-12Þ U 20 A O 20 , ðV-13Þ d: h: 2,258 75 A 2,408 75 Die Differenz zwischen Ober- und Untersumme beträgt jetzt nur noch 0,15. 2 Das bestimmte Integral als Flächeninhalt 429 Grenzübergang für n ! 1 Bei einer Vergrößerung der Streifenanzahl n nehmen offensichtlich die Untersummen zu und die Obersummen ab, die Differenz zwischen Ober- und Untersumme wird dabei immer kleiner, wie die folgenden Rechenergebnisse für Zerlegungen in 5, 10, 20, 50, 100 und 1000 Streifen deutlich zeigen: n 5 10 20 50 100 1000 Un 2,04 2,185 2,258 75 2,3034 2,318 35 2,331 833 5 On 2,64 2,485 2,408 75 2,3634 2,348 35 2,334 833 5 On Un 0,6 0,3 0,15 0,06 0,03 0,003 Bei beliebig feiner Zerlegung, d. h. für den Grenzübergang n ! 1 streben Ober- und Untersumme gegen einen gemeinsamen Grenzwert, der geometrisch den gesuchten Flächeninhalt A darstellt. In unserem Beispiel ergibt sich dabei, wie wir später noch zeigen werden, der folgende Wert: 7 ¼ 2,3 . . . 3 A ¼ lim U n ¼ lim O n ¼ n!1 n!1 ðV-14Þ 2.2 Das bestimmte Integral Wir verallgemeinern jetzt das im vorherigen Abschnitt dargelegte Flächenproblem. Um zu einer möglichst anschaulichen Deutung des Integralbegriffes zu gelangen, wollen wir zunächst von der stetigen Funktion y ¼ f ðxÞ voraussetzen, dass sie im gesamten Intervall a x b oberhalb der x-Achse verläuft und dabei monoton wächst (Bild V-6). y y = f(x) Pn P n–1 Pk f(x n ) P k –1 P2 f(x n–1 ) P1 P0 f(x 1 ) f(x 0 ) Dx 1 x0 = a f(x 2 ) f(x k –1 ) Dx2 x1 Dxk x2 x k –1 f(x k ) Dxn xk Bild V-6 Zum Flächenproblem der Integralrechnung x n –1 x n = b x 430 V Integralrechnung Unsere Aufgabe besteht nun darin, den Flächeninhalt A zwischen der Kurve y ¼ f ðxÞ und der x-Achse im Intervall a x b zu berechnen. Dabei verfahren wir wiederum wie folgt: (1) Zunächst zerlegen wir die Fläche in n achsenparallele Streifen, deren Breite wir der Reihe nach mit Dx 1 , Dx 2 , . . . , Dx k , . . . , Dx n bezeichnen. Die Streifenbreiten dürfen also durchaus unterschiedlich sein. (2) Dann ersetzen wir jeden Streifen durch ein Rechteck. Wählt man als Höhe des Rechtecks den jeweils kleinsten Funktionswert (Ordinate des linken Randpunktes), so besitzen die in Bild V-6 grau unterlegten Rechtecke der Reihe nach den folgenden Flächeninhalt: A 1 ¼ f ðx 0 Þ Dx 1 A 2 ¼ f ðx 1 Þ Dx 2 .. . A k ¼ f ðx k 1 Þ Dx k .. . ðV-15Þ A n ¼ f ðx n 1 Þ Dx n Der gesuchte Flächeninhalt A ist dann gewiss nicht kleiner als die als Untersumme U n bezeichnete Summe dieser Rechtecksflächen: Un ¼ A1 þ A2 þ . . . þ Ak þ . . . þ An ¼ ¼ f ðx 0 Þ Dx 1 þ f ðx 1 Þ Dx 2 þ . . . þ f ðx k 1 Þ Dx k þ . . . þ f ðx n 1 Þ Dx n ¼ ¼ n X f ðx k 1 Þ Dx k A ðV-16Þ k¼1 Wählt man jedoch als Rechteckshöhe den jeweils größten Funktionswert (Ordinate des rechten Randpunktes), so ist der Flächeninhalt dieser zu groß ausfallenden Rechtecke der Reihe nach A 1 ¼ f ðx 1 Þ Dx 1 A 2 ¼ f ðx 2 Þ Dx 2 .. . A k ¼ f ðx k Þ Dx k .. . A n ¼ f ðx n Þ Dx n ðV-17Þ 2 Das bestimmte Integral als Flächeninhalt 431 Der Flächeninhalt A ist dann gewiss nicht größer als die als Obersumme O n bezeichnete Summe dieser Rechtecksflächen: On ¼ A1 þ A2 þ . . . þ Ak þ . . . þ An ¼ ¼ f ðx 1 Þ Dx 1 þ f ðx 2 Þ Dx 2 þ . . . þ f ðx k Þ Dx k þ . . . þ f ðx n Þ Dx n ¼ ¼ n X f ðx k Þ Dx k A ðV-18Þ k¼1 Die gesuchte Fläche A liegt damit zwischen Unter- und Obersumme: Un A On (3) ðV-19Þ Mit zunehmender Verfeinerung der Zerlegung nehmen die Untersummen zu, die Obersummen jedoch ab. Wir zeigen dies am Beispiel der Verdoppelung der Streifenanzahl ðn ! 2 nÞ. Jeder Streifen der Breite h soll dabei durch Halbierung in zwei gleichbreite neue Streifen mit der Breite h=2 übergehen (Bild V-7). y y y = f (x) y = f (x) h/2 h/2 x x h h a) b) Bild V-7 Halbierung der Streifen bewirkt eine Zunahme der Untersumme Das in Teilbild a) grau unterlegte Rechteck gehört zur alten Untersumme und wird durch die beiden in Teilbild b) hell- bzw. dunkelgrau unterlegten Rechtecke ersetzt, deren Gesamtfläche größer ist als die Fläche des ursprünglichen Rechtecks in Teilbild a). Daher nimmt die Untersumme zu. Analog kann man zeigen, dass die Obersumme bei einer Verdoppelung der Streifenanzahl abnimmt (jedes Rechteck wird durch zwei neue Rechtecke mit einer kleineren Gesamtfläche ersetzt). Beim Grenzübergang n ! 1 streben Unter- und Obersumme gegen einen gemeinsamen Grenzwert, wenn zugleich die Breite Dx k sämtlicher Streifen gegen Null geht ðk ¼ 1; 2; . . . ; nÞ. Diesen Grenzwert bezeichnet man dann als das bestimmte Integral der Funktion f ðxÞ in den Grenzen von x ¼ a bis x ¼ b und schreibt dafür symbolisch: ðb lim U n ¼ lim O n ¼ n!1 n!1 f ðxÞ dx a ðV-20Þ 432 V Integralrechnung In unserer geometrischen Betrachtungsweise bedeutet er den Flächeninhalt A zwischen der Kurve mit der Funktionsgleichung y ¼ f ðxÞ und der x-Achse im Intervall a x b. Es gilt daher (wir können uns auf den Grenzwert der Obersumme beschränken): A ¼ lim O n ¼ lim n!1 n X n!1 k¼1 ðb f ðx k Þ Dx k ¼ f ðxÞ dx ðV-21Þ a Wir führen noch die folgenden allgemein üblichen Bezeichnungen ein: x: Integrationsvariable f ðxÞ: Integrandfunktion (kurz: Integrand ) a: Untere Integrationsgrenze b: Obere Integrationsgrenze Das bestimmte Integral einer Funktion f ðxÞ in den Grenzen von x ¼ a bis x ¼ b lässt sich somit allgemein wie folgt definieren: Definition: Der Grenzwert lim n X n!1 k¼1 f ðx k Þ Dx k ðV-22Þ heißt, falls er vorhanden ist, das bestimmte Intergral der Funktion f ðxÞ in den Grenzen von x ¼ a bis x ¼ b und wird durch das ðb Symbol f ðxÞ dx gekennzeichnet. a Anmerkungen (1) Das bestimmte Integral ist also der Grenzwert einer Folge von Summen. Dieser Grenzwert ist vorhanden, wenn der Integrand f ðxÞ im endlichen Integrationsintervall a x b beschränkt 1Þ ist und dort höchstens endlich viele Unstetigkeitsstellen (Sprungstellen, hebbare Unstetigkeiten) besitzt. Für stetige Funktionen sind diese Bedingungen stets erfüllt. (2) Eine Funktion f ðxÞ, deren bestimmtes Integral existiert, heißt integrierbar. Stetige Funktionen sind demnach stets integrierbar. (3) Der Integralwert kann positiv, negativ oder null sein. Er ist dabei unabhängig von der vorgenommenen Streifenzerlegung, sofern nur die Breite eines jeden Streifens gegen Null strebt (Dx k ! 0 für n ! 1). 1) Es gilt in diesem Intervall also j f ðxÞ j < K, wobei K eine positive Konstante ist. 2 Das bestimmte Integral als Flächeninhalt (4) 433 Man beachte, dass das Integrationsintervall a x b endlich ist. In der Regel ist a < b (Integration in positiver x-Richtung). Aber auch der Fall a > b ist möglich (jetzt wird von rechts nach links, d. h. in negativer x-Richtung integriert). Eine geometrisch anschauliche Interpretation des bestimmten Integrals als Flächeninhalt ist nur für f ðxÞ 0 und a < b möglich. Anschauliche Interpretation der symbolischen Schreibweise Wir möchten noch auf eine zwar nicht ganz präzise, dafür jedoch sehr anschauliche Interpretation der in der Integralrechnung verwendeten Symbolik hinweisen. Der in Bild V-8 skizzierte (dick umrandete) infinitesimal schmale Streifen der Breite dx besitzt einen Flächeninhalt, der näherungsweise mit dem Flächeninhalt dA ¼ f ðxÞ dx des eingezeichneten (grau unterlegten) rechteckigen Flächenelementes übereinstimmt. Deutet man das Integralzeichen als eine Art gestrecktes Summenzeichen, so kann das bestimmte ðb Integral f ðxÞ dx als Summe aller zwischen x ¼ a und x ¼ b gelegenen infinitesia mal schmalen Streifenflächen vom Flächeninhalt dA ¼ f ðxÞ dx aufgefasst werden: ðb xð ¼b dA ¼ A ¼ x¼a f ðxÞ dx ðV-23Þ a („Summiere über alle Flächenelemente dA ¼ f ðxÞ dx, die in der Fläche zwischen x ¼ a und x ¼ b liegen“). Die Fläche A wird gewissermaßen aus unendlich vielen Flächenelementen zusammengesetzt, wobei das „erste“ Element bei x ¼ a und das „letzte“ Element bei x ¼ b liegt. Bild V-9 verdeutlicht diese geometrische Interpretation. y y y = f(x) y = f(x) f(x) dA a x dx b Bild V-8 Zur anschaulichen geometrischen Interpretation des bestimmten Integrals x a b dx Bild V-9 Das bestimmte Integral als unendliche Summe von Flächenelementen x 434 & V Integralrechnung Beispiel Wir kehren jetzt zu dem Beispiel des vorangegangenen Abschnitts zurück und wollen den Flächeninhalt zwischen der Parabel y ¼ f ðxÞ ¼ x 2 und der x-Achse im Intervall 1 x 2 als Grenzwert der Obersumme O n berechnen. Da der Integralwert unabhängig von der Art der Zerlegung ist, wählen wir hier zweckmäßigerweise eine Unterteilung in Streifen gleicher Breite Dx (sog. äquidistante Zerlegung, Bild V-10). y y=x2 k-ter Streifen f(x k ) Dx x 0 = 1 x1 Dx Dx x k –1 x k x n –1 x n = 2 x ð2 x 2 dx als Grenzwert der Obersumme Bild V-10 Zur Berechnung des bestimmten Integrals 1 Bei n Streifen beträgt die Streifenbreite Dx ¼ ð2 1Þ=n ¼ 1=n. Die Abszissenwerte der insgesamt n þ 1 Teilpunkte auf der x-Achse lauten dann der Reihe nach wie folgt: x0 x1 x2 ... xk ... xn 1 1 þ Dx 1 þ 2 Dx ... 1 þ k Dx ... 2 Für den in Bild V-10 dunkelgrau unterlegten k-ten Streifen gilt dann näherungsweise: k 2 2 2 Streifenhöhe: f ðx k Þ ¼ x k ¼ ð1 þ k DxÞ ¼ 1 þ n 1 Streifenbreite: Dx ¼ n k 2 1 Streifenfläche: f ðx k Þ Dx ¼ 1 þ n n 2 Das bestimmte Integral als Flächeninhalt 435 Damit erhält man für die Obersumme nach Gleichung (V-18): n n n X X X k 2 1 2k k2 1 f ðx k Þ Dx ¼ 1þ 1þ On ¼ ¼ þ 2 ¼ n n n n n k¼1 k¼1 k¼1 n n n n X X 1 2k k2 1 2 X 1 X k þ 3 k2 þ 2 þ 3 ¼ þ 2 ¼ n n n n n n k¼1 k¼1 k¼1 k¼1 Die dabei auftretenden endlichen Summen werden unter Verwendung der folgenden Formelausdrücke berechnet, die wir der Formelsammlung entnommen haben (Abschnitt I.3.4): n X 1 1 1 1 1 ¼ n ¼ þ þ ... þ ¼ 1 n n n n n k¼1 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} n Summanden n X k ¼ 1 þ 2 þ 3 þ ... þ n ¼ k¼1 n X n ðn þ 1Þ 2 k 2 ¼ 12 þ 22 þ 32 þ . . . þ n2 ¼ k¼1 n ðn þ 1Þ ð2 n þ 1Þ 6 Mit diesen Ausdrücken lässt sich die Obersumme auch wie folgt schreiben: 2 n ðn þ 1Þ 1 n ðn þ 1Þ ð2 n þ 1Þ þ 3 ¼ n2 2 n 6 nþ1 1 nþ1 2n þ 1 þ ¼ ¼ 1þ n 6 n n 1 1 1 1 ¼ 1þ 1þ þ 1þ 2þ ¼ n 6 n n 1 1 1 1 þ 1þ 2þ ¼ 2þ n 6 n n On ¼ 1 þ Beim Grenzübergang n ! 1 strebt die Streifenbreite Dx ¼ 1=n gegen Null und die ð2 Obersumme O n geht dabei definitionsgemäß in das bestimmte Integral x 2 dx über, das den gesuchten Flächeninhalt A darstellt: 1 ð2 x 2 dx ¼ lim O n ¼ lim A ¼ n!1 n!1 2þ 1 1 þ n 6 1 1 2þ ¼ 1þ n n 1 ¼ 2þ0þ 1 1 1 7 ð1 þ 0Þ ð2 þ 0Þ ¼ 2 þ 0 þ 12 ¼ 2þ ¼ 6 6 3 3 436 V Integralrechnung Fazit: Die direkte Berechnung eines bestimmten Integrals über den Grenzwert (V-22) ist –– wie dieses einfache Beispiel bereits zeigt –– eine meist schwierige und aufwändige Angelegenheit. & 3 Unbestimmtes Integral und Flächenfunktion Unter den in Abschnitt 2.2 genannten Voraussetzungen repräsentiert das bestimmte Inteðb gral f ðtÞ dt den Flächeninhalt A zwischen der Kurve y ¼ f ðtÞ und der t-Achse im a Intervall a t b (Bild V-11) 2). y y y = f(t) y = f(t) I (x) A a b Bild V-11 Das bestimmte Integral als Flächeninhalt t a x t Bild V-12 Zum Begriff des unbestimmten Integrals (Flächenfunktion) Betrachtet man in diesem Integral die untere Integrationsgrenze a als fest, die obere Integrationsgrenze b dagegen als variabel, so hängt der Integralwert nur noch von der oberen Grenze ab: Der Integralwert ist daher eine Funktion der oberen Grenze. Um auch nach außen hin zu dokumentieren, dass die obere Grenze variabel ist, ersetzen wir b durch x und erhalten die Funktion ðx I ðxÞ ¼ f ðtÞ dt ðV-24Þ a (siehe Bild V-12). Sie wird als ein unbestimmtes Integral von f ðtÞ bezeichnet, da die obere Grenze unbestimmt ist (im Sinne von variabel). 2) Die Bezeichnung der Integrationsvariablen ist dabei ohne jede Bedeutung. Um im Folgenden Missverständnisse zu vermeiden, kennzeichnen wir in diesem Abschnitt die Integrationsvariable durch das Buchstabensymbol t (anstatt von x). 3 Unbestimmtes Integral und Flächenfunktion 437 Geometrische Deutung des unbestimmten Integrals ðx Das unbestimmte Integral I ðxÞ ¼ f ðtÞ dt beschreibt für x a den Flächeninhalt a zwischen der Kurve y ¼ f ðtÞ und der t-Achse im Intervall a t x in Abhängigkeit von der oberen Grenze x und wird daher auch als Flächenfunktion bezeichnet (Bild V-12). Für verschiedene x-Werte erhält man im Allgemeinen verschiedene Flächeninhalte. Aus dem unbestimmten Integral wird dabei jeweils ein bestimmtes Integral (die obere Integrationsgrenze besitzt dann einen festen Wert). In Bild V-13 sind die Funktionswerte der Flächenfunktion I ðxÞ für zwei verschiedene obere Grenzen x 1 und x 2 geometrisch als Flächeninhalte dargestellt. Grau unterlegte Fläche: y ð x1 I ðx 1 Þ ¼ y = f(t) f ðtÞ dt a Stark umrandete Fläche: ð x2 I ðx 2 Þ ¼ f ðtÞ dt a a x1 t x2 Bild V-13 Das unbestimmte Integral als Funktion der oberen Integrationsgrenze Wählt man als untere Grenze a* (anstatt von a), so ist auch ðx f ðtÞ dt I * ðxÞ ¼ ðV-25Þ a ein unbestimmtes Integral (eine Flächenfunktion) von f ðtÞ. Zwischen I ðxÞ und I * ðxÞ besteht dabei der folgende Zusammenhang, den man unmittelbar aus Bild V-14 entnehmen kann: ðx I ðxÞ I * ðxÞ ¼ f ðtÞ dt a að ðx f ðtÞ dt ¼ a f ðtÞ dt a ðV-26Þ 438 V Integralrechnung y I (x) I*(x) y = f(t) Bild V-14 Flächenfunktionen (unbestimmte Integrale) unterscheiden sich in der unteren Grenze voneinander a a* x t Die beiden Flächenfunktionen unterscheiden sich demnach durch das bestimmte Integral að f ðtÞ dt, d. h. durch eine Konstante. Ihr Wert ist nichts anderes als der Flächeninhalt a zwischen der Kurve y ¼ f ðtÞ und der t-Achse im Intervall a t a* ( grau unterlegte Fläche in Bild V-14; Voraussetzung: a* > a). Da aber für die Wahl der unteren Integrationsgrenze a, von der an die Flächenberechnung erfolgt, grundsätzlich beliebig viele Möglichkeiten existieren, gibt es entsprechend auch unendlich viele unbestimmte Integrale der Funktion y ¼ f ðtÞ. Sie unterscheiden sich in der unteren Grenze voneinander. Wir können daher den folgenden Satz aussprechen: Eigenschaften der unbestimmten Integrale ðx 1. Das unbestimmte Integral I ðxÞ ¼ f ðtÞ dt repräsentiert den Flächeninhalt a zwischen der Funktion y ¼ f ðtÞ und der t-Achse im Intervall a t x in Abhängigkeit von der oberen Grenze x. 2. Zu jeder stetigen Funktion f ðtÞ gibt es unendlich viele unbestimmte Integrale, die sich in ihrer unteren Grenze voneinander unterscheiden. 3. Die Differenz zweier unbestimmter Integrale I 1 ðxÞ und I 2 ðxÞ von f ðtÞ ist eine Konstante. 3 Unbestimmtes Integral und Flächenfunktion 439 Anmerkungen & (1) Die geometrische Deutung eines unbestimmten Integrals als Flächenfunktion ist nur möglich, wenn f ðxÞ 0 und x a ist. Denn nur dann liegt die Kurve und damit das Flächenstück oberhalb der x-Achse, wobei die Integration von links nach rechts, d. h. in positiver x-Richtung erfolgt. Diese Einschränkungen werden später fallen gelassen. (2) Man beachte den fundamentalen Unterschied zwischen einem bestimmten und einem unbestimmten Integral: Bestimmtes Integral: Reeller Zahlenwert Unbestimmtes Integral: Funktion der oberen Grenze Beispiel ðx I 1 ðxÞ ¼ ðx t dt und I 2 ðxÞ ¼ 2 0 t 2 dt sind zwei unbestimmte Integrale der Normal1 parabel f ðtÞ ¼ t 2 und repräsentieren die in Bild V-15 dargestellten Flächen (die Flächenberechnung beginnt bei t ¼ 0 bzw. t ¼ 1 und endet an der Stelle x 1). Sie ð1 unterscheiden sich dabei durch das bestimmte Integral t 2 dt, d. h. durch eine Konstante, 0 deren Wert der im Bild grau unterlegten Fläche entspricht: ðx I 1 ðxÞ I 2 ðxÞ ¼ ðx t dt 0 ð1 t dt ¼ 2 t 2 dt ¼ const: 2 1 0 Die Konstante besitzt –– wie wir später in Abschnitt 6 (1. Beispiel) noch zeigen werden –– den Wert 1=3 (Fläche unter der Normalparabel y ¼ t 2 zwischen t ¼ 0 und t ¼ 1). y y=t2 I 1 (x) 1 I 2 (x) Bild V-15 1 x t & 440 V Integralrechnung 4 Der Fundamentalsatz der Differentialund Integralrechnung ðx Wird die obere Grenze x im unbestimmten Integral I ðxÞ ¼ ßert, so wächst der Flächeninhalt nach Bild V-16 um f ðxÞ dx um Dx vergröa DI ¼ I ðx þ DxÞ I ðxÞ ðV-27Þ (grau unterlegte Fläche in Bild V-16) 3). y y = f(x) f(x + D x) Bild V-16 Zur Herleitung des Fundamentalsatzes der Differential- und Integralrechnung f(x) Dx a x x + Dx x Dieser Flächenzuwachs liegt zwischen den Flächeninhalten der beiden eingezeichneten Rechtecke gleicher Breite Dx. Das kleinere Rechteck besitzt die Höhe f ðxÞ und damit den Flächeninhalt f ðxÞ Dx, das größere Rechteck die Höhe f ðx þ DxÞ und damit den Flächeninhalt f ðx þ DxÞ Dx. Zwischen den drei Flächeninhalten besteht daher die Beziehung f ðxÞ Dx DI f ðx þ DxÞ Dx ðV-28Þ Nach Division durch Dx wird daraus: f ðxÞ DI f ðx þ DxÞ Dx ðV-29Þ Beim Grenzübergang Dx ! 0 bleibt diese Ungleichung erhalten: lim f ðxÞ lim Dx ! 0 3) Dx ! 0 DI lim f ðx þ DxÞ Dx Dx ! 0 ðV-30Þ Wir lassen die unterschiedliche Kennzeichnung zwischen der Integrationsvariablen und der oberen Grenze fallen. Ferner nehmen wir der Einfachheit halber an, dass die Funktion f ðxÞ im gesamten Integrationsbereich oberhalb der x-Achse verläuft und dabei monoton wächst. 4 Der Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung 441 Der in der Mitte eingeschlossene Grenzwert ist dabei definitionsgemäß die 1. Ableitung I 0 ðxÞ der Flächenfunktion I ðxÞ, während die beiden äußeren Grenzwerte wegen der vorausgesetzten Stetigkeit von f ðxÞ jeweils den Funktionswert f ðxÞ ergeben: lim Dx ! 0 DI I ðx þ DxÞ I ðxÞ ¼ lim ¼ I 0 ðxÞ Dx Dx Dx ! 0 lim f ðxÞ ¼ lim f ðx þ DxÞ ¼ f ðxÞ Dx ! 0 Dx ! 0 ðV-31Þ ðV-32Þ Damit erhält man die Ungleichung f ðxÞ I 0 ðxÞ f ðxÞ ðV-33Þ die aber nur dann bestehen kann, wenn I 0 ðxÞ ¼ f ðxÞ ðV-34Þ ist. Damit haben wir nachgewiesen, dass die erste Ableitung eines unbestimmten Inteðx grals I ðxÞ ¼ f ðxÞ dx zum Integranden f ðxÞ führt. Dies aber bedeutet, dass I ðxÞ a eine Stammfunktion von f ðxÞ ist. Wir fassen diese bedeutende Aussage in dem sog. Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung wie folgt zusammen: Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung ðx Jedes unbestimmte Integral I ðxÞ ¼ Stammfunktion von f ðxÞ: ðx f ðxÞ dx I ðxÞ ¼ ) f ðxÞ dx der stetigen Funktion f ðxÞ ist eine a I 0 ðxÞ ¼ f ðxÞ ðV-35Þ a Die Aussage des Fundamentalsatzes lässt sich auch wie folgt verdeutlichen: ðx I ðxÞ ¼ a ! f ðxÞ dx Differentiation ðV-36Þ 442 V Integralrechnung Wir ziehen noch einige Folgerungen aus dem Fundamentalsatz: (1) I ðxÞ ist wegen I 0 ðxÞ ¼ f ðxÞ eine stetig differenzierbare Funktion. (2) Jedes unbestimmte Integral I ðxÞ der Funktion f ðxÞ lässt sich in der Form ðx I ðxÞ ¼ f ðxÞ dx ¼ F ðxÞ þ C 1 ðV-37Þ a darstellen, wobei F ðxÞ irgendeine (spezielle) Stammfunktion von f ðxÞ und C 1 eine geeignete (reelle) Konstante bedeutet, deren Wert noch von der unteren Grenze a abhängen wird. (3) Da es zu einer stetigen Funktion f ðxÞ unendlich viele unbestimmte Integrale gibt, kennzeichnet man diese Funktionenschar durch Weglassen der Integrationsgrenzen in folgender Weise: ð f ðxÞ dx: Menge aller unbestimmten Integrale von f ðxÞ Sie ist stets in der Form ð f ðxÞ dx ¼ F ðxÞ þ C ðF 0 ðxÞ ¼ f ðxÞÞ ðV-38Þ darstellbar, wobei F ðxÞ irgendeine (spezielle) Stammfunktion zu f ðxÞ bedeutet und der Parameter C alle reellen Werte durchläuft. Die Konstante C heißt in diesem Zusammenhang auch Integrationskonstante. (4) & Für stetige Funktionen besteht kein Unterschied zwischen den Begriffen „Stammfunktion“ und „unbestimmtes Integral“. Beispiele ð (1) ð2 x þ 1Þ dx ¼ ? Wir wissen: Es genügt, irgendeine Stammfunktion F ðxÞ von f ðxÞ ¼ 2 x þ 1 zu finden. Die Funktion F ðxÞ ¼ x 2 þ x besitzt die geforderte Eigenschaft: F 0 ðxÞ ¼ d ðx 2 þ xÞ ¼ 2 x þ 1 ¼ f ðxÞ dx Daher gilt: ð ð2 x þ 1Þ dx ¼ F ðxÞ þ C ¼ x 2 þ x þ C ðC 2 RÞ 4 Der Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung 443 ð e x dx ¼ ? (2) Eine Stammfunktion zum Integranden f ðxÞ ¼ e x ist F ðxÞ ¼ e x , da F 0 ðxÞ ¼ d ðe x Þ ¼ e x ¼ f ðxÞ dx ergibt. Daher ist: ð e x dx ¼ F ðxÞ þ C ¼ e x þ C ðC 2 RÞ die Gesamtheit der unbestimmten Integrale von f ðxÞ ¼ e x . ð (3) 4 dx ¼ ? 1 þ x2 F ðxÞ ¼ 4 arctan x ist eine Stammfunktion des Integranden f ðxÞ ¼ F 0 ðxÞ ¼ 4 : 1 þ x2 d 1 4 ð4 arctan xÞ ¼ 4 ¼ ¼ f ðxÞ dx 1 þ x2 1 þ x2 Daraus folgt: ð (4) 4 dx ¼ F ðxÞ þ C ¼ 4 arctan x þ C 1 þ x2 ðC 2 RÞ Aus einer Integraltafel entnehmen wir die folgende Integralformel: ð ln x dx ¼ x ln x x þ C ðC 2 RÞ Wir überprüfen diese Formel, indem wir die Ableitung der auf der rechten Seite stehenden Funktion bilden. Sie führt (wie erwartet) zum Integranden ln x : d 1 ðx ln x x þ CÞ ¼ 1 ln x þ x 1 ¼ ln x þ 1 1 ¼ ln x dx x Damit haben wir nachgewiesen, dass die Funktion F ðxÞ ¼ x ln x x þ C in der Tat eine Stammfunktion von f ðxÞ ¼ ln x ist. Die Integralformel ist somit richtig. Man bezeichnet diese Art der Beweisführung auch als „Verifizierung“. 444 (5) V Integralrechnung Fallgesetze im luftleeren Raum Aus dem Geschwindigkeit-Zeit-Gesetz v ðtÞ ¼ g t þ v0 ðf ür t 0Þ erhält man wegen v ðtÞ ¼ s_ ðtÞ durch Integration das folgende Zeitgesetz für den Fallweg s des frei fallenden Körpers: ð ð ð s ðtÞ ¼ s_ ðtÞ dt ¼ v ðtÞ dt ¼ ðg t þ v 0 Þ dt ¼ ¼ 1 1 g t2 þ v0 t þ C ¼ g t2 þ v0 t þ s0 2 2 ( g: Erdbeschleunigung; v 0 : Anfangsgeschwindigkeit zur Zeit t ¼ 0; C ¼ s 0 : Wegmarke zur Zeit t ¼ 0). Denn es gilt: d 1 g t 2 þ v 0 t þ s 0 ¼ g t þ v 0 ¼ v ðtÞ s_ ðtÞ ¼ & dt 2 5 Grund- oder Stammintegrale In Kap. IV, Abschnitt 1.3 wurden die Ableitungen der elementaren Funktionen in tabellarischer Form zusammengestellt. Die dortige Tabelle 1 enthält in der linken Spalte die jeweilige Funktion f ðxÞ und in der rechten Spalte die zugehörige Ableitung f 0 ðxÞ. Nach dem Fundamentalsatz der Differential- und Integralrechnung besteht dann zwischen der (stetig differenzierbaren) Funktion f ðxÞ und ihrer Ableitung f 0 ðxÞ der Zusammenhang ð f 0 ðxÞ dx ¼ f ðxÞ þ C ðC 2 RÞ ðV-39Þ So gelten beispielsweise die folgenden Beziehungen (mit C 2 R): ð x n dx ¼ ð xnþ1 þC nþ1 ðf ür n 6¼ 1Þ ; ð ð e x dx ¼ e x þ C ; cos x dx ¼ sin x þ C 1 dx ¼ tan x þ C cos 2 x Mit anderen Worten: Die in der linken Spalte der Ableitungstabelle aus Kap. IV aufgeführte Funktion ist eine Stammfunktion oder ein unbestimmtes Integral der in der rechten Spalte stehenden Funktion. Die auf diese Weise erhaltenen (unbestimmten) Integrale heißen Grund- oder Stammintegrale. Wir haben sie in der nachfolgenden Tabelle zusammengetragen. 5 Grund- oder Stammintegrale 445 Tabelle 1: Grund- oder Stammintegrale ðC, C 1 , C 2 2 RÞ ð ð 0 dx ¼ C ð 1 dx ¼ x þ C ð xnþ1 x dx ¼ þC nþ1 ðn 6¼ 1Þ n 1 dx ¼ ln j x j þ C x (Potenzregel) ð ð e x dx ¼ e x þ C a x dx ¼ ð ð sin x dx ¼ cos x þ C ð ð 1 dx ¼ tan x þ C cos 2 x 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx ¼ 1 x2 arcsin x þ C 1 cos x dx ¼ sin x þ C ð ð arccos x þ C 2 1 dx ¼ cot x þ C sin 2 x 1 dx ¼ 1 þ x2 arctan x þ C 1 arccot x þ C 2 ð ð cosh x dx ¼ sinh x þ C sinh x dx ¼ cosh x þ C ð ax þC ln a 1 dx ¼ tanh x þ C cosh 2 x ð 1 dx ¼ coth x þ C sinh 2 x ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx ¼ arsinh x þ C ¼ ln x þ x2 þ 1 þ C x2 þ 1 ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx ¼ arcosh j x j þ C ¼ ln x þ x 2 1 þ C x2 1 ð 8 1 1þx > > ln þ C1 artanh x þ C 1 ¼ > > 2 1x < 1 dx ¼ > 1 x2 > > 1 x þ1 > : arcoth x þ C 2 ¼ ln þ C2 2 x 1 ðj x j > 1Þ 9 > jx j < 1> > > = f ür > > > ; jx j > 1> 446 V Integralrechnung 6 Berechnung bestimmter Integrale unter Verwendung einer Stammfunktion ðb f ðxÞ dx genügt –– wie wir gleich zeigen Zur Berechnung eines bestimmten Integrals a werden –– die Kenntnis einer beliebigen Stammfunktion des Integranden f ðxÞ. Zuðx nächst aber betrachten wir das unbestimmte Integral I ðxÞ ¼ f ðxÞ dx. Es ist bekanntlich in der Form a ðx I ðxÞ ¼ f ðxÞ dx ¼ F ðxÞ þ C ðV-40Þ a darstellbar, wobei F ðxÞ irgendeine spezielle (als bekannt vorausgesetzte) Stammfunktion von f ðxÞ bedeutet und C eine geeignete reelle Konstante. Diese wird aus der Gleichung ða I ðaÞ ¼ f ðxÞ dx ¼ F ðaÞ þ C ¼ 0 a zu C ¼ F ðaÞ bestimmt 4). Somit ist ðx f ðxÞ dx ¼ F ðxÞ F ðaÞ I ðxÞ ¼ ðV-41Þ a Für x ¼ b erhält man hieraus den Wert des gesuchten bestimmten Integrals als Differenz der Funktionswerte von F ðxÞ an der oberen und unteren Integrationsgrenze: ðb f ðxÞ dx ¼ F ðbÞ F ðaÞ ðV-42Þ a Der Integralwert ist dabei völlig unabhängig von der getroffenen Wahl der Stammfunktion. Wählt man statt F ðxÞ die Stammfunktion F1 ðxÞ, so unterscheiden sich diese Funktionen bekanntlich nur durch eine additive Konstante K, d. h. es gilt F ðxÞ ¼ F1 ðxÞ þ K. Die Berechnung des bestimmten Integral nach Formel (V-42) ergibt dann: ðb f ðxÞ dx ¼ F ðbÞ F ðaÞ ¼ ½ F1 ðbÞ þ K ½ F1 ðaÞ þ K ¼ a ¼ F1 ðbÞ þ K F1 ðaÞ K ¼ F1 ðbÞ F1 ðaÞ 4) ðV-43Þ Fallen die Integrationsgrenzen zusammen ða ¼ bÞ, so ist der Integralwert (Flächeninhalt!) gleich Null. 6 Berechnung bestimmter Integrale unter Verwendung einer Stammfunktion 447 Die Konstante K fällt somit bei der Differenzbildung heraus. Der Wert des bestimmten Integrals kann daher auch mit der Stammfunktion F1 ðxÞ, d. h. mit einer beliebigen Stammfunktion berechnet werden. Ein bestimmtes Integral lässt sich daher wie folgt schrittweise berechnen: ðb f ðxÞ dx Berechnung eines bestimmten Integrals a Die Berechnung eines bestimmten Integrals erfolgt in zwei Schritten: 1. Zunächst wird irgendeine Stammfunktion F ðxÞ zum Integranden f ðxÞ bestimmt ðF 0 ðxÞ ¼ f ðxÞÞ. 2. Mit dieser Stammfunktion berechnet man die Werte F ðaÞ und F ðbÞ an den beiden Integrationsgrenzen und daraus die Differenz F ðbÞ F ðaÞ. Dann gilt: ðb f ðxÞ dx ¼ h F ðxÞ a h Dabei ist das Symbol renz F ðbÞ F ðaÞ. ib ¼ F ðbÞ F ðaÞ a F ðxÞ ðV-44Þ ib a eine verkürzte Schreibweise für die Diffe- Anmerkung In der Praxis liegt das Hauptproblem in der Bestimmung einer Stammfunktion des Integranden. Gelingt dieses Vorhaben, so hat man das Integral in „geschlossener Form“ dargestellt. In den meisten Fällen ist dies jedoch nicht so ohne Weiteres möglich. Man ist dann auf spezielle Verfahren wie z. B. Integralsubstitutionen oder numerische Integrationsmethoden angewiesen. In Abschnitt 8 kommen wir auf dieses Problem ausführlich zurück. & Beispiele (1) ð1 Wir berechnen das Integral n ¼ 2): ð1 x 2 dx ¼ 0 1 3 x 3 1 ¼ 0 x 2 dx unter Verwendung der Potenzregel (für 0 1 1 0 ¼ 3 3 448 V Integralrechnung ð2 ðx 3 2 x 2 þ 5Þ dx ¼ ? (2) 1 Eine Stammfunktion F ðxÞ lässt sich leicht unter Verwendung der Potenzregel der Integralrechnung bestimmen (wir dürfen dabei C ¼ 0 setzen): F ðxÞ ¼ 1 4 2 3 x x þ 5x 4 3 Für den Integralwert erhält man dann nach Gleichung (V-44): ð2 ðx 3 2 x 2 þ 5Þ dx ¼ 1 2 ¼ 1 16 1 2 þ 10 þ5 ¼ 3 4 3 16 3 8 þ 60 ¼ 14 ¼ 3 12 ¼ ¼ (3) 1 4 2 3 x x þ 5x 4 3 4 42 16 55 26 55 104 55 49 ¼ ¼ ¼ 3 12 3 12 12 12 Der Flächeninhalt unter der Sinuskurve y ¼ sin x im Bereich der ersten Halbðp periode lässt sich mit Hilfe des bestimmten Integrals A ¼ sin x dx berechnen (grau unterlegte Fläche in Bild V-17). 0 y y = sin x 1 Bild V-17 Zur Berechnung der Fläche unter der Sinuskurve im Intervall 0 x p A p 0 x Eine Stammfunktion des Integranden f ðxÞ ¼ sin x ist F ðxÞ ¼ cos x, da F 0 ðxÞ ¼ sin x ¼ f ðxÞ ist. Daher gilt: ðp sin x dx ¼ A ¼ h cos x ip 0 h ip ¼ cos x ¼ ðcos p cos 0Þ ¼ 0 ¼ ð1 1Þ ¼ ð 2Þ ¼ 2 0 6 Berechnung bestimmter Integrale unter Verwendung einer Stammfunktion (4) 449 Die Stirnflächen eines Rohres der Länge l besitzen die (konstanten) Temperaturen T 1 bzw. T 2 > T 1 (Bild V-18). Wie sieht die Temperaturverteilung T ðxÞ längs des Rohres aus, wenn bekannt ist, dass die 2. Ableitung T 00 ðxÞ dieser Funktion verschwindet? T1 T(x) T2 > T1 x l 0 x Rohr Bild V-18 Zur Bestimmung der Temperaturverteilung längs eines Rohres Lösung: Die Temperaturverteilungsfunktion T ðxÞ erhält man aus T 00 ðxÞ ¼ 0 durch zweimalige (unbestimmte) Integration: ð ð T 0 ðxÞ ¼ T 00 ðxÞ dx ¼ 0 dx ¼ C 1 ð T ðxÞ ¼ T 0 ðxÞ dx ¼ ð C 1 dx ¼ C 1 x þ C 2 Die beiden Integrationskonstanten C 1 und C 2 werden aus den vorgegebenen Temperaturwerten an den beiden Stirnflächen des Rohres wie folgt berechnet: T ð0Þ ¼ T 1 ) C1 0 þ C2 ¼ T1 ) C2 ¼ T1 T ðxÞ ¼ C 1 x þ T 1 T ðlÞ ¼ T 2 ) C1 l þ T1 ¼ T2 ) C1 ¼ T2 T1 l Die Temperaturverteilung T ðxÞ längs des Rohres verläuft somit linear ansteigend nach der Funktionsgleichung T ðxÞ ¼ T2 T1 x þ T1 l ð0 x lÞ und besitzt den in Bild V-19 skizzierten Verlauf. T T2 T(x) T1 Bild V-19 Temperaturverteilung längs eines Rohres l x Rohr & 450 V Integralrechnung 7 Elementare Integrationsregeln Für den Umgang mit bestimmten Integralen gelten gewisse Rechenregeln, die wir im Folgenden ohne Beweis mitteilen. Sie ergeben sich unmittelbar aus der Definition des bestimmten Integrals als Grenzwert der Ober- bzw. Untersumme. REGEL 1: Faktorregel Ein konstanter Faktor darf vor das Integral gezogen werden: ðb ðb C f ðxÞ dx ¼ C a & f ðxÞ dx ðC: KonstanteÞ ðV-45Þ a Beispiel ðp ðp 4 sin x dx ¼ 4 0 sin x dx ¼ 4 h cos x ip 0 h ip ¼ 4 cos x ¼ 0 0 ¼ 4 ðcos p cos 0Þ ¼ 4 ð 1 1Þ ¼ 8 & REGEL 2: Summenregel Eine endliche Summe von Funktionen darf gliedweise integriert werden: ðb ðb ð f 1 ðxÞ þ . . . þ f n ðxÞÞ dx ¼ a ðb f 1 ðxÞ dx þ . . . þ a f n ðxÞ dx a ðV-46Þ Anmerkungen (1) Faktor- und Summenregel gelten sinngemäß auch für unbestimmte Integrale. (2) Folgerung aus den beiden Regeln: Eine Linearkombination von Funktionen darf gliedweise integriert werden, wobei die konstanten Faktoren erhalten bleiben (d. h. vor die Teilintegrale gezogen werden). Ganzrationale Funktionen (Polynome) werden auf diese Weise integriert. Aus einem Polynom vom Grade n wird dabei ein solches vom Grade n þ 1. 7 Elementare Integrationsregeln & 451 Beispiel ð1 ð1 ð3 e 2 xÞ dx ¼ 0 ð1 3 e dx þ x 0 h ¼ 3 ex i1 0 2 ð1 ð 2 xÞ dx ¼ 3 x 0 1 2 x 2 1 e dx 2 0 h ¼ 3 ex 0 ð1 i1 0 x dx ¼ x 0 h x2 i1 0 ¼ ¼ 3 ðe 1Þ ð1 0Þ ¼ 3 e 3 1 ¼ 3 e 4 ¼ 4,1548 & REGEL 3: Vertauschungsregel Vertauschen der beiden Integrationsgrenzen bewirkt einen Vorzeichenwechsel des Integrals: ða ðb f ðxÞ dx ¼ & f ðxÞ dx ðV-47Þ a b Beispiel ð0 p=2 ð cos x dx ¼ p=2 0 h i p=2 cos x dx ¼ sin x ¼ ½ sin ðp=2Þ sin 0 ¼ 1 0 |fflfflfflfflffl{zfflfflfflfflffl} |{z} 1 0 & REGEL 4: Fallen die Integrationsgrenzen zusammen ða ¼ bÞ, so ist der Integralwert gleich Null: ða f ðxÞ dx ¼ 0 ðV-48Þ a Anmerkung Geometrisch einleuchtende Deutung: Zwischen den seitlichen Begrenzungen liegt keine Fläche mehr, der Flächeninhalt verschwindet somit. & Beispiel ð1 1 2 dx ¼ 2 x ð1 1 h i1 1 ¼ 2 ðln 1 ln 1Þ ¼ 0 dx ¼ 2 ln j x j 1 x & 452 V Integralrechnung REGEL 5: Zerlegung des Integrationsintervalls in zwei Teilintervalle (Bild V-20) Für jede Stelle c aus dem Integrationsintervall a c b gilt: ðc ðb ðb f ðxÞ dx ¼ a f ðxÞ dx þ a f ðxÞ dx ðV-49Þ c Diese Regel besagt anschaulich, dass die Fläche A unter der Kurve y ¼ f ðxÞ auch als Summe zweier Teilflächen A 1 und A 2 darstellbar ist (Bild V-20): ðb A ¼ A1 þ A2 ) ðc f ðxÞ dx ¼ a ðb f ðxÞ dx þ a f ðxÞ dx ðV-50Þ c y y = f(x) A a & Bild V-20 Zur Zerlegung des Integrationsintervalles in zwei Teilintervalle A2 A1 c b x Beispiel Die in Bild V-21 skizzierte Fläche muss als Summe zweier Teilflächen berechnet werden, da sich die obere Flächenberandung nicht durch eine einzige Funktionsgleichung beschreiben lässt, sondern nur abschnittsweise durch (unterschiedliche) Gleichungen beschrieben werden kann: 8 9 < x2 0 x 1= y ¼ f ür : ; x þ 2 1 x 2 ð1 A ¼ A1 þ A2 ¼ x dx þ 0 ¼ 1 0 3 ð2 ð x þ 2Þ dx ¼ 2 1 1 3 x 3 1 1 þ x2 þ 2x 2 0 2 ¼ 1 1 1 3 1 1 5 þ ð 2 þ 4Þ þ2 ¼ þ2 ¼ þ ¼ 2 3 2 3 2 6 8 Integrationsmethoden 453 y 1 y = – x +2 y=x2 A1 A2 Bild V-21 1 2 x & 8 Integrationsmethoden In diesem Abschnitt werden die wichtigsten Methoden zur Berechnung von unbestimmten und bestimmten Integralen dargestellt. Zu diesen Integrationstechniken gehören: Die Die Die Die Integration durch Substitution Methode der Partiellen Integration Integration echt gebrochenrationaler Funktionen durch Partialbruchzerlegung numerische Integration Den ersten drei aufgeführten Integrationstechniken liegt dabei das gemeinsame Ziel zugrunde, komplizierter gebaute Integrale auf einfachere Integrale, im Idealfall auf die in Abschnitt 5 behandelten Grund- oder Stammintegrale zurückzuführen. 8.1 Integration durch Substitution Viele der in den Anwendungen auftretenden Integrale lassen sich mit Hilfe einer geeigneten Variablen-Substitution in einfacher gebaute und häufig sogar in Grund- oder Stammintegrale überführen. Wir wollen zunächst die wesentlichen Züge dieser Integrationsmethode an einem einfachen Beispiel näher erläutern. 8.1.1 Ein einführendes Beispiel ð Das unbestimmte Integral x cos ðx 2 Þ dx gehört nicht zu den Grundintegralen, lässt sich jedoch durch die Substitution u ¼ x 2 in ein solches Integral überführen (u ist eine Hilfsvariable). Dabei ist zu beachten, dass auch das „alte“ Differential dx durch die „neue“ Variable u und deren Differential du auszudrücken ist. Dies geschieht (nicht nur in diesem Beispiel) durch Differentiation der Substitutionsgleichung, wobei wir die Ableitung als Differentialquotient schreiben und diesen dann nach dem Differential dx auflösen: u ¼ x2 ) du ¼ 2x dx ) dx ¼ du 2x ðV-51Þ 454 V Integralrechnung Die vollständige Substitution besteht dann aus den beiden Gleichungen u ¼ x2 und dx ¼ du 2x ð ðV-52Þ Unter Verwendung dieser Beziehungen geht das Integral x cos ðx 2 Þ dx in ein elementar lösbares Integral (Grundintegral) über: ð ð ð du 1 1 2 x cos ðx Þ dx ¼ x cos u ¼ cos u du ¼ sin u þ C ðV-53Þ 2x 2 2 Nach Rücksubstitution erhält man schließlich: ð 1 ðC 2 RÞ sin ðx 2 Þ þ C x cos ðx 2 Þ dx ¼ 2 ðV-54Þ Die gestellte Aufgabe ist damit gelöst. 8.1.2 Spezielle Integralsubstitutionen Der anhand des einführenden Beispiels dargelegte Lösungsmechanismus besteht demnach aus vier hintereinander auszuführenden Schritten: Berechnung eines (unbestimmten) Integrals mittels einer geeigneten Substitution 1. Aufstellung der Substitutionsgleichungen: u ¼ g ðxÞ , du ¼ g 0 ðxÞ , dx dx ¼ du g 0 ðxÞ ðV-55Þ 2. Durchführung der Integralsubstitution durch Einsetzen der Substitutionsgleið chungen in das vorgegebene (unbestimmte) Integral f ðxÞ dx : ð ð f ðxÞ dx ¼ jðuÞ du ðV-56Þ Das neue Integral enthält nur noch die „Hilfsvariable“ u und deren Differential du. Der Integrand ist eine nur noch von u abhängige Funktion jðuÞ. 3. Integration (Berechnung des neuen Integrals): ð jðuÞ du ¼ F ðuÞ ðF 0 ðuÞ ¼ jðuÞÞ ðV-57Þ 4. Rücksubstitution ðmittels der Substitutionsgleichung u ¼ g ðxÞÞ: ð f ðxÞ dx ¼ F ðuÞ ¼ F ðg ðxÞÞ ¼ F ðxÞ ðF 0 ðxÞ ¼ f ðxÞÞ ðV-58Þ 8 Integrationsmethoden 455 Anmerkungen (1) Vorausgesetzt werden muss, dass die Substitutionsfunktion im Integrationsintervall stetig differenzierbar und umkehrbar ist. (2) Eine Integralsubstitution wird als „geeignet“ oder „sinnvoll“ angesehen, wenn sie zu einer Vereinfachung des Integrals führt. Im Idealfall erhält man ein Grund- oder Stammintegral. (3) Die Substitution muss vollständig sein, d. h. nach Einsetzen der Substitutionsgleichungen darf die „alte“ Variable x im Integral nicht mehr vorkommen. pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi In bestimmten Fällen (z. B. bei Integralen mit Wurzelausdrücken wie x2 a2 ) ist es günstiger, die Hilfsvariable u durch eine Substitution vom Typ x ¼ h ðuÞ einzuführen. In dieser Gleichung ist die „neue“ Variable u die unabhängige und die „alte“ Variable x die abhängige Größe. Die Substitutionsgleichungen lauten dann wie folgt: (4) dx ¼ h 0 ðuÞ , du x ¼ h ðuÞ , (5) & dx ¼ h 0 ðuÞ du ðV-59Þ Bei einem bestimmten Integral kann auf die Rücksubstitution verzichtet werden, wenn man die Integrationsgrenzen unter Verwendung der Substitutionsgleichung u ¼ g ðxÞ bzw. x ¼ h ðuÞ mitsubstituiert (siehe hierzu das nachfolgende Beispiel). Beispiel ð1 Wir lösen das bestimmte Integral I ¼ x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 þ x 2 dx wie folgt durch Substitution, 0 wobei wir die Integrationsgrenzen mitsubstituieren: du ¼ 2x, dx u ¼ 1 þ x2 , dx ¼ du 2x Untere Grenze : x ¼ 0 ) u ¼ 1 þ 02 ¼ 1 x ¼ 1 ) u ¼ 1 þ 12 ¼ 2 Obere Grenze : ð1 I ¼ uð ¼2 ð2 ð2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi p ffiffi ffi p ffiffi ffi du 1 1 u 1=2 du ¼ ¼ x 1 þ x 2 dx ¼ x u u du ¼ 2x 2 2 u¼1 0 ¼ 1 2 u 3=2 3=2 2 ¼ 1 1 1 1 h pffiffiffiffiffi3 i2 1 pffiffiffi u ð 8 1Þ ¼ 0,6095 ¼ 1 3 3 & In der folgenden Tabelle 2 geben wir eine bersicht über einige besonders häufig auftretende Integraltypen, die unter Verwendung einer geeigneten Substitution gelöst werden können. Zu jedem Integraltyp wird eine Reihe von Beispielen angeführt. 456 V Integralrechnung Tabelle 2: Integralsubstitutionen Integraltyp Substitution Beispiele u ¼ ax þ b 1. ð f ða x þ bÞ dx (A) Merkmal: Die Variable x tritt in der linearen Form a x þ b auf ða 6¼ 0Þ dx ¼ du a ð ð2 x 3Þ 6 dx u ¼ 2x 3 ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2. 4 x þ 5 dx u ¼ 4x þ 5 ð 3. ð (B) f ðxÞ f 0 ðxÞ dx ð (C) f 0 ðxÞ dx f ðxÞ Merkmal: Im Zähler steht die Ableitung des Nenners ð f ðx; (D) pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi a 2 x 2 Þ dx Merkmal: Der Integrand enthält eine Wurzel vom pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Typ a2 x2 ð f ðx; (E) pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 2 þ a 2 Þ dx Merkmal: Der Integrand enthält Wurzel vom peine ffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Typ x2 þ a2 ð (F) f ðx; pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 2 a 2 Þ dx Merkmal: Der Integrand enthält eine Wurzel vom pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Typ x2 a2 dx ¼ du f 0 ðxÞ ð 2. u ¼ f ðxÞ dx ¼ ð 1. du f 0 ðxÞ ð 2. x ¼ a sin u 1. dx ¼ a cos u du pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi a2 x2 ¼ ¼ a cos u 2. dx ¼ a cosh u du pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x2 þ a2 ¼ ¼ a cosh u x ¼ a cosh u dx ¼ a sinh u du pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x2 a2 ¼ ¼ a sinh u u ¼ 4x þ 2 sin x cos x dx u ¼ sin x ln x dx x u ¼ ln x 2x 3 dx x2 3x þ 1 u ¼ x2 3x þ 1 ex dx ex þ 5 u ¼ ex þ 5 ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r 2 x 2 dx ð x ð 3. x ¼ a sinh u e 4 x þ 2 dx ð u ¼ f ðxÞ 1. Merkmal: Der Integrand ist das Produkt aus einer Funktion f ðxÞ und ihrer Ableitung f 0 ðxÞ Substitution 1. ð dx pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x2 þ 4 ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 2 9 dx ð 2. x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx 4 x2 ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 2 þ 1 dx 2. 1. pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r 2 x 2 dx x pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx x 2 25 x ¼ r sin u x ¼ r sin u x ¼ 2 sin u x ¼ sinh u x ¼ 2 sinh u x ¼ 3 cosh u x ¼ 5 cosh u 8 Integrationsmethodenn 457 Anmerkungen zur Tabelle 2 & (1) Integrale vom Typ (B) bzw. (C) sind in geschlossener Form wie folgt lösbar: ð 1 ½ f ðxÞ 2 þ C f ðxÞ f 0 ðxÞ dx ¼ 2 ð 0 f ðxÞ dx ¼ ln j f ðxÞ j þ C f ðxÞ (2) Integrale vom Typ (D) bis (F): Die angegebenen Substitutionen beseitigen die Wurzeln. Man erhält Integrale mit trigonometrischen bzw. hyperbolischen Funktionen, die in der Regel noch keine Grund- oder Stammintegrale sind und daher (gegebenenfalls) mit einer anderen Methode bzw. unter Verwendung von Umrechnungsformeln weiterbehandelt werden müssen. (3) Weitere Integralsubstitutionen findet der Leser in der Mathematischen Formelsammlung (Kap. V, Abschnitt 3.1). Beispiele (1) I ¼ ð 6x2 dx ¼ ? ð1 4 x 3 Þ3 Die Substitution u ¼ 1 4 x 3 scheint geeignet, da sie eine deutliche Vereinfachung im Nenner des Integranden bewirkt: Substitutionsgleichungen: u ¼ 1 4 x 3, du ¼ 12 x 2 , dx dx ¼ du du ¼ 2 12 x 2 ð6 x 2 Þ Integralsubstitution: ð ð ð 6x2 6x2 du 1 1 I ¼ dx ¼ du ¼ 3 3 3 2 2 u3 u ð1 4 x Þ 2 ð6 x Þ Integration und Rücksubstitution: Das neue Integral ist bereits ein Grundintegral. Mit Hilfe der Potenzregel der Integralrechnung erhalten wir: ð ð 1 1 1 1 u2 du ¼ I ¼ þC ¼ u 3 du ¼ 3 2 u 2 2 2 ¼ 1 1 þC ¼ þC 2 4u 4 ð1 4 x 3 Þ2 Lösung: ð 6x2 1 dx ¼ þC ð1 4 x 3 Þ3 4 ð1 4 x 3 Þ2 ðC 2 RÞ 458 V Integralrechnung ð (2) I ¼ 2 sin x cos x dx ¼ ? Dieses Integral ist vom Typ (B) (der Faktor 2 stört nicht, da er vor das Integral gezogen werden darf) und lässt sich daher wie folgt lösen: du du u ¼ sin x , ¼ cos x , dx ¼ dx cos x ð ð I ¼ 2 sin x cos x dx ¼ 2 u cos x ¼ 2 du ¼ 2 cos x ð u du ¼ 1 2 u þ C ¼ u2 þ C 2 Rücksubstitution führt zur gesuchten Lösung: ð I ¼ 2 sin x cos x dx ¼ sin 2 x þ C ð (3) I ¼ x3 3x2 6 dx ¼ ? 6x þ 1 Dieses unbestimmte Integral ist vom Integraltyp (C) aus Tabelle 2, da im Zähler des Integranden genau die Ableitung des Nenners steht. Wir lösen dieses Integral schrittweise wie folgt: Substitutionsgleichungen (Nenner substituieren): u ¼ x3 6x þ 1, du ¼ 3x2 6, dx dx ¼ du 3x2 6 du ¼ Integralsubstitution: ð I ¼ 3x2 6 dx ¼ 3 x 6x þ 1 ð 3x2 6 u 3x2 6 ð 1 du u Integration und Rücksubstitution: Das neue Integral ist bereits ein Grund- oder Stammintegral: ð 1 I ¼ du ¼ ln j u j þ C ¼ ln j x 3 6 x þ 1 j þ C u Lösung: ð 3x2 6 dx ¼ ln j x 3 6 x þ 1 j þ C x3 6x þ 1 p=2 ð (4) I ¼ 0 cos x dx ¼ ? 1 þ sin 2 x ðC 2 RÞ 8 Integrationsmethoden 459 1. Lösungsweg: Wir lösen das bestimmte Integral durch die Substitution u ¼ sin x mit anschließender Rücksubstitution, wobei wir zunächst unbestimmt integrieren. Substitutionsgleichungen: u ¼ sin x , du ¼ cos x , dx dx ¼ du cos x Integralsubstitution (ohne Grenzen, d. h. unbestimmt): ð cos x dx ¼ 1 þ sin 2 x ð cos x 1 þ u2 du ¼ cos x ð 1 du 1 þ u2 Integration und Rücksubstitution: ð 1 du ¼ arctan u þ C ¼ arctan ðsin xÞ þ C 1 þ u2 Berechnung des bestimmten Integrals (C ¼ 0 gesetzt, da die Berechnung eines bestimmten Integrals mit Hilfe einer beliebigen Stammfunktion des Integranden erfolgen kann): p=2 ð I ¼ 0 h i p=2 cos x ¼ dx ¼ arctan ð sin xÞ 0 1 þ sin 2 x ¼ arctan ðsin ðp=2Þ Þ arctan ð sin 0 Þ ¼ |fflfflfflfflffl{zfflfflfflfflffl} |ffl{zffl} 1 0 p p 0 ¼ ¼ arctan 1 arctan 0 ¼ 4 4 2. Lösungsweg: Wir verwenden die gleiche Substitution, verzichten aber auf die Rücksubstitution. Dafür müssen die Integrationsgrenzen auf die neue Hilfsvariable u umgeschrieben werden. Untere Grenze: x ¼ 0 ) u ¼ sin 0 ¼ 0 Obere Grenze: x ¼ p=2 ) u ¼ sin ðp=2Þ ¼ 1 Somit gilt: p=2 ð I ¼ 0 cos x dx ¼ 1 þ sin 2 x ¼ arctan 1 arctan 0 ¼ ð1 0 h i1 1 du ¼ arctan u ¼ 2 0 1þu p p 0 ¼ 4 4 460 (5) V Integralrechnung Wir berechnen den Flächeninhalt eines Kreises vom Radius r (Bild V-22). y y = r2– x2 Bild V-22 Zur Berechnung des Flächeninhaltes eines Kreises 0 r x Aus Symmetriegründen beschränken wir uns dabei auf den im 1. Quadranten liegenden Viertelkreis (in Bild V-22 grau unterlegt): A Kreis ðr pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r 2 x 2 dx ¼ 4 0 Dieses Integral ist vom Typ (D) der Tabelle 2 und wird durch die Substitution x ¼ r sin u, pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r 2 x 2 ¼ r cos u dx ¼ r cos u du, gelöst, wobei wir die Integrationsgrenzen mitsubstituieren wollen. Wir lösen daher die Substitutionsgleichung x ¼ r sin u zunächst nach u auf: x ¼ r sin u ) sin u ¼ x r ) u ¼ arcsin x r Mit dieser Beziehung berechnen wir dann die neuen Integrationsgrenzen: Untere Grenze: x ¼ 0 ) u ¼ arcsin 0 ¼ 0 Obere Grenze: x ¼ r ) u ¼ arcsin 1 ¼ p=2 Nach Durchführung der Substitution erhält man das folgende Integral: A Kreis p=2 ð ðr pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r 2 x 2 dx ¼ 4 ¼ 4 r cos u r cos u du ¼ 0 0 p=2 ð ¼ 4 p=2 ð r cos u du ¼ 4 r 2 0 2 2 cos 2 u du 0 8 Integrationsmethoden 461 Dieses Integral ist zwar noch kein Grundintegral, kann jedoch mit Hilfe der aus der Mathematischen Formelsammlung entnommenen trigonometrischen Beziehung cos 2 u ¼ 1 ð1 þ cos ð2 uÞÞ 2 wesentlich vereinfacht werden: p=2 ð A Kreis ¼ 4 r 2 1 cos u du ¼ 4 r 2 2 p=2 ð ð1 þ cos ð2 uÞÞ du ¼ 2 0 0 p=2 ð ¼ 2r p=2 ð 1 du þ 2 r 2 cos ð2 uÞ du ¼ 2 0 0 p=2 ð h i p=2 2 ¼ 2r u þ 2r cos ð2 uÞ du ¼ 2 0 0 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 0 ¼ 2r2 p 0 þ 2r2 0 ¼ p r2 2 p=2 ð cos ð2 uÞ du auch tatsächlich Wir müssen noch zeigen, dass das Integral 0 verschwindet. Dieses Integral ist vom Typ (A) aus Tabelle 2 und wird durch die folgende lineare Substitution gelöst (die Substitutionsvariable bezeichnen wir mit t ): t ¼ 2u, dt ¼ 2, du du ¼ 1 dt 2 Die neuen Integrationsgrenzen in t sind dabei ðt ¼ 2 uÞ: Untere Grenze: u ¼ 0 ) t ¼ 0 Obere Grenze: u ¼ p=2 ) t ¼ p Daher ist p=2 ð 1 cos ð2 uÞ du ¼ 2 ðp cos t dt ¼ ip 1 h 1 sin t ðsin p sin 0Þ ¼ ¼ 0 2 2 0 0 ¼ 1 ð0 0Þ ¼ 0 2 & 462 V Integralrechnung 8.2 Partielle Integration oder Produktintegration Aus der Produktregel der Differentialrechnung in der speziellen Form d u ðxÞ v ðxÞ ¼ u 0 ðxÞ v ðxÞ þ u ðxÞ v 0 ðxÞ dx ðV-60Þ gewinnt man durch Umformung und anschließende Integration eine unter der Bezeichnung Partielle Integration oder Produktintegration bekannte Integrationsmethode. Zunächst wird Gleichung (V-60) wie folgt umgestellt: u ðxÞ v 0 ðxÞ ¼ d u ðxÞ v ðxÞ u 0 ðxÞ v ðxÞ dx ðV-61Þ Unbestimmte Integration auf beiden Seiten führt dann zu ð u ðxÞ v 0 ðxÞ dx ¼ ð ð d u ðxÞ v ðxÞ dx u 0 ðxÞ v ðxÞ dx dx ðV-62Þ Dabei gilt: ð d u ðxÞ v ðxÞ dx ¼ u ðxÞ v ðxÞ dx ðV-63Þ Denn die (unbestimmte) Integration ist ja bekanntlich die Umkehrung der Differentiation, hebt diese also auf. Die Integrationskonstante wird an dieser Stelle üblicherweise weggelassen, muss jedoch gegebenenfalls im Endergebnis hinzugefügt werden. Gleichung (V-62) kann daher auch in der Form ð 0 u ðxÞ v ðxÞ dx ¼ u ðxÞ v ðxÞ ð u 0 ðxÞ v ðxÞ dx ðV-64Þ geschrieben werden. Diese Beziehung wird in der mathematischen Literatur als Formel der partiellen Integration bezeichnet (auch Produktintegration genannt) und ermöglicht unter gewissen Voraussetzungen die Integration einer Funktion f ðxÞ, wie wir gleich zeigen werden 5). ð Bei der Berechnung eines Integrals f ðxÞ dx mittels partieller Integration wird der Integrand f ðxÞ zunächst in „geeigneter“ Weise in zwei Faktorfunktionen zerlegt, die wir mit u ðxÞ und v 0 ðxÞ bezeichnen wollen: f ðxÞ ¼ u ðxÞ v 0 ðxÞ 0 ðV-65Þ Dabei ist v ðxÞ die Ableitung einer (zunächst noch unbekannten) Funktion v ðxÞ. 5) Der Nutzen dieser etwas seltsamen Formel ist auf den ersten Blick nur schwer zu erkennen. 8 Integrationsmethoden 463 ð Das Integral f ðxÞ dx lässt sich dann auch wie folgt schreiben: ð ð f ðxÞ dx ¼ u ðxÞ v 0 ðxÞ dx ðV-66Þ Unter Verwendung der Formel (V-64) wird hieraus schließlich: ð ð f ðxÞ dx ¼ u ðxÞ v 0 ðxÞ dx ¼ u ðxÞ v ðxÞ ð u 0 ðxÞ v ðxÞ dx ðV-67Þ Damit haben wir Folgendes erreicht: ð ð Das Ausgangsintegral f ðxÞ dx ¼ u ðxÞ v 0 ðxÞ dx lässt sich nach dieser Formel ð auf „indirektem“ Wege über das Hilfsintegral u 0 ðxÞ v ðxÞ dx der rechten Gleichungsseite berechnen, wenn die folgenden Voraussetzungen erfüllt sind: 1. Zu der Faktorfunktion v 0 ðxÞ lässt sich problemlos eine Stammfunktion v ðxÞ finden. ð 2. Das auf der rechten Seite stehende Hilfsintegral u 0 ðxÞ v ðxÞ dx ist elementar lösbar und im Idealfall ein Grund- oder Stammintegral. Die Erfahrung zeigt, dass man dieses Ziel in vielen (aber nicht allen) Fällen mit Hilfe einer „geeigneten“ Zerlegung des Integranden erreichen kann. Wir fassen diese wichtigen Ergebnisse wie folgt zusammen: Berechnung eines Integrals mittels partieller Integration (auch „Produktintegration“ genannt) Der Integrand f ðxÞ des vorgegebenen unbestimmten Integrals ð f ðxÞ dx wird I zunächst in „geeigneter“ Weise in ein Produkt aus einer Funktion u ðxÞ und der Ableitung v 0 ðxÞ einer (zunächst noch unbekannten) Funktion v ðxÞ zerlegt: ð ð f ðxÞ dx ¼ u ðxÞ v 0 ðxÞ dx |fflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflffl} |ffl{zffl} Zerlegung in ein Produkt 464 V Integralrechnung Dieses Integral lässt sich dann auch wie folgt darstellen (sog. Formel der partiellen Integration): ð ð ð 0 f ðxÞ dx ¼ u ðxÞ v ðxÞ dx ¼ u ðxÞ v ðxÞ u 0 ðxÞ v ðxÞ dx ðV-68Þ Die Integration gelingt, wenn die Faktorfunktionen u ðxÞ und v 0 ðxÞ die folgenden Voraussetzungen erfüllen: 1. Zu der Faktorfunktion v 0 ðxÞ lässt sich problemlos eine Stammfunktion v ðxÞ bestimmen. 2. Das aufð der rechten Seite der Integrationsformel (V-68) auftretende „Hilfsintegral“ u 0 ðxÞ v ðxÞ dx ist elementar lösbar, im Idealfall sogar ein Grundoder Stammintegral. Anmerkungen (1) Ob die Integration nach der Formel (V-68) gelingt, hängt im Wesentlichen von der „richtigen“, d. h. sinnvollen Zerlegung des Integranden f ðxÞ in die beiden Faktorfunktionen u ðxÞ und v 0 ðxÞ ab. Insbesondere v 0 ðxÞ muss so gewählt werden, dass sich ohne Schwierigkeiten eine Stammfunktion v ðxÞ angeben lässt (v 0 ðxÞ ist der „kritische“ Faktor). (2) In einigen Fällen muss man das Integrationsverfahren mehrmals nacheinander anwenden, ehe man auf ein Grundintegral stößt (siehe hierzu das nachfolgende Beispiel (3)). (3) Häufig führt die Partielle Integration zwar auf ein einfacheres Integral, das aber noch kein Grund- oder Stammintegral darstellt. In diesem Fall muss das „neue“ Integral nach einer anderen Integrationsmethode (z. B. mittels einer Integralsubstitution) weiterbehandelt werden, bis man schließlich auf ein Grundintegral stößt. (4) Die Formel der partiellen Integration gilt sinngemäß auch für bestimmte Integrale. Sie lautet dann: ðb ðb f ðxÞ dx ¼ a 0 u ðxÞ v ðxÞ dx ¼ a h u ðxÞ v ðxÞ ib a ðb u 0 ðxÞ v ðxÞ dx a ðV-69Þ (5) Die Integrale in der Formel (V-68) müssen natürlich existieren. Dies ist der Fall, wenn u ðxÞ und v ðxÞ stetig differenzierbare Funktionen sind. 8 Integrationsmethoden & 465 Beispiele ð (1) x e x dx ¼ ? Wir zerlegen den Integrand f ðxÞ ¼ x e x wie folgt: u ðxÞ ¼ x , v 0 ðxÞ ¼ e x ) u 0 ðxÞ ¼ 1 , v ðxÞ ¼ e x Die Formel der partiellen Integration liefert dann unmittelbar ein elementar lösbares Integral: ð ð ð x e x dx ¼ x e x 1 e x dx ¼ x e x e x dx ¼ # # " " " " u v0 u v u0 v ¼ x e x e x þ C ¼ ðx 1Þ e x þ C ðC 2 RÞ Um zu zeigen, dass die Art der Zerlegung des Integranden von entscheidender Bedeutung ist, wollen wir diesmal im gleichen Integral eine andere Zerlegung des Integranden f ðxÞ ¼ x e x vornehmen und zwar: f ðxÞ ¼ x e x # # v0 u Auch bei dieser Zerlegung lässt sich zum „kritischen“ Faktor v 0 ðxÞ ¼ x problemlos eine Stammfunktion bestimmen: u ðxÞ ¼ e x , v 0 ðxÞ ¼ x ) u 0 ðxÞ ¼ e x , v ðxÞ ¼ 1 2 x 2 Die Formel der Partiellen Integration führt diesmal aber zu einem „Hilfsintegral“, das nicht etwa (wie gewünscht) einfacher, sondern sogar komplizierter gebaut ist als das Ausgangsintegral: ð ð ð 1 2 1 2 1 2 1 x e x dx ¼ e x x ex x dx ¼ x ex x 2 e x dx 2 2 2 2 |fflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflffl} # # " " " " Dieses Integral 0 0 u v u v v u ist komplizierter gebaut als das Ausgangsintegral Die vorgenommene Zerlegung des Integranden ist keineswegs „falsch“, offensichtlich jedoch „ungeeignet“, d. h. mit dieser Zerlegung lässt sich das Ausgangsinteð gral x e x dx nicht in ein elementar lösbares Integral bzw. in ein Grund- oder Stammintegral überführen (die Potenz im Integral hat sich bei dieser Zerlegung erhöht: x ! x 2 ). 466 (2) V Integralrechnung ð Das unbestimmte Integral ln x dx lässt sich auch in der Form ð ð ln x dx ¼ ðln xÞ 1 dx darstellen („mathematischer Trick“: Faktor 1 ergänzen). Wir nehmen jetzt die folgende Zerlegung des Integranden f ðxÞ ¼ ðln xÞ 1 vor: u ðxÞ ¼ ln x, v 0 ðxÞ ¼ 1 u 0 ðxÞ ¼ ) 1 , v ðxÞ ¼ x x Damit gilt nach Formel (V-68): ð ð ð 1 ln x dx ¼ ðln xÞ 1 dx ¼ ðln xÞ x x dx ¼ x # # " " " " u v u0 v u v0 ð ¼ x ln x 1 dx ¼ x ln x x þ C ¼ ¼ x ðln x 1Þ þ C ðC 2 RÞ ð (3) x 2 cos x dx ¼ ? Mit der Zerlegung u ðxÞ ¼ x 2 , v 0 ðxÞ ¼ cos x ) u 0 ðxÞ ¼ 2 x , v ðxÞ ¼ sin x erhält man zunächst: ð ð x 2 cos x dx ¼ x 2 sin x 2 x sin x dx ¼ # # " " " " u v u0 v u v0 ð ¼ x 2 sin x 2 x sin x dx ¼ x 2 sin x 2 I |fflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflffl} I ð Das dabei auftretende Hilfsintegral I ¼ x sin x dx ist zwar einfacher gebaut als das Ausgangsintegral (Potenzerniedrigung: x 2 ! x), aber leider noch kein Grundintegral. Es lässt sich aber nach der gleichen Integrationstechnik weiterbehandeln. Wir zerlegen nun wie folgt (konsequenterweise müssen wir wieder die Potenz –– hier also x –– mit u bezeichnen): u ðxÞ ¼ x , v 0 ðxÞ ¼ sin x ) u 0 ðxÞ ¼ 1 , v ðxÞ ¼ cos x 8 Integrationsmethoden Dann gilt: 467 ð ð I ¼ x sin x dx ¼ x ð cos xÞ # # " " 0 u v u v ð ¼ x cos x þ cos x dx ¼ x 1 ð cos xÞ dx ¼ " " 0 u v cos x þ sin x þ C 1 ð Damit haben wir das Ausgangsintegral x 2 cos x dx gelöst: ð x 2 cos x dx ¼ x 2 sin x 2 I ¼ ¼ x 2 sin x 2 ð x cos x þ sin x þ C 1 Þ ¼ ¼ x 2 sin x þ 2 x cos x 2 sin x 2 C 1 ¼ ¼ x 2 sin x þ 2 x cos x 2 sin x þ C (4) Dabei wurde C ¼ 2 C 1 gesetzt ðC 1 , C 2 RÞ. ð ðn 2 N*; a 2 RÞ x n e a x dx ¼ ? Wir nehmen zunächst die folgende Zerlegung vor: u ðxÞ ¼ x n , v 0 ðxÞ ¼ e a x ) u 0 ðxÞ ¼ n x n 1 , v ðxÞ ¼ 1 eax a und erhalten nach der Formel der Partiellen Integration (V-68): ð ð ð 1 n xn eax x n 1 e a x dx x n e a x dx ¼ u v u 0 v dx ¼ a a ð Damit haben wir das Ausgangsintegral x n e a x dx gegen ein einfacher gebautes Integral vom gleichen Typ eingetauscht (der Exponent hat sich um 1 verkleinert!). Formeln dieser Art bezeichnet man als Rekursionsformeln. Durch mehrmaliges Anwenden dieser Formel (hier: n-mal) gelangt man schließlich zu dem ð „Grundintegral“ e a x dx . Rechenbeispiel ð x 2 e 4 x dx ¼ ? n ¼ 2, a ¼ 4 Der 1. Schritt führt zu: ð ð 1 2 2 1 2 1 x e4x x e 4 x dx ¼ x e4x I x 2 e 4 x dx ¼ 4 4 4 2 |fflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflffl} I 468 V Integralrechnung Im 2. Schritt wenden wir dieselbe Rekursionsformel auf das neue (aber einfachere) Integral der rechten Seite an (diesmal ist n ¼ 1 und a ¼ 4): ð ð 1 1 I ¼ x e 4 x dx ¼ x e4x 1 e 4 x dx ¼ 4 4 ¼ 1 1 x e4x e4x þ C1 4 16 Damit erhalten wir die folgende Lösung: ð 1 2 1 x e4x I ¼ x 2 e 4 x dx ¼ 4 2 1 2 1 1 1 ¼ x e4x x e4x e4x þ C1 ¼ 4 2 4 16 1 2 1 1 1 ¼ x e4x x e4x þ e4x C1 ¼ 4 8 32 2 1 1 1 ¼ x2 x þ e4x þ C 4 2 8 Dabei wurde C ¼ C 1 =2 gesetzt ðC 1 , C 2 RÞ. & 8.3 Integration einer echt gebrochenrationalen Funktion durch Partialbruchzerlegung des Integranden Für echt gebrochenrationale Funktionen ist eine spezielle Integrationstechnik unter der Bezeichnung „Integration durch Partialbruchzerlegung“ entwickelt worden. Wir werden sie im Folgenden ausführlich behandeln. Ist die Funktion jedoch unecht gebrochen, so muss sie zunächst in eine ganzrationale und eine echt gebrochenrationale Funktion zerlegt werden. Diese Zerlegung ist stets möglich und eindeutig (siehe hierzu Kap. III, Abschnitt 6.3). Wir geben zunächst ein Beispiel. & Beispiel 2 x 3 14 x 2 þ 14 x þ 30 wird durch x2 4 Polynomdivision in einen ganzrationalen und einen echt gebrochenrationalen Anteil zerlegt: Die unecht gebrochenrationale Funktion y ¼ ð2 x 3 14 x 2 þ 14 x þ 30Þ : ðx 2 4Þ ¼ 2 x 14 þ ð2 x 3 8 xÞ 22 x 26 x2 4 14 x 2 þ 22 x þ 30 ð 14 x 2 þ þ 56Þ 22 x 26 Ganzrationaler Anteil: p ðxÞ ¼ 2 x 14 Echt gebrochenrationaler Anteil: r ðxÞ ¼ 22 x 26 x2 4 & 8 Integrationsmethoden 469 8.3.1 Partialbruchzerlegung Z ðxÞ lässt sich mit Hilfe alN ðxÞ gebraischer Methoden in eindeutiger Weise in eine endliche Summe aus sog. Partialoder Teilbrüchen zerlegen, die dann ohne große Schwierigkeiten gliedweise integriert werden können (Z ðxÞ: Zählerpolynom, N ðxÞ: Nennerpolynom). Jede echt gebrochenrationale Funktion vom Typ f ðxÞ ¼ Wir gehen dabei wie folgt vor: Partialbruchzerlegung einer echt gebrochenrationalen Funktion Z ðxÞ lässt sich schrittN ðxÞ weise wie folgt in eine Summe aus Partial- oder Teilbrüchen zerlegen: Eine echt gebrochenrationale Funktion vom Typ f ðxÞ ¼ 1. Zunächst werden die reellen Nullstellen des Nennerpolynoms N ðxÞ nach Lage und Vielfachheit bestimmt 6). 2. Jeder Nullstelle des Nennerpolynoms wird ein Partialbruch in folgender Weise zugeordnet: A x 1 : Einfache Nullstelle " x x1 A1 A2 x 1 : Zweifache Nullstelle " þ x x1 ðx x 1 Þ 2 .. . A1 A2 Ar " þ þ ... þ x 1 : r-fache Nullstelle 2 x x1 ðx x 1Þ r ðx x 1 Þ A, A 1 , A 2 , . . . , A r sind dabei (zunächst noch unbekannte) Konstanten. Z ðxÞ ist dann als Summe N ðxÞ aller Partialbrüche darstellbar (Anzahl der Partialbrüche ¼ Anzahl der Nullstellen des Nennerpolynoms N ðxÞ). 3. Die echt gebrochenrationale Funktion f ðxÞ ¼ 4. Bestimmung der in den Partialbrüchen auftretenden Konstanten: Zunächst werden alle Brüche auf einen gemeinsamen Nenner (Hauptnenner) gebracht. Durch Einsetzen geeigneter x-Werte (z. B. der Nennernullstellen) erhält man ein einfaches lineares Gleichungssystem für die unbekannten Konstanten, das z. B. mit Hilfe des Gaußschen Algorithmus gelöst werden kann. Eine weitere Methode zur Bestimmung der Konstanten ist der Koeffizientenvergleich. 6) Wir setzen hier voraus, dass der Nenner ausschließlich reelle Nullstellen besitzt (zum Vorgehen bei komplexen Nullstellen siehe Formelsammlung, Kap. V, Abschnitt 3.3). 470 & V Integralrechnung Beispiele (1) Der Nenner einer echt gebrochenrationalen Funktion besitze die folgenden einfachen Nullstellen: x 1 ¼ 2, x 2 ¼ 5 und x 3 ¼ 4. Die zugehörigen Partialbrüche lauten dann der Reihe nach: A , x 2 (2) B , x 5 C x þ4 Wie lautet die Partialbruchzerlegung der echt gebrochenrationalen Funktion y ¼ f ðxÞ ¼ x þ1 ? x3 5x2 þ 8x 4 Lösung: Wir berechnen zunächst die Nennernullstellen: N ðxÞ ¼ x 3 5 x 2 þ 8 x 4 ¼ 0 ) x1 ¼ 1 , x 2=3 ¼ 2 (x 1 ¼ 1 durch Probieren gefunden; das Horner-Schema liefert dann das 1. reduzierte Polynom, aus dem sich die weiteren Nullstellen ergeben). Ihnen ordnen wir die folgenden Partialbrüche zu: A " x 1 ¼ 1 (einfache Nullstelle) x 1 B C þ x 2=3 ¼ 2 (doppelte Nullstelle) " x 2 ðx 2Þ 2 Damit lässt sich die Funktion f ðxÞ wie folgt darstellen (Zerlegung in Partialbrüche): f ðxÞ ¼ ¼ x þ1 x þ1 ¼ ¼ x3 5x2 þ 8x 4 ðx 1Þ ðx 2Þ 2 A B C þ þ x 1 x 2 ðx 2Þ 2 Um die Konstanten A, B und C bestimmen zu können, müssen die Brüche zunächst gleichnamig gemacht werden (Hauptnenner: ðx 1Þ ðx 2Þ 2 ; die Brüche müssen der Reihe nach mit ðx 2Þ 2 , ðx 1Þ ðx 2Þ bzw. ðx 1Þ erweitert werden): x þ1 ðx 1Þ ðx 2Þ 2 ¼ A ðx 2Þ 2 þ B ðx 1Þ ðx 2Þ þ C ðx 1Þ ðx 1Þ ðx 2Þ 2 Aus dieser Gleichung folgt dann durch Multiplikation mit dem Hauptnenner: x þ 1 ¼ A ðx 2Þ 2 þ B ðx 1Þ ðx 2Þ þ C ðx 1Þ 8 Integrationsmethoden 471 Wir setzen jetzt der Reihe nach die Werte x ¼ 1, x ¼ 2 (also die beiden Nullstellen des Nenners) und x ¼ 0 ein und erhalten ein eindeutig lösbares lineares Gleichungssystem für die drei Unbekannten A, B und C: x ¼ 1 ) 2 ¼ A ) A ¼ 2 x ¼ 2 ) 3 ¼ C ) C ¼ 3 x ¼ 0 ) 1 ¼ 4A þ 2B C ) 1 ¼ 5 þ 2B ) ) 1 ¼ 4 2 þ 2B 3 2B ¼ 4 ) B ¼ 2 Die gesuchte Partialbruchzerlegung lautet damit: x þ1 2 2 3 þ ¼ x3 5x2 þ 8x 4 x 1 x 2 ðx 2Þ 2 & 8.3.2 Integration der Partialbrüche Die in der Partialbruchzerlegung einer echt gebrochenrationalen Funktion auftretenden Funktionen sind vom Typ 7) 1 x x1 bzw: 1 ðx x 1 Þ n ðn 2Þ ðV-70Þ du ¼ 1 und somit dx ¼ du ist ihre Integradx tion elementar durchführbar und liefert die folgenden Lösungen ðC 1 , C 2 2 RÞ: Mit Hilfe der Substitution u ¼ x x 1 , ð ð dx ¼ x x1 ð dx ¼ ðx x 1 Þ n ¼ 7) du ¼ ln j u j þ C 1 ¼ ln j x x 1 j þ C 1 u ð du ¼ un ð u n du ¼ 1 ð1 nÞ ðx x 1 Þ n 1 ðV-71Þ unþ1 1 þ C2 ¼ þ C2 ¼ ð1 nÞ u n 1 n þ 1 þ C2 ðV-72Þ Die in den Partialbrüchen auftretenden Konstanten können bei der Integration vor das Integral gezogen werden und haben somit keinen Einfluss auf die nachfolgenden berlegungen. 472 V Integralrechnung Bevor wir das beschriebene Verfahren zur Integration gebrochenrationaler Funktionen durch Partialbruchzerlegung des Integranden auf konkrete Beispiele anwenden, fassen wir die einzelnen Schritte, die zur Integration führen, wie folgt zusammen: Integration einer gebrochenrationalen Funktion durch Partialbruchzerlegung Z ðxÞ Die Integration einer gebrochenrationalen Funktion f ðxÞ ¼ wird nach dem N ðxÞ folgenden Schema durchgeführt: 1. Zerlegung von f ðxÞ in eine ganzrationale Funktion p ðxÞ und eine echt gebrochenrationale Funktion r ðxÞ (z. B. durch Polynomdivision) 8) : f ðxÞ ¼ p ðxÞ þ r ðxÞ ðV-73Þ 2. Darstellung des echt gebrochenrationalen Anteils r ðxÞ als Summe von Partialbrüchen (sog. Partialbruchzerlegung). 3. Integration des ganzrationalen Anteils p ðxÞ und sämtlicher Partialbrüche. & Beispiele ð 2 x 3 14 x 2 þ 14 x þ 30 dx ¼ ? (1) x2 4 Der Integrand ist unecht gebrochenrational und wird durch Polynomdivision in einen ganzrationalen und einen echt gebrochenrationalen Anteil zerlegt (diese Zerlegung wurde bereits zu Beginn dieses Abschnitts durchgeführt): f ðxÞ ¼ 2 x 3 14 x 2 þ 14 x þ 30 22 x 26 ¼ 2 x 14 þ x2 4 x2 4 Zerlegung des echt gebrochenrationalen Anteils in Partialbrüche r ðxÞ ¼ 22 x 26 x2 4 Nullstellen des Nenners: x2 4 ¼ 0 ) x 1 ¼ 2, x 2 ¼ 2 Zuordnung der Partialbrüche: 8) x 1 ¼ 2 (einfache Nullstelle) " A x 2 x 2 ¼ 2 (einfache Nullstelle) " B x þ2 Diese Zerlegung entfällt, wenn die Funktion f ðxÞ bereits echt gebrochenrational ist. 8 Integrationsmethoden 473 Partialbruchzerlegung: 22 x 26 22 x 26 A B ¼ ¼ þ 2 x 4 ðx 2Þ ðx þ 2Þ x 2 x þ2 Bestimmung der Konstanten A und B (zunächst Hauptnenner bilden): 22 x 26 A ðx þ 2Þ þ B ðx 2Þ ¼ ðx 2Þ ðx þ 2Þ ðx 2Þ ðx þ 2Þ ) 22 x 26 ¼ A ðx þ 2Þ þ B ðx 2Þ Wir setzen für x der Reihe nach die Werte der beiden Nennernullstellen ein: x ¼ 2 ) 18 ¼ 4 A ) A ¼ 4,5 x ¼ 2 ) 70 ¼ 4 B ) B ¼ 17,5 Die Partialbruchzerlegung ist damit abgeschlossen. Sie lautet: 22 x 26 4,5 17,5 ¼ þ 2 x 4 x 2 x þ2 Durchführung der Integration ð ð ð 2 x 3 14 x 2 þ 14 x þ 30 22 x 26 dx ¼ ð2 x 14Þ dx þ dx ¼ x2 4 x2 4 ð 4,5 17,5 2 þ dx ¼ ¼ x 14 x þ x 2 x þ2 ¼ x 2 14 x þ 4,5 ln j x 2 j þ 17,5 ln j x þ 2 j þ C ð (2) ðC 2 RÞ x2 5x þ 8 dx ¼ ? x4 6x2 þ 8x 3 Der Integrand ist bereits echt gebrochenrational. Wir zerlegen ihn in Partialbrüche. Zunächst werden die Nullstellen des Nenners ermittelt: x4 6x2 þ 8x 3 ¼ 0 ) x 1 ¼ 1 ð3-fachÞ , x 2 ¼ 3 Die zugehörigen Partialbrüche lauten daher: x 1 ¼ 1 (3-fache Nullstelle) " A1 A2 A3 þ þ 2 x 1 ðx 1Þ ðx 1Þ 3 x 2 ¼ 3 (einfache Nullstelle) " B x þ3 474 V Integralrechnung Die Integrandfunktion ist daher in der Form x4 x2 5x þ 8 x2 5x þ 8 ¼ ¼ 2 6x þ 8x 3 ðx 1Þ 3 ðx þ 3Þ ¼ A1 A2 A3 B þ þ þ x þ3 x 1 ðx 1Þ 2 ðx 1Þ 3 darstellbar. Bestimmung der Konstanten A 1 , A 2 , A 3 und B (Hauptnenner bilden): x2 5x þ 8 ðx 1Þ 3 ðx þ 3Þ ¼ ¼ A 1 ðx 1Þ 2 ðx þ 3Þ þ A 2 ðx 1Þ ðx þ 3Þ þ A 3 ðx þ 3Þ þ B ðx 1Þ 3 ðx 1Þ 3 ðx þ 3Þ Die Gleichung wird beiderseits mit dem Hauptnenner ðx 1Þ 3 ðx þ 3Þ multipliziert: x2 5x þ 8 ¼ ¼ A 1 ðx 1Þ 2 ðx þ 3Þ þ A 2 ðx 1Þ ðx þ 3Þ þ A 3 ðx þ 3Þ þ B ðx 1Þ 3 x ¼ 1 ) 4 ¼ 4 A3 ) x ¼ 3 ) 32 ¼ 64 B x ¼ 0 ) A3 ¼ 1 ) B ¼ 0,5 8 ¼ 3 A1 3 A2 þ 3 A3 B 8 ¼ 3 A 1 3 A 2 þ 3 þ 0,5 4,5 ¼ 3 A 1 3 A 2 j : 3 ðIÞ x ¼ 1 ) 1,5 ¼ A 1 A 2 oder A 1 A 2 ¼ 1,5 14 ¼ 8 A 1 4 A 2 þ 2 A 3 8 B 14 ¼ 8 A 1 4 A 2 þ 2 þ 4 8 ¼ 8 A1 4 A2 j : 4 ðIIÞ 2 ¼ 2 A1 A2 oder 2 A1 A2 ¼ 2 Aus den Gleichungen (I) und (II) folgt durch Differenzbildung: ) ðIÞ A 1 A 2 ¼ 1,5 ðIIÞ 2 A1 A2 ¼ 2 A1 ¼ 0,5 ) A 1 ¼ 0,5 ) A2 ¼ 1 8 Integrationsmethoden 475 Die Partialbruchzerlegung ist damit vollzogen: x4 x2 5x þ 8 0,5 1 1 0,5 ¼ þ 2 3 x 1 x þ3 6x2 þ 8x 3 ðx 1Þ ðx 1Þ Durchführung der (gliedweisen) Integration: ð x2 5x þ 8 dx ¼ x4 6x2 þ 8x 3 ð ð ð ð 0,5 dx dx 0,5 dx dx ¼ ¼ þ x 1 x þ3 ðx 1Þ 2 ðx 1Þ 3 ¼ 0,5 ln j x 1 j þ 1 1 0,5 ln j x þ 3 j þ C ¼ x 1 2 ðx 1Þ 2 x 1 1 þ 1 þC ¼ 0,5 ln x þ3 x 1 2 ðx 1Þ 2 ðC 2 RÞ & 8.4 Numerische Integrationsmethoden In vielen Fällen ist die Integration einer stetigen Funktion in geschlossener Form nicht möglich oder aber vom Arbeits- und Rechenaufwand her nicht vertretbar. So sind wir beispielsweise nicht in der Lage, das in der Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik so ðx 2 bedeutende Integral F ðxÞ ¼ e t dt durch einen analytischen Funktionsausdruck zu 0 beschreiben. In diesem Fall ist man dann auf die punktweise Berechnung der Stammfunktion unter Verwendung spezieller Näherungsverfahren angewiesen (sog. numerische Integration) 9). Numerische Integrationstechniken sind daher ihrem Charakter nach stets Näherungsverfahren und können in den folgenden Fällen zur Lösung des Problems herangezogen werden: –– –– –– –– Das Integral ist elementar, d. h. in geschlossener Form nicht lösbar. Der Integrand ist in Form einer Wertetabelle gegeben. Der Integrand liegt als Funktionskurve (Funktionsgraph) vor. Die Integration ist in geschlossener Form zwar grundsätzlich durchführbar, jedoch zu aufwändig. Wir behandeln in diesem Abschnitt zwei Näherungsverfahren zur Berechnung bestimmter Integrale (Trapezformel, Simpsonsche Formel ). In beiden Fällen setzen wir bei der Herleitung der Formelausdrücke voraus, dass die stetige Integrandfunktion y ¼ f ðxÞ im Integrationsintervall a x b oberhalb der x-Achse verläuft, so dass das bestimmte 9) Eine weitere Möglichkeit besteht in der Potenzreihenentwicklung des Integranden und anschließender (gliedweiser) Integration (siehe hierzu Kap. VI, Abschnitt 3.3.2). 476 V Integralrechnung ðb f ðxÞ dx als Flächeninhalt interpretiert werden darf. Die Fläche wird dann Integral a (ähnlich wie bei der Einführung des Begriffes „bestimmtes Integral“ in Abschnitt 2) in achsenparallele Streifen gleicher Breite zerlegt. Anschließend werden die oberen Berandungen der Streifen durch möglichst einfache Kurven ersetzt (Geraden, Parabeln). 8.4.1 Trapezformel Wir zerlegen das Integrationsintervall a x b in n Teilintervalle gleicher Länge h (auch Schrittweite genannt): h ¼ ba n ðV-74Þ Die Randpunkte der Teilintervalle werden als Stützstellen bezeichnet. Sie lauten der Reihe nach (Bild V-23): x0 ¼ a , x1 ¼ x0 þ h ¼ a þ h , x2 ¼ x0 þ 2 h ¼ a þ 2 h , xk ¼ x0 þ k h ¼ a þ k h , ..., ... . . . , xn ¼ b ðV-75Þ Die zugehörigen Funktionswerte y k heißen Stützwerte: y k ¼ f ðx k Þ ¼ f ðx 0 þ k hÞ ¼ f ða þ k hÞ y ðV-76Þ P n–1 y = f(x) Pn P0 P2 P1 y n–1 y0 y1 yn y2 h x0 = a ðk ¼ 0, 1, 2, . . . , nÞ h x1 h x2 x n –1 xn = b x Bild V-23 Zur Herleitung der Trapezformel Die Fläche unter der Kurve y ¼ f ðxÞ, a x b zerfällt damit in n achsenparallele Streifen der Breite h. Ersetzt man in jedem Streifen den dortigen Kurvenbogen durch die Sehne (diese verläuft geradlinig durch die beiden Randpunkte), so erhält man eine Näherung in Form eines Trapezes. 8 Integrationsmethoden 477 y P0 Sehne y0 P1 h y = f(x) Bild V-24 Zur näherungsweisen Berechnung des 1. Flächenstreifens bei der Trapezformel y1 x1 x0 x So wird beispielsweise der 1. Streifen durch das in Bild V-24 grau unterlegte Trapez vom Flächeninhalt A1 ¼ y0 þ y1 h 2 ðV-77Þ ersetzt 10). Analog erhält man für die Flächeninhalte der übrigen n 1 Streifen näherungsweise A2 ¼ y1 þ y2 y2 þ y3 h , A3 ¼ h, 2 2 . . . , An ¼ yn1 þ yn h 2 ðV-78Þ Für großes n ist die Summe aller Trapezflächen eine gute Näherung für den gesuchten Flächeninhalt. Wir erhalten somit die folgende Näherungsformel: ðb f ðxÞ dx A 1 þ A 2 þ A 3 þ . . . þ A n ¼ a y0 þ y1 y1 þ y2 y2 þ y3 yn1 þ yn hþ hþ h þ ... þ h ¼ 2 2 2 2 h ¼ ¼ ðy 0 þ y 1 Þ þ ðy 1 þ y 2 Þ þ ðy 2 þ y 3 Þ þ . . . þ ðy n 1 þ y n Þ 2 |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} |fflffl{zfflffl} |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} 2 y1 2 y2 2 yn1 2 y3 h ¼ y0 þ 2 y1 þ 2 y2 þ 2 y3 þ . . . þ 2 yn1 þ yn ðV-79Þ 2 ¼ Die inneren Ordinaten (Stützwerte) treten dabei doppelt auf. Wir können diesen Ausdruck noch wie folgt vereinfachen: 10) Der Flächeninhalt eines Trapezes wird nach der aus der Elementarmathematik bekannten Formel A ¼ aþb h 2 berechnet (siehe hierzu Bild V-25). a A b Bild V-25 h 478 V Integralrechnung h ¼ ðy 0 þ y n Þ þ 2 ðy 1 þ y 2 þ y 3 þ . . . þ y n 1 Þ 2 |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} S1 S2 h 1 ¼ S1 þ 2 S2 ¼ S1 þ S2 h 2 2 ðb f ðxÞ dx a ðV-80Þ Diese Formel gestattet die näherungsweise Berechnung eines bestimmten Integrals, wenn von der Integrandfunktion n þ 1 Stützwerte (Funktionswerte) bekannt sind (sog. Trapezformel). Wir fassen zusammen: Trapezformel (Bild V-23) ðb a # 1 ðy 0 þ y n Þ þ ðy 1 þ y 2 þ y 3 þ . . . þ y n 1 Þ h ¼ f ðxÞ dx 2 |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} S1 S2 1 ðV-81Þ ¼ S1 þ S2 h 2 " Dabei bedeuten: y k : Stützwerte der Funktion y ¼ f ðxÞ, berechnet an den Stützstellen xk ¼ a þ k h ðk ¼ 0, 1, . . . , nÞ ba h: Streifenbreite (Schrittweite) h ¼ n S 1 : Summe der beiden äußeren Stützwerte (Ordinaten der beiden Randpunkte) S 2 : Summe der inneren Stützwerte Anmerkungen (1) Die Näherung durch die Trapezformel (V-81) ist umso besser, je feiner die Intervallunterteilung ist. Sie liefert für n ! 1 den exakten Integralwert. (2) Die Trapezformel gilt unabhängig von der geometrischen Interpretation, sofern der Integrand f ðxÞ eine stetige Funktion ist. (3) Die Randkurve y ¼ f ðxÞ, a x b wird bei diesem Näherungsverfahren durch einen Streckenzug ersetzt (stückweise geradlinige Berandung). (4) Man beachte: Die Stützwerte gehen mit unterschiedlichen Gewichtungsfaktoren in die Rechnung ein (Randordinaten mit dem Faktor 1=2, innere Ordinaten mit dem Faktor 1). 8 Integrationsmethoden & 479 Beispiel ð1 Wir berechnen das Integral fen. e x dx näherungsweise für n ¼ 5 bzw. n ¼ 10 Strei2 0 Zerlegung in n ¼ 5 Streifen (siehe Bild V-26) ð1 e x2 dx 1 1 1 y0 þ y1 þ y2 þ y3 þ y4 þ y5 h ¼ S1 þ S2 h 2 2 2 0 y 1 y = e– x 2 Bild V-26 Näherungsweise Berechnung des Integrals ð1 2 e x dx nach der Trapezformel 0 für n ¼ 5 Streifen der Breite h ¼ 0,2 0,2 1 x Streifenbreite (Schrittweite): h ¼ 0,2 Stützwerte y k ¼ e x k 2 k Stützstellen x k 0 0 1 0,2 0,9608 2 0,4 0,8521 3 0,6 0,6977 4 0,8 0,5273 5 1 1 0,3679 S 1 ¼ 1,3679 S 2 ¼ 3,0379 Die Trapezformel liefert damit für n ¼ 5 Streifen den folgenden Näherungswert: ð1 e x dx 2 1 1 S1 þ S2 h ¼ 1,3679 þ 3,0379 0,2 ¼ 0,7444 2 2 0 Die Abweichung des Näherungswertes 0,7444 vom exakten Wert 0,7468 (auf vier Stellen nach dem Komma genau) beträgt rund 0,3 %. 480 V Integralrechnung Zerlegung in n ¼ 10 Streifen ð1 e x dx 2 1 1 1 y0 þ y1 þ y2 þ . . . þ y9 þ y 10 h ¼ S1 þ S2 h 2 2 2 0 Streifenbreite (Schrittweite): h ¼ 0,1 Stützwerte y k ¼ e x k 2 k Stützstellen x k 0 0 1 0,1 0,9900 2 0,2 0,9608 3 0,3 0,9139 4 0,4 0,8521 5 0,5 0,7788 6 0,6 0,6977 7 0,7 0,6126 8 0,8 0,5273 9 0,9 0,4449 10 1 1 0,3679 S 1 ¼ 1,3679 S 2 ¼ 6,7781 Hinweis zu dieser Tabelle Die Stützwerte aus der vorherigen Zerlegung in n ¼ 5 Streifen konnten unverändert übernommen werden, die zusätzlich benötigten Ordinatenwerte befinden sich in den grau unterlegten Zeilen (es handelt sich dabei um die Stützwerte y 1 , y 3 , y 5 , y 7 und y 9 . Die Trapezformel (V-81) liefert dann für n ¼ 10 Streifen den folgenden Näherungswert, der nur noch um rund 0,1% unterhalb des exakten Wertes 0,7468 liegt: ð1 e x dx 2 1 1 S1 þ S2 h ¼ 1,3679 þ 6,7781 0,1 ¼ 0,7462 2 2 0 & 8 Integrationsmethoden 481 8.4.2 Simpsonsche Formel Die nach der Trapezformel (V-81) berechneten Näherungswerte konvergieren relativ langsam gegen den exakten Integralwert: Die geradlinige Berandung der Streifen durch die Sehne ist offenbar eine zu grobe Näherung. Zu besseren Ergebnissen gelangt man, wenn man nach Simpson die krummlinige obere Begrenzung der einzelnen Flächenstreifen durch parabelförmige Randkurven ersetzt. Das numerische Integrationsverfahren nach Simpson geht dabei von den folgenden berlegungen aus: Zunächst wird das Integrationsintervall a x b in eine gerade Anzahl 2 n von Teilintervallen gleicher Länge (Schrittweite) h ¼ ðb aÞ=2 n ðV-82Þ zerlegt. Dies führt zu den 2 n þ 1 Stützstellen x0 ¼ a , x1 ¼ x0 þ h ¼ a þ h , ... , x2 ¼ x0 þ 2 h ¼ a þ 2 h , xk ¼ x0 þ k h ¼ a þ k h , ... . . . , x2n ¼ b ðV-83Þ ðk ¼ 0, 1, 2, . . . , 2 nÞ ðV-84Þ mit den Stützwerten (Funktionswerten) y k ¼ f ðx k Þ ¼ f ða þ k hÞ (Bild V-27). Man erhält auf diese Weise genau 2 n sog. „einfache“ Streifen. Dann werden jeweils zwei benachbarte (einfache) Streifen zu einem sog. Doppelstreifen zusammengefasst. Aus 2 n einfachen Streifen der Breite h entstehen daher genau n Doppelstreifen der Breite 2 h (in Bild V-27 abwechselnd hell- und dunkelgrau unterlegt) und es ist unmittelbar einleuchtend, warum das Integrationsintervall a x b in eine gerade Anzahl von Teilintervallen zerlegt werden muss. y P0 y = f(x) P4 P 2n–2 P3 P1 y0 y1 x0 = a P 2n–1 P2 y3 y2 x1 x2 x3 y 2n–2 y4 P 2n y 2n–1 y 2n x4 x 2n –2 x 2n –1 x 2n = b x Bild V-27 Zur Herleitung der Simpsonschen Formel (Zerlegung der Fläche in 2 n „einfache“ Streifen der Breite h) Wir gehen jetzt zur näherungsweisen Berechnung des Flächeninhalts der n Doppelstreifen über. In dem 1. Doppelstreifen (hellgrau unterlegt in Bild V-28) wird die krummlinige Berandung durch eine durch die drei Kurvenpunkte P 0 , P 1 und P 2 verlaufende Parabel mit der Funktionsgleichung y ¼ a2 x2 þ a1 x þ a0 ersetzt (Bild V-28). ðV-85Þ 482 V Integralrechnung Die Koeffizienten a 2 , a 1 , a 0 in der Parabelgleichung (V-85) sind dabei eindeutig durch die Koordinaten der drei Punkte bestimmt. Sie brauchen jedoch (wie sich etwas später noch zeigen wird) nicht berechnet zu werden, da sie nur indirekt in die Endformel eingehen. y Parabel P0 y = f(x) P1 P2 y0 y1 h x0 Bild V-28 Zur näherungsweisen Berechnung des 1. Doppelstreifens bei der Simpsonschen Formel y2 h x1 x2 x Der Flächeninhalt A 1 zwischen der Parabel und der x-Achse im Teilintervall x 0 x x 0 þ 2 h liefert dann einen Näherungswert für den tatsächlichen Flächeninhalt des 1. Doppelstreifens. Er lässt sich mittels elementarer Integration wie folgt berechnen: x0 þ ð2h A1 ¼ ða 2 x þ a 1 x þ a 0 Þ dx ¼ 2 1 1 a2 x3 þ a1 x2 þ a0 x 3 2 x0 ¼ x0 þ 2 h ¼ x0 1 1 a 2 ðx 0 þ 2 hÞ 3 þ a 1 ðx 0 þ 2 hÞ 2 þ a 0 ðx 0 þ 2 hÞ 3 2 1 1 a 2 x 03 a 1 x 02 a 0 x 0 3 2 ðV-86Þ Wir entwickeln noch die Binome mit Hilfe der bekannten binomischen Formel aus Kap. I (Abschnitt 6), ordnen die Glieder und fassen zusammen: A 1 ¼ ð6 a 2 x 02 þ 12 a 2 x 0 h þ 8 a 2 h 2 þ 6 a 1 x 0 þ 6 a 1 h þ 6 a 0 Þ h 3 ðV-87Þ Der in der Klammer stehende Ausdruck ist dabei nichts anderes als die Summe y 0 þ 4 y 1 þ y 2 ¼ f ðx 0 Þ þ 4 f ðx 1 Þ þ f ðx 2 Þ ðV-88Þ gebildet aus den Ordinaten der drei Punkte P 0 , P 1 und P 2 und jeweils berechnet mit Hilfe der Parabelgleichung (V-85): 8 Integrationsmethoden 483 y 0 ¼ f ðx 0 Þ ¼ a 2 x 02 þ a 1 x 0 þ a 0 y 1 ¼ f ðx 1 Þ ¼ f ðx 0 þ hÞ ¼ a 2 ðx 0 þ hÞ 2 þ a 1 ðx 0 þ hÞ þ a 0 ðV-89Þ y 2 ¼ f ðx 2 Þ ¼ f ðx 0 þ 2 hÞ ¼ a 2 ðx 0 þ 2 hÞ 2 þ a 1 ðx 0 þ 2 hÞ þ a 0 (bitte nachrechnen!). Denn an den Stützstellen x 0 , x 1 ¼ x 0 þ h und x 2 ¼ x 0 þ 2 h stimmen die Funktionswerte von Kurve und Parabel überein. Der 1. Doppelstreifen besitzt daher näherungsweise den Flächeninhalt h A1 ¼ y0 þ 4 y1 þ y2 3 ðV-90Þ Analog erhält man für die übrigen n 1 Doppelstreifen näherungsweise folgende Flächeninhalte: h h A2 ¼ y2 þ 4 y3 þ y4 , A3 ¼ y4 þ 4 y5 þ y6 , ..., 3 3 h . . . , An ¼ y2n2 þ 4 y2n1 þ y2n 3 ðV-91Þ Durch Summation über sämtliche Doppelstreifen erhält man schließlich den folgenden Näherungswert für den gesuchten Flächeninhalt 11Þ : ðb f ðxÞ dx A 1 þ A 2 þ . . . þ A n ¼ a h ¼ ðy 0 þ 4 y 1 þ y 2 Þ þ ðy 2 þ 4 y 3 þ y 4 Þ þ . . . þ ðy 2 n 2 þ 4 y 2 n 1 þ y 2 n Þ 3 |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflffl{zfflfflfflfflffl} |fflffl{zfflffl} 2 y2 2 y2n2 2 y4 h ¼ y0 þ 4 y1 þ 2 y2 þ 4 y3 þ 2 y4 þ . . . þ 2 y2n2 þ 4 y2n1 þ y2n ¼ 3 ¼ h ¼ ðy 0 þ y 2 n Þ þ 4 ðy 1 þ y 3 þ . . . þ y 2 n 1 Þ þ 2 ðy 2 þ y 4 þ . . . þ y 2 n 2 Þ |fflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 3 S0 S1 S2 h ¼ S0 þ 4 S1 þ 2 S2 ðV-92Þ 3 ¼ 11) Wir gehen ähnlich vor wie bei der Herleitung der Trapezformel. Den allen Summanden gemeinsamen Faktor h=3 haben wir bereits ausgeklammert. Dann berücksichtigen wir, dass die beiden Randordinaten einfach, die inneren Stützwerte abwechselnd mit dem Faktor 4 bzw. 2 auftreten. 484 V Integralrechnung ðb Diese als Simpsonsche Formel bezeichnete Näherung für das bestimmte Integral lässt sich dann auch wie folgt darstellen: f ðxÞ dx a Simpsonsche Formel (Bild V-27) ðb f ðxÞ dx a ðy 0 þ y 2 n Þ þ 4 ðy 1 þ y 3 þ . . . þ y 2 n 1 Þ þ |fflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} S0 S1 þ 2 ðy 2 þ y 4 þ . . . þ y 2 n 2 Þ |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} S2 ¼ h S0 þ 4 S1 þ 2 S2 3 h ¼ 3 ðV-93Þ Dabei bedeuten: yk : h: Stützwerte der Funktion y ¼ f ðxÞ, berechnet an den 2 n þ 1 Stützstellen xk ¼ a þ k h ðk ¼ 0, 1, . . . , 2 nÞ ba Breite eines einfachen Streifens (Schrittweite) h ¼ 2n S 0 : Summe der beiden äußeren Stützwerte (Ordinaten der beiden Randpunkte) S 1 : Summe der inneren Stützwerte mit einem ungeraden Index S 2 : Summe der inneren Stützwerte mit einem geraden Index Anmerkungen (1) Auch diese Formel gilt unabhängig von der geometrischen Interpretation für jede stetige Integrandfunktion f ðxÞ. (2) Beim Grenzübergang n ! 1 streben die Näherungswerte gegen den exakten Integralwert. (3) Nachteil der Simpsonschen Formel: Sie ist nur anwendbar für eine Zerlegung in eine gerade Anzahl von (einfachen) Streifen, d. h. man benötigt stets eine ungerade Anzahl von Stützwerten. (4) Beachten Sie die unterschiedlichen Gewichtungsfaktoren der Stützwerte (symmetrische Verteilung: 1, 4, 2, 4, 2, . . . , 2, 4, 2, 4, 1). 8 Integrationsmethoden (5) 485 Einen verbesserten Näherungswert I v erhält man folgendermaßen: Ist I h der Näherungswert bei der Schrittweite h und I 2 h der Näherungswert bei der doppelten Schrittweite 2 h, so ist der Fehler DI von I h näherungsweise durch 1 Ih I2h ðV-94Þ DI ¼ 15 gegeben. Einen gegenüber der Schrittweite h verbesserten Wert I v erzielt man dann nach der Formel I v ¼ I h þ DI ðV-95Þ (Voraussetzung: 2 n ist durch 4 teilbar). & Beispiel pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Wir wollen den Flächeninhalt unter der Kurve y ¼ f ðxÞ ¼ 1 þ e 0,5 x 2 im Intervall 1 x 2,6 näherungsweise mit Hilfe der Simpsonschen Formel für eine Zerlegung in 2 n ¼ 8 einfache Streifen und damit n ¼ 4 Doppelstreifen berechnen (siehe Bild V-29). y 6 5 4 y = 1 + e 0,5 x 2 3 Bild V-29 Zur Berechnung des Flächeninhaltes pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi unter der Kurve y ¼ 1 þ e 0,5 x 2 2 1 im Intervall 1 x 2,6 1 2 2,6 x 0,2 Um den dabei begangenen Fehler abschätzen zu können und um gleichzeitig einen verbesserten Näherungswert zu erhalten, wird eine sog. Zweitrechnung mit halber Streifenanzahl (also vier einfachen und damit zwei Doppelstreifen) durchgeführt. Der Mehraufwand an Rechenarbeit ist dabei relativ gering, da die bei der Zweitrechnung benötigten Stützwerte bereits aus der Erstrechnung bekannt sind. Die Schrittweiten betragen somit: Erstrechnung: ð2 n ¼ 8, d: h: n ¼ 4Þ: Zweitrechnung: ð2 n * ¼ 4, d: h: n * ¼ 2Þ: h ¼ 0,2 h * ¼ 2 h ¼ 0,4 1,2 1,4 1,6 1,8 2 2,2 2,4 2,6 1 2 3 4 5 6 7 8 S *0 ¼ 7,1385 S 2 ¼ 7,8740 S 0 ¼ 7,1385 S 1 ¼ 11,1256 3,4994 2,4603 1,9143 1,6275 S *1 ¼ 5,4137 3,4994 2,4603 S *2 ¼ 2,4603 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 1 þ e 0, 5 x k 1,9143 Stützwerte y k ¼ 5,5110 4,3375 2,8964 2,1440 1,7477 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 1 þ e 0, 5 x k 5,5110 1,6275 Stützwerte y k ¼ Zweitrechnung (Schrittweite: h * ¼ 2 h ¼ 0,4) Hinweis zur Tabelle: Die grau unterlegten Stützstellen und Stützwerte der Erstrechnung entfallen bei der Zweitrechnung. 1 Stützstellen x k 0 k Erstrechnung (Schrittweite: h ¼ 0,2) 486 V Integralrechnung 9 Uneigentliche Integrale 487 Erstrechnung: 2 n ¼ 8, n ¼ 4, h ¼ 0,2 2ð,6 Ih ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi h 2 0 , 5 x ¼ 1þe dx ¼ S 0 þ 4 S 1 þ 2 S 2 3 1 0,2 ¼ 4,4926 ¼ 7,1385 þ 4 11,1256 þ 2 7,8740 3 Zweitrechnung: 2 n * ¼ 4, n * ¼ 2, h * ¼ 2 h ¼ 0,4 h* 2h ¼ S *0 þ 4 S *1 þ 2 S *2 ¼ S *0 þ 4 S *1 þ 2 S *2 3 3 0,4 ¼ 4,4952 ¼ 7,1385 þ 4 5,4137 þ 2 2,4603 3 I 2 h ¼ I *h ¼ Der Fehler für die Erstrechnung beträgt damit rund 1 DI ¼ 15 Ih I2h 1 ¼ 15 4,4926 4,4952 ¼ 0,0002 Einen verbesserten Wert liefert die Formel (V-95): I v ¼ I h þ DI ¼ 4,4926 0,0002 ¼ 4,4924 & 9 Uneigentliche Integrale Bei den bisher behandelten bestimmten Integralen haben wir stets die folgenden Eigenschaften vorausgesetzt: 1. Der Integrand f ðxÞ ist eine stetige Funktion; 2. Die Integrationsgrenzen a und b und damit auch das Integrationsintervall sind endlich. Solche Integrale werden auch als „eigentliche“ Integrale bezeichnet. In den naturwissenschaftlich-technischen Anwendungen treten aber auch Integrale auf, bei denen mindestens eine der beiden genannten Eigenschaften nicht vorhanden ist. Integrale dieser Art, mit denen wir uns in diesem Abschnitt beschäftigen wollen, werden als „uneigentliche“ Integrale bezeichnet. 488 V Integralrechnung 9.1 Unendliches Integrationsintervall In den Anwendungen treten vereinzelt Integrale mit einem unendlichen Integrationsintervall auf. Sie sind zunächst nicht definiert (vgl. hierzu die Integraldefinition (V-22)). Formal lassen sie sich auf einen der folgenden Integraltypen zurückführen: ða 1 ð f ðxÞ dx , 1 ð f ðxÞ dx , f ðxÞ dx 1 a 1 Wir geben zunächst zwei anschauliche Anwendungsbeispiele. & Beispiele (1) Im Gravitationsfeld der Erde soll eine Masse m aus der Entfernung r 0 (vom Erdmittelpunkt aus gemessen) ins Unendliche ðr ¼ 1Þ gebracht werden ( Bild V-30; siehe hierzu auch Beispiel (3) im späteren Abschnitt 10.6). r →∞ m Erde r0 Bild V-30 Arbeit im Gravitationsfeld der Erde M Die Berechnung der dabei aufzuwendenden Arbeit W führt zu dem folgenden uneigentlichen Integral: 1 ð W ¼ mM f dr ¼ f m M r2 r0 1 ð 1 dr r2 r0 ( f: Gravitationskonstante; M: Erdmasse). (2) 1 1 þ x2 und der x-Achse stößt man auf das folgende uneigentliche Integral (siehe Bild V-31): Bei der Bestimmung des Flächeninhaltes A zwischen der Kurve y ¼ 1 ð A ¼ 1 1 dx 1 þ x2 y 1 –1 y= 1 1+x2 1 1 Bild V-31 Zur Berechnung der Fläche unterhalb der Kurve y ¼ 1 þ x2 x & 9 Uneigentliche Integrale 489 Um einem uneigentlichen Integral einen Wert zuweisen zu können, muss der in Abschnitt 2 erklärte Integralbegriff erweitert werden. Wir beschränken uns dabei auf Inte1 ð grale vom Typ f ðxÞ dx, wobei wie bisher die Stetigkeit des Integranden f ðxÞ im a Integrationsintervall x a vorausgesetzt wird. Im Einzelnen wird dabei wie folgt verfahren: 1 ð f ðxÞ dx Berechnung eines uneigentlichen Integrals vom Typ a 1. Zunächst wird über das endliche Intervall a x l integriert ðl > aÞ. Das Integral ist vorhanden, sein Wert hängt aber noch von der gewählten oberen Grenze l ab: ðl I ðlÞ ¼ f ðxÞ dx ðV-96Þ a 2. Dann wird der Grenzwert von I ðlÞ für l ! 1 berechnet. Ist er vorhanden, so setzt man definitionsgemäß ðl 1 ð f ðxÞ dx ¼ lim I ðlÞ ¼ lim a l!1 l!1 f ðxÞ dx ðV-97Þ a und nennt das uneigentliche Integral konvergent. Andernfalls spricht man von einem divergenten uneigentlichen Integral. Anmerkung ða 1 ð f ðxÞ dx und Analog werden die uneigentlichen Integrale 1 f ðxÞ dx durch 1 Grenzwerte erklärt. Bei letzterem Integral wird das unendliche Integrationsintervall durch einen beliebigen Teilpunkt x ¼ c zunächst in zwei Teilintervalle zerlegt und dann die beiden uneigentlichen Integrale (wie oben geschildert) berechnet. Wenn beide Integrale (Grenzwerte) existieren, gilt dies auch für das Ausgangsintegral. 490 & V Integralrechnung Beispiele 1 ð (1) 1 dx ¼ ? x3 1 Wir integrieren zunächst von x ¼ 1 bis zur Stelle x ¼ l > 1 und erhalten nach der Potenzregel der Integralrechnung: ðl I ðlÞ ¼ 1 dx ¼ x3 1 ðl x 3 dx ¼ 1 x2 2 l ¼ 1 1 2x2 l ¼ 1 1 1 2 2 l2 Im zweiten Schritt vollziehen wir den Grenzübergang für l ! 1: 1 1 1 1 ¼ lim I ðlÞ ¼ lim 0 ¼ 2 2 2 2 2l l!1 l!1 Das uneigentliche Integral ist daher konvergent und besitzt den Wert 1=2: 1 ð 1 (2) 1 dx ¼ lim x3 l!1 ðl 1 1 1 dx ¼ lim I ðlÞ ¼ x3 2 l!1 Wir berechnen das zu Beginn erwähnte Arbeitsintegral (Arbeit an einer Masse im Gravitationsfeld der Erde) 1 ð W ¼ mM f 2 dr ¼ f m M r r0 1 ð 1 dr r2 r0 und erhalten zunächst mit der (endlichen) oberen Grenze r ¼ l: ðl W ðlÞ ¼ f m M 1 1 l 1 1 dr ¼ f m M ¼ f mM r2 r r0 r0 l r0 Der Grenzwert für l ! 1 ist vorhanden und führt zu 1 1 1 f mM lim W ðlÞ ¼ lim f m M 0 ¼ ¼ f mM r l r r0 l!1 l!1 0 0 Die aufzuwendende Arbeit gegen die Gravitationskraft beträgt daher: 1 ð W ¼ r0 mM f 2 dr ¼ f m M r 1 ð r0 1 f mM dr ¼ lim W ðlÞ ¼ r2 r0 l!1 9 Uneigentliche Integrale 491 1 ð (3) Das uneigentliche Integral pffiffiffiffi x dx ist dagegen divergent, wie wir gleich zeigen 0 werden. Zunächst aber integrieren wir von x ¼ 0 bis hin zu x ¼ l > 0 (grau unterlegte Fläche in Bild V-32): ðl I ðlÞ ¼ pffiffiffiffi x dx ¼ 0 ðl x 1=2 dx ¼ 2 h 3=2 i l 2 2 pffiffiffiffiffiffiffi ¼ x ðl 3=2 0Þ ¼ l3 0 3 3 3 0 Beim Grenzübergang l ! 1 strebt der Integralwert I ðlÞ jedoch über alle Grenzen: 2 pffiffiffiffiffiffiffi lim I ðlÞ ¼ lim l3 ¼ 1 l!1 l!1 3 pffiffiffiffi Geometrische Interpretation: Die von der Kurve y ¼ x und der positiven x-Achse eingeschlossene Fläche ist unendlich groß (siehe Bild V.32): y 2 y= x 1 →∞ I ( l) Bild V-32 l 1 (4) x 1 und der x-Achse (siehe hierzu 1 þ x2 auch Bild V-31) erhalten wir den folgenden Wert: Für die Fläche A zwischen der Kurve y ¼ 1 ð A ¼ 1 1 dx ¼ 2 1 þ x2 h 1 ð 0 1 dx ¼ 2 lim 1 þ x2 l!1 ðl 0 1 dx ¼ 1 þ x2 il ¼ 2 lim ðarctan l arctan 0Þ ¼ |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} l!1 0 p ¼ 2 lim ðarctan lÞ ¼ 2 ¼ p 2 l!1 ¼ 2 lim l!1 arctan x 0 Bei der Flächenberechnung haben wir dabei die Achsensymmetrie von Kurve und & Fläche berücksichtigt (Faktor 2). 492 V Integralrechnung 9.2 Integrand mit einer Unendlichkeitsstelle (Pol) Der Integrand f ðxÞ soll an der oberen Integrationsgrenze x ¼ b eine Unendlichkeitsðb stelle (Polstelle) besitzen (Bild V-33). Das Integral f ðxÞ dx ist daher wegen des unbeschränkten Integranden zunächst nicht definiert. a y y = f (x) b–l a Bild V-33 Integrand f ðxÞ mit einer Polstelle an der oberen Grenze b b x Man geht dann in diesem Sonderfall wie folgt vor: Uneigentliches Integral mit einer Unendlichkeitsstelle im Integranden ðb f ðxÞ dx hat an der oberen Der Integrand f ðxÞ des uneigentlichen Integrals a Grenze x ¼ b eine Unendlichkeitsstelle (Pol). Wir gehen dann wie folgt vor: 1. Zunächst wird von der Stelle x ¼ a bis zur Stelle x ¼ b l integriert (mit l > 0; siehe Bild V-33). Das bestimmte Integral ist vorhanden, der Integralwert hängt aber noch vom Parameter l ab: bð l I ðlÞ ¼ f ðxÞ dx ðV-98Þ a 2. Ist der Grenzwert dieses Integrals für l ! 0 vorhanden, so setzt man definitionsgemäß bð l ðb f ðxÞ dx ¼ lim I ðlÞ ¼ lim a l!0 l!0 f ðxÞ dx ðV-99Þ a und nennt das uneigentliche Integral konvergent. Anderenfalls spricht man von einem divergenten uneigentlichen Integral. 9 Uneigentliche Integrale 493 Anmerkungen (1) Analog verfährt man, wenn die Polstelle an der unteren Grenze x ¼ a liegt. Man integriert dann zunächst von x ¼ a þ l (mit l > 0) bis hin zu x ¼ b und bestimmt dann den Grenzwert für l ! 0. (2) Liegt der Pol im Innern des Integrationsbereiches an der Stelle x ¼ c, so muss das Integral zunächst in zwei Teilintegrale aufgespalten werden. Man integriert von x ¼ a bis hin zu x ¼ c l und dann weiter von der Stelle x ¼ c þ m bis hin zu x ¼ b (l > 0, m > 0; Bild V-34). Dann werden die Grenzwerte für l ! 0 bzw. m ! 0 bestimmt. Das uneigentliche Integral konvergiert nur, wenn beide Grenzwerte vorhanden sind (Integralwert ¼ Summe der beiden Grenzwerte). y y = f (x) y = f (x) a & Bild V-34 Integrand f ðxÞ mit einer Polstelle bei c im Innern des Integrationsintervalls c–l c c+m b x Beispiele ð1 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx ¼ ? 1x (1) 0 Der Integrand hat an der oberen Integrationsgrenze x ¼ 1 eine Unendlichkeitsstelle (Bild V-35). y 10 5 y= 1 1–x 1 1–l Bild V-35 1 x 494 V Integralrechnung Zunächst integrieren wir daher von x ¼ 0 bis x ¼ 1 l 1ð l I ðlÞ ¼ 0 mit l > 0: h pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi i 1 l 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx ¼ 2 ¼ 1x 0 1x pffiffiffiffiffi pffiffiffi pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi ¼ 2 ð l 1 Þ ¼ 2 ð l 1Þ ¼ 2 ð1 l Þ Das Integral haben wir dabei durch die lineare Substitution u ¼ 1 x gelöst (bitte nachrechnen). Jetzt führen wir den Grenzübergang l ! 0 durch und erhalten: pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi lim 2 ð1 l Þ ¼ 2 ð1 0 Þ ¼ 2 ð1 0Þ ¼ 2 l!0 Das uneigentliche Integral ist also konvergent und es gilt definitionsgemäß: ð1 0 (2) 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx ¼ lim 1x l!0 1ð l 0 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx ¼ lim I ðlÞ ¼ 2 1x l!0 pffiffiffi e x Die Berechnung des Flächeninhaltes unter der Kurve y ¼ pffiffiffiffi , 0 x 4 x führt auf das uneigentliche Integral pffiffiffi e x pffiffiffiffi dx x ð4 A ¼ 0 da die Funktionsgleichung an der Stelle x ¼ 0 nicht definiert ist (Bild V-36). y 3 2 1 y= l 1 e – x x 2 3 4 Bild V-36 x Wir integrieren daher zunächst von der Stelle x ¼ l > 0 bis hin zur Stelle x ¼ 4. Das anfallende Integral ð4 A ðlÞ ¼ l pffiffiffi e x pffiffiffiffi dx x 10 Anwendungen der Integralrechnung 495 lösen wir dabei wie folgt durch Substitution (die Integrationsgrenzen werden mitsubstituiert): u ¼ pffiffiffiffi x, du 1 ¼ pffiffiffiffi , dx 2 x Untere Grenze: x ¼ l ) Obere Grenze: x ¼ 4 ) dx ¼ 2 pffiffiffiffi x du ¼ 2 u du pffiffiffiffiffi l pffiffiffi u ¼ 4 ¼ 2 u ¼ ð2 A ðlÞ ¼ ð2 h i2 eu e u du ¼ 2 e u pffiffiffi ¼ 2 u du ¼ 2 l u pffiffiffi pffiffiffi l pffiffiffi l ¼ 2 e2 þ e l pffiffiffi ¼ 2 e l e 2 Der Grenzwert für l ! 0 führt zu dem folgenden Ergebnis: pffiffiffi pffiffiffi A ¼ lim A ðlÞ ¼ lim 2 ðe l e 2 Þ ¼ 2 ðe 0 e 2 Þ ¼ l!0 l!0 ¼ 2 ðe 0 e 2 Þ ¼ 2 ð1 e 2 Þ Das Flächenstück hat also einen endlichen Flächeninhalt (konvergentes uneigent& liches Integral). 10 Anwendungen der Integralrechnung 10.1 Einfache Beispiele aus Physik und Technik 10.1.1 Integration der Bewegungsgleichung In Kap. IV (Abschnitt 2.14.1) haben wir uns bereits mit der Bewegung eines Massenpunktes beschäftigt und dabei gezeigt, dass man Geschwindigkeit v und Beschleunigung a durch ein- bzw. zweimaliges Differenzieren der als bekannt vorausgesetzten Weg-Zeit-Funktion s ¼ s ðtÞ erhalten kann: v ¼ ds ¼ s_ , dt a ¼ dv s ¼ v_ ¼ __ dt ðV-100Þ Umgekehrt lassen sich Weg s und Geschwindigkeit v einer Bewegung durch Integration der Beschleunigung-Zeit-Funktion a ¼ a ðtÞ gewinnen. Unterliegt ein Körper der Masse m einer zeitlich veränderlichen Kraft vom Betrage F ¼ F ðtÞ, so folgt aus der Newtonschen Bewegungsgleichung F ¼ m a für die Beschleunigung-Zeit-Funktion a ¼ a ðtÞ ¼ F ðtÞ m ðV-101Þ 496 V Integralrechnung Ist F ðtÞ und damit a ðtÞ bekannt, so erhält man aus dieser Gleichung durch Integration die Geschwindigkeit-Zeit-Funktion ð ð ðV-102Þ v ¼ v ðtÞ ¼ v_ dt ¼ a ðtÞ dt und hieraus durch nochmalige Integration die Weg-Zeit-Funktion ð ð s ¼ s ðtÞ ¼ s_ dt ¼ v ðtÞ dt ðV-103Þ Die dabei auftretenden Integrationskonstanten werden in der Regel durch die Anfangswerte s ð0Þ ¼ s 0 und v ð0Þ ¼ v 0 festgelegt, wobei s 0 die Wegmarke zu Beginn (d. h. zur Zeit t ¼ 0) und v 0 die Anfangsgeschwindigkeit bedeuten. Wir fassen dieses Ergebnis wie folgt zusammen: Integration der Bewegungsgleichung F ¼ F ðtÞ bzw. a ¼ a ðtÞ ðF ¼ m aÞ Geschwindigkeit v und Weg s erhält man durch ein- bzw. zweimalige Integration der Beschleunigung-Zeit-Funktion a ¼ a ðtÞ: ð ð v ¼ a ðtÞ dt , s ¼ v ðtÞ dt ðV-104Þ & Beispiele (1) Bewegung mit konstanter Beschleunigung Eine Bewegung erfolge mit konstanter Beschleunigung a längs einer Geraden. Weg und Geschwindigkeit zu Beginn (d. h. zur Zeit t ¼ 0) seien s ð0Þ ¼ s 0 und v ð0Þ ¼ v 0 . Dann gilt für die Geschwindigkeit v: ð ð v ¼ a dt ¼ a 1 dt ¼ a t þ C 1 Die Integrationskonstante wird aus dem Anfangswert v ð0Þ ¼ v 0 berechnet: v ð0Þ ¼ v 0 ) a 0 þ C1 ¼ v0 ) C1 ¼ v0 v ¼ a t þ v0 Durch nochmalige Integration erhalten wir das Weg-Zeit-Gesetz: ð ð 1 a t2 þ v0 t þ C2 s ¼ v ðtÞ dt ¼ ða t þ v 0 Þ dt ¼ 2 Aus dem Anfangswert s ð0Þ ¼ s 0 folgt C 2 ¼ s 0 , und das Weg-Zeit-Gesetz nimmt damit die folgende Gestalt an: s ¼ 1 a t2 þ v0 t þ s0 2 ðf ür t 0Þ 10 Anwendungen der Integralrechnung (2) 497 Freier Fall unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes Wir untersuchen die Fallgeschwindigkeit v als Funktion der Fallzeit t unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes. Der Schwerkraft (dem Gewicht) m g wirkt dabei die Reibungskraft k v 2 entgegen (k > 0: Reibungskoeffizient). Nach dem Grundgesetz der Mechanik erhält man damit die folgende Bewegungsgleichung für den freien Fall: m a ¼ m g k v2 a ¼ g oder k 2 v m Bevor wir diese Gleichung integrieren, bringen wir sie noch unter Berücksichtidv gung von a ¼ auf die folgende Gestalt: dt dv k 2 k 2 dv ¼ dt ) ¼ g v ¼ g 1 v k 2 dt m mg v g 1 mg Mit Hilfe der Substitution sffiffiffiffiffiffiffiffiffi k v, x ¼ mg dx ¼ dv sffiffiffiffiffiffiffiffiffi k , mg rffiffiffiffiffiffiffiffiffi mg dv ¼ dx k erhalten wir schließlich: rffiffiffiffiffiffiffiffiffi rffiffiffiffiffiffiffiffi mg dx m dx ¼ ¼ dt k g ð1 x 2 Þ g k ð1 x 2 Þ Unbestimmte Integration auf beiden Seiten führt zu: rffiffiffiffiffiffiffiffi ð ð m dx ¼ dt gk 1 x2 ) rffiffiffiffiffiffiffiffi m artanh x ¼ t þ C gk Nach Rücksubstitution ergibt sich hieraus: rffiffiffiffiffiffiffiffi m artanh gk sffiffiffiffiffiffiffiffiffi ! k v ¼ t þC mg Der freie Fall erfolge aus der Ruhe heraus, d. h. zur Zeit t ¼ 0 sei v ð0Þ ¼ 0. Aus diesem Anfangswert erhält man für die Integrationskonstante den Wert C ¼ 0 (da artanh 0 ¼ 0 ist). Somit gilt: rffiffiffiffiffiffiffiffi m artanh gk sffiffiffiffiffiffiffiffiffi ! k v ¼ t mg ) artanh sffiffiffiffiffiffiffiffiffi ! rffiffiffiffiffiffiffiffi k gk v ¼ t mg m 498 V Integralrechnung Durch Umkehrung erhalten wir schließlich das Geschwindigkeit-Zeit-Gesetz: sffiffiffiffiffiffiffiffiffi rffiffiffiffiffiffiffiffi ! rffiffiffiffiffiffiffiffi ! rffiffiffiffiffiffiffiffiffi k gk mg gk v ¼ tanh t ) v ¼ v ðtÞ ¼ tanh t mg m k m Für t ! 1 strebt die Fallgeschwindigkeit gegen die konstante Endgeschwindigkeit rffiffiffiffiffiffiffiffi !! rffiffiffiffiffiffiffiffiffi rffiffiffiffiffiffiffiffiffi mg gk mg tanh t ¼ v E ¼ lim v ðtÞ ¼ lim k m k t!1 t!1 ( Zur Erinnerung: Für x ! 1 strebt bekanntlich tanh x gegen 1). Gewichtskraft und Reibungskraft sind dann im Gleichgewicht und der Körper fällt kräftefrei, d. h. mit konstanter Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit-Zeit-Funktion lässt sich damit auch in der Form g v ¼ v ðtÞ ¼ v E tanh t ðt 0Þ vE darstellen. Ihr Verlauf ist in Bild V-37 skizziert. v vE v = v E · tanh g t vE Bild V-37 Fallgeschwindigkeit v als Funktion der Fallzeit t unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes t & 10.1.2 Biegelinie (elastische Linie) eines einseitig eingespannten Balkens Wir beschäftigen uns jetzt mit einem typischen Problem aus der Festigkeitslehre: Ein einseitig fest eingespannter homogener Balken der Länge l mit konstanter Querschnittsfläche werde durch eine am freien Balkenende einwirkende Kraft vom Betrage F auf Biegung beansprucht (Bild V-38). x l x y y = y(x) F y Bild V-38 Biegelinie y ¼ y ðxÞ eines einseitig eingespannten Balkens unter dem Einfluss einer konstanten Kraft vom Betrage F am freien Ende 10 Anwendungen der Integralrechnung 499 Die Durchbiegung y ist dabei von Ort zu Ort verschieden, d. h. eine Funktion y ¼ y ðxÞ der Ortskoordinate x (wir messen x vom eingespannten Balkenende aus). In der Festigkeitslehre wird gezeigt, dass die 2. Ableitung der elastischen Linie der Biegegleichung 12) y 00 ¼ Mb EI ðV-105Þ genügt. In dieser Gleichung bedeuten: E: Elastizitätsmodul (Materialkonstante) I: Flächenmoment des Balkenquerschnitts M b: Biegemoment (von Ort zu Ort verschieden) In unserem Beispiel ist das Produkt E I (Biegesteifigkeit genannt) eine Konstante. Für das Biegemoment an der Stelle x gilt dabei: M b ¼ F ðl xÞ ðV-106Þ (die konstante Kraft wirkt im Abstand l x von der betrachteten Stelle). Damit nimmt die Biegegleichung die folgende Gestalt an: y 00 ¼ F ðl xÞ EI ð0 x lÞ ðV-107Þ Die Gleichung der gesuchten Biegelinie y ¼ y ðxÞ erhält man nach zweimaliger Integration der Biegegleichung (V-107): ð ð F F 1 2 y 0 ¼ y 00 dx ¼ ðV-108Þ ðl xÞ dx ¼ lx x þ C1 EI EI 2 ð ð F 1 2 y ¼ y 0 dx ¼ lx x þ C 1 dx ¼ EI 2 F 1 1 3 2 ðV-109Þ lx x þ C1 x þ C2 ¼ EI 2 6 Die Integrationskonstanten C 1 und C 2 bestimmen wir aus den Randwerten y ð0Þ ¼ 0 ðkeine Durchbiegung am eingespannten Ende x ¼ 0Þ y 0 ð0Þ ¼ 0 ðwaagerechte Tangente am eingespannten Ende x ¼ 0Þ (V-110) wie folgt: 12) y 0 ð0Þ ¼ 0 ) F F ð0 0 þ C 1 Þ ¼ C1 ¼ 0 EI EI y ð0Þ ¼ 0 ) F F ð0 0 þ 0 þ C 2 Þ ¼ C2 ¼ 0 EI EI ) C1 ¼ 0 ) C2 ¼ 0 Die Biegegleichung ist eine sog. Differentialgleichung 2. Ordnung (siehe hierzu Kap. IV in Band 2). Sie gilt nur näherungsweise unter der Voraussetzung, dass die Durchbiegungen klein sind gegen die Balkenlänge, d. h. y l ist. 500 V Integralrechnung Die Biegelinie lautet damit (Polynomfunktion 3. Grades): F 1 1 3 F ¼ lx2 x ð3 l x 2 x 3 Þ y ¼ EI 2 6 6EI ð0 x lÞ ðV-111Þ Die Durchbiegung ist am freien Ende ðx ¼ lÞ am größten. Sie beträgt dort y max ¼ y ðx ¼ lÞ ¼ F F F l3 ð3 l 3 l 3 Þ ¼ 2 l3 ¼ 3EI 6EI 6EI ðV-112Þ Es handelt sich dabei um ein Randmaximum (siehe hierzu auch das Beispiel (3) aus Kap. IV, Abschnitt 3.5). 10.1.3 Spannung zwischen zwei Punkten eines elektrischen Feldes Wir betrachten das elektrostatische Feld in der Umgebung einer positiven Punktladung Q. Es besitzt die in Bild V-39 skizzierte radiale Struktur. Feldlinie Bild V-39 Elektrostatisches Feld in der Umgebung einer positiven Punktladung Q (ebener Schnitt durch Q) P2 P1 +Q Äquipotentialfläche Die elektrische Feldstärke vom Betrage E hängt dabei aus Symmetriegründen nur vom Abstand r von der Punktladung Q ab. In unserem Beispiel ist E ¼ E ðrÞ ¼ Q 4 p e0 er r2 ðr > 0Þ ðV-113Þ (e 0 : Elektrische Feldkonstante; e r : Relative Dielektrizitätskonstante des Mediums). Auch das Potential eines Punktes des elektrischen Feldes ist kugelsymmetrisch: Die quipotentialflächen sind konzentrische Kugelschalen (Mittelpunkt: Ladung Q). Zwischen zwei Punkten P 1 und P 2 des Feldes mit den Abständen r 1 bzw. r 2 von der felderzeugenden Ladung Q besteht dann definitionsgemäß die folgende Potentialdifferenz (Spannung): ð r2 U 12 ¼ E ðrÞ dr r1 ðV-114Þ 10 Anwendungen der Integralrechnung 501 Für die Feldstärke setzen wir den Ausdruck (V-113) ein und erhalten schließlich: ð ð r2 U 12 ¼ r2 E ðrÞ dr ¼ r1 r1 ð r dr ¼ r2 r1 r2 Q ¼ 4 p e0 er ð r2 Q Q dr ¼ 2 4 p e0 er r 4 p e0 er 2 1 r 2 Q r Q 1 r2 dr ¼ ¼ ¼ 4 p e 0 e r 1 r1 4 p e0 er r r1 r1 Q ¼ 4 p e0 er 1 1 r1 r2 ðV-115Þ 10.2 Flächeninhalt 10.2.1 Bestimmtes Integral und Flächeninhalt (Ergänzungen) ðb f ðxÞ dx als Flächeninhalt A zwischen Im Abschnitt 2 wurde das bestimmte Integral a der Kurve y ¼ f ðxÞ, der x-Achse und den Parallelen x ¼ a und x ¼ b eingeführt (Bild V-40). Diese geometrische Interpretation ist jedoch nur zulässig, wenn die (stetige) Integrandfunktion f ðxÞ überall im Integrationsbereich die Bedingung f ðxÞ 0 erfüllt, die Kurve also oberhalb der x-Achse verläuft und ferner a < b ist. y y = f(x) A Bild V-40 Das bestimmte Integral als Flächeninhalt a & x b Beispiel Wir suchen den Flächeninhalt A, der von der Parabel y ¼ x 2 2 x þ 3, der x-Achse und den Parallelen x ¼ 0 und x ¼ 3 begrenzt wird (Bild V-41). Da die Parabel im Intervall 0 x 3 oberhalb der x-Achse verläuft, gilt: ð3 A ¼ ðx 2 2 x þ 3Þ dx ¼ 0 1 3 x x2 þ 3x 3 3 ¼ ð9 9 þ 9Þ ð0Þ ¼ 9 0 502 V Integralrechnung y y = x 2 – 2x + 3 5 Bild V-41 Zur Berechnung der Fläche unter der Parabel y ¼ x 2 2 x þ 3 im Intervall 0 x 3 A 1 1 3 x & Liegt das Flächenstück jedoch, wie in Bild V-42 skizziert, vollständig unterhalb der ðb x-Achse, so ist der Integralwert f ðxÞ dx negativ und kann daher nicht dem gesuchten a Flächeninhalt A entsprechen. In diesem Fall geht man wie folgt vor: Man spiegelt die Fläche an der x-Achse und erhält das in Bild V-43 dunkelgrau unterlegte Flächenstück vom gleichen Flächeninhalt A. y y = – f(x) y A a b a x b x A A y = f(x) y = f(x) Bild V-42 Bild V-43 Dieses Flächenstück liegt oberhalb der x-Achse und wird von der gespiegelten Kurve mit der Gleichung y ¼ f ðxÞ und der x-Achse berandet 13). Den gesuchten Flächeninhalt A erhalten wir damit durch Integration über die Funktion y ¼ f ðxÞ in den Grenzen von x ¼ a bis x ¼ b: ðb A ¼ ½ f ðxÞ dx ¼ a 13) ðb f ðxÞ dx ðV-116Þ a Bei der Spiegelung einer Kurve an der x-Achse multiplizieren sich die Ordinaten (Funktionswerte) mit 1. 10 Anwendungen der Integralrechnung 503 Die gespiegelte Kurve können wir aber auch durch die Gleichung y ¼ j f ðxÞ j beschreiben. Der Flächeninhalt A lässt sich daher auch durch das Integral b ð ðb ðV-117Þ A ¼ j f ðxÞ j dx ¼ f ðxÞ dx a a berechnen, wobei Betragsbildung und Integration miteinander vertauschbar sind. & Beispiel y Welchen Flächeninhalt A bildet die Tangenskurve y ¼ tan x im Intervall 1 x 0 mit der x-Achse (Bild V-44)? y = tan x 1 –1 Bild V-44 –p 2 p x 2 Lösung (unter Verwendung einer Integraltafel): ð0 tan x dx ¼ A ¼ h ln j cos x j i0 1 ¼ h ln j cos x j i0 1 ¼ 1 ¼ ln j cos 0 j ln j cos ð 1Þ j ¼ ln 1 ln 0,54 ¼ 0 ð 0,62Þ ¼ 0,62 & Der allgemeinste Fall tritt ein, wenn die Fläche teils oberhalb und teils unterhalb der x-Achse liegt. Wir müssen dann die Fläche so in Teilflächen zerlegen, dass diese entweder vollständig oberhalb oder vollständig unterhalb der x-Achse liegen (Bild V-45). Die entsprechenden Integralbeiträge sind daher positiv oder negativ, je nachdem, ob die Kurve gerade oberhalb oder unterhalb der x-Achse verläuft (die positiven Beiträge sind in Bild V-45 dunkelgrau, die negativen Beiträge hellgrau unterlegt). y y = f(x) A2 A4 a A1 x1 x2 A3 x3 b Bild V-45 Zur Berechnung des Flächeninhaltes im allgemeinsten Fall ( Zerlegung der Fläche in Teilflächen) x 504 V Integralrechnung Für die Berechnung dieser Teilflächen benötigen wir daher als zusätzliche Information die im Integrationsintervall a x b gelegenen Nullstellen der Funktion y ¼ f ðxÞ. So besitzt z. B. die in Bild V-45 skizzierte Funktion genau drei im Integrationsintervall liegende Nullstellen x 1 , x 2 und x 3 (nach steigender Größe geordnet). In den Teilintervallen a x x 1 und x 2 x x 3 liegt dabei die Kurve unterhalb der x-Achse, die entsprechenden Integralbeiträge I 1 und I 3 sind daher negativ. In den Teilintervallen x 1 x x 2 und x 3 x b dagegen verläuft die Kurve oberhalb der x-Achse, die entsprechenden Integralbeiträge I 2 und I 4 sind somit positiv. Die Gesamtfläche A ist dann als Summe der Beträge aller Teilintegrale darstellbar: A ¼ A1 þ A2 þ A3 þ A4 ¼ j I1 j þ I2 þ j I3 j þ I4 ¼ x1 x2 xð3 ð ðb ð ¼ f ðxÞ dx þ f ðxÞ dx þ f ðxÞ dx þ f ðxÞ dx x a x x 1 2 ðV-118Þ 3 Wir fassen die Ergebnisse über die Flächenberechnung wie folgt zusammen: Flächeninhalt zwischen einer Kurve und der x-Achse Bei der Berechnung des Flächeninhaltes A zwischen einer Kurve y ¼ f ðxÞ, a x b und der x-Achse sind die folgenden Fälle zu unterscheiden: 1. Fall: Die Kurve verläuft oberhalb der x-Achse (Bild V-40). Dann gilt: ðb f ðxÞ dx A ¼ ðV-119Þ a 2. Fall: Die Kurve verläuft unterhalb der x-Achse (Bild V-42). Dann gilt: b ð ðb A ¼ f ðxÞ dx ¼ f ðxÞ dx ðV-120Þ a a 3. Fall: Die Kurve verläuft teils oberhalb, teils unterhalb der x-Achse (Bild V-45). In diesem Fall muss die Fläche zunächst so in Teilflächen zerlegt werden, dass diese entweder vollständig oberhalb oder vollständig unterhalb der x-Achse liegen. Dazu werden die Nullstellen der Funktion y ¼ f ðxÞ im Intervall a x b benötigt. Anhand einer Skizze lässt sich dann die Zerlegung der Fläche in Teilflächen mit den genannten Eigenschaften problemlos durchführen. Die Berechnung der Teilflächen erfolgt dabei mit Hilfe der Integralformeln (V-119) und (V-120). Die gesuchte Gesamtfläche ist dann die Summe aller Teilflächen. 10 Anwendungen der Integralrechnung & 505 Beispiel Wir berechnen den in Bild V-46 skizzierten Flächeninhalt zwischen der Polynomfunktion y ¼ x 3 3 x 2 6 x þ 8, der x-Achse und den Parallelen x ¼ 2,5 und x ¼ 3. y 10 y = x 3 – 3x 2 – 6x + 8 A2 2 – 2,5 –3 – 2 –1 3 1 2 4 x A3 A1 Bild V-46 Zur Berechnung der Fläche zwischen der Kurve y ¼ x 3 3 x 2 6 x þ 8, der x-Achse und den Parallelen x ¼ 2,5 und x ¼ 3 Die Nullstellen der Funktion sind der Reihe nach x 1 ¼ 2, x 2 ¼ 1 und x 3 ¼ 4 (die Nullstelle bei x ¼ 1 findet man leicht durch Probieren, die restlichen mit Hilfe des Horner-Schemas). Sie liegen bis auf den letzten Wert im Intervall 2,5 x 3 (Bild V-46). Die Fläche zerfällt damit in drei Teilflächen, die jeweils abwechselnd unter- und oberhalb der x-Achse liegen. Es sind daher die folgenden drei Teilintegrale zu berechnen 14) : ð2 I1 ¼ ðx 3 3 x 2 6 x þ 8Þ dx ¼ 1 4 x x3 3x2 þ 8x 4 2 2,5 2,5 ð1 I2 ¼ ðx 3 3 x 2 6 x þ 8Þ dx ¼ 1 4 x x3 3x2 þ 8x 4 1 2 2 ð3 I3 ¼ ðx 3 3 x 2 6 x þ 8Þ dx ¼ 1 1 4 x x3 3x2 þ 8x 4 ¼ 2,64 ¼ 20,25 3 ¼ 14 1 Der gesuchte Flächeninhalt beträgt damit: A ¼ A 1 þ A 2 þ A 3 ¼ j I 1 j þ I 2 þ j I 3 j ¼ j 2,64 j þ 20,25 þ j 14 j ¼ ¼ 2,64 þ 20,25 þ 14 ¼ 36,89 14) Die Integrale unterscheiden sich nur in den Grenzen, Integrand und Stammfunktion sind gleich. & 506 V Integralrechnung 10.2.2 Flächeninhalt zwischen zwei Kurven Wir betrachten ein Flächenstück, das von den Kurven y o ¼ f o ðxÞ und y u ¼ f u ðxÞ sowie den beiden Parallelen x ¼ a und x ¼ b berandet wird (Bild V-47). Dabei soll überall im Intervall a x b die Bedingung f o ðxÞ f u ðxÞ erfüllt sein, d. h. die Kurve y o ¼ f o ðxÞ verläuft zwischen x ¼ a und x ¼ b oberhalb der Kurve y u ¼ f u ðxÞ (dieses Verhalten wird durch die Indizes zum Ausdruck gebracht: o ¼ oben, u ¼ unten). y y o = f o (x) A Bild V-47 Zur Berechnung der zwischen zwei Kurven gelegenen Fläche A y u = f u (x) a b x Wir berechnen den Flächeninhalt A zwischen den beiden Kurven als Differenz zweier Flächen. Nach Bild V-47 gilt nämlich: ðb ðb y o dx A ¼ a ðb y u dx ¼ a ðb f o ðxÞ dx a f u ðxÞ dx ðV-121Þ a Das erste Integral beschreibt dabei die unterhalb der Kurve y o ¼ f o ðxÞ liegende Fläche, das zweite Integral entsprechend den Flächeninhalt unterhalb der Kurve y u ¼ f u ðxÞ. Die Integraldifferenz (V-121) lässt sich noch zu einem Integral zusammenfassen: Flächeninhalt zwischen zwei Kurven (Bild V-47) ðb ðb ðy o y u Þ dx ¼ A ¼ a ½ f o ðxÞ f u ðxÞ dx a Dabei bedeuten: y o ¼ f o ðxÞ: Gleichung der oberen Randkurve y u ¼ f u ðxÞ: Gleichung der unteren Randkurve Voraussetzung: f o ðxÞ f u ðxÞ im Intervall a x b ðV-122Þ 10 Anwendungen der Integralrechnung 507 Anmerkungen (1) Die Lage des Flächenstücks spielt dabei keine Rolle, solange überall im Intervall a x b die Bedingung f o ðxÞ f u ðxÞ erfüllt ist. Der Formelausdruck (V-122) bleibt daher auch für die in den Bildern V-48 a) und V-48 b) skizzierten Flächen gültig. Denn in beiden Fällen liegt y o oberhalb von y u , in positiver y-Richtung gesehen. y y o = f o (x) y a A b x y o = f o (x) a b) A a) (2) y u = f u (x) b x y u = f u (x) Bild V-48 Flächeninhalt zwischen zwei Kurven Die Integralformel (V-122) gilt nur unter der Voraussetzung, dass sich die beiden Randkurven der Fläche an keiner Stelle des Intervalls a x b durchschneiden, d. h. überall in diesem Intervall muss die Bedingung f o ðxÞ f u ðxÞ erfüllt sein. Andernfalls ist die Fläche so in Teilflächen zu zerlegen, dass die beiden Randkurven einer jeden Teilfläche diese Bedingung erfüllen. Zur Berechnung dieser Teilflächen werden daher die im Intervall a x b gelegenen Schnittpunkte beider Kurven benötigt. Bild V-49 verdeutlicht das Vorgehen bei zwei Teilflächen A 1 und A 2 , d. h. bei einem im Innern des Intervalls a x b gelegenen Schnittpunkt S mit dem Abszissenwert x 1 . y y = f 2 (x) A1 S y = f 1 (x) A2 y = f 2 (x) y = f 1 (x) Bild V-49 a x1 b x 508 V Integralrechnung In den beiden Teilintervallen gelten dann folgende Beziehungen: Im Intervall a x x 1 : f 2 ðxÞ f 1 ðxÞ Im Intervall x 1 x b: f 1 ðxÞ f 2 ðxÞ Mit anderen Worten: Im ersten Intervall liegt f 2 ðxÞ oberhalb von f 1 ðxÞ, im zweiten Intervall ist es genau umgekehrt. Die Gesamtfläche A berechnet sich daher wie folgt: xð1 A ¼ A1 þ A2 ¼ ðb ½ f 2 ðxÞ f 1 ðxÞ dx þ a ½ f 1 ðxÞ f 2 ðxÞ dx ¼ x1 ðb xð1 ¼ ½ f 2 ðxÞ f 1 ðxÞ dx þ ½ f 2 ðxÞ f 1 ðxÞ dx x a ðV-123Þ 1 & Beispiele (1) Man bestimme den Flächeninhalt zwischen der Parabel y ¼ 0,5 x 2 þ 6 und der Geraden y ¼ 1,5 x þ 2 (Bild V-50). y 6 y = – 0,5 x 2 + 6 A – 4,7 1 1 1,7 x y = 1,5 x + 2 –5 Bild V-50 Zur Berechnung der Fläche zwischen der Parabel y ¼ 0,5 x 2 þ 6 und der Geraden y ¼ 1,5 x þ 2 10 Anwendungen der Integralrechnung 509 Lösung: Zunächst berechnen wir die Kurvenschnittpunkte: 0,5 x 2 þ 6 ¼ 1,5 x þ 2 x 1 ¼ 4,7 , ) x2 þ 3x 8 ¼ 0 ) x 2 ¼ 1,7 Das Flächenstück wird im Intervall 4,7 x 1,7 oben von der Parabel und unten von der Geraden begrenzt. Daher gilt für den Flächeninhalt: 1ð,7 ½ ð 0,5 x 2 þ 6Þ ð1,5 x þ 2Þ dx ¼ A ¼ 4,7 1ð,7 1ð,7 ð 0,5 x þ 6 1,5 x 2Þ dx ¼ ¼ ð 0,5 x 2 1,5 x þ 4Þ dx ¼ 2 4,7 4,7 1,7 1 3 3 2 ¼ 3,81 ð 18,06Þ ¼ 21,87 ¼ x x þ 4x 6 4 4,7 (2) Wir berechnen die zwischen der Sinus- und Kosinuskurve liegende Fläche im Bereich zweier aufeinanderfolgender Schnittpunkte. Die in Bild V-51 grau unterlegten Teile sind wegen der Periodizität der Randkurven flächengleich. y y = sin x 1 5 p 4 A p x 4 –1 y = cos x Bild V-51 Flächenstück zwischen der Sinus- und Kosinuskurve im Bereich zweier aufeinanderfolgender Schnittpunkte Aus der trigonometrischen Gleichung sin x ¼ cos x oder sin x ¼ tan x ¼ 1 cos x berechnen wir zunächst die Kurvenschnittpunkte. Sie liegen an den Stellen x k ¼ arctan 1 þ k p ¼ p þk p 4 ðk ¼ 0, 1, 2, . . .Þ 510 V Integralrechnung Wir entscheiden uns dabei für den in Bild V-51 skizzierten dunkelgrau unterlegten Bereich zwischen den ersten beiden positiven Schnittpunkten, d. h. für das Interp 5 vall x p. In diesem Intervall verläuft die Sinuskurve oberhalb der 4 4 \mittheta Kosinuskurve. Der gesuchte Flächeninhalt wird daher über das folgende Integral berechnet: 5 p=4 ð ðsin x cos xÞ dx ¼ A ¼ h cos x sin x i 5 p=4 p=4 ¼ p=4 ¼ cos ¼ (3) 5 p 4 sin 5 p 4 ! ! p p cos sin ¼ 4 4 pffiffiffiffiffi 1 pffiffiffiffiffi 1 pffiffiffiffiffi 1 pffiffiffiffiffi 1 pffiffiffiffiffi 2 þ 2 þ 2 þ 2 ¼ 2 2 ¼ 2,83 2 2 2 2 Wir interessieren uns für den Flächeninhalt A zwischen der Parabel y ¼ 2,5 x 2 8,75 x und der Kurve y ¼ 2 x 3 12 x 2 þ 16 x. Zunächst aber bestimmen wir die dabei benötigten Kurvenschnittpunkte: 2 x 3 12 x 2 þ 16 x ¼ 2,5 x 2 8,75 x 2 x 3 14,5 x 2 þ 24,75 x ¼ x ð2 x 2 14,5 x þ 24,75Þ ¼ 0 x 1 ¼ 0, ) x 2 ¼ 2,75, x 3 ¼ 4,5 Die gesuchte Fläche A besteht somit aus zwei Teilflächen A 1 und A 2 , die wir jetzt berechnen wollen (Bild V-52). y 10 y = 2 x 3 –12 x 2 + 16 x 5 2,75 1 2 3 A1 –5 –10 y = 2,5 x 2 – 8,75 x 4 A2 4,5 Bild V-52 x 10 Anwendungen der Integralrechnung 511 Im Intervall 0 x 2,75 ist die Parabel die untere, im Intervall 2,75 x 4,5 dagegen die obere Berandung der Fläche. Daher gilt: 2,ð75 A1 ¼ ½ ð2 x 3 12 x 2 þ 16 xÞ ð2,5 x 2 8,75 xÞ dx ¼ 0 2,ð75 ¼ ð2 x 3 14,5 x 2 þ 24,75 xÞ dx ¼ 0 ¼ 1 4 14,5 3 24,75 2 x x þ x 2 3 2 2,75 ¼ 21,6634 0 4ð,5 A2 ¼ ½ ð2,5 x 2 8,75 xÞ ð2 x 3 12 x 2 þ 16 xÞ dx ¼ 2,75 4ð,5 ð 2 x 3 þ 14,5 x 2 24,75 xÞ dx ¼ ¼ 2,75 1 14,5 3 24,75 2 x x ¼ x4 þ 2 3 2 4,5 2,75 ¼ 6,4759 Somit erhalten wir eine Gesamtfläche von A ¼ A 1 þ A 2 ¼ 21,6634 þ 6,4759 ¼ 28,1393 28,14 (4) Die in Bild V-53 skizzierte geschlossene Kurve wird durch die Gleichung y 2 ¼ 25 x 2 x 4 beschrieben. Sie ist sowohl zur x-Achse als auch zur y-Achse spiegelsymmetrisch. Bei der Berechnung der eingeschlossenen Fläche können wir uns auf den 1. Quadranten beschränken. y y 2 = 25 x 2 – x 4 12 8 4 Bild V-53 –5 –4 –3 –2 –1 1 –4 –8 –12 2 3 4 5 x 512 V Integralrechnung Die obere Randkurve lautet dann: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi y ¼ 25 x 2 x 4 ¼ x 2 ð25 x 2 Þ ¼ x 25 x 2 , 0 x 5 Das anfallende Integral ð5 x A ¼ 4 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 25 x 2 dx 0 lösen wir durch Substitution wie folgt, wobei wir die Integrationsgrenzen mitsubstituieren wollen: du ¼ 2 x, dx u ¼ 25 x 2 , dx ¼ du 2x Untere Grenze: x ¼ 0 ) u ¼ 25 0 ¼ 25 Obere Grenze: x ¼ 5 ) u ¼ 25 25 ¼ 0 uð ¼0 A ¼ 4 pffiffiffiffiffi x u u ¼ 25 2ð5 ¼ 2 du ¼ 2 2 x u 1=2 u 3=2 du ¼ 2 3=2 0 ¼ 25 ¼ 0 ð0 25 pffiffiffiffiffi u du ¼ 2 25 ð pffiffiffiffiffi u du ¼ 0 pffiffiffiffiffi i 25 4 h pffiffiffiffiffiffi3ffi i 25 4 h u ¼ ¼ u u 0 0 3 3 4 4 500 ð25 5 0Þ ¼ 125 ¼ 3 3 3 & 10.3 Volumen eines Rotationskörpers (Rotationsvolumen) Rotationskörper entstehen durch Drehung einer ebenen Kurve um eine in der Kurvenebene liegende Achse. Zu ihnen gehören beispielsweise die Kugel, der Kreiskegel, der Zylinder, das Rotationsparaboloid und der Torus. Rotation einer Kurve um die x-Achse Die über dem Intervall a x b gelegene Kurve mit der Funktionsgleichung y ¼ f ðxÞ erzeuge bei Rotation um die x-Achse den in Bild V-54 skizzierten Rotationskörper. Dieser wird jetzt durch Schnitte senkrecht zur Drehachse in eine große Anzahl n von Scheiben gleicher Dicke Dx zerlegt. 10 Anwendungen der Integralrechnung 513 Im Folgenden betrachten wir eine wahllos herausgegriffene Scheibe (in Bild V-54 grau unterlegt). y y = f(x) DV x Bild V-54 Zerlegung eines Rotationskörpers in Zylinderscheiben gleicher Dicke Dx a b x Dx Sie wird durch eine kreisförmige Zylinderscheibe gleicher Dicke ersetzt, die durch Rotation des in Bild V-55 skizzierten Rechtecks mit den Seitenlängen y ¼ f ðxÞ und Dx um die x-Achse entsteht. y y = f(x) y a x b x Dx Bild V-55 Durch Rotation des eingezeichneten Rechtecks um die x-Achse entsteht eine kreisförmige Zylinderscheibe vom Volumen DV x ¼ p y 2 Dx Das Volumen dieser zylindrischen Ersatzscheibe ist dann DV x ¼ ðGrundflächeÞ ðHöheÞ ¼ p y 2 Dx ðV-124Þ (Scheibenradius: y; Scheibendicke: Dx; Querschnittsfläche der Scheibe: p y 2 ). 514 V Integralrechnung Ebenso verfährt man mit den übrigen Scheiben. Die Summation über sämtliche Zylinderscheiben liefert dann einen Näherungswert für das Rotationsvolumen V x , der bei beliebiger Verfeinerung der Zerlegung gegen den exakten Wert strebt. Beim Grenzübergang n ! 1 geht die Scheibendicke Dx gegen Null und man erhält für V x die folgende Integralformel: Rotationsvolumen bei Drehung einer Kurve um die x-Achse (Bild V-54) Bei Drehung einer Kurve mit der Gleichung y ¼ f ðxÞ, a x b um die x-Achse entsteht ein Rotationskörper vom Volumen ðb Vx ¼ p ðb ½ f ðxÞ 2 dx y dx ¼ p 2 a ðV-125Þ a Zu diesem Ergebnis gelangt man auch durch eine in den technischen Anwendungen übliche und sehr beliebte formale Betrachtungsweise. Wir gehen dabei von einer infinitesimal dünnen Scheibe der Dicke dx aus (in Bild V-56 grau unterlegt): y infinitesimal dünne Scheibe Bild V-56 Der Rotationskörper wird aus infinitesimal dünnen Zylinderscheiben der Dicke dx zusammengesetzt y = f(x) a b x dx Das Volumen einer solchen nahezu zylindrischen Scheibe (auch Volumenelement genannt) beträgt dann dV x ¼ p y 2 dx ðV-126Þ Jetzt summieren, d. h. integrieren wir über sämtliche zwischen x ¼ a und x ¼ b gelegenen infinitesimal dünnen Scheiben und erhalten schließlich für das Rotationsvolumen die bereits bekannte Formel xð ¼b Vx ¼ ðb dV x ¼ x¼a ðb p y 2 dx ¼ p a ðb ½ f ðxÞ 2 dx y 2 dx ¼ p a a ðV-127Þ 10 Anwendungen der Integralrechnung 515 Rotation einer Kurve um die y-Achse Analog verfährt man bei Körpern, die durch Rotation eines Kurvenstücks um die y-Achse entstanden sind (Bild V-57). y d x = g(y) Bild V-57 Zur y-Achse rotationssymmetrischer Körper c x Die entsprechende Integralformel für das Rotationsvolumen lautet: Rotationsvolumen bei Drehung einer Kurve um die y-Achse (Bild V-57) Bei Drehung einer Kurve mit der Gleichung x ¼ g ðyÞ, c y d um die y-Achse entsteht ein Rotationskörper vom Volumen ðd Vy ¼ p ðd ½ g ðyÞ 2 dy x dy ¼ p 2 c ðV-128Þ c Anmerkung Die Gleichung der rotierenden Kurve liegt meist in der Form y ¼ f ðxÞ vor und muss dann erst noch nach der Variablen x aufgelöst werden. Die auf diese Weise erhaltene Funktion x ¼ g ðyÞ ist die „nach der Variablen x aufgelöste Form von y ¼ f ðxÞ“. & Beispiele (1) Durch Drehung der über dem Intervall 0 x p=2 gelegenen Kosinuskurve y ¼ cos x um die x-Achse entsteht der in Bild V-58 skizzierte Rotationskörper. Sein Volumen beträgt nach Integralformel (V-125): p=2 ð Vx ¼ p ¼ p cos x dx ¼ p 2 0 p 1 þ sin p 4 4 |ffl{zffl} 0 1 1 x þ sin ð2 xÞ 2 4 p=2 ¼ 0 1 p p2 0þ sin 0 ¼ p ¼ 4 4 |ffl{zffl} 4 0 516 V Integralrechnung y y = cos x 1 Bild V-58 Rotationskörper, entstanden durch Drehung der Kurve y ¼ cos x, 0 x p=2 um die x-Achse p x 2 (2) Durch Rotation des in Bild V-59 skizzierten Kreisabschnitts der Höhe h um die x-Achse entsteht ein sog. Kugelabschnitt (auch Kugelkappe oder Kalotte genannt) mit dem folgenden Volumen: ðr Vx ¼ p ðr pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 2 2 ð r x Þ dx ¼ p ðr 2 x 2 Þ dx ¼ rh rh 1 3 ¼ p r x x 3 r 2 1 3 1 ¼ p r r r 2 ðr hÞ þ ðr hÞ 3 3 3 3 rh 2 3 1 3 3 2 2 2 3 ¼ p r r þr hþ ðr 3 r h þ 3 r h h Þ ¼ 3 3 1 3 1 3 1 3 r þ r2 h þ r r2 h þ r h2 h ¼ ¼ p 3 3 3 1 3 1 p 2 ¼ p r h2 ¼ p h2 r h h ¼ h ð3 r hÞ 3 3 3 y y = r2– x2 Bild V-59 Der grau unterlegte Kreisabschnitt erzeugt bei Rotation um die x-Achse einen Kugelabschnitt r–h r h x ¼ 10 Anwendungen der Integralrechnung 517 Im Grenzfall h ¼ 2 r erhält man eine Vollkugel mit dem (bekannten) Volumen V Kugel ¼ (3) p p 4 ð2 rÞ 2 ð3 r 2 rÞ ¼ 4r2 r ¼ pr3 3 3 3 Welchen Rauminhalt besitzt der Körper, der durch Drehung der in Bild V-60 skizzierten (grau unterlegten) Fläche um die y-Achse entsteht? y/cm P 18 Parabel y = ax 2 + b 10 Bild V-60 –4 x /cm 4 Lösung: Zunächst bestimmen wir die Gleichung der Parabel, die wir wegen der Achsensymmetrie in der Form y ¼ a x 2 þ b ansetzen dürfen: b ¼ 10 cm ; P ¼ ð4 cm; 18 cmÞ ist ein Punkt der Parabel 2 18 cm ¼ a ð4 cmÞ þ 10 cm ) a ¼ 0,5 cm ) 1 Die Parabelgleichung lautet somit: y ¼ 0,5 cm 1 x 2 þ 10 cm Das gesuchte Rotationsvolumen V berechnen wir nach der aus Bild V-60 ersichtlichen Formel V ¼ V Zylinder V Paraboloid Dabei ist V Zylinder das Volumen des Zylinders mit dem Radius r ¼ 4 cm und der Höhe h ¼ 18 cm: V Zylinder ¼ p r 2 h ¼ p ð4 cmÞ 2 18 cm ¼ 904,78 cm 3 V Paraboloid ist das Volumen des Rotationsparaboloids, das durch Drehung der über dem Intervall 10 y=cm 18 gelegenen Parabel um die y-Achse entsteht und mit Hilfe der Integralformel (V-128) berechnet werden kann. Dazu lösen wir zunächst die Parabelgleichung nach x 2 auf: 0,5 cm 1 x 2 ¼ y 10 cm j 2 cm ) x 2 ¼ 2 cm ð y 10 cmÞ 518 V Integralrechnung Diesen Ausdruck setzen wir jetzt in die Volumenformel (V-128) ein und erhalten damit für das Volumen des Rotationsparaboloids: 18ðcm 18ðcm V Paraboloid ¼ p x dy ¼ 2 p cm ð y 10 cmÞ dy ¼ 2 10 cm 10 cm ¼ 2 p cm 1 2 y 10 cm y 2 18 cm ¼ 10 cm ¼ 2 p cm ð162 180Þ ð50 100Þ cm 2 ¼ ¼ 2 p ð 18 þ 50Þ cm 3 ¼ 2 p 32 cm 3 ¼ 201,06 cm 3 Für das gesuchte Rotationsvolumen V ergibt sich damit der folgende Wert: V ¼ V Zylinder V Paraboloid ¼ 904,78 cm 3 201,06 cm 3 ¼ 703,72 cm 3 & 10.4 Bogenlänge einer ebenen Kurve Wir stellen uns die Aufgabe, die Länge einer über dem Intervall a x b gelegenen Kurve mit der Funktionsgleichung y ¼ f ðxÞ zu berechnen, und bedienen uns dabei der bereits in Abschnitt 10.3 erwähnten formalen Betrachtungsweise. Zunächst zerlegen wir die Kurve in eine große Anzahl von Segmenten. Wahllos greifen wir ein von den beiden Randpunkten P und Q begrenztes, infinitesimal kurzes Kurvenstück (Segment) heraus und ersetzen den Kurvenbogen durch das Linienelement ds, d. h. durch die entsprechende Strecke auf der in P errichteten Kurventangente (Bild V-61). y y = f(x) Q Q′ ds P dy dx y a Tangente in P x x + dx b x Bild V-61 Zur Bestimmung der Bogenlänge eines ebenen Kurvenstücks 10 Anwendungen der Integralrechnung 519 Aus dem eingezeichneten Steigungsdreieck mit den beiden Katheten dx und dy und der Hypotenuse ds folgt dann nach dem Satz des Pythagoras: " # ðdxÞ 2 ðdyÞ 2 2 2 2 2 2 ¼ 1þ ðdxÞ 2 ¼ ðdsÞ ¼ ðdxÞ þ ðdyÞ ¼ ðdxÞ þ ðdyÞ ðdxÞ 2 ðdxÞ 2 " 2# dy ¼ 1þ ðV-129Þ ðdxÞ 2 ¼ ½ 1 þ ð y 0 Þ 2 ðdxÞ 2 dx Damit ist ds ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 þ ð y 0 Þ 2 dx ¼ 1 þ ½ f 0 ðxÞ 2 dx ðV-130Þ Mit den restlichen Segmenten verfahren wir in gleicher Weise. Durch Summation, d. h. Integration über sämtliche Linienelemente 15) erhält man schließlich die folgende Integralformel für die Bogenlänge der Kurve y ¼ f ðxÞ im Intervall a x b: Bogenlänge einer ebenen Kurve (Bild V-61) Eine ebene Kurve mit der Gleichung y ¼ f ðxÞ, a x b besitzt die Bogenlänge ðb qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ðb qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 0 s ¼ 1 þ ð y Þ dx ¼ 1 þ ½ f 0 ðxÞ 2 dx a & ðV-131Þ a Beispiel Wir wollen die bereits aus der Schulmathematik bekannte Formel für den Umfang eines Kreises vom Radius r herleiten (Bild V-62). y y = r2– x2 Bild V-62 Zur Berechnung des Kreisumfangs 0 15) r x Andere übliche Bezeichnungen für das Linienelement sind Bogenelement oder Bogendifferential. 520 V Integralrechnung pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Lösung: Aus der Kurvengleichung y ¼ r 2 x 2 (Gleichung des oberen Halbkreises) erhalten wir durch Differentiation mit Hilfe der Kettenregel x y 0 ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r2 x2 und weiter 1 þ ð y 0Þ 2 ¼ 1 þ r2 x2 r2 x2 þ x2 r2 ¼ ¼ 2 2 2 2 x r x r x2 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 þ ð y 0 Þ 2 des bei der Umfangsberechnung anfallenden Integrals Für den Integrand (V-131) bekommen wir damit den folgenden Ausdruck: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r 1 þ ð y 0 Þ 2 ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 r x2 Bei der Integration beschränken wir uns wegen der Achsensymmetrie der Kreislinie auf den im 1. Quadranten gelegenen Viertelkreis und müssen daher den Integralwert noch mit dem Faktor 4 multiplizieren. Somit gilt: ðr r pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx ¼ 4 r 2 r x2 s ¼ 4 0 ðr 0 dx pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r2 x2 Dieses Integral lässt sich durch eine Substitution vom Typ (D) der Tabelle 2 aus Abschnitt 8.1.2 wie folgt lösen (die Grenzen werden mitsubstituiert): x ¼ r sin u , dx ¼ r cos u du , pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r 2 x 2 ¼ r cos u , u ¼ arcsin ðx=rÞ Untere Grenze: x ¼ 0 ) u ¼ arcsin 0 ¼ 0 Obere Grenze: x ¼ r ) u ¼ arcsin 1 ¼ p=2 Wir erhalten die aus der Elementarmathematik bereits bekannte Formel für den Umfang eines Kreises: ðr s ¼ 4r 0 dx pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ¼ 4 r r2 x2 h i p=2 ¼ 4r u ¼ 2pr 0 p=2 ð 0 r cos u du r cos u p=2 ð ¼ 4r 1 du ¼ 0 & 10 Anwendungen der Integralrechnung 521 10.5 Mantelfläche eines Rotationskörpers (Rotationsfläche) Die durch Drehung einer ebenen Kurve um eine in der Kurvenebene liegende Achse entstehende Fläche heißt Mantelfläche oder Rotationsfläche des Drehkörpers. Rotation einer Kurve um die x-Achse Der Rotationskörper entstehe durch Drehung der Kurve y ¼ f ðxÞ, a x b um die x-Achse (Bild V-63). Wir zerlegen ihn wiederum in eine große Anzahl dünner Scheiben. y infinitesimal dünne Scheibe y = f(x) a b x dx Bild V-63 Zerlegung eines Rotationskörpers in infinitesimal dünne Scheiben der Dicke dx Eine solche (in Bild V-63 grau unterlegte) Scheibe der Dicke dx erhalten wir durch _ Drehung des in Bild V-64 skizzierten Kurvenbogens PQ um die x-Achse. Ersetzen wir diesen Bogen durch das zugehörige Linienelement ds, so erzeugt dieses bei der Rotation um die x-Achse einen Kegelstumpf, dessen Mantelfläche einen Näherungswert für die Mantelfläche der Scheibe darstellt. y y = f(x) Q Q′ ds P dx y x Tangente in P y + dy x + dx x Bild V-64 Zur Bestimmung der Mantelfläche eines zur x-Achse symmetrischen Rotationskörpers 522 V Integralrechnung Für die Mantelfläche eines Kegelstumpfes liefert uns die Elementarmathematik die bekannte Formel 16) M Kegelstumpf ¼ p ðr 1 þ r 2 Þ s ðV-132Þ Wir übertragen diese Formel auf unseren durch Drehung des Linienelementes ds um die x-Achse erzeugten infinitesimal dünnen Kegelstumpf. Für diesen gilt: r1 ¼ y , r 2 ¼ y þ dy s ¼ ds und ðV-133Þ Seine Mantelfläche dM x beträgt somit dM x ¼ p ½ y þ ðy þ dyÞ ds ¼ p ð2 y þ dyÞ ds ðV-134Þ und weiter, da dy y angenommen werden darf: dM x ¼ p 2 y ds ¼ 2 p y ds ðV-135Þ Berücksichtigt man noch die Beziehung (V-130) für das Linienelement ds, so ist die Mantelfläche des Kegelstumpfes und damit auch (näherungsweise) die Mantelfläche der infinitesimal dünnen Scheibe durch das Differential qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dM x ¼ 2 p y 1 þ ð y 0 Þ 2 dx ¼ 2 p f ðxÞ 1 þ ½ f 0 ðxÞ 2 dx ðV-136Þ gegeben. Durch Integration erhält man schließlich: Mantelfläche eines Rotationskörpers (Rotationsfläche bei Drehung einer Kurve um die x-Achse; Bild V-63) Bei Drehung einer Kurve mit der Gleichung y ¼ f ðxÞ, a x b um die x-Achse entsteht ein Rotationskörper mit der Mantel- oder Rotationsfläche ðb Mx ¼ 2 p ðb qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 0 y 1 þ ð y Þ dx ¼ 2 p f ðxÞ 1 þ ½ f 0 ðxÞ 2 dx a 16) Die Mantelfläche eines Kegelstumpfes wird nach der Formel a ðV-137Þ y s M Kegelstumpf ¼ p ðr 1 þ r 2 Þ s berechnet (siehe hierzu Bild V-65). r 1 und r 2 sind dabei die Radien der beiden Kreisflächen, s die Länge der Mantellinie. Bild V-65 Kegelstumpf r2 r1 x 10 Anwendungen der Integralrechnung 523 Rotation einer Kurve um die y-Achse Bei Rotation einer Kurve x ¼ g ðyÞ, c y d um die y-Achse erhält man nach analogen berlegungen den folgenden Formelausdruck für die Mantel- oder Rotationsfläche des entstandenen Drehkörpers (siehe hierzu Bild V-57): Mantelfläche eines Rotationskörpers (Rotationsfläche bei Drehung einer Kurve um die y-Achse; Bild V-57) Bei Drehung einer Kurve mit der Gleichung x ¼ g ðyÞ, c y d um die y-Achse entsteht ein Rotationskörper mit der Mantel- oder Rotationsfläche ðd My ¼ 2 p ðd qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 0 x 1 þ ðx Þ dy ¼ 2 p g ðyÞ 1 þ ½ g 0 ðyÞ 2 dy c & c ðV-138Þ Beispiele (1) Die Aufgabe besteht in der Berechnung der Oberfläche (Mantelfläche) einer Kugel vom Radius r. Die Kugeloberfläche soll dabei durch Drehung des in Bild V-66 skizzierten Halbkreises um die x-Achse erzeugt werden. y y = r2– x2 Bild V-66 Durch Rotation eines Halbkreises um die x-Achse entsteht eine Kugel –r r x Wir erhalten nach Formel (V-137) mit pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi y ¼ r2 x2 , x y ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi , 2 r x2 0 qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi r 1 þ ðy 0 Þ 2 ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 r x2 das folgende Ergebnis, wobei wir uns wegen der Achsensymmetrie auf das Integrationsintervall 0 x r beschränken durften (Faktor 2): Mx ¼ 2 2 p ðr ¼ 4pr ðr pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ðr r r 2 x 2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx ¼ 4 p r dx ¼ r2 x2 0 0 h ir 1 dx ¼ 4 p r x ¼ 4 p r ðr 0Þ ¼ 4 p r 2 0 0 524 (2) V Integralrechnung Durch Rotation der Normalparabel y ¼ x 2 um die y-Achse entsteht ein Rotationsparaboloid. Es ist die Mantelfläche dieses Drehkörpers zu berechnen für den Fall, dass das Paraboloid in der Höhe h ¼ 2 abgeschnitten wird (Bild V-67). y 2 y=x2 Bild V-67 Rotationsparaboloid mit der Höhe h ¼ 2 x Lösung: Zunächst lösen wir die Parabelgleichung nach x auf und erhalten: y ¼ x2 ) x ¼ g ðyÞ ¼ pffiffiffiffi y ð1: QuadrantÞ Ferner ist: x 0 ¼ g 0 ðyÞ ¼ 2 1 pffiffiffiffi , y 1 þ ðx 0 Þ 2 ¼ 1 þ 1 4y þ 1 ¼ 4y 4y Für die Mantelfläche M y folgt dann nach Formel (V-138): ð2 My ¼ 2 p pffiffiffiffi y sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð2 sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4y þ 1 4y þ 1 dy ¼ 2 p dy ¼ y 4y 4y 0 0 ð2 rffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4y þ 1 4y þ 1 ¼ 2p dy ¼ 2 p dy ¼ p 4 y þ 1 dy 4 2 0 0 0 Dieses Integral wird durch die folgende lineare Substitution gelöst (Typ (A) der Tabelle 2 aus Abschnitt 8.1.2): u ¼ 4y þ 1, du ¼ 4, dy dy ¼ du 4 Untere Grenze: y ¼ 0 ) u ¼ 0þ1 ¼ 1 Obere Grenze: y ¼ 2 ) u ¼ 8þ1 ¼ 9 10 Anwendungen der Integralrechnung 525 Für die Mantelfläche des Rotationsparaboloids ergibt sich damit der folgende Wert: ð2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð9 ð9 pffiffiffiffiffi du pffiffiffiffiffi p u u du ¼ 4 y þ 1 dy ¼ p My ¼ p ¼ 4 4 0 p ¼ 4 1 ð9 u 1=2 1 ¼ 1 9 p u 3=2 p hpffiffiffiffiffiffi3ffii 9 p h pffiffiffiffi i9 u u u ¼ du ¼ ¼ ¼ 1 1 4 3=2 1 6 6 p p 13 ð27 1Þ ¼ 26 ¼ p ¼ 13,61 6 6 3 & 10.6 Arbeits- und Energiegrößen ~ längs einer Geraden um die Wird ein Massenpunkt m durch eine konstante Kraft F Strecke ~ s verschoben, so ist die dabei verrichtete Arbeit definitionsgemäß gleich dem ~ und dem Verschiebungsvektor ~ Skalarprodukt aus dem Kraftvektor F s: ~~ ~j j~ W ¼ F s ¼ jF s j cos j ¼ F s cos j ¼ Fs s ðV-139Þ (siehe hierzu die Definitionsformel (II-87) aus Kap. II, Abschnitt 3.3.5). Fs ist dabei die Kraftkomponente in der Wegrichtung und j der Winkel zwischen der Kraft- und der Wegrichtung (Bild V-68). F m f Fs s s s1 s2 Bild V-68 Zum Begriff der physikalischen Arbeit an einem Massenpunkt Im Allgemeinen jedoch ist die Kraft nicht konstant, sondern noch von Ort zu Ort ver~¼ F ~ðsÞ. Als Beispiel sei die Gravitaschieden, d. h. eine Funktion des Ortes s: F tionskraft genannt (siehe hierzu auch das nachfolgende Beispiel (3)). Bei der Berechnung ~ðsÞ mit der in der Wegrichtung wirkenden der Arbeit, die eine ortsabhängige Kraft F Komponente Fs ðsÞ bei einer Verschiebung des Massenpunktes längs einer Geraden von s 1 nach s 2 verrichtet, gehen wir wie folgt vor. Die Wegstrecke wird so in eine große Anzahl von Teilstrecken zerlegt, dass die Kraft längs einer jeden Teilstrecke als nahezu konstant angenommen werden kann. Die in dem infinitesimal kleinen Wegintervall von s bis s þ ds verrichtete Arbeit ist dann definitionsgemäß durch das Skalarprodukt ~ d~ dW ¼ F s ¼ Fs ðsÞ ds gegeben (siehe hierzu Bild V-69). ðV-140Þ 526 V Integralrechnung m 0 s1 Fs s + ds s s2 s ds Bild V-69 Zur Herleitung des Arbeitsintegrals bei einer ortsabhängigen Kraft Die längs des geradlinigen Weges von s 1 nach s 2 geleistete Arbeit W erhält man dann durch Integration: Arbeit einer ortsabhängigen Kraft (Arbeitsintegral; Bild V-68) ~¼ F ~ðsÞ verrichtet bei einer geradlinigen VerEine vom Ort s abhängige Kraft F schiebung eines Massenpunktes die Arbeit sð2 sð2 dW ¼ W ¼ s1 ~ d~ F s ¼ s1 sð2 Fs ðsÞ ds ðV-141Þ s1 Dabei bedeuten: Fs ðsÞ: Kraftkomponente in Wegrichtung (ortsabhängig) s 1, s 2 : Wegmarken vor bzw. nach der Verschiebung Anmerkung Das durch Gleichung (V-141) definierte Arbeitsintegral wird auch als Wegintegral der Kraft bezeichnet. Die Integration erfolgt über die ortsabhängige Kraftkomponente in Wegrichtung. & Beispiele (1) Kinetische Energie einer Masse Wir wollen die kinetische Energie eines Körpers der Masse m berechnen, der ~ aus der Ruhe heraus auf die durch eine (konstante oder ortsabhängige) Kraft F Endgeschwindigkeit v 0 beschleunigt wird (Bild V-70). m F Bild V-70 ds s 10 Anwendungen der Integralrechnung 527 Für die beschleunigende Kraft vom Betrage F gilt nach dem Grundgesetz der Mechanik: dv dv a ¼ F ¼ ma ¼ m dt dt (a: Beschleunigung; v: Geschwindigkeit). Sie verrichtet dabei auf der infinitesimal kleinen Wegstrecke ds die Arbeit dW ¼ F ds ¼ m dv ds ds ¼ m dv ¼ m v dv dt dt Denn der Differentialquotient ds=dt ist nichts anderes als die Momentangeschwindigkeit v. Durch Integration erhält man schließlich die Beschleunigungsarbeit v¼ ðv 0 W ¼ vð0 dW ¼ v¼0 vð0 m v dv ¼ m 0 1 2 v dv ¼ m v 2 0 v0 0 ¼ 1 m v 20 2 Definitionsgemäß besitzt dann die Masse m kinetische Energie vom gleichen Betrage. (2) Spannungsarbeit an einer elastischen Feder Um eine elastische Feder aus der Gleichgewichtslage heraus um die Strecke s 0 zu dehnen, muss man mit einer Kraft F ðsÞ einwirken, die in jeder Lage der momentanen Rückstellkraft F * ¼ c s (Hookesches Gesetz) das Gleichgewicht hält (Bild V-71) 17) : F ðsÞ ¼ F * ¼ c s ðc : FederkonstanteÞ Gleichgewichtslage s=0 s F* m F 17) Alle Kräfte wirken in der Längsrichtung der Feder. Bild V-71 Zur Berechnung der Spannungsarbeit an einer elastischen Feder 528 V Integralrechnung Die dabei verrichtete Arbeit beträgt dann nach Formel (V-141) unter Berücksichtigung von Fs ðsÞ ¼ F ðsÞ ¼ c s: sð0 sð0 Fs ðsÞ ds ¼ W ¼ 0 sð0 c s ds ¼ c 0 s ds ¼ c 0 1 2 s 2 s0 ¼ 0 1 c s 20 2 Die gespannte Feder besitzt jetzt Spannungsenergie vom gleichen Betrage. (3) Arbeit im Gravitationsfeld der Erde Wir berechnen die Arbeit, die man im Gravitationsfeld der Erde aufwenden muss, um eine auf der Erdoberfläche liegende Masse m entgegen der Schwerkraft um die Strecke h in radialer Richtung anzuheben (Bild V-72; r 0 ist der Erdradius). r r0 + h Endlage der Masse m M: Erdmasse (im Erdmittelpunkt konzentriert) r0: Erdradius h r0 Anfangslage der Masse m M r0 Bild V-72 Arbeit im Gravitationsfeld der Erde Erde Dazu benötigen wir eine Kraft F ðrÞ, die der in Richtung Erdmittelpunkt wirkenden Gravitationskraft F * ðrÞ ¼ f mM r2 ðr > 0Þ das Gleichgewicht hält. Somit gilt: F ðrÞ ¼ F * ðrÞ ¼ f mM r2 Dabei ist f die Gravitationskonstante und r der Abstand der Masse m vom Erdmittelpunkt. 10 Anwendungen der Integralrechnung 529 Beim Anheben um die Strecke h wird dabei die Arbeit r 0ðþ h W ¼ r 0ðþ h F ðrÞ dr ¼ f m M r0 r 0ðþ h r0 r1 ¼ f mM 1 ¼ f mM 1 dr ¼ f m M r2 r0 þ h r0 r 2 dr ¼ r0 1 r0 þ h 1 1 ¼ ¼ f mM ¼ f mM r r0 r0 r0 þ h r0 þ h r0 r 0 ðr 0 þ hÞ ¼ f mM h r 0 ðr 0 þ hÞ verrichtet. Für h r 0, d. h. in Erdnähe gilt r 0 þ h r 0 und man erhält hieraus die bereits aus der Schulphysik bekannte Formel für die Hubarbeit (bzw. potentielle Energie): h M W f mM 2 ¼ m f 2 h ¼ mgh r0 r |{z}0 g g ist dabei die Fallbeschleunigung an der Erdoberfläche folgt aus der Gleichung mM mg ¼ f 2 . r0 (4) Arbeit eines Gases Wir betrachten eine in einem zylindrischen Gefäß eingeschlossene Gasmenge, deren Zustand durch die drei Zustandsvariablen p (Druck), V (Volumen) und T (absolute Temperatur) beschrieben wird. Das Gefäß sei dabei durch einen (beweglichen) Kolben abgeschlossen (Bild V-73). beweglicher Kolben Gas: p, T, V Volumenänderung d V dx Bild V-73 Zur Berechnung der isothermen Ausdehnungsarbeit eines Gases Der Gasdruck p erzeugt eine auf den Kolben nach außen wirkende Kraft vom Betrage F ¼ p A (A: Querschnittsfläche des Kolbens). Durch eine gleich große Gegenkraft wird zunächst eine Ausdehnung des Gases verhindert. Ist die äußere Kraft jedoch etwas kleiner als die Druckkraft des Gases, so dehnt sich dieses aus und verrichtet bei einer Verschiebung des Kolbens um die infinitesimal kleine Strecke dx die Arbeit dW ¼ F dx ¼ p A dx ¼ p dV 530 V Integralrechnung Dabei ist dV ¼ A dx die differentielle Zunahme des Gasvolumens bei dieser Verschiebung. Die bei einer isothermen Ausdehnung vom Anfangsvolumen V 1 auf das Endvolumen V 2 insgesamt vom Gas verrichtete Arbeit erhält man dann durch Integration 18) : V¼ ðV 2 W ¼ Vð2 dW ¼ V ¼ V1 p ðVÞ dV V1 Wir berechnen jetzt mit dieser Integralformel die isotherme Ausdehnungsarbeit eines realen Gases, dessen Verhalten in vielen Fällen in guter Näherung durch die sog. van der Waalssche Zustandsgleichung a p þ 2 ðV bÞ ¼ n R T V beschrieben werden kann (a und b sind dabei zwei stoffabhängige positive Konstanten; n: Molzahl; R: allgemeine Gaskonstante). Durch Auflösen dieser Gleichung nach p erhält man p ¼ nRT a 2 V b V ðmit V > 0Þ und damit bei isothermer Prozessführung (T ¼ constant): Vð2 W ¼ Vð2 p ðVÞ dV ¼ V1 V1 nRT a 2 V b V dV ¼ h i V2 a i V2 1 1 V2 ¼ n R T ln ðV bÞ þ ¼ V1 V V1 a V V1 1 1 1 ¼ ¼ n R T ½ ln ðV 2 bÞ ln ðV 1 bÞ þ a V2 V1 V2 b 1 1 þa ¼ n R T ln V1 b V2 V1 ¼ h n R T ln ðV bÞ þ Für ein ideales Gas ist a ¼ b ¼ 0 und die van der Waalssche Zustandsgleichung geht in die bekannte Zustandsgleichung eines idealen Gases über: pV ¼ nRT Die isotherme Ausdehnungsarbeit eines idealen Gases beträgt dann V2 W ¼ n R T ln V1 18) Isotherm bedeutet: bei konstanter Temperatur. Der Druck p hängt dann nur vom Volumen V ab. & 10 Anwendungen der Integralrechnung 531 10.7 Lineare und quadratische Mittelwerte Mittelwerte spielen in Naturwissenschaft und Technik eine bedeutende Rolle (z. B.: mittlere Geschwindigkeit eines Fahrzeugs in einem bestimmten Zeitraum, Effektivwerte von Strom und Spannung bei Wechselströmen usw.). Wir unterscheiden dabei zwischen linearen und quadratischen Mittelwerten. Linearer Mittelwert Definition: Unter dem linearen Mittelwert einer Funktion y ¼ f ðxÞ im Intervall a x b versteht man die Größe ylinear 1 ¼ ba ðb f ðxÞ dx ðV-142Þ a Anmerkung Man beachte, dass der lineare Mittelwert vom Intervall a x b abhängig ist. Der lineare Mittelwert einer Funktion lässt sich wie folgt geometrisch deuten (wir setzen dabei f ðxÞ > 0 voraus): ber dem Intervall a x b soll ein Rechteck mit der (zunächst noch unbekannten) Höhe h errichtet werden und zwar so, dass es den gleichen Flächeninhalt besitzt wie das von der Kurve y ¼ f ðxÞ, der x-Achse und den beiden Parallelen x ¼ a und x ¼ b begrenzte Flächenstück (Bild V-74). y y = f(x) h = y linear a b x Bild V-74 Zum Begriff des linearen Mittelwertes einer Funktion y ¼ f ðxÞ im Intervall a x b (die beiden grau unterlegten Teilflächen sind flächengleich) Somit muss gelten: ðb f ðxÞ dx h ðb aÞ ¼ a ðV-143Þ 532 V Integralrechnung Für die Höhe h erhalten wir daraus den Wert 1 h ¼ ba ðb f ðxÞ dx ðV-144Þ a Dies aber ist genau der lineare Mittelwert der Funktion y ¼ f ðxÞ im Intervall a x b, d. h. es gilt h ¼ ylinear . Der lineare Mittelwert ist somit eine Art mittlere Ordinate der Kurve y ¼ f ðxÞ im Intervall a x b. Quadratischer Mittelwert Definition: Unter dem quadratischen Mittelwert einer Funktion y ¼ f ðxÞ im Intervall a x b versteht man die Größe vffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi u ðb u u 1 ½ f ðxÞ 2 dx ðV-145Þ yquadratisch ¼ t ba a Zeitliche Mittelwerte In der Elektrotechnik werden lineare und quadratische Mittelwerte von zeitabhängigen periodischen Funktionen y ¼ f ðtÞ benötigt. Sie werden jeweils über eine Periodendauer T gebildet. Beispiele dafür sind der Effektivwert eines Wechselstroms bzw. einer Wechselspannung sowie die durchschnittliche Wirkleistung eines Wechselstroms. Zusammenfassend gilt somit: Linearer und quadratischer zeitlicher Mittelwert einer periodischen Funktion Der lineare bzw. quadratische zeitliche Mittelwert einer periodischen Funktion y ¼ f ðtÞ mit der Periodendauer T lässt sich wie folgt berechnen (die Integration erfolgt über ein Periodenintervall der Länge T ): ð 1 ylinear ¼ f ðtÞ dt ðV-146Þ T ðTÞ yquadratisch vffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð u1 ¼ u ½ f ðtÞ 2 dt t T ðTÞ ðV-147Þ 10 Anwendungen der Integralrechnung & 533 Beispiele (1) Wir berechnen den linearen Mittelwert der Logarithmusfunktion y ¼ ln x im Intervall 1 x 5 (Bild V-75) ylinear 1 ¼ 51 ¼ 1 4 ð5 ln x dx ¼ i5 1 h x ðln x 1Þ ¼ 1 4 1 5 ðln 5 1Þ 1 ðln 1 1Þ y ¼ 1 4 3,0472 þ 1 1,012 y = ln x 1 y linear ≈ 1,01 Bild V-75 1 (2) 2 3 4 5 x Durchschnittsgeschwindigkeit eines Fahrzeugs in einem Zeitintervall Aus der Physik ist bekannt: Die Durchschnittsgeschwindigkeit v eines Fahrzeugs in einem Zeitintervall Dt ¼ t 2 t 1 wird ermittelt, indem man den in diesem Zeitintervall zurückgelegten Weg Ds ¼ s 2 s 1 durch das Zeitintervall dividiert: v ¼ Ds s2 s1 ¼ Dt t2 t1 (siehe hierzu Bild V-76). t1 Dt t2 s1 Ds s2 Bild V-76 s v ist aber nichts anderes als der lineare Mittelwert des Geschwindigkeit-Zeit-Gesetzes v ¼ v ðtÞ im Zeitintervall Dt ¼ t 2 t 1 . Denn aus der Definitionsformel (V-142) folgt unmittelbar unter Beachtung der bereits aus Abschnitt 10.1.1 bekannð ten Beziehung s ðtÞ ¼ v ðtÞ dt : v linear ¼ ¼ 1 t2 t1 tð2 v ðtÞ dt ¼ t1 h i t2 1 ¼ s ðtÞ t1 t2 t1 1 s2 s1 Ds ¼ v ½ s ðt 2 Þ s ðt 1 Þ ¼ ¼ t2 t1 Dt t2 t1 (unter Beachtung von s ðt 1 Þ ¼ s 1 und s ðt 2 Þ ¼ s 2 ). 534 (3) V Integralrechnung Durchschnittliche Leistung P eines sinusförmigen Wechselstroms In einem Wechselstromkreis erzeuge die (zeitabhängige) sinusförmige Wechselspannung u ðtÞ ¼ u 0 sin ðw tÞ den phasenverschobenen Wechselstrom i ðtÞ ¼ i 0 sin ðw t þ jÞ gleicher Kreisfrequenz w (u 0 , i 0 : Scheitelwerte; j: Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung). Die momentane (zeitabhängige) Leistung p ist dann definitionsgemäß das Produkt aus Spannung u und Stromstärke i: p ¼ p ðtÞ ¼ u ðtÞ i ðtÞ ¼ u 0 i 0 sin ðw tÞ sin ðw t þ jÞ ¼ ¼ u 0 i 0 sin ðw tÞ ½ sin ðw tÞ cos j þ cos ðw tÞ sin j ¼ ¼ u 0 i 0 ½ cos j sin 2 ðw tÞ þ sin j sin ðw tÞ cos ðw tÞ (wir haben dabei das Additionstheorem der Sinusfunktion verwendet). Den linearen zeitlichen Mittelwert während einer Periode T berechnet man definitionsgemäß aus Gleichung (V-146), wobei wir p linear ¼ P setzen: P ¼ p linear 1 ¼ T ðT 1 p ðtÞ dt ¼ T 0 u0 i0 ¼ T ðT u ðtÞ i ðtÞ dt ¼ 0 ðT ½ cos j sin 2 ðw tÞ þ sin j sin ðw tÞ cos ðw tÞ dt ¼ 0 8 9 ðT ðT = u0 i0 < ¼ cos j sin 2 ðw tÞ dt þ sin j sin ðw tÞ cos ðw tÞ dt ; T : 0 0 In der Integraltafel der Formelsammlung finden wir für die beiden Integrale die folgenden Lösungen: ð sin 2 ðw tÞ dt ¼ 1 1 t sin ð2 w tÞ 2 4w ð sin ðw tÞ cos ðw tÞ dt ¼ 1 sin 2 ðw tÞ 2w ðIntegral Nr: 205Þ ðIntegral Nr: 254Þ Für die durchschnittliche Wirkleistung während einer Periode erhalten wir damit unter Berücksichtigung von w T ¼ 2 p und sin 0 ¼ sin ð2 pÞ ¼ sin ð4 pÞ ¼ 0 den folgenden Ausdruck für die Wirkleistung: 10 Anwendungen der Integralrechnung u0 i0 P ¼ T ( 535 T) T 1 1 1 2 ¼ cos j t sin ð2 w tÞ þ sin j sin ðw tÞ 2 4w 2w 0 0 1 1 1 2 T sin ð2 w TÞ þ sin j sin ðw TÞ ¼ cos j 2 4w 2w u0 i0 T 1 sin j 2 sin ð4 pÞ þ sin ð2 pÞ ¼ ¼ cos j 2 4w 2w T u0 i0 ¼ T ¼ u0 i0 T u0 i0 cos j cos j ¼ T 2 2 Die Scheitelwerte u 0 und i 0 lassen sich noch wie folgt durch die Effektivwerte U und I ausdrücken (siehe hierzu auch das nachfolgende Beispiel): pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi u0 ¼ U 2 , i0 ¼ I 2 Unter Berücksichtigung dieser Beziehungen erhält man für den Mittelwert der Wirkleistung eines sinusförmigen Wechselstroms pffiffiffi pffiffiffi u0 i0 U 2 I 2 P ¼ cos j ¼ cos j ¼ U I cos j 2 2 (4) Effektivwerte von Strom und Spannung (quadratische Mittelwerte) Der Effektivwert eines Wechselstroms bzw. einer Wechselspannung ist definitionsgemäß der quadratische zeitliche Mittelwert während einer Periode T: vffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi vffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi u u ðT ðT u u u1 u1 2 ½ i ðtÞ dt , ½ u ðtÞ 2 dt U ¼ t I ¼ t T T 0 0 Für einen sinusförmigen Wechselstrom i ðtÞ ¼ i 0 sin ðw tÞ erhält man unter Berücksichtigung von w T ¼ 2 p und sin 0 ¼ sin ð4 pÞ ¼ 0 ðT ðT ½ i ðtÞ 2 dt ¼ i 20 0 sin 2 ðw tÞ dt ¼ i 20 0 T 1 1 t sin ð2 w tÞ ¼ 2 4w 0 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} Integral Nr: 205 T 1 T 1 i2 T sin ð2 w TÞ ¼ i 20 sin ð4 pÞ ¼ 0 2 4w 2 4 w |fflfflfflfflffl{zfflfflfflfflffl} 2 0 Der Effektivwert des Wechselstroms beträgt somit: vffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi u ðT u 1 i 20 T i0 u1 2 ½ i ðtÞ dt ¼ ¼ pffiffiffiffiffi ¼ 0,707 i 0 I ¼ t T 2 T 2 ¼ i 20 0 536 V Integralrechnung Analog berechnet sich der Effektivwert einer sinusförmigen Wechselspannung u ðtÞ ¼ u 0 sin ðw tÞ zu u0 U ¼ pffiffiffiffiffi ¼ 0,707 u 0 2 & 10.8 Schwerpunkt homogener Flächen und Körper 10.8.1 Grundbegriffe Statisches Moment einer Kraft Ein Massenpunkt der Masse m besitze von einer (vertikalen) Bezugsachse den senkrechten Abstand r (Bild V-77). Dann erzeugt die Gewichtskraft G ¼ m g definitionsgemäß ein statisches Moment 19) vom Betrage M ¼ Gr ¼ mgr ðV-148Þ Bei einem räumlichen Körper muss die Masse m zunächst in eine große Anzahl von Teilmassen zerlegt werden. Wir betrachten jetzt ein solches infinitesimal kleines Massenelement dm im senkrechten Abstand r von der Bezugsachse (Bild V-78). Bezugsachse Bezugsachse Körper der Masse m r m r dm dG = (dm) g = g dm G = mg Bild V-77 Bild V-78 Dieses Massenelement liefert dann zum Gesamtmoment M den folgenden Beitrag: dM ¼ ðdGÞ r ¼ ðdmÞ g r ¼ g r dm ðV-149Þ (dG ¼ dm g ¼ g dm ist das Gewicht des Massenelementes dm). Durch Aufsummieren sämtlicher Teilbeträge dM, d. h. durch Integration erhält man schließlich das Gesamtmoment M: ð ð M ¼ dM ¼ g r dm ðV-150Þ ðmÞ 19) ðmÞ Andere, übliche Bezeichnungen sind Drehmoment oder Moment 1. Ordnung. 10 Anwendungen der Integralrechnung 537 Schwerpunkt oder Massenmittelpunkt eines Körpers Unter dem Schwerpunkt S eines Körpers (auch Massenmittelpunkt genannt) wird definitionsgemäß derjenige Punkt verstanden, in dem die Gesamtmasse des Körpers vereinigt gedacht werden muss, damit dieser fiktive Massenpunkt ein gleich großes statisches Moment erzeugt wie der reale Körper selbst (Bild V-79). Bezugsachse Körper der Masse m (Volumen V) rS S Bild V-79 Schwerpunkt eines räumlichen Körpers r Massenelement dm (Volumenelement dV) Ist r S der senkrechte Abstand des Schwerpunktes S von der Bezugsachse (bzw. Bezugsebene), so gilt also ð ð M ¼ m g rS ¼ g r dm ¼ g r dm ðV-151Þ ðmÞ ðmÞ und weiter (nach Kürzen durch g) ð r dm m rS ¼ ðV-152Þ ðmÞ Bei allen weiteren Betrachtungen gehen wir von einem homogenen Körper der konstanten Dichte r aus. Da m ¼ r V und somit dm ¼ r dV ist, lässt sich die Beziehung (V-152) auch auf die Form ð ð ð r r dV ¼ r r dV oder V rS ¼ r dV ðV-153Þ r V rS ¼ ðVÞ ðVÞ ðVÞ bringen. dV ist dabei das Volumen des Massenelementes dm und wird daher auch als Volumenelement bezeichnet, V ist das Gesamtvolumen des Körpers mit der Masse m. Die Integration ist über das gesamte Volumen zu erstrecken (Summation über sämtliche Volumenelemente). Aus dieser Gleichung gewinnt man für den Schwerpunktsabstand r S die wichtige Integralformel ð 1 r dV ðV-154Þ rS ¼ V ðVÞ 538 V Integralrechnung Durch Wahl einer geeigneten Bezugsachse in jeder der drei Koordinatenebenen erhält man hieraus die folgenden Formeln für die Schwerpunktskoordinaten x S , y S und z S : Schwerpunkt eines homogenen räumlichen Körpers (Bild V-79) Für die Schwerpunktskoordinaten x S , y S und z S eines homogenen räumlichen Körpers vom Volumen V gelten die folgenden Integralformeln: ð ð ð 1 1 1 x dV , yS ¼ y dV , zS ¼ z dV xS ¼ V V V ðVÞ ðVÞ ðVÞ ðV-155Þ 10.8.2 Schwerpunkt einer homogenen ebenen Fläche Bei flächenhaften Körpern mit konstanter Dicke h wie z. B. dünnen Scheiben oder Platten liegt der Schwerpunkt S im Abstand h=2 oberhalb der (ebenen) Grundfläche vom Flächeninhalt A (die Grundfläche legen wir in die x, y-Ebene). Die Schwerpunktskoordinaten x S , y S und z S lassen sich dann aus den Gleichungen (V-155) unter Berücksichtigung von V ¼ A h und dV ¼ ðdAÞ h ¼ h dA wie folgt bestimmen: ð ð ð ð 1 1 h 1 xS ¼ x dV ¼ x h dA ¼ x dA ¼ x dA V Ah Ah A yS ¼ zS ¼ 1 V ðVÞ ðAÞ ðAÞ ð ð ð y dV ¼ ðVÞ 1 Ah y h dA ¼ ðAÞ h Ah ðAÞ y dA ¼ ðAÞ 1 A ð y dA ðV-156Þ ðAÞ h 2 Dabei ist die Integration über die gesamte Grundfläche A zu erstrecken. Für h ! 0 erhält man eine in der x, y-Ebene liegende Fläche vom Flächeninhalt A, deren Schwerpunktskoordinaten x S und y S wie folgt berechnet werden (z S ¼ 0 für h ! 0; siehe Bild V-80): Schwerpunkt einer homogenen ebenen Fläche (Bild V-80) Für die Schwerpunktskoordinaten x S und y S einer homogenen ebenen Fläche vom Flächeninhalt A gelten die folgenden Integralformeln: ð ð 1 1 x dA , yS ¼ y dA ðV-157Þ xS ¼ A A ðAÞ ðAÞ 10 Anwendungen der Integralrechnung 539 y Flächenhafter Körper (Flächeninhalt A) A yS y xS S x Flächenelement d A yS xS Bild V-80 Schwerpunkt S eines flächenhaften Körpers konstanter Dichte y x x Anmerkungen (1) Modell einer homogenen Fläche: hauchdünne homogene Platte. (2) Summiert, d. h. integriert wird über alle Flächenelemente dA in der Fläche A. (3) Die in den Gleichungen (V-157) auftretenden Integrale sind die wie folgt definierten statischen Momente der Fläche A: ð ð Mx ¼ dM x ¼ y dA ¼ y S A: Statisches Moment bezüglich der x-Achse ðAÞ ðAÞ ð My ¼ ð dM y ¼ ðAÞ x dA ¼ x S A: Statisches Moment bezüglich der y-Achse ðAÞ dM x ¼ y dA und dM y ¼ x dA sind dabei die statischen Momente des Flächenelementes dA bezüglich der x-Achse bzw. y-Achse. Wir gehen jetzt zur Berechnung der Schwerpunktskoordinaten x S und y S einer homogenen ebenen Fläche über, die von der Kurve y ¼ f ðxÞ, der x-Achse und den Geraden x ¼ a und x ¼ b berandet wird (Bild V-81). y y = f(x) Flächenelement d A R a x dx Bild V-81 Zur Berechnung des Schwerpunktes einer homogenen ebenen Fläche y b x 540 V Integralrechnung In der bereits bekannten Weise zerlegen wir zunächst die Fläche in eine große Anzahl von rechteckigen Streifen. Das im Bild V-81 skizzierte (grau unterlegte) Flächenelement besitzt die Breite dx, die Höhe y und somit den Flächeninhalt dA ¼ y dx. Der Schwerpunkt R dieses Streifens liegt dann aus Symmetriegründen im Schnittpunkt der beiden Flächendiagonalen. Seine Koordinaten x R und y R lauten daher wie folgt: xR ¼ x , 1 y 2 yR ¼ ðV-158Þ Zu den statischen Momenten M x und M y der Gesamtfläche A liefert dieses Flächenelement dann die folgenden Beiträge: dM x ¼ y R dA ¼ 1 1 2 y ðy dxÞ ¼ y dx 2 2 ðV-159Þ dM y ¼ x R dA ¼ x ðy dxÞ ¼ x y dx Durch Summation über sämtliche in der Fläche liegenden streifenförmigen Flächenelemente, d. h. durch Integration in den Grenzen von x ¼ a bis x ¼ b erhalten wir schließlich folgende Integralformeln für die statischen Momente M x und M y der Fläche: ð Mx ¼ ðAÞ 1 dM x ¼ 2 1 y dx ¼ 2 ðAÞ f 2 ðxÞ dx a ðb dM y ¼ ðb 2 a ð My ¼ ðb ðV-160Þ ðb x y dx ¼ a x f ðxÞ dx a Andererseits ist M x ¼ y S A und M y ¼ x S A. Unter Berücksichtigung dieser Beziehungen gehen die Gleichungen (V-160) über in 1 yS A ¼ 2 ðb 1 y dx ¼ 2 a ðb xS A ¼ f 2 ðxÞ dx a ðb x y dx ¼ a ðb 2 ðV-161Þ x f ðxÞ dx a Durch Auflösen nach x S bzw. y S gewinnt man hieraus die folgenden Integralformeln für die Koordinaten des Flächenschwerpunktes S: 10 Anwendungen der Integralrechnung 541 Schwerpunkt einer homogenen ebenen Fläche zwischen einer Kurve und der x-Achse (Bild V-81) Die Koordinaten x S und y S des Schwerpunktes einer homogenen ebenen Fläche, die von einer Kurve y ¼ f ðxÞ, a x b und der x-Achse berandet wird, lassen sich wie folgt berechnen: 1 xS ¼ A ðb 1 x y dx ¼ A a yS ¼ 1 2A ðb x f ðxÞ dx a ðb y 2 dx ¼ 1 2A a ðV-162Þ ðb f 2 ðxÞ dx a A: Flächeninhalt, berechnet nach der Integralformel (V-119) Voraussetzung: Die Kurve y ¼ f ðxÞ liegt im Intervall a x b oberhalb der x-Achse. Auf analoge Art und Weise lassen sich Formelausdrücke für die Schwerpunktskoordinaten x S bzw. y S einer Fläche herleiten, die von den beiden Kurven y o ¼ f o ðxÞ und y u ¼ f u ðxÞ und den beiden Geraden x ¼ a und x ¼ b berandet wird (Bild V-82). Wir setzen dabei voraus, dass überall im Intervall a x b die Bedingung f o ðxÞ f u ðxÞ erfüllt ist. y o = f o (x) y yS S Bild V-82 Schwerpunkt einer von zwei Kurven berandeten homogenen Fläche y u = f u (x) a xS b x 542 V Integralrechnung Die Integralformeln für die Koordinaten des Flächenschwerpunktes lauten dann wie folgt: Schwerpunkt einer homogenen ebenen Fläche zwischen zwei Kurven (Bild V-82) Die Koordinaten x S und y S des Schwerpunktes einer homogenen ebenen Fläche, die von den Kurven y o ¼ f o ðxÞ und y u ¼ f u ðxÞ und den beiden Parallelen x ¼ a und x ¼ b berandet wird, lassen sich wie folgt berechnen: 1 xS ¼ A ðb 1 x ðy o y u Þ dx ¼ A a yS ¼ 1 2A ðb x ½ f o ðxÞ f u ðxÞ dx a ðb ðy 2o y 2u Þ dx ¼ 1 2A a ðV-163Þ ðb ½ ð f o ðxÞÞ 2 ð f u ðxÞÞ 2 dx a A: Flächeninhalt, berechnet nach der Integralformel (V-122) Voraussetzung: f o ðxÞ f u ðxÞ im Intervall a x b Anmerkung Ist die untere Berandung die x-Achse, also y u ¼ f u ðxÞ ¼ 0, so erhält man aus den Integralformeln (V-163) den bereits bekannten Sonderfall (V-162). & Beispiele (1) Wir berechnen die Schwerpunktskoordinaten einer oberhalb der x-Achse liegenden homogenen Halbkreisfläche vom Radius R (hauchdünne halbkreisförmige Platte aus einem homogenen Material; Bild V-83). y y = R2 – x 2 S yS –R R x Bild V-83 Zur Berechnung der Schwerpunktskoordinaten einer homogenen Halbkreisfläche Aus Symmetriegründen liegt der Schwerpunkt S auf der y-Achse, also ist x S ¼ 0 (eine Rechnung ist somit überflüssig). Für die Ordinate y S des Flächenschwer- 10 Anwendungen der Integralrechnung 543 punktes S erhalten wir nach Formel (V-162) mit A ¼ p R 2 =2 und unter Berücksichtigung der Achsensymmetrie: 1 yS ¼ p R2 ðR 1 ðR x Þ dx ¼ 2 p R2 2 R ðR ðR 2 x 2 Þ dx ¼ 2 0 2 1 3 R 2 1 3 2 2 3 2 3 ¼ x R R ¼ ¼ R x ¼ R 2 2 p R2 3 p R 3 p R 3 0 ¼ 4 R ¼ 0,424 R 3p Flächenschwerpunkt: S ¼ ð0; 0,424 RÞ (2) Die Aufgabe besteht in der Berechnung des Schwerpunktes S des in Bild V-84 skizzierten flächenhaften Werkstückes aus einem homogenen Material. y/cm y o = 3 cm 3 yu = x S Bild V-84 –2 3 x /cm –2 y u = – 2 cm Lösung: Wir berechnen zunächst auf elementarem Wege den Flächeninhalt A des Werkstückes, das sich aus einem Rechteck (hellgrau unterlegt) und einem gleichschenkligen Dreieck (dunkelgrau unterlegt) zusammensetzt: A ¼ 2 cm 5 cm þ 1 3 cm 3 cm ¼ 10 cm 2 þ 4,5 cm 2 ¼ 14,5 cm 2 2 Das Flächenstück wird im Intervall 2 x=cm 3 oben von der Geraden y o ¼ f o ðxÞ ¼ 3 cm berandet. Die untere Berandung besteht dagegen aus zwei Teilstücken: 8 9 2 x=cm 0 = < 2 cm f ür y u ¼ f u ðxÞ ¼ : ; x 0 x=cm 3 544 V Integralrechnung Wir berechnen zunächst die Schwerpunktskoordinate x S , wobei wir das Integral in zwei Teilintegrale aufspalten müssen: 0 0 cm 1 3ð cm ð 1 @ xS ¼ x ð3 cm þ 2 cmÞ dx þ x ð3 cm xÞ dxA ¼ 14,5 cm 2 2 cm 0 cm 0 0 cm 1 3ð cm ð 1 2 @ ¼ 5 cm x dx þ ð3 cm x x Þ dxA ¼ 14,5 cm 2 2 cm 1 ¼ 14,5 cm 2 ¼ 0 cm 0 cm 2,5 cm x 2 1 3 x þ 1,5 cm x 3 3 cm ! ¼ 2 2 cm 0 cm 1 5,5 cm 3 ð 10 cm 3 þ 4,5 cm 3 Þ ¼ ¼ 0,38 cm 2 14,5 cm 14,5 cm 2 Für die Schwerpunktskoordinate y S erhält man analog: 0 0 cm 1 3ð cm ð 1 @ ð9 cm 2 4 cm 2 Þ dx þ ð9 cm 2 x 2 Þ dxA ¼ yS ¼ 29 cm 2 2 cm 0 cm 0 0 cm 1 3ð cm ð 1 @ ¼ 5 cm 2 dx þ ð9 cm 2 x 2 Þ dxA ¼ 29 cm 2 2 cm 1 ¼ 29 cm 2 ¼ 0 cm 0 cm 5 cm x 2 1 3 þ 9 cm x x 3 3 cm ! ¼ 2 2 cm 0 cm 1 28 cm 3 3 3 ð10 cm þ 18 cm Þ ¼ ¼ 0,97 cm 29 cm 2 29 cm 2 Der Flächenschwerpunkt S besitzt damit die folgenden Koordinaten: x S ¼ 0,38 cm , y S ¼ 0,97 cm : & 10.8.3 Schwerpunkt eines homogenen Rotationskörpers Bei einem homogenen Rotationskörper liegt der Schwerpunkt stets auf der Drehachse. Fällt ferner die Rotationsachse in eine der Koordinatenachsen (x-Achse oder y-Achse), so besitzen zwei der drei Schwerpunktskoordinaten den Wert Null. 10 Anwendungen der Integralrechnung 545 Rotation einer Kurve um die x-Achse Der Rotationskörper wird durch Drehung des Kurvenstücks y ¼ f ðxÞ, a x b um die x-Achse erzeugt (Bild V-85). y y = f(x) Bild V-85 Zur Berechnung des Schwerpunktes eines zur x-Achse symmetrischen homogenen Rotationskörpers a S b x Der Schwerpunkt S liegt daher auf der x-Achse, d. h. es ist y S ¼ z S ¼ 0. Für die x-Koordinate folgt dann aus Gleichung (V-155) unter Berücksichtigung des Volumenelementes dV x ¼ p y 2 dx (Zylinderscheibe der Dicke dx, Radius y): 1 xS ¼ Vx ð ðVÞ 1 x dV x ¼ Vx ðb p x p y dx ¼ Vx ðb 2 a x y 2 dx ðV-164Þ a Schwerpunkt eines homogenen Rotationskörpers (Rotationsachse ¼ x-Achse; Bild V-85) Der Schwerpunkt S eines homogenen Rotationskörpers, der durch Drehung einer Kurve y ¼ f ðxÞ, a x b um die x-Achse entsteht, liegt auf der Drehachse (hier also auf der x-Achse). Daher verschwinden die Schwerpunktskoordinaten y S und z S : yS ¼ 0 zS ¼ 0 und ðV-165Þ Die x-Koordinate des Schwerpunktes lässt sich wie folgt berechnen: p xS ¼ Vx ðb p x y dx ¼ Vx ðb x ½ f ðxÞ 2 dx 2 a a V x : Rotationsvolumen, berechnet nach der Integralformel (V-125) ðV-166Þ 546 V Integralrechnung Rotation einer Kurve um die y-Achse Analoge Formeln erhält man bei Drehung der Kurve x ¼ g ðyÞ, c y d um die y-Achse (Bild V-86). y d S x = g(y) Bild V-86 Zur Berechnung des Schwerpunktes eines zur y-Achse symmetrischen homogenen Rotationskörpers c x Schwerpunkt eines homogenen Rotationskörpers (Rotationsachse ¼ y-Achse; Bild V-86) Der Schwerpunkt S eines homogenen Rotationskörpers, der durch Drehung einer Kurve x ¼ g ðyÞ, c y d um die y-Achse entsteht, liegt auf der Drehachse (hier also auf der y-Achse). Daher verschwinden die Schwerpunktskoordinaten x S und z S : xS ¼ 0 zS ¼ 0 und ðV-167Þ Die y-Koordinate des Schwerpunktes lässt sich wie folgt berechnen: p yS ¼ Vy ðd p y x dy ¼ Vy ðd y ½ g ðyÞ 2 dy 2 c ðV-168Þ c V y : Rotationsvolumen, berechnet nach der Integralformel (V-128) Anmerkung In der Regel liegt die Funktionsgleichung in der Form y ¼ f ðxÞ vor und muss dann noch nach x aufgelöst werden ! x ¼ g ðyÞ. & Beispiele (1) Wo liegt der Schwerpunkt S des homogenen Drehkörpers, der durch Rotation der in Bild V-87 a) grau unterlegten Fläche um die x-Achse entsteht? 10 Anwendungen der Integralrechnung 547 y y y= 4–x 2 2 1 1 1 x 4 S a) 4 x b) pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Bild V-87 Durch Drehung der Kurve y ¼ 4 x , 0 x 4 (Bild a)) um die x-Achse entsteht der in Bild b) skizzierte homogene Drehkörper Lösung: Aus Symmetriegründen ist y S ¼ z S ¼ 0. Für die Berechnung der Schwerpunktskoordinate x S benötigen wir noch das Rotationsvolumen V x , für das uns die Integralformel (V-125) den folgenden Wert liefert: ð4 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð4 1 2 4 2 V x ¼ p ð 4 x Þ dx ¼ p ð4 xÞ dx ¼ p 4 x x ¼ 2 0 0 0 ¼ p ð16 8Þ ¼ 8 p Damit erhalten wir für die Schwerpunktskoordinate x S nach der Formel (V-166) xS ¼ p 8p 1 ¼ 8 ð4 ð4 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 x ð 4 x Þ 2 dx ¼ x ð4 xÞ dx ¼ 8 0 ð4 0 1 ð4 x x Þ dx ¼ 8 2 1 3 2x x 3 0 ¼ 2 4 1 ¼ 8 0 64 32 ¼ 3 1 96 64 1 32 4 ¼ ¼ 8 3 8 3 3 Der Schwerpunkt S des Rotationskörpers besitzt demnach die Koordinaten x S ¼ 4=3, y S ¼ 0 und z S ¼ 0. (2) Durch Rotation des in Bild V-88 skizzierten Geradenstücks um die x-Achse entsteht ein (homogener) gerader Kreiskegel mit dem Grundflächenradius r und der Höhe h. 548 V Integralrechnung y y r y= x h r h S x a) h x b) Bild V-88 Zur Berechnung des Schwerpunktes eines homogenen geraden Kreiskegels r a) Geradenstück mit der Gleichung y ¼ x, 0 x h h b) Durch Rotation des Geradenstücks um die x-Achse erzeugter Kegel Der Schwerpunkt S liegt aus Symmetriegründen auf der x-Achse, d. h. es gilt y S ¼ z S ¼ 0. Für die Koordinate x S erhalten wir nach Formel (V-166) den folgenden Wert (das Kegelvolumen beträgt bekanntlich V ¼ p r 2 h=3): xS ¼ p 1 p r2 h 3 ðh x r h 2 x dx ¼ ðh 3 r2 h 0 r2 ¼ 2 2 r h h 3 ðh x r2 x 2 dx ¼ h2 0 3 x dx ¼ 3 h 3 1 4 x 4 0 h ¼ 0 3 1 4 3 h ¼ h 3 h 4 4 Der Schwerpunkt des Kegels liegt also auf der Symmetrieachse im Abstand 3 h=4 von der Kegelspitze (von der Grundfläche aus gemessen beträgt der Abstand h=4). (3) Wir berechnen die Lage des Schwerpunktes einer homogenen Halbkugel vom Radius r. Dieser Rotationskörper lässt sich durch Drehung der in Bild V-89 skizzierten Viertelkreisfläche um die y-Achse erzeugen. y y x = r2– y2 r S r a) x x b) Bild V-89 Durch Rotation der in Bild a) gezeichneten Viertelkreislinie um die y-Achse entsteht die in Bild b) skizzierte homogene Halbkugel 10 Anwendungen der Integralrechnung 549 Die Funktionsgleichung der rotierenden Kreislinie erhält man durch Auflösen der Kreisgleichung x 2 þ y 2 ¼ r 2 nach x: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð0 y rÞ x ¼ g ðyÞ ¼ r2 y2 Wegen der Rotationssymmetrie liegt der Schwerpunkt diesmal auf der y-Achse: x S ¼ z S ¼ 0. Für y S liefert die Integralformel (V-168) den folgenden Wert (das Volumen einer Halbkugel ist bekanntlich V ¼ 2 p r 3 =3): yS ¼ ðr pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 ðr 3 2 2 y r y dy ¼ y ðr 2 y 2 Þ dy ¼ 2r3 p 2 p r3 0 0 3 ðr 3 3 1 2 2 1 4 r 2 3 r y y ðr y y Þ dy ¼ ¼ ¼ 2r3 2r3 2 4 0 3 ¼ 2r3 0 1 4 1 4 r r 2 4 ¼ 3 1 4 3 r ¼ r 2r3 4 8 Der Schwerpunkt einer Halbkugel liegt daher auf der Symmetrieachse im Abstand & von 3=8 r oberhalb der Grundfläche. 10.9 Massenträgheitsmomente 10.9.1 Grundbegriffe und einfache Beispiele Massenträgheitsmomente treten im Zusammenhang mit Drehbewegungen von punktförmigen, flächenhaften oder räumlichen Massen auf. Sie spielen dort eine ähnliche Rolle wie die Massen bei Translationsbewegungen. Ein Massenpunkt der Masse m besitze bezüglich einer vorgegebenen Drehachse (Bezugsachse) den senkrechten Abstand r (Bild V-90). Dann versteht man definitionsgemäß unter dem Massenträgheitsmoment J bezüglich dieser Achse das Produkt ðV-169Þ J ¼ r2 m Bezugsachse Bezugsachse Körper der Masse m (Volumen V) r m r dm Massenelement dm (Volumenelement dV) Bild V-90 Bild V-91 Zum Begriff des Massenträgheitsmomentes eines räumlichen Körpers 550 V Integralrechnung Bei kontinuierlichen Massen wird der Körper in eine große Anzahl infinitesimal kleiner Massenelemente dm zerlegt. Jedes Massenelement dm steuert dann den Beitrag d J ¼ r 2 dm ðV-170Þ zum Gesamtmassenträgheitsmoment J des Körpers bei (r ist der senkrechte Abstand des Massenelementes von der Bezugsachse, siehe hierzu Bild V-91). Durch Summation, d. h. Integration über sämtliche Beiträge d J erhält man schließlich bei homogener Massenverteilung, d. h. konstanter Dichte r und unter Berücksichtigung der Beziehung dm ¼ r dV das Massenträgheitsmoment J des räumlichen Körpers: Massenträgheitsmoment eines homogenen räumlichen Körpers (Bild V-91) ð ð ð dJ ¼ r 2 dm ¼ r r 2 dV ðV-171Þ J ¼ ðmÞ ðmÞ ðVÞ Dabei bedeuten: r: Senkrechter Abstand des Massenelementes dm bzw. Volumenelementes dV von der gewählten Bezugsachse r: Konstante Dichte des Körpers Man beachte: Das Massenträgheitsmoment ist keine absolute Größe, sondern stets abhängig von der gewählten Bezugsachse (siehe hierzu auch den sog. Satz von Steiner im folgenden Abschnitt 10.9.2). & Beispiele (1) Für eine homogene kreisförmige Scheibe vom Radius R und der Dicke h ist das Massenträgheitsmoment J bezüglich der Symmetrieachse (Zylinderachse) zu berechnen (die konstante Dichte sei r). Lösung: Wir zerlegen zunächst die Scheibe in eine große Anzahl konzentrischer Ringe (Bild V-92). R r dm dr Bild V-92 Zur Berechnung des Massenträgheitsmomentes einer homogenen kreisförmigen Scheibe (Zerlegung in ringförmige Elemente) 10 Anwendungen der Integralrechnung 551 Ein solcher infinitesimal schmaler Ring vom Innenradius r und der Breite dr (in Bild V-92 dunkelgrau unterlegt) besitzt die Querschnittsfläche dA ¼ 2 p r dr Begründung: Wenn man den Kreisring an einer Stelle aufschneidet und „gerade“ biegt, erhält man einen nahezu rechteckigen Streifen mit den Seitenlängen 2 p r und dr. Der Kreisring besitzt damit den Masseninhalt dm ¼ r dV ¼ r ðdAÞ h ¼ r ð2 p r drÞ h ¼ 2 p r h r dr Sein Beitrag zum Trägheitsmoment J der Scheibe beträgt definitionsgemäß d J ¼ r 2 dm ¼ r 2 2 p r h r dr ¼ 2 p r h r 3 dr Durch Summation, d. h. Integration über alle zwischen r ¼ 0 und r ¼ R gelegenen Ringelemente erhält man schließlich dJ ¼ 2prh ðmÞ ðR ð J ¼ r 3 dr ¼ 2 p r h 1 4 r 4 R 0 ¼ 0 1 p r h R4 2 Beachtet man, dass die Scheibenmasse durch m ¼ r V ¼ r p R 2 h gegeben ist, so lässt sich das Massenträgheitsmoment der Scheibe auch wie folgt durch Masse m und Radius R ausdrücken: J ¼ (2) 1 1 1 p r h R4 ¼ ðr p R 2 hÞ R 2 ¼ m R2 2 2 |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} 2 m Es ist das Massenträgheitsmoment eines homogenen zylindrischen Stabes bezüglich der Schwerpunktachse zu bestimmen, die senkrecht zur Stabachse verläuft (Bild V-93). Dabei wird vorausgesetzt, dass der Durchmesser des Stabes klein ist gegenüber der Stablänge (l: Stablänge; A: Querschnittsfläche des Stabes; r: Konstante Dichte des Materials). y dx dm S l – 2 x x l 2 Bild V-93 Zur Berechnung des Massenträgheitsmomentes eines homogenen Stabes (Zerlegung in Zylinderscheiben) 552 V Integralrechnung Lösung: Aus Symmetriegründen liegt der Schwerpunkt S in der Stabmitte. Wir wählen ihn daher als Ursprung des Koordinatensystems (Bild V-93). Die y-Achse ist dann die Bezugsachse (Schwerpunktachse). Der Stab wird nun durch Schnitte senkrecht zur Stabachse in eine große Anzahl von Zylinderscheiben zerlegt. Ein solches infinitesimal dünnes Scheibchen der Dicke dx besitzt den Masseninhalt dm ¼ r dV ¼ r A dx und liefert damit zum Gesamtträgheitsmoment J den Beitrag d J ¼ x 2 dm ¼ x 2 r A dx ¼ r A x 2 dx Denn der Abstand dieser in Bild V-93 dunkelgrau unterlegten Scheibe von der gewählten Bezugsachse ( y-Achse) ist durch die Koordinate x gegeben. Durch Integration sämtlicher zwischen x ¼ l=2 und x ¼ l=2 gelegener Elemente erhält man schließlich das gesuchte Massenträgheitsmoment 20) : l=2 ð ð dJ ¼ rA J ¼ ðmÞ ¼ 2rA x dx ¼ 2 r A l=2 " 1 3 l=2 ð x 2 dx ¼ 2 r A 2 0 # 3 l 0 2 ¼ 2rA 1 3 x 3 l=2 ¼ 0 1 l3 1 r A l3 ¼ 3 8 12 Wir drücken das Massenträgheitsmoment J noch durch die Zylindermasse m ¼ r V ¼ r A l und die Stablänge l aus und bekommen die aus der Mechanik bereits bekannte Formel J ¼ 1 1 1 r A l3 ¼ ðr A lÞ l 2 ¼ m l2 12 12 |fflffl{zfflffl} 12 m & 10.9.2 Satz von Steiner Von besonderer Bedeutung sind in den Anwendungen Massenträgheitsmomente, die auf eine durch den Körperschwerpunkt S verlaufende Achse bezogen werden (sog. Schwerpunktachsen). Trägheitsmomente dieser Art werden im Folgenden durch das Symbol J S gekennzeichnet. Ist nun das Trägheitsmoment J S (bezogen auf eine bestimmte Schwerpunktachse) bekannt, so lässt sich daraus mit Hilfe einer von Steiner stammenden Bezie- 20) Aus Symmetriegründen können wir die Integration auf das Intervall von x ¼ 0 bis x ¼ l=2 beschränken ( Faktor 2). 10 Anwendungen der Integralrechnung 553 hung das Trägheitsmoment J A bezüglich einer zur gewählten Schwerpunktachse parallel verlaufenden Bezugsachse A wie folgt berechnen (Bild V-94): Satz von Steiner für Massenträgheitsmomente (Bild V-94) JA ¼ JS þ m d 2 ðV-172Þ Dabei bedeuten: JS: Massenträgheitsmoment des Körpers, bezogen auf eine (spezielle) Schwerpunktachse S JA: Massenträgheitsmoment des Körpers, bezogen auf eine zu dieser speziellen Schwerpunktachse S parallele Bezugsachse A m: Masse des homogenen Körpers d: Abstand der beiden ( parallelen) Achsen Bezugsachse A Schwerpunktachse S S Körper der Masse m Bild V-94 Zum Satz von Steiner d Anmerkungen (1) Der Summand m d 2 im Steinerschen Satz ist das Massenträgheitsmoment der im Schwerpunkt vereinigten Gesamtmasse m bezüglich der neuen Bezugsachse A. (2) Der Satz von Steiner ermöglicht die Berechnung eines Massenträgheitsmomentes bezüglich einer (beliebigen) Achse A, wenn das Trägheitsmoment bezüglich der zu A parallelen Schwerpunktachse S bekannt ist. (3) Verschiebt man eine Schwerpunktachse parallel zu sich selbst, so vergrößert sich das Massenträgheitsmoment. Das Massenträgheitsmoment hat somit seinen kleinsten Wert, wenn die Bezugsachse durch den Schwerpunkt geht (im Vergleich zu allen Parallelachsen). 554 & V Integralrechnung Beispiel Im vorangegangenen Abschnitt haben wir das Massenträgheitsmoment J S eines homogenen zylindrischen Stabes der Länge l bezüglich einer Schwerpunktachse senkrecht zur Stabachse berechnet: JS ¼ 1 m l2 12 Jetzt interessieren wir uns für das Massenträgheitsmoment J A des gleichen Stabes bezüglich einer zu dieser Schwerpunktachse parallelen Bezugsachse durch einen der beiden Endpunkte des Stabes (neue Bezugsachse ist die y-Achse, siehe Bild V-95). y Bezugsachse A d= Schwerpunktachse l 2 S x l Bild V-95 Anwendung des Steinerschen Satzes auf einen homogenen Zylinderstab Der Abstand der beiden Achsen beträgt d ¼ l=2. Aus dem Steinerschen Satz folgt dann: 2 1 l 1 1 JA ¼ JS þ m d 2 ¼ ¼ m l2 þ m m l2 þ m l2 ¼ 12 2 12 4 ¼ 1 1 þ 12 4 m l2 ¼ 1þ3 4 1 m l2 ¼ m l2 ¼ m l2 12 12 3 Das Massenträgheitsmoment hat sich demnach bei der Achsenverschiebung vervierfacht! & 10.9.3 Massenträgheitsmoment eines homogenen Rotationskörpers Rotation einer Kurve um die x-Achse Wir betrachten einen homogenen Rotationskörper, der durch Drehung des Kurvenstücks y ¼ f ðxÞ, a x b um die x-Achse entstanden ist und zerlegen ihn wiederum in der bereits bekannten Weise in eine große Anzahl dünner Scheiben (siehe hierzu auch Bild V-56). Ein solches Zylinderscheibchen der Dicke dx erhält man, wenn man das in Bild V-96 skizzierte (grau unterlegte) Rechteck mit den Seitenlängen y und dx um die x-Achse rotieren lässt. 10 Anwendungen der Integralrechnung 555 y y = f(x) y a dx b x Bild V-96 Zur Bestimmung des Massenträgheitsmomentes eines zur x-Achse symmetrischen homogenen Rotationskörpers bezüglich dieser Achse Für das Massenträgheitsmoment einer Zylinderscheibe haben wir in Abschnitt 10.9.1, Beispiel (1) bereits den Formelausdruck J Zylinder ¼ 1 m R2 2 ðV-173Þ hergeleitet (m: Zylindermasse; R: Radius der kreisförmigen Grundfläche). Aus dieser Formel erhält man den Beitrag dJ x , den unser Zylinderscheibchen zum Trägheitsmoment J x , des Rotationskörpers beisteuert, mit Hilfe der formalen Substitutionen R ! y ¼ f ðxÞ m ! dm und ðV-174Þ Es ist also d Jx ¼ 1 1 2 ðdmÞ y 2 ¼ y dm 2 2 ðV-175Þ Das Massenelement dm lässt sich noch durch die Dichte r des homogenen Körpers und das Volumenelement dV ¼ p y 2 dx ausdrücken ðdm ¼ r dVÞ. Dies führt zu dem Ausdruck d Jx ¼ 1 2 1 2 1 2 1 y dm ¼ y ðr dVÞ ¼ y r p y 2 dx ¼ p r y 4 dx 2 2 2 2 ðV-176Þ Durch Summation, d. h. Integration über die Beiträge sämtlicher zwischen x ¼ a und x ¼ b liegender Scheibchen erhält man schließlich für das Massenträgheitsmoment J x des Rotationskörpers den Formelausdruck xð ¼b Jx ¼ x¼a 1 d Jx ¼ pr 2 ðb 1 y dx ¼ pr 2 ðb ½ f ðxÞ 4 dx 4 a a ðV-177Þ 556 V Integralrechnung Wir fassen zusammen: Massenträgheitsmoment eines homogenen Rotationskörpers (Rotations- und Bezugsachse: x-Achse; siehe hierzu auch Bild V-56 und Bild V-96) Durch Drehung einer Kurve y ¼ f ðxÞ, a x b um die x-Achse entsteht ein Rotationskörper, dessen Massenträgheitsmoment J x bezüglich der Rotationsachse (d. h. hier der x-Achse) sich wie folgt berechnen lässt: 1 Jx ¼ pr 2 ðb 1 y dx ¼ pr 2 a r: ðb ½ f ðxÞ 4 dx 4 ðV-178Þ a Konstante Dichte des (homogen gefüllten) Rotationskörpers Rotation einer Kurve um die y-Achse Ein analoger Ausdruck lässt sich herleiten für das Massenträgheitsmoment J y eines zur y-Achse rotationssymmetrischen homogenen Körpers, der durch Drehung der Kurve x ¼ g ðyÞ, c y d um die y-Achse entstanden ist (siehe hierzu auch Bild V-57). Massenträgheitsmoment eines homogenen Rotationskörpers (Rotations- und Bezugsachse: y-Achse; siehe hierzu auch Bild V-57) Durch Drehung einer Kurve x ¼ g ðyÞ, c x d um die y-Achse entsteht ein Rotationskörper, dessen Massenträgheitsmoment J y bezüglich der Rotationsachse (d. h. hier der y-Achse) sich wie folgt berechnen lässt: 1 Jy ¼ pr 2 ðd c r: & 1 x dy ¼ pr 2 ðd ½ g ðyÞ 4 dy 4 ðV-179Þ c Konstante Dichte des (homogen gefüllten) Rotationskörpers Beispiele (1) Man berechne das Massenträgheitsmoment J x eines homogenen stromlinienförmigen pffiffiffiffiffiffiffi Körpers der konstanten Dichte r, der durch Rotation der Kurve y ¼ ð4 xÞ 2 x im Bereich ihrer beiden Nullstellen um die x-Achse entsteht (Bild V-97). 10 Anwendungen der Integralrechnung 557 y 5 y = (4 – x) 2 x 1 4 1 x Bild V-97 Der skizzierte homogene Körper entsteht durchpDrehung der Kurve ffiffiffiffiffiffiffi y ¼ ð4 xÞ 2 x , 0 x 4 um die x-Achse Lösung: Wir berechnen zunächst die benötigten Nullstellen der Funktion: pffiffiffiffiffiffiffi y ¼ 0 ) ð4 xÞ 2 x ¼ 0 ) x 1 ¼ 0 , x2 ¼ 4 Unter Verwendung der Integralformel (V-178) erhalten wir dann für das gesuchte Massenträgheitsmoment zunächst: ð4 1 Jx ¼ pr 2 ð4 pffiffiffiffiffiffiffi 4 1 dx ¼ ð4 xÞ 2 x p r ð4 xÞ 4 4 x 2 dx ¼ 2 0 0 ð4 ð4 xÞ 4 x 2 dx ¼ 2pr 0 Das Binom ð4 xÞ 4 entwickeln wir nach der aus Kap. I, Abschnitt 6 bekannten binomischen Formel (bitte nachrechnen): ð4 xÞ 4 ¼ ðx 4Þ 4 ¼ x 4 16 x 3 þ 96 x 2 256 x þ 256 Damit erhalten wir für das gesuchte Massenträgheitsmoment: ð4 J x ¼ 2p r ðx 4 16 x 3 þ 96 x 2 256 x þ 256Þ x 2 dx ¼ 0 ð4 ðx 6 16 x 5 þ 96 x 4 256 x 3 þ 256 x 2 Þ dx ¼ ¼ 2pr 0 ¼ 2pr ¼ 2pr 1 7 8 6 96 5 256 3 x x þ x 64 x 4 þ x 7 3 5 3 4 ¼ 0 1 8 96 256 47 46 þ 4 5 64 4 4 þ 43 7 3 5 3 ¼ 558 V Integralrechnung 1 2 6 1 47 47 þ 47 47 þ 47 7 3 5 3 1 2 6 1 ¼ 2 47 p r þ 1þ ¼ 7 3 5 3 ¼ 2pr (2) ¼ 2 47 p r 15 70 þ 126 105 þ 35 ¼ 105 ¼ 2 47 p r 1 2 47 ¼ p r ¼ 980,42 r 105 105 ¼ Die Aufgabe besteht in der Berechnung des Massenträgheitsmomentes einer homogenen Kugel bezüglich eines beliebigen Kugeldurchmessers ( Radius der Kugel: R; Konstante Dichte: r). Als Bezugsachse wählen wir den in die y-Achse fallenden Kugeldurchmesser. Aus Symmetriegründen können wir uns bei der Rechnung auf die in Bild V-89 skizzierte Halbkugel beschränken. Diese entsteht durch Rotation der im 1. Quadranten liegenden Viertelkreislinie mit der nach der Variablen x aufgelösten Funktionsgleichung pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x ¼ g ðyÞ ¼ R2 y2 ð0 y RÞ um die y-Achse. Für das Massenträgheitsmoment J y der Vollkugel erhält man somit unter Verwendung der Integralformel (V-179) den folgenden Ausdruck: 1 pr Jy ¼ 2 2 ðR pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ðR 4 2 2 ð R y Þ dy ¼ p r ðR 2 y 2 Þ 2 dy ¼ 0 0 ðR ¼ pr ðR 4 2 R 2 y 2 þ y 4 Þ dy ¼ p r R 4 y 2 2 3 1 5 R y þ y 3 5 0 R ¼ 0 2 5 1 5 2 1 ¼ p r R5 1 ¼ ¼ p r R5 R þ R þ 3 5 3 5 ¼ p r R5 15 10 þ 3 8 8 ¼ p r R5 ¼ p r R5 15 15 15 (der Faktor 2 tritt auf, weil wir uns bei der Integration auf eine Halbkugel beschränkt haben). Berücksichtigt man noch, dass Volumen V und Masse m einer Kugel durch die Formeln V ¼ 4 p R3 3 und m ¼ rV ¼ r 4 4 p R3 ¼ p r R3 3 3 gegeben sind, so erhält man schließlich für das gesuchte Massenträgheitsmoment einer Kugel, bezogen auf einen (beliebigen) Kugeldurchmesser, die aus der Physik bekannte Formel 8 2 4 2 p r R5 ¼ p r R3 R2 ¼ m R2 Jy ¼ 15 5 3 5 |fflfflfflfflffl{zfflfflfflfflffl} & m bungsaufgaben 559 bungsaufgaben Hinweis: In den Abschnitten 1 bis 7 wurden die wichtigsten Grundbegriffe der Integralrechnung behandelt (Stammfunktion, bestimmtes und unbestimmtes Integral, Grundintegrale usw.). Dem Leser wird daher empfohlen, diese Abschnitte gründlich durchzuarbeiten, bevor er sich erstmals mit den nachfolgenden bungsaufgaben auseinandersetzt. Zu Abschnitt 1 bis 7 1) Bestimmen Sie sämtliche Stammfunktionen zu: aÞ f ðxÞ ¼ 4 x 5 6 x 3 þ 8 x 2 3 x þ 5 cÞ f ðtÞ ¼ 2 e t eÞ f ðzÞ ¼ gÞ f ðuÞ ¼ 3 sin u 5 þ1 t 5 1 4 z 2 3 þ 3z 4 6 þ 7 u2 u bÞ f ðtÞ ¼ 3 sin t 4 cos t dÞ f ðxÞ ¼ fÞ 2 1 f ðxÞ ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi cos 2 x 1 x2 hÞ f ðxÞ ¼ 3 e x cos x 1 2x2 4x3 þ3 2x 2) Lösen Sie die nachstehenden unbestimmten Integrale (Grundintegrale): ð ð 1 dx aÞ ðe x þ x 2 2 x þ sin xÞ dx bÞ 10 x sin 2 x ð ð cÞ ð2 x 3Þ 2 dx dÞ 2 cos x dx eÞ ð ð gÞ 3 1 2 1þt t 5 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi du 2 u 1 ffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffi ð p 3 x5 x p ffiffiffiffiffiffiffi iÞ dx 5 x4 ð tan x dx kÞ sin ð2 xÞ ð dt fÞ 10 3 a x b sin x cosh 2 x hÞ ð 5 3x jÞ ð qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffi x x dx 1 pffiffiffiffi 2 x dx dx 560 V Integralrechnung 3) Welchen Wert besitzen die folgenden bestimmten Integrale? ðe ð4 ðx 5 x þ 1,5 x 10Þ dx 3 aÞ 2 bÞ 0 1 ðp ð2 ða sin t b cos tÞ dt dÞ eÞ 0 ð5 3 ð1 e Þ dx x hÞ 0, 5 0 p=4 ð jÞ 0 cÞ pffiffiffiffi 5 x dx ð2 1 cos 2 x dx 2 cos 2 x ð4 kÞ iÞ 0 1 u2 pffiffiffiffiffi du u cos j dj fÞ p 0ð,5 4 dt t 1 z2 dz z 1 1 ð2 gÞ ð4 dt t ð9 lÞ 1 3 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx 1 x2 pffiffiffiffi x ð2 xÞ dx 1 4) Wie lautet die Funktionsgleichung der durch den Punkt P 1 ¼ ð0; 2Þ verlaufenden Kurve mit der folgenden Ableitung? y 0 ¼ sin x þ 3 e x 1 2 4 x þ 3 1 þ x2 ða x 3 dx mit a > 0 als Grenzwert der 5) Berechnen Sie das bestimmte Integral 0 Obersumme nach Definitionsgleichung (V-18). Anleitung: Man unterteile das Integrationsintervall 0 x a mit Hilfe der Teila mit k ¼ 0, 1, . . . , n in n gleiche Teile und punkte x k ¼ k n verwende ferner die Formel n X k¼1 k 3 ¼ 13 þ 23 þ . . . þ n3 ¼ n 2 ðn þ 1Þ 2 4 bungsaufgaben 561 6) Die im Folgenden aufgeführten Integralformeln haben wir einer Integraltafel entnommen. Zeigen Sie nach dem sog. „Verifizierungsprinzip“ die Gültigkeit dieser Beziehungen ðdie Ableitung der auf der rechten Seite stehenden Funktion F ðxÞ muss in diesem Fall zum Integrand f ðxÞ führen, d. h. es muss F 0 ðxÞ ¼ f ðxÞ gelten): ð aÞ e x ð1 xÞ dx ¼ x e x þ C bÞ ffi ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 2 x2 4 2 dx ¼ x 4 2 arccos þC x x ð cos x e sin x dx ¼ e sin x þ C cÞ ð dÞ sin ð3 xÞ cos ð3 xÞ dx ¼ 1 sin 2 ð3 xÞ þ C 6 7) Zeigen Sie: F1 ðxÞ ¼ x 2 e x þ 2 ist eine Stammfunktion von f ðxÞ ¼ ðx 2 þ 2 xÞ e x . Wie lautet die Gesamtheit der Stammfunktionen? 8) Welchen Flächeninhalt schließt der Funktionsgraph von y ¼ 0,25 x 2 þ 4 mit der x-Achse ein? 9) Berechnen Sie die im Intervall p=2 x p=2 unter der Kosinuskurve liegende Fläche. 10) Berechnen Sie die Fläche zwischen der Parabel y ¼ 3 ðx 2Þ 2 þ 5 und der x-Achse. 11) Für den Zerfall einer radioaktiven Substanz gilt: dn ¼ ln dt Dabei ist n die Anzahl der zur Zeit t noch vorhandenen Atomkerne, l > 0 die sog. Zerfallskonstante. Wie lautet das Zerfallsgesetz n ¼ n ðtÞ, wenn zur Zeit t ¼ 0 genau n 0 Atomkerne vorhanden sind? 562 V Integralrechnung Zu Abschnitt 8 1) Lösen Sie die folgenden Integrale unter Verwendung einer geeigneten Substitution: ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð ð x2 3 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx cÞ 1 t dt bÞ ð5 x þ 12Þ 0,5 dx aÞ 1 þ x3 ð dÞ ð gÞ ð1 jÞ 1 x e x3 2 fÞ 0 ð ð x sin ðx Þ dx 2 hÞ iÞ ð1 p=2 ð t dt pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 þ t2 2 ð cos 3 x sin x dx eÞ dx x ln x ð mÞ ðp arctan z dz 1 þ z2 sin ð3 t p=4Þ dt kÞ lÞ 1 0 ð dx nÞ tan ðz þ 5Þ dz cos 2 ðz þ 5Þ 0ð,5 x 2) Lösen Sie das bestimmte Integral substitution x ¼ sin u. 2x þ 6 dx x 2 þ 6 x 12 3x2 2 dx 2x3 4x þ 2 5þx dx 5x ffi ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4 x2 dx x2 oÞ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 x 2 dx mit Hilfe der Variablen- 0 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 3) Welchen Flächeninhalt schließt die Kurve y ¼ 6 2 x mit den beiden Koordinatenachsen ein? ð 2x pffiffiffiffi dx mit Hilfe der Substitution 4) Zeigen Sie, dass sich das Integral pffiffiffiffi 1 þ x u ¼ 1 þ x lösen lässt. 5) Lösen Sie die folgenden Integrale durch „Partielle Integration“: ð ð x ln x dx aÞ ð5 x cos x dx bÞ ln t dt cÞ 1 ð x sin ð3 xÞ dx dÞ x e x dx eÞ 0 ð gÞ ð 0ð,8 sin 2 ðw tÞ dt fÞ arctan x dx bungsaufgaben 563 6) Lösen Sie die folgenden Integrale durch zweimalige partielle Integration: ð ð aÞ e x cos x dx bÞ x 2 e x dx 7) Lösen Sie die folgenden Integrale durch Partialbruchzerlegung des Integranden: ð ð 1 4x3 dx dx bÞ aÞ x2 a2 x3 þ 2x2 x 2 ð cÞ ð eÞ ð 3z dz 3 z þ 3 z2 4 dÞ x2 4x 2 dx 2 x 63 2x þ 1 dx x3 6x2 þ 9x 8) Berechnen Sie die zwischen den Kurven y ¼ ln x, y ¼ 0 und x ¼ 5 liegende Fläche. x2 4 9) Welchen Flächeninhalt schließt die Kurve mit der Funktionsgleichung y ¼ x 5 mit der x-Achse ein (Skizze)? 10) Lösen Sie die folgenden Integrale unter Verwendung einer geeigneten Integrationsmethode: ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð ð ln x aÞ dx bÞ cot x dx cÞ x cosh x dx x ð sin x e dÞ ð gÞ jÞ ð cos x dx ðln xÞ 3 dx x ð pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi x 2 2 x dx eÞ ð hÞ x3 dx ðx 2 1Þ ðx þ 1Þ 12 x 2 dx 2x3 1 ð kÞ x3 8x2 ð2 fÞ 0 x 4 dx x þ1 ð iÞ x arctan x dx x2 dx þ 21 x 18 11) Zeigen Sie: Der Flächeninhalt einer Ellipse mit den Halbachsen a und b beträgt A ¼ p a b. 564 V Integralrechnung ðp sin ðm xÞ sin ðn xÞ dx für 12) Welchen Wert besitzt das Integral p aÞ m ¼ n, bÞ m 6¼ n ðm, n 2 NÞ ? Anleitung: Umformung des Integranden mit Hilfe der trigonometrischen Formel 1 cos ða bÞ cos ða þ bÞ . sin a sin b ¼ 2 ð2 13) Berechnen Sie das Integral 1 ex dx näherungsweise x 1 a) nach der Trapezformel, b) nach der Simpsonschen Formel für jeweils 10 (einfache) Streifen. 14) Berechnen Sie die folgenden Integrale näherungsweise nach Simpson (n: Anzahl der Doppelstreifen): aÞ ð4 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 þ 2 t 4 dt , ð1 n ¼ 10 bÞ 0, 5 1 ð3 cÞ ex dx , x2 ex x3 dx , 1 n ¼ 5 n ¼ 5 1 Zu Abschnitt 9 1) Bestimmen Sie den Wert der folgenden (konvergenten) uneigentlichen Integrale: 1 ð aÞ e 0 x 1 ð dx x e bÞ x ð2 dx 1 0 1 ð 2) Zeigen Sie, dass das uneigentliche Integral ist und den Wert 2=a 3 besitzt. e x dx cÞ x 2 e a x dx ða > 0Þ konvergent 0 3) Berechnen Sie den Flächeninhalt, den die drei Kurven mit den Funktionsgleichungen y ¼ e a x , y ¼ e b x und y ¼ 0 miteinander einschließen (a > 0; b > 0; Skizze anfertigen). bungsaufgaben 565 4) Bestimmen Sie den Wert der folgenden uneigentlichen Integrale (falls sie existieren): ð0 aÞ 1 1 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi dx 1þx ð1 bÞ 1 1 dx x2 10 ð cÞ 0 ex dx ex 1 Zu Abschnitt 10 1) Bestimmen Sie das Weg-Zeit-Gesetz s ¼ s ðtÞ und das Geschwindigkeit-Zeit-Gesetz v ¼ v ðtÞ eines Fahrzeugs für den Fall a) einer konstanten Bremsverzögerung a ¼ 2 m=s 2 , b) einer periodischen Bremsverzögerung a ¼ ð1 þ cos ðp s 1 tÞÞ m=s 2 , wenn in beiden Fällen die Anfangsbedingungen wie folgt lauten: sð0Þ ¼ 0 m, v ð0Þ ¼ 30 m=s. 2) Die Bewegungsgleichung eines Federpendels laute: a ðtÞ ¼ w 2 cos ðw tÞ. Gewinnen Sie hieraus durch Integration die Geschwindigkeit-Zeit-Funktion v ¼ v ðtÞ und die Weg-Zeit-Funktion s ¼ s ðtÞ für die Anfangswerte sð0Þ ¼ 1 und v ð0Þ ¼ 0. 3) Die Biegegleichung eines Balkens der Länge l, der in den beiden Endpunkten unterstützt wird, lautet bei gleichmäßiger Streckenlast F wie folgt: y 00 ¼ F ðl x x 2 Þ 2EI ð0 x lÞ (E: Elastizitätsmodul; I: Flächenmoment). Bestimmen Sie durch Integration dieser Gleichung die Biegelinie für die Randwerte y ð0Þ ¼ 0 und y 0 ðl = 2Þ ¼ 0. 4) Die Fallgeschwindigkeit v eines aus der Ruhe heraus frei fallenden Körpers hängt bei Berücksichtigung des Luftwiderstandes wie folgt von der Fallzeit t ab: g v ¼ v E tanh t ðt 0Þ vE ( g: Erdbeschleunigung; v E : Endgeschwindigkeit). Bestimmen Sie durch Integration den Fallweg s als Funktion der Fallzeit t (zu Beginn sei s ð0Þ ¼ 0Þ. 5) Welche Fläche schließt die Kurve y ¼ 4 x ðx 2 4Þ mit der x-Achse im Intervall 4 x 4 ein? 6) Bestimmen Sie den Flächeninhalt zwischen den Parabeln y ¼ x 2 2 und y ¼ x 2 þ 2 x þ 2. 566 V Integralrechnung 7) Berechnen Sie den Flächeninhalt zwischen der Parabel y ¼ x 2 2 x 1 und der Geraden y ¼ 3 x 1. 8) Berechnen Sie die von den Kurven y ¼ 2 cosh x 2 und y ¼ x 2 þ 3 eingeschlossene Fläche. Hinweis: Bestimmung der Kurvenschnittpunkte näherungsweise nach dem Newtonschen Tangentenverfahren. 9) Berechnen Sie den Flächeninhalt zwischen dem Kreis ðx 2Þ 2 þ y 2 ¼ 4 und der Parabel y ¼ x 2 . 10) Zeigen Sie, dass das durch Rotation der Ellipse b 2 x 2 þ a 2 y 2 ¼ a 2 b 2 um die y-Achse entstandene Rotationsellipsoid das Volumen V y ¼ 4 p a 2 b=3 besitzt. 11) Welches Volumen besitzt der Drehkörper, der durch Rotation des von der Kurve pffiffiffiffiffiffiffi y ¼ ðx 2Þ 2 3 x und der x-Achse berandeten Flächenstücks um die x-Achse entsteht? pffiffiffiffi 12) Durch Rotation der Kurve y ¼ x um die y-Achse entsteht ein trichterförmiger Drehkörper. Bestimmen Sie sein Volumen, wenn er in der Höhe y ¼ 5 abgeschnitten wird. 13) Bestimmen Sie das Rotationsvolumen eines Körpers, der durch Drehung des Kurpffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ffi 2 venstücks y ¼ x 9 , 3 x 5 a) um die x-Achse, b) um die y-Achse entsteht. 14) Welche Länge besitzt ein Drahtseil, das gemäß der Funktion y ¼ 5 cosh ðx=5Þ (Kettenlinie) durchhängt, wenn beide Aufhängepunkte die gleiche Höhe und einen Abstand von 14,3 voneinander besitzen? 15) Berechnen Sie die Bogenlänge der Kurve y ¼ 4,2 ln x 3 im Intervall von x ¼ 1 bis x ¼ e. 16) Wie lang ist der Bogen des Funktionsgraphen von y ¼ x 3=2 über dem Intervall 1 x 7,45 ? 17) Bestimmen Sie die Länge des Sinusbogens über dem Intervall ½ 0, p . Anleitung: Berechnung des Integrals nach der Simpsonschen Formel für n ¼ 10 Doppelstreifen. 18) Berechnen Sie die Mantelfläche, die durch Rotation der Kurve y ¼ um die y-Achse entsteht. pffiffiffiffi x, 0 x 4 bungsaufgaben 567 pffiffiffiffi 19) Welche Rotationsfläche (Mantelfläche) erzeugt die Kurve y ¼ ln x , 1 x 3 bei Drehung um die x-Achse? (Näherungsweise Berechnung des Integrals nach Simpson für n ¼ 10 Doppelstreifen.) 20) Zeigen Sie: Durch Rotation des in Bild V-98 skizzierten Kreisabschnittes der Breite h um die x-Achse entsteht eine Kugelschicht der Dicke h mit der Mantelfläche M x ¼ 2 p r h. y h Bild V-98 a r x 21) Welche Arbeit muss aufgebracht werden, um eine dem Hookeschen Gesetz genügende elastische Stahlfeder mit der Federkonstanten c ¼ 8,45 10 5 N=m um 17,3 cm zusammenzudrücken? 22) Für eine adiabatische Zustandsänderung eines idealen Gases gilt die Poissonsche Gleichung p V k ¼ p 0 V 0k ¼ constant. Berechnen Sie die Ausdehnungsarbeit Vð1 p ðVÞ dV für ein solches Gas (V 0 , V 1 : Anfangs- bzw. Endvolumen). W ¼ V0 23) Ein ideales Gas besitzt im Ausgangszustand das Volumen V 1 ¼ 2,75 m 3 und den Druck p 1 ¼ 1250 N=m 2 . Es wird isotherm, d. h. unter Konstanthaltung der Temperatur auf das Volumen V 2 ¼ 0,76 m 3 komprimiert. Welche Arbeit wurde dabei am Gas verrichtet? pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 24) Durch Rotation der Kurve y ¼ 1 m x um die y-Achse entsteht ein trichterförmiger Behälter (vgl. hierzu auch Aufgabe 12). Er soll von einem Wasserreservoir aus bis zu einer Höhe von 5 m gefüllt werden. Berechnen Sie die erforderliche Mindestarbeit ( Dichte des Wassers: r ¼ 1 g=cm 3 ¼ 1000 kg=m 3 ). Anleitung: Der Wasserpegel im Trichter habe die Höhe y erreicht. Um den Pegel geringfügig um dy zu erhöhen, muss die Wassermenge dm aus dem Reservoir ðy ¼ 0Þ in diese Höhe gebracht werden. Die dabei verrichtete Hubarbeit beträgt definitionsgemäß dW ¼ ðdmÞ g y (siehe hierzu Bild V-99). y dm dy y Bild V-99 x 568 V Integralrechnung 25) Berechnen Sie den linearen und den quadratischen Mittelwert der Sinusfunktion im Intervall 0 x p. 26) Ein Einweggleichrichter erzeuge den in Bild V-100 skizzierten Strom mit der Periodendauer T ¼ 2 p=w. Berechnen Sie den linearen Mittelwert während einer Periode (er wird als Gleichrichtwert bezeichnet). i i0 i = i 0 · sin ( v t) T 2 T 3 T 2 2T t Bild V-100 27) In einem Wechselstromkreis erzeuge die Wechselspannung u ðtÞ ¼ u 0 sin ðw tÞ den Wechselstrom i ðtÞ ¼ i 0 cos ðw tÞ. Berechnen Sie die mittlere Leistung P während einer Periode T ¼ 2 p=w (linearer Mittelwert). Hinweis: Für die momentane Leistung gilt definitionsgemäß p ðtÞ ¼ u ðtÞ i ðtÞ. 28) Berechnen Sie die Lage des Schwerpunktes der Fläche, die von den Parabeln mit den Funktionsgleichungen y ¼ x 2 und y ¼ x 2 4 eingeschlossen wird. 29) Bestimmen Sie den Flächenschwerpunkt der in Bild V-101 skizzierten Figur (Quadrat mit aufgesetztem Halbkreis). y a x 2a Bild V-101 30) Wo liegt der Schwerpunkt einer homogenen Viertelkreisfläche ( Radius R)? 31) Bestimmen Sie den Schwerpunkt der Fläche, die von der Geraden y ¼ x þ 2 und der Parabel y ¼ x 2 4 berandet wird. pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 32) Durch Rotation der Kurve y ¼ cos x , 0 x p=2 um die x-Achse entsteht ein Drehkörper. Wo befindet sich der Schwerpunkt des Körpers? bungsaufgaben 569 33) Für den durch Drehung des im 1. Quadranten gelegenen Teils der Ellipse mit der Gleichung b 2 x 2 þ a 2 y 2 ¼ a 2 b 2 um die y-Achse entstandenen Rotationskörper ist der Schwerpunkt zu bestimmen. 34) Wo liegt der Schwerpunkt des Rotationskörpers, der durch Drehung der Kurve y ¼ ln x, 1 x e um die x-Achse entsteht? 35) Berechnen Sie das Massenträgheitsmoment eines homogenen Rotationsellipsoids, das durch Drehung der Ellipse b 2 x 2 þ a 2 y 2 ¼ a 2 b 2 um die y-Achse entsteht ( Dichte r). 36) Für einen homogenen geraden Kreiskegel (Radius R, Höhe H, Dichte r) ist das auf die Symmetrieachse bezogene Massenträgheitsmoment zu berechnen. 37) Berechnen Sie unter Verwendung des Satzes von Steiner das Massenträgheitsmoment eines homogenen Vollzylinders bezüglich einer Mantellinie (Zylinderhöhe H, Grundkreisradius R, Dichte r). 570 VI Potenzreihenentwicklungen 1 Unendliche Reihen 1.1 Ein einführendes Beispiel Wir betrachten die unendliche geometrische Zahlenfolge ha n i ¼ 1; 0,2; 0,2 2 ; 0,2 3 ; . . . ðVI-1Þ mit dem Bildungsgesetz a n ¼ 0,2 n 1 ðn 2 N*Þ ðVI-2Þ Aus den Gliedern dieser Folge bilden wir sog. Partial- oder Teilsummen, indem wir Glied für Glied aufsummieren. Die ersten Partialsummen lauten dann wie folgt: s1 ¼ 1 s 2 ¼ 1 þ 0,2 ¼ 1,2 s 3 ¼ 1 þ 0,2 þ 0,2 2 ¼ 1,24 ðVI-3Þ s 4 ¼ 1 þ 0,2 þ 0,2 þ 0,2 ¼ 1,248 .. . 2 3 Wir fassen sie zu einer neuen (unendlichen) Folge, der sog. Partialsummenfolge hs n i ¼ s 1 , s 2 , s 3 , s 4 , ... ðVI-4Þ mit dem Bildungsgesetz s n ¼ 1 þ 0,2 þ 0,2 2 þ . . . þ 0,2 n 1 ¼ n X 0,2 k 1 ðVI-5Þ k¼1 zusammen. s n ist dabei die n-te Partialsumme, d. h. die Summe der ersten n Glieder der Zahlenfolge (VI-1). Für die Partialsummenfolge hs n i führen wir die neue Bezeichnung „Unendliche Reihe“ ein und schreiben dafür symbolisch 1) : 1 þ 0,2 þ 0,2 2 þ 0,2 3 þ . . . þ 0,2 n 1 þ . . . ¼ 1 X 0,2 n 1 ðVI-6Þ n¼1 1) Zur Erinnerung: Summen enthalten immer endlich viele Summanden. Die gewählte (allgemein übliche) Schreibweise für eine unendliche Reihe suggeriert, dass hier eine Summe mit unendlich vielen Gliedern (Summanden) gebildet wird. Dies jedoch ist allein aus zeitlicher Sicht nicht möglich! Um Missverständnissen gleich vorzubeugen: Die bekannten Rechenregeln für Summen dürfen nicht auf unendliche Reihen übertragen werden (siehe hierzu die späteren Ausführungen über den Umgang mit unendlichen Reihen in Abschnitt 1.2.2). 1 Unendliche Reihen 571 Es stellt sich nun die Frage nach dem „Summenwert“ einer unendlichen Reihe. Bei einer endlichen Reihe wird dieser durch Addition der endlich vielen Reihenglieder ermittelt. Bei einer unendlichen Reihe dagegen bilden wir den Grenzwert der Partialsummenfolge hs n i und fassen ihn (falls er überhaupt vorhanden ist) als Summenwert der Reihe auf. Wir kehren jetzt zu unserem Beispiel zurück und untersuchen, ob die Partialsummenfolge (VI-4) für n ! 1 konvergiert, d. h. einen Grenzwert besitzt. Zunächst jedoch leiten wir eine Berechnungsformel für den Summenwert der n-ten Partialsumme s n ¼ 1 þ 0,2 þ 0,2 2 þ . . . þ 0,2 n 1 ðVI-7Þ her, die wir für die spätere Grenzwertbildung benötigen. Dazu wird die Partialsumme s n beiderseits gliedweise mit 0,2 multipliziert und anschließend wie folgt die Differenz s n 0,2 s n gebildet: 9 = s n ¼ 1 þ 0,2 þ 0,2 2 þ . . . þ 0,2 n 1 0,2 s n ¼ 0,2 þ 0,2 2 þ . . . þ 0,2 n 1 þ 0,2 n ; s n 0,2 s n ¼ 1 þ 0 þ0 þ ... þ 0 0,2 n 0,8 s n ¼ 1 0,2 n (die jeweils grau markierten untereinander stehenden Glieder heben sich bei der Differenzbildung jeweils auf). Wir lösen jetzt diese Gleichung nach s n auf und erhalten damit eine einfache Berechnungsformel für die n-te Partialsumme: s n ¼ 1,25 ð1 0,2 n Þ ðVI-8Þ Diese Formel liefert uns beispielsweise für n ¼ 5 bzw. n ¼ 10 die folgenden Summenwerte: s 5 ¼ 1,25 ð1 0,2 5 Þ ¼ 1,25 ð1 0,00032Þ ¼ 1,2496 s 10 ¼ 1,25 ð1 0,2 10 Þ ¼ 1,25 ð1 0,000 000 102Þ ¼ 1,249 999 872 Selbstverständlich erhalten wir diese Werte auch auf dem direkten Wege, d. h. durch Aufaddieren der ersten 5 bzw. 10 Reihenglieder (bitte nachrechnen). Für n ! 1 strebt die Partialsummenfolge gegen den Grenzwert lim s n ¼ lim 1,25 ð1 0,2 n Þ ¼ 1,25 n!1 n!1 ðVI-9Þ da lim 0,2 n ¼ 0 ist. Die unendliche Reihe (VI-6) besitzt somit definitionsgemäß den n!1 Summenwert s ¼ 1,25. Wir schreiben dafür symbolisch: 1 X 0,2 n 1 ¼ 1 þ 0,2 þ 0,2 2 þ 0,2 3 þ . . . ¼ 1,25 ðVI-10Þ n¼1 Durch diese Schreibweise wollen wir zum Ausdruck bringen, dass sich die Partialsummen mit zunehmender Anzahl von Gliedern immer weniger von der Zahl 1,25 unterscheiden. 572 VI Potenzreihenentwicklungen 1.2 Grundbegriffe 1.2.1 Definition einer unendlichen Reihe Wir gehen aus von einer unendlichen Zahlenfolge ha n i ¼ a 1 , a 2 , a 3 , ... , a n, ... ðVI-11Þ und bilden aus den Gliedern dieser Folge wie folgt Partial- oder Teilsummen: s1 ¼ a1 s2 ¼ a1 þ a2 s3 ¼ a1 þ a2 þ a3 .. . sn ¼ a1 þ a2 þ a3 þ . . . þ an ¼ n X ðVI-12Þ ak k¼1 .. . Die Folge hs n i dieser Teilsummen heißt dann „Unendliche Reihe“. Definition: Die Folge hs n i der Partialsummen einer unendlichen Zahlenfolge ha n i heißt unendliche Reihe. Symbolische Schreibweise: 1 X an ¼ a1 þ a2 þ a3 þ . . . þ an þ . . . ðVI-13Þ n¼1 Anmerkungen (1) a n ist das n-te Reihenglied. (2) Der Laufindex n im Summensymbol kann auch bei der Zahl 0 oder einer anderen natürlichen Zahl beginnen. (3) Die Glieder einer unendlichen Reihe sind (reelle) Zahlen. Daher spricht man in diesem Zusammenhang auch von einer Zahlenreihe oder numerischen Reihe. (4) Unter dem Bildungsgesetz einer unendlichen Reihe 1 X n¼1 a n versteht man einen funktionalen Zusammenhang a n ¼ f ðnÞ, aus dem sich die Reihenglieder in Abhängigkeit von der natürlichen Zahl n berechnen lassen. Die Zuordnung f ðnÞ ¼ a n kann auch als eine Funktion der diskreten Variablen n aufgefasst werden (mit n 2 N*). 1 Unendliche Reihen & 573 Beispiele (1) Aus der unendlichen Zahlenfolge 1 1 1 1 ¼ 1, , , . . . , , . . . an ¼ n 2 3 n ðn 2 N*Þ entsteht durch Partialsummenbildung die sog. harmonische Reihe 1 X 1 1 1 1 ¼ 1þ þ þ ... þ þ ... n 2 3 n n¼1 (2) Aus der geometrischen Folge ha n ¼ a q n 1 i ¼ a, a q 2, a q, ... , a q n 1, . . . ðn 2 N*Þ erhalten wir durch Partialsummenbildung die sog. geometrische Reihe 1 X a qn1 ¼ a þ a q þ a q2 þ . . . þ a qn1 þ . . . n¼1 (3) Die Glieder der unendlichen Reihe 2,1 þ 2,01 þ 2,001 þ 2,0001 þ . . . genügen dem folgenden Bildungsgesetz: a n ¼ 2 þ 0,1 n ðn 2 N*Þ & 1.2.2 Konvergenz und Divergenz einer unendlichen Reihe In dem einführenden Beispiel haben wir den „Summenwert“ der vorgegebenen unendlichen Zahlenreihe als Grenzwert der zugehörigen Partialsummenfolge bestimmt. Dies führt zu der folgenden Definition: Definition: Eine unendliche Reihe Partialsummen s n ¼ 1 X a n heißt konvergent, wenn die Folge ihrer n¼1 n X a k einen Grenzwert s besitzt: k¼1 lim s n ¼ lim n!1 n X n!1 k¼1 ak ¼ s ðVI-14Þ Dieser Grenzwert wird als Summenwert der unendlichen Reihe bezeichnet. Symbolische Schreibweise: 1 X an ¼ a1 þ a2 þ a3 þ . . . þ an þ . . . ¼ s ðVI-15Þ n¼1 Besitzt die Partialsummenfolge hs n i jedoch keinen Grenzwert, so heißt die unendliche Reihe divergent. 574 VI Potenzreihenentwicklungen Anmerkungen (1) Der Summenwert einer unendlichen Reihe ist also definitionsgemäß der Grenzwert einer unendlichen Folge, nämlich der Grenzwert der Partialsummenfolge hs n i. Die Konvergenz einer unendlichen Reihe wird damit auf die Konvergenz einer unendlichen Folge zurückgeführt (vgl. hierzu Kap. III, Abschnitt 4.1.2). (2) Eine konvergente unendliche Reihe besitzt also stets einen (eindeutigen) Summenwert, einer divergenten unendlichen Reihe lässt sich dagegen kein Summenwert zuordnen. Ist s ¼ þ 1 oder s ¼ 1, so nennt man die unendliche Reihe auch bestimmt divergent. (3) Eine unendliche Reihe heißt absolut konvergent, wenn die aus den Beträgen ihrer Glieder gebildete Reihe konvergiert. Eine absolut konvergente Reihe ist stets kon1 X vergent, d. h. aus der Konvergenz der Reihe j a n j folgt stets die Konvergenz 1 n¼1 X a n (die Umkehrung jedoch gilt nicht). der Reihe n¼1 & Beispiele (1) Wir zeigen, dass die als geometrische Reihe 2) bezeichnete unendliche Reihe 1 X qn1 ¼ 1 þ q1 þ q2 þ . . . þ qn1 þ . . . n¼1 für j q j < 1 konvergiert, für j q j 1 dagegen divergiert. Zunächst bilden wir mit der n-ten Partialsumme sn ¼ 1 þ q1 þ q2 þ q3 þ . . . þ qn1 die Differenz s n q s n und erhalten daraus eine einfache Formel für den Summenwert von s n : 9 = sn ¼ 1 þ q1 þ q2 þ q3 þ . . . þ qn2 þ qn1 q sn ¼ q1 þ q2 þ q3 þ . . . þ qn2 þ qn1 þ qn ; sn q sn ¼ 1 qn s n ð1 qÞ ¼ 1 q n sn ¼ 1 qn 1q ðq 6¼ 1Þ (die jeweils grau markierten untereinander stehenden Summanden heben sich bei der Differenzbildung jeweils auf). 2) Eine unendliche Reihe heißt geometrisch, wenn der Quotient zweier aufeinanderfolgender Glieder konstant ist. Die hier vorliegende Reihe besitzt den Quotienten q. 1 Unendliche Reihen 575 Die Folge der Partialsummen s n besitzt dann für j q j < 1 den Grenzwert 1 qn 1 lim ð1 q n Þ ¼ ¼ 1 q n!1 n!1 n!1 1 q 1 1 1 1 lim q n ¼ ð1 0Þ ¼ ¼ 1q 1q 1q n!1 s ¼ lim s n ¼ lim da in diesem Fall lim q n ¼ 0 ist. Für j q j 1 dagegen divergiert die Zahlenn!1 folge hq n i. Die unendliche geometrische Reihe besitzt somit für j q j < 1 den Summenwert 1 X qn1 ¼ 1 þ q1 þ q2 þ . . . þ qn1 þ . . . ¼ n¼1 1 1q Zahlenbeispiel für q ¼ 1=3 0 1 2 n1 1 n1 X 1 1 1 1 1 ¼ þ þ þ ... þ þ ... ¼ 3 3 3 3 3 n¼1 1 1 ¼ 1þ þ þ ... þ 3 9 (2) n1 1 þ ... ¼ 3 1 1 1 3 ¼ 1 3 ¼ 2 2 3 Auf eine geometrische Reihe stößt man auch bei der Lösung der folgenden Aufgabe: Aus Halbkreisen soll, wie in Bild VI-1 dargelegt, eine Spirale gebildet werden, wobei die Radien von Halbkreis zu Halbkreis um jeweils 20 % abnehmen. Welche Gesamtlänge L besitzt diese aus unendlich vielen Halbkreisen gebildete Spirale, wenn der Radius des 1. Halbkreises R ist? 1. Halbkreis 3. Halbkreis 5. Halbkreis 4. Halbkreis 2. Halbkreis Bild VI-1 Zur Längenberechnung einer Spirale, zusammengesetzt aus 1 vielen Halbkreisen 576 VI Potenzreihenentwicklungen Lösung: Die ersten n Halbkreise haben der Reihe nach folgende Längen: L1 ¼ p R , L 2 ¼ p 0,8 R ¼ 0,8 p R , L 3 ¼ 0,8 p 0,8 R ¼ 0,8 2 p R, . . . , L n ¼ 0,8 n 1 p R Damit beträgt die Gesamtlänge der ersten n Halbkreise ðwir bezeichnen diese Partialsumme mit L ðnÞÞ: L ðnÞ ¼ L 1 þ L 2 þ L 3 þ . . . þ L n ¼ ¼ p R þ 0,8 p R þ 0,8 2 p R þ . . . þ 0,8 n 1 p R ¼ ¼ p R ð1 þ 0,8 þ 0,8 2 þ . . . þ 0,8 n 1 Þ ¼ p R n X 0,8 n 1 k¼1 Vergrößert man die Anzahl n der Halbkreise beliebig, d. h. lässt man n ! 1 laufen, so entsteht eine geometrische Reihe (Quotient zweier aufeinander folgender Reihenglieder: q ¼ 0,8): p R ð1 þ 0,8 þ 0,8 2 þ . . . þ 0,8 n 1 þ . . .Þ ¼ p R 1 X 0,8 n 1 n¼1 Der Summenwert dieser Reihe entspricht der gesuchten Länge L der Spirale: L ¼ p R ð1 þ 0,8 þ 0,8 2 þ . . . þ 0,8 n 1 þ . . .Þ ¼ p R 1 ¼ 5pR 1 0,8 Die Spirale hat also, obwohl aus unendlich vielen Halbkreisen zusammengesetzt, eine endliche Länge! (3) Wir zeigen, dass die unendliche Reihe 1 X n ¼ 1 þ 2 þ 3 þ ... þ n þ ... n¼1 bestimmt divergent ist. Die für die Grenzwertbildung benötigte n-te Partialsumme s n kann dabei nach der Formel sn ¼ n X k ¼ 1 þ 2 þ 3 þ ... þ n ¼ k¼1 n ðn þ 1Þ 2 berechnet werden (diese Formel für die Summe der ersten n positiven ganzen Zahlen haben wir der Formelsammlung entnommen ! Kap. I, Abschnitt 3.4). Beim Grenzübergang n ! 1 erhalten wir hieraus: s ¼ 1 X n¼1 n ¼ lim s n ¼ lim n!1 n!1 n ðn þ 1Þ ¼ 1 2 Die Reihe ist somit –– wie behauptet –– bestimmt divergent. & 1 Unendliche Reihen 577 1.2.3 ber den Umgang mit unendlichen Reihen Die formale (symbolische) Schreibweise einer unendlichen Reihe in Form einer Summe aus unendlich vielen Summanden führt häufig zu Missverständnissen. Eine unendliche Reihe darf nämlich nicht als eine Erweiterung des Summenbegriffes von endlich vielen Summanden auf unendlich viele Summanden aufgefasst werden! Denn die für endliche Summen (d. h. Summen mit endlich vielen Summanden) gültigen Rechenregeln gelten im Allgemeinen nicht für unendliche Reihen. Bei einer (endlichen) Summe ist der Summenwert unabhängig von der Reihenfolge der Summanden (diese dürfen bekanntlich beliebig umgestellt werden) und auch unabhängig davon, ob und wie Klammern gesetzt werden 3). Bei einer unendlichen Reihe kann sich jedoch der Summenwert der Reihe (sofern er überhaupt vorhanden ist) ändern, wenn man z. B. die Reihenfolge der Glieder verändert oder Glieder durch Klammern zusammenfasst. Ein einfaches Beispiel soll diese wichtige Aussage verdeutlichen. Wir unterstellen zunächst, dass die für (endliche) Summen geltenden Rechenregeln auch für unendliche Reihen (unendliche Summen) gültig sind. Dann aber müsste der Summenwert der unendlichen Reihe 1 1 þ 1 1 þ 1 1 þ ... unabhängig vom eingeschlagenen Rechenweg sein 4). Es bieten sich beispielsweise folgende Rechenvarianten an: 1. Variante: Wir setzen wie folgt Klammern: ð1 1Þ þ ð1 1Þ þ ð1 1Þ þ . . . ¼ 0 þ 0 þ 0 þ . . . ¼ 0 |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} 0 0 0 Der Summenwert der Reihe wäre somit s ¼ 0, da alle Klammern verschwinden. 2. Variante: Wir beginnen mit der Klammerbildung erst nach dem 1. Glied: 1 þ ð 1 þ 1Þ þ ð 1 þ 1Þ þ . . . ¼ 1 þ 0 þ 0 þ . . . ¼ 1 |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} 0 0 Wiederum verschwinden alle Klammern, die Reihe hätte damit den Summenwert s ¼ 1. Fazit: Wir erhalten also –– je nach dem eingeschlagenen Rechenweg –– unterschiedliche Ergebnisse! Daraus folgern wir: Die bekannten Rechenregeln für endliche Summen (endliche Reihen) gelten im Allgemeinen nicht für unendliche Reihen (unendliche Summen). 3) 4) Zur Erinnerung: Die Addition ist eine kommutative und assoziative Rechenoperation (siehe Kap. I, Abschnitt 2.1). Es handelt sich hier um eine sog. alternierende Reihe, bei der die Glieder laufend ihr Vorzeichen ändern. Alle Glieder haben hier den gleichen Betrag (¼ 1). 578 VI Potenzreihenentwicklungen 1.3 Konvergenzkriterien Bei einer unendlichen Reihe ergeben sich automatisch zwei Fragestellungen: 1. Ist die vorliegende unendliche Reihe konvergent, d. h. besitzt sie einen (endlichen) Summenwert oder ist sie divergent 5)? 2. Welchen Summenwert besitzt die unendliche Reihe im Falle der Konvergenz? Zur 1. Fragestellung: Die Frage nach dem Konvergenzverhalten einer Reihe lässt sich in der Regel mit Hilfe von sog. Konvergenzkriterien beantworten. Sie ermöglichen eine Entscheidung darüber, ob eine vorliegende unendliche Reihe konvergiert oder divergiert (siehe hierzu die in den nächsten Abschnitten besprochenen Kriterien). Zur 2. Fragestellung: Der Summenwert einer konvergenten unendlichen Reihe lässt sich nur in wenigen Fällen exakt bestimmen, meist leider nur näherungsweise unter erheblichem Rechenaufwand und mit Unterstützung von Computern. Der Summenwert wird dabei durch eine Partialsumme angenähert (Abbruch der Reihe, sobald die gewünschte Genauigkeit erreicht ist). Notwendiges Konvergenzkriterium Für die Konvergenz einer unendlichen Reihe 1 X a n ist die Bedingung n¼1 lim a n ¼ 0 n!1 ðVI-16Þ notwendig, nicht aber hinreichend 6). Mit anderen Worten: Damit die unendliche Reihe konvergiert, müssen die Reihenglieder diese Bedingung erfüllen. Jedoch darf man aus lim a n ¼ 0 keineswegs folgern, dass die unendliche Reihe konvergiert. Es gibt Rein!1 hen, die die Bedingung (VI-16) erfüllen und trotzdem divergieren. Eine Reihe jedoch, die das notwendige Konvergenzkriterium (VI-16) nicht erfüllt, kann nicht konvergent sein und ist daher divergent. Mit einem notwendigen Konvergenzkriterium kann also nur die Divergenz, nicht aber die Konvergenz einer unendlichen Reihe festgestellt werden! Wir erläutern dieses Kriterium an zwei einfachen Beispielen. & Beispiele (1) Sowohl die geometrische Reihe 1 X 0,2 n 1 ¼ 1 þ 0,2 1 þ 0,2 2 þ . . . þ 0,2 n 1 þ . . . n¼1 5) 6) In den naturwissenschaftlich-technischen Anwendungen sind in der Regel nur konvergente Reihen von Bedeutung. Diese Bedingung besagt, dass die Reihenglieder eine sog. Nullfolge bilden. 1 Unendliche Reihen 579 als auch die harmonische Reihe 1 X 1 1 1 1 ¼ 1þ þ þ ... þ þ ... n 2 3 n n¼1 erfüllen das notwendige Konvergenzkriterium (VI-16): lim 0,2 n 1 ¼ 0 bzw: n!1 1 ¼ 0 n lim n!1 Aber nur die geometrische Reihe ist konvergent, d. h. besitzt einen Summenwert, wie wir aus dem einführenden Beispiel aus Abschnitt 1.1 bereits wissen (der Summenwert ist s ¼ 1,25). Die harmonische Reihe dagegen ist divergent, wie man zeigen kann (auf den Beweis wollen wir verzichten). Die Bedingung (VI-16) reicht also für die Konvergenz einer Reihe nicht aus. (2) Die unendliche Zahlenreihe 2,1 þ 2,01 þ 2,001 þ 2,0001 þ . . . mit dem Bildungsgesetz a n ¼ 2 þ 0,1 n ðn 2 N*Þ ist divergent, da die Reihenglieder das für die Konvergenz notwendige Kriterium (VI-16) nicht erfüllen. Denn es gilt: lim a n ¼ lim ð2 þ 0,1 n Þ ¼ 2 þ lim 0,1 n ¼ 2 þ 0 ¼ 2 6¼ 0 n!1 n!1 n!1 Die Reihenglieder bilden also keine Nullfolge. & Im Folgenden beschäftigen wir uns mit den wichtigsten hinreichenden Konvergenzkriterien. 1.3.1 Quotientenkriterium Bei der Untersuchung des Konvergenzverhaltens einer unendlichen Reihe erweist sich das folgende als Quotientenkriterium bezeichnete Kriterium als besonders geeignet: Quotientenkriterium Erfüllen die Glieder einer unendlichen Reihe n 2 N* die Bedingung anþ1 ¼ q < 1 lim an n!1 1 X a n mit a n 6¼ 0 für alle n¼1 so ist die Reihe konvergent. Ist aber q > 1, so ist die Reihe divergent. ðVI-17Þ 580 VI Potenzreihenentwicklungen Anmerkungen (1) Für q ¼ 1 versagt das Quotientenkriterium, d. h. eine Entscheidung über Konvergenz oder Divergenz ist mit diesem Kriterium nicht möglich. Die Reihe kann also konvergieren oder auch divergieren. In einem solchen Fall muss das Konvergenzverhalten der Reihe mit Hilfe anderer Kriterien untersucht werden. (2) Das Quotientenkriterium liefert eine hinreichende Bedingung für die Reihenkonvergenz. Sie ist jedoch nicht notwendig, d. h. es gibt Reihen, für die der Grenzwert anþ1 nicht vorhanden ist und die trotzdem konvergieren. lim a n!1 n (3) & Ist die Konvergenzbedingung (VI-17) erfüllt, so ist die unendliche Reihe sogar absolut konvergent. Beispiele (1) Wir zeigen anhand des Quotientenkriteriums, dass die unendliche Reihe 1 X n¼1 1 1 1 1 1 1 ¼ þ þ þ ... þ þ þ ... ð2 nÞ! 2! 4! 6! ð2 nÞ! ð2 n þ 2Þ! konvergiert. Mit an ¼ 1 ð2 nÞ! und anþ1 ¼ 1 ð2 n þ 2Þ! liefert das Kriterium (VI-17) den folgenden Wert für den Grenzwert q: 1 anþ1 ð2 nÞ! ¼ lim ð2 n þ 2Þ! ¼ lim q ¼ lim ¼ ð2 n þ 2Þ! a 1 n!1 n!1 n!1 n ð2 nÞ! ¼ lim n!1 ð2 nÞ! 1 ¼ 0 ¼ lim ð2 nÞ! ð2 n þ 1Þ ð2 n þ 2Þ n ! 1 ð2 n þ 1Þ ð2 n þ 2Þ Dabei haben wir von der „Zerlegung“ ð2 n þ 2Þ! ¼ ð2 nÞ! ð2 n þ 1Þ ð2 n þ 2Þ Gebrauch gemacht (Bild VI-2). Die Reihe ist daher wegen q ¼ 0 < 1 konvergent, besitzt also einen Summenwert. 1 Unendliche Reihen 581 (2 n)! 1 · 3 2 (2 n + 1) · (2 n + 2) 2n 2n + 1 2n + 2 x (2 n + 2)! Bild VI-2 Zerlegung des Ausdrucks ð2 n þ 2Þ! in ein Produkt mit dem Faktor ð2 nÞ! (2) Das Quotientenkriterium versagt bei der harmonischen Reihe 1 X 1 1 1 1 1 ¼ 1þ þ þ ... þ þ þ ... n 2 3 n nþ1 n¼1 Mit a n ¼ 1 1 und a n þ 1 ¼ erhalten wir nämlich nach (VI-17): n nþ1 1 anþ1 n 1 n þ 1 ¼ lim ¼ lim ¼ lim ¼ 1 q ¼ lim an 1 1 n!1 n!1 n!1 n þ 1 n!1 1þ n n Mit diesem Kriterium lässt sich das Konvergenzverhalten der harmonischen Reihe nicht feststellen (die Reihe ist –– wie bereits erwähnt –– divergent). (3) Die unendliche Reihe 1 X n¼1 1 1 1 1 1 ¼ þ þ þ ... þ þ ... n ðn þ 1Þ 12 23 34 n ðn þ 1Þ ist konvergent, obwohl auch hier das Quotientenkriterium (VI-17) versagt: 1 anþ1 n ðn þ 1Þ ðn þ 1Þ ðn þ 2Þ ¼ lim q ¼ lim ¼ lim ¼ an 1 n!1 n!1 n ! 1 ðn þ 1Þ ðn þ 2Þ n ðn þ 1Þ ¼ lim n!1 n ¼ lim nþ2 n!1 1 2 1þ n ¼ 1 (Faktor n þ 1 kürzen, dann Zähler und Nenner gliedweise durch n dividieren). Um die Konvergenz der Reihe nachzuweisen, zerlegen wir das n-te Reihenglied zunächst in zwei Summanden (Partialbruchzerlegung). Der Ansatz lautet: 1 A B ðn þ 1Þ A þ n B ¼ þ ¼ n ðn þ 1Þ n nþ1 n ðn þ 1Þ 582 VI Potenzreihenentwicklungen Somit gilt: ðn þ 1Þ A þ n B ¼ n A þ A þ n B ¼ ðA þ BÞ n þ A ¼ 1 n ist hier eine diskrete Variable mit n 2 N*. Wir ergänzen auf der rechten Seite den (verschwindenden) Summanden 0 n ¼ 0 und erhalten dann durch einen Koeffizientenvergleich 2 Gleichungen für die Unbekannten A und B: ðA þ BÞ n þ A ¼ 0 n þ 1 ) A þ B ¼ 0, A ¼ 1 Somit lautet die Lösung: A ¼ 1, B ¼ 1. Damit können wir die Reihe auch wie folgt schreiben: 1 1 X X 1 1 1 ¼ n ðn þ 1Þ n nþ1 n¼1 n¼1 Die ersten n Partialsummen lauten dann: 1 1 1 ¼ 1 1 2 2 1 1 1 1 1 s2 ¼ þ ¼ 1 1 2 2 3 3 |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} 0 1 1 1 1 1 1 1 s3 ¼ þ þ ¼ 1 1 2 2 3 3 4 4 |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflffl} 0 0 .. . s1 ¼ sn ¼ 1 1 1 2 þ 1 1 2 3 þ ... þ 1 1 n1 n þ 1 1 ¼ n nþ1 1 1 1 1 1 1 1 þ þ ... þ þ ¼ 2 2 3 n1 n n nþ1 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 0 1 ¼ 1 ðf ür alle n 2 N*Þ nþ1 1 1 1 1 , , , ..., In der n-ten Partialsumme s n treten die „inneren“ Glieder 2 3 4 n jeweils doppelt, aber mit unterschiedlichem Vorzeichen auf und heben sich daher auf. Die Partialsummenfolge hs n i konvergiert für n ! 1 gegen den Grenzwert 1: 1 ¼ 1 lim s n ¼ lim 1 nþ1 n!1 n!1 ¼ 1 Die vorliegende Reihe ist somit konvergent mit dem Summenwert s ¼ 1. & 1 Unendliche Reihen 583 1.3.2 Wurzelkriterium Ein weiteres nützliches Konvergenzkriterium ist das folgende sog. Wurzelkriterium. Wurzelkriterium Erfüllen die Glieder einer unendlichen Reihe pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi lim n j a n j ¼ q < 1 1 X a n die Bedingung n¼1 n!1 ðVI-18Þ so ist die Reihe konvergent. Ist aber q > 1, so ist die Reihe divergent. Anmerkungen & (1) Für q ¼ 1 versagt das Wurzelkriterium. (2) Die Bedingung (VI-18) ist hinreichend, nicht aber notwendig für die Konvergenz einer Reihe. (3) Ist die Bedingung (VI-18) erfüllt, so ist die unendliche Reihe sogar absolut konvergent. Beispiel Wir zeigen mit Hilfe des Wurzelkriteriums, dass die unendliche Reihe 1 X 1 1 1 1 1 ¼ 1 þ 2 þ 3 þ ... þ n þ ... n n 1 2 3 n n¼1 1 liefert das Kriterium (VI-18) den folgenden Wert für q: nn rffiffiffiffiffiffiffi p ffiffiffiffiffi n p ffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 1 n 1 n j a n j ¼ lim ¼ 0 q ¼ lim ¼ lim p ffiffiffiffiffiffi ¼ lim n n n n n!1 n!1 n!1 n!1 n n konvergiert. Mit a n ¼ Aus q ¼ 0 < 1 folgt die Konvergenz der vorliegenden Reihe, die somit einen (endlichen, aber noch unbekannten) Summenwert besitzt (Näherungswerte erhält man durch Aufaddieren der Reihenglieder und Abbruch nach Erreichen der gewünschten Genauigkeit). & 1.3.3 Vergleichskriterien Das (noch unbekannte) Konvergenzverhalten einer unendlichen Reihe lässt sich häufig auch durch einen Vergleich mit einer anderen Reihe, deren Konvergenzverhalten bekannt ist, bestimmen. Kriterien dieser Art werden daher als Vergleichskriterien bezeichnet. Von Bedeutung sind dabei das Majoranten- und das Minorantenkriterium (ohne Beweis). 584 VI Potenzreihenentwicklungen Vergleichskriterien für unendliche Reihen mit positiven Gliedern 1 X Das Konvergenzverhalten einer unendlichen Reihe a n mit positiven Gliedern n¼1 lässt sich oft mit Hilfe einer geeigneten (konvergenten bzw. divergenten) Vergleichs1 X b n nach den folgenden Kriterien bestimmen: reihe n¼1 Majorantenkriterium Die vorliegende Reihe konvergiert, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Die Vergleichsreihe ist konvergent. 2. Zwischen den Gliedern beider Reihen besteht die Beziehung (Ungleichung) an bn ðf ür alle n 2 N*Þ ðVI-19Þ Die (konvergente) Vergleichsreihe wird als Majorante oder Oberreihe bezeichnet. Minorantenkriterium Die vorliegende Reihe divergiert, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind: 1. Die Vergleichsreihe ist divergent. 2. Zwischen den Gliedern beider Reihen besteht die Beziehung (Ungleichung) an bn ðf ür alle n 2 N*Þ ðVI-20Þ Die (divergente) Vergleichsreihe wird als Minorante oder Unterreihe bezeichnet. Anmerkungen & (1) Es genügt, wenn die Bedingung (VI-19) bzw. (VI-20) von einem gewissen n 0 an, d. h. erst für alle Reihenglieder mit n n 0 erfüllt wird. (2) Mit dem Majorantenkriterium kann die Konvergenz, mit dem Minorantenkriterium die Divergenz einer Reihe festgestellt werden. Beispiele (1) Wir zeigen, dass die unendliche Reihe 1 X 1 1 1 1 1 ¼ 1þ þ þ þ ... þ þ ... n ! 2 ! 3 ! 4 ! n ! n¼1 konvergent ist. Eine konvergente Majorante zu dieser Reihe lässt sich wie folgt finden. 1 Unendliche Reihen 585 Das n-te Glied der Reihe kann auch als Produkt der Kehrwerte aller natürlichen Zahlen von 1 bis n dargestellt werden: an ¼ 1 1 1 1 1 1 1 ¼ ¼ ... n! 1 2 3 4 ... n 1 2 3 4 n Wir verändern dieses Produkt jetzt wie folgt: Die ersten beiden Faktoren werden 1 beibehalten, alle weiteren durch die größere Zahl ersetzt. Es entsteht dann die 2 Ungleichung 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1 ¼ ... 1 ... ¼ n! 1 2 3 4 n 2 2 2 2 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} " " " diese ðn 2Þ Faktoren werden durch 1/2 ersetzt n1 1 2 ðn 1Þ Faktoren Somit erhalten wir für das n-te Reihenglied die Abschätzung (Ungleichung) an ¼ 1 n! n1 1 2 ðf ür alle n 2 N*Þ Dabei gilt das Gleichheitszeichen nur für die ersten beiden Glieder. Ab dem 3. Glied gilt sogar an ¼ 1 < n! n1 1 2 ðf ür alle n 3Þ Dies aber bedeutet, dass die Glieder der Reihe vom 3. Glied an kleiner sind als die entsprechenden Glieder der konvergenten geometrischen Reihe 2 3 n1 1 n1 X 1 1 1 1 1 þ ¼ 1þ þ þ ... þ þ ... 2 2 2 2 2 n¼1 (geometrische Reihe für q ¼ 1=2 mit dem Summenwert s ¼ 2; siehe hierzu Beispiel (1) in Abschnitt 1.2.2). Damit ist die Konvergenzbestimmung (VI-19) des Majorantenkriteriums erfüllt. Die geometrische Reihe für q ¼ 1=2 ist somit eine Majorante der vorliegenden Reihe und diese daher konvergent (sie besitzt im brigen den Summenwert s ¼ e 1 1,7183. 586 (2) VI Potenzreihenentwicklungen Es lässt sich relativ leicht zeigen, dass die unendliche Reihe 1 X 1 1 1 1 1 pffiffiffiffiffi ¼ 1 þ pffiffiffiffiffi þ pffiffiffiffiffi þ pffiffiffiffiffi þ . . . þ pffiffiffiffiffi þ . . . n n 3 2 4 n¼1 pffiffiffiffiffi divergent ist. Für jedes natürliche n 1 gilt n n und somit (nach Kehrwertbildung) die Ungleichung 1 1 pffiffiffiffiffi n n ðf ür alle n 2 N*Þ Vom 2. Reihenglied an sind die Glieder der vorliegenden Reihe sogar größer als die entsprechenden Glieder der harmonischen Reihe 1 X 1 1 1 1 1 ¼ 1þ þ þ þ ... þ þ ... n 2 3 4 n n¼1 Die Bedingung (VI-20) des Minorantenkriteriums ist somit erfüllt. Aus der (bekannten) Divergenz der harmonischen Reihe folgt dann die Divergenz der vorlie& genden Reihe. 1.3.4 Leibnizsches Konvergenzkriterium für alternierende Reihen Wir beschäftigen uns nun mit alternierenden Reihen, d. h. Reihen, deren Glieder abwechselnd positiv und negativ sind. Eine solche Reihe ist in der Form 1 X ð 1Þ n þ 1 a n ¼ a 1 a 2 þ a 3 a 4 þ . . . ðVI-21Þ n¼1 mit a n > 0 darstellbar. Der Faktor ð 1Þ n þ 1 ist dabei abwechselnd positiv und negativ und bestimmt somit das Vorzeichen der Glieder. Es wird daher auch als Vorzeichenfaktor bezeichnet. Für alternierende Reihen existiert ein spezielles von Leibniz stammendes Konvergenzkriterium. Es lautet (ohne Beweis): Leibnizsches Konvergenzkriterium für alternierende Reihen Eine alternierende Reihe vom Typ 1 X ð 1Þ n þ 1 a n ¼ a 1 a 2 þ a 3 a 4 þ . . . ðVI-22Þ n¼1 mit a n > 0 für alle n 2 N* ist konvergent, wenn die Reihenglieder die folgenden Bedingungen erfüllen: 1: 2: a1 > a2 > a3 > . . . > an > anþ1 > . . . lim a n ¼ 0 n!1 ðVI-23Þ 1 Unendliche Reihen 587 Anmerkung Eine alternierende Reihe ist demnach konvergent, wenn die Beträge ihrer Glieder eine monoton fallende Nullfolge bilden (hinreichende Konvergenzbedingung). & Beispiele (1) Die alternierende Reihe 1 X ð 1Þ n þ 1 n¼1 1 1 1 1 1 ¼ þ þ ... n! 1! 2! 3! 4! ist konvergent, da die Beträge ihrer Glieder eine monoton fallende Nullfolge bilden und somit das hinreichende Leibnizsche Konvergenzkriterium (VI-23) erfüllen: 1 1 1 1 1 1 > > > > ... > > > ... 1! 2! 3! 4! n! ðn þ 1Þ! lim a n ¼ lim n!1 (2) n!1 1 1 ¼ lim ¼ 0 n! 1 2 3 ... n n!1 Auch die sog. alternierende harmonische Reihe 1 X ð 1Þ n þ 1 n¼1 1 1 1 1 ¼ 1 þ þ ... n 2 3 4 konvergiert, da sie die Konvergenzbedingungen (VI-23) erfüllt: 1 1 1 1 1 > > > ... > > > ... 2 3 4 n nþ1 1 > lim a n ¼ lim n!1 (3) n!1 1 ¼ 0 n Die alternierende geometrische Reihe 1 X ð 1Þ n þ 1 ¼ 1 1 þ 1 1 þ . . . n¼1 dagegen ist divergent, da sie keine der beiden im Leibnizschen Konvergenzkriterium (VI-23) genannten Bedingungen erfüllt: 9 a n ¼ 1 f ür alle n 2 N* > = ) Die unendliche Zahlenfolge ha n ¼ 1i lim a n ¼ lim 1 ¼ 1 > ist keine monoton fallende Nullfolge! ; n!1 n!1 & 588 VI Potenzreihenentwicklungen 1.4 Eigenschaften konvergenter bzw. absolut konvergenter Reihen Konvergente Reihen besitzen die folgenden bemerkenswerten Eigenschaften, die wir ohne Beweis anführen. Eigenschaften konvergenter Reihen 1. Eine konvergente Reihe bleibt konvergent, wenn man endlich viele Glieder weglässt oder hinzufügt oder abändert. Dabei kann sich jedoch der Summenwert der Reihe ändern. Klammern dagegen dürfen im Allgemeinen nicht weggelassen werden, ebenso wenig darf die Reihenfolge der Glieder verändert werden. 2. Aufeinander folgende Glieder einer konvergenten Reihe dürfen durch eine Klammer zusammengefasst werden, wobei der Summenwert der Reihe erhalten bleibt. 3. Eine konvergente Reihe mit ausschließlich nichtnegativen Gliedern (d. h. a n 0 für alle n 2 N*) ist stets absolut konvergent. 4. Rechenregeln für konvergente Reihen a) Eine konvergente Reihe darf gliedweise mit einer Konstanten c multipliziert werden, wobei sich auch der Summenwert s der Reihe mit dieser Konstanten multipliziert: c 1 X 1 X an ¼ n¼1 c an ¼ c s ðVI-24Þ n¼1 b) Zwei konvergente Reihen mit den Summenwerten s a und s b dürfen gliedweise addiert bzw. subtrahiert werden, wobei sich die Summenwerte addieren bzw. subtrahieren: 1 X an þ n¼1 1 X bn ¼ n¼1 1 X n¼1 ða n þ b nÞ ¼ s a þ sb ðVI-25Þ Für absolut konvergente Reihen gelten sogar (sinngemäß) die gleichen Rechenregeln wie für endliche Summen! Die Glieder einer solchen Reihe dürfen beliebig angeordnet werden, eine solche Umordnung hat keinen Einfluss auf den Summenwert der Reihe. Für ein Produkt zweier absolut konvergenter Reihen mit den Summenwerten s a und s b gilt: 1 X n¼1 ! an 1 X n¼1 ! bn ¼ 1 X n¼1 cn ¼ sa sb ðVI-26Þ 1 Unendliche Reihen 589 Das Ausmultiplizieren erfolgt gliedweise wie bei endlichen Summen und kann z. B. nach dem folgenden Schema erfolgen: b1 b2 b3 ... a1 a1 b1 a1 b2 a1 b3 ... a2 a2 b1 a2 b2 a2 b3 ... a3 a3 b1 a3 b2 a3 b3 ... .. . .. . .. . .. . a 1 b 1 þ ða 1 b 2 þ a 2 b 1 Þ þ ða 1 b 3 þ a 2 b 2 þ a 3 b 1 Þ þ . . . |ffl{zffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} c1 c2 c3 & Beispiel In Abschnitt 1.3.4 haben wir bereits gezeigt, dass die alternierende harmonische Reihe konvergent ist. Wir dürfen daher aufeinander folgende Reihenglieder durch eine Klammer zu einem (neuen) Glied zusammenfassen. Wir erhalten auf diese Weise eine neue Darstellungsform der Reihe: 1 X ð 1Þ n þ 1 n¼1 1 1 1 1 1 1 ¼ 1 þ þ þ ... ¼ n 2 3 4 5 6 |fflfflffl{zfflfflffl} |fflfflffl{zfflfflffl} |fflfflffl{zfflfflffl} 1 1 1 1 1 ¼ 1 þ þ þ ... ¼ 2 3 4 5 6 21 43 65 þ þ þ ... ¼ ¼ 12 34 56 ¼ 1 1 1 þ þ þ ... ¼ 12 34 56 Das Bildungsgesetz dieser Reihe lautet offensichtlich: an ¼ 1 ð2 n 1Þ 2 n ðf ür alle n 2 N*Þ Somit gilt: 1 X n¼1 ð 1Þ n þ 1 1 1 X 1 1 1 X 1 ¼ ¼ n ð2 n 1Þ 2 n 2 ð2 n 1Þ n n¼1 n¼1 Der Summenwert der alternierenden harmonischen Reihe hat sich dabei nicht geändert. Wir werden in Abschnitt 3.2.2 zeigen, dass die Reihe den Summenwert s ¼ ln 2 besitzt (diese Reihe entsteht, wenn man die Logarithmusfunktion ln x um die Stelle x 0 ¼ 1 in eine Taylor-Reihe entwickelt und für die Variable x dann den Wert x ¼ 2 einsetzt). & 590 VI Potenzreihenentwicklungen 2 Potenzreihen 2.1 Definition einer Potenzreihe Potenzreihen unterscheiden sich von den bisher behandelten Zahlenreihen dadurch, dass ihre Glieder Potenzen und somit Funktionen einer unabhängigen Variablen x darstellen. Definition: Unter einer Potenzreihe versteht man eine unendliche Reihe vom Typ P ðxÞ ¼ 1 X an xn ¼ a0 þ a1 x1 þ a2 x2 þ . . . þ an xn þ . . . n¼0 ðVI-27Þ Die reellen Zahlen a 0 , a 1 , a 2 , . . . heißen Koeffizienten der Potenzreihe. Zu einer etwas allgemeineren Darstellungsform der Potenzreihen gelangt man durch die Definitionsvorschrift P ðxÞ ¼ 1 X a n ðx x 0 Þ n ¼ n¼0 ¼ a 0 þ a 1 ðx x 0 Þ 1 þ a 2 ðx x 0 Þ 2 þ . . . þ a n ðx x 0 Þ n þ . . . ðVI-28Þ Die Stelle x 0 heißt „Entwicklungspunkt“ oder auch „Entwicklungszentrum“. Für x 0 ¼ 0 erhalten wir die in den Anwendungen meist auftretende spezielle Form 1 X a n x n („Entwicklung um den Nullpunkt“). Die allgemeine Form (VI-28) kann dabei n¼0 stets mit Hilfe der formalen Substitution z ¼ x x 0 auf die spezielle Form (VI-27) zurückgeführt werden, so dass wir uns im Wesentlichen auf diesen Potenzreihentyp beschränken können. & Beispiele (1) P ðxÞ ¼ 1 X xn ¼ 1 þ x1 þ x2 þ ... þ xn þ ... n¼0 (2) P ðxÞ ¼ (3) P ðxÞ ¼ 1 X xn x1 x2 xn ¼ 1þ þ þ ... þ þ ... n! 1! 2! n! n¼0 1 X n¼1 ð 1Þ n þ 1 ðx 1Þ n ðx 1Þ 1 ðx 1Þ 2 ðx 1Þ 3 ¼ þ þ ... n 1 2 3 & 2 Potenzreihen 591 2.2 Konvergenzverhalten einer Potenzreihe Bei einer Potenzreihe P ðxÞ ¼ 1 X a n x n hängt der Wert eines jeden Gliedes und damit n¼0 auch der Summenwert (falls er überhaupt vorhanden ist) noch vom Wert der unabhängigen Variablen x ab. Wir beschäftigen uns daher in diesem Abschnitt mit dem Konvergenzverhalten einer Potenzreihe und untersuchen insbesondere, für welche x-Werte die Reihe konvergiert. Konvergenzbereich einer Potenzreihe Nach den Ausführungen in Abschnitt 1.2.2 konvergiert eine Potenzreihe P ðxÞ definitionsgemäß an einer Stelle x 1 , wenn die Partialsummenfolge P 0 ðx 1 Þ ¼ a 0 P 1 ðx 1 Þ ¼ a 0 þ a 1 x 1 P 2 ðx 1 Þ ¼ a 0 þ a 1 x 1 þ a 2 x 12 .. . P n ðx 1 Þ ¼ a 0 þ a 1 x 1 þ a 2 x 12 þ . . . þ a n x 1n .. . ðVI-29Þ einem Grenzwert, dem sog. Summenwert P ðx 1 Þ, zustrebt. Besitzt diese Folge jedoch keinen Grenzwert, so ist die Potenzreihe an der Stelle x 1 divergent. Wir definieren daher: Definition: Die Menge aller x-Werte, für die eine Potenzreihe giert, heißt Konvergenzbereich der Potenzreihe. 1 X a n x n konver- n¼0 Für x ¼ 0 konvergiert jede Potenzreihe und besitzt dort den Summenwert P ð0Þ ¼ a 0 . Es gibt Potenzreihen, die nur für x ¼ 0 konvergieren und solche, die für alle x 2 R konvergieren. Beispiele hierzu werden wir später noch kennenlernen. Allgemein lässt sich zeigen, dass eine Potenzreihe stets in einem bestimmten, zum Nullpunkt symmetrisch angeordneten Intervall j x j < r konvergiert und außerhalb dieses Intervalls divergiert, wobei wir zunächst einmal vom Konvergenzverhalten der Reihe in den beiden Randpunkten j x j ¼ r absehen wollen (Bild VI-3). Divergenz ? Konvergenz x1 = – r Bild VI-3 Konvergenzbereich einer Potenzreihe 0 ? x2 = r Divergenz x 592 VI Potenzreihenentwicklungen Geometrische Deutung des Konvergenzbereiches Der Konvergenzbereich einer Potenzreihe lässt sich geometrisch wie folgt konstruieren. Wir schlagen um den Nullpunkt der Zahlengerade (x-Achse) einen Kreis mit dem Radius r, den sog. Konvergenzkreis (Bild VI-3). Er schneidet die Zahlengerade an den Stellen x 1 ¼ r und x 2 ¼ þ r. Der Konvergenzbereich der Potenzreihe ist dann der im Innern des Konvergenzkreises liegende Bereich der Zahlengerade. Außerhalb dieses Bereiches divergiert die Reihe. Der Radius r des Konvergenzkreises heißt daher in diesem Zusammenhang auch Konvergenzradius. ber das Konvergenzverhalten einer Potenzreihe in den beiden Randpunkten lassen sich jedoch keine allgemeingültigen Aussagen machen. Es gibt Potenzreihen, die in einem der beiden Randpunkte oder sogar in beiden Randpunkten konvergieren, und solche, die in keinem der beiden Randpunkte konvergieren. Zur Feststellung des Konvergenzverhaltens in den Randpunkten bedarf es daher stets weiterer Untersuchungen. ber das Konvergenzverhalten einer Potenzreihe (Bild VI-3) Zu jeder Potenzreihe 1 X a n x n gibt es eine positive Zahl r, Konvergenzradius n¼0 genannt, mit den folgenden Eigenschaften: 1. Die Potenzreihe konvergiert überall im Intervall j x j < r. 2. Die Potenzreihe divergiert dagegen für j x j > r. 3. ber das Konvergenzverhalten der Potenzreihe in den Randpunkten j x j ¼ r lassen sich jedoch keine allgemeingültigen Aussagen machen. Es bedarf hierzu weiterer Untersuchungen. Anmerkungen (1) (2) (3) Der Konvergenzbereich einer Potenzreihe besteht somit aus dem Intervall j x j < r, zu dem gegebenenfalls noch ein oder sogar beide Randpunkte hinzukommen. Konvergiert eine Potenzreihe nur an der Stelle x ¼ 0, so setzt man r ¼ 0. Eine beständig, d. h. für alle x 2 R konvergierende Potenzreihe besitzt den Konvergenzradius r ¼ 1. Berechnung des Konvergenzradius Wir wollen nun eine Formel herleiten, mit der wir den Konvergenzradius r einer Po1 X a n x n berechnen können, wobei wir voraussetzen, dass sämtliche Koeffitenzreihe n¼0 zienten a n von Null verschieden sind. Nach dem Quotientenkriterium (VI-17) konver- 2 Potenzreihen 593 1 X giert die Reihe b n , wenn ihre Glieder die Bedingung n¼0 bnþ1 < 1 lim b n!1 ðVI-30Þ n erfüllen. Mit b n ¼ a n x n und b n þ 1 ¼ a n þ 1 x n þ 1 erhalten wir hieraus die folgende Konvergenzbedingung für unsere Potenzreihe: bnþ1 anþ1 xnþ1 anþ1 ¼ lim ¼ lim x ¼ lim n bn an x an n!1 n!1 n!1 anþ1 ¼ j x j lim a n þ 1 < 1 ¼ lim j x j ðVI-31Þ an an n!1 n!1 Durch Auflösen dieser Ungleichung nach j x j erhalten wir schließlich 1 an 1 ¼ r jxj < ¼ nlim a n þ 1 ¼ nlim !1 anþ1 !1 anþ1 lim a an n n!1 ðVI-32Þ wobei wir noch an r ¼ lim n!1 a nþ1 gesetzt haben. Die Potenzreihe ðVI-33Þ 1 X a n x n konvergiert somit für j x j < r, d. h. r ist n¼0 der gesuchte Konvergenzradius der Reihe. Wir fassen dieses wichtige Ergebnis wie folgt zusammen: Konvergenzradius einer Potenzreihe (Bild VI-3) Der Konvergenzradius r einer Potenzreihe an r ¼ lim n!1 anþ1 1 X a n x n lässt sich nach der Formel n¼0 ðVI-34Þ berechnen (Voraussetzung: alle Koeffizienten a n 6¼ 0 und der Grenzwert ist vorhanden). Die Reihe konvergiert dann für j x j < r und divergiert für j x j > r (vgl. hierzu auch Bild VI-3). In den beiden Randpunkten x 1 ¼ r und x 2 ¼ þ r ist das Konvergenzverhalten der Potenzreihe zunächst unbestimmt. Es bedarf hier weiterer Untersuchungen. 594 VI Potenzreihenentwicklungen Anmerkungen (1) Der Konvergenzradius lässt sich auch nach der Formel r ¼ 1 p ffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi lim n j a n j ðVI-35Þ n!1 berechnen, die man aus dem Wurzelkriterium (VI-18) erhält. (2) Die Formeln (VI-34) und (VI-35) gelten auch für den Konvergenzradius r einer 1 X a n ðx x 0 Þ n . Diese Reihe konvergiert Potenzreihe vom allgemeinen Typ n¼0 dann für j x x 0 j < r, d. h. im Intervall ðx 0 r, x 0 þ rÞ und divergiert für j x x 0 j > r, während das Konvergenzverhalten in den beiden Randpunkten x 1 ¼ x 0 r und x 2 ¼ x 0 þ r zunächst unbestimmt ist (Bild VI-4). Divergenz ? x0 – r ? Konvergenz x0 Divergenz x0 + r Bild VI-4 Konvergenzbereich einer Potenzreihe vom allgemeinen Typ x 1 X a n ðx x 0 Þ n n¼0 & Beispiele (1) Wir untersuchen das Konvergenzverhalten der geometrischen Reihe 1 X xn ¼ 1 þ x1 þ x2 þ . . . þ xn þ xnþ1 þ . . . n¼0 Mit a n ¼ 1 und a n þ 1 ¼ 1 erhalten wir für den Konvergenzradius dieser Reihe nach Formel (VI-34): an ¼ lim 1 ¼ lim 1 ¼ 1 r ¼ lim n!1 anþ1 n!1 1 n!1 Die geometrische Reihe konvergiert damit für j x j < 1 und divergiert für j x j > 1. Wir untersuchen jetzt das Konvergenzverhalten der Reihe in den beiden Randpunkten: Randpunkt x 1 ¼ 1: 1 1 þ 1 1 þ ... Randpunkt x 2 ¼ þ 1: 1 þ 1 þ 1 þ 1 þ ... 2 Potenzreihen 595 Beide Zahlenreihen sind divergent. Die erste Reihe wurde bereits im Anschluss an das Leibnizsche Konvergenzkriterium untersucht und dort als divergent erkannt (siehe hierzu Abschnitt 1.3.4). Die zweite Reihe besitzt den „ Summenwert “ s ¼ 1 und ist daher bestimmt divergent. Die geometrische Reihe konvergiert demnach im offenen Intervall 1 < x < 1. (2) Der Konvergenzradius der Potenzreihe 1 X xn x1 x2 xn xnþ1 ¼ 1þ þ þ ... þ þ þ ... n! 1! 2! n! ðn þ 1Þ! n¼0 1 1 beträgt nach Formel (VI-34) mit a n ¼ und a n þ 1 ¼ : n! ðn þ 1Þ! an r ¼ lim n!1 a nþ1 ¼ lim n!1 ¼ lim n!1 1 n! ðn þ 1Þ! ¼ lim ¼ n! 1 n!1 ðn þ 1Þ! n ! ðn þ 1Þ ¼ lim ðn þ 1Þ ¼ 1 n! n!1 Die Reihe ist daher beständig konvergent, d. h. sie konvergiert für jedes reelle x. (3) Wir untersuchen die Potenzreihe 1 X ð 1Þ n þ 1 n¼1 ðx 1Þ n ðx 1Þ 1 ðx 1Þ 2 ðx 1Þ 3 ¼ þ þ ... n 1 2 3 auf Konvergenz. Zunächst bringen wir die Reihe mit Hilfe der Substitution z ¼ x 1 in die etwas „bequemere“ Form 1 X ð 1Þ n þ 1 n¼1 zn z1 z2 z3 ¼ þ þ ... n 1 2 3 Der Konvergenzradius dieser alternierenden Reihe beträgt dann mit 1 1 a n ¼ ð 1Þ n þ 1 und a n þ 1 ¼ ð 1Þ n þ 2 n nþ1 nach Formel (VI-34): 1 ð 1Þ n þ 1 n ¼ lim 1 n!1 nþ1 nþ2 ð 1Þ nþ1 an r ¼ lim n!1 a 1 ¼ lim n!1 1 n 1 n nþ1 1 ¼ lim ¼ lim 1 þ ¼ 1 ¼ lim n n 1 n!1 n!1 n!1 nþ1 1 n ¼ 1 þ1 596 VI Potenzreihenentwicklungen Die Reihe konvergiert daher mit Sicherheit für j z j < 1. Wir untersuchen jetzt das Konvergenzverhalten in den beiden Randpunkten: 1 1 1 1 Randpunkt z 1 ¼ 1: 1 ... ¼ 1 þ þ þ ... 2 3 2 3 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} harmonische Reihe Die Reihe divergiert für z ¼ 1, da die harmonische Reihe bekanntlich divergiert (siehe hierzu Beispiel (2) aus Abschnitt 1.3.1). Randpunkt z 2 ¼ þ 1: 1 1 1 þ þ ... 2 3 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} alternierende harmonische Reihe Wir erhalten im rechten Randpunkt Konvergenz, da die alternierende harmonische Reihe bekanntlich konvergiert (siehe hierzu auch Abschnitt 1.3.4). Damit konvergiert die Potenzreihe für alle z-Werte aus dem Intervall 1 < z 1. Nach Rücksubstitution ergibt sich daher für die ursprüngliche Potenzreihe der folgende Konvergenzbereich: 1 < x 1 1 oder 0 < x 2 & 2.3 Eigenschaften der Potenzreihen Eine Potenzreihe P ðxÞ kann im Innern ihres Konvergenzkreises als eine Funktion der unabhängigen Variablen x aufgefasst werden, die jedem x aus dem Konvergenzinter1 X a n x n genau einen Funkvall ð r, rÞ mit Hilfe der Definitionsvorschrift P ðxÞ ¼ n¼0 tionswert zuordnet. Potenzreihen besitzen bemerkenswerte Eigenschaften, von denen wir an dieser Stelle nur einige besonders wichtige aufzählen wollen: Wichtige Eigenschaften der Potenzreihen 1. Eine Potenzreihe konvergiert innerhalb ihres Konvergenzbereiches absolut. 2. Eine Potenzreihe darf innerhalb ihres Konvergenzbereiches beliebig oft gliedweise differenziert und integriert werden. Die neuen Potenzreihen besitzen den gleichen Konvergenzradius wie die ursprüngliche Reihe. 3. Zwei Potenzreihen dürfen im gemeinsamen Konvergenzbereich der Reihen gliedweise addiert, subtrahiert und miteinander multipliziert werden. Die neuen Potenzreihen konvergieren dann mindestens im gemeinsamen Konvergenzbereich der beiden Ausgangsreihen. 3 Taylor-Reihen 597 Anmerkung Potenzreihen dürfen somit innerhalb ihres Konvergenzbereiches wie Polynomfunktionen behandelt werden, d. h. sie dürfen gliedweise addiert, subtrahiert, miteinander multipliziert, differenziert und integriert werden. & Beispiel Aus Abschnitt 2.2 ist bekannt, dass die geometrische Reihe P ðxÞ ¼ 1 þ x 1 þ x 2 þ x 3 þ . . . þ x n þ . . . ¼ 1 X xn n¼0 den Konvergenzradius r ¼ 1 besitzt. Dies gilt auch für die durch gliedweise Differentiation bzw. Integration gewonnenen Potenzreihen: P 0 ðxÞ ¼ d ð1 þ x 1 þ x 2 þ x 3 þ . . . þ x n þ . . .Þ ¼ dx ¼ 0 þ 1 þ 2 x1 þ 3 x2 þ . . . þ n xn1 þ . . . ¼ ¼ 1 X n xn1 ¼ n¼1 ð 1 X ðn þ 1Þ x n n¼0 ð P ðxÞ dx ¼ ð1 þ x 1 þ x 2 þ x 3 þ . . . þ x n þ . . .Þ dx ¼ ¼ x1 þ ¼ 1 X n¼0 1 2 1 3 1 4 1 x þ x þ x þ ... þ xnþ1 þ . . . ¼ 2 3 4 nþ1 1 X 1 1 n xnþ1 ¼ x nþ1 n n¼1 & 3 Taylor-Reihen Aus dem vorherigen Abschnitt ist bekannt, dass Potenzreihen in vieler Hinsicht ähnlich einfache Eigenschaften besitzen wie Polynomfunktionen. Wir werden in diesem Abschnitt zeigen, dass es unter gewissen Voraussetzungen grundsätzlich möglich ist, eine vorgegebene Funktion f ðxÞ in eine Potenzreihe zu „entwickeln“. Aus einer solchen Reihenentwicklung lassen sich dann durch Abbruch der Reihe einfache Näherungsfunktionen für f ðxÞ in Form von Polynomen gewinnen. 598 VI Potenzreihenentwicklungen Die Potenzreihenentwicklung einer Funktion erweist sich in den naturwissenschaftlichtechnischen Anwendungen als ein außerordentlich nützliches mathematisches Hilfsmittel und wird z. B. bei der Lösung der folgenden Problemstellungen herangezogen: Annäherung einer Funktion durch eine Polynomfunktion (z. B. durch eine lineare oder quadratische Funktion) Näherungsweise Berechnung von Funktionswerten Herleitung von Näherungsformeln für die „praktische“ Mathematik Integration einer Funktion durch Potenzreihenentwicklung des Integranden und anschließender gliedweiser Integration Näherungsweises Lösen von Gleichungen Auswertung sog. „unbestimmter Ausdrücke“ 3.1 Ein einführendes Beispiel Als einführendes Beispiel betrachten wir die besonders einfach gebaute Potenzreihe P ðxÞ ¼ 1 þ x 1 þ x 2 þ x 3 þ . . . ¼ 1 X ðVI-36Þ xn n¼0 Es handelt sich dabei um die bereits aus den Abschnitten 1.2.2 und 2.2 bekannte geometrische Reihe mit den folgenden Eigenschaften: 1. Die Potenzreihe konvergiert nur für j x j < 1. 2. Die Reihe besitzt in diesem Konvergenzbereich den „Summenwert“ 1 . 1x Daher gilt im Intervall 1 < x < 1: 1 þ x1 þ x2 þ x3 þ ... ¼ 1 1x ðVI-37Þ Diese Gleichung lässt sich aber auch als „Gleichheit“ zweier Funktionen interpretieren. Auf der rechten Seite der Gleichung steht die gebrochenrationale Funktion 1 X 1 , auf der linken Seite die Potenzreihe P ðxÞ ¼ x n . Beide Funktionen f ðxÞ ¼ 1x n¼0 stimmen überall im Intervall 1 < x < 1 in ihren Funktionswerten miteinander 1 X x n als eine überein. Wir können daher in diesem Intervall die Potenzreihe P ðxÞ ¼ n¼0 1 ansehen. 1x Man bezeichnet diese Art der Darstellung einer Funktion durch eine Potenzreihe als Potenzreihenentwicklung. Dabei ist jedoch zu beachten, dass eine solche Darstellung stets auf ein bestimmtes Intervall beschränkt bleibt. In unserem Fall gilt die Potenzreihenentwicklung spezielle Darstellungsform der gebrochenrationalen Funktion f ðxÞ ¼ f ðxÞ ¼ 1 ¼ 1 þ x1 þ x2 þ x3 þ ... 1x ðVI-38Þ 3 Taylor-Reihen 599 1 mit Ausnah1x me von x ¼ 1 auch außerhalb dieses Intervalls definiert ist (siehe hierzu Bild VI-5). nur für das Intervall 1 < x < 1, obwohl die Funktion f ðxÞ ¼ y 5 y= 1 , |x| < 1 1–x 1 –1 –1 1 2 x –5 1 Bild VI-5 Zur Potenzreihenentwicklung der echt gebrochenrationalen Funktion f ðxÞ ¼ im 1 x Intervall 1 < x < 1 (grau unterlegter Bereich) 3.2 Potenzreihenentwicklung einer Funktion 3.2.1 Mac Laurinsche Reihe Bei unseren berlegungen gehen wir zunächst von den folgenden Annahmen aus: 1. Die Entwicklung der Funktion f ðxÞ in eine Potenzreihe vom Typ f ðxÞ ¼ a 0 þ a 1 x 1 þ a 2 x 2 þ a 3 x 3 þ a 4 x 4 þ . . . ðVI-39Þ ist grundsätzlich möglich und eindeutig. 2. Die Funktion f ðxÞ ist in einer gewissen Umgebung von x ¼ 0 beliebig oft differenzierbar und die Funktions- bzw. Ableitungswerte f ð0Þ, f 0 ð0Þ, f 00 ð0Þ, f 000 ð0Þ, . . . sind bekannt (oder können zumindest aus der Funktionsgleichung und deren Ableitungen berechnet werden). Wir wollen jetzt zeigen, dass unter diesen Voraussetzungen die Koeffizienten a 0 , a 1 , a 2 , a 3 , . . . in der Potenzreihenentwicklung (VI-39) eindeutig durch die Funktions- und Ableitungswerte f ð0Þ, f 0 ð0Þ, f 00 ð0Þ, f 000 ð0Þ, . . . bestimmt sind. Ist r der Konvergenzradius der Potenzreihe, so konvergieren auch sämtliche durch gliedweise Differentiation gewonnenen Reihenentwicklungen für j x j < r. 600 VI Potenzreihenentwicklungen Die ersten Ableitungen lauten dabei: f 0 ðxÞ ¼ a 1 þ 2 a 2 x 1 þ 3 a 3 x 2 þ 4 a 4 x 3 þ . . . f 00 ðxÞ ¼ 1 2 a 2 þ 2 3 a 3 x 1 þ 3 4 a 4 x 2 þ . . . f 000 (VI-40) ðxÞ ¼ 1 2 3 a 3 þ 2 3 4 a 4 x 1 þ . . . .. . An der Stelle x ¼ 0 gilt dann: f ð0Þ ¼ a 0 ¼ 1 a 0 ¼ ð0 !Þ a 0 f 0 ð0Þ ¼ a 1 ¼ 1 a 1 ¼ ð1 !Þ a 1 f 00 ð0Þ ¼ 1 2 a 2 ¼ ð2 !Þ a 2 f 000 ðVI-41Þ ð0Þ ¼ 1 2 3 a 3 ¼ ð3 !Þ a 3 .. . Aus diesen Beziehungen lassen sich die Koeffizienten wie folgt berechnen: a0 ¼ f ð0Þ , 0! a1 ¼ f 0 ð0Þ , 1! a2 ¼ f 00 ð0Þ , 2! a3 ¼ f 000 ð0Þ , ... 3! ðVI-42Þ Offensichtlich genügen die Koeffizienten der Potenzreihenentwicklung (VI-39) dem allgemeinen Bildungsgesetz an ¼ f ðnÞ ð0Þ n! ðn ¼ 0, 1, 2, . . .Þ ðVI-43Þ und sind durch die Funktions- und Ableitungswerte von f ðxÞ an der Stelle x ¼ 0 eindeutig bestimmt. 7) Für die Potenzreihenentwicklung einer Funktion gilt daher unter den genannten Voraussetzungen: Entwicklung einer Funktion in eine Potenzreihe (Mac Laurinsche Reihe) Unter bestimmten Voraussetzungen lässt sich eine Funktion f ðxÞ in eine Potenzreihe der Form f ðxÞ ¼ f ð0Þ þ 1 X f 0 ð0Þ 1 f 00 ð0Þ 2 f n ð0Þ n x þ x þ ... ¼ x 1! 2! n! n¼0 entwickeln (sog. Mac Laurinsche Reihe). 7) f ð0Þ ð0Þ ¼ f ð0Þ: Die Funktion f ðxÞ wird hier (rein formal) als „nullte Ableitung“ aufgefasst. ðVI-44Þ 3 Taylor-Reihen 601 Anmerkungen & (1) Nicht jede Funktion ist in eine Mac Laurinsche Reihe entwickelbar. Eine für die Potenzreihenentwicklung notwendige Bedingung haben wir bereits erkannt: Die zu entwickelnde Funktion f ðxÞ muss in der Umgebung der Entwicklungsstelle x ¼ 0 beliebig oft differenzierbar sein. Diese Bedingung ist jedoch keinesfalls hinreichend, d. h. nicht jede beliebig oft differenzierbare Funktion ist in Form einer Potenzreihe darstellbar. Im Rahmen dieser Darstellung können wir auf Einzelheiten nicht näher eingehen und verweisen den Leser auf die spezielle mathematische Literatur. Im Zusammenhang mit der Restgliedabschätzung bei Näherungspolynomen werden wir dieses Thema aber nochmals kurz streifen (siehe hierzu Abschnitt 3.3.1). (2) Die Mac Laurinsche Reihe von f ðxÞ ist die Potenzreihenentwicklung von f ðxÞ um den Nullpunkt x ¼ 0, der daher in diesem Zusammenhang auch als Entwicklungspunkt oder Entwicklungszentrum bezeichnet wird. Sie ist ein Sonderfall einer allgemeineren Potenzreihenentwicklung nach Taylor, mit der wir uns in Abschnitt 3.2.2 noch eingehend beschäftigen werden. (3) Der Konvergenzradius r der Mac Laurinschen Reihe von f ðxÞ kann nach der Formel (VI-34) oder (VI-35) berechnet werden. Innerhalb des Konvergenzbereiches, d. h. für j x j < r wird die Funktion f ðxÞ dabei durch ihre Mac Laurinsche Reihe dargestellt. (4) Die Symmetrieeigenschaften einer Funktion spiegeln sich auch in ihrer Mac Laurinschen Reihe wider: In der Reihenentwicklung einer geraden Funktion treten nur gerade, in der Reihenentwicklung einer ungeraden Funktion dagegen nur ungerade Potenzen auf. Beispiele (1) Mac Laurinsche Reihen von f ðxÞ ¼ e x und f ðxÞ ¼ e x Für die e-Funktion ist f ðnÞ ðxÞ ¼ e x und somit f ðnÞ ð0Þ ¼ e 0 ¼ 1 ðn ¼ 0, 1, 2, . . .Þ Die Mac Laurinsche Reihe von f ðxÞ ¼ e x lautet demnach wie folgt: ex ¼ 1 þ ¼ 1þ 1 1 1 2 1 3 x þ x þ x þ ... ¼ 1! 2! 3! 1 X x1 x2 x3 xn þ þ þ ... ¼ 1! 2! 3! n! n¼0 Ihr Konvergenzradius beträgt r ¼ 1, d. h. die Reihe konvergiert beständig (siehe hierzu auch Beispiel (2) aus Abschnitt 2.2). 602 VI Potenzreihenentwicklungen Ersetzen wir in der Reihenentwicklung von f ðxÞ ¼ e x die Variable x formal durch x, so erhalten wir die Mac Laurinsche Reihe von f ðxÞ ¼ e x : ð xÞ 1 ð xÞ 2 ð xÞ 3 þ þ þ ... ¼ 1! 2! 3! ex ¼ 1 þ ¼ 1 1 X x1 x2 x3 xn ð 1Þ n þ þ ... ¼ 1! 2! 3! n! n¼0 Sie konvergiert ebenfalls für alle x 2 R, d. h. beständig. (2) Mac Laurinsche Reihen von f ðxÞ ¼ cos x und f ðxÞ ¼ sin x Wir entwickeln zunächst die Kosinusfunktion f ðxÞ ¼ cos x in eine Mac Laurinsche Reihe. Es ist: 9 f ðxÞ ¼ cos x ) f ð0Þ ¼ cos 0 ¼ 1 > > > f 0 ð0Þ ¼ sin 0 ¼ 0 = f 0 ðxÞ ¼ sin x ) Viererzyklus f 00 ðxÞ ¼ cos x ) f 00 ð0Þ ¼ cos 0 ¼ 1 > > > ; f 000 ðxÞ ¼ sin x ) f 000 ð0Þ ¼ sin 0 ¼ 0 f ð4Þ ðxÞ ¼ cos x ) f ð4Þ ð0Þ ¼ cos 0 ¼ 1 Ab der vierten Ableitung wiederholen sich die Ableitungswerte. In einem regelmäßigen Viererzyklus werden dabei der Reihe nach die Werte 1, 0, 1 und 0 durchlaufen. Die Mac Laurinsche Reihe der Kosinusfunktion besitzt demnach die folgende Gestalt: cos x ¼ 1 1 X x2 x4 x6 x2n þ þ ... ¼ ð 1Þ n 2! 4! 6! ð2 nÞ! n¼0 Sie enthält wegen der Spiegelsymmetrie der Kosinuskurve zur y-Achse ausschließlich gerade Potenzen. Eine Berechnung des Konvergenzradius nach Formel (VI-34) ist zunächst nicht möglich, da in der Reihenentwicklung jeder zweite Koeffizient verschwindet. Wir helfen uns mit einem mathematischen „Trick“ und bringen die Reihe mit Hilfe der Substitution t ¼ x 2 auf eine neue Gestalt: 1 1 X t1 t2 t3 tn ð 1Þ n þ þ ... ¼ 2! 4! 6! ð2 nÞ! n¼0 Diese Potenzreihe in der neuen Variablen t enthält alle Potenzen, ihr Konvergenzradius kann daher mit Hilfe der Formel (VI-34) berechnet werden: ð 1Þ n ð2 n þ 2Þ! an ð2 n þ 2Þ! ¼ r ¼ lim ¼ lim ¼ lim n þ 1 ð2 nÞ! n!1 anþ1 n!1 n!1 ð2 nÞ! ð 1Þ ¼ lim n!1 ð2 nÞ! ð2 n þ 1Þ ð2 n þ 2Þ ¼ lim ð2 n þ 1Þ ð2 n þ 2Þ ¼ 1 ð2 nÞ! n!1 3 Taylor-Reihen 603 pffiffiffiffi Die Reihe konvergiert somit für alle t 2 R. Wegen x 2 ¼ t und somit x ¼ t gilt dies auch für alle x 2 R, d. h. die Kosinusreihe konvergiert (erwartungsgemäß) beständig. Die Mac Laurinsche Reihe der Sinusfunktion erhalten wir am bequemsten durch gliedweise Differentiation der Kosinusreihe (bekanntlich ist ðcos xÞ 0 ¼ sin x und damit sin x ¼ ðcos xÞ 0 ): d d x2 x4 x6 sin x ¼ ðcos xÞ ¼ 1 þ þ ... ¼ dx dx 2! 4! 6! 2x1 4x3 6x5 þ þ ... ¼ ¼ 0 2! 4! 6! ¼ ¼ 2 x1 4 x3 6 x5 x1 x3 x5 þ þ ... ¼ þ þ ... ¼ 1 2 3! 4 5! 6 1! 3! 5! 1 X ð 1Þ n n¼0 x2nþ1 ð2 n þ 1Þ! Sie konvergiert ebenso wie die Mac Laurinsche Reihe der Kosinusfunktion beständig. Auch diese Potenzreihe lässt sich natürlich auf direktem Wege über die Mac Laurinsche Entwicklungsformel (VI-44) herleiten. Wegen der Punktsymmetrie der Sinusfunktion treten in der Potenzreihenentwicklung nur ungerade Potenzen auf. (3) n Binomische Reihe ð1 þ xÞ Wir entwickeln zunächst die Funktion f ðxÞ ¼ ð1 þ xÞ n mit n 2 R in eine Mac Laurinsche Reihe. Die dabei benötigten Ableitungen und ihre Werte an der Stelle x ¼ 0 lauten: f ðxÞ ¼ ð1 þ xÞ n ) f ð0Þ ¼ 1 f 0 ðxÞ ¼ n ð1 þ xÞ n 1 ) f 0 ð0Þ ¼ n f 00 ðxÞ ¼ n ðn 1Þ ð1 þ xÞ n 2 ) f 00 ð0Þ ¼ n ðn 1Þ ) f f 000 ðxÞ ¼ n ðn 1Þ ðn 2Þ ð1 þ xÞ n 3 000 ð0Þ ¼ n ðn 1Þ ðn 2Þ .. . Die Mac Laurinsche Reihenentwicklung nach Formel (VI-44) beginnt daher wie folgt: ð1 þ xÞ n ¼ 1 þ ¼ 1þ n 1 n ðn 1Þ 2 n ðn 1Þ ðn 2Þ 3 x þ x þ x þ ... ¼ 1! 2! 3! n 1 n ðn 1Þ 2 n ðn 1Þ ðn 2Þ 3 x þ x þ x þ ... 1 12 123 604 VI Potenzreihenentwicklungen Die Koeffizienten dieser Reihe sind die bereits aus Kap. I (Abschnitt 6) bekannten Binomialkoeffizienten n ðn 1Þ ðn 2Þ . . . ðn k þ 1Þ n ¼ k 1 2 3... k Die Mac Laurinsche Reihe von f ðxÞ ¼ ð1 þ xÞ n ist damit in der Form 1 X n n n n xk ð1 þ xÞ n ¼ 1 þ x1 þ x2 þ x3 þ ... ¼ k 1 2 3 k¼0 darstellbar und wird als Binomische Reihe oder auch Binomialreihe bezeichnet. Bei der Berechnung des Konvergenzradius r dieser Reihe müssen wir die Fälle n 2 N* und n 2 = N* unterscheiden. 1: Fall : n 2 N* Die Binomische Reihe bricht nach der n-ten Potenz, d. h. nach dem ðn þ 1Þ-ten Glied ab, da ð1 þ xÞ n in diesem Sonderfall ein Polynom n-ten Grades darstellt. Die „Reihenentwicklung“ konvergiert selbstverständlich für jedes x 2 R. 2: Fall : n 2 = N* Wir erhalten jetzt eine echte Potenzreihe mit dem Konvergenzradius r ¼ 1: n k ak ¼ lim r ¼ lim ¼ n k!1 akþ1 k!1 k þ1 n ðn 1Þ ðn 2Þ . . . ðn k þ 1Þ 1 2 3 ... k ¼ lim ¼ k ! 1 n ðn 1Þ ðn 2Þ . . . ðn k þ 1Þ ðn kÞ 1 2 3 . . . k ðk þ 1Þ n ðn 1Þ ðn 2Þ . . . ðn k þ 1Þ 1 2 3 . . . k ðk þ 1Þ ¼ lim ¼ k ! 1 n ðn 1Þ ðn 2Þ . . . ðn k þ 1Þ ðn kÞ 1 2 3 . . . k 1 1þ k þ 1 k ¼ lim ¼ lim n n k k!1 k!1 1 k 1 þ 0 ¼ j 1j ¼ 1 ¼ 0 1 (die grau unterlegten Faktoren im Bruch kürzen sich heraus). Die Binomialreihe konvergiert daher für j x j < 1 und im Falle n > 0 sogar für j x j 1 (siehe hierzu auch Tabelle 1 in Abschnitt 3.2.3). 3 Taylor-Reihen 605 Die Potenzreihenentwicklung von f ðxÞ ¼ ð1 xÞ n erhalten wir auf formalem Wege aus der Binomischen Reihe ð1 þ xÞ n , indem wir dort x durch x ersetzen: n n n ð xÞ 1 þ ð xÞ 2 þ ð xÞ 3 þ . . . ¼ ð1 xÞ n ¼ 1 þ 1 2 3 n n n 1 2 x þ x x3 þ ... ¼ ¼ 1 1 2 3 1 X n ¼ ð 1Þ k xk k k¼0 Wir fassen die Potenzreihenentwicklungen von ð1 þ xÞ n und ð1 xÞ n noch in einer Formel zusammen: n n n n 1 2 þ 3 þ ð1 þ xÞ ¼ 1 þ x x 3 x þ ... 1 2 Zahlenbeispiele Für n ¼ 1=2 erhalten wir beispielsweise die Binomischen Reihen qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 1 1 2 1 3 1=2 ¼ 1þ ð1 þ xÞ 16 x . . . x ¼ 1þ 2 x 8 x þ Sie konvergieren im Intervall j x j 1. Für n ¼ 1 lauten die Binomischen Reihen wie folgt: 1 1 1 2 3 4 ¼ 1 ¼ ð1 þ þx þx þx þx þ ... xÞ 1þ x Beide Reihen konvergieren für j x j < 1. Anmerkung n Das etwas allgemeinere Binom ða þ bÞ mit n 2 R lässt sich stets wie folgt n þ auf die Binomische Reihe ð1 xÞ zurückführen: n b b n n n n þ þ þ ða bÞ ¼ a 1 ¼ a 1 ¼ a n ð1 þ xÞ a a wobei x ¼ b=a gesetzt wurde. (4) Mac Laurinsche Reihe von f ðxÞ ¼ ex 1x Die Herleitung der gesuchten Potenzreihe auf dem direkten Wege über die Entwicklungsformel (VI-44) wäre sehr mühsam (hoher Aufwand bei Differenzieren mit Hilfe der Quotienten- und Kettenregel). Wir beschreiben daher einen anderen Weg (Reihenmultiplikation genannt). 606 VI Potenzreihenentwicklungen Diese Funktion lässt sich auch wie folgt als Produkt zweier relativ einfacher Funktionen darstellen: f ðxÞ ¼ ex 1 ¼ ex ¼ e x ð1 xÞ 1 1x 1x Wir gehen im Weiteren von den bereits bekannten Mac Laurinschen Reihen der beiden Faktorfunktionen f 1 ðxÞ ¼ e x und f 2 ðxÞ ¼ ð1 xÞ 1 aus: ex ¼ 1 þ x1 x2 x3 þ þ þ ... 1! 2! 3! ðj x j < 1Þ 1 ¼ ð1 xÞ 1 ¼ 1 þ x 1 þ x 2 þ x 3 þ . . . 1x ðj x j < 1Þ Durch gliedweise Multiplikation dieser Reihen erhalten wir die gewünschte Reihenex entwicklung der Funktion f ðxÞ ¼ . Beim gliedweisen Ausmultiplizieren 1x (wie bei endlichen Summen) sollen dabei nur Potenzen bis einschließlich 3. Grades berücksichtigt werden. Die Potenzreihenentwicklung beginnt dann wie folgt: ex ¼ e x ð1 xÞ 1 ¼ 1x x1 x2 x3 þ þ þ . . . ð1 þ x 1 þ x 2 þ x 3 þ . . .Þ ¼ ¼ 1þ 1! 2! 3! 1 2 1 3 x þ x þ . . . ð1 þ x 1 þ x 2 þ x 3 þ . . .Þ ¼ ¼ 1 þ x1 þ 2 6 ¼ 1 þ x1 þ x2 þ x3 þ ... þ x1 þ x2 þ x3 þ ... þ 1 2 1 3 x þ x þ ... 2 2 1 3 x þ ... ¼ 6 1 1 1 þ x2 þ 2 þ x3 þ ... ¼ ¼ 1 þ 2x1 þ 2 þ 2 2 6 |fflfflffl{zfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflffl} þ 5=2 ¼ 1 þ 2x1 þ 16=6 ¼ 8=3 5 2 8 3 x þ x þ ... 2 3 Diese Reihe konvergiert im Intervall j x j < 1. & 3 Taylor-Reihen 607 3.2.2 Taylorsche Reihe Die Potenzreihenentwicklung einer Funktion f ðxÞ um den Nullpunkt x 0 ¼ 0 führte uns zur Mac Laurinschen Reihe von f ðxÞ. Sie ist ein in den Anwendungen besonders wichtiger Sonderfall einer allgemeineren, nach Taylor benannten Reihenentwicklung. Denn grundsätzlich kann man eine Funktion f ðxÞ um eine beliebige Stelle x 0 entwickeln, wenn dort die gleichen Voraussetzungen wie bei der Mac Laurinschen Reihe vorliegen. Die dann als Taylorsche Reihe von f ðxÞ bezeichnete Potenzreihenentwicklung von f ðxÞ besitzt dabei die folgende Gestalt: Taylorsche Reihe einer Funktion f ðxÞ ¼ f ðx 0 Þ þ ¼ f 0 ðx 0 Þ f 00 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ 1 þ ðx x 0 Þ 2 þ . . . ¼ 1! 2! 1 X f ðnÞ ðx 0 Þ ðx x 0 Þ n n ! n¼0 ðVI-45Þ x 0 : Entwicklungszentrum oder Entwicklungspunkt Anmerkungen & (1) Für das Entwicklungszentrum x 0 ¼ 0 geht die Taylorsche Reihe (VI-45) in die Mac Laurinsche Reihe (VI-44) über, die somit nichts anderes darstellt als eine spezielle Form der Taylorschen Reihe. (2) Der Konvergenzradius r der Taylorschen Reihe wird nach der Formel (VI-34) oder (VI-35) bestimmt. Die Reihe konvergiert dann für jedes x aus j x x 0 j < r, d. h. überall im Intervall x 0 r < x < x 0 þ r. Beispiel Die Entwicklung der logarithmischen Funktion f ðxÞ ¼ ln x in eine Mac Laurinsche Reihe ist nicht möglich, da der Logarithmus an der Stelle x ¼ 0 bekanntlich nicht definiert ist. Wir wählen daher x 0 ¼ 1 als Entwicklungszentrum. Für die benötigten Funktions- und Ableitungswerte an dieser Stelle erhalten wir: f ðxÞ ¼ ln x f 0 ðxÞ ¼ 1 ¼ x1 x f 00 ðxÞ ¼ x 2 f 000 ðxÞ ¼ 2 x 3 f ð4Þ ðxÞ ¼ 2 3 x 4 .. . ) f ð1Þ ¼ ln 1 ¼ 0 ) f 0 ð1Þ ¼ 1 ) f 00 ð1Þ ¼ 1 ) f ) f ð4Þ ð1Þ ¼ 2 3 000 ð1Þ ¼ 2 608 VI Potenzreihenentwicklungen Die gesuchte Taylorsche Reihe von f ðxÞ ¼ ln x um das Entwicklungszentrum x 0 ¼ 1 lautet somit: ln x ¼ 0 þ 1 1 2 23 ðx 1Þ 1 ðx 1Þ 2 þ ðx 1Þ 3 ðx 1Þ 4 þ . . . ¼ 1! 2! 3! 4! ¼ 2 ðx 1Þ 3 2 3 ðx 1Þ 4 ðx 1Þ 1 ðx 1Þ 2 þ þ ... ¼ 1 2 1 2 3 1 2 3 4 ¼ ðx 1Þ 1 ðx 1Þ 2 ðx 1Þ 3 ðx 1Þ 4 þ þ ... ¼ 1 2 3 4 ¼ 1 X n¼1 ð 1Þ n þ 1 ðx 1Þ n n Die sehr langsam konvergierende Potenzreihe besitzt den Konvergenzradius r ¼ 1 und den Konvergenzbereich 0 < x 2. In diesem und nur diesem Intervall repräsentiert die Reihe den natürlichen Logarithmus. So erhalten wir beispielsweise an der Stelle x ¼ 2 eine Darstellung des Funktionswertes ln 2 durch die bekannte alternierende harmonische Reihe: ln 2 ¼ 1 1 1 1 þ þ ... 2 3 4 Der Summenwert beträgt 0,6931 (auf vier Dezimalstellen nach dem Komma genau). & 3.2.3 Tabellarische Zusammenstellung wichtiger Potenzreihenentwicklungen Der Leser findet in der nachfolgenden Tabelle 1 eine Zusammenstellung der Potenzreihenentwicklungen einiger besonders wichtiger Funktionen. Tabelle 1: Potenzreihenentwicklungen einiger besonders wichtiger Funktionen Funktion n ð1 þ xÞ Potenzreihenentwicklung Konvergenzbereich Allgemeine Binomische Reihe8) n n n n 1 2 þ 3 x 1þ x þ x þ x4 þ 3 ... 1 2 4 n > 0 : jxj 1 n < 0 : jxj < 1 Spezielle Binomische Reihen 1 1 11 2 113 3 1135 4 1þ 2 x 24x þ 246x 2468x þ ... jxj 1 1=2 1 1 13 2 135 3 1357 4 ð1 þ xÞ x þ x þ x þ x þ ... 1 þ 2 24 246 2468 jxj < 1 1=2 ð1 þ xÞ 8) Für den Sonderfall n 2 N* erhalten wir ein Polynom n-ten Grades, das selbstverständlich für jedes x 2 R „konvergiert“. 3 Taylor-Reihen 609 Tabelle 1: Fortsetzung Funktion Potenzreihenentwicklung Konvergenzbereich 1 ð1 þ xÞ 1 2 3 4 1 þx þx þ ... þx þx jxj < 1 2 ð1 þ xÞ 1 2 3 4 1 þ 4x þ 5x þ ... þ 2x þ 3x jxj < 1 Trigonometrische Reihen sin x x1 x3 x5 x7 x9 þ þ þ ... 1! 3! 5! 7! 9! cos x 1 tan x x1 þ jxj < 1 x2 x4 x6 x8 þ þ þ ... 2! 4! 6! 8! jxj < 1 1 3 2 5 17 7 62 9 x þ x þ x þ x þ ... 3 15 315 2835 jxj < p 2 Exponential- und logarithmische Reihen x1 x2 x3 x4 þ þ þ þ ... 1! 2! 3! 4! jxj < 1 ex 1þ ln x ðx 1Þ 1 ðx 1Þ 2 ðx 1Þ 3 ðx 1Þ 4 þ þ ... 1 2 3 4 ln 1þx 1x 2 x1 x3 x5 x7 x9 þ þ þ þ þ ... 1 3 5 7 9 0 < x 2 jxj < 1 Reihen der Arkusfunktionen arcsin x arccos x arctan x 1 13 135 x3 þ x5 þ x7 þ ... 23 245 2467 p 1 13 135 x1 þ x3 þ x5 þ x7 þ ... 2 23 245 2467 x1 þ x1 x3 x5 x7 x9 þ þ þ ... 1 3 5 7 9 jxj < 1 jxj < 1 jxj 1 Reihen der Hyperbelfunktionen sinh x x1 x3 x5 x7 x9 þ þ þ þ þ ... 1! 3! 5! 7! 9! cosh x 1þ tanh x x1 x2 x4 x6 x8 þ þ þ þ ... 2! 4! 6! 8! 1 3 2 5 17 7 62 9 x þ x x þ x þ ... 3 15 315 2835 jxj < 1 jxj < 1 jxj < p 2 610 VI Potenzreihenentwicklungen 3.3 Anwendungen der Potenzreihenentwicklungen 3.3.1 Näherungspolynome einer Funktion In den praktischen Anwendungen besteht häufig der Wunsch, eine vorgegebene Funktion f ðxÞ durch eine Polynomfunktion anzunähern bzw. zu ersetzen. Denn Polynomfunktionen besitzen bekanntlich besonders einfache und überschaubare Eigenschaften. Mit Hilfe der Potenzreihenentwicklung lässt sich diese Aufgabe in vielen Fällen wie folgt lösen. Wir entwickeln zunächst die Funktion f ðxÞ in eine Mac Laurinsche Reihe 9) : f ðxÞ ¼ f ð0Þ þ f 0 ð0Þ 1 f 00 ð0Þ 2 f ðnÞ ð0Þ n x þ x þ ... þ x þ ... 1! 2! n! ðVI-46Þ Durch Abbruch dieser Reihe nach der n-ten Potenz erhalten wir das folgende Näherungspolynom n-ten Grades für f ðxÞ (auch Mac Laurinsches Polynom genannt): f n ðxÞ ¼ f ð0Þ þ f 0 ð0Þ 1 f 00 ð0Þ 2 f ðnÞ ð0Þ n x þ x þ ... þ x 1! 2! n! ðVI-47Þ Die dabei vernachlässigten (unendlich vielen!) Glieder fassen wir zu einem sog. Restglied R n ðxÞ zusammen: R n ðxÞ ¼ f ðn þ 1Þ ð0Þ n þ 1 f ðn þ 2Þ ð0Þ n þ 2 x x þ þ ... ðn þ 1Þ! ðn þ 2Þ! ðVI-48Þ Das Restglied erfasst somit alle Reihenglieder der Entwicklung (VI-46) ab der ðn þ 1Þ-ten Potenz. Die Funktion f ðxÞ unterscheidet sich also von ihrem Näherungspolynom f n ðxÞ durch das Restglied R n ðxÞ. Daher gilt: f ðxÞ ¼ f n ðxÞ þ R n ðxÞ ¼ ¼ f ð0Þ þ f 0 ð0Þ 1 f 00 ð0Þ 2 f ðnÞ ð0Þ n x þ x þ ... þ x þ R n ðxÞ 1! 2! n! ðVI-49Þ Diese Darstellungsform der Funktion f ðxÞ als Summe aus einem Polynom n-ten Grades und einem Restglied wird allgemein als Taylorsche Formel bezeichnet. Taylorsche Formel f ðxÞ ¼ f n ðxÞ þ R n ðxÞ ðVI-50Þ Dabei bedeuten: f n ðxÞ: R n ðxÞ: 9) Mac Laurinsches Polynom vom Grade n nach Gleichung (VI-47) Restglied nach Gleichung (VI-48) Die folgenden berlegungen gelten sinngemäß auch für Potenzreihenentwicklungen um eine (beliebige) Stelle x 0 , wobei wir dann von der Taylorschen Reihe von f ðxÞ ausgehen müssen. 3 Taylor-Reihen 611 Die Güte der Mac Laurinschen Näherungspolynome lässt sich dabei durch Hinzunahme weiterer Glieder stets noch verbessern. Gleichzeitig verliert das Restglied R n ðxÞ immer mehr an Bedeutung und wird schließlich vernachlässigbar klein 10). Das Restglied beschreibt somit den Fehler, den man begeht, wenn man die Funktion f ðxÞ durch ihr Näherungspolynom f n ðxÞ ersetzt. Es ist in der Praxis jedoch nahezu unmöglich, den exakten Wert des Restgliedes R n ðxÞ zu bestimmen. Der durch die Vernachlässigung des Restgliedes entstandene Fehler kann daher in der Regel nur abgeschätzt werden. Meist wird hierzu die folgende von Lagrange stammende Form des Restgliedes R n ðxÞ herangezogen: Restglied nach Lagrange R n ðxÞ ¼ f ðn þ 1Þ ð# xÞ n þ 1 x ðn þ 1Þ! ð0 < # < 1Þ ðVI-51Þ Anmerkung Neben der Lagrangeschen Form kennt man noch weitere Formen des Restgliedes, z. B. die nach Cauchy und Euler benannten Formen. Im Rahmen dieser (einführenden) Darstellung können wir darauf nicht näher eingehen. Geometrische Deutung der Näherungspolynome Das Restglied R n ðxÞ verschwindet stets für x ¼ 0 : R n ð0Þ ¼ 0. Daher stimmen Funktion f ðxÞ und Näherungspolynom f n ðxÞ an dieser Stelle in ihren Funktions- und Ableitungswerten bis zur n-ten Ordnung überein. Es gilt somit für jedes n 2 N* : f ð0Þ ¼ f n ð0Þ und f ðkÞ ð0Þ ¼ f nðkÞ ð0Þ ðk ¼ 1, 2, . . . , nÞ ðVI-52Þ Wir deuten diese Gleichungen geometrisch wie folgt: Die erste Gleichung besagt, dass alle Näherungspolynome durch den Kurvenpunkt P ¼ ð0; f ð0ÞÞ verlaufen, in dessen Umgebung die Reihenentwicklung vorgenommen wurde. Aus der zweiten Gleichung folgern wir speziell für n ¼ 1 bzw. n ¼ 2: Für n ¼ 1 : Die Kurve y ¼ f ðxÞ wird in der Umgebung von P näherungsweise durch ihre Kurventangente, d. h. durch die lineare Funktion f 1 ðxÞ ¼ f ð0Þ þ f 0 ð0Þ x 1! ðVI-53Þ ersetzt (Bild VI-6). 10) Bei einer konvergenten Reihe werden die Glieder mit zunehmender „Platzzifffer“ n kleiner: Sie bilden eine sog. Nullfolge. Dies ist eine notwendige Bedingung für die Reihenkonvergenz! 612 VI Potenzreihenentwicklungen Man bezeichnet diesen Vorgang auch als „Linearisierung einer Funktion“ 11). y y = f(x) y = f 1 (x) P 1 –1 Bild VI-6 Zur Linearisierung einer Funktion ðgezeichnet: e-Funktion und ihre Tangente in P ¼ ð0; 1ÞÞ 1 x Für n ¼ 2 : Die Kurve y ¼ f ðxÞ wird jetzt durch eine quadratische Funktion, d. h. durch eine Parabel mit der Funktionsgleichung f 2 ðxÞ ¼ f ð0Þ þ f 0 ð0Þ f 00 ð0Þ 2 x þ x 1! 2! ðVI-54Þ angenähert (Bild VI-7). Kurve und Parabel besitzen dabei in P eine gemeinsame Tangente und gleiche Kurvenkrümmung. y y = f(x) y = f 2 (x) P –1 11) 1 Bild VI-7 Näherungspolynom 2. Grades ðParabelÞ ðgezeichnet: e-Funktion und ihre Näherungsparabel in P ¼ ð0; 1ÞÞ 1 x Das Problem der Linearisierung einer Funktion wurde bereits in Kap. IV (Abschnitt 3.2) eingehend behandelt. 3 Taylor-Reihen 613 Wir fassen die Ergebnisse wie folgt zusammen: Näherungspolynome einer Funktion (Mac Laurinsche Polynome) Von einer Funktion f ðxÞ lassen sich mit Hilfe der Potenzreihenentwicklung wie folgt Näherungspolynome gewinnen (sog. Mac Laurinsche Polynome): 1. Zunächst wird f ðxÞ um den Nullpunkt x 0 ¼ 0 in eine Mac Laurinsche Reihe entwickelt. 2. Durch Abbruch der Reihe nach der n-ten Potenz erhält man dann ein Polynom f n ðxÞ vom Grade n, das in der Umgebung des Nullpunktes näherungsweise das Verhalten der Funktion f ðxÞ beschreibt: f n ðxÞ ¼ f ð0Þ þ f 0 ð0Þ 1 f 00 ð0Þ 2 f ðnÞ ð0Þ n x þ x þ ... þ x 1! 2! n! ðVI-55Þ 3. Fehlerabschätzung: Der durch Abbruch der Potenzreihe entstandene Fehler ist durch das Restglied R n ðxÞ gegeben und lässt sich in manchen Fällen mit Hilfe der Lagrangeschen Restgliedformel (VI-51) abschätzen. Er liegt in der Größenordnung des größten Reihengliedes, das in der Näherung nicht mehr berücksichtigt wurde. Anmerkungen (1) Grundsätzlich gilt: Die 1. Näherung von f ðxÞ erhalten wir durch Abbruch der Potenzreihe nach dem ersten nicht-konstanten Glied, die 2. Näherung durch Abbruch nach dem zweiten nicht-konstanten Glied usw. . (2) Wird f ðxÞ durch ein Polynom 1. Grades, d. h. durch eine lineare Funktion angenähert, so sagt man, man habe die Funktion f ðxÞ linearisiert. Geometrische Deutung: Die Kurve wird in der Umgebung der Stelle x 0 ¼ 0 durch die dortige Kurventangente ersetzt. (3) Allgemein gilt: Die Güte einer Näherungsfunktion ist umso besser, je mehr Reihenglieder berücksichtigt werden. (4) Alle Aussagen gelten sinngemäß auch für Taylorsche Reihenentwicklungen, d. h. Potenzreihenentwicklungen um ein (beliebiges) Entwicklungszentrum x 0 . Die Näherungsfunktionen heißen dann Taylorsche Polynome und sind vom Typ f n ðxÞ ¼ f ðx 0 Þ þ ... þ f 0 ðx 0 Þ f 00 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ 1 þ ðx x 0 Þ 2 þ . . . 1! 2! f ðnÞ ðx 0 Þ ðx x 0 Þ n n! ðVI-56Þ 614 (5) VI Potenzreihenentwicklungen Eine Funktion f ðxÞ ist unter den folgenden Voraussetzungen in eine (unendliche) Mac Laurinsche Reihe entwickelbar: 1. f ðxÞ ist in einer gewissen Umgebung des Nullpunktes x 0 ¼ 0 beliebig oft differenzierbar. 2. Das (Lagrangesche) Restglied R n ðxÞ verschwindet beim Grenzübergang n ! 1, d. h. es gilt lim R n ðxÞ ¼ 0 ðVI-57Þ n!1 & Beispiele (1) Berechnung der Eulerschen Zahl e Wir gehen von der Mac Laurinschen Reihe der e-Funktion aus: ex ¼ 1 X xn x1 x2 x3 xn ¼ 1þ þ þ þ ... þ þ ... n! 1! 2! 3! n! n¼0 ðj x j < 1Þ Durch Abbruch der Reihe nach der n-ten Potenz erhalten wir das folgende Näherungspolynom n-ten Grades für e x : ex n X xk x1 x2 x3 xn ¼ 1þ þ þ þ ... þ k! 1! 2! 3! n! k¼0 Der dabei begangene Fehler ist durch das Lagrangesche Restglied gegeben. Es lautet: R n ðxÞ ¼ f ðn þ 1Þ ð# xÞ n þ 1 e#x x xnþ1 ¼ ðn þ 1Þ! ðn þ 1Þ! ð0 < # < 1Þ Für x ¼ 1 erhalten wir aus dem Mac Laurinschen Näherungspolynom eine Formel zur näherungsweisen Berechnung der Eulerschen Zahl e: e1 ¼ e n n X X 1k 1 1 1 1 1 ¼ 1þ þ þ þ ... þ ¼ k! 1! 2! 3! n! k! k¼0 k¼0 Das Lagrangesche Restglied liefert die folgende Fehlerabschätzung: R n ð1Þ ¼ e#1 e# e 3 < 1nþ1 ¼ < ðn þ 1Þ! ðn þ 1Þ! ðn þ 1Þ! ðn þ 1Þ! (wegen e # < e < 3 für 0 < # < 1). 3 Taylor-Reihen 615 Wir geben jetzt zwei Rechenbeispiele. Rechenbeispiel 1: Wir berechnen die Eulersche Zahl e näherungsweise für n ¼ 5 und erhalten: e 5 X 1 1 1 1 1 1 ¼ 1þ þ þ þ þ ¼ k ! 1 ! 2 ! 3 ! 4 ! 5 ! k¼0 ¼ 1þ1þ 1 1 1 1 þ þ þ ¼ 2,716 667 2 6 24 120 Die Fehlerabschätzung liefert: R 5 ð1Þ < 3 3 1 ¼ ¼ ¼ 0,0042 < 0,5 10 2 ð5 þ 1Þ! 6! 240 Wir haben damit die Eulersche Zahl auf zwei Dezimalstellen nach dem Komma genau berechnet: e 2,71. Rechenbeispiel 2: Wir wollen nun die Eulersche Zahl auf vier Dezimalstellen nach dem Komma genau berechnen. Für das Restglied R n ð1Þ gilt dann die Abschätzung R n ð1Þ < 0,5 10 4 und somit 3 < 0,5 10 4 ðn þ 1Þ! Durch Auflösen nach ðn þ 1Þ! folgt weiter: ðn þ 1Þ! > 3 ¼ 3 2 10 4 ¼ 60 000 0,5 10 4 ðn þ 1Þ! > 60 000 ) n 8 Wir müssen somit n ¼ 8 wählen, d. h. die ersten 9 Reihenglieder aufaddieren, um eine Genauigkeit von vier Dezimalstellen nach dem Komma zu erreichen: e 8 X 1 1 1 1 1 1 1 1 1 ¼ 1þ þ þ þ þ þ þ þ ¼ k ! 1 ! 2 ! 3 ! 4 ! 5 ! 6 ! 7 ! 8 ! k¼0 ¼ 1þ1þ 1 1 1 1 1 1 1 þ þ þ þ þ þ ¼ 2,718 279 2 6 24 120 720 5040 40 320 Damit ist e 2,7182. 616 (2) VI Potenzreihenentwicklungen Wir kehren zu unserem einführenden Beispiel, der echt gebrochenrationalen Funk1 , zurück. Aus ihrer Potenzreihenentwicklung tion f ðxÞ ¼ 1x f ðxÞ ¼ 1 ¼ 1 þ x1 þ x2 þ x3 þ ... þ xn þ ... 1x ðj x j < 1Þ erhalten wir durch Reihenabbruch die folgenden Näherungspolynome 1., 2. und 3. Grades: 9 > > = 1: N äherung: f 1 ðxÞ ¼ 1 þ x 2: N äherung: f 2 ðxÞ ¼ 1 þ x þ x 2 3: N äherung: f 3 ðxÞ ¼ 1 þ x þ x 2 þ x > > ; 3 jxj < 1 Bild VI-8 zeigt deutlich, wie die Güte der Näherungsfunktion mit zunehmendem Polynomgrad wächst. y f 3 (x) = 1 + x + x 2 + x 3 f (x) = f 2 (x) = 1 + x + x 2 1 1–x 2 f 1 (x) = 1 + x P –1 1 1 x Bild VI-8 Die ersten Näherungspolynome der gebrochenrationalen Funktion 1 f ðxÞ ¼ im Intervall 1 < x < 1 1x 3 Taylor-Reihen (3) 617 Aus der Mac Laurinschen Reihe der Kosinusfunktion cos x ¼ 1 x2 x4 x6 þ þ ... 2! 4! 6! ðj x j < 1Þ erhalten wir der Reihe nach die folgenden Näherungspolynome 2., 4., 6., . . . Grades für f ðxÞ ¼ cos x, deren Verlauf in Bild VI-9 wiedergegeben ist: 1. Näherung: f 2 ðxÞ ¼ 1 x2 x2 ¼ 1 2! 2 2. Näherung: f 4 ðxÞ ¼ 1 x2 x4 x2 x4 þ ¼ 1 þ 2! 4! 2 24 3. Näherung: f 6 ðxÞ ¼ 1 x2 x4 x6 x2 x4 x6 þ ¼ 1 þ 2! 4! 6! 2 24 720 .. . Anmerkung Wegen der Achsensymmetrie der Kosinusfunktion bezüglich der y-Achse treten in der Mac Laurinschen Reihe von cos x nur gerade Potenzen auf. Näherungspolynome 1., 3., 5., . . . Grades kann es daher nicht geben. y 1 y = cos x y = f 4 (x) y = f 4 (x) –p p –1 y = cos x x y = cos x y = f 6 (x) y = f 6 (x) y = f 2 (x) y = f 2 (x) Bild VI-9 Näherungspolynome 2., 4. und 6. Grades für die Kosinusfunktion 618 VI Potenzreihenentwicklungen Die mit diesen Näherungsfunktionen an den Stellen x ¼ 0,1, x ¼ 0,5 und x ¼ 1 berechneten Funktionswerte lauten: Näherung x ¼ 0,1 x ¼ 0,5 x ¼ 1 f 2 ðxÞ 0,995 000 0,875 000 0,500 000 f 4 ðxÞ 0,995 004 0,877 604 0,541 667 f 6 ðxÞ .. . 0,995 004 0,877 582 0,540 278 0,995 004 0,877 583 0,540 302 Exakter Funktionswert ðcos xÞ Wir stellen fest: Je weiter wir uns vom Entwicklungszentrum (hier x 0 ¼ 0) entfernen, umso mehr Reihenglieder müssen berücksichtigt werden, um vergleichbare Genauigkeit zu erreichen. Bild VI-9 verdeutlicht diese Aussage. (4) Wir linearisieren die Funktion f ðxÞ ¼ A ðe l x 1Þ in der Umgebung von x 0 ¼ 0, wobei wir auf die folgende bekannte Mac Laurinsche Reihe von f ðzÞ ¼ e z zurückgreifen (A, l sind reelle Parameter): ez ¼ 1 þ z1 z2 z3 þ þ þ ... 1! 2! 3! Abbruch nach dem linearen Glied führt zur linearen Näherung ez 1 þ z1 ¼ 1þz 1! Wir substituieren noch z ¼ l x : elx 1 þ l x Diesen Ausdruck setzen wir in die Ausgangsfunktion ein und erhalten die gewünschte lineare Näherungsfunktion. Sie lautet: f ðxÞ ¼ A ðe l x 1Þ A ½ ð1 þ l xÞ 1 ¼ ¼ A ð1 þ l x 1Þ ¼ A l x ¼ c x (mit c ¼ A l). 3 Taylor-Reihen (5) 619 2 2 Die Kurve mit der Gleichung f ðxÞ ¼ 1 e ðx 2Þ ¼ 1 e x þ 2 soll in der unmittelbaren Umgebung ihres (absoluten) Minimums x 0 ¼ 2 durch eine Parabel angenähert werden. Aus diesem Grunde entwickeln wir zunächst die Funktion um die Stelle x 0 ¼ 2 in der Taylorschen Reihe und brechen diese dann nach dem quadratischen Reihenglied ab. Die für diese Entwicklung benötigten Ableitungen 1. und 2. Ordnung lauten (unter Verwendung der Kettenregel): f 0 ðxÞ ¼ 2 1 e x þ 2 e x þ 2 ¼ 2 e x þ 2 e 2 x þ 4 f 00 ðxÞ ¼ 2 e x þ 2 þ 2 e 2 x þ 4 Somit ist 2 2 f ð2Þ ¼ 1 e 0 ¼ 1 1 ¼ 0 , f 0 ð2Þ ¼ 2 e 0 e 0 ¼ 2 ð1 1Þ ¼ 0 , f 00 ð2Þ ¼ 2 e 0 þ 2 e0 ¼ 2 ð1 þ 2Þ ¼ 2 und die Reihenentwicklung beginnt wie folgt: 1 exþ2 2 ¼ 0þ 1 2 2 0 2 x 2 þ x 2 þ ... ¼ x 2 þ ... 1! 2! Durch Abbruch nach dem quadratischen Glied erhalten wir die gewünschte Näherung durch eine Parabel. Sie lautet: 2 2 1 exþ2 x 2 ðj x 2 j 1Þ Bild VI-10 zeigt den Verlauf der gegebenen Funktion mit ihrer Näherungsparabel im Intervall 1,7 x 2,3. y 0,10 y = (1 – e – x + 2) 2 Näherungsparabel 0,05 Bild VI-10 1,7 1,8 1,9 2,0 2,1 2,2 2,3 x & 620 VI Potenzreihenentwicklungen In der nachfolgenden Tabelle 2 findet der Leser eine Zusammenstellung der ersten beiden Näherungspolynome für einige besonders wichtige Funktionen. Man erhält sie aus den entsprechenden Potenzreihenentwicklungen durch Abbruch nach dem 1. bzw. 2. nichtkonstanten Glied (vgl. hierzu auch Tabelle 1). Sie gelten nur in der unmittelbaren Umgebung des jeweiligen Entwicklungszentrums. Tabelle 2: Näherungspolynome wichtiger elementarer Funktionen Funktion Entwicklungszentrum 1. Näherung 2. Näherung n ð1 þ xÞ x0 ¼ 0 1þ nx 1þ nx þ sin x x0 ¼ 0 x x 1 3 x 6 cos x x0 ¼ 0 1 1 1 2 1 4 x þ x 2 24 tan x x0 ¼ 0 x x þ 1 3 x 3 ex x0 ¼ 0 1þx 1þx þ 1 2 x 2 ln x x0 ¼ 1 x 1 x 1 1 ðx 1Þ 2 2 arcsin x x0 ¼ 0 x x þ arccos x x0 ¼ 0 p x 2 p 1 3 x x 2 6 arctan x x0 ¼ 0 x x 1 3 x 3 sinh x x0 ¼ 0 x x þ 1 3 x 6 cosh x x0 ¼ 0 1þ 1þ 1 2 1 4 x þ x 2 24 tanh x x0 ¼ 0 x x 1 3 x 3 1 2 x 2 1 2 x 2 n ðn 1Þ 2 x 2 1 3 x 6 3 Taylor-Reihen & 621 Beispiele (1) Näherungsformeln für den Wurzelausdruck ne x-Werte, d. h. für j x j 1: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 1. Näherung: 1þ x 1þ 2 x 2. Näherung: (2) qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1=2 für sehr klei1þ xÞ x ¼ ð1 þ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 1 2 1þ x 1þ 2 x 8 x Die Kettenlinie y ¼ a cosh ðx=aÞ mit a > 0 darf in der unmittelbaren Umgebung ihres Minimums x 0 ¼ 0 in 1. Näherung durch die Parabel 1 x 2 x2 1 2 ¼ a 1þ ¼ x þa y ¼ a 1þ 2 2 a 2a 2a ersetzt werden (Bild VI-11). y Kettenlinie 3a 2a a Näherungsparabel Bild VI-11 –2a –a a 2a x & 3.3.2 Integration durch Potenzreihenentwicklung des Integranden Bei der Behandlung der numerischen Integrationsmethoden in Kap. V (Abschnitt 8.4) hatten wir bereits darauf hingewiesen, dass es eine Reihe wichtiger Integrale gibt, die mit den herkömmlichen Integrationstechniken wie beispielsweise der Substitutionsmethode oder der Partiellen Integration nicht gelöst werden können. Zu diesen Integralen gehört auch das im Zusammenhang mit statistischen Problemen auftretende und häufig ðx 2 als Gaußsches Fehlerintegral bezeichnete (unbestimmte) Integral F ðxÞ ¼ e t dt. In 0 diesem, aber auch in zahlreichen anderen Fällen gelingt die Integration, indem man die Integrandfunktion zunächst in eine Potenzreihe entwickelt und diese dann anschließend gliedweise integriert. 622 VI Potenzreihenentwicklungen Man bezeichnet diese spezielle Integrationsmethode daher als „Integration durch Potenzreihenentwicklung des Integranden“. Integration durch Potenzreihenentwicklung des Integranden In zahlreichen Fällen lässt sich ein elementar nicht lösbares Integral schrittweise wie folgt lösen: Ð f ðxÞ dx 1. Die Integrandfunktion f ðxÞ wird zunächst in eine Mac Laurinsche oder Taylorsche Potenzreihe entwickelt. 2. Die Reihe wird anschließend gliedweise unter Verwendung der Potenzregel integriert. Das Integral liegt dann in Form einer Potenzreihe vor. Anmerkung Die gliedweise Integration ist nur zulässig, wenn die Potenzreihe des Integranden im Integrationsbereich konvergiert. In diesem Fall konvergiert auch die durch gliedweise Integration entstandene Reihe. Das beschriebene Integrationsverfahren soll nun am Beispiel des Gaußschen Fehlerintegrals näher erläutert werden. & Beispiel Wir lösen das Gaußsche Fehlerintegral ðx e t dt 2 F ðxÞ ¼ 0 wie folgt. Ausgehend von der bekannten Mac Laurinschen Reihe der Exponentialfunktion f ðzÞ ¼ e z in der Form ez ¼ 1 þ z1 z2 z3 z4 z5 þ þ þ þ þ ... 1! 2! 3! 4! 5! ðj z j < 1Þ erhalten wir mit Hilfe der formalen Substitution z ¼ t 2 die gewünschte Potenzreihe 2 des Integranden f ðtÞ ¼ e t : et ¼ 1 2 t2 t4 t6 t8 t 10 þ þ þ ... 1! 2! 3! 4! 5! 3 Taylor-Reihen 623 Diese Reihe konvergiert beständig und darf daher gliedweise integriert werden. Wir gewinnen schließlich für das Gaußsche Fehlerintegral die folgende Potenzreihenentwicklung: ðx F ðxÞ ¼ e t2 0 0 ¼ ðx t2 t4 t6 t8 t 10 dt ¼ 1 þ þ þ . . . dt ¼ 1! 2! 3! 4! 5! t ¼ x t3 t5 t7 t9 t 11 þ þ þ ... 3 1! 5 2! 7 3! 9 4! 11 5 ! x ¼ 0 x3 x5 x7 x9 x 11 þ þ þ ... 3 1! 5 2! 7 3! 9 4! 11 5 ! (an der unteren Grenze verschwinden sämtliche Reihenglieder). Rechenbeispiel Mit dieser Potenzreihe berechnen wir die unter der Gaußschen Glockenkurve y ¼ e x im Intervall 0 x 1 gelegene Fläche A (in Bild VI-12 grau unterlegt): ð1 e x dx ¼ F ð1Þ ¼ 1 2 A ¼ 0 ¼ 1 13 15 17 19 1 11 þ þ þ ... ¼ 3 1! 5 2! 7 3! 9 4! 11 5 ! 1 1 1 1 1 þ þ þ ... 3 10 42 216 1320 y 1 –1 y = e–x 2 2 1 x Bild VI-12 Zur Berechnung der Fläche unter der Gaußschen Glockenkurve 2 y ¼ e x im Intervall 0 x 1 624 VI Potenzreihenentwicklungen Durch Abbruch dieser unendlichen Zahlenreihe nach dem 1., 2., . . . , 6. Glied erhalten wir der Reihe nach die folgenden Näherungswerte für den gesuchten Flächeninhalt A: 1; 0,6667; 0,7667; 0,7429; 0,7475; 0,7467 Der „exakte“ Flächeninhalt beträgt A ¼ 0,7468 (auf vier Dezimalstellen nach dem Komma genau). & 3.3.3 Grenzwertregel von Bernoulli und de L’Hospital Mit dem Begriff des Grenzwertes einer Funktion haben wir uns bereits ausführlich in Kap. III (Abschnitt 4.2) auseinandergesetzt und dabei die wichtigsten Rechenregeln für Grenzwerte kennengelernt. In diesem Abschnitt werden wir uns speziell mit Grenzwerten vom allgemeinen Typ lim x ! x0 f ðxÞ g ðxÞ bzw: lim x ! þ 1 f ðxÞ g ðxÞ ðVI-58Þ beschäftigen, die auf einen in seinem Wert zunächst „unbestimmten Ausdruck“ wie bei0“ 1“ oder führen 12). spielsweise „1 „0 & Beispiele (1) ex 1 bleibt zunächst unbestimmt, da sowohl die Zählerx x!0 funktion f ðxÞ ¼ e x 1 als auch die Nennerfunktion g ðxÞ ¼ x beim Grenzübergang x ! 0 dem Grenzwert 0 zustreben. Wir verwenden dafür die symbolische Schreibweise Der Grenzwert lim lim x!0 (2) ex 1 0 ! x 0 ln x 1“ , da soführt zu dem unbestimmten Ausdruck x „1 x!1 e wohl ln x als auch e x für x ! 1 gegen Unendlich streben. Symbolische Schreibweise: Der Grenzwert lim x!1 lim ln x 1 ! ex 1 & 12) Zur Erinnerung: Die Division durch die Zahl 0 ist verboten, das Symbol 1 ist keine Zahl. 3 Taylor-Reihen 625 Ein unbestimmter Ausdruck kann in verschiedenen Formen wie z. B. 1 , 1 0 , 0 0 1, 1 1, 1 1, 10 0 0, ðVI-59Þ auftreten. Grenzwerte vom Typ (VI-58), die zu einem unbestimmten Ausdruck der Form 0“ 1“ oder führen, lassen sich in vielen ( jedoch nicht allen) Fällen nach einer von „1 „0 Bernoulli und de L’Hospital stammenden Regel berechnen, die wir jetzt für den Fall 0“ herleiten wollen. Es sei also f ðx 0 Þ ¼ g ðx 0 Þ ¼ 0 und somit „0 lim x ! x0 f ðxÞ 0 ! g ðxÞ 0 ðVI-60Þ Wir entwickeln jetzt die beiden Funktionen f ðxÞ und g ðxÞ jeweils um die Stelle x 0 nach Taylor und beachten dabei, dass nach Voraussetzung f ðx 0 Þ ¼ g ðx 0 Þ ¼ 0 ist. Der f ðxÞ besitzt dann die folgende Gestalt: Quotient g ðxÞ f ðxÞ ¼ g ðxÞ ¼ f ðx 0 Þ þ f 0 ðx 0 Þ f 00 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ 1 þ ðx x 0 Þ 2 þ . . . 1! 2! g 0 ðx 0 Þ g 00 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ 1 þ ðx x 0 Þ 2 þ . . . g ðx 0 Þ þ 1! 2! f 0 ðx 0 Þ f 00 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ 1 þ ðx x 0 Þ 2 þ . . . 1! 2! ¼ ðVI-61Þ g 0 ðx 0 Þ g 00 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ 1 þ ðx x 0 Þ 2 þ . . . 1! 2! Wir kürzen noch den allen Summanden in Zähler und Nenner gemeinsamen Faktor ðx x 0 Þ: f ðxÞ ¼ g ðxÞ f 0 ðx 0 Þ þ f 00 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ 1 þ . . . 2! ðVI-62Þ g 00 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ 1 þ . . . g 0 ðx 0 Þ þ 2! Beim Grenzübergang x ! x 0 verschwinden in Zähler und Nenner sämtliche Terme bis auf den jeweils 1. Term. Wir erhalten somit lim x ! x0 f ðxÞ ¼ lim g ðxÞ x ! x0 f 0 ðx 0 Þ þ g0 f 00 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ 1 þ . . . 2! g 00 ðx 0 Þ ðx x 0 Þ 1 þ . . . ðx 0 Þ þ 2! ¼ f 0 ðx 0 Þ g 0 ðx 0 Þ ðVI-63Þ 626 VI Potenzreihenentwicklungen Dies ist die von Bernoulli und de L’Hospital stammende Grenzwertregel, die wir auch in der Form lim x ! x0 f ðxÞ f 0 ðxÞ f 0 ðx 0 Þ ¼ 0 ¼ lim 0 g ðxÞ g ðx 0 Þ x ! x 0 g ðxÞ ðVI-64Þ schreiben können. Sie zeigt uns, wie man bei einem unbestimmten Ausdruck der Form 0“ zu verfahren hat: Zunächst werden Zählerfunktion f ðxÞ und Nennerfunktion „0 g ðxÞ für sich getrennt nach x differenziert, anschließend wird dann der Grenzwert von f 0 ðxÞ für x ! x 0 berechnet. Ist dieser vorhanden, so ist er gleich dem gesuchten g 0 ðxÞ f ðxÞ . Grenzwert lim x ! x 0 g ðxÞ Wir fassen zusammen: Grenzwertregel von Bernoulli und de L’Hospital 0“ 1“ oder Für Grenzwerte, die auf einen unbestimmten Ausdruck der Form „1 „0 führen, gilt die Bernoulli-de L’Hospitalsche Regel lim x ! x0 f ðxÞ f 0 ðxÞ ¼ lim 0 g ðxÞ x ! x 0 g ðxÞ ðVI-65Þ Anmerkungen (1) Die Bernoulli-de L’Hospitalsche Regel setzt voraus, dass die Funktionen f ðxÞ und g ðxÞ in der Umgebung von x 0 stetig differenzierbar sind und der Grenzwert der rechten Seite existiert. (2) Die Bernoulli-de L’Hospitalsche Regel gilt sinngemäß auch für Grenzübergänge vom Typ x ! 1 oder x ! 1. (3) In einigen Fällen führt erst eine mehrmalige Anwendung der Grenzwertregel zum Ziel (siehe hierzu das nachfolgende Beispiel (3)). (4) Es gibt jedoch auch Fälle, in denen die Regel versagt. 3 Taylor-Reihen 627 Wir weisen nochmals darauf hin, dass diese Grenzwertregel nur auf unbestimmte Aus0“ 1“ oder anwendbar ist. Alle anderen Formen lassen sich in drücke der Form „1 „0 der Regel wie folgt durch elementare Umformungen auf eine dieser speziellen Formen zurückführen: Tabelle 3: Elementare Umformungen für „unbestimmte Ausdrücke“ Funktion jðxÞ (A) & u ðxÞ v ðxÞ Grenzwert lim jðxÞ x ! x0 0 1 bzw: (B) u ðxÞ v ðxÞ 11 (C) u ðxÞ v ðxÞ 0 0, 10 Elementare Umformung u ðxÞ 1 v ðxÞ bzw: v ðxÞ 1 u ðxÞ 1 1 v ðxÞ u ðxÞ 1 u ðxÞ v ðxÞ 1 0, 1 1 e v ðxÞ ln u ðxÞ Beispiele (1) lim x!0 ex 1 0 ! x 0 Wir dürfen die Bernoulli-de L’Hospitalsche Regel anwenden und erhalten: lim x!0 (2) lim x!1 ex 1 ðe x 1Þ 0 ex ¼ lim e x ¼ e 0 ¼ 1 ¼ lim ¼ lim ðxÞ 0 x x!0 x!0 1 x!0 ln ð2 x 1Þ 1 ! ex 1 Durch Anwendung der Grenzwertregel von Bernoulli-de L’Hospital folgt: 2 ln ð2 x 1Þ ½ ln ð2 x 1Þ 0 1 ¼ lim ¼ lim ¼ lim 2 x ex ex ðe x Þ 0 x!1 x!1 x!1 ¼ lim x!1 2 ¼ 0 ð2 x 1Þ e x (der Nenner wird beim Grenzübergang unendlich groß). 628 VI Potenzreihenentwicklungen (3) lim x!0 1 1 x sin x ! 11 ðTyp ðBÞÞ Die Bernoulli-de L’Hospitalsche Regel ist zunächst nicht anwendbar. Nach einer elementaren Umformung (Hauptnenner x sin x bilden) folgt dann: lim x!0 1 1 x sin x ¼ lim x!0 sin x x 0 ! x sin x 0 Die Grenzwertregel darf nun angewandt werden, führt jedoch wiederum zu einem 0“ : unbestimmten Ausdruck der Form „0 lim x!0 sin x x ðsin x xÞ 0 cos x 1 0 ¼ lim ¼ lim ! 0 x sin x 0 x ! 0 ðx sin xÞ x ! 0 sin x þ x cos x Durch nochmalige Anwendung der Bernoulli-de L’Hospitalschen Regel erhalten wir schließlich: lim x!0 cos x 1 ðcos x 1Þ 0 ¼ ¼ lim 0 sin x þ x cos x x ! 0 ðsin x þ x cos xÞ ¼ lim x!0 sin x sin x 0 ¼ lim ¼ ¼ 0 cos x þ cos x x sin x 2 x ! 0 2 cos x x sin x Somit ist lim x!0 (4) 1 1 x sin x ¼ 0 1 x lim 1 þ ! 11 x x!1 ðTyp ðCÞÞ Unter Verwendung der Identität z ¼ e ln z ðz > 0Þ und der Rechenregel ln u n ¼ n ln u lässt sich der Funktionsausdruck wie folgt umformen: 1 1þ x x ¼ e ln 1 1þ x x ¼ e x ln 1 1þ x 3 Taylor-Reihen 629 Daher ist 1 1 x 1þ ¼ lim e x ln 1 þ x x x!1 x!1 lim Der Grenzübergang darf dabei im Exponenten der e-Funktion vollzogen werden, d. h. es gilt nach der Rechenregel (III-37) aus Kap. III: lim x!1 1 e x ln 1 þ x ¼ e 1 lim x ln 1 þ x x!1 Wir formen den Exponenten noch geringfügig um: 1 ln 1 þ x 1 ¼ x ln 1 þ x 1 x 0“ . Wir dürfen „0 daher die Bernoulli-de L’Hospitalsche Grenzwertregel anwenden. Sie führt zu Für x ! 1 geht dieser Ausdruck gegen die unbestimmte Form lim 1 ln 1 þ x x!1 1 x 0 1 1 1 0 @ 1 x2 1A ln 1 þ 1þ x x ¼ lim ¼ lim 0 x!1 x!1 1 1 2 ¼ x x 1 ¼ lim x!1 1þ 1 x ¼ 1 ¼ 1 1þ0 (den Zähler haben wir nach der Kettenregel differenziert). Somit gilt: 1 x 1þ ¼ e1 ¼ e x x!1 lim (5) Die Kardioide mit der in Polarkoordinaten ausgedrückten Gleichung r ¼ 1 þ cos j, 0 j < 2 p besitzt den vom Winkel j abhängigen Kurvenanstieg y0 ¼ dy 2 cos 2 j þ cos j 1 2 cos 2 j þ cos j 1 ¼ ¼ dx sin jð1 þ 2 cos jÞ sin j 2 sin j cos j (siehe hierzu das Beispiel in Kap. IV, Abschnitt 2.13). 630 VI Potenzreihenentwicklungen Unter Verwendung der trigonometrischen Beziehung sin ð2 jÞ ¼ 2 sin j cos j lässt sich der Nenner dieses Ausdrucks auf eine für unsere Zwecke günstigere Form bringen: y0 ¼ 2 cos 2 j þ cos j 1 2 cos 2 j þ cos j 1 ¼ sin j 2 sin j cos j sin j sin ð2 jÞ Wir vermuten anhand von Bild IV-12 aus Kap. IV, dass die Kurve an der Stelle j ¼ p eine waagerechte Tangente hat. Die Berechnung des Kurvenanstiegs in dem zum Winkel j ¼ p gehörigen Kurvenpunkt (Schnittpunkt mit der negativen x-Achse) führt jedoch zunächst zu dem unbestimmten Ausdruck y 0 ðj ¼ pÞ ¼ lim j!p 2 cos 2 j þ cos j 1 0 ! sin j sin ð2 jÞ 0 da Zähler und Nenner an dieser Stelle verschwinden: Zähler : 2 cos 2 p þ cos p 1 ¼ 2 ð 1Þ 2 1 1 ¼ 2 2 ¼ 0 Nenner : sin p sin ð2 pÞ ¼ 0 0 ¼ 0 Durch Anwendung der Grenzwertregel von Bernoulli-de L’Hospital erhalten wir schließlich: y 0 ðj ¼ pÞ ¼ lim j!p ¼ lim j!p ¼ 2 cos 2 j þ cos j 1 ð2 cos 2 j þ cos j 1Þ 0 ¼ lim ¼ sin j sin ð2 jÞ ð sin j sin ð2 jÞÞ 0 j!p 4 cos j sin j sin j 4 cos p sin p sin p ¼ ¼ cos j 2 cos ð2 jÞ cos p 2 cos ð2 pÞ 4 ð 1Þ 0 0 0 ¼ ¼ 0 ð 1Þ 2 1 1 Die Kardioide besitzt demnach (wie wir bereits vermutet haben) für j ¼ p eine waagerechte Tangente. & 3.4 Ein Anwendungsbeispiel: Freier Fall unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes Wir haben uns bereits an verschiedenen Stellen mit dem physikalischen Problem des freien Falls unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes beschäftigt und dabei für die Fallgeschwindigkeit v die folgende Abhängigkeit von der Zeit t 0 hergeleitet: rffiffiffiffiffiffiffiffiffi g mg v ¼ v ðtÞ ¼ v E tanh ðVI-66Þ t mit vE ¼ vE k ( g: Erdbeschleunigung; v E : Endgeschwindigkeit; m: Masse des fallenden Körpers; k: Reibungskoeffizient der Luft). 3 Taylor-Reihen 631 Die Fallgeschwindigkeit nähert sich dabei asymptotisch ihrem Endwert v E (siehe hierzu Bild VI-13). v vE v = v E · tanh g t vE t Bild VI-13 Zeitlicher Verlauf der Fallgeschwindigkeit unter Berücksichtigung des Luftwiderstandes Einfache Näherungsfunktionen für diese relativ komplizierte Geschwindigkeit-Zeit-Funktion erhalten wir durch eine Potenzreihenentwicklung der in Gleichung (VI-66) auftretenden hyperbolischen Funktion. Wir gehen dabei zunächst von der elementaren Funktion tanh x aus. Ihre Mac Laurinsche Reihe entnehmen wir der Tabelle 1: tanh x ¼ x 1 3 2 5 x þ x þ ... 3 15 ðj x j < p=2Þ ðVI-67Þ g t zu setzen und wir erhalten schließlich aus (VI-66) vE und (VI-67) die folgende Reihenentwicklung für v ðtÞ: " # 3 5 g g 1 g 2 g t ¼ vE t t þ t þ ... ¼ v ðtÞ ¼ v E tanh vE vE 3 vE 15 v E In unserem Beispiel ist x ¼ ¼ gt g3 2 g5 3 t t5 þ ... þ 3 v 2E 15 v 4E ðVI-68Þ Durch Abbruch der Reihe nach dem 1., 2. bzw. 3. Glied erhalten wir die folgenden einfachen Näherungspolynome für die Zeitabhängigkeit der Fallgeschwindigkeit: 1. Näherung: v1 ¼ g t 2. Näherung: v2 ¼ g t 3. Näherung: g3 t3 3 v 2E 3 g 2 g5 3 t þ t5 v3 ¼ g t 3 v 2E 15 v 4E Zu beachten ist dabei, dass diese Näherungen nur im Zeitintervall 0 t ðVI-69Þ p vE gelten. 2g 632 VI Potenzreihenentwicklungen Die 1. Näherung liefert das für den luftleeren Raum gültige und bereits aus der Schulphysik bekannte lineare Geschwindigkeit-Zeit-Gesetz v ¼ g t. In Bild VI-14 haben wir den Verlauf dieser Näherungspolynome für eine angenommene Endgeschwindigkeit von v E ¼ 60 m=s ð¼ 216 km=hÞ dargestellt. Die Näherungen gelten aber nur für t < 3 p s. Man erkennt deutlich, dass diese Näherungen nur für kleine Fallzeiten sinnvoll sind. Durch Hinzunahme weiterer Reihenglieder lassen sich diese Näherungsfunktionen jedoch noch verbessern. Durch gliedweise Integration der Geschwindigkeit-Zeit-Funktion (VI-68) erhalten wir das Weg-Zeit-Gesetz des freien Falls in Form einer Reihenentwicklung: 3 ðt g 2 g5 3 5 t t s ðtÞ ¼ gt þ þ . . . dt ¼ 3 v 2E 15 v 4E 0 1 ¼ gt2 2 5 g3 g 4 t þ t6 þ ... 2 12 v E 45 v 4E ðVI-70Þ In 1. Näherung gewinnen wir hieraus das bekannte Fallgesetz für den luftleeren Raum: 1 p vE gt2 ðVI-71Þ 0 t < s ðtÞ ¼ 2 2g v m/s 70 v 1 (t) v 3 (t) 60 50 v(t) 40 v 2 (t) 30 20 Bild VI-14 Näherungsfunktionen für den zeitlichen Verlauf der Fallgeschwindigkeit 10 1 5 10 t /s Sonderfall: Freier Fall im luftleeren Raum Im luftleeren Raum gilt k ¼ 0. Die dann geltenden Fallgesetze erhalten wir aus den Gleichungen (IV-68) und (VI-70) für den Grenzübergang k ! 0. Dabei wird die Endgeschwindigkeit v E des frei fallenden Körpers unendlich groß: rffiffiffiffiffiffiffiffiffi mg ! 1 ðf ür k ! 0Þ ðVI-72Þ vE ¼ k bungsaufgaben 633 In den Potenzreihenentwicklungen (VI-68) und (VI-70) verschwinden dann bis auf den 1. Summand alle Summanden und wir erhalten die aus der Schulphysik bekannten Fallgesetze: v ¼ gt s ¼ und Sie gelten wegen t < 1 gt2 2 ðt 0Þ ðVI-73Þ p vE ! 1 für v E ! 1 für alle Zeiten, d. h. für t 0. 2g bungsaufgaben Zu Abschnitt 1 1) Berechnen Sie den Summenwert der folgenden geometrischen Reihen: 1 1 1 X X X 1 n1 2 n1 n1 bÞ 0,3 cÞ 4 aÞ 8 3 n¼1 n¼1 n¼1 2) Welchem allgemeinen Bildungsgesetz unterliegen die folgenden Reihen? Untersuchen Sie diese Reihen mit Hilfe des Quotientenkriteriums auf Konvergenz bzw. Divergenz: aÞ cÞ 1þ 10 100 1000 þ þ þ ... 1! 2! 3! 1 3 5 7 þ 2 þ 3 þ 4 þ ... 2 2 2 2 3) Zeigen Sie die Konvergenz der Reihe wert hat die Reihe? bÞ 1 1 1 1 þ þ þ þ ... 1 21 3 23 5 25 7 27 dÞ ln 2 ðln 2Þ 2 ðln 2Þ 3 þ þ þ ... 1! 2! 3! 1 X n¼1 1 . Welchen Summenðn þ 1Þ ðn þ 2Þ Hinweis: Das allgemeine Glied zunächst durch Partialbruchzerlegung in Teilbrüche zerlegen, dann die Partialsumme s n bestimmen. 1 X 1 þ1 . 4) Bestimmen Sie das Konvergenzverhalten der Reihe ln n n¼1 Hinweis: Zunächst das allgemeine Reihenglied umformen (Rechenregeln für Logarithmen anwenden), dann die Partialsumme s n bestimmen. 5) Zeigen Sie: Die folgenden Reihen erfüllen nicht das (bekannte) notwendige Konvergenzkriterium und sind somit divergent. 1 1 X X n þ 1 n 1 aÞ bÞ ln 3 þ n 2n n¼1 n¼1 634 VI Potenzreihenentwicklungen 6) Untersuchen Sie mit Hilfe des Quotientenkriteriums, ob die folgenden Reihen konvergieren oder divergieren: aÞ 1 1 1 1 þ þ þ þ ... 11 101 1001 10 001 cÞ 1þ eÞ 1 X n n 5 n¼1 bÞ 1 1 1 þ 4 þ 6 þ ... 22 2 2 dÞ 21 22 23 24 þ þ ... 1 2 3 4 fÞ 1 X n¼1 n n1 1 2 1 X 32n ð2 nÞ! n¼1 7) Untersuchen Sie mit Hilfe des Wurzelkriteriums, ob die folgenden Reihen konvergieren oder divergieren: aÞ bÞ 1 2 3 n þ 2 þ 3 þ ... þ þ ... 1 2 3 4 ðn þ 1Þ n 1 X n¼1 5n 4n n2 cÞ 2 1 X n þ 1 n n n¼1 8) Zeigen Sie mit Hilfe einer geeigneten konvergenten Vergleichsreihe (Majorante) die Konvergenz der folgenden Reihen: aÞ 1 X 0,5 n cos ð2 nÞ bÞ n¼1 1 X 2 n¼0 ðn þ 3Þ 2 9) Zeigen Sie mit Hilfe des Minorantenkriteriums, dass die folgenden Reihen divergieren: aÞ 1 X na ðmit a 1Þ bÞ n¼1 1 X n¼1 1 ln ðn þ 1Þ 10) Welche der folgenden alternierenden Reihen konvergieren, welche divergieren? Verwenden Sie bei der Untersuchung das Konvergenzkriterium von Leibniz. aÞ cÞ 1 1 X n¼1 1 1 1 þ þ ... 1! 2! 3! bÞ 1 n2 dÞ ð 1Þ n þ 1 1 1 X n¼1 1 1 1 þ þ ... 3 5 7 ð 1Þ n þ 1 1 n 52n1 bungsaufgaben 635 Zu Abschnitt 2 1) Bestimmen Sie den Konvergenzradius und Konvergenzbereich der folgenden Potenzreihen: aÞ P ðxÞ ¼ x þ 2 x 2 þ 3 x 3 þ 4 x 4 þ . . . bÞ P ðxÞ ¼ 1 X ð 1Þ n n¼1 cÞ P ðxÞ ¼ eÞ P ðxÞ ¼ x1 x2 x3 þ þ þ ... 12 22 32 1 X n¼0 n xnþ1 nþ1 xn n dÞ P ðxÞ ¼ 1 X xn 2n n¼0 fÞ P ðxÞ ¼ 1 X nþ1 n x n! n¼0 2) Berechnen Sie den Konvergenzradius und Konvergenzbereich der Potenzreihe P ðxÞ ¼ 1 x 2 þ x 4 x 6 þ . . . Anleitung: Setzen Sie zunächst z ¼ x 2 und untersuchen Sie anschließend das Konvergenzverhalten der neuen (z-abhängigen) Reihe. Zu Abschnitt 3 1) Entwickeln Sie die folgenden Funktionen in eine Mac Laurinsche Reihe: aÞ f ðxÞ ¼ sinh x bÞ f ðxÞ ¼ arctan x cÞ f ðxÞ ¼ ln ð1 þ x 2 Þ 2) Bestimmen Sie die Mac Laurinsche Reihe der Funktion f ðxÞ ¼ cosh x : a) auf direktem Wege nach Formel (VI-44), b) aus den Potenzreihenentwicklungen von e x und e x unter Berücksichtigung 1 x ðe þ e x Þ. der Definitionsformel cosh x ¼ 2 1 3) Entwickeln Sie die Wurzelfunktion f ðxÞ ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi unter Verwendung der Bi1 x3 nomischen Reihe in ein Mac Laurinsches Polynom (Abbruch nach dem 3. Glied). Berechnen Sie anschließend mit dieser Näherungsfunktion den Funktionswert an der Stelle x ¼ 0,2 und schätzen Sie den Fehler ab. 636 VI Potenzreihenentwicklungen 4) Bestimmen Sie die Mac Laurinschen Reihen der folgenden Funktionen, indem Sie die Potenzreihen der beiden Faktoren gliedweise multiplizieren. In welchem Bereich konvergieren die Reihen? aÞ f ðxÞ ¼ e 2 x cos x bÞ f ðxÞ ¼ sin 2 x cÞ f ðxÞ ¼ sinh x 1 þ x2 5) Entwickeln Sie die folgenden Funktionen um die Stelle x 0 in eine Taylor-Reihe: aÞ f ðxÞ ¼ cos x, cÞ f ðxÞ ¼ 1 2 , x2 x x0 ¼ p 3 bÞ f ðxÞ ¼ pffiffiffiffi x, x0 ¼ 1 x0 ¼ 1 6) Die Funktion f ðxÞ ¼ x e x soll in der Umgebung des Nullpunktes durch einfache Polynomfunktionen bis maximal 3. Grades angenähert werden. Bestimmen Sie diese Näherungsfunktionen mit Hilfe der Mac Laurinschen Reihenentwicklung und skizzieren Sie ihren Verlauf. pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 7) Berechnen Sie den Funktionswert von f ðxÞ ¼ 1 x an der Stelle x ¼ 0,05 auf sechs Dezimalstellen nach dem Komma genau. 8) Berechnen Sie cos 8 mit Hilfe der Mac Laurinschen Reihenentwicklung von cos x auf vier Dezimalstellen genau. Hinweis: Winkel erst ins Bogenmaß umrechnen! 9) Ersetzen Sie die Sinusfunktion in der Umgebung ihres 1. Maximums im positiven x-Bereich durch eine Parabel. Anleitung: Taylor-Reihe von f ðxÞ ¼ sin x um die betreffende Stelle bestimmen und nach dem quadratischen Glied abbrechen. 10) Lösen Sie die Gleichung cosh x ¼ 4 x 2 näherungsweise durch Potenzreihenentwicklung von cosh x und Abbruch dieser Reihe nach der 4. Potenz. ðx 11) Lösen Sie das (unbestimmte) Integral F ðxÞ ¼ 0 1 dt, indem Sie den Inte1 þ t2 granden zunächst in eine Mac Laurinsche Reihe entwickeln (Binomische Reihe verwenden!) und diese anschließend gliedweise integrieren. Bestimmen Sie den Konvergenzbereich der durch Integration gewonnenen Potenzreihe, die eine Ihnen bekannte elementare Funktion darstellt. Um welche Funktion handelt es sich? bungsaufgaben 637 12) Die folgenden bestimmten Integrale sind elementar, d. h. in geschlossener Form nicht lösbar. Sie lassen sich jedoch durch Potenzreihenentwicklung des Integranden und anschließender gliedweiser Integration berechnen. Bestimmen Sie den Wert dieser Integrale auf vier Dezimalstellen nach dem Komma genau. 0ð,5 aÞ 0ð,2 pffiffiffiffi cos ð x Þ dx bÞ 0 0 ex dx x þ1 ð1 cÞ sin x dx x 0 13) Zeigen Sie, wie man aus der als bekannt vorausgesetzten Potenzreihe von 1 gewinnen ln ð1 xÞ durch Differentiation die Mac Laurinsche Reihe von 1x kann. Anleitung: Gehen Sie von der folgenden Entwicklung aus: ln ð1 xÞ ¼ x x2 x3 x4 ... 2 3 4 ð 1 x < 1Þ 14) Zwischen Luftdruck p und Höhe h (gemessen gegenüber dem Meeresniveau) besteht unter der Annahme konstanter Lufttemperatur der folgende Zusammenhang (sog. barometrische Höhenformel): p ðhÞ ¼ p 0 e h 7991 m ðh 0 mÞ Leiten Sie mit Hilfe der Potenzreihenentwicklung einen linearen Zusammenhang zwischen den Größen p und h her. Bis zu welcher Höhe h max liefert diese Näherung Werte, die um maximal 1 % vom tatsächlichen Luftdruck abweichen? 15) Die Schwingungsdauer T eines konischen Pendels (Bild VI-15) hängt bei gegebener Fadenlänge l und festem Ort nur noch vom Winkel j zwischen Faden und Vertikale ab: sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi l cos j T ¼ T ðjÞ ¼ 2 p g f ( g: Erdbeschleunigung). l Zeigen Sie: Für kleine Winkel j ist die Schwingungsdauer T nahezu winkelunabhängig. Bild VI-15 Konisches Pendel 638 VI Potenzreihenentwicklungen 16) Die Schwingungsdauer T einer ungedämpften pffiffiffiffiffiffiffiffiffi elektromagnetischen Schwingung lässt sich nach der Beziehung T ¼ 2 p L C aus der Induktivität L und der Kapazität C berechnen (Bild VI-16). C Bild VI-16 Elektromagnetischer Schwingkreis L L 0 ¼ 0,1 H und a) Berechnen Sie die Schwingungsdauer für die Werte C 0 ¼ 10 mF. b) Bei einer Kapazitätsänderung um DC ändert sich die Schwingungsdauer um DT (die Induktivität bleibe konstant). Leiten Sie mit Hilfe der Potenzreihenentwicklung einen linearen Zusammenhang zwischen diesen Größen her. c) Berechnen Sie mit dieser linearen Näherungsformel die nderung DT der Schwingungsdauer für den Fall einer Kapazitätszunahme um DC ¼ 0,6 mF und vergleichen Sie diesen Wert mit dem exakten Wert. 17) In der Relativitätstheorie wird gezeigt, dass die Elektronenmasse m mit der Elektronengeschwindigkeit v nach der Formel m0 m ¼ m ðvÞ ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 ðv=cÞ 2 zunimmt (m 0 : Ruhemasse des Elektrons; c: Lichtgeschwindigkeit). Zeigen Sie mit Hilfe der Potenzreihenentwicklung, dass zwischen den Größen m und v in 1. Näherung der folgende Zusammenhang besteht: v2 m m0 1 þ 2 c2 18) Die folgenden Grenzwerte führen zunächst auf einen unbestimmten Ausdruck vom 0“ 1“ Typ bzw. . Berechnen Sie diese Grenzwerte unter Anwendung der „0 „1 Regel von Bernoulli und de L’Hospital: aÞ dÞ lim tan x x bÞ lim x ex 1 ex eÞ x!0 x!0 lim cos x 1 x cÞ lim xn an x a fÞ x!0 x!a lim sin x x lim ln x x2 x!0 x!1 bungsaufgaben gÞ jÞ 639 3 tan x sin ð2 xÞ lim x!p hÞ x3 2 lim e2x x!1 lim x!0 ln ð1 þ xÞ x iÞ lim ðe x kÞ x!1 pffiffiffiffi xÞ fÞ 1 1 tan x x lim x!0 x!1 ln x ex pffiffiffiffi tanh ð x Þ p ffiffiffiffi lim x x!0 19) Berechnen Sie die folgenden Grenzwerte: x 1 aÞ lim ð2 xÞ x bÞ lim x x!0 x!0 dÞ lim eÞ lim ðx pÞ tan x!p cÞ lim ðx 2 ln xÞ x!0 x 2 Anleitung: Die Grenzwerte sind von einem Typ, auf den die Regel von Bernoulli und de L’Hospital zunächst nicht anwendbar ist. Mit Hilfe elementarer Umformun0“ 1“ gen gelingt es jedoch, die unbestimmte Form bzw. herzustellen, auf „0 „1 die man dann die Grenzwertregel anwenden darf. 20) Berechnen Sie die folgenden Grenzwerte mit Hilfe einer geeigneten Potenzreihenentwicklung: aÞ cÞ lim 1 cos x x2 bÞ lim cosh x 1 x dÞ x!0 x!0 lim 2 ðx sin xÞ e x 1 þ sin x lim sin 2 x x x!0 x!0 21) Bestimmen Sie den Grenzwert lim ðx e x Þ x!1 vom Typ „1 1“ durch Ausklammern der Exponentialfunktion und Verwendung der Grenzwertregel von Bernoulli-de L’Hospital. 640 VII Komplexe Zahlen und Funktionen 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl Die komplexen Zahlen stellen eine Erweiterung der reellen Zahlenmenge R dar und erweisen sich in den technischen Anwendungen als ein sehr nützliches mathematisches Hilfsmittel. Ein wichtiges Beispiel dafür bietet die komplexe Wechselstromrechnung der Elektrotechnik, auf die wir im Anwendungsteil näher eingehen werden. 1.1 Definition einer komplexen Zahl Alle bisherigen Rechenoperationen beruhen auf den reellen Zahlen, die sich in umkehrbar eindeutiger Weise durch Punkte auf einer gerichteten Geraden, Zahlengerade genannt, darstellen lassen. Die reelle Zahl x wird dabei durch den Punkt P ðxÞ repräsentiert (Bild VII-1). –1,5 5/3 P(x) Bild VII-1 –3 –2 –1 0 1 2 x Bereits beim Lösen einfachster quadratischer Gleichungen können jedoch Probleme auftreten, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen werden. Während die Gleichung x 2 ¼ 1 im Bereich der reellen Zahlen lösbar ist (ihre Lösungen sind x 1=2 ¼ 1), lässt sich die ebenso einfache Gleichung x 2 ¼ 1 im Reellen nicht lösen, da bekanntlich das Quadrat einer reellen Zahl (ob positiv oder negativ) stets größer oder gleich Null, niemals aber negativ ist: ( Keine reellen Lösungen , 2 x ¼ 1 ) da x 2 0 f ür jedes x 2 R ist : Es besteht jedoch der Wunsch, auch diese einfache Gleichung lösen zu können. Da dies im Reellen nicht möglich ist, müssen wir den Zahlenbereich in geeigneter Weise erweitern, d. h. neue Zahlen „erfinden“, mit deren Hilfe auch Gleichungen wie x 2 ¼ 1 gelöst werden können. berlegungen in dieser Richtung werden uns auf eine neue Zahlenmenge, die sog. „komplexen Zahlen“, führen. Von diesen Zahlen erwarten wir, dass man mit ihnen ähnlich rechnen kann wie mit reellen Zahlen, und sie sollten in gewisser Weise die reellen Zahlen als „Sonderfall“ mitenthalten. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass auch die uns inzwischen so vertrauten reellen Zahlen nicht einfach „vom Himmel gefallen“ sind, sondern vielmehr das Ergebnis mehrmaliger Erweiterungen eines Zahlenbereiches sind. In Bild VII-2 wird dieser Erweiterungsprozess in anschaulicher Weise dargestellt. 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl a) b) 0 1 2 3 0 1 2 3 2 3 Natürliche Zahlen Ganze Zahlen –3 –2 –1 – 5/3 – 0,5 3/2 Rationale Zahlen c) –3 –2 0 –1 – 5/3 d) 641 1 – 0,5 e π 2 Reelle Zahlen –3 –2 –1 0 1 2 3 Bild VII-2 Erweiterung des Zahlenbereichs von den natürlichen Zahlen zu den reellen Zahlen Ausgangspunkt sind dabei die natürlichen Zahlen (0, 1, 2, 3, . . .). Durch Hinzunahme der negativen ganzen Zahlen (entstanden durch Spiegelung der natürlichen Zahlen am Nullpunkt) gelangt man zu den ganzen Zahlen (0, 1, 2, 3, . . .). Noch ist jedoch auf dem Zahlenstrahl genügend Platz für weitere Zahlen. Die nächste Erweiterung des Zahlenbereiches führt zu den rationalen Zahlen (alle Brüche vom Typ m=n, wobei m eine ganze und n eine positive ganze Zahl bedeuten). Noch immer gibt es freie Plätze auf pffiffiffiffiffi der Zahlengeraden. Erst durch die Hinzunahme der irrationalen Zahlen (wie z. B. 2 , e, p) werden die noch vorhandenen Lücken auf der Zahlengeraden geschlossen: Jeder Punkt auf dieser Geraden repräsentiert jetzt eine reelle Zahl in umkehrbar eindeutiger Weise. Der Erweiterungsprozess ist damit (zunächst) abgeschlossen. Erweiterung des Zahlenbereichs Analog zu den reellen Zahlen sollen auch die neuen sog. „komplexen Zahlen“ durch Bildpunkte dargestellt werden. Da auf dem Zahlenstrahl keine freien Plätze mehr vorhanden sind (jeder Platz ist bereits mit einer reellen Zahl belegt), müssen wir in die Ebene „ausweichen“. Dort stehen noch genügend freie Plätze für weitere Zahlen zur Verfügung. Wir führen jetzt die neuen Zahlen wie folgt ein: In der x, y-Ebene soll der Punkt P ¼ ðx; yÞ mit den kartesischen Koordinaten x und y die neue sog. „komplexe Zahl“ z repräsentieren, für die wir die symbolische Schreibweise z ¼ x þ jy ðVII-1Þ wählen, wobei j als „imaginäre Einheit“ bezeichnet wird (Bild VII-3). Die komplexe Zahl z ist damit durch das geordnete (relle) Zahlenpaar (x; y) eindeutig beschrieben: z ¼ x þ j y $ P ðzÞ ¼ ðx; yÞ 642 VII Komplexe Zahlen und Funktionen y y P(z) = (x ; y) Bild VII-3 Darstellung einer komplexen Zahl durch einen Bildpunkt der Ebene x x Komplexe Zahl Unter einer komplexen Zahl z versteht man ein geordnetes Paar (x; y) aus zwei reellen Zahlen x und y. Symbolische Schreibweise: z ¼ x þ jy ðVII-2Þ Die komplexe Zahl z ¼ x þ j y wird dabei durch den Punkt P ðzÞ ¼ ðx; yÞ der x, y-Ebene eindeutig repräsentiert (Bild VII-3). Anmerkungen (1) In der Mathematik wird die imaginäre Einheit meist durch das Symbol i gekennzeichnet. Wir werden dieses Symbol jedoch nicht verwenden, um Verwechslungen mit der Stromstärke i zu vermeiden. (2) Die Darstellungsform z ¼ x þ j y ist die Normalform einer komplexen Zahl. Sie wird auch als algebraische oder kartesische Form bezeichnet (siehe hierzu auch den späteren Abschnitt 1.4.1). (3) Die reellen Bestandteile x und y der komplexen Zahl z ¼ x þ j y werden als Realteil und Imaginärteil von z bezeichnet. Symbolische Schreibweise: (4) Realteil von z: Re ðzÞ ¼ x Imaginärteil von z: Im ðzÞ ¼ y Die Menge C ¼ fz j z ¼ x þ j y mit x, y 2 Rg ðVII-3Þ heißt Menge der komplexen Zahlen. Hinweis zur symbolischen Schreibweise Die gewählte Schreibweise z ¼ x þ j y für eine komplexe Zahl erinnert – formal betrachtet – an eine Summe aus zwei Zahlen x und j y, von denen die 1. Zahl eine reelle Zahl ist, während wir über die Art der 2. Zahl zunächst wenig wissen (sie ist 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl 643 jedenfalls nicht reell). Das Verknüpfungszeichen „+“ in z ¼ x þ j y bedeutet an dieser Stelle keine Addition (wir haben für komplexe Zahlen noch keinerlei Rechenoperationen festgelegt). Man hätte also auch ein (beliebiges) anderes Verknüpfungszeichen wählen können. Es ist jedoch kein Zufall, dass man sich für das Additionszeichen „+“ entschieden hat. Etwas später werden wir sehen, dass die komplexe Zahl z ¼ x þ j y in der Tat als eine Summe zweier spezieller komplexer Zahlen aufgefasst werden kann. 1.2 Komplexe oder Gaußsche Zahlenebene Alle Punkte der x-Achse haben den Ordinatenwert y ¼ 0, repräsentieren also komplexe Zahlen mit einem verschwindenden Imaginärteil Im ðzÞ ¼ y ¼ 0 und können daher als reelle Zahlen identifiziert werden: reelle Zahl: z ¼ x þ j0 x Die reellen Zahlen sind also ein Sonderfall der komplexen Zahlen. Ihre Bildpunkte liegen auf der x-Achse, die daher zu Recht in reelle Achse umbenannt wird (Re ðzÞ; siehe Bild VII-4). Die auf der y-Achse liegenden Bildpunkte haben den Abszissenwert x ¼ 0 und repräsentieren somit komplexe Zahlen mit einem verschwindenden Realteil Re ðzÞ ¼ x ¼ 0. Sie werden (wegen der enthaltenen imaginären Einheit j) als imaginäre Zahlen bezeichnet: imaginäre Zahl: z ¼ 0 þ jy jy Die bisherige y-Achse wird daher im Folgenden als imaginäre Achse bezeichnet (Im ðzÞ; siehe Bild VII-4). Auch die imaginären Zahlen sind demnach ein Sonderfall der komplexen Zahlen. Aus den genannten Gründen bezeichnen wir fortan die x, y-Ebene als komplexe Ebene oder Gaußsche Zahlenebene (Bild VII-5). Im (z) Im (z) y z = x + jy z = j y (Imaginäre Zahl) z=x (Reelle Zahl) Re (z) Bild VII-4 Bildliche Darstellung einer reellen bzw. imaginären Zahl x Bild VII-5 Komplexe oder Gaußsche Zahlenebene Re (z) 644 VII Komplexe Zahlen und Funktionen In den technischen Anwendungen werden komplexe Zahlen oft durch sog. Zeiger dargestellt. Es handelt sich dabei um eine bildliche Darstellung der komplexen Zahl z in Form eines Pfeils, der vom Koordinatenursprung aus zum Bildpunkt P ðzÞ gerichtet ist (Bild VII-6). Wir kennzeichnen ihn durch das Symbol z ¼ x þ j y (unterstrichene komplexe Zahl). Im (z) z = x + jy y Bild VII-6 Bildliche Darstellung einer komplexen Zahl durch einen Zeiger in der Gaußschen Zahlenebene x Re (z) Geometrische Darstellung einer komplexen Zahl in der Gaußschen Zahlenebene Eine komplexe Zahl z ¼ x þ j y lässt sich in der Gaußschen Zahlenebene durch den Bildpunkt P ðzÞ ¼ ðx; yÞ (Bild VII-5) oder durch den Zeiger z ¼ x þ j y (Bild VII-6) geometrisch darstellen. Die Bildpunkte der reellen Zahlen liegen dabei auf der reellen Achse, die Bildpunkte der imaginären Zahlen auf der imaginären Achse. Anmerkungen & (1) Der Zeiger z ist eine geometrische Darstellungsform der komplexen Zahl z und nicht mit einem Vektor zu verwechseln (Vektoren und Zeiger unterliegen unterschiedlichen Rechengesetzen). (2) Sowohl die Menge der reellen Zahlen als auch die Menge der imaginären Zahlen sind echte Teilmengen der Menge C. (3) Wir kennzeichnen den Bildpunkt P ðzÞ einer komplexen Zahl z meist durch das Zahlensymbol selbst. Beispiele (1) Bild VII-7 zeigt die Lage der Bildpunkte von z1 ¼ 2 þ 4 j , z2 ¼ 4 þ j , z3 ¼ 3 j , z4 ¼ 3 , z5 ¼ 6 þ 2 j , z6 ¼ 3 4 j , z7 ¼ 2 3 j , in der Gaußschen Zahlenebene. z8 ¼ 2 þ 4 j 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl 645 Im (z) 5 z8 z1 z3 z5 z2 1 z4 –5 –1 1 5 Re (z) –1 z7 z6 –5 Bild VII-7 (2) Die komplexen Zahlen z1 ¼ 9 þ 3 j , z2 ¼ 4 þ 5 j , z5 ¼ 3 3 j , z3 ¼ 3 þ 4 j , z6 ¼ 3 2 j , z4 ¼ 7 , z7 ¼ 4 j sind in Bild VII-8 durch Zeiger in der Gaußschen Zahlenebene dargestellt. Im (z) z2 5 z3 z1 z4 –5 5 10 Re (z) z6 z5 z7 –5 Bild VII-8 & 646 VII Komplexe Zahlen und Funktionen 1.3 Weitere Grundbegriffe Wir behandeln in diesem Abschnitt die folgenden Grundbegriffe: Gleichheit zweier komplexer Zahlen, Betrag einer komplexen Zahl, konjugiert komplexe Zahl. Gleichheit zweier komplexer Zahlen Definition: Zwei komplexe Zahlen z 1 ¼ x 1 þ j y 1 und z 2 ¼ x 2 þ j y 2 heißen gleich, z 1 ¼ z 2 , wenn x1 ¼ x2 y1 ¼ y2 und ðVII-4Þ ist. Zwei komplexe Zahlen sind demnach gleich, wenn sie sowohl in ihrem Realteil als auch in ihrem Imaginärteil übereinstimmen. Die zugehörigen Bildpunkte bzw. Zeiger fallen dann zusammen. Betrag einer komplexen Zahl Definition: Unter dem Betrag j z j der komplexen Zahl z ¼ x þ j y versteht man die Länge des zugehörigen Zeigers (Bild VII-9): pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ðVII-5Þ jzj ¼ x2 þ y2 Im (z) z = x + jy |z | y Bild VII-9 Zum Begriff des Betrages einer komplexen Zahl x Re (z) Anmerkungen (1) Definitionsgleichung (VII-5) folgt unmittelbar aus Bild VII-9 durch Anwendung des Satzes von Pythagoras auf das eingezeichnete rechtwinklige Dreieck. (2) Der Betrag j z j einer komplexen Zahl z ist eine Abstandsgröße (Abstand des Bildpunktes von z vom Nullpunkt der Gaußschen Zahlenebene). Daher ist j z j 0. 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl & 647 Beispiel Die komplexen Zahlen z 1 ¼ 3 4 j , z 2 ¼ 3 j und z 3 ¼ 2 8 j besitzen folgende Beträge: j z1 j ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi 3 2 þ ð 4Þ 2 ¼ 25 ¼ 5 ; j z3 j ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi ð 2Þ 2 þ ð 8Þ 2 ¼ 68 ¼ 8,25 j z2 j ¼ pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffi 02 þ 32 ¼ 9 ¼ 3 ; & Konjugiert komplexe Zahl Definition: Die komplexe Zahl z * ¼ ðx þ j yÞ * ¼ x þ j ð yÞ ¼ x j y ðVII-6Þ heißt die zu z ¼ x þ j y konjugiert komplexe Zahl. Der bergang von der komplexen Zahl z zur konjugiert komplexen Zahl z * bedeutet (formal betrachtet) einen Vorzeichenwechsel im Imaginärteil, während der Realteil unverändert bleibt. Die zugehörigen Bildpunkte bzw. Zeiger liegen daher spiegelsymmetrisch zur reellen Achse (Bild VII-10). Im (z) y z = x + jy Bild VII-10 Zum Begriff der konjugiert komplexen Zahl Re (z) x –y z* = x – j y Anmerkungen (1) Formal lässt sich der bergang von der komplexen Zahl z ¼ x þ j y zur konjugiert komplexen Zahl z * ¼ x j y durch die Substitution j ! j beschreiben. z und z * haben den gleichen Betrag: j z j ¼ j z * j. (2) Für zwei zueinander konjugiert komplexe Zahlen z 1 und z 2 gilt: z 1 ¼ z *2 und z 2 ¼ z *1 ðVII-7Þ 648 (3) & VII Komplexe Zahlen und Funktionen Es ist stets ðz *Þ * ¼ z (zweimalige Spiegelung an der reellen Achse führt zum Ausgangspunkt zurück). Beispiele (1) Gegeben sind die komplexen Zahlen z1 ¼ 3 þ 3 j , z2 ¼ 2 3 j , z3 ¼ 5 2 j , z4 ¼ 4 j , z5 ¼ 8 Die konjugiert komplexen Zahlen lauten: z *1 ¼ ð3 þ 3 jÞ * ¼ 3 3 j z *2 ¼ ð 2 3 jÞ * ¼ 2 þ 3 j z *3 ¼ ð5 2 jÞ * ¼ 5 þ 2 j z *4 ¼ ð 4 jÞ * ¼ 4 j z *5 ¼ ð8Þ * ¼ 8 Bild VII-11 zeigt die Lage der zugehörigen Bildpunkte und Zeiger in der Gaußschen Zahlenebene (Zeigerspitze ¼ Bildpunkt). Im (z) z *4 z 2* z1 z 3* 1 z 5 = z *5 –1 5 Re (z) –1 z3 z2 z *1 z4 Bild VII-11 (2) Wir zeigen geometrisch, dass eine komplexe Zahl z mit der Eigenschaft z ¼ z * reell ist. Die Zeiger zweier konjugiert komplexer Zahlen z und z * liegen bekanntlich spiegelsymmetrisch zur reellen Achse (siehe hierzu auch Bild VII-10). 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl 649 Die Gleichung z ¼ z * bedeutet, dass die zugehörigen Zeiger z und z * zusammenfallen. Beide Bedingungen sind nur miteinander in Einklang zu bringen, wenn der Zeiger z in der reellen Achse liegt und somit eine reelle Zahl darstellt (Bild VII-12). Im (z) z = z* & Bild VII-12 Re (z) 1.4 Darstellungsformen einer komplexen Zahl 1.4.1 Algebraische oder kartesische Form In Abschnitt 1.1 wurde die komplexe Zahl z (formal gesehen) als algebraische Summe aus einer reellen Zahl x und einer imaginären Zahl j y eingeführt: z ¼ x þ jy ðVII-8Þ Diese Darstellungsform heißt daher „algebraisch“. Auch für die ebenfalls übliche Bezeichnung kartesische Form gibt es eine einleuchtende Erklärung: Real- und Imaginärteil der komplexen Zahl z repräsentieren die kartesischen Koordinaten des zugehörigen Bildpunktes P ðzÞ ¼ ðx; yÞ in der Gaußschen Zahlenebene. Die algebraische oder kartesische Form ist die Normalform einer komplexen Zahl. 1.4.2 Trigonometrische Form Den Bildpunkt P ðzÞ einer komplexen Zahl z ¼ x þ j y können wir auch durch Polarkoordinaten r und j festlegen (Bild VII-13). Mit Hilfe der aus dem Bild ersichtlichen Transformationsgleichungen x ¼ r cos j, y ¼ r sin j ðVII-9Þ lässt sich die komplexe Zahl z aus der kartesischen Form in die sog. trigonometrische Form z ¼ x þ j y ¼ r cos j þ j r sin j ¼ r ðcos j þ j sin jÞ ðVII-10Þ überführen (Bezeichnung „trigonometrische“ Form wegen der auftretenden trigonometrischen Funktionen Sinus und Kosinus). Im (z) z = x + jy r y Bild VII-13 Zur trigonometrischen Form einer komplexen Zahl f x Re (z) 650 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Für r und j sind in der komplexen Rechnung die Bezeichnungen r: Betrag von z (also r ¼ j z j) j: Argument 1), Winkel oder Phase von z üblich. Für die Abstandsgröße r gilt stets r 0. Die Winkelkoordinate j ist unendlich vieldeutig, denn jede weitere volle Umdrehung führt zum gleichen Bildpunkt. Man beschränkt sich daher bei der Winkelangabe meist auf den im Intervall 0 j < 2 p gelegenen Hauptwert. Dies entspricht einer Drehung aus der positiven reellen Achse heraus im Gegenuhrzeigersinn (positiver Drehsinn) um einen Winkel zwischen 0 und 360 . Wichtiger Hinweis zum Begriff „Hauptwert eines Winkels“ Vereinbarungsgemäß liegt unser Winkelhauptwert im Intervall 0 j < 2 p. Im technischen Bereich (insbesondere in der Elektrotechnik) wird jedoch häufig der kleinstmögliche Drehwinkel als Hauptwert angegeben. Den 1. und 2. Quadranten erreicht man dabei durch Drehung im Gegenuhrzeigersinn (positiver Drehwinkel von 0 bis 180 bzw. von 0 bis p), den 3. und 4. Quadranten dagegen durch Drehung im Uhrzeigersinn (negativer Drehwinkel von 0 bis 180 bzw. von 0 bis p), wobei die Drehung jeweils aus der positiv-reellen Achse heraus erfolgt. Der Hauptwert des Winkels liegt bei dieser Festlegung dann im Intervall p < j p. Der bergang von der komplexen Zahl z zur konjugiert komplexen Zahl z * bedeutet geometrisch eine Spiegelung des Bildpunktes P ðzÞ an der reellen Achse (Bild VII-14). Dabei tritt ein Vorzeichenwechsel im Argument (Winkel) j ein (Drehung im mathematisch negativen Drehsinn), während der Betrag r unverändert bleibt. Die zu z ¼ r ðcos j þ j sin jÞ konjugiert komplexe Zahl z * lautet daher in der trigonometrischen Darstellungsform wie folgt: z * ¼ r ½ cos ð jÞ þ j sin ð jÞ ¼ r ðcos j j sin jÞ ðVII-11Þ Formal kann der bergang von z nach z * auch durch die Substitution j ! j beschrieben werden. Im (z) z |z |= r Bild VII-14 Zur trigonometrischen Darstellungsform der konjugiert komplexen Zahl f –f Re (z) | z* |= r z* 1Þ Schreibweise: j ¼ arg ðzÞ 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl & 651 Beispiele (1) Die in der trigonometrischen Form vorliegenden komplexen Zahlen 3 3 p þ j sin p , z 1 ¼ 2 ðcos 30 þ j sin 30 Þ , z 2 ¼ 3 cos 4 4 z 3 ¼ 5 ðcos p þ j sin pÞ , z 4 ¼ 3 ðcos 250 þ j sin 250 Þ , p p þ j sin , z 6 ¼ 4 ½ cos ð 45 Þ þ j sin ð 45 Þ z 5 ¼ 3 cos 2 2 sind in Bild VII-15 durch Zeiger in der Gaußschen Zahlenebene dargestellt. Im (z) 3 z5 z2 z1 1 z3 –5 –1 1 Re (z) –2 z4 (2) h p p i þ j sin , z 1 ¼ 3 cos 3 3 z6 Bild VII-15 z 2 ¼ 4 ½ cos ð 160 Þ þ j sin ð 160 Þ Wie lauten die zugehörigen konjugiert komplexen Zahlen? Lösung: h p p i z *1 ¼ 3 cos j sin , 3 3 z *2 ¼ 4 ½ cos ð 160 Þ j sin ð 160 Þ ¼ 4 ðcos 160 þ j sin 160 Þ (wegen cos ð 160 Þ ¼ cos 160 und sin ð 160 Þ ¼ sin 160 Þ In Bild VII-16 ist die Lage der Bildpunkte und Zeiger in der Gaußschen Zahlenebene anschaulich dargestellt. 652 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Im (z) z1 z 2* 1 1 Re (z) –1 z2 z 1* Bild VII-16 & 1.4.3 Exponentialform Unter Verwendung der von Euler stammenden Formel 2) e j j ¼ cos j þ j sin j ðVII-12Þ erhält man aus der trigonometrischen Form z ¼ r ðcos j þ j sin jÞ die als Exponentialform bezeichnete (knappe) Darstellungsform z ¼ r ðcos j þ j sin j Þ ¼ r e j j |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} ejj 2) ðVII-13Þ Die Eulersche Formel erhält man am bequemsten aus der Mac Laurinschen Reihe von e x , indem man x durch j j ersetzt und dabei die Beziehung j 2 ¼ 1 beachtet, die wir in Abschnitt 2.1.2 herleiten werden: ejj ¼ 1 þ ðj jÞ 1 ðj jÞ 2 ðj jÞ 3 ðj jÞ 4 ðj jÞ 5 ðj jÞ 6 ðj jÞ 7 þ þ þ þ þ þ þ ... ¼ 1! 2! 3! 4! 5! 6! 7! j2 j3 j4 j5 j6 j7 j þ þj j þ ... ¼ 2! 3! 4! 5! 6! 7! j2 j4 j6 j3 j5 j7 ¼ 1 þ þ ... þ j j þ þ ... ¼ 2! 4! 6! 3! 5! 7! |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} cos j sin j ¼ 1 þ jj ¼ cos j þ j sin j Die in den Klammern stehenden Potenzreihen sind nämlich genau die Mac Laurinschen Reihen von cos j und sin j. 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl 653 Diese Schreibweise wird sich später noch als besonders vorteilhaft bei der Ausführung der Rechenoperationen Multiplikation und Division erweisen. Die zu z ¼ r e j j konjugiert komplexe Zahl z * lautet in der Exponentialform: z * ¼ ½ r e j j * ¼ r e j ð jÞ ¼ r e j j ðVII-14Þ Anmerkungen (1) Die in der Eulerschen Formel (VII-12) auftretende komplexe Exponentialfunktion ist eine komplexwertige Funktion der reellen Variablen j und im Gegensatz zur reellen e-Funktion periodisch mit der Periode 2 p : e j ðjþ k 2 pÞ ¼ cos ðj þ k 2 pÞ þ j sin ðj þ k 2 pÞ ¼ ¼ cos j þ j sin j ¼ e j j ðk 2 ZÞ ðVII-15Þ (da Sinus und Kosinus periodische Funktionen mit der Periode 2 p sind). (2) & Wiederum gilt: Ersetzt man formal j durch j, so erhält man aus z die konjugiert komplexe Zahl z *. Beispiele (1) Die in der Exponentialform vorliegenden komplexen Zahlen 2 z 1 ¼ 3 e j 45 , 3 z2 ¼ 4 ej 3 p , z3 ¼ 4 ej 2 p , z5 ¼ 6 ejp , z 6 ¼ 4 e j 340 z 4 ¼ 3 e j 110 , sind in der Gaußschen Zahlenebene durch Bildpunkte und Zeiger bildlich darzustellen. Die Lösung findet der Leser in Bild VII-17. Im (z) 4 z2 z1 1 z5 –5 1 –1 –1 z4 –4 Bild VII-17 4 z3 z6 Re (z) 654 (2) VII Komplexe Zahlen und Funktionen Wir bestimmen die zu p z1 ¼ 3 ej 3 , z 2 ¼ 5 e j 160 und z 3 ¼ 6 e j 20 konjugiert komplexen Zahlen. Sie lauten: p z1 ¼ 3 ej 3 z 2 ¼ 5 e j 160 z 3 ¼ 6 e j 20 ) z *1 ¼ 3 e j ð 3 Þ ¼ 3 e j 3 ) z *2 ¼ 5 e j ð 160 ) z *3 ¼ 6 e j ð 20 Þ ¼ 6 e j 20 p p Þ ¼ 5 e j 160 In Bild VII-18 ist die Lage der Bildpunkte und Zeiger in der Gaußschen Zahlenebene dargestellt. Im (z) z1 z 3* z2 1 –5 1 5 Re (z) –1 z 2* z3 z *1 & Bild VII-18 1.4.4 Zusammenstellung der verschiedenen Darstellungsformen Die nachfolgende Zusammenfassung enthält die verschiedenen Darstellungsformen einer komplexen Zahl. Darstellungsformen einer komplexen Zahl 1. Algebraische oder kartesische Form (Normalform) z ¼ x þ jy x: Realteil von z y: Imaginärteil von z ðVII-16Þ 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl 655 2. Trigonometrische Form z ¼ r ðcos j þ j sin jÞ ðVII-17Þ r: Betrag von z (also r ¼ j z j) j: Argument (Winkel, Phase) von z 3. Exponentialform z ¼ r ejj ðVII-18Þ r: Betrag von z (also r ¼ j z j) j: Argument (Winkel, Phase) von z Anmerkungen (1) Sowohl der trigonometrischen als auch der exponentiellen Darstellungsform liegen Polarkoordinaten zugrunde. Wir fassen diese Schreibweisen daher unter der Sammelbezeichnung „Polarformen“ zusammen. Die Exponentialform ist dabei gewissermaßen eine Kurzschreibweise für die trigonometrische Form. (2) Für alle drei Darstellungsformen gilt: Ersetzt man formal j durch j, so geht die komplexe Zahl z in die zugehörige konjugierte komplexe Zahl z * über. 1.4.5 Umrechnungen zwischen den Darstellungsformen Umrechnung: Polarform ! Kartesische Form Die komplexe Zahl liege in der trigonometrischen oder in der Exponentialform vor und soll in die kartesische Form umgerechnet werden. Dies geschieht wie folgt: Umrechnung einer komplexen Zahl: Polarform ! Kartesische Form Eine in der Polarform z ¼ r ðcos j þ j sin jÞ oder z ¼ r e j j vorliegende komplexe Zahl lässt sich mit Hilfe der Transformationsgleichungen x ¼ r cos j , y ¼ r sin j ðVII-19Þ in die kartesische Form z ¼ x þ j y überführen. Anmerkung Die Transformationsgleichungen (VII-19) beschreiben den bergang von den Polarkoordinaten zu den kartesischen Koordinaten. In der Praxis geht man dabei wie folgt vor: 656 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Zunächst wird die komplexe Zahl von der Exponentialform in die trigonometrische Form gebracht, dann wird nach den aus der reellen Rechnung bekannten Regeln „ausmultipliziert“ 3) : z ¼ r e j j ¼ r ðcos j þ j sin jÞ ¼ ðr cos jÞ þ j ðr sin jÞ ¼ x þ j y |fflfflfflfflffl{zfflfflfflfflffl} |fflfflfflffl{zfflfflfflffl} x y & Beispiele Die folgenden in der trigonometrischen Form bzw. Exponentialform vorliegenden komplexen Zahlen sind in der Normalform (kartesischen Form) darzustellen: 3 z 1 ¼ 2 ðcos 30 þ j sin 30 Þ , z 2 ¼ 3 e j 4 p , z 3 ¼ 5 ðcos p þ j sin pÞ , h p p i z 5 ¼ 4 cos þ j sin , 2 2 z 4 ¼ 3 e j 250 , z 6 ¼ 4 e j 45 Lösung: z1 ¼ 2 1 pffiffiffiffiffi 3 þ j 0,5 2 z2 ¼ 3 e j 34 p ¼ 3 cos pffiffiffiffiffi 3 þ j 1 ¼ 1,73 þ j ¼ 3 p 4 þ j sin 3 p 4 ¼ 1 pffiffiffi 1 pffiffiffi 3 pffiffiffiffiffi 3 pffiffiffiffiffi ¼ 3 2þj 2 ¼ 2 þ 2 j ¼ 2,12 þ 2,12 j 2 2 2 2 z 3 ¼ 5 ð 1 þ j 0Þ ¼ 5 ðreelle ZahlÞ z 4 ¼ 3 e j 250 ¼ 3 ðcos 250 þ j sin 250 Þ ¼ 1,03 2,82 j z 5 ¼ 4 ð0 þ j 1Þ ¼ 4 j ðimaginäre ZahlÞ z 6 ¼ 4 e j 45 ¼ 4 ½ cos ð 45 Þ þ j sin ð 45 Þ ¼ pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 1 pffiffiffi 1 pffiffiffi 2j 2 ¼ 2 2 2 2 j ¼ 2,83 2,83 j ¼ 4 2 2 3) Der erste Schritt entfällt, wenn die komplexe Zahl bereits in der trigonometrischen Form vorliegt. & 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl 657 Umrechnung: Kartesische Form ! Polarform Die komplexe Zahl liege in der kartesischen Form (Normalform) vor und soll in die Polarform, d. h. in die trigonometrische oder in die Exponentialform umgerechnet werden. Anhand von Bild VII-19 ergeben sich dabei die folgenden Transformationsgleichungen: Umrechnung einer komplexen Zahl: Kartesische Form ! Polarform Eine in der kartesischen Form z ¼ x þ j y vorliegende komplexe Zahl lässt sich mit Hilfe der Transformationsgleichungen pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi y tan j ¼ r ¼ jzj ¼ x2 þ y2 , ðVII-20Þ x und unter Berücksichtigung des Quadranten, in dem der zugehörige Bildpunkt liegt, in die trigonometrische Form z ¼ r ðcos j þ j sin jÞ bzw. in die Exponentialform z ¼ r e j j überführen (Bild VII-19). Im (z) z = x + jy |z |= r Bild VII-19 Zur Transformation einer komplexen Zahl aus der kartesischen Form in eine Polarform y f x Re (z) Bei der Winkelbestimmung ist besondere Sorgfalt geboten. Wir beschränken uns dabei vereinbarungsgemäß auf den im Intervall 0 j < 2 p gelegenen Hauptwert. Dieser Winkel lässt sich bequem anhand einer Lageskizze der komplexen Zahl über einen Hilfswinkel in einem rechtwinkligen Hilfsdreieck berechnen (siehe hierzu das nachfolgende Beispiel (1)). Allgemein ergeben sich für den Hauptwert des Winkels j in Abhängigkeit vom Quadranten die folgenden Berechnungsformeln (Winkelangabe im Bogenmaß): Quadrant j¼ I arctan y x II, III y arctan þp x IV y arctan þ 2p x Bei Verwendung des Gradmaßes muss p durch 180 ersetzt werden. 658 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Zur Herleitung dieser Formeln Wir beschränken uns auf den 2. Quadranten. Anhand von Bild VII-20 berechnen wir zunächst den Hilfswinkel a im rechtwinkligen Dreieck mit den Katheten j x j ¼ x und y: y y y y tan a ¼ ¼ ) a ¼ arctan ¼ arctan jxj x x x Für den Hauptwert j folgt dann: j ¼ 180 a ¼ 180 þ arctan y x ¼ b p þ arctan y x Im (z) z = x + jy y y ϕ α x Bild VII-20 |x | = – x Re (z) Anmerkungen (1) Werden die Hauptwerte im Intervall p < j p angegeben (wie in der Technik, insbesondere der Elektrotechnik oft üblich), so erhält man die folgende Berechnungsformel: j¼ (2) 8 > < > : arccos ðx=rÞ f ür 9 y 0> = ðVII-21Þ > y < 0; Für die reellen Zahlen z ¼ x þ 0 j ¼ x gilt: r ¼ jxj (3) arccos ðx=rÞ und j¼ 8 > < > : x > 0 0 unbestimmt f ür p x ¼ 0 x < 0 Für die imaginären Zahlen z ¼ 0 þ j y ¼ j y gilt: r ¼ jyj und j¼ 8 p=2 > < > : 3 p=2 f ür 9 y > 0> = > y < 0; ðNullpunktÞ 9 > = > ; 1 Definition und Darstellung einer komplexen Zahl & Beispiele (1) Die komplexe Zahl z ¼ 659 pffiffiffiffiffi 3 j liegt im 3. Quadranten (Bild VII-21). Im (z) – 3 f 3 Bild VII-21 a Re (z) 1 –1 z=– 3 – j Ihr Betrag ist r ¼ jzj ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffi pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ð 3 Þ 2 þ ð 1Þ 2 ¼ 3 þ 1 ¼ 4 ¼ 2 Der Phasenwinkel j liegt zwischen 180 und 270 (Hauptwert). Wir berechnen ihn über den Hilfswinkel a: j 1j 1 pffiffiffiffiffi ¼ pffiffiffiffiffi tan a ¼ j 3j 3 ) a ¼ arctan j ¼ 180 þ a ¼ 180 þ 30 ¼ 210 ¼ b 1 pffiffiffiffiffi 3 ¼ 30 7 p 6 Die Anwendung der weiter vorne angegebenen Berechnungsformel für den 3. Quadranten führt selbstverständlich zum gleichen Ergebnis: j ¼ p þ arctan (2) 1 pffiffiffiffiffi 3 1 p 7 ¼ p þ arctan pffiffiffiffiffi ¼ p þ ¼ p 6 6 3 Die in der kartesischen Schreibweise gegebenen komplexen Zahlen z1 ¼ 3 þ 4 j , z2 ¼ 4 þ 2 j , z3 ¼ 8 3 j , z4 ¼ 4 4 j sind in der trigonometrischen und exponentiellen Form darzustellen und in der Gaußschen Zahlenebene durch Bildpunkte bzw. Zeiger zu veranschaulichen. Lösung: Die Bildpunkte und Zeiger der Zahlen z 1 bis z 4 besitzen die in Bild VII-22 skizzierte Lage in der Gaußschen Zahlenebene. 660 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Im (z) z1 4 z2 –8 2 –4 3 4 Re (z) –3 z3 –4 z4 Bild VII-22 z1 ¼ 3 þ 4 j (1: Quadrant) pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 4 2 2 ¼ 53,13 ¼ r1 ¼ j z1 j ¼ 3 þ 4 ¼ 5; j1 ¼ arctan b 0,927 3 z 1 ¼ 3 þ 4 j ¼ 5 ðcos 53,13 þ j sin 53,13 Þ ¼ 5 e j 53,13 ¼ ¼ 5 ðcos 0,927 þ j sin 0,927Þ ¼ 5 e j 0,927 z2 ¼ 4 þ 2 j (2: Quadrant) r2 ¼ j z2 j ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi ð 4Þ 2 þ 2 2 ¼ 20 ¼ 4,47 2 þ p ¼ arctan ð 0,5Þ þ p ¼ 0,464 þ p ¼ 2,678 j2 ¼ arctan 4 pffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi z 2 ¼ 4 þ 2 j ¼ 20 ðcos 2,678 þ j sin 2,678Þ ¼ 20 e j 2,678 z3 ¼ 8 3 j (3: Quadrant) qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi ð 8Þ 2 þ ð 3Þ 2 ¼ 73 ¼ 8,544 r3 ¼ j z3 j ¼ 3 3 j3 ¼ arctan þ p ¼ arctan þ p ¼ 0,359 þ p ¼ 3,500 8 8 z 3 ¼ 8 3 j ¼ 8,544 ðcos 3,500 þ j sin 3,500Þ ¼ 8,544 e j 3,500 2 Komplexe Rechnung z4 ¼ 4 4 j 661 (4: Quadrant) qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 4 2 þ ð 4Þ 2 ¼ 4 2 r4 ¼ j z4 j ¼ 4 p 7 þ 2 p ¼ arctan ð 1Þ þ 2 p ¼ þ 2p ¼ p j4 ¼ arctan 4 4 4 pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 7 7 7 p þ j sin p ¼ 4 2 ej 4 p z 4 ¼ 4 4 j ¼ 4 2 cos 4 4 & 2 Komplexe Rechnung 2.1 Grundrechenarten für komplexe Zahlen Auf der Zahlenmenge C lassen sich – wie bei den reellen Zahlen – vier Rechenoperationen, die sog. Grundrechenarten erklären. Es sind dies: Addition (+) und Subtraktion () als Umkehrung der Addition, Multiplikation () und Division (:) als Umkehrung der Multiplikation. Bei der Festlegung dieser Operationen ist jedoch zu beachten, dass die reellen Zahlen einen Sonderfall der komplexen Zahlen darstellen ðR CÞ. Die vier Grundrechenarten müssen daher so definiert werden, dass die Rechenregeln für komplexe Zahlen im Reellen mit den bekannten Rechenregeln für reelle Zahlen übereinstimmen (sog. Permanenzprinzip). Mit anderen Worten: Die vier Grundrechenarten müssen so festgelegt werden, dass reelle und komplexe Zahlen den gleichen Grundgesetzen genügen. Mit einer einzigen Ausnahme: Für komplexe Zahlen lässt sich kein Anordnungsaxiom formulieren. Daher haben Ungleichungen wie etwa z 1 < z 2 oder z 1 > z 2 für komplexe Zahlen keinen Sinn. 2.1.1 Addition und Subtraktion komplexer Zahlen Die Rechenoperationen Addition und Subtraktion sind in der kartesischen Darstellungsform wie folgt definiert: Definition: Summe z 1 þ z 2 und Differenz z 1 z 2 zweier komplexer Zahlen z 1 ¼ x 1 þ j y 1 und z 2 ¼ x 2 þ j y 2 werden nach den folgenden Vorschriften gebildet: z 1 þ z 2 ¼ ðx 1 þ x 2 Þ þ j ðy 1 þ y 2 Þ ðVII-22Þ z 1 z 2 ¼ ðx 1 x 2 Þ þ j ðy 1 y 2 Þ ðVII-23Þ 662 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Anmerkungen (1) Realteile und Imaginärteile werden jeweils für sich addiert bzw. subtrahiert. (2) Addition und Subtraktion lassen sich nur in der kartesischen Form durchführen. Gegebenenfalls müssen daher die Zahlen erst in diese Form umgerechnet werden (vgl. hierzu das nachfolgende Beispiel (2)). (3) Die Addition ist kommutativ: z 1 þ z 2 ¼ z 2 þ z 1 . Wichtige Folgerung Addieren wir die beiden speziellen komplexen Zahlen z 1 ¼ x þ j 0 ¼ x ðreellÞ und z 2 ¼ 0 þ j y ¼ j y ðimaginärÞ so erhalten wir nach Gleichung (VII-22) die komplexe Zahl z ¼ x þ j y: z 1 þ z 2 ¼ ðx þ j 0Þ þ ð0 þ j yÞ ¼ ðx þ 0 Þ þ j ð0 þ y Þ ¼ |fflffl{zfflffl} |fflffl{zfflffl} x y ¼ x þ jy ¼ z ðVII-24Þ Wir können daher die komplexe Zahl z ¼ x þ j y im Sinne der komplexen Addition als Summe aus der reellen Zahl x und der rein-imaginären Zahl j y auffassen. Dies erklärt, warum bei der Definition der komplexen Zahl die Schreibweise z ¼ x þ j y mit dem Additionszeichen „+“ als Verknüpfungssymbol gewählt wurde. & Beispiele (1) Wir bilden mit den Zahlen z 1 ¼ 4 5 j und z 2 ¼ 2 þ 11 j die Summe z 1 þ z 2 und die Differenz z 1 z 2 : z 1 þ z 2 ¼ ð4 5 jÞ þ ð2 þ 11 jÞ ¼ ð4 þ 2Þ þ ð 5 þ 11Þ j ¼ 6 þ 6 j z 1 z 2 ¼ ð4 5 jÞ ð2 þ 11 jÞ ¼ ð4 2Þ þ ð 5 11Þ j ¼ 2 16 j (2) Gegeben: z 1 ¼ 3 e j 30 , Gesucht: z1 þ z2 und h p p i þ j sin z 2 ¼ 2 cos 4 4 z 1 z 2. Lösung: Die Zahlen müssen zunächst in die kartesische Form gebracht werden: z 1 ¼ 3 e j 30 ¼ 3 ðcos 30 þ j sin 30 Þ ¼ 2,598 þ 1,500 j h p p i þ j sin ¼ 1,414 þ 1,414 j z 2 ¼ 2 cos 4 4 2 Komplexe Rechnung 663 Addition und Subtraktion sind jetzt leicht durchführbar. Wir erhalten: z 1 þ z 2 ¼ ð2,598 þ 1,500 jÞ þ ð1,414 þ 1,414 jÞ ¼ ¼ ð2,598 þ 1,414Þ þ ð1,500 þ 1,414Þ j ¼ 4,012 þ 2,914 j z 1 z 2 ¼ ð2,598 þ 1,500 jÞ ð1,414 þ 1,414 jÞ ¼ ¼ ð2,598 1,414Þ þ ð1,500 1,414Þ j ¼ 1,184 þ 0,086 j & Geometrische Deutung der Addition und Subtraktion Die Summen- bzw. Differenzbildung erfolgt bei komplexen Zahlen komponentenweise, d. h. nach den gleichen Regeln wie bei 2-dimensionalen Vektoren (vgl. hierzu Kap. II, Abschnitt 2.2.2). Den beiden Vektorkomponenten entsprechen dabei Real- und Imaginärteil der komplexen Zahl. Die Addition und Subtraktion zweier komplexer Zahlen kann daher auch geometrisch nach der aus der Vektorrechnung bekannten Parallelogrammregel erfolgen (Bild VII-23). Im (z) z1 + z2 z2 z1 – z 2 z1 Bild VII-23 Zur geometrischen Addition und Subtraktion zweier komplexer Zahlen Re (z) 2.1.2 Multiplikation und Division komplexer Zahlen Multiplikation und Division in kartesischer Form Definition: Unter dem Produkt z1 z2 zweier komplexer Zahlen z 1 ¼ x 1 þ j y 1 und z 2 ¼ x 2 þ j y 2 wird die komplexe Zahl z 1 z 2 ¼ ðx 1 x 2 y 1 y 2 Þ þ j ðx 1 y 2 þ x 2 y 1 Þ verstanden. Anmerkung Die Multiplikation ist kommutativ: z 1 z 2 ¼ z 2 z 1 . ðVII-25Þ 664 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Die Rechenvorschrift (VII-25) ist für die Praxis wenig geeignet: Wer kann sich schon diese Formel merken? Die Multiplikation lässt sich jedoch wie im Reellen durchführen, wenn man dabei eine bestimmte Eigenschaft der imaginären Einheit j beachtet, die wir jetzt herleiten wollen. Wir zeigen durch Anwendung der Rechenvorschrift (VII-25), dass das Quadrat der imaginären Einheit j, also das Produkt j j, die reelle Zahl 1 ergibt: j 2 ¼ j j ¼ ð0 þ j 1Þ ð0 þ j 1Þ ¼ ð0 0 1 1Þ þ j ð0 1 þ 0 1Þ ¼ ¼ 1 þ j0 ¼ 1 ðVII-26Þ Analog erhalten wir: ð jÞ 2 ¼ ð jÞ ð jÞ ¼ 1 Eigenschaft der imaginären Einheit j Für das Quadrat der imaginären Einheit j gilt: j2 ¼ j j ¼ 1 ðVII-27Þ Wenn wir diese wichtige Beziehung beachten, lässt sich die Multiplikation zweier komplexer Zahlen wie im Reellen durchführen („Ausmultiplizieren“ der beiden Klammern): z 1 z 2 ¼ ðx 1 þ j y 1 Þ ðx 2 þ j y 2 Þ ¼ x 1 x 2 þ j x 1 y 2 þ j x 2 y 1 þ j 2 y 1 y 2 ¼ ¼ x 1 x 2 þ j ðx 1 y 2 þ x 2 y 1 Þ 1 y 1 y 2 ¼ ¼ ðx 1 x 2 y 1 y 2 Þ þ j ðx 1 y 2 þ x 2 y 1 Þ (VII-28) Berechnung des Produktes z 1 z 2 Das Produkt z 1 z 2 ¼ ðx 1 þ j y 1 Þ ðx 2 þ j y 2 Þ zweier komplexer Zahlen z 1 und z 2 wird wie im Reellen durch „Ausmultiplizieren“ der Klammern unter Beachtung der Beziehung j 2 ¼ 1 berechnet. & Beispiele (1) z1 ¼ 2 4 j , z2 ¼ 3 þ 5 j , z3 ¼ 1 þ 2 j , z1 z2 ¼ ? , z2 z3 ¼ ? Lösung: z 1 z 2 ¼ ð2 4 jÞ ð 3 þ 5 jÞ ¼ 6 þ 10 j þ 12 j 20 j 2 ¼ ¼ 6 þ 22 j þ 20 ¼ 14 þ 22 j z 2 z 3 ¼ ð 3 þ 5 jÞ ð 1 þ 2 jÞ ¼ 3 6 j 5 j þ 10 j 2 ¼ ¼ 3 11 j 10 ¼ 7 11 j 2 Komplexe Rechnung (2) 665 Wir berechnen die ersten Potenzen von j: j 1 ¼ j; j 2 ¼ 1; j 3 ¼ j 2 j ¼ ð 1Þ j ¼ j ; j 4 ¼ j 2 j 2 ¼ ð 1Þ ð 1Þ ¼ 1 ; j5 ¼ j4 j ¼ 1 j ¼ j ; . . . Die ersten vier Potenzen besitzen der Reihe nach die Werte j , 1, j und 1. Von der 5. Potenz an wiederholen sich diese Werte. Daher gilt für jedes natürliche n: j1þ4n ¼ j ; (3) j2þ4n ¼ 1 ; j3þ4n ¼ j ; j4þ4n ¼ 1 Wir berechnen das Produkt aus z und z * und erhalten: z z * ¼ ðx þ j yÞ ðx j yÞ ¼ x 2 j x y þ j x y j 2 y 2 ¼ ¼ x2 þ y2 ¼ j z j2 Folgerung: Für z 6¼ 0 ist z z * stets eine positive reelle Zahl. Für den Betrag j z j einer komplexen Zahl z ¼ x þ j y können wir daher auch schreiben: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi & jzj ¼ x2 þ y2 ¼ z z* Wir beschäftigen uns jetzt mit der Umkehrung der Multiplikation, der Division. Dazu betrachten wir die Gleichung z z2 ¼ z1 mit vorgegebenen Zahlen z 1 ¼ x 1 þ j y 1 und z 2 ¼ x 2 þ j y 2 (wobei z 2 6¼ 0 vorausgesetzt wird). Sie hat – wie wir gleich zeigen werden – genau eine Lösung z ¼ x þ j y, die wie im Reellen als Quotient aus z 1 und z 2 bezeichnet wird: z1 ðz 2 6¼ 0Þ ðVII-29Þ z z2 ¼ z1 ) z ¼ z2 Dieser Quotient lässt sich auf relativ einfache Art wie folgt berechnen. Zunächst erweitern wir den Bruch mit z *2 , also dem konjugiert komplexen Nenner. Dadurch wird der Nenner des Bruches reell (z 2 z *2 ist immer eine positive reelle Zahl) und wir können jetzt die Division wie im Reellen gliedweise vornehmen ( j 2 ¼ 1 beachten): z1 z1 z2 * ðx 1 þ j y 1 Þ ðx 2 j y 2 Þ ¼ ¼ ¼ * z2 ðx 2 þ j y 2 Þ ðx 2 j y 2 Þ z2 z2 |fflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl{zfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflfflffl} 3. Binom ¼ x1 x2 j x1 y2 þ j x2 y1 j2 y1 y2 x 1 x 2 þ j ðx 2 y 1 x 1 y 2 Þ þ y 1 y 2 ¼ ¼ 2 2 2 x 22 þ y 22 x2 j y2 ¼ ðx 1 x 2 þ y 1 y 2 Þ þ j ðx 2 y 1 x 1 y 2 Þ x1 x2 þ y1 y2 x2 y1 x1 y2 ¼ þj x 22 þ y 22 x 22 þ y 22 x 22 þ y 22 (VII-30) 666 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Berechnung des Quotienten z 1 =z 2 Der Quotient z 1 =z 2 zweier komplexer Zahlen z 1 und z 2 in kartesischer Form lässt sich schrittweise wie folgt berechnen: 1. Der Bruch z 1 =z 2 wird zunächst mit z *2 , also dem konjugiert komplexen Nenner, erweitert: z1 z 1 z *2 ðx 1 þ j y 1 Þ ðx 2 j y 2 Þ ¼ ¼ z2 ðx 2 þ j y 2 Þ ðx 2 j y 2 Þ z 2 z *2 ðVII-31Þ 2. Zähler und Nenner werden dann nach den aus dem Reellen bekannten Regeln „ausmultipliziert“ unter Beachtung der Beziehung j 2 ¼ 1. Der Nenner des Bruches wird dadurch (positiv) reell. 3. Die im Zähler stehende komplexe Zahl wird jetzt gliedweise durch den (reellen) Nenner dividiert. Anmerkung Man beachte: Wie im Reellen so ist auch im Komplexen die Division durch die Zahl Null nicht erlaubt. & Beispiele (1) Mit z 1 ¼ 4 8 j und z 2 ¼ 3 þ 4 j berechnen wir den Quotienten z 1 =z 2 : z1 4 8j ð4 8 jÞ ð3 4 jÞ 12 16 j 24 j þ 32 j 2 ¼ ¼ ¼ ¼ 3 þ 4j ð3 þ 4 jÞ ð3 4 jÞ z2 9 þ 16 ¼ (2) 20 40 j 20 40 ¼ j ¼ 0,8 1,6 j 25 25 25 Wir berechnen den Kehrwert der imaginären Einheit j: 1 1 ð jÞ j j j ¼ ¼ ¼ ¼ j ¼ j j ð jÞ ð 1Þ 1 j2 & Multiplikation und Division in der Polarform Multiplikation und Division lassen sich in der trigonometrischen bzw. exponentiellen Schreibweise besonders einfach durchführen. In der Exponentialform erhalten wir: z 1 z 2 ¼ ðr 1 e j j1 Þ ðr 2 e j j2 Þ ¼ ðr 1 r 2 Þ e j j1 e j j2 ¼ ¼ ðr 1 r 2 Þ e j j1 þ j j2 ¼ ðr 1 r 2 Þ e j ðj1 þ j j2 Þ ðVII-32Þ Zwei komplexe Zahlen werden also multipliziert, indem man ihre Beträge multipliziert und ihre Argumente (Winkel) addiert. 2 Komplexe Rechnung 667 Analog gilt für die Division: z1 r 1 e j j1 ¼ ¼ z2 r 2 e j j2 r1 r1 e j j1 e j j2 ¼ e j ðj1 j2 Þ r2 r2 ðVII-33Þ Zwei komplexe Zahlen werden somit dividiert, indem man ihre Beträge dividiert und ihre Argumente (Winkel) subtrahiert. In der trigonometrischen Darstellung lauten diese Rechenregeln wie folgt: z 1 z 2 ¼ r 1 ðcos j1 þ j sin j1 Þ r 2 ðcos j2 þ j sin j2 Þ ¼ ¼ ðr 1 r 2 Þ ½ cos ðj1 þ j2 Þ þ j sin ðj1 þ j2 Þ z1 r 1 ðcos j1 þ j sin j1 Þ ¼ ¼ r 2 ðcos j2 þ j sin j2 Þ z2 r1 ½ cos ðj1 j2 Þ þ j sin ðj1 j2 Þ ¼ r2 ðVII-34Þ ðVII-35Þ Wir fassen diese Ergebnisse wie folgt zusammen: Multiplikation und Division zweier komplexer Zahlen in der trigonometrischen bzw. exponentiellen Darstellung Bei der Multiplikation und Division zweier komplexer Zahlen z 1 und z 2 erweist sich die trigonometrische bzw. exponentielle Darstellungsweise als besonders vorteilhaft. Es gilt dann: 1. Für die Multiplikation: z 1 z 2 ¼ ðr 1 r 2 Þ ½ cos ðj1 þ j2 Þ þ j sin ðj1 þ j2 Þ ¼ ¼ ðr 1 r 2 Þ e j ðj1 þ j2 Þ ðVII-36Þ Regel: Zwei komplexe Zahlen werden multipliziert, indem man ihre Beträge multipliziert und ihre Argumente (Winkel) addiert. 2. Für die Division: z1 r1 ½ cos ðj1 j2 Þ þ j sin ðj1 j2 Þ ¼ ¼ z2 r2 r1 e j ðj1 j2 Þ ¼ r2 ðVII-37Þ Regel: Zwei komplexe Zahlen werden dividiert, indem man ihre Beträge dividiert und ihre Argumente (Winkel) subtrahiert. 668 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Geometrische Deutung der Multiplikation und Division Die Rechenoperationen Multiplikation und Division lassen sich in anschaulicher Weise wie folgt geometrisch deuten: (1) Multiplikation mit einer reellen Zahl Die Multiplikation der komplexen Zahl z 1 ¼ r 1 e j j1 mit der positiven reellen Zahl r ðr > 0Þ bedeutet eine Streckung des Zeigers z 1 um das r-fache, wobei der Winkel j1 erhalten bleibt (Bild VII-24). Dabei gilt: r > 1 ) Dehnung (Zeiger wird verlängert) r < 1 ) Stauchung (Zeiger wird verkürzt) Erfolgt die Multiplikation jedoch mit einer negativen reellen Zahl r ðr < 0Þ, so ist der Zeiger z 1 um das j r j-fache zu strecken und anschließend um 180 (in positiver oder negativer Richtung) zu drehen (Richtungsumkehr). (2) Multiplikation mit einer komplexen Zahl vom Betrag Eins Die Multiplikation der komplexen Zahl z 1 ¼ r 1 e j j1 mit der komplexen Zahl e j j entspricht einer Drehung des Zeigers z 1 um den Winkel j (Bild VII-25). Für j > 0 erfolgt die Drehung im positiven Drehsinn (im Gegenuhrzeigersinn), für j < 0 dagegen im negativen Drehsinn (im Uhrzeigersinn). Die Länge des Zeigers bleibt dabei unverändert, da j e j j j ¼ 1 ist. Im (z) z = z 1 · e jj Im (z) z = r · z1 r z ·| |= r· r1 r1 1 r1 z1 j j1 j1 Re (z) Bild VII-24 (3) z1 Re (z) Bild VII-25 Multiplikation mit der imaginären Einheit j Die Multiplikation der komplexen Zahl z 1 ¼ r 1 e j j1 mit der imaginären Ein heit j bewirkt wegen j ¼ 1 e j 90 eine reine Vorwärtsdrehung des Zeigers z 1 um 90 . Multipliziert man mit j n , so beträgt der Drehwinkel n 90 (mit n 2 N *). Die Zeigerlänge bleibt dabei erhalten. 2 Komplexe Rechnung (4) 669 Multiplikation mit einer komplexen Zahl (allgemeiner Fall) Die Multiplikation der komplexen Zahl z 1 ¼ r 1 e j j1 mit der komplexen Zahl z ¼ r e j j lässt sich geometrisch als Drehstreckung des Zeigers z 1 darstellen: Zunächst wird der Zeiger z 1 um das r-fache gestreckt (Streckung) und anschließend um den Winkel j gedreht (Drehung). Bild VII-26 zeigt die einzelnen Phasen dieser geometrischen Operation. Im (z) z · z1 r r1 r r1 r1 f r· z 1 Bild VII-26 Zur Multiplikation zweier komplexer Zahlen z1 f1 Re (z) Wir fassen zusammen: Geometrische Deutung der Multiplikation zweier komplexer Zahlen Die Multiplikation der komplexen Zahl z 1 ¼ r 1 e j j1 mit der komplexen Zahl z ¼ r e j j bedeutet geometrisch eine Drehstreckung des Zeigers z 1 (Bild VII-26). Dabei wird der Zeiger z 1 nacheinander den folgenden geometrischen Operationen unterworfen: 1. Streckung um das r-fache. 2. Drehung um den Winkel j im positiven Drehsinn für j > 0. Das Ergebnis ist das geometrische Bild des Produktes z z 1 . Anmerkungen (1) Die Operationen dürfen auch in der umgekehrten Reihenfolge ausgeführt werden: Zuerst erfolgt die Drehung, dann die Streckung des Zeigers. Diese Reihenfolge erklärt auch die Bezeichnung „Drehstreckung“ für die zusammengesetzte Operation. (2) Da die Multiplikation eine kommutative Rechenoperation ist ðz 1 z ¼ z z 1 Þ, kann man bei der geometrischen Konstruktion des Produktes z 1 z auch vom Zeiger z ausgehen. 670 (3) VII Komplexe Zahlen und Funktionen Die Division zweier komplexer Zahlen lässt sich auf die Multiplikation zurückführen. So bedeutet der Quotient z 1 =z das Produkt aus z 1 und dem Kehrwert von z: z1 1 1 1 jj j j1 e ðVII-38Þ ¼ ðr e Þ ¼ z 1 ¼ ðr 1 e j j1 Þ 1 z r ejj r z Damit erhalten wir für den Quotienten z 1 =z die folgende geometrische Konstruktion: Zunächst wird der Zeiger z 1 um das 1/r-fache gestreckt, dann um den Winkel j zurückgedreht oder umgekehrt (Bild VII-27). Für j > 0 erfolgt die Drehung im negativen Drehsinn (Zurückdrehung des Zeigers, d. h. Drehung im Uhrzeigersinn), für j < 0 dagegen im positiven Drehsinn (Vorwärtsdrehung des Zeigers, d. h. Drehung im Gegenuhrzeigersinn). Im (z) z1 r1 z1 r z1 z f Bild VII-27 Zur Division zweier komplexer Zahlen f1 Re (z) & Beispiele (1) Gegeben sind die komplexen Zahlen z 1 ¼ 3 e j 30 berechnen und konstruieren das Produkt z 1 z 2 . und z 2 ¼ 2 e j 80 . Wir Rechnerische Lösung: z 1 z 2 ¼ ð3 e j 30 Þ ð2 e j 80 Þ ¼ ð3 2Þ e j ð30 þ 80 Þ ¼ 6 e j 110 Konstruktion des Zeigers z 1 z 2 : Mit dem Zeiger z 1 führen wir nacheinander die folgenden geometrischen Operationen durch (Bild VII-28): 1. Streckung auf das 2-fache (Verdoppelung der Zeigerlänge). 2. Drehung um den Winkel 80 im positiven Drehsinn (Gegenuhrzeigersinn). Das Ergebnis dieser Drehstreckung ist der Zeiger von z 1 z 2 ¼ 6 e j 110 . 2 Komplexe Rechnung 671 Im (z) z1 · z2 5 6 2 · z1 6 3 z1 80° 30° –1 (2) Bild VII-28 1 5 Re (z) Wir berechnen den Quotienten aus z 1 ¼ 4 e j 140 und z 2 ¼ 2 e j 90 . Wie sieht die geometrische (zeichnerische) Lösung aus? Rechnerische Lösung: z1 4 e j 140 ¼ ¼ z2 2 e j 90 4 e j ð140 90 Þ ¼ 2 e j 50 2 Geometrische Lösung: Der Zeiger z 1 wird zunächst um das 1/2-fache gestreckt (d. h. auf die Hälfte verkürzt) und anschließend um 90 zurückgedreht (Bild VII-29): Im (z) z1 4 z1 z2 1 · z1 2 90° 2 2 50° 140° Bild VII-29 –1 (3) 1 Re (z) Die Division einer komplexen Zahl z durch die imaginäre Einheit j ¼ e j 90 be1 ¼ e j 90 . deutet eine Multiplikation von z mit j 672 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Geometrische Deutung: Der Zeiger z 1 ist um 90 zurückzudrehen (Bild VII-30): z r ejj ¼ j 90 ¼ r e j j e j 90 ¼ r e j ðj 90 Þ j e Im (z) 1 z ·z= j j z Bild VII-30 Zur Division einer komplexen Zahl z durch die imaginäre Einheit j 90° Re (z) & 2.1.3 Grundgesetze für komplexe Zahlen (Zusammenfassung) Die vier Grundrechenoperationen für komplexe Zahlen genügen den folgenden Grundgesetzen: Eigenschaften der Menge der komplexen Zahlen 1. Summe z 1 þ z 2 , Differenz z 1 z 2 , Produkt z 1 z 2 und Quotient z 1 =z 2 zweier komplexer Zahlen z 1 und z 2 ergeben wiederum komplexe Zahlen. Ausnahme: Die Division durch die Zahl 0 ist nicht erlaubt. 2. Addition und Multiplikation sind kommutative Rechenoperationen. Für beliebige Zahlen z 1 , z 2 2 C gilt stets: ) z1 þ z2 ¼ z2 þ z1 Kommutativgesetze ðVII-39Þ z1 z2 ¼ z2 z1 3. Addition und Multiplikation sind assoziative Rechenoperationen. Für beliebige Zahlen z 1 , z 2 , z 3 2 C gilt stets: ) z 1 þ ðz 2 þ z 3 Þ ¼ ðz 1 þ z 2 Þ þ z 3 Assoziativgesetze ðVII-40Þ z 1 ðz 2 z 3 Þ ¼ ðz 1 z 2 Þ z 3 4. Addition und Multiplikation sind über das Distributivgesetz miteinander verbunden: z 1 ðz 2 þ z 3 Þ ¼ z 1 z 2 þ z 1 z 3 Distributivgesetz ðVII-41Þ 2 Komplexe Rechnung 673 2.2 Potenzieren Wir erheben die komplexe Zahl z ¼ r e j j ¼ r ðcos j þ j sin jÞ in die n-te Potenz und erhalten ðn ¼ 2, 3, 4, . . .Þ: z n ¼ ½ r e j j n ¼ ðr e j j Þ ðr e j j Þ . . . ðr e j j Þ ¼ ¼ ðr r . . . rÞ e j ðj þ j þ ... þ jÞ ¼ r n e j n j ðVII-42Þ (Faktor r und Summand j treten jeweils n-mal auf). Diese nach Moivre benannte Formel lautet in der trigonometrischen Schreibweise: z n ¼ ½ r ðcos j þ j sin jÞ n ¼ r n ½ cos ðn jÞ þ j sin ðn jÞ ðVII-43Þ Wir folgern: Eine komplexe Zahl z wird in die n-te Potenz erhoben, indem man ihren Betrag r in die n-te Potenz erhebt und ihr Argument (ihren Winkel) j mit dem Exponenten n multipliziert. Wir fassen zusammen: Potenzieren einer komplexen Zahl in der Polarform Eine in der Polarform vorliegende komplexe Zahl z wird nach der Formel von Moivre wie folgt potenziert ðn ¼ 2, 3, 4, . . .Þ: In exponentieller Schreibweise: z n ¼ ½ r e j j n ¼ r n e j n j ðVII-44Þ In trigonometrischer Schreibweise: z n ¼ ½ r ðcos j þ j sin jÞ n ¼ r n ½ cos ðn jÞ þ j sin ðn jÞ ðVII-45Þ Regel: Eine komplexe Zahl wird in die n-te Potenz erhoben, indem man ihren Betrag r in die n-te Potenz erhebt und ihr Argument (ihren Winkel) j mit dem Exponenten n multipliziert. Anmerkungen (1) Die Operation „Potenzieren“ bedeutet eine wiederholte Multiplikation. Dem entspricht in der geometrischen Betrachtungsweise eine wiederholte Drehstreckung. (2) Die Operation „Potenzieren“ kann auch in der kartesischen Form durchgeführt werden, ist jedoch im Allgemeinen wesentlich aufwendiger. Die Berechnung erfolgt dann mit Hilfe der aus dem Reellen bekannten Binomischen Formeln. 674 & VII Komplexe Zahlen und Funktionen Beispiele (1) h p p i Wir erheben die komplexe Zahl z ¼ 2 cos þ j sin in die 3. Po3 3 tenz: z3 ¼ h p p i 3 h p p i 2 cos ¼ 2 3 cos 3 þ j sin þ j sin 3 ¼ 3 3 3 3 ¼ 8 ðcos p þ j sin pÞ ¼ 8 ð 1 þ j 0Þ ¼ 8 In Bild VII-31 haben wir diese Operation geometrisch dargestellt. Es handelt sich um zwei nacheinander ausgeführte Drehstreckungen. Die Zeigerlänge wird dabei jeweils verdoppelt ð2 ! 4 ! 8Þ, der Zeiger jeweils um 60 weitergedreht ð60 ! 120 ! 180 Þ. Im (z) z2 4 z 2 60° 8 z (2) 60° 3 60° –1 z ¼ 1,2 2,5 j , Bild VII-31 1 Re (z) z6 ¼ ? Zunächst bringen wir z in die Exponentialform (Bild VII-32): r ¼ qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1,2 2 þ ð 2,5Þ 2 ¼ 2,7731 tan j ¼ 2,5 ¼ 2,0833 1,2 ) Im (z) 1,2 f 1 Re (z) j ¼ arctan ð 2,0833Þ þ 2 p ¼ 5,160 –1 r Daher ist z ¼ 1,2 2,5 j ¼ 2,7731 e j 5,160 Bild VII-32 –2 – 2,5 z = 1,2 – 2,5 j Nach der Formel von Moivre folgt weiter: z 6 ¼ ð2,7731 e j 5,160 Þ 6 ¼ 2,7731 6 e j 6 5,160 ¼ 454,77 e j 30,96 ¼ ¼ 454,77 ðcos 30,96 þ j sin 30,96Þ ¼ 408,32 200,23 j 2 Komplexe Rechnung (3) 675 Für r ¼ 1 besitzt die Formel von Moivre (VII-45) die spezielle Form ðcos j þ j sin jÞ n ¼ cos ðn jÞ þ j sin ðn jÞ Aus dieser wichtigen Beziehung lassen sich z. B. Formelausdrücke für cos ðn jÞ und sin ðn jÞ herleiten. Wir zeigen dies für n ¼ 2: ðcos j þ j sin jÞ 2 ¼ cos ð2 jÞ þ j sin ð2 jÞ cos 2 j þ j 2 sin j cos j þ j 2 sin 2 j ¼ cos ð2 jÞ þ j sin ð2 jÞ cos 2 j sin 2 j þ j ð2 sin j cos jÞ ¼ cos ð2 jÞ þ j sin ð2 jÞ Durch Vergleich der Real- bzw. Imaginärteile auf beiden Seiten erhalten wir die folgenden (aus Kap. III) bereits bekannten trigonometrischen Formeln: cos ð2 jÞ ¼ cos 2 j sin 2 j ¼ cos 2 j ½ 1 cos 2 j ¼ 2 cos 2 j 1 sin ð2 jÞ ¼ 2 sin j cos j & 2.3 Radizieren (Wurzelziehen) Aus der Algebra ist bekannt, dass eine algebraische Gleichung n-ten Grades an xn þ an1 xn1 þ . . . þ a1 x þ a0 ¼ 0 ðVII-46Þ mit reellen Koeffizienten höchstens n reelle Lösungen, auch Wurzeln genannt, besitzt (x 2 R; vgl. hierzu Kap. III, Abschnitt 5.4). Werden auch komplexe Lösungen zugelassen, so gibt es genau n Lösungen (komplex oder reell). Dies gilt auch bei komplexen Koeffizienten a i (mit i ¼ 0, 1, 2, . . . , n). Diese wichtige Aussage halten wir in dem Fundamentalsatz der Algebra wie folgt fest (die Unbekannte bezeichnen wir wie im Komplexen üblich mit z statt x): Fundamentalsatz der Algebra Eine algebraische Gleichung n-ten Grades an zn þ an1 zn1 þ . . . þ a1 z þ a0 ¼ 0 ðVII-47Þ besitzt in der Menge C der komplexen Zahlen stets genau n Lösungen, wobei mehrfache Lösungen entsprechend oft gezählt werden. Anmerkungen (1) Die linke Seite der algebraischen Gleichung (VII-47) ist ein Polynom vom Grade n mit i. A. komplexen Koeffizienten a i ði ¼ 0, 1, . . . , nÞ. Es lässt sich auch im komplexen Zahlenbereich wie folgt in Linearfaktoren zerlegen: a n ðz z 1 Þ ðz z 2 Þ ðz z 3 Þ . . . ðz z n Þ ðVII-48Þ 676 VII Komplexe Zahlen und Funktionen z 1 , z 2 , . . . , z n sind dabei die n Polynomnullstellen, d. h. die n Lösungen der algebraischen Gleichung (VII-47). Die Zerlegung (VII-48) in Linearfaktoren wird wie im Reellen auch als Produktdarstellung des Polynoms bezeichnet (vgl. hierzu auch Kap. III, Abschnitt 5.4). (2) Bei ausschließlich reellen Koeffizienten a i ði ¼ 0, 1, . . . , nÞ treten komplexe Lösungen immer paarweise auf, nämlich als Paare zueinander konjugiert komplexer Zahlen. Mit z 1 ist daher stets auch z *1 eine Lösung der Gleichung. Ein Beispiel liefert die quadratische Gleichung z2 þ p z þ q ¼ 0 ðmit p, q 2 RÞ Die Art der Lösungen hängt dabei bekanntlich vom Vorzeichen der sog. Diskriminante D ¼ p 2 =4 q ab: D > 0: Zwei verschiedene reelle Lösungen D ¼ 0: Eine (doppelte) reelle Lösung Im Fall D < 0 gibt es zwei konjugiert komplexe Lösungen. Sie lauten: sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi ffi 2 pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi p p p ðVII-49Þ q j jDj ¼ j z 1=2 ¼ 4 2 2 & Beispiel Die algebraische Gleichung 3. Grades (mit ausschließlich reellen Koeffizienten) z3 z2 þ 4 z 4 ¼ 0 besitzt nach dem Fundamentalsatz genau drei Lösungen. Durch Probieren finden wir eine reelle Lösung bei z 1 ¼ 1. Den zugehörigen Linearfaktor z 1 spalten wir nach dem aus Kap. III bekannten Horner-Schema ab: 1 z1 ¼ 1 1 1 4 4 1 0 4 0 4 0 Die Nullstellen des 1. reduzierten Polynoms z 2 þ 0 z þ 4 ¼ z 2 þ 4 liefern die beiden übrigen Lösungen: z2 þ 4 ¼ 0 ) z2 ¼ 4 ) z 2=3 ¼ 2 j Die algebraische Gleichung 3. Grades besitzt somit eine reelle Lösung und zwei zueinander konjugiert komplexe Lösungen: z3 z2 þ 4 z 4 ¼ 0 ) z 1 ¼ 1, z2 ¼ 2 j , z 3 ¼ z *2 ¼ 2 j 2 Komplexe Rechnung 677 Das Polynom z 3 z 2 þ 4 z 4 ist daher auch in der Produktform z 3 z 2 þ 4 z 4 ¼ ðz 1Þ ðz 2 jÞ ðz þ 2 jÞ & darstellbar („ Zerlegung in Linearfaktoren“). Eine besonders einfache Struktur besitzt die algebraische Gleichung z n ¼ a ða 2 CÞ. Ihre Lösungen werden als n-te Wurzeln aus a bezeichnet. Dies führt zu der folgenden Definition: Definition: Eine komplexe Zahl z heißt n-te Wurzel aus a, wenn sie der algebraischen Gleichung z n ¼ a genügt ða 2 CÞ. Symbolische Schreibffiffiffiffiffi p n weise: z ¼ a . Wir beschäftigen uns nun mit den Lösungen der Gleichung zn ¼ a ¼ a0 eja ða 0 > 0Þ ðVII-50Þ Mit dem Lösungsansatz in der Polarform z ¼ r ðcos j þ j sin jÞ ¼ r e j j und unter Berücksichtigung der Periodizität der komplexen Exponentialfunktion geht Gleichung (VII-50) über in r n e j n j ¼ a 0 e j a ¼ a 0 e j ða þ k 2 pÞ ðk 2 ZÞ ðVII-51Þ Somit gilt: r n ¼ a0 und nj ¼ a þ k 2p Alle Lösungen besitzen daher den gleichen Betrag pffiffiffiffiffiffiffi r ¼ n a0 ðVII-52Þ ðVII-53Þ Ihre Argumente (Winkel) sind jk ¼ a þ k 2p n ðk 2 ZÞ ðVII-54Þ Allerdings erhalten wir – im Einklang mit dem Fundamentalsatz der Algebra – insgesamt nur n verschiedene Werte. Diese werden beispielsweise für k ¼ 0, 1, 2, . . . , n 1 angenommen 4). Die Bildpunkte der n Lösungen liegen ffi der Gaußschen Zahlenebene pffiffiffiffiffiffiin auf einem Mittelpunktskreis mit dem Radius R ¼ n a 0 und bilden dabei die Ecken eines regelmäßigen n-Ecks (vgl. hierzu auch die nachfolgenden Beispiele). 4) Für k ¼ n, n þ 1, n þ 2, . . . wiederholen sich die Werte, ebenso für negative Werte von k. Der Grund dafür liegt in der Periodizität der Kosinus- und Sinusfunktionen (bzw. in der Periodizität der komplexen e-Funktion). 678 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Lösungen der speziellen algebraischen Gleichung z n ¼ a (mit a 2 C) Die Gleichung zn ¼ a ¼ a0 eja ða 0 > 0; n ¼ 2, 3, 4, . . .Þ ðVII-55Þ besitzt im Komplexen genau n verschiedene Lösungen (Wurzeln) z k ¼ r ðcos jk þ j sin jk Þ ¼ r e j jk ðVII-56Þ mit r ¼ ffiffiffiffiffiffiffi p n a0 und jk ¼ a þ k 2p n ðVII-57Þ ðk ¼ 0, 1, 2, . . . , n 1Þ. Die zugehörigen Bildpunkte liegen in der Gaußschen pffiffiffiffiffiffiffi Zahlenebene auf dem Mittelpunktskreis mit dem Radius R ¼ n a 0 und bilden die Ecken eines regelmäßigen n-Ecks. Anmerkungen (1) Im Reellen kann man nur aus positiven Zahlen Wurzeln ziehen: Die n-te Wurzel aus a > 0 ist dabei definitionsgemäß diejenige positive Zahl b, die in die n-te Potenz erhoben die Zahl a ergibt: pffiffiffiffiffi bn ¼ a , b ¼ n a ða > 0; b > 0Þ Das Radizieren ist im Reellen stets eindeutig (für a > 0), im Komplexen jedoch immer mehrdeutig. & (2) Für reelles a gilt: Ist z 1 eine komplexe Lösung der Gleichung z n ¼ a, dann ist auch die konjugiert komplexe Zahl z *1 eine Lösung dieser Gleichung. (3) Die n Lösungen der speziellen Gleichung z n ¼ 1 werden auch als n-te Einheitswurzeln bezeichnet. Sie liegen auf dem Einheitskreis der Gaußschen Zahlenebene an den Ecken eines regelmäßigen n-Ecks. Beispiele (1) Die Gleichung z 6 ¼ 1 hat genau sechs verschiedene Lösungen, deren Bildpunkte in der Gaußschen Zahlenebene an den Ecken eines regelmäßigen Sechsecks liegen (Bild VII-33). Wir berechnen zunächst mit Hilfe der Gleichungen (VII-57) ihre Beträge und Argumente ð1 ¼ 1 e j 0 ) a 0 ¼ 1, a ¼ 0; n ¼ 6Þ: pffiffiffi pffiffiffiffiffiffi r ¼ n a0 ¼ 6 1 ¼ 1 jk ¼ a þ k 2p 0 þ k 2p p ¼ ¼ k n 6 3 ðk ¼ 0, 1, 2, . . . , 5Þ 2 Komplexe Rechnung 679 Damit erhalten wir folgende Lösungen: p p z k ¼ cos k þ j sin k 3 3 k ¼ 0: z 0 ¼ cos 0 þ j sin 0 ¼ 1 k ¼ 1: z 1 ¼ cos p 3 2p 3 þ j sin ðk ¼ 0, 1, 2, 3, 4, 5Þ p 3 z 2 ¼ cos k ¼ 3: z 3 ¼ cos p þ j sin p ¼ 1 k ¼ 4: z 4 ¼ cos k ¼ 5: z 5 ¼ cos 4p 3 5p 3 þ j sin 1 pffiffiffiffiffi 3j 2 2p 1 pffiffiffiffiffi þ j sin ¼ 0,5 þ 3j 3 2 k ¼ 2: ¼ 0,5 þ 4p 1 pffiffiffiffiffi ¼ 0,5 3j 3 2 5p 1 pffiffiffiffiffi þ j sin ¼ 0,5 3j 3 2 Die Lösungen z 0 und z 3 sind reell, während z 1 und z 5 bzw. z 2 und z 4 Paare zueinander konjugiert komplexer Lösungen darstellen. Bild VII-33 zeigt die Lage der zugehörigen Bildpunkte und Zeiger in der Gaußschen Zahlenebene. Im (z) z2 z1 z3 z0 1 z4 z5 Re (z) Bild VII-33 Bildliche Darstellung der Lösungen der Gleichung z6 ¼ 1 680 (2) VII Komplexe Zahlen und Funktionen Wir bestimmen die Wurzeln der Gleichung z 4 ¼ 3 þ 2 j. Es ist pffiffiffiffiffiffiffi z 4 ¼ 3 þ 2 j ¼ 13 e j 33,69 (wie man leicht nachrechnet) und somit pffiffiffiffiffiffiffi a 0 ¼ 13 und a ¼ 33,69 ¼ b 0,588 Für die Beträge und Argumente (Winkel) der komplexen Lösungen folgt dann aus den Gleichungen (VII-57): qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffi p 4 pffiffiffiffiffiffiffi ffiffiffiffiffiffiffi n 13 ¼ ðð13Þ 1=2 Þ 1=4 ¼ 13 1=8 ¼ 8 13 ¼ 1,378 r ¼ a0 ¼ jk ¼ a þ k 2p 0,588 þ k 2 p ¼ n 4 j0 ¼ 0,147, j1 ¼ 1,718, ðk ¼ 0, 1, 2, 3Þ j2 ¼ 3,289, j3 ¼ 4,859 Wir erhalten damit vier verschiedene Lösungen. Sie lauten der Reihe nach: z 0 ¼ r e j j0 ¼ 1,378 e j 0,147 ¼ 1,378 ðcos 0,147 þ j sin 0,147Þ ¼ ¼ 1,363 þ 0,202 j z 1 ¼ r e j j1 ¼ 1,378 e j 1,718 ¼ 1,378 ðcos 1,718 þ j sin 1,718Þ ¼ ¼ 0,202 þ 1,363 j z 2 ¼ r e j j2 ¼ 1,378 e j 3,289 ¼ 1,378 ðcos 3,289 þ j sin 3,289Þ ¼ ¼ 1,363 0,202 j z 3 ¼ r e j j3 ¼ 1,378 e j 4,859 ¼ 1,378 ðcos 4,859 þ j sin 4,859Þ ¼ ¼ 0,202 1,363 j Zwischen den vier Lösungen bestehen die folgenden Zusammenhänge: z0 ¼ z2 bzw: z2 ¼ z0 z1 ¼ z3 bzw: z3 ¼ z1 Die Lage der zugehörigen Zeiger in der Gaußschen Zahlenebene entnimmt man Bild VII-34. Zwei aufeinander folgende Zeiger bilden dabei jeweils einen rechten Winkel. 2 Komplexe Rechnung 681 Im (z) z1 1 ,3 7 8 z2 Bild VII-34 Bildliche Darstellung der Lösungen der Gleichung z4 ¼ 3 þ 2 j z0 8,4° Re (z) z3 & 2.4 Natürlicher Logarithmus Im Bereich der reellen Zahlen wird der natürliche Logarithmus einer (positiven) Zahl a als diejenige Zahl x erklärt, mit dem die Basiszahl e potenziert werden muss, um die Zahl a zu erhalten: a ¼ ex , x ¼ ln a ða > 0Þ ðVII-58Þ (vgl. hierzu Kap. III, Abschnitt 12.1). Wir übertragen diesen Begriff nun sinngemäß unter Beachtung des Permanenzprinzips auf den komplexen Bereich. Jede von Null verschiedene komplexe Zahl z ist nach den Ausführungen aus Abschnitt 1.4.3 in der Exponentialform z ¼ r e j ðjþ k 2 pÞ ðk 2 ZÞ ðVII-59Þ mit r > 0 und 0 j < 2 p (Hauptwert) darstellbar. Unter ihrem natürlichen Logarithmus verstehen wir die (unendlich vielen!) komplexen Zahlen ln z ¼ ln ½ r e j ðjþ k 2 pÞ ¼ ln r þ ln e j ðjþ k 2 pÞ ¼ ¼ ln r þ j ðj þ k 2 pÞ ln e ¼ ln r þ j ðj þ k 2 pÞ |{z} 1 ðVII-60Þ Für k ¼ 0 erhält man den Hauptwert Ln z ¼ ln r þ j j ð0 j < 2 pÞ ðVII-61Þ Sein Realteil ist der natürliche Logarithmus ln r des Betrages r, sein Imaginärteil das Argument j der komplexen Zahl z (Hauptwert). Die übrigen Werte heißen Nebenwerte. Sie ergeben sich aus dem Hauptwert durch Addition ganzzahliger Vielfacher von 2 p j: ln z ¼ Ln z þ k 2 p j ðk 2 ZÞ ðVII-62Þ 682 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Wir fassen die Ergebnisse zusammen: Natürlicher Logarithmus einer komplexen Zahl Der natürliche Logarithmus einer komplexen Zahl z ¼ r e j ðjþ k 2 pÞ mit r > 0 und 0 j < 2 p ist unendlich vieldeutig: ln z ¼ ln r þ j ðj þ k 2 pÞ ðk 2 ZÞ ðVII-63Þ Der Hauptwert wird für k ¼ 0 angenommen: Ln z ¼ ln r þ j j ð0 j < 2 pÞ ðVII-64Þ Für k ¼ 1, 2, 3, . . . erhält man die sog. Nebenwerte. Anmerkungen & (1) ln z ist für jede komplexe Zahl z 6¼ 0 erklärt, also beispielsweise auch für negative reelle Zahlen (vgl. hierzu das nachfolgende Beispiel (3)). (2) Die verschiedenen Werte von ln z stimmen im Realteil ð¼ ln rÞ überein und unterscheiden sich im Imaginärteil um ganzzahlige Vielfache von 2 p. (3) Man beachte, dass die komplexe Zahl z vor dem Logarithmieren zunächst in die Exponentialform gebracht werden muss. (4) Die Rechengesetze für Logarithmen komplexer Zahlen sind die gleichen wie im Reellen. (5) Wie wir aus dem Hinweis aus Abschnitt 1.4.2 bereits wissen, wird in der Technik häufig der Hauptwert des Winkels j auf das Intervall p < j p beschränkt. Bei dieser Festlegung ändern sich natürlich auch der Haupt- und die Nebenwerte des Logarithmus einer komplexen Zahl entsprechend. Beispiele (1) z ¼ 8 þ 6j, ln z ¼ ? Lösung: Wir stellen z zunächst in der Exponentialform dar: z ¼ 8 þ 6 j ¼ 10 e j ð2,50 þ k 2 pÞ ðk 2 ZÞ (bitte nachrechnen). Für den natürlichen Logarithmus von z erhalten wir damit die unendlich vielen Werte ln z ¼ ln ½ 10 e j ð2,50 þ k 2 pÞ ¼ ln 10 þ j ð2,50 þ k 2 pÞ ln e ¼ ¼ ln 10 þ j ð2,50 þ k 2 pÞ ¼ 2,30 þ j ð2,50 þ k 2 pÞ Der Hauptwert von ln z ist damit Ln z ¼ 2,30 þ 2,50 j ðk 2 ZÞ 3 Anwendungen der komplexen Rechnung (2) 683 Für den natürlichen Logarithmus der reellen Zahl 1 erhalten wir im Reellen den Wert ln 1 ¼ 0, im Komplexen dagegen unendlich viele Werte wegen der Darstellung 1 ¼ 1 e j ð0 þ k 2 pÞ mit k 2 Z: ln ð1 e j ð0 þ k 2 pÞ Þ ¼ ln 1 þ ln e j k 2 p ¼ ln 1 þ j k 2 p ln e ¼ j ðk 2 pÞ |{z} |{z} 0 1 Wir berechnen den natürlichen Logarithmus von z ¼ 5. Es ist (3) z ¼ 5 ¼ 5 e j ðp þ k 2 pÞ ðk 2 ZÞ und daher ln ð 5Þ ¼ ln ½ 5 e j ðp þ k 2 pÞ ¼ ln 5 þ j ðp þ k 2 pÞ ln e ¼ ¼ ln 5 þ j ðp þ k 2 pÞ ¼ 1,609 þ j ðp þ k 2 pÞ ðk 2 ZÞ Der Hauptwert von ln ð 5Þ ist somit Ln ð 5Þ ¼ ln 5 þ j p ¼ 1,609 þ j p & 3 Anwendungen der komplexen Rechnung 3.1 Symbolische Darstellung harmonischer Schwingungen im Zeigerdiagramm 3.1.1 Darstellung einer Schwingung durch einen rotierenden Zeiger Wir gehen bei unseren Betrachtungen von einer sich mit der Zeit t sinusförmig verändernden Größe (Schwingung) y ðtÞ ¼ A sin ðw t þ jÞ ðt 0Þ ðVII-65Þ aus (Bild VII-35). y y = A · sin ( v t + f) A f/v –A t T= 2p v Bild VII-35 Zeitlicher Verlauf einer harmonischen Schwingung (Sinusschwingung) 684 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Es kann sich dabei beispielsweise um eine mechanische Schwingung, eine Wechselspannung oder einen Wechselstrom handeln. Die in der periodischen Funktion (VII-65) enthaltenen Größen A, w und j besitzen die folgende physikalische Bedeutung: A: Schwingungsamplitude oder Scheitelwert (in der Wechselstromtechnik; A > 0) w: Kreisfrequenz ðw > 0Þ j: Phase, Phasenwinkel oder Nullphasenwinkel Zwischen der Perioden- oder Schwingungsdauer T, der Frequenz f und der Kreisfrequenz w bestehen die folgenden Beziehungen: T ¼ 1 2p ¼ f w w ¼ 2pf ¼ bzw: 2p T ðVII-66Þ Die durch die Funktion y ¼ A sin ðw t þ jÞ beschriebene harmonische Schwingung lässt sich in einem sog. Zeigerdiagramm durch einen mit der Winkelgeschwindigkeit w im positiven Drehsinn um den Nullpunkt rotierenden Zeiger der Länge A anschaulich darstellen (Bild VII-36) 5). (2) A v y( t ) (1) vt f A y(0) Bild VII-36 Zur Darstellung einer harmonischen Schwingung durch einen rotierenden Zeiger 5) Die Darstellung einer harmonischen Schwingung durch einen rotierenden Zeiger wurde bereits in reeller Form in Band 1 (Kap. III, Abschnitt 9.5.2) behandelt. 3 Anwendungen der komplexen Rechnung 685 Der Zeiger befindet sich dabei zu Beginn (d. h. zum Zeitpunkt t ¼ 0) in der Position (1): Sein Richtungswinkel gegenüber der (horizontalen) Bezugsachse ist der Nullphasenwinkel j. In der Zeit t dreht er sich um den Winkel w t weiter und befindet sich dann in der Position (2). Sein Richtungswinkel gegenüber der Bezugsachse beträgt nunmehr j þ w t. Der Ordinatenwert der Zeigerspitze entspricht dabei dem augenblicklichen Funktionswert y ¼ A sin ðw t þ jÞ. Bei der Rotation des Zeigers um den Nullpunkt durchläuft daher die Ordinate nacheinander sämtliche Funktionswerte der Sinusschwingung (somit alle Werte aus dem Intervall A y A). Wir deuten nun die Ebene, in der die Rotation des Zeigers erfolgt, als Gaußsche Zahlenebene und beschreiben die augenblickliche Lage des Zeigers durch die zeitabhängige komplexe Zahl y ¼ A ½ cos ðw t þ jÞ þ j sin ðw t þ jÞ ¼ A e j ðw t þ jÞ ¼ ¼ A ejwt ejj ¼ A ejj ejwt ¼ A ejwt |fflfflffl{zfflfflffl} A ðVII-67Þ (Bild VII-37) 6). Der komplexe Zeiger y enthält demnach einen zeitunabhängigen Faktor A ¼ A e j j und einen zeitabhängigen Faktor e j w t, für die wir noch die folgenden Bezeichnungen einführen: A ¼ A e j j : Komplexe Amplitude ejwt : Zeitfunktion Die komplexe Amplitude A besitzt den Betrag j A j ¼ A und den Richtungswinkel (Phasenwinkel) j und legt die Anfangslage des rotierenden Zeigers fest. Die ZeitfunkIm (z) v y( t ) = A · e jvt A vt f A y(0) = A Re (z) Bild VII-37 Darstellung der harmonischen Schwingung y ¼ A sin ðw t þ jÞ durch den rotierenden Zeiger y ¼ A ejwt 6) Bezugsachse ist die reelle Achse. 686 VII Komplexe Zahlen und Funktionen tion e j w t beschreibt die Rotation des Zeigers mit der Winkelgeschwindigkeit w um den Nullpunkt der komplexen Zahlenebene. Der Momentanwert der Sinusschwingung (VII-65) entspricht dann dem Imaginärteil des rotierenden komplexen Zeigers y: y ¼ Im ð yÞ ¼ Im ½ A e j w t ¼ A sin ðw t þ jÞ ðVII-68Þ Wir fassen zusammen: Darstellung einer Sinusschwingung durch einen rotierenden Zeiger Eine sich sinusförmig mit der Zeit t ändernde Größe (Schwingung) y ¼ A sin ðw t þ jÞ ðA > 0; w > 0Þ ðVII-69Þ kann in symbolischer Form durch einen mit der Winkelgeschwindigkeit w um den Nullpunkt der Gaußen Zahlenebene rotierenden komplexen Zeiger y ¼ A e j ðw t þ jÞ ¼ A e j w t ðVII-70Þ dargestellt werden (Bild VII-37). Dabei bedeuten: A ¼ A e j j : Komplexe Schwingungsamplitude ejwt : Zeitfunktion der Schwingung Anmerkungen (1) Die Rotation des Zeigers erfolgt im mathematisch positiven Drehsinn ðw > 0Þ. (2) Wir haben uns zunächst bewusst auf sinusförmige Schwingungen beschränkt. Denn eine Kosinusschwingung vom allgemeinen Typ y ðtÞ ¼ A cos ðw t þ jÞ ðVII-71Þ lässt sich stets wegen cos ðw tÞ ¼ sin ðw t þ p=2Þ auf eine Sinusschwingung zurückführen: p ðVII-72Þ y ðtÞ ¼ A cos ðw t þ jÞ ¼ A sin w t þ j þ 2 Mit anderen Worten: Eine Kosinusschwingung kann als eine Sinusschwingung mit einem um p=2 vergrößerten Nullphasenwinkel aufgefasst werden. Bei der Behandlung von Schwingungsproblemen ist die komplexe Rechnung der reellen Rechnung aufgrund der einfacheren komplexen Rechengesetze überlegen. Ein Beispiel dafür bietet die Superposition (ungestörte berlagerung) zweier gleichfrequenter Schwingungen oder Wechselströme, die wir im nächsten Abschnitt ausführlich behandeln werden. Die komplexe Rechnung spielt daher insbesondere in der Wechselstromtechnik eine bedeutende Rolle. 3 Anwendungen der komplexen Rechnung & 687 Beispiel Wir transformieren die Gleichungen für Wechselspannung und Wechselstrom aus der reellen Form in die komplexe Form: Wechselspannung u ðtÞ ¼ u^ sin ðw t þ ju Þ ! u ðtÞ ¼ u^ e j w t u^ ¼ u^ e j ju : Komplexer Scheitelwert der Spannung Wechselstrom i ðtÞ ¼ i^ sin ðw t þ ji Þ ! i ðtÞ ¼ i^ e j w t ^ i ¼ ^ i e j ji : Komplexer Scheitelwert des Stroms & 3.1.2 Ungestörte berlagerung gleichfrequenter Schwingungen Wir beschäftigen uns in diesem Abschnitt mit der ungestörten berlagerung (Superposition) zweier gleichfrequenter Sinusschwingungen unter Verwendung der komplexen Rechnung 7). Nach dem Superpositionsprinzip der Physik überlagern sich die beiden Schwingungen y 1 ¼ A 1 sin ðw t þ j1 Þ und y 2 ¼ A 2 sin ðw t þ j2 Þ ðVII-73Þ ungestört und ergeben eine resultierende Schwingung gleicher Frequenz: y ¼ y1 þ y2 ¼ ¼ A 1 sin ðw t þ j 1 Þ þ A 2 sin ðw t þ j 2 Þ ¼ A sin ðw t þ jÞ ðVII-74Þ Amplitude A und Phase j lassen sich dabei schrittweise wie folgt aus den Amplituden A 1 und A 2 und den Phasenwinkeln j1 und j2 der Einzelschwingungen berechnen: 1. Schritt: bergang von der reellen Form zur komplexen Form Die Einzelschwingungen y 1 und y 2 werden durch komplexe Zeiger dargestellt: y1 ! y1 ¼ A1 ejwt und y2 ! y2 ¼ A2 ejwt ðVII-75Þ A 1 und A 2 sind dabei die komplexen Schwingungsamplituden: A 1 ¼ A 1 e j j1 7) und A 2 ¼ A 2 e j j2 ðVII-76Þ Dieses Thema wurde bereits im Band 1 (Kap. III, Abschnitt 9.5.3) auf trigonometrischer Basis erörtert. 688 VII Komplexe Zahlen und Funktionen 2. Schritt: Superposition in komplexer Form Die komplexen Zeiger y 1 und y 2 werden jetzt zur berlagerung gebracht und ergeben den resultierenden komplexen Zeiger y ¼ y1 þ y2 ¼ A1 ejwt þ A2 ejwt ¼ ¼ ðA 1 þ A 2 Þ e j w t ¼ A e j w t ðVII-77Þ Wir stellen dabei fest: Die komplexen Amplituden der Einzelschwingungen addieren sich zur komplexen Amplitude der resultierenden Schwingung: A ¼ A1 þ A2 ðVII-78Þ Ferner gilt: y 1 , y 2 und y besitzen dieselbe Zeitfunktion e j w t . 3. Schritt: Rücktransformation aus der komplexen Form in die reelle Form Die resultierende Schwingung y ¼ A sin ðw t þ jÞ ist der Imaginärteil des resultierenden komplexen Zeigers y: y ¼ Im ð yÞ ¼ Im ðA e j w t Þ ¼ A sin ðw t þ jÞ ðVII-79Þ Für die Berechnung der komplexen Amplitude A aus A 1 und A 2 wird die Zeitfunktion e j w t nicht benötigt. Es genügt daher, die Einzelschwingungen y 1 und y 2 im Zeigerdiagramm durch ihre komplexen Amplituden A 1 und A 2 , d. h. durch zeitunabhängige Zeiger darzustellen. Durch geometrische Addition der komplexen Schwingungsamplituden A 1 und A 2 erhält man dann die komplexe Schwingungsamplitude A der resultierenden Schwingung (Bild VII-38). Im (z) A = A1 + A 2 A2 A A1 Bild VII-38 Zur geometrischen Addition der komplexen Schwingungsamplituden f Re (z) Die komplexen Schwingungsamplituden entsprechen dabei einer Momentanaufnahme der rotierenden Zeiger zum Zeitpunkt t ¼ 0. Sie beschreiben daher die Anfangslage der Zeiger zu Beginn der Rotation. 3 Anwendungen der komplexen Rechnung 689 Wir fassen wie folgt zusammen: berlagerung zweier gleichfrequenter sinusförmiger Schwingungen Durch ungestörte berlagerung der gleichfrequenten Sinusschwingungen y 1 ¼ A 1 sin ðw t þ j1 Þ und y 2 ¼ A 2 sin ðw t þ j2 Þ ðVII-80Þ entsteht nach dem Superpositionsprinzip der Physik eine resultierende Schwingung mit der gleichen Frequenz: y ¼ y 1 þ y 2 ¼ A sin ðw t þ jÞ ðVII-81Þ Die Berechnung der Schwingungsamplitude A und des Phasenwinkels j erfolgt dabei im Komplexen in drei Schritten: 1. bergang von der reellen Form zur komplexen Form Die Einzelschwingungen y 1 und y 2 werden in komplexer Form dargestellt: y1 ! y1 ¼ A1 ejwt ðVII-82Þ y2 ! y2 ¼ A2 ejwt 2. Addition der komplexen Amplituden (siehe Bild VII-38) A ¼ A1 þ A2 ðVII-83Þ Die resultierende Schwingung lautet dann in komplexer Form: y ¼ y1 þ y2 ¼ A ejwt ðVII-84Þ 3. Rücktransformation aus der komplexen Form in die reelle Form y ¼ y 1 þ y 2 ¼ Im ð yÞ ¼ Im ðA e j w t Þ ¼ A sin ðw t þ jÞ ðVII-85Þ Anmerkungen (1) Liegen beide Einzelschwingungen als Kosinusschwingungen vor, y 1 ¼ A 1 cos ðw t þ j1 Þ und y 2 ¼ A 2 cos ðw t þ j2 Þ ðVII-86Þ so ergeben sich für die Berechnung der resultierenden Schwingung y ¼ y 1 þ y 2 prinzipiell zwei Möglichkeiten: 1. Die Schwingungen y 1 und y 2 werden zunächst als sinusförmige Schwingungen dargestellt. Anschließend erfolgen die weiter oben angegebenen drei Rechenschritte. Die resultierende Schwingung liegt dann in der Sinusform vor. 690 VII Komplexe Zahlen und Funktionen 2. Die Schwingungen y 1 und y 2 werden in der Kosinusform belassen. Dann erfolgen die ersten beiden der oben angegebenen Rechenschritte und anschließend die Rücktransformation aus dem Komplexen ins Reelle. Diesmal jedoch ist der Realteil des resultierenden komplexen Zeigers y zu nehmen: y ¼ y 1 þ y 2 ¼ Re ð yÞ ¼ Re ðA e j w t Þ ¼ A cos ðw t þ jÞ ðVII-87Þ Die resultierende Schwingung liegt jetzt als Kosinusschwingung vor. (2) Das Verfahren gilt sinngemäß auch bei einer ungestörten berlagerung mehrerer gleichfrequenter Einzelschwingungen. 3.1.3 Ein Anwendungsbeispiel: berlagerung gleichfrequenter Wechselspannungen Auf einem Oszillographen werden die gleichfrequenten technischen Wechselspannungen u 1 ðtÞ ¼ 100 V sin ðw tÞ 5 u 2 ðtÞ ¼ 200 V sin w t þ p 6 u 3 ðtÞ ¼ 150 V cos ðw tÞ ungestört zur berlagerung gebracht (Frequenz f ¼ 50 Hz; w ¼ 2 p f ¼ 314 s 1 ). Wie lautet die Gleichung der resultierenden Wechselspannung u ðtÞ? Lösung: Zunächst stellen wir die Wechselspannung u 3 ðtÞ in der Sinusform dar: p u 3 ðtÞ ¼ 150 V cos ðw tÞ ¼ 150 V sin w t þ 2 Die komplexe Rechnung erfolgt nun in drei Schritten. (1) bergang von der reellen Form zur komplexen Form u 1 ! u 1 ¼ 100 V e j w t u 2 ! u 2 ¼ 200 V e j ðw t þ 6 pÞ ¼ 200 V e j 6 p e j w t 5 5 u 3 ! u 3 ¼ 150 V e j ðw t þ 2 Þ ¼ 150 V e j 2 e j w t p p Die komplexen Scheitelwerte lauten damit der Reihe nach: u^ 1 ¼ 100 V; 5 u^ 2 ¼ 200 V e j 6 p ; p u^ 3 ¼ 150 V e j 2 3 Anwendungen der komplexen Rechnung (2) 691 Addition der komplexen Scheitelwerte 5 p u^ ¼ u^ 1 þ u^ 2 þ u^ 3 ¼ 100 V þ 200 V e j 6 p þ 150 V e j 2 ¼ 5 5 ¼ 100 V þ 200 V cos p þ j sin p þ j 150 V ¼ 6 6 ¼ 100 V 173,2 V þ j 100 V þ j 150 V ¼ 73,2 V þ j 250 V Wir berechnen jetzt den reellen Scheitelwert u^ ¼ j u^ j und den Nullphasenwinkel j der resultierenden Wechselspannung u und daraus den komplexen Scheitelwert u^ in der Exponentialform (^ u liegt im 2. Quadranten): qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi j u^ j ¼ u^ ¼ ð 73,2 VÞ 2 þ ð250 VÞ 2 ¼ 260,5 V tan j ¼ 250 V ¼ 3,4153 73,2 V ) j ¼ arctan ð 3,4153Þ þ 180 ¼ 106,3 ¼ b 1,86 u^ ¼ u^ e j j ¼ 260,5 V e j 1,86 Die resultierende Wechselspannung lautet daher in der komplexen Form: u ¼ u^ e j w t ¼ 260,5 V e j 1,86 e j w t ¼ 260,5 V e j ðw t þ 1,86Þ (3) Rücktransformation aus der komplexen Form in die reelle Form u ¼ Im ðuÞ ¼ Im ½ 260,5 V e j ðw t þ 1,86Þ ¼ 260,5 V sin ðw t þ 1,86Þ Mit w ¼ 314 s 1 erhalten wir schließlich für die resultierende Wechselspannung: u ¼ u 1 þ u 2 þ u 3 ¼ 260,5 V sin ð314 s 1 t þ 1,86Þ 3.2 Symbolische Berechnung eines Wechselstromkreises 3.2.1 Das Ohmsche Gesetz der Wechselstromtechnik In einem Wechselstromkreis erzeugt die sinusförmige Wechselspannung pffiffiffiffiffi u ¼ u ðtÞ ¼ u^ sin ðw t þ ju Þ ¼ 2 U sin ðw t þ ju Þ den gleichfrequenten sinusförmigen Wechselstrom pffiffiffiffiffi i ¼ i ðtÞ ¼ ^i sin ðw t þ ji Þ ¼ 2 I sin ðw t þ ji Þ 692 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Dabei sind u^,pi^ffiffiffiffidie und U, I die Effektivwerte von Spannung und Stromffi Scheitelwerte pffiffiffiffiffi stärke ð^ u ¼ 2 U; i^ ¼ 2 IÞ. Die zugehörigen komplexen Zeiger lauten dann: pffiffiffiffiffi u ¼ u^ e j ðw t þ ju Þ ¼ u^ e j ju e j w t ¼ u^ e j w t ¼ 2 U e j w t ðVII-88Þ i ¼ i^ e j ðw t þ ji Þ ¼ ^i e j ji e j w t ¼ i^ e j w t ¼ pffiffiffiffiffi 2 I ejwt ðVII-89Þ u^, ^i sind dabei die komplexen Scheitelwerte, U, I die komplexen Effektivwerte von Spannung und Strom, wobei gilt 8Þ : pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi ^i ¼ ^ und ðVII-90Þ i e j ji ¼ 2 I u^ ¼ u^ e j ju ¼ 2 U Das Verhältnis der komplexen Spannung u zur komplexen Stromstärke i wird in der Elektrotechnik als komplexer Widerstand bezeichnet und durch das Symbol Z gekennzeichnet. Definitionsgemäß ist also pffiffiffiffiffi u U U e j ju U 2 U ejwt e j ðju ji Þ ¼ Z ¼ ¼ pffiffiffiffiffi ¼ ¼ ðVII-91Þ j j j w t i I i I I e 2I e Der komplexe Widerstand Z ist demnach ein zeitunabhängiger komplexer Zeiger. Seine exponentielle Form ist Z ¼ Z ejj ðVII-92Þ mit dem als Scheinwiderstand oder Impedanz bezeichneten Betrag Z ¼ jZ j ¼ U Effektivwert der Spannung ¼ I Effektivwert des Stroms ðVII-93Þ und dem Phasenwinkel j ¼ ju ji ¼ Spannungsphase minus Stromphase ðVII-94Þ (Bild VII-39). In der kartesischen Schreibweise besitzt der komplexe Widerstand die Form Z ¼ R þ jX ðVII-95Þ Im (Z) Z = R + jX Z= |Z | X Bild VII-39 Komplexer Widerstand Z f R 8) Re (Z) Der Effektivwert eines Wechselstroms bzw. einer Wechselspannung ist der quadratische zeitliche Mittelwert pffiffiffiffiffi während einer Periode (vgl. hierzu auch Kap. V, Abschnitt 10.7). Der Scheitelwert ist stets das 2 -fache des Effektivwertes. Dies gilt sowohl im reellen als auch im komplexen Bereich. 3 Anwendungen der komplexen Rechnung 693 Für Realteil R und Imaginärteil X sind dabei die Bezeichnungen R: Wirkwiderstand X: Blindwiderstand üblich. Aus der Zeigerdarstellung in Bild VII-39 folgt dann unmittelbar: pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi X R2 þ X 2 und tan j ¼ jZ j ¼ Z ¼ R ðVII-96Þ Zwischen den komplexen Größen U, I und Z besteht dabei nach Gleichung (VII-91) die wichtige Beziehung U ¼ Z I ðVII-97Þ die uns an das Ohmsche Gesetz der Gleichstromlehre erinnert und daher als Ohmsches Gesetz der Wechselstromtechnik bezeichnet wird. Die Gleichung U ¼ Z I stellt somit das Ohmsche Gesetz in komplexer Form dar. Ohmsches Gesetz der Wechselstromtechnik U ¼ Z I ðVII-98Þ Dabei bedeuten: U : Komplexer Effektivwert der Spannung I : Komplexer Effektivwert des Stroms Z : Komplexer Widerstand mit Z ¼ R þ j X ¼ Z e j j (R: Wirkwiderstand; X: Blindwiderstand) 3.2.2 Komplexe Wechselstromwiderstände und Leitwerte Wechselstromwiderstände und elektrische Leitwerte lassen sich in symbolischer Form durch zeitunabhängige komplexe Zeiger beschreiben. Diese Art der Darstellung besitzt den großen Vorteil, dass die aus der Gleichstromlehre bekannten physikalischen Gesetze wie beispielsweise das Ohmsche Gesetz oder die Kirchhoffschen Regeln (Knotenpunktsregel, Maschenregel usw.) auch für Wechselstromkreise unverändert gültig bleiben. Bei den folgenden Betrachtungen wählen wir den Stromzeiger I als Bezugszeiger und legen ihn in die positiv-reelle Achse. Dann folgt unmittelbar aus dem Ohmschen Gesetz U ¼ Z I, dass der Spannungszeiger U mit dem Zeiger des komplexen Widerstandes Z in eine gemeinsame Richtung fällt: U und Z besitzen den gleichen Phasenwinkel j, der Spannungszeiger U geht aus dem Zeiger Z durch Streckung um fas I-fache hervor (Bild VII-40). 694 VII Komplexe Zahlen und Funktionen imaginär U=Z·I Z Bild VII-40 Zum Ohmschen Gesetz der Wechselstromtechnik I reell Komplexe Wechselstromwiderstände Der Wechselstromkreis kennt drei verschiedene Grundschaltelemente: R: Ohmscher Widerstand C: Kapazität L: Induktivität Sie werden durch die folgenden komplexen Widerstände beschrieben. (1) Ohmscher Widerstand R Für einen Ohmschen Widerstand R gilt bekanntlich u ¼ Ri u ¼ Ri bzw: ðVII-99Þ Mit u ¼ u^ e j w t ¼ pffiffiffiffiffi 2 U ejwt erhalten wir hieraus pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi 2 U ejwt ¼ R 2 I ejwt U ¼ RI ) Z ¼ und j : i ¼ i^ e j w t ¼ pffiffiffiffiffi 2 ejwt pffiffiffiffiffi 2 I ejwt ) U ¼ R I ðVII-100Þ Ein ohmscher Widerstand wird somit im Wechselstromkreis durch den reellen Widerstand (Wirkwiderstand) R beschrieben (Bild VII-41). Spannung und Strom sind dabei in Phase: ju ¼ ji , d: h: j ¼ 0: Im ( Z ) Z=R Bild VII-41 Ohmscher Widerstand Re ( Z ) 3 Anwendungen der komplexen Rechnung (2) 695 Kapazität C (kapazitiver Widerstand) Bei einem Kondensator besteht zwischen der Ladung q, der Kapazität C und der Spannung u der folgende Zusammenhang: q ¼ C u bzw: q ¼ C u ðVII-101Þ Wir differenzieren diese Gleichung nach der Zeit t und beachten dabei, dass die zeitliche Ableitung der Ladung q die Stromstärke i ergibt: d d ðqÞ ¼ C ðuÞ dt dt Mit u ¼ u^ e j w t ¼ i ¼ C oder pffiffiffiffiffi 2 U ejwt und d ðuÞ dt ðVII-102Þ i ¼ ^ i ejwt ¼ pffiffiffiffiffi 2 I ejwt folgt dann 9) : pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi d pffiffiffiffiffi ð 2 U e j w tÞ ¼ C 2 U e j w t j w ¼ 2 I ejwt ¼ C dt pffiffiffiffiffi ðVII-103Þ ¼ j w C U 2 ejwt pffiffiffiffiffi Nach kürzen des gemeinsamen Faktors 2 e j w t erhalten wir I ¼ jwC U oder U ¼ 1 1 I ¼ j I jwC wC ðVII-104Þ Eine Kapazität C wird somit durch den komplexen Widerstand Z ¼ U 1 ¼ j XC ¼ j wC I mit XC ¼ 1 wC ðVII-105Þ beschrieben. Der Zeiger fällt dabei in die negativ-imaginäre Achse (Bild VII-42). X C wird als kapazitiver Blindwiderstand bezeichnet, sein Betrag ist j X C j ¼ X C ¼ 1=w C. Bei einer (verlustfreien) Kapazität läuft der Spannungszeiger U dem Stromzeiger I um 90 in der Phase hinterher: j ¼ 90 . Im ( Z ) Re ( Z ) Bild VII-42 Kapazitiver Blindwiderstand Z = –j 9) 1 vC Aus dem Permanenzprinzip folgt, dass die Differentiation nach den gleichen Regeln verläuft wie im Reellen. Die komplexe Funktion e j w t wird daher nach der Kettenregel differenziert, die imaginäre Einheit j ist dabei als ein konstanter Faktor zu betrachten. 696 (3) VII Komplexe Zahlen und Funktionen Induktivität (induktiver Widerstand) Aus dem Induktionsgesetz u ¼ L di dt bzw: u ¼ L di dt ðVII-106Þ erhalten wir mit u ¼ u^ e j w t ¼ pffiffiffiffiffi 2 U ejwt und i ¼ i^ e j w t ¼ pffiffiffiffiffi 2 I ejwt den folgenden Zusammenhang zwischen den komplexen Größen (Zeigern) U und I : pffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffi d pffiffiffiffiffi 2 U ejwt ¼ L ð 2 I e j w tÞ ¼ L 2 I e j w t j w ¼ dt pffiffiffiffiffi ¼ j w L I 2 ejwt ) U ¼ jwL I ðVII-107Þ Eine Induktivität L wird somit durch den komplexen Widerstand Z ¼ U ¼ j w L ¼ j XL I mit XL ¼ w L ðVII-108Þ beschrieben. Der Zeiger fällt dabei in die positiv-imaginäre Achse (Bild VII-43). X L ¼ w L wird als induktiver Blindwiderstand bezeichnet. Der Spannungszeiger U läuft dem Stromzeiger I um 90 in der Phase voraus: j ¼ 90 . Im ( Z ) Z = j vL Bild VII-43 Induktiver Blindwiderstand Re ( Z ) Komplexe Leitwerte In der Gleichstromlehre wird der Kehrwert eines (ohmschen) Widerstandes als Leitwert bezeichnet. Entsprechend wird der komplexe Leitwert Y als Kehrwert des komplexen Widerstands Z erklärt: 1 1 1 ejj ¼ Y ¼ ¼ ðVII-109Þ j j Z e Z Z Geometrisch erhält man Y durch Spiegelung des Zeigers Z an der reellen Achse ðj ! jÞ und anschließender Streckung um das 1=Z 2 -fache (sog. Inversion, vgl. Bild VII-44). 3 Anwendungen der komplexen Rechnung Im ( Z ) 697 Z Bild VII-44 Der Zeiger Y entsteht durch Inversion des Zeigers Z ϕ –ϕ Y= Re ( Z ) 1 Z Z* Der komplexe Leitwert lautet in der kartesischen Darstellung: Y ¼ G þ jB ðVII-110Þ Realteil G und Imaginärteil B werden dabei wie folgt bezeichnet: G: Wirkleitwert B: Blindleitwert Für die drei Grundschaltelemente R, C und L erhalten wir aus den entsprechenden komplexen Widerständen der Reihe nach die folgenden komplexen Leitwerte: Y ¼ 1 , R Y ¼ jwC, Y ¼ 1 1 ¼ j jwL wL ðVII-111Þ Wir fassen die Ergebnisse zusammen: Berechnung eines Wechselstromkreises mit Hilfe komplexer Widerstände und Leitwerte In einem Wechselstromkreis werden die Grundschaltelemente R (Ohmscher Widerstand), C (Kapazität) und L (Induktivität) wie folgt durch komplexe Widerstände und Leitwerte, d. h. durch zeitunabhängige komplexe Zeiger dargestellt: Schaltelement Komplexer Widerstand Komplexer Leitwert R 1 R Ohmscher Widerstand R Kapazität C Induktivität L j 1 wC jwL jwC j 1 wL Die Berechnung der elektrischen Größen des Wechselstromkreises erfolgt dann nach den aus der Gleichstromlehre bekannten physikalischen Gesetzen (z. B. Ohmsches Gesetz, Kirchhoffsche Regeln usw.). 698 VII Komplexe Zahlen und Funktionen 3.2.3 Ein Anwendungsbeispiel: Der Wechselstromkreis in Reihenschaltung Der in Bild VII-45 dargestellte Wechselstromkreis enthält je einen Ohmschen Widerstand R, eine Kapazität C und eine Induktivität L in Reihenschaltung. C R L Bild VII-45 Wechselstromkreis in Reihenschaltung Nach den Kirchhoffschen Regeln addieren sich dabei die komplexen Widerstände der drei Schaltelemente zum komplexen Widerstand Z des Gesamtkreises (w: Kreisfrequenz der angelegten Wechselspannung): 1 1 ¼ Z ejj Z ¼ R þ jwL j ðVII-112Þ ¼ R þ j wL wC wC Bild VII-46 zeigt die Lage der komplexen Widerstände im Zeigerdiagramm. Im ( Z ) j vL Z Z vL – 1 vC f R –j R Bild VII-46 Zeigerdiagramm eines Wechselstromkreises in Reihenschaltung Re ( Z ) 1 vC Wirk- und Blindwiderstand der Reihenschaltung lauten: Wirkwiderstand: Re ðZÞ ¼ R (VII-113) Blindwiderstand: 1 Im ðZÞ ¼ X ¼ w L wC (VII-114) Für den Scheinwiderstand (auch Impedanz genannt) erhalten wir damit: sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi pffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi 1 2 2 2 2 jZ j ¼ Z ¼ R þX ¼ R þ wL wC ðVII-115Þ 3 Anwendungen der komplexen Rechnung 699 Die Phasenverschiebung j ¼ ju ji zwischen Spannung und Strom lässt sich nach Bild VII-46 aus der Beziehung X tan j ¼ ¼ R wL 1 wC ðVII-116Þ R berechnen 10) : 0 1 1 w L @ X w CA ¼ arctan j ¼ arctan R R ðVII-117Þ Ob die Spannung dem Strom oder umgekehrt der Strom der Spannung vorauseilt, hängt vom Verhältnis der beiden Blindwiderstände X L ¼ w L und X C ¼ 1=w C zueinander ab. Dabei gilt: XL > j XC j : j > 0 ð0 < j 90 Þ XL ¼ j XC j : j ¼ 0 ðsog: ResonanzfallÞ 11Þ XL < j XC j : j < 0 ð 90 j < 0 Þ Aus dem Ohmschen Gesetz erhalten wir für den Effektivwert des Stroms: I ¼ U U ¼ sffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Z 1 2 2 R þ wL wC ðVII-118Þ (U: Effektivwert der angelegten Wechselspannung). Die an den Schaltelementen R, C und L abfallenden Teilspannungen U R , U C und U L lassen sich aus dem Ohmschen Gesetz für den jeweiligen Teilwiderstand berechnen. Wir erhalten für die Effektivwerte der Reihe nach UR ¼ R I , & UC ¼ I , wC UL ¼ w L I ðVII-119Þ Rechenbeispiel An einem Wechselstromnetz ðU ¼ 220 V, f ¼ 50 HzÞ liegen in Reihenschaltung der Ohmsche Widerstand R ¼ 100 W, die Kapazität C ¼ 20 mF und die Induktivität L ¼ 0,1 H. Zu berechnen sind: a) Der Scheinwiderstand Z und der Effektivwert I des Wechselstroms, b) die Phasenverschiebung j zwischen Spannung und Strom und c) die Effektivwerte der Spannungsabfälle an den Einzelwiderständen. 10) Der Phasenwinkel j liegt im 1. oder 4. Quadranten. 11) Der Gesamtwiderstand Z erreicht für X L ¼ j X C j seinen kleinsten und die Stromstärke I damit ihren größten Wert (bei vorgegebener Spannung U ). 700 VII Komplexe Zahlen und Funktionen Lösung: a) w ¼ 2 p f ¼ 2 p 50 s 1 ¼ 100 p s 1 XC ¼ 1 1 ¼ ¼ 159,15 W 1 wC 100 p s 20 10 6 F X L ¼ w L ¼ 100 p s 1 0,1 H ¼ 31,42 W Der komplexe Widerstand Z lautet damit (Bild VII-47): 1 ¼ Z ¼ R þ j X ¼ R þ j ðX L þ X C Þ ¼ R þ j w L wC ¼ 100 W þ j ð31,42 W 159,15 WÞ ¼ 100 W j 127,73 W Im ( Z ) Ω j 31,42 100 f Re ( Z ) Ω Z – j 127,73 Z = 100 Ω – j 127,73 Ω Bild VII-47 – j 159,15 Sein Betrag liefert den Scheinwiderstand Z. Wir erhalten: qffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffiffi Z ¼ jZ j ¼ ð100 WÞ 2 þ ð 127,73 WÞ 2 ¼ 162,22 W Die Berechnung des Phasenwinkels j ergibt nach Bild VII-47: tan j ¼ 1 w C ¼ 127,73 W ¼ 1,2773 R 100 W wL ) j ¼ arctan ð 1,2773Þ ¼ 51,9 Der komplexe Widerstand lautet daher in der Exponentialform wie folgt: Z ¼ Z e j j ¼ 162,22 W e j 51,9 4 Ortskurven 701 Der Spannungszeiger U besitzt die gleiche Richtung wie der Widerstandszeiger Z. Somit ist: U ¼ U e j j ¼ 220 V e j 51,9 Aus dem Ohmschen Gesetz (VII-98) folgt dann für den Stromzeiger I : I ¼ U 220 V e j 51,9 220 V ¼ ¼ 1,356 A ¼ j 51 , 9 Z 162,22 W e 162,22 W Der Effektivwert des Wechselstroms beträgt somit I ¼ 1,356 A. b) Strom- und Spannungsanzeiger besitzen die folgenden Darstellungen: I ¼ 1,356 A e j 0 ¼ 135,6 A U ¼ 220 V e j 51,9 Der Stromzeiger liegt in der positiv-reellen Achse. Daher eilt der Strom der Spannung um 51,9 in der Phase voraus. c) Für die komplexen Effektivwerte der an den Schaltelementen R, C und L abfallenden Spannungen folgt aus dem Ohmschen Gesetz: U R ¼ R I ¼ 100 W 1,356 A ¼ 135,6 V UC ¼ j 1 I ¼ j 159,15 W 1,356 A ¼ j 215,8 V ¼ wC ¼ 215,8 V e j 90 U L ¼ j w L I ¼ j 31,42 W 1,356 A ¼ j 42,6 V ¼ 42,6 V e j 90 Die reellen Effektivwerte der abfallenden Spannungen betragen daher der Reihe nach: U R ¼ 135,6 V , U C ¼ 215,8 V , U L ¼ 42,6 V & 4 Ortskurven 4.1 Ein einführendes Beispiel In den physikalisch-technischen Anwendungen, insbesondere in der Wechselstrom- und Regelungstechnik, treten häufig komplexe Größen auf, die noch von einem reellen Parameter abhängen. Wie das folgende Beispiel zeigen wird, lassen sich solche Abhängigkeiten in anschaulicher Weise durch sog. Ortskurven in der Gaußschen Zahlenebene darstellen. Wir betrachten im Folgenden eine Reihenschaltung aus einem ohmschen Widerstand R und einer Induktivität L (Bild VII-48). 702 VII Komplexe Zahlen und Funktionen R L Bild VII-48 Reihenschaltung aus einem ohmschen Widerstand R und einer Induktivität L Nach den Kirchhoffschen Regeln addieren sich dabei die komplexen Widerstände der beiden Schaltelemente zum komplexen Widerstand Z des Gesamtkreises. Bei festen Werten für R und L hängt der komplexe Widerstand Z noch wie folgt von der Kreisfrequenz w ab: Z ¼ Z ðwÞ ¼ R þ j w L ðw 0Þ ðVII-120Þ Jedem Wert der Kreisfrequenz w entspricht dabei genau ein komplexer Widerstandszeiger in der Gaußschen Zahlenebene. Beim Durchlaufen sämtlicher Werte von w ¼ 0 bis hin zu w ¼ 1 bewegt sich die Zeigerspitze auf einer Halbgeraden, die im Abstand R parallel zur positiv-imaginären Achse verläuft (Bild VII-49). Sie wird als Ortskurve des Widerstandes Z ¼ Z ðwÞ bezeichnet und beschreibt in anschaulicher Weise die Abhängigkeit des komplexen Widerstandes Z von der Kreisfrequenz w. Im ( Z ) Z (v) v Z3 v3 Z2 v2 Z1 Z0 v v1 Bild VII-49 Widerstandsortskurve der Reihenschaltung aus Bild VII-48 v=0 Re ( Z ) 4.2 Ortskurve einer parameterabhängigen komplexen Größe z sei eine von einem reellen Parameter t abhängige komplexe Zahl mit der Darstellung z ¼ z ðtÞ ¼ x ðtÞ þ j y ðtÞ ða t bÞ ðVII-121Þ Durch diese Gleichung wird jedem Parameterwert t aus dem Intervall ½ a, b in eindeutiger Weise eine komplexe Zahl z ðtÞ zugeordnet. Eine solche Vorschrift definiert eine komplexwertige Funktion einer reellen Variablen. 4 Ortskurven 703 Definition: Die von einem reellen Parameter t abhängige komplexe Zahl z ¼ z ðtÞ ¼ x ðtÞ þ j y ðtÞ ða t bÞ ðVII-122Þ heißt komplexwertige Funktion z ðtÞ der reellen Variablen t. Real- und Imaginärteil einer komplexwertigen Funktion z ðtÞ sind somit Funktionen ein- und derselben reellen Variablen t. Mit dem Parameterwert t verändert sich auch die Lage der komplexen Zahl z ¼ z ðtÞ in der Gaußschen Zahlenebene. Die Spitze des zugehörigen Zeigers z ¼ z ðtÞ bewegt sich dabei auf einer Kurve, die als Ortskurve der komplexen Zahl (Größe) z ¼ z ðtÞ bezeichnet wird (Bild VII-50). Im (z) t1 t t2 t3 t4 z = z (t) Re (z) Bild VII-50 Zum Begriff der Ortskurve einer parameterabhängigen komplexen Zahl Zu jedem Parameterwert gehört genau ein Zeiger und damit genau ein Kurvenpunkt. Die Kennzeichnung (Bezifferung) der Kurvenpunkte kann daher durch den Parameter selbst erfolgen, wie dies in Bild VII-50 geschehen ist. Ortskurve einer parameterabhängigen komplexen Zahl Die Ortskurve einer von einem reellen Parameter t abhängigen komplexen Zahl z ðtÞ ¼ x ðtÞ þ j y ðtÞ ða t bÞ ðVII-123Þ ist die Bahnkurve, die der zugehörige Zeiger z ¼ z ðtÞ in der Gaußschen Zahlenebene beschreibt, wenn der Parameter t alle Werte aus d