Rechtswissenschaftliches Institut Römische Rechtsgeschichte 15. Okt. 2012 Lehrstuhl für Römisches Recht, Privatrecht und Rechtsvergleichung Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Der Prinzipat: § 5 Entstehung und Ordnung - enge Verbindung zwischen Juristen und princeps: klassische Jurisprudenz während des Prinzipats - Betrachtung des Tatenberichts des Augustus (res gestae divi Augusti) im Vergleich mit der juristischen Qualifizierung des Prinzipats (ausserordentliche Befugnisse des Augustus) - Ausblick auf die weitere staatsrechtliche Entwicklung (lex de imperio des Vespasians) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 2 Einige Eckdaten: 27 v. Chr. Augustus princeps 27 v. bis 68 n. Chr. julisch-claud. Kaiser 69 bis 96 n. Chr. Flavier (69-79 Vespasian) 96 bis 192 n. Chr. Adoptivkaiser (Antoninen) 193 bis 235 n. Chr. Severer Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 3 Quellentext 16: (1) Inskription: Augustus Gaius Octavius, röm. Kaiser von 27 v. Chr. bis 14 n. Chr., von Caesar posthum adoptiert (44 v. Chr.), seit 31 v. Chr. Alleinherrscher, Begründer des Prinzipats (princeps = „der erste“); Res gestae divi Augusti = Rechenschaftsbericht des Augustus (Veröffentlichung im Testament verlangt), überliefert v.a. durch Kopie der originalen lateinischen Fassung mit griech. Übersetzung aus Tempel in Ancyra (Ankara) = sog. Monumentum Ancyranum (2) Paraphrase: Oktavian hat als Konsul in sieben Jahren die Bürgerkriege beendet; das Volk hat ihm die allgemeine Herrschaftsmacht übertragen; im sechsten und siebten Konsulatsjahr hat er die res publica (Gemeinwesen) wieder dem Senat und dem römischen Volk übergeben. Für diese Rückgabe ist er ausgezeichnet worden mit dem AugustusTitel des Senats, die Schmückung des Türpfostens seines Hauses mit Lorbeer und Bürgerkranz und dem goldenen Schild in der curia Iulia. Als Folge der Rückübertragung hat Augustus eine alle überragende auctoritas, nicht aber Machtbefugnisse über die magistratische Amtsgewalt (potestas) hinaus. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 4 (3) Interpretation: - 6. und 7. Konsuljahr = 28-27 v. Chr. - Beendigung des Bürgerkrieges = 30 v. Chr. beendete Augustus den seit Sulla und Marius eigentlich ständig aufflammenden Bürgerkrieg; gleichzeitig Umdeutung der Schlacht bei Actium (gegen Antonius) in einen Bürgerkrieg (obwohl Cleopatra als ausländische Macht beteiligt war). - per consensum universorum potitus rerum omnium = str., ob Augustus tatsächlich durch Volksbeschluss die entsprechenden Vollmachten verliehen wurden; sicher allenfalls, dass er nach Ende der Bürgerkriege eine derartige Allmachtsposition innehatte. - Rückgabe des Gemeinwesens = gemeint ist Rückgabe der Staatsgewalt an Senat und Volksversammlung (als Gesetzgeber der Republik); gleichzeitig Aufgabe der ausserordentlichen Gewalten. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 5 Forts. - Ehrenbezeichnung „Augustus“ = Verleihung in der Senatssitzung vom 16. Januar 27 v. Chr. auf Antrag von L. Munatius Plancus; Ehrenbezeichnung, die ihrem Inhaber einen fast übermenschlichen Status verleiht. - Lorbeerschmuck an der Haustür = Lorbeer ist das Symbol für ewigen Sieg und Frieden; da er sonst v.a. an Tempeln zu Ehren der Götter angebracht wird, verleiht er Augustus‘ Haus eine fast sakrale Aura. - Bürgerkranz = ursprünglich verliehen für die Lebensrettung eines römischen Bürgers, später dann für jeden für Rom rettenden Sieg. - Schild in der curia Iulia = Ausdruck der Verehrung und Erinnerung an den Sieg in Ägypten; Kopien in Augustus-Tempeln Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 6 Augustus‘ tatsächliche Machtfülle: - Tatenbericht (Q 16) feiert Augustus als überragende Persönlichkeit, Friedensstifter und Retter Roms, ohne weitergehende Amtsgewalt als die übrigen Magistrate. - anderes Bild bei Cassius Dio (Q 17) - Versuch, einer juristischen Qualifizierung Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 7 Quellentext 17 = Cass. Dio 53, 32, 5: (1)Inskription = Cassius Dio (160 – 229 n. Chr.) war ein röm. Geschichtsschreiber; unter den sev. Kaisern mit höchsten Ämtern betraut; er greift für die frühe Kaiserzeit auf Quellen zurück, die heute verloren sind; wichtige Informationsquelle (2) Paraphrase / Interpretation: - Volkstribun auf Lebenszeit - lebenslanges Antragsrecht (auch ohne Konsulat) - Prokonsulat auf Lebenszeit ohne Niederlegungspflicht am pomerium - Machtfülle eines Statthalters Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 8 Volkstribun auf Lebenszeit -Volkstribun ist ursprünglich ein Organ der plebs (seit dem Ständekampf); er ist als ihr Vertreter unverletzlich (sancrosanctitas), er hat ein allgemeines Hilferecht für Plebejer (ius auxilii, spezielles Interzessionsrecht) sowie die Einberufungsbefugnis für Sitzungen der concilia plebis. - seit 36 v. Chr. besass Augustus die Unverletzlichkeit des Volkstribuns, seit 30 v. Chr. das Hilferecht (ius auxilii) - am 13. Januar 27 v. Chr. erhält Augustus die volle tribunicia potestas (für die Stadt Rom) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 9 Lebenslanges Antragsrecht - Verzicht auf Konsulat - zur Durchführung von census und lectio aber Verleihung des imperium consulare - Augustus erhält Kompetenzen des Konsuls: Antragsrecht im Senat (ius agendi cum patribus) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 10 Prokonsulat auf Lebenszeit / mehr als Statthalter -imperium proconsulare = Amtsbefugnis des Prokonsuls (Statthalters) einer Provinz; nicht durch Kollegen (mit Interzessionsrecht) beschränkt; aber zeitlich beschränkte Befugnis (bisweilen mehrfach verlängert) - imperium proconsulare maius et infinitum = eine über die Amtsbefugnisse des Prokonsuls hinausgehende Machtstellung, die weder zeitlich noch kompetenzrechtlich begrenzt ist. - Cassius Dio beurteilt Augustus‘ Position als über allen anderen Statthaltern stehend (str., ob damit eine rechtliche Überordnung oder nur die faktische Dominanz gemeint sein soll) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 11 Q 18 = CIL VI, 930 lex de imperio (1) Inskription: - Titus Flavius Vespasianus (9-79 n. Chr.): röm. Kaiser, der nach den Auseinandersetzungen des Vier-Kaiser-Jahres (69 n. Chr.) Galba, Otho, Vitellius) die Macht erlangt; nicht senatorischer Herkunft; milit. Berater Neros - lex de imperio Vespasiani = Bronzetafel, die im 14. Jhdt. in der Lateranbasilika wiederentdeckt wurde; Tacitus datiert die Verabschiedung der lex auf das Jahr 69 n. Chr.; einziges überliefertes „Ermächtigungsgesetz“, das aber wahrscheinlich Vorbilder hatte. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 12 (2) Paraphrase Q 18 - Vespasian soll ermächtigt sein, Bündnisse zu schliessen, genauso wie seine Vorgänger, sich an Gesetze und Plebiszite nicht zu halten, wenn diese für seine Vorgänger nicht verpflichtend waren, die gesetzl. Ermächtigungen, die für seine Vorgänger galten, auch für sich selbst zu nutzen. - Alle Entscheidungen Vespasians VOR der Verabschiedung der lex de imperio gelten als vom Volk bzw. der Plebs genehmigt. Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 13 (3) Interpretation Fragen: - Welche Übereinstimmung besteht zwischen Vespasians Ermächtigungsgesetz und Augustus‘ Rechenschaftsbericht (Q 16)? - Welche Unterschiede sind hinsichtlich der Machtbegründung zu beobachten? Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 14 Vergleich Augustus – Vespasian: Übereinstimmungen : - formelle Ableitung (Bestätigung) der Macht des princeps durch Volk (bzw. Senat) - Heraushebung der Person des princeps (bei Augustus durch auctoritas, bei Vespasian durch tw. Herausnahme aus der Gesetzesgeltung) Unterschiede hinsichtl. Machtbegründung: - republikan. Verfassungsordnung (Q 16) vs. Vorgänger (Q 18) - Senatsbeschluss (Q 16) vs. Volksgesetz (Q 18) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 15 Bewertung Q 18: - Veränderung der Legitimation des princeps: statt persönlicher auctoritas, „Amts-auctoritas“ - Immer offener vorgetragener Allmachtsanspruch - Hauptproblem der neuen Staatsform: Nachfolgeregelung (Vorbildfunktion) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 16 Zusammenfassung: - Bedeutung des Prinzipats für die römische Rechtswissenschaft - Begründung des Prinzipats - Spätere Entwicklungen und Probleme (Nachfolge) Universität Zürich, RWI, Römische Rechtsgeschichte, Prof. Dr. iur. Ulrike Babusiaux Seite 17