Einleitung Die Auswirkung von Lehrerverhalten und

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Der Einfluss von Stereotypen, Erwartungen und Wahrnehmung auf
Schüler/innen im Übergangssystem
Einleitung
Schule ist ein komplexes Handlungsfeld, in dem sich Individuen mit unterschiedlichsten
Einstellungen und Lebensweisen bewegen und miteinander interagieren. Lehrer/innen haben
die Aufgabe, den Alltag in der Schule durch die Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen
Perspektiven zu reflektieren. Es ist daher wichtig, dass sie sich mit psychologischer
Grundlagentheorie beschäftigen. So können sie versuchen, sich der Realität durch
unterschiedliche Sicht- und Zugangsweisen zu nähern (Steins, 2014 II, 20). In berufsbildenden
Schulen ist die Vielfalt der Ausbildungsgänge und Abschlüsse sehr hoch. Ein Teil der
Schülerschaft wartet noch auf seine Chance für den Start in das Berufsleben und verbleibt im
Übergangssystem. Die unsichere, abwartende Lage der Jugendlichen und die negative
Konnotation des Begriffs führt zu Problemen, die mit Hilfe von psychologischer
Grundlagentheorie reflektiert werden können. Dazu werden in den ersten beiden Abschnitten
ausgewählte Theorien aus der pädagogischen Psychologie aufgeführt und im Anschluss daran
das Übergangssystem vorgestellt. Das abschließende Kapitel soll beide Bereiche miteinander
verbinden, um Lösungsansätze zu beschreiben.
Die Auswirkung von Lehrerverhalten und -erwartungen
auf Schüler/innen
ASBY und ROEBUCK fanden 1973 durch Studien heraus, dass die Haltung, mit der Lehrer/innen
ihren Schüler/innen begegnen, Einfluss auf deren Lernverhalten hat (vgl. ROGERS, 1984, 153
ff.). Ein personenzentriertes Verhalten, das von achtungsvoll-positiver Zugewandtheit,
Einfühlsamkeit und Aufrichtigkeit geprägt ist, führt ihren Ergebnissen zufolge zu größerem
Zuwachs in fachlichen und persönlichen Leistungen, einem generell höheren Niveau im
Denken und weniger Disziplinproblemen. Schüler/innen, die vorher vergleichsweise schlechte
Leistungen
zeigten,
konnten
diese
bei
Lehrer/innen
Verhaltensweisen verbessern (vgl. TAUSCH, 2008, 158).
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mit
achtungsvoll-positiven
Auch die Erwartungshaltung der Lehrer/innen an ihre Schüler/innen nimmt Einfluss auf deren
Verhalten. Der sogenannte Rosenthal-Effekt bewirkt, dass das Verhalten anderer Menschen
durch die eigenen Erwartungen und dem daraus resultierenden Verhalten gesteuert werden
kann (vgl. HATTIE, 2009, 121). Die Erwartungen, die Lehrer/innen an ihre Schüler/innen haben,
haben also Einfluss auf deren Verhalten. Diese Theorie unterstützen die Studien FRYS, der
belegen konnte, dass Lehrer/innen mit hohen Erwartungen und Kontrollen die besten
Leistungen bei ihren Schüler/innen erzielen konnten (vgl. 1982, 223). Die Erwartungen, die
Lehrer/innen an ihre Schüler/innen haben, bilden sich oft unbemerkt. Sie werden zum Beispiel
durch bestimmte Äußerungen der Schüler/innen, durch deren bisherige Leistungen oder das
Aussehen gebildet. Lehrer/innen bilden damit implizite Theorien über sie. Auch Schüler/innen
bilden Theorien über sich selbst. Diese werden durch die Erwartungen relevanter
Bezugspersonen, wie Lehrer/innen oder Mitschüler, an sie geprägt (vgl. STEINS, 2014 I, 41-42).
Die Selbstwahrnehmung ist damit nicht objektiv, sondern subjektiv und wird durch die
Feedbacks und Erwartungshaltungen von Außenstehenden gelenkt. Die Theorien, die
Jugendlichen so über sich selbst und ihre Mitmenschen aufstellen, sind der Ursprung
bestimmter Gefühle und Emotionen, die wiederum die Erwartungshaltung das Verhalten der
Außenstehenden beeinflussen, sodass ein Kreislauf gegenseitiger Beeinflussung entsteht (vgl.
STEINS, 2014 I, 19-20). Es ist Aufgabe der Lehrer/innen solche Vorgänge zu bemerken und mit
Hilfe ihres wissenschaftlichen Wissens unterstützend einzugreifen.
Heranwachsende werden in ihrer Entwicklung demnach am besten unterstützt, wenn ihre
Lehrer/innen ihnen mit einer freundlichen, unterstützenden und gleichzeitig anspruchsvollen
Haltung begegnen (vgl. STEINS, 2014 I, 41).
Die Wahrnehmung und Bewertung von Schüler/innen
und Klassen durch Lehrer/innen
Wenn Gruppen insgesamt beschrieben werden, so greifen meist Vorurteile und
undifferenzierte Theorien, die willkürlich gebildet werden und der Vielfalt der Realität nicht
entsprechen. So werden Gruppen beispielsweise auf ihre negativsten Vertreter/innen
reduziert und die Wahrnehmung der einzelnen Mitglieder durch eine solche Generalisierung
verfälscht. Solche Urteile wirken demotivierend auf Gruppenmitglieder. Es ist deshalb wichtig,
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die Mitglieder einer Gruppe, wie z.B. einer Klasse, als einzelne komplexe Individuen
wahrzunehmen (vgl. STEINS, 2014 I, 32-33).
Auch außerhalb von Gruppen ist es wichtig Personen differenziert und reflektiert
wahrzunehmen. Lehrer/innen müssen sich bewusst sein, dass ihre Wahrnehmung von
verschiedenen Prozessen gelenkt wird. ASH experimentiere 1955 mit der Beeinflussung von
Wahrnehmungsprozessen und fand heraus, dass unsere Wahrnehmung durch soziale
Prozesse
verzerrt
wird.
Auch
bestimmte
Informationen
beeinflussen
Wahrnehmungsprozesse, wie zum Beispiel solche über bisherige Noten von Schüler/innen.
Diese Prozesse sind verhaltenswirksam (vgl. STEINS, 2014 II, 84-85). Sie verändern, wie
Lehrer/innen sich den betreffenden Schüler/innen gegenüber Verhalten und was wir von
ihnen erwarten, deshalb sollten Lehrer/innen über diese Vorgänge Bescheid wissen und die
eigenen Wahrnehmung reflektieren.
Einen anderen Einfluss auf die eigene Wahrnehmung hat die Selektion. Lehrer/innen
selegieren die aufgenommenen Reize zu ihren Schüler/innen, weil sie nicht alle Reize
verarbeiten können. Die selegierten Reize werden dann durch Schlussfolgerungen
miteinander verknüpft, sodass ein eigener Eindruck von dem/der Schüler/innen entsteht.
Anhand welcher Merkmale selektiert wird, ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Selektion und Inferenz bewirken zusammen, dass bei Lehrer/innen Kategorisierungsprozesse
ablaufen und implizite Persönlichkeitstheorien gebildet werden, wenn sie ihre Schüler/innen
wahrnehmen und bewerten. Dabei können ganz bestimmte Effekte greifen, wie der HaloEffekt (die Wahrnehmung einer Eigenschaft beeinflusst die des gesamten Individuums, wie
z.B. schlechte sprachliche Fähigkeiten, die dazu führen das die Intelligenz einer Person als
niedrig eingestuft wird) oder der Primacy/Recency-Effekt (die ersten und letzten Eindrücke
über eine Person bleiben besonders stark im Gedächtnis). Lehrer/innen sollten sich dessen im
Klaren sein und ihre eigene Wahrnehmung dementsprechend bewusst reflektieren (vgl. STEINS
2014 I, 86-87).
Das Übergangssystem
In Deutschland fällt es den berufsbildenden Schulen zu, schulpflichtigen Schüler/innen
innerhalb des sogenannten Übergangssystems bestmöglich zu der Aufnahme einer
Ausbildung zu verhelfen oder ihre Voraussetzungen dafür zu verbessern.
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Das
Übergangssystem besteht aus unterschiedlichen, kaum zu überblickenden Maßnahmen
verschiedener Träger, wie der Berufsorientierung, der Berufseinstiegsbegleitung, der
gezielten Unterstützung bei der Ausbildungssuche, der Einstiegsqualifizierung, den
berufsvorbereitenden Maßnahmen, den Maßnahmen für noch nicht vermittelte Bewerber,
der Arbeit und Qualifizierung für noch nicht ausbildungsgeeignete Jugendliche, der
beschäftigungsbegleitenden Hilfen, der sozialen Betreuung zur Hinführung an Beschäftigungsund Qualifizierungsmaßnahmen und der Förderung lokaler und regionaler Projekte zur
Erhöhung des betrieblichen Lehrstellenangebots (vgl. MÜNCH, 2014, 102-103). 2012 befanden
sich etwa 270.000 Jugendliche in solchen Maßnahmen. Es handelt sich dabei zu einem großen
Teil um Jugendliche, die niedrige schulische Voraussetzungen haben und denen es dadurch
schwerfällt, einen Ausbildungsvertrag zu erhalten. Der größte Teil der Personen im
Übergangssystem sind Hauptschulabsolventen (52,9 %), 19,3 % haben gar keinen Abschluss.
Auch der Anteil an Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist vergleichsweise hoch (17 %)
(vgl. Berufsbildungsbericht, 2013, 28). Das Übergangssystem wird dazu genutzt, sich auf die
Ausbildungsreife vorzubereiten und durch einen Schulabschluss die eigenen Chancen zu
verbessern. Viele Jugendliche sehen es jedoch lediglich als Wartezeit an, um sich im Folgejahr
erneut auf eine Ausbildungsstelle bewerben zu können und nutzen die Zeit nicht für die
Verbesserung ihrer Chancen oder sind wenig motiviert dies zu tun (vgl. ADAMY, 2013, 263).
Der Umgang mit Schüler/innen des Übergangssystems vor dem Hintergrund
psychologischer Theorien
Die Lehrer/innen die innerhalb des Übergangssystems angestellt sind, haben die Aufgabe, die
Jugendlichen zu Mitarbeit zu motivieren, ihre Chancen auf einen Berufseinstieg zu verbessern
oder ihnen zu einem Schulabschluss zu verhelfen. Die unsichere Lage der Jugendlichen, die
nicht wissen, wie ihre Zukunft aussehen wird, ist eine große Belastung. In einer Gesellschaft,
in der die Karriere und finanzielle Erfolge hochgehalten werden, sind die Menschen, die dies
nicht erreichen von Ausgrenzung bedroht (vgl. PUHR, 2009, 85). Ist die Perspektive unklar, die
finanzielle Situation ungeklärt und es fehlt soziale Anerkennung, kann dies die
Selbstwahrnehmung negativ beeinflussen. Deshalb ist es wichtig, dass Lehrer/innen ihren
Schüler/innen mit personenzentriertem Verhalten begegnen. Beachtet man den RosenthalEffekt, so ist klar, dass Lehrer/innen die von ihren Schüler/innen im Übergangssystem nur
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schlechte Leistungen erwarten, somit keine guten Lernvoraussetzungen schaffen. Im
Gegensatz dazu, sollten sie ihre Ansprüche leicht über dem bereits beherrschten Niveau
ansetzen und ihre Erwartungshaltung gegenüber den Schüler/innen auch äußern, um die
bestmöglichen Leistungen zu erzielen. Außerdem sollten sich Lehrer/innen in der
Wahrnehmung der Schüler/innen in Klassen des Übergangssystems nicht auf undifferenzierte
Theorien stützen. Es darf nicht der Fehler gemacht werden, die Klassen als Gruppen
wahrzunehmen und somit Vorurteile in die Eindrücke einfließen zu lassen. Jede/r
Schüler/innen sollte als Individuum angesehen werden. Es könnte auch passieren, dass
ehemalige Lehrer/innen der Klasse aus dem Übergangssystem im Lehrerzimmer ihren
impliziten Persönlichkeitstheorien entsprechende negative Meinung zu den Schüler/innen
äußern. Der Eindruck den sich ein/e Lehrer/innen über einen Schüler/innen bildet, sollte
jedoch nicht auf soziale Prozesse oder externe Informationen bauen. Auch die Informationen
aus den Medien, wie solche, dass sich im Übergangssystem Jugendliche mit schlechter
schulischer Bildung und schwierigen sozialen Verhältnissen befinden, sollten die
Wahrnehmungsprozesse nicht verzerren. Die Lehrer/innen sollten auch hier freundlich
unterstützend auf die Schüler/innen zugehen und eine positive Erwartungshaltung
beibehalten.
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Literaturverzeichnis
ADAMY, W. (2013): Fast ein Drittel der Ausbildungswilligen im Übergangsbereich. In: Soziale
Sicherheit 8-9, S. 262-266
BUNDESMINISTERIUM
FÜR
BILDUNG
UND
FORSCHUNG (Hg.) (2013): Berufsbildungsbericht 2013.
Bonn/Berlin.
HATTIE, J. (2009):
Visible learning. A Synthesis of over 800 Meta-Analyses Relating to
Achievement. New York.
MÜNCH, J. (2014): Jugend ohne Arbeit. Eine unendliche Geschichte? Baltmannsweiler.
PUHR, K (2009): Inklusion und Exklusion im Kontext prekärer Ausbildungs- und
Arbeitsmarktchancen. Biografische Portraits. Wiesbaden.
ROGERS, C. (1984): Freiheit und Engagement. Personenzentriertes Lehren und Lernen.
München.
STEINS, G. (2014): Sozialpsychologie des Schulalltags. Grundlagen und Anwendungen. Band I.
Lengerich.
STEINS, G. (2014): Sozialpsychologie des Schulalltags. Im Klassenzimmer. Band II. Lengerich.
TAUSCH, R. (2008): Personenzentriertes Verhalten von Lehrern in Unterricht und Erziehung. In:
Schweer,
Martin
(Hg.):
Lehrer-Schuler-Interaktion.
Inhaltsfelder,
Forschungsperspektiven und methodische Zugänge. Wiesbaden. S. 155-176
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