Interview Frau F. – Diagnose Binge Eating

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Interview Frau F. – Diagnose Binge Eating
Stationäre Behandlung in der Klinik Wysshölzli während viereinhalb Monaten
1. Ab welchem Punkt wurde Ihnen
klar, dass sie ein Problem haben
und Hilfe benötigen?
Bereits vor längerer Zeit hatte ich
den Eindruck, mit Essen meine
Gefühle zu kompensieren. Ich
erhielt eine Jobabsage woraufhin
ich innerhalb von drei Wochen
acht Kilo zugenommen habe. Vor
sechs Monaten merkte ich, dass
ich mich bei der Arbeit nicht mehr
konzentrieren konnte, ständig
gereizt war. In dieser Zeit war ich
auch sehr dünnhäutig. Meine
Gedanken kreisten ständig um das
Abnehmen, das Essen und je mehr
ich versuchte streng mit mir zu
sein, desto massloser wurde ich
beim Essen und die Essanfälle
häuften sich bis zu einmal täglich,
was zu einer weiteren Gewichtszunahme von sieben Kilo führte.
Ich konnte diese Gedankenspirale
nicht unterbrechen. Eine Magenbypass Operation kam für mich
nicht in Frage, da ich eine
psychische Ursache für die Essanfälle vermutete. So entschied ich
mich für einen Klinikaufenthalt.
2. Was vermuten Sie als Ursache der
Störung? Welchen Sinn erfüllt die
Krankheit?
Ich habe das Gefühl, ich muss alles
richtig machen und darf mir keine
Fehler erlauben. Mit dem Essen
kann ich diese Kontrolle abgeben,
da ich damit nur mir selber schade
und niemand anderem. Essen
machte mich wenigstens kurzzeitig
glücklich. Essen ermöglichte mir,
unangenehme Gefühle zu
beseitigen.
3. Sie sind jetzt 11 Wochen in der
Klinik Wysshölzli, was für
Veränderungen (positive und
negative) stellen sie fest?
Ich habe abgenommen, was ich als
positiv erachte. Ich habe auch
mehr Kondition. Ich habe angefangen zu überlegen was ich will
und nicht was Andere von mir
erwarten. Das ist einerseits positiv,
weil ich mir selber auf einmal
wichtig bin, was mich immer noch
etwas befremdet. Andererseits
führt auch genau das zu Verunsicherung. Ich beginne gewisse
Dinge zu hinterfragen wie, „will ich
diesen Job den ich habe wirklich,
oder bin ich nur dort weil ich es mir
Klinik Wysshölzli, Waldrandweg 19, 3360 Herzogenbuchsee
Tel. 062 956 23 56, Fax 062 956 23 59, [email protected], www.wysshoelzli.ch, PC 49-141-1
gewohnt bin?“, „will und muss ich
immer diejenige in Beziehungen
sein, die alles gibt und nichts
erwartet?“. Ich bin mir bewusst
geworden, dass ich auf meine
eigenen Bedürfnisse achten und sie
äussern muss. Ich habe lange Zeit
keine Anforderungen gestellt oder
Wünsche geäussert aus Angst,
verlassen zu werden. Um dieses
Ungleichgewicht aufzuheben habe
ich gegessen, um meine Bedürfnisse selber zu stillen, wenigstens
für einen Moment. Dessen bin ich
mir bewusst geworden und will
dies nun ändern.
angestaut. Ich musste jetzt feststellen, dass diese Essanfälle ein
Teil von mir sind und nicht plötzlich
„weg sind“ nur weil ich aktuell
keine mehr habe. Mir wurde
bewusst, dass ich immer damit
Kämpfen werde, auch in Zukunft,
aber dass es leichter werden wird,
auf Essanfälle zu verzichten. Denn
dieses Mal merkte ich, „Wenn du
so weiter machst, weißt du wie es
endet“ und ich konnte einen
anderen Weg einschlagen.
Eine weitere Herausforderung ist,
sich dem allem zu stellen. Ich muss
und möchte mich aktiv mit dem
Bing-Eating auseinanderzusetzen,
um meine Muster zu erkennen und
Maßnahmen zu erlernen, die mir
helfen „glücklich“ zu werden ohne
dafür zu Essen. Dies ist mit vielen
Emotionen und zum Teil mit
Schmerz verbunden, aber es hilft!
4. Welche Erfahrungen konnten Sie
in dieser Zeit machen?
Die regelmässigen Mahlzeiten
essen zu müssen nimmt den Druck
und das schlechte Gewissen beim
Essen. Ich habe festgestellt, dass
ich alles essen darf und trotzdem
abnehme, was eine Erleichterung
für mich ist. Ich habe in der Zeit
wieder alte Dinge reaktiviert, die
ich aufgegeben hatte und mir jetzt
immer noch gut tun. Beispielsweise
Malen oder Schwimmen.
6. Welche Therapien unterstützen
sie am meisten?
Ich kann nicht sagen, welche
Therapie mich am meisten
unterstützt, denn ich erlebe die
verschiedenen Therapien als
Zusammenspiel miteinander,
welche im Ganzen sehr hilfreich
sind. Das Nordic Walking, das
Schwimmen und die achtsame
Körperwahrnehmung, haben mir
geholfen, wieder ein anderes
Bewusstsein meinem Körper
gegenüber zu gewinnen. Dies alles
hat bei mir auch viel ausgelöst, was
ich im Körper gespeichert hatte.
Die Kunsttherapie hilft mir wieder
kreativ zu sein und Gefühle auszu-
5. Was sind die grössten
Herausforderungen im Kampf
gegen die Krankheit?
Ich bin nun seit 11 Wochen hier im
Wysshölzli und hatte in dieser Zeit
keine Essanfälle mehr. Letztes
Wochenende kam ich zu meiner
bisher größten Herausforderung,
denn ich segelte knapp an einem
Essanfall vorbei. In den letzten 3
Wochen hat sich bei mir viel
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leben. Die Gespräche die sich mit
der Kunsttherapeutin ergeben
helfen mir auch, da ich dadurch
noch eine andere Sicht der Dinge
erhalte.
Dies und vieles mehr bespreche ich
dann in der Psychotherapie. Dies
hilft mir meine Gedanken zu
ordnen und mein Verhalten
aufzudecken, die mir vorher nicht
bewusst waren. So kann ich sie
dann ändern.
Auch die Gespräche mit der
Sozialarbeiterin helfen mir, mein
Leben zu Hause neu aufzugleisen.
Ich befürchtete auch, dass alles
was ich sage auf die Goldwaage
gelegt wird und in alles etwas
hineininterpretiert wird. Dies ist
auch nicht so.
8. Was hätten Sie sich zusätzlich
gewünscht?
Nichts, es ist gut so wie es war.
9. Was können Sie anderen
Betroffenen mit auf den Weg
geben?
Die Therapie ist anstrengend, reisst
alte Wunden auf, tut weh und ist
mit viel Gefühlschaos verbunden.
Ich hab mich auch manchmal
gefragt, ob es richtig war
herzukommen, da es so viel
aufwühlt. Heute weiss ich, es lohnt
sich!! Ich hab viel über mich
gelernt und beginne langsam mich
zu verstehen und Entscheidungen
für MICH zu treffen und dies ist ein
tolles Gefühl. Leider kann ich nicht
immer so denken, aber es kommt.
Also liebe Frauen, es wird sich
lohnen, wenn ihr bereit seid,
hinzusehen!!
7. Welche Ängste bezüglich des
Klinikaufenthaltes in der Klinik
Wysshölzli erwiesen sich als
unbegründet?
Dies ist mein erster Aufenthalt in
einer psychiatrischen Klinik und
der Einritt war mit vielen Ängsten
verbunden. Ich wusste nicht, wie
die Mitpatientinnen sind, ob es
schwierig sein wird, weil es auch
nicht übergewichtige Frauen hat.
Ich befürchtete, dass ein
Konkurrenzgefühl entsteht und
man wetteifert wer dünner ist.
Dies ist gottseidank nicht der Fall.
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