Über Nationen und Nationalismus

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Über Nationen und Nationalismus
Conan Fischer: „Ausserdem, darf ich ein paar freundliche Bemerkungen machen?
Das Vereinigte Königreich besteht aus 'Grossbritannien und Nordirland' (also nicht 'England').
Grossbritannien besteht aus England, Schottland und Wales - den sogenannten 'home nations'.“
Für die meisten Menschen ist Gemeinschaft als Grundwert, als Schlüsselelement des Glücks und als
Quelle materieller Vorteile von Bedeutung. Aber was spielt für die Gemeinschaftlichkeit die
wichtigste Rolle: Familie, Clan, Kommune, ethnische Gruppe, Religion, Beruf, Region, Nation oder
die Welt?
Worüber definieren Sie sich und Ihr Gemeinschaftsgefühl? Spielt die „Nation“ eine Rolle?
Einstein hat den Nationalismus mit den Masern verglichen, und in Europa ist es Mode geworden, die
Nation als überholt zu betrachten.
Von oben wird die Nation sowohl förmlich- durch den Machttransfer zu grösseren Einheiten wie der
Europäischen Union- infrage gestellt als auch kulturell durch die Herausbildung einer globalen Elite,
die sich über nationale Identitäten lustig macht.
Was fest steht: Die Parole „Nation“ wurde und wird ebenso als Parole der Befreiung wie als Parole
der Unterdrückung eingesetzt.
Nationale Identität wird in höchst unterschiedlichem Mass akzeptiert: stark und politisch neutral in
Frankreich, den Vereinigten Staaten, China und Skandinavien, von der extremen Rechten
vereinnahmt und tabuisiert in Deutschland und Grossbritannien
In Afrika wird die Schwäche der nationalen Identitäten gegenüber den Stammesidentitäten weithin
als Fluch betrachtet, den zu besiegen die Aufgabe einer guten Regierung ist.
In Belgien, gegenwärtig das Land, das am längsten ohne Regierung war, wurde nicht einmal versucht
eine gemeinsame Identität zu schaffen.
In Schottland bildet die nationale Identität einen offen geförderten Teil der Leitkultur, während das
englische Nationalgefühl eher untergründig wirkt: es sind weit weniger englische Fahnen zu sehen als
schottische. Schlüsselmomente im 20.Jahrhundert: das Ende des „Empire“, die Errichtung eines
eigenen Parlaments, die Gründung „nationaler“ Parteien wie der SNP und anderer nationaler
Institutionen.
Dazu ein Zitat von Conan Fischer: „Das schottische Nationalgefühl ist keineswegs neu. Schottland
(immer mit ihrer eigenen Banknoten, Gesetzgebung, Erziehungssystem, Religion und
Verwaltungssystem, sowie mit einer Reihe kulturellen Einrichtungen (z.B. National Library, National
Gallery, National Trust, nationale Sportmannschaften) hat sich immer als Nation verstanden. Was
sich geändert hat, ist die wachsende Meinung, dass schottische Interessen am besten von einem
schottischen statt einem britischen Parlament vertreten werden können“
Jedenfalls ist das Zusammenspiel von Staat und Nation ein riskantes Spiel: wenn es scheitert,
hinterlässt es meist eine Spur der Verwüstung. Tschechen und Slowaken haben sich in den neunziger
Jahren friedlich getrennt, im Unterschied zu Jugoslawien, wo das zu mehreren Kriegen führte. Wie es
um die Ukraine als Nationalstaat bestellt ist, wird sich zeigen.
Vorteile eines „Nationalgefühls“: das Gefühl einer gemeinsamen Identität stärkt die Fähigkeit zur
Kooperation. Ein gemeinsames Nationalgefühl ist nicht das einzige Mittel, um dies zu gewährleisten,
aber es ist besonders gut dafür geeignet.
Nationen sind bei Weitem die wichtigsten Institutionen für die Besteuerung. Nur wenn Menschen
auf dieser Ebene eine starke gemeinsame Identität besitzen, sind sie dazu bereit, Steuern für eine
Umverteilung zu zahlen.
Hier zeigen sich auch die Grenzen übernationaler Systeme: Probleme des Euro und die strikte
deutsche Ablehnung, Griechenland zu finanzieren, das Schweizer Misstrauen gegenüber Europa, das
Unbehagen der Schotten, Katalanen oder Wallonen Nationen zuzugehören, denen sie sich nicht –
oder nur teilweise- zugehörig fühlen
Technisch betrachtet können auf nationaler Ebene auch kollektive Anstrengungen am besten
unternommen werden: öffentliche Güter*, Motivierung von Arbeitern im öffentlichen Dienst,
Streitkräfte, Namensgebung verschiedener Institutionen (National Football Museum, National
Galleries ….)
Neue Entwicklung: wachsendes Widerstreben gegen die Verwendung der nationalen Identität als
Motivator, angesichts der Tatsache, dass Migranten häufig einen Grossteil der im öffentlichen Dienst
Beschäftigten stellen (wer serviert den Kaffee in den Schweizerischen Bundesbahnen?).
Was passiert mit Nationen und Nationalstaaten in einer zunehmend globalisierten Welt?
Wie gehen wir mit dem Thema Migration um?
Afrika als gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn Identität und kollektive Organisation nicht
zusammenpassen. Die Nationen wurden durch willkürliche Striche auf der Landkarte geschaffen,
während die Identitäten sich in Jahrtausenden herausgebildet haben. Nur eine Handvoll Länder hatte
Führer, denen es gelang, ein Gefühl der gemeinsamen Staatsbürgerschaft zu entwickeln (z.Bsp.
Tansania) In den meisten Ländern sind die Identitäten subnationaler Art.
Konsequenz: ein Standardmerkmal der afrikanischen politischen Ökonomie ist, dass jeder Clan die
Staatskasse als Allgemeingut betrachtet, die zum Nutzen des Clans geplündert werden kann. Es wird
als ethisch betrachtet, innerhalb des Clans zusammenzuarbeiten, um sie zu plündern, anstatt auf
nationaler Ebene zu kooperieren, um die Versorgung mit öffentlichen Gütern sicherzustellen.
Quellen:
Collier, Paul: Exodus. Warum wir Einwanderung neu regeln müssen. Siedler 2014.
Cicero 09/2014: Ein Gefühl von Geborgenheit. Artikel von Herfried Münkler
*Klassische Lehrbuchbeispiele für öffentliche Güter sind Frieden, Deiche, Leuchttürme oder Straßenbeleuchtung.
Ein neueres Beispiel, welches die Eigenschaften eines öffentlichen Gutes perfekt erfüllt, ist der Klimaschutz.
(Quelle: Wikipedia)
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