Sonntagsgottesdienst mit Taufe - Evang

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Predigt über Apg. 11,26: „In Antiochia nannte man die Jünger das
erste Mal Christen“ (Pius F. Helfenstein, Rorschach, 28. Mai 2017)
Liebe Gemeinde
Sie wissen was ich meine, wenn ich von Stallgeruch rede, oder? Wer täglich nach der Arbeit
im Fuchsschwanz, gleich hier gegenüber, sein Bierchen trinkt, hat einen anderen Stallgeruch
als der,…
der über Mittag jeweils unten in der Villa am See gediegen zu Mittag isst. - Das ist einfach so!
Unsere Vorlieben, wo wir aus- und eingehen, wo wir uns aufhalten, mit wem wir
Gemeinschaft pflegen, usw… all das färbt sich ab, prägt uns. Und so hat jede Person, jede
Familie, jeder Verein, jede Gemeinschaft, jeder Kanton… und eben auch jede Kirchgemeinde
ihren ganz spezifischen Stallgeruch oder wie ich auch sagen könnte: Charakter, Prägung,
Bewusstsein, Selbstverständnis. Ja, genau wie einzelne Personen haben auch lokale
Kirchgemeinden und christliche Gemeinschaften einen bestimmten Charakter,… der durch
ihre eigenen Erfahrungen und ihre Geschichte geformt wurde.
„In Antiochia nannte man die Jünger das erste Mal Christen“ So heisst es in Apg. 11,26 kurz und bündig. Und damit ist schon viel gesagt über den Stallgeruch der Kirche… wie er
ist, bzw. wie er sein sollte: „In Antiochia nannte man die Jünger das erste Mal Christen.“
Das heisst doch nichts anderes, als dass die Kirche dazu berufen ist, eine Gemeinschaft zu
sein, bei der die Menschen um sie herum den Charakter und das Wesen Jesu Christi erkennen
können. Wer den Namen Christi trägt, muss auch nach Christus schmecken, eben… Christi
Stallgeruch haben. - Was aber bedeutet das für die Praxis? Wie muss eine Gemeinde
aussehen, damit sie den Charakter Christi wiederspiegelt?
Von Bedeutung erscheint mir in diesem Zusammenhang die Bergpredigt Jesu im
Matthäusevangelium, in den Kapiteln 5-7 und dort speziell die ersten acht kurzen Sätze Jesu.
Programmatisch gibt Jesus dort zu verstehen, worum es wirklich geht beim Christsein, beim
Jüngersein. Sie sind eine wunderschöne und attraktive Beschreibung des Wesens der Christen
und beginnen jeweils mit einer Verheissung /mit einem Zuspruch: Selig!
So ermutigt uns Jesus. So möchte er uns kraftvoll zusprechen, was wir sind und was wir sein
sollen. Zuerst einmal geht es Jesus darum, unseren Charakter, unser Wesen zu formen. Und
dieser unser Charakter – er soll seinem Wesen, dem Charakter Jesu entsprechen. - So
jedenfalls verstehe ich diese ersten acht Sätze, die sogenannten Seligpreisungen.
Jesus – ER vereint alle diese Merkmale, die hier aufgezählt werden und wir… wir sollen sie
als seine Jünger, seine Truppe, seine Gemeinde übernehmen und IHM damit ähnlich werden.
Nun – ich kann und möchte jetzt nicht alle Seligpreisungen einzeln durchleuchten und
danach fragen, wie Jesus das konkret gemeint hat, mit unserer Verwandlung in sein Wesen.
Ich beginne einfach einmal vorne und überlasse es dann Ihnen zuhause, über die restlichen
Wesensmerkmale Jesu nachzudenken und wie wir sie als Christen hier in Rorschach und
Rorschacherberg konkret aneignen können.
„Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich!“ (Matthäus 5,3)
Dieses erste Kennzeichen ist für Matthäus meiner Ansicht nach das wichtigste: Geistlich arm!
Mir gefällt die folgende Uebersetzung am besten: „Glücklich sind, die wissen, dass sie Gott
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brauchen.“ Das ist weniger poetisch als das Original, aber es gibt den Sinn gut wieder. Jesus
sagt damit: Selig sind alle, die wissen, dass sie geistlich bedürftig und arm sind. Denn dann
wenden sie sich automatisch an die richtige Adresse!
Denken wir doch einmal kurz darüber nach – was meint Jesus damit? Er meint, wenn wir
wissen, dass wir Gott brauchen, dann sind wir wahrhaft selig. Und: Wenn wir unabhängig von
IHM sind /bzw. sein wollen… also voll und ganz von unserer eigenen Güte und Kraft
überzeugt sind, dann sind wir in ernsthaften Schwierigkeiten.
Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich nicht den Eindruck, dass viele Kirchen und
Kirchgemeinden in der Schweiz im Alltag leben und handeln, als wären sie geistlich arm und
von Gottes Gnade abhängig. Ich denke vielmehr, dass wir viel zu oft noch immer den
Eindruck vermitteln, dass wir aus uns heraus reich sind und nur sehr wenig von Gott
bedürfen. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber sehr oft ist in unseren Kirchgemeinden kaum
etwas davon zu spüren, dass wir eben letztlich geistlich arm und immer und überall von der
Gnade Gottes abhängig sind.
Bedingt durch unsere Geschichte ist unser Selbst-bewusstsein bezüglich unserer Wichtigkeit
und Rolle sehr gut ausgebildet – so sehr, dass wir meinen, wir kämen über weite Strecken
ohne Gott gut klar. In vielen unserer Besprechungen, Versammlungen, Entscheidungen ist
kein Platz für Jesus, weil wir glauben, wir könnten das alles ganz gut alleine regeln. Und eine
Studie deckt sogar auf, dass ein Pfarrer / eine Pfarrerin im Durchschnitt zwar 22 Stunden pro
Woche mit administrativer Arbeiten beschäftigt ist, aber gerade mal 38 Minuten pro Woche
betet. - Das zeugt nicht von geistlicher Armut, wie Jesus sie uns wünscht.
Demgegenüber steht aber die Tatsache, dass sich ein nicht geringer Teil der Bevölkerung
auch heute nach Spiritualität sehnt und danach sucht. Jedoch… welche Ironie! Kaum jemand
danach in der Kirche sucht. - Etwa deshalb, weil wir unserer Gesellschaft schon zu lange
vermitteln, dass es bei uns um alles geht, nur nicht um Gott?
„Selig sind, die da geistlich arm sind; denn ihrer ist das Himmelreich!“ – bzw. „Glücklich
sind, die wissen, dass sie Gott brauchen.“
Ich wünsche mir ein Bewusstsein, dafür, dass wir geistlich arm sind. Ich hoffe, dass wir uns
wieder vermehrt als zutiefst Bedürftige Gottes verstehen und dieses unser Bewusstsein sich
dann auch auswirkt im Alltag und in allen Lebensbereichen – sowohl privat als auch als
Kirche. Denn nur so sind und bleiben wir christlich, authentisch, attraktiv.
Der übernächste Satz Jesu hat es mir auch angetan. Dort heisst es in Matthäus 5,5: „Selig sind
die Sanftmütigen, denn sie werden das Erdreich besitzen.“
Dieser Satz stellt eine grosse Herausforderung dar für eine Kirche, die aufgrund ihrer
Geschichte dazu neigt, sich für den Nabel der Gesellschaft zu halten. In mancher Hinsicht
befinden wir uns zwar noch immer im Zentrum unserer Kultur und sollten wir uns auf diesem
Platz behutsam-bestimmt auch weiter behaupten. Aber die grosse Herausforderung unserer
Zeit bleibt bestehen – und die heisst: Sich an den Rand der Gesellschaft bewegen – als
Einzelne und als Gemeinde, und zwar freiwillig! ie Insignien der Macht und der Stärke
ablegen und dafür umso mehr den Charakterzug der Sanftmütigkeit Jesu anziehen.
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Sanftmütig werden!... in der Begegnung mit anderen Weltanschauungen, politischen und
religiösen Gemeinschaften! Einfach sanftmütig und bescheiden werden im Umgang mit
unserem wie auch immer gearteten Gegenüber. Und das alles im Wissen, dass Sanftmut keine
Charakterschwäche ist.
Treffend heisst es im Alten Testament von Moses, dass er sanftmütig war. Konkret heisst es
von ihm: „ Aber Mose war ein sehr demütiger Mensch, mehr als alle Menschen auf Erden.“
(4. Mose 12,3). Moses war sanftmütig, aber beim besten Willen nicht schwach!
Auch der Kirchenvater Augustinus wusste um die Kraft der Demut und Sanftmut. Augustinus
lebte zur Zeit des Untergangs des römischen Reiches und war als Bischof gefordert, die
christliche Kirche durch diese schwierige Zeit zu führen. Und: In der Demut erkannte er den
richtigen Weg für die Christen und die Kirche. Wiederholt wies er deshalb in seinen Predigten
auf den Weg der Demut hin:
„Der erste Schritt auf diesem Weg ist Demut, der zweite Demut und der dritte ebenfalls
Demut. Ganz gleich wie oft du mich fragen wirst: Meine Antwort wird dieselbe bleiben….
Wenn nicht Demut jedem unserer guten Werke vorausgeht und sie begleitet… neben uns…
hinter uns… dann wird der Stolz uns all unser gutes Tun entreissen, noch während wir uns
daran freuen.“ (Augustinus, Predigt 61,4)
Wir müssen uns zu einer Kirche entwickeln, die sanftmütig ist – denn wir sind die Kirche
Jesu Christi und Sanftmut war Teil seines Wesens. Ja, es lohnt sich als Kirche bei den
Seligpreisungen Jesu in die Schule zu gehen, sie sich zu Herzen zu nehmen, einzuverleiben
und damit Jesus ähnlicher zu werden.
Wo und wie aber findet eine christliche Gemeinschaft die Kraft dazu, über Generationen
hinweg geduldig an den Wesensmerkmalen Jesu zu arbeiten? Wo und wie finden Christen die
Ressourcen, die sie befähigen, in einer immer komplizierten Welt zu dienen und Jünger Jesu
zu sein,… als ‚Jesus Leute‘ zu leben?... ohne einerseits auszubrennen oder andererseits
korrupt/doppelbödig/doppelzüngig zu werden? – Woher kommt diese Energie?
Für mich entscheidend ist da unsere heutige Lesung – die Bildrede Jesu vom Weinstock und
der Rebe (Joh. 15)
Dort heisst es von Jesus: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und in
wem ich bleibe, der bringt reiche Frucht; denn getrennt von mir könnt ihr nichts vollbringen.
Wenn ihr in mir bleibt und wenn meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr
wollt: Ihr werdet es erhalten.“
Damit ist eigentlich schon alles gesagt. Und damit werden auch wir hier als Christen
wahrgenommen – wie schon damals in Antiochia:
„In Antiochia nannte man die Jünger das erste Mal Christen“. AMEN.
Predigt in Anlehnung an Gedanken von Steven Croft in: ‚Format Jesus. Unterwegs zu einer
neuen Kirche‘
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