Games4Health im Bereich der psychosozialen Gesundheitsförderung: Überblick und Wirkungen Prof. Dr. Peter Paulus & Dr. Kevin Dadaczynski Zentrum für Angewandte Gesundheitswissenschaften Leuphana Universität Lüneburg Spielend Gesundheit fördern? Chancen und Herausforderungen von Games4Health in der Gesundheitsförderung und Prävention Berlin, Armut & Gesundheit, 17. März 2016, 14:15-15:45 Positives Potenzial digitaler Spieleanwendungen • Vorbeugung psychischer bzw. psycho-sozialer Probleme • Förderung der psychischen Gesundheit der Spielenden • Geeignetes Medium, das systematisch in das Methodenrepertoire der Gesundheitsförderung und Prävention aufzunehmen ist. • Statt: • mögliche Schädigungen des Sozialverhaltens (Aggression, Gewalt), • Begünstigung von Abhängigkeiten • Emotional-motivationale Problematiken Zwei Aspekte • positiven Wirkungen von digitalen Spielen („Videospiele“) • digitalen Spielanwendungen, welche im Sinne der „Serious Games“ neben der Unterhaltung explizit die Förderung der psychischen bzw. psycho-sozialen Gesundheit der Spielenden beabsichtigen Positive Aspekte digitaler Spieleanwendungen • Aufbau komplexen spielbezogenen Wissens und entsprechender Fähigkeiten der Problembewältigung. Diese ermöglichen wiederum das Vorankommen im Spiel und erweitern die Fähigkeiten. • Erschließung sozialer Ressourcen. Mit Mitspielern wird gemeinsam an der Lösung von Herausforderungen gearbeitet. • Videospiele sind heutzutage komplexer, warten mit einer äußerst getreuen Abbildung der Realität auf und erfordern je nach Spiel das Zusammenwirken mit tausenden von Mitspielern Positive Wirkungen der digitalen Spieleanwendungen • Positive Wirkungen auf das Sozialverhalten (soziales Problemlösen und prosoziales Verhalten) • Positive kognitiv/intrapersonale Wirkungen (individueller Problemlösekompetenz und hiermit verbundenen Fähigkeiten, wie z. B. Ausdauer) • Positive Wirkungen auf Emotionen und Stimmung (emotionales Coping als adaptiv und Wohlbefinden steigernd) • Wirkungen hängen von verschiedenen Gestaltungsdimensionen ab: Inhalt, Spielkontext und -struktur, Spielintensität, Spielmechaniken Digitale Spielanwendungen der psychosozialen Gesundheitsförderung und Prävention: Beispiele Reach out Central • Der Spieler übernimmt die Rolle eines Jugendlichen, der kürzlich in eine neue Stadt gezogen ist. • Der Spieler hat die Aufgabe, sich sein neues Umfeld zu erschließen, Freundschaften zu schließen und bestehende Freundschaften zu erhalten. • Jede Entscheidung und jede Aktivität, die der Spieler unternimmt, hat einen Einfluss auf das Wohlbefinden. • Durch das Durchlaufen und Explorieren von realitätsnahen Szenarien sollen die Spieler erfahren, wie das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit positiv und negativ beeinflusst werden kann. • Der Transfer in den Alltag wird durch begleitende SMS Tipps unterstützt. Reach out Central - Evaluation (Shandley et al., 2010) • N= 266 jungen Erwachsenen (18 - 25 Jahre); vier Wochen Zugang zum Spiel. Prä-Post-Design, 2-monatige Nacherhebung • Frauen: Sowohl unmittelbar als auch zwei Monate nach der Intervention ließen sich bei den weiblichen TN signifikante Verbesserungen in den Bereichen Alkoholkonsum, Stressbewältigung, Angst und Depression, Resilienz, Lebenszufriedenheit und dem Hilfesuchverhalten feststellen • Männer: Effekte deutlich niedriger und in nahezu allen Bereichen nicht signifikant • Interpretation: • Die Autoren mutmaßen, dass sich männliche Spieler durch das Angebot weniger angesprochen fühlen • 22 männliche TN sind im Verlauf der Evaluation ausgestiegen • Weibliche TN spielten mit durchschnittlich 91 Minuten das Spiel deutlich länger als ihre männlichen Altersgenossen (69 Minuten). Digitale Spielanwendungen der psychosozialen Gesundheitsförderung und Prävention: Beispiele • Die meisten der hier vorgestellten sieben Anwendungen lassen sich der universellen Prävention zuordnen. • Ihre Spielmechaniken wie Punkte-, Badge- und/oder Levelsystems orientieren sich an verschiedenen Formen von Herausforderungen (Quests oder Challenges). • Diese Spielmechaniken sollen die dauerhafte Beteiligung der Zielgruppe am Spielgeschehen sicherstellen, die komplexen und zum Teil langwierigen Interventionsverläufe in wohldosierte Etappen strukturieren und Entwicklungsfortschritte sichtbar machen und belohnen. Digitale Spielanwendungen der psychosozialen Gesundheitsförderung und Prävention: Beispiele • Diese Anwendungen unterscheiden sich von traditionellen Printmedien • Sie sichern eine möglicherweise dauerhafte Erreichbarkeit ihrer Zielgruppen (insbesondere jener mit besonderer Risikolage) • Sie sind ein niedrigschwelliges Mittel, Personen mit bereits bestehenden psychosozialen Symptomen möglichst frühzeitig einer Intervention zuzuführen, noch bevor sich eine manifeste und therapiebedürftige Störung entwickelt. Einschätzung • Ob eine bessere Zielgruppenerreichung gegeben ist, ist eher wohlbegründete Hoffnung als empirisch abgesicherte Erkenntnis: • Bislang nur Wirksamkeitsnachweis, aber nicht, ob diese von der Zielgruppe im Vergleich zu traditionellen Interventionsformen auch besser und nachhaltiger angenommen wird. • Evaluationszeitraum mitunter recht kurz, womit die Stabilität der ermittelten Effekte unklar bleibt • Haben die im virtuellen Spielsetting erlernten Kompetenzen und Fähigkeiten in der wesentlich komplexeren Realität überhaupt Bestand? • Es ist noch zu prüfen, ob die bislang eher verhaltenspräventiv ausgerichteten Spielanwendungen auch im Bereich der Verhältnisprävention zum Einsatz kommen können Literatur • Dadaczynski, K. Paulus, P. & Schiemann, St. (2015). Psychosoziale Gesundheitsförderung durch digitale Spielanwendungen? Vom Widerspruch zur lohnenswerten Präventionsperspektive. In Dadaczynski, K.; Schiemann, St. & Paulus, P. (Hrsg.) Gesundheit spielend fördern. Potenziale und Herausforderungen von digitalen Spieleanwendungen für die Gesundheitsförderung und Prävention (S. 307-333) Weinheim: Juventa