Bezugssysteme von Gesundheit

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Bezugssysteme von
Gesundheit
1.1
Begriffserklärungen 3
1.2
Die Sicht der betroffenen Person 5
1.3
Die medizinische Perspektive 7
1.4
Die gesellschaftliche Perspektive 11
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Kapitel
Klinischer Fall 1
Ein Hilferuf
Jeder Suizidversuch sollte ernst genommen werden, unabhängig von der Art der Durchführung und dem Ausmaß der
Selbstschädigung.
Krankheit ist auch subjektiv
Dr. Taube glaubt nicht, dass Solveig H. wirklich unerträgliche Schmerzen hat. Da sein Wartezimmer voll
ist und er keine Zeit hat, sich länger mit der Patientin
zu beschäftigen, entschließt er sich, Solveig H. krankzuschreiben – aber nur für einen Tag. Er gibt ihr ein Rezept über Diclofenac, ein Schmerzmittel, und bestellt
sie für den übernächsten Tag wieder ein. Dann muss
er ein längeres Gespräch mit ihr führen und eine Entscheidung treffen, wie er weiter vorgeht. Möglich
wäre auch, dass Solveigs Beschwerden psychische Ursachen haben und sie diese psychischen Probleme
auf den Körper projiziert. Die Symptome haben häufig
Symbolcharakter. Eine Patientin mit Rückenschmerzen
könnte z. B. unter einer großen Belastung leiden und
das Gefühl haben, ihr werde „mehr aufgebürdet, als
sie tragen kann“.
Eine depressive Neurose
Anatomie, Pathologie, Chirurgie, Radiologie . .. – im
Medizinstudium lernt man (fast) alles über den
menschlichen Körper, die wichtigsten Krankheiten,
die richtige Diagnostik oder die aktuellen Therapien. Über die menschliche Psyche oder das soziale
Verhalten erfährt man nur wenig. Dabei ist es für
eine Ärztin oder einen Arzt wichtig, über das
Gesundheits- und Krankheitsverhalten Bescheid zu
wissen. Ebenso wichtig ist es, sich seiner eigenen
Rolle in der Arzt-Patient-Beziehung bewusst zu sein.
In der ersten Kasuistik stellen wir Ihnen die Patientin Solveig H. vor. Körperlich scheint sie gesund
zu sein, sie selbst fühlt sich jedoch krank. Aber
nicht jede subjektiv empfundene „Krankheit“ lässt
sich in medizinische Diagnoseschemata pressen.
Täuscht Solveig H. ihre Schmerzen vor – oder ist
sie tatsächlich krank?
Kerngesund oder krank?
„Was mache ich mit dieser Patientin?“ überlegt
Dr. Taube. Gerade eben hat ihm die 37-jährige Patientin ihre Probleme geschildert: unerträgliche Rückenschmerzen, die vor allem in den Brustkorb ausstrahlten
und ihr manchmal die Luft zum Atmen nähmen. Dr.
Taubes Fragen, wann die Schmerzen am schlimmsten
seien (zu einer bestimmten Tageszeit, bei gewissen Bewegungen, . ..?) oder wie sie die Schmerzen beschreiben würde (stechend, dumpf, . ..?), konnte Solveig H.
nicht beantworten. Auch Medikamente wolle sie
nicht nehmen, sie sei nur wegen einer Krankschreibung gekommen. Denn als Metzgereiverkäuferin
könne sie in ihrem Zustand ja nicht arbeiten. Dr.
Taube kann den Symptomen keine Krankheit zuordnen. Was also tun mit dieser Patientin?
Solveig H. erscheint nicht zum vereinbarten Termin.
Erst drei Wochen später erfährt Dr. Taube aus dem
Brief einer psychosomatischen Klinik, warum: Am Tag
nach dem ersten Besuch in seiner Praxis hat Solveig
H. einen Selbstmordversuch mit Schlafmitteln unternommen. Die Diagnose der psychosomatischen Klinik
lautet: Depressive Störung. Aus dem Brief geht hervor,
dass die Patientin in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen sei, sich von den Eltern nicht geliebt gefühlt
habe und sich ausgenutzt vorgekommen sei. Eine ähnliche Konstellation habe sich nun in der Metzgerei ergeben, wo sie mit einem älteren Metzgermeister und dessen Frau zusammen arbeitet. Dies habe vermutlich
zum Ausbruch der depressiven Störung geführt. Ursachen können frühkindliche Konflikte sein. Die Patientin
ist inzwischen in stabilem Zustand und konnte in die
ambulante Therapie bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten entlassen werden. Dr. Taube macht
sich Vorwürfe, dass er Solveig H. für eine Simulantin gehalten hat. Denn nun ist ihm klar, dass ihr Besuch in der
Praxis eine Art Hilferuf gewesen ist.
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Bezugssysteme von Gesundheit
und Krankheit
Angenommen ein Kommilitone erkrankt während
der Prüfungsvorbereitungszeit an einem grippalen
Infekt. Je nachdem ob man diesen Infekt nun aus der
Perspektive des Kommilitonen, des behandelnden
Arztes oder der Gesellschaft betrachtet, hat diese Erkrankung eine unterschiedliche Bedeutung.
Aus Sicht der betroffenen Person: Der Kommilitone
kann nicht mehr konzentriert an seinem Schreibtisch
lernen, sondern bleibt mit Halsschmerzen, Husten
und Fieber im Bett und fühlt sich krank. Das subjektive Sich-Krank-Fühlen wird im Englischen auch als
„illness“ bezeichnet.
Aus medizinischer Perspektive wird der Mitstudierende als krank bezeichnet, da die normalen physiologischen Vorgänge in seinem Körper beeinträchtigt
sind. Aufgabe des Arztes ist es, die Symptome seiner
Patienten richtig zu deuten und diese einer Krankheitskategorie in Form einer Diagnose zuzuordnen.
Die richtige Diagnose ist eine wichtige Voraussetzung
für eine erfolgreiche Behandlung. Krankheit im Sinne
eines medizinischen Befundes wird im Englischen
„disease“ genannt.
Die gesellschaftliche Sicht: Da seine Leistungsfähigkeit eingeschränkt ist, kann der Kommilitone sich
nicht mehr auf die Prüfung vorbereiten sowie seinem
Nebenjob im Krankhaus nachgehen. Unser Sozialversicherungssystem setzt hier an und leistet Hilfe: Er
wird vom Arzt behandelt und „krankgeschrieben“,
und seine Krankenversicherung übernimmt die Behandlungskosten. In diesem Zusammenhang wird
Krankheit als „sickness“ bezeichnet.
Bevor auf diese verschiedenen Bezugssysteme näher
eingegangen wird, soll zuerst erläutert werden, was
unter Gesundheit und Krankheit verstanden wird.
Außerdem werden weitere wichtige Grundbegriffe
erklärt.
1.1 Begriffserklärungen
Lerncoach
Von den folgenden Begriffen sind die Normbegriffe besonders wichtig. Sie sollten Sie sich
deshalb einprägen.
1.1.1 Der Überblick
In diesem Kapitel lernen Sie wichtige Begriffe rund
um das Thema Gesundheit und Krankheit kennen.
1.1.2 Die Definition von Gesundheit
Medizinische Definitionen von Gesundheit beschreiben diesen Zustand als Abwesenheit von Krankheit.
Eine Person gilt als gesund, wenn sie subjektiv keine
körperlichen, geistigen und seelischen Störungen
wahrnimmt oder wenn bei ihr keine pathologischen
(krankhaften) Veränderungen nachgewiesen werden
können.
Die WHO („World Health Organisation“) hingegen definiert die Gesundheit eines Menschen nicht negativ
als Abwesenheit von Krankheit, sondern positiv als
Vorhandensein vollkommenen Wohlergehens: Gesundheit ist „der Zustand völligen körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Wohlbefindens“. Da die
Gesundheitsdefinition der WHO einen Idealzustand
beschreibt, den wir nur in seltenen Fällen erreichen
können, wird sie auch als Idealnorm bezeichnet.
1.1.3 Die Definition von Krankheit und
die Normbegriffe
Eine Person wird aus medizinischer Sicht als „krank“
bezeichnet, wenn ihr Zustand von einer bestimmten
Norm, also einem bestimmten Richtwert, abweicht.
Solche Richtwerte müssen sich objektiv abbilden
lassen und können sich beispielsweise auf physiologische Parameter (wie z. B. Blutdruck) beziehen. Eine
Krankheitsdiagnose wird also immer in Zusammenhang mit bestimmten Vorstellungen darüber vergeben, was als normal anzusehen ist. Bei der Einschätzung des Zustandes eines Menschen können verschiedene Normen bzw. Bezugsmaßstäbe betrachtet
werden:
Statistische Norm: orientiert sich an tatsächlichen, statistischen Werten, also an Ist-Werten
(z. B. Mittelwert der Bevölkerung, Prozentangaben,
Häufigkeit etc. ). In diesem Zusammenhang kann
z. B. ein Wert als „normal“ angesehen werden,
wenn er häufig auftritt. Bsp.: Ein 75jähriger Patient
beklagt sich über Gelenkschmerzen. Wenn der
Arzt entgegnet, dass dies „normal“ bei alten Menschen sei und in diesem Alter häufig vorkomme,
hat er sich an der statistischen Norm orientiert.
Idealnorm: meint einen wünschenswerten SollWert, z. B. völlige Schmerzfreiheit, vollkommene
Gesundheit (Definition nach der WHO).
Funktionsnorm: bezieht sich auf eine ausreichende Funktionsfähigkeit (z. B. beruflich oder sozial). Bsp.: Als ein Kriterium bei der Diagnose einer
Angststörung ist zu prüfen, ob der Patient durch
seine Ängste in seinem Alltag eingeschränkt ist.
Therapeutische Norm: bezieht sich auf die therapeutische Bedeutung eines Normwertes. Kann beispielsweise das Risiko für Folgeerkrankungen ab
einem bestimmten Blutdruckwert gesenkt werden, gilt dieser Wert als therapeutische Norm.
1.1.4 Gesundheit und Krankheit als Dichotomie
vs. Kontinuum
Im klinischen Alltag ist häufig eine dichotome Betrachtungsweise von Krankheit erfordert. Dichotom
bedeutet zweipolig, also schwarz oder weiß, „krank“
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1 Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit Begriffserklärungen
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Begriffserklärungen 1 Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit
oder „gesund“. Die Sichtweise eines Kontinuums bildet die Realität jedoch besser ab als eine dichotome
Betrachtungsweise. Dabei nimmt man an, dass der
Zustand des Patienten am besten durch seine Position
auf einer Dimension zwischen den Polen „absolut
krank“ und „vollkommen gesund“ zu beschreiben ist.
Klinischer Bezug
Wenn auch die meisten Mediziner dem Verständnis
von Gesundheit und Krankheit als Kontinuum zustimmen, sind sie doch in ihrem medizinischen Alltag häufig zu einer dichotomen Klassifikation gezwungen. Dies
ist beispielsweise der Fall, wenn sie „krankschreiben“
oder für gesund befinden müssen (krank/gesund)
oder wenn sie anhand von Klassifikationsschemata
Diagnosen stellen (trifft zu/trifft nicht zu).
1.1.5 Wichtige Begriffe rund um die Krankheit
Die Ätiologie beschäftigt sich mit den Ursachen einer
Krankheit. Während der ätiologische Faktor eines
grippalen Infektes beispielsweise das Virus ist, spielen
bei der Entwicklung einer Depression immer mehrere
Faktoren eine Rolle (Multikausalität).
Die Pathogenese beschreibt die Entstehung und Entwicklung einer Krankheit. Auch hier weiß man wesentlich mehr über die Pathogenese von medizinischen als von psychischen Erkrankungen. Bei einem
grippalen Infekt gelangen die Viren beispielsweise in
den Nasopharynx, vermehren sich dort in den Epithelzellen und zerstören diese.
Störung. In der Psychologie wird häufig anstatt des
Begriffs „Krankheit“ die als neutraler bewertete Bezeichnung „Störung“ verwendet, da bei psychischen
Beeinträchtigungen – im Gegensatz zu vielen medizinischen Krankheitsbildern – die ätiologischen und
pathogenetischen Beziehungen nicht eindeutig nachgewiesen sind. Während ein Herzinfarkt, eine Minderperfusion des Herzmuskels, z. B. durch die Lumeneinengung eines versorgenden Gefäßes entsteht, lässt
sich bei einer Depression kein direktes morphologisches Korrelat finden. In der Regel spielt bei der Entstehung von psychischen Störungen eine Wechselwirkung biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren eine Rolle (biopsychosoziales Modell).
Risikofaktoren sind Faktoren, die die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer Erkrankung erhöhen.
Ein bekannter Risikofaktor für die Entwicklung einer
Depression ist z. B. der Verlust einer nahestehenden
Person oder des Arbeitsplatzes. Es erkranken jedoch
nicht alle Menschen in solch belastenden Situationen
an Depression. Dies kann unter anderem daran liegen,
dass diese Personen über günstige Persönlichkeitseigenschaften oder Unterstützung aus dem sozialen
Umfeld verfügen. Diese protektiven Faktoren ermöglichen es ihnen, die Situation zu bewältigen ohne zu
erkranken. Ein psychologischer Schutzfaktor ist z. B.
die Resilienz. Resilienz bedeutet „Widerstandsfähigkeit“ oder „Elastizität“ und hilft, mit ungünstigen Lebensbedingungen zurechtzukommen, ohne zu erkranken. Mehr dazu finden Sie ab S. 44.
Chronifizierung. Wenn eine Krankheit über einen bestimmten zeitlichen Rahmen hinaus bestehen bleibt
und somit von einem akuten Zustand in einen dauerhaften Zustand übergeht, spricht man von einer Chronifizierung der Erkrankung. Von einer chronischen
Depression oder einer chronischen Schmerzstörung
(S. 7) spricht man beispielsweise dann, wenn die
Symptome länger als sechs Monate bestehen bleiben.
Ein Rückfall oder Rezidiv meint das Wiederauftreten
von den Beschwerden (wie z. B. depressive Symptome
oder eine Krebserkrankung), obwohl sie bereits erfolgreich abgeheilt waren.
1.1.6 Spezielle epidemiologische Begriffe
Die Epidemiologie beschäftigt sich mit der Entstehung, Verbreitung, Bekämpfung und den sozialen Folgen von Krankheiten in einer Bevölkerung. Sie arbeitet mit Kennwerten, die spezielle Angaben zur Auftretenshäufigkeit einer Krankheit und dem Risiko eines
tödlichen Verlaufs machen. Diese Kennwerte sind
immer auf eine bestimmte Bevölkerung (Population)
bezogen:
Morbidität (morbus lat. Krankheit) ist die Häufigkeit
von Erkrankungsfällen in einer Bevölkerungsgruppe
über eine festgesetzte Zeit (i. d. R. ein Kalenderjahr).
Anders ausgedrückt: Es ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit einer Person bezogen auf eine bestimmte Population. Unterschieden wird dabei die
Inzidenz und Prävalenz.
Inzidenz bezeichnet den Anteil der Neuerkrankungen
bezüglich einer bestimmten Erkrankung innerhalb
einer Population bezogen auf einen bestimmten Zeitraum (z. B. letzter Monat). Wenn die Neuerkrankungen über einen längeren Zeitraum, z. B. ein Jahr (EinJahres-Inzidenz), erfasst und zusammengerechnet
werden, spricht man auch von kumulativer Inzidenz.
Merkhilfe: Die Inzidenz bezieht sich auf die Anzahl an
Neuerkrankungen!
Prävalenz ist die Gesamtanzahl der an einer Krankheit leidenden Personen im Verhältnis zur Gesamtpopulation zu einem bestimmten Zeitpunkt (Punktprävalenz) oder in einem bestimmten Zeitraum
(Periodenprävalenz; z. B. Ein-Jahres-Prävelenz oder
Lebenszeitprävalenz). Die Prävalenz wird durch Querschnittsstudien ermittelt (S. 159).
Die Letalität gibt die Anzahl an Personen an, die an
einer bestimmen Erkrankung versterben. Vereinfacht
ausgedrückt bezeichnet sie die „Tödlichkeit“ einer
Krankheit. Beachte: Die Letalität erlaubt keine Aussagen über die allgemeine Sterblichkeit der Gesamtbevölkerung. Das wird durch die Mortalität beschrieben.
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1 Bezugssysteme von Gesundheit und Krankheit Die Sicht der betroffenen Person
MERKE
Häufig verwechselt werden folgende Begriffe:
Die Morbidität beschreibt die Auftretenshäufigkeit einer Krankheit.
Die Letalität gibt die „Tödlichkeit“ einer Krankheit
an.
Die Mortalität ist die allgemeine Sterbeziffer
(Anzahl an Todesfällen in einer Bevölkerung unabhängig von der Todesursache; S. 128).
1.2 Die Sicht der betroffenen Person
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Lerncoach
Im Folgenden geht es um die subjektive (individuelle) Sicht von Gesundheit und Krankheit.
Achten Sie beim Lesen darauf, dass körperliche Veränderungen und die Ausbildung von
Symptomen individuell sehr unterschiedlich
sein können.
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Check-up
Wie definiert die WHO die Gesundheit?
Wiederholen Sie die verschiedenen Normbegriffe.
Was bedeuten die Begriffe Prävalenz und
Inzidenz?
Grenzen Sie die Begriffe Mortalität, Morbidität
und Letalität gegeneinander ab.
In diesem Kapitel erfahren Sie, welche Faktoren bei
der Einschätzung der im Rahmen von Gesundheit
und Krankheit beurteilten Lebensqualität eine Rolle
spielen. Es erklärt, was subjektive Krankheitstheorien sind und was man unter Symptomwahrnehmung
versteht. Es geht um Interozeption (Körperwahrnehmung) und um Situationen, bei denen die subjektive
Körperwahrnehmung von der objektiven Körperwahrnehmung abweichen.
1.2.2 Die Einschätzung des Wohlbefindens und
der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
Ob wir uns subjektiv als gesund einschätzen, machen
wir unter anderem daran fest, ob wir uns wohl fühlen
bzw. ob es irgendetwas gibt, was unserer Wohlbefinden einschränkt (z. B. Erkältungssymptome wie
Atembeschwerden und Kopfschmerzen).
Neben der erlebten Intensität der Symptome spielt bei
der Einschätzung unseres Gesundheitszustandes eine
Rolle, wie sehr wir durch die Beschwerden in unserer
Funktions- und Handlungsfähigkeit eingeschränkt
sind. Wenn der an einem grippalen Infekt erkrankte
Mitstudierende den Großteil der Zeit im Bett bleiben
muss und daher weder zur Arbeit gehen noch sich
konzentriert auf die wichtige Prüfung vorbereiten
kann, wird er sich eher als krank bezeichnen, als
wenn er den Alltag noch bewältigen könnte.
Krankheit und Schmerzen können unsere Lebensqualität deutlich einschränken. Die subjektiv wahrgenommene Lebensqualität einer kranken oder auch
gesunden Person wird mit den folgenden vier zentralen Komponenten erfasst:
(krankheitsbedingte) körperliche Beschwerden
(z. B. Schmerzen)
psychische Verfassung (z. B. depressive Verstimmung)
Funktionsfähigkeit im Alltag (z. B. Beweglichkeit)
Ausübung sozialer Rollen (z. B. Leistungsfähigkeit
im Beruf).
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1.2.1 Der Überblick
Wichtige soziodemographische Kennwerte wie z. B.
Mortalität, Geburtenziffer, Fertilität etc. werden ab
S. 128 besprochen.
Die krankheitsspezifische Sterbeziffer bezeichnet
die Anzahl der innerhalb eines Jahres an einer Krankheit Verstorbenen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung.
Damit Sie sich die Bedeutung der dargestellten Kennziffern besser veranschaulichen können, sollen einmal exemplarisch die ungefähren epidemiologischen
Kennwerte von Ebola und von Grippeerkrankungen
dargestellt werden.
Ebola: Die Letalität bei Erkrankungen am EbolaVirus ist extrem hoch (50-80 %). Die Prävalenzund Inzidenzrate war im Jahr 2008 dagegen vermutlich äußerst gering. Der letzte bekannte Ausbruch des Virus fand 2003 im Kongo statt. Die
krankheitsspezifische Sterbeziffer bezüglich des
Virus war demnach im Kongo im Jahr 2003 höher
als im Jahr 2004. Die Wahrscheinlichkeit in
Deutschland an diesem Virus zu erkranken geht
gegen 0 % (Morbidität).
Grippeerkrankungen: Die Letalität bei Grippeerkrankungen, d. h. Infektionen mit dem InfluenzaVirus, ist dagegen vergleichsweise niedrig. Die Prävalenz im Jahr 2008 jedoch vergleichsweise sehr
hoch. Influenza tritt saisonal auf mit der höchsten
Inzidenzrate in den Wintermonaten. Die Wahrscheinlichkeit in Deutschland an einer Grippe zu
erkranken (Morbidität) ist relativ hoch.
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