Zellen im Standby-Modus - Max-Planck

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Jahrbuch 2016/2017 | Alberti, Simon; Munder, Matthias Christoph | Zellen im Standby-Modus - W ie Zellen
erstarren und damit dem Hungertod entrinnen
Zellen im Standby-Modus - Wie Zellen erstarren und damit dem
Hungertod entrinnen
Cells in stand-by mode - How cells escape starvation by solidifying
Alberti, Simon; Munder, Matthias Christoph
Max-Planck-Institut für molekulare Zellbiologie und Genetik, Dresden
Korrespondierender Autor
E-Mail: [email protected]
Zusammenfassung
Bekommen Zellen nicht ausreichend Nahrung, sinkt ihr Energielevel. Dies führt zu einem Abfall des pH-Wertes
im Inneren der Zelle, dem flüssigen Zytoplasma – die Zellen w erden sauer. Als Reaktion darauf verfallen sie in
eine Art Schlafzustand, der ihnen in Notsituationen das Überleben sichern kann. W ie genau die Zellen diesen
Standby-Modus anschalten, haben Dresdner Forscher nun herausgefunden: Das Zytoplasma verändert seine
Konsistenz von flüssig zu fest, vermutlich um die empfindlichen makromolekularen Strukturen im Zellinneren zu
schützen.
Summary
W hen cells do not get enough nutrients, their energy level drops. This leads to a decrease of the pH value of
the liquid interior of the cell, the cytoplasm – the cells acidify. In response, the cells enter into a kind of standby mode, enabling them to survive. How cells sw itch on and off this stand-by mode is unknow n. The MaxPlanck researchers might have found the answ er: The cytoplasm of the seemingly dead cells changes its
consistency from liquid to solid, thereby protecting the sensitive structures in the cellular interior.
Einleitung
Viele w ichtige biochemische Reaktionen der Zelle finden im flüssigen Inneren der Zelle - dem Zytoplasma statt. Dennoch w issen w ir immer noch sehr w enig über die Organisation des Zytoplasmas. Die Dresdner
Forschungsgruppe w ill molekulare Prinzipien verstehen, die der Organisation des Zytoplasmas zugrunde
liegen. Der Fokus der Gruppe liegt insbesondere darauf, w ie sich Zellen auf Stress und Störungen aus ihrer
Umw elt einstellen. Bei Stress verändern sich Zellen auf vielen Ebenen, etw a in ihrer Physiologie, dem
Stoffw echsel und der Architektur. Dazu w ird das Zytoplasma neu organisiert und es w erden Kompartimente
gebildet, die nicht von einer Membran umgeben sind. Die Fähigkeit, solche Kompartimente zu bilden, nimmt mit
zunehmendem
Lebensalter
ab.
Da
die
dazu
benötigten
Proteine
auch
mit
neurodegenerativen
Alterserkrankungen in Verbindung gebracht w erden, könnte ein besseres Verständnis des Aufbaus des
Zytoplasmas ein Ansatz für Therapien für diese Krankheiten sein - und ein w eiterer Schritt dahin, das Rätsel
des Alterns zu entschlüsseln.
© 2017 Max-Planck-Gesellschaft
w w w .mpg.de
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A bb.1: Norm a le rwe ise sind He fe ze lle n stä bche nförm ig (obe n).
Entfe rne n W isse nscha ftle r je doch die Ze llwa nd, ve rlie re n die
He fe n ihre Sta bilitä t und we rde n k uge lförm ig (unte n link s). Im
Schla fzusta nd (obe n re chts) ha t de r Ve rlust de r Ze llwa nd
k e ine sichtba re n Folge n: Die Ze lle n ble ibe n stä bche nförm ig
(unte n re chts).
© Ma x -P la nck -Institut für m ole k ula re Ze llbiologie und
Ge ne tik /Munde r
Im Normalzustand sind Zellen quicklebendig und hochdynamisch: In ihrem Inneren, dem flüssigen Zytoplasma,
laufen parallel unzählige Stoffw echselprozesse ab, Proteine und Partikel w useln w ild umher. Um diesen
Zustand aufrecht zu erhalten, benötigt die Zelle ständig Energie. Typischerw eise leben Organismen aber in
unbeständigen Umgebungen und sind Einflüssen ausgesetzt, die nicht optimal für ihr Wachstum und ihre
Vermehrung sind. Unter solch ungünstigen Bedingungen können Zellen in eine Art Schlafzustand – oder
Dormanz – übergehen, w enn sie zum Beispiel mit Nahrungsmangel konfrontiert w erden. In diesem Zustand
fahren Zellen ihren Stoffw echsel stark herunter und setzen Wachstum und Zellteilung aus. Das Zytoplasma
w ird dann umstrukturiert, so sinkt zum Beispiel der Wassergehalt der Zelle drastisch. Oft w ird das gesamte
Wachstumsprogramm der Zelle heruntergefahren, und spezialisierte Zelltypen, w ie Sporen, Samen oder
Zysten bilden sich aus. Diese können dann lange Zeit Hunger, niedrige Temperaturen oder gar Austrocknung
überstehen.
In extremen Fällen sind solche Zellen kaum oder gar nicht mehr von toten Zellen zu
unterscheiden – und doch sind sie in der Lage in den Normalzustand zurückzukehren, w enn sich die
Bedingungen in ihrer Umgebung verbessert haben.
Von Flüssig zu Fest zu Flüssig
Die Max-Planck-Forscher w ollten genauer verstehen, w ie Zellen ihr Zytoplasma strukturieren und regulieren,
um den Standby-Modus ein- und w ieder ausschalten können. Dazu arbeiteten sie mit der Bäckerhefe
(Saccharomyces cerevisiae), einem pilzlichen Einzeller, und ließen die Hefezellen zunächst hungern. Ihre
Beobachtung: der pH-Wert der Zelle sinkt, das Zytoplasma w ird saurer als im Normalzustand und es verliert
seine Dynamik. Die Zellorganellen und Partikel w erden in ihrer Bew egung gebremst. Der niedrige pH-Wert der
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Zelle bew irkt, dass viele Proteine große, mikroskopisch sichtbare Strukturen oder Filamente bilden. Gleichzeitig
verliert die Zelle Wasser und w ird merklich kleiner. Dadurch verändert das Zytoplasma seine Konsistenz – der
Aggregatzustand ändert sich zunehmend von flüssig zu fest – und die Zelle verfällt in einen Schlafzustand. Im
Schlafzustand w erden die Zellen vor den schädlichen Ausw irkungen des Energiemangels geschützt. Momentan
ist noch nicht bekannt, w arum diese Prozesse des Schlafzustandes so schützend w irken. Die Forscher
vermuten eine Kombination verschiedener W irkungen, w ie das Einsparen von Energie oder der Schutz der
makromolekularen Strukturen.
Faszinierenderw eise können dormante Zellen diese Reaktion auch w ieder rückgängig machen. Das ist möglich,
w eil die Proteine bei der pH-Wert abhängigen Gruppierung in größere Formationen ihre ursprüngliche Struktur
behalten und nicht denaturieren. Ihre Gruppierung kann w ieder aufgelöst w erden, w enn w ieder ausreichend
Nahrung zur Verfügung steht. Dann steigt der pH-Wert, das Zytoplasma w ird w ieder flüssig und die Zellen
setzen Wachstum und Zellteilung fort. Die zeigen, dass der Zustand des Zytoplasmas für das An- und
Ausschalten des Standby-Modus entscheidend ist: Zellen scheinen über einen Kontrollmechanismus zu
verfügen, mit dem sie ihre eigene Konsistenz in Reaktion auf bestimmte Umw eltbedingungen regulieren
können, um das Überleben zu sichern. Der Tod lässt sich also „austricksen“, indem sämtliche Lebensprozesse
auf kontrollierte Art und W eise heruntergefahren w erden.
Die Forscher bedienten sich mehrerer Methoden, um den Standby-Modus w eiter zu erforschen: So maßen sie
die Dynamik in Hefezellen und verglichen die Mobilität verschiedener Zellorganellen in schlafenden und sich
teilenden Zellen. Dazu w erden zellfremde Partikel in die Zelle eingebracht, die besser geeignet w aren als
zelleigene, die nur begrenzt verw ertbare Informationen zu ihrer Bew egung innerhalb der Zelle liefern. Um die
mechanische Stabilität der Zellen im Schlafzustand zu messen, w enn der pH-Wert niedrig und die Zelle kleiner
und fester ist, w urde die Zellw and der Hefezellen entfernt. Mittels der Atomic Force Mikroskopie konnte gezeigt
w erden, dass
die
sauren
Zellen
etw a
2,5-mal steifer
w aren
als
die
Kontrollzellen. Die
Forscher
schlussfolgerten, dass diese Stabilität zum Teil durch die Bildung von makromolekularer Strukturen erreicht
w ird. Das Ziel zukünftiger Studien ist es, diejenigen molekularen Mechanismen und physikalischen Ursachen zu
erforschen, w elche die Bildung eines festen Zytoplasmas begünstigen. Ob auch menschliche Zellen diesen
„Trick“ erlernen können, w ird sich in den kommenden Jahren zeigen.
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