8 Fehlbildungen und Deformitäten kung mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Stillstand kommen. Im Gegensatz zur kindlichen Tibia vara soll bei der TVA die Belastungsachse nicht überkorrigiert werden. Die meist ausgeprägte Adipositas erschwert die Behandlung sehr und erhöht die Operationsrisiken. Um diese Risiken zu vermeiden, sollte daran gedacht werden, eine laterale Hemiepiphyseodese durchzuführen. Die perkutane Hemiepiphyseodese nach Canale als minimalinvasiver Eingriff hat sich bei uns sehr bewährt, wenn auch bei diesen meist sehr adipösen Patienten die Risiken nicht unterschätzt werden dürfen. Im Laufe der Zeit wird in ca. 50% der Fälle die Tibia nach einer Hemiepiphyseodese wieder ausreichend gerade. In den anderen Fällen muss doch noch die risikoreiche Korrekturosteotomie erfolgen. Die externe Fixation hat zwar den Vorteil der möglichen Feinanpassung an die gewünschte Belastungsachse, ist jedoch bei starker Adipositas komplizierter und risikoreicher als bei schlanken Kindern. 8.2 Komplikationen Bedingt durch die Adipositas erhöht sich das Operationsrisiko beispielsweise auch hinsichtlich der Thrombosegefahr, außerdem steigt die Infektionsgefahr. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass bei radiologisch idealer Belastungsachse die Patienten nicht mehr normal gehen können, da die Oberschenkel nicht mehr ausreichend aneinander vorbeigeführt werden können. Ergebnisse Wenn auch im Allgemeinen im Gegensatz zur Tibia vara infantum durch eine Korrekturosteotomie die Voraussetzungen für eine Heilung geschaffen werden können, so erschwert das Körpergewicht und die sehr häufige Indolenz dieser Patienten die Behandlung. Nicht selten reicht, wie bereits erwähnt, die Hemiepiphyseodese nicht aus, so dass doch noch osteotomiert werden muss. Shimode u. Mitarb. (2003) verwendeten erfolgreich einen Fixateur bei einem beidseitig betroffenen Mädchen, bei dem die Besonderheit bestand, dass die Erkrankung zwar beidseitig, jedoch in zeitlichem Abstand von 18 Monaten auftrat. Angeborene Kniegelenkluxation Definition Es handelt sich um eine seltene angeborene Fehlbildung, bei der der Unterschenkel gegenüber dem Femur disloziert ist. Es liegt eine Überstreckkontraktur des Kniegelenks vor. Ätiologie und Pathogenese Die Häufigkeit beträgt ca. 1 : 1000 Geburten. Die Veränderung wird spätestens bei der Geburt, heute auch zunehmend pränatal durch Ultraschall diagnostiziert. Die Ursache der angeborenen Kniegelenkluxation ist nicht eindeutig. Offensichtlich hängt sie häufig mit einer Lageanomalie in utero zusammen. Es scheint sich nicht um eine genetische Veränderung zu handeln. Ob die in aller Regel vorhandene Fibrose und die Verkürzung des M. quadriceps ätiologisch eine Rolle spielen oder möglicherweise eine Folge der Luxation sind, kann nicht eindeutig beurteilt werden. Fehlende Kreuzbänder können ebenfalls bei der angeborenen Knieluxation auftreten. Nicht selten ist die angeborene Knieluxation mit einem Klumpfuß oder einer Hüftdysplasie, bis hin zur Hüftluxation verbunden. Diagnostik Klinische Diagnostik Nach der Geburt zeigt sich die mehr oder weniger stark ausgeprägte Hyperextensionskontraktur bzw. die Luxation des Kniegelenks. Das Kniegelenk ist teilweise sehr stark überstreckt. Es ist meistens etwas beweglich, jedoch kann initial keine Beugung erreicht werden. Relativ häufig sieht man die angeborene Kniegelenkluxation bei neurologischen Erkrankungen (Arthrogrypose, Myelodysplasie, Ehlers-Danlos-Syndrom). Immer muss daran gedacht werden, dass eventuell eine Hüfterkrankung bis hin zur Hüftluxation vorliegt. Leveuf u. Pais (1947) unterscheiden 3 Gruppen, wobei nur die Gruppe 3 eine komplette Luxation darstellt. Beim Grad 1 liegt eine schwere Rekurvationsfehlhaltung des Kniegelenks, beim Grad 2 eine Subluxation der Tibia über das Femur und erst beim Typ 3 eine tatsächliche Dislokation vor. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 164 Bildgebende Diagnostik Die Diagnose ist radiologisch nur schwer zu stellen, am ehesten wenn die Knochenkerne am Kniegelenk bereits angelegt und eindeutig beurteilbar sind. Nur bei der tatsächlichen Dislokation wird in der seitlichen Aufnahme eine Linie, die durch die Diaphyse der Tibia und den Knochenkern der Tibiaepiphyse gezogen wird, sich nicht mit dem Knochenkern der Femurepiphyse schneiden. Sicherer und heute auch Standard ist die sonographische Diagnostik, da hierbei eindeutig zwischen einer Luxation und einer reinen Rekurvation oder Subluxation unterschieden werden kann (Parsch 2002) (Abb. 8.3 und 8.4). Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus C.J.Wirth, L. Zichner, D. Kohn: Orthopädie u. Orthop. Chirurgie (ISBN 3-13-126231-1) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2005 8.2 Angeborene Kniegelenkluxation 165 Differenzialdiagnose Überstrecktes Knie ohne Subluxation, Subluxation der Tibia gegenüber dem Femur (Parsch 2002). Therapie Konservative Therapie Abb. 8.4 Kleinkind (9 Monate) mit konservativ behandelter Knieluxation. Eine Beugung ist bis 30° möglich. Das NMR zeigt die Ventralverlagerung der Tibia in Relation zum Femur. Operative Therapie Wenn die konservativen Maßnahmen versagen oder keine ausreichende Verbesserung erzielt werden kann, muss eine Operation erwogen werden. Im Allgemeinen sollte früh operiert werden, d. h. wenn sich abzeichnet, dass mit der konservativen Behandlung kein weiterer Erfolg mehr zu erreichen ist (Ferris u. Aichroth 1987). Meistens müssen bei der Operation der M. quadriceps verlängert sowie Verklebungen und bindegewebige Kontrakturen gelöst werden. Nachbehandlung Im Allgemeinen wird das Kniegelenk nicht gleich ausreichend gebeugt werde können. Die Nachbehandlung besteht in diesen Fällen darin, das Bein über wechselnde Gipse in eine zunehmende Beugung zu bringen. Das angestrebte Ziel ist eine Beugung von 105°, da bei diesem Grad der Kniegelenkbeugung Aktivitäten des täglichen Lebens nahezu uneingeschränkt möglich sind. Bei der postoperativen Nachbehandlung muss darauf geachtet werden, dass insbesondere bei einer neurologischen Grunderkrankung (Spina bifida, Arthrogrypose) nicht zu forciert die Beugung beübt wird, weil dadurch die Streckung verloren gehen kann. Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. Die kongenitale Knieluxation ist zuerst eine Domäne der konservativen Behandlung (Haga u. Mitarb. 1997, Bhatia u. Mitarb. 1998). Bei einer tatsächlich vorliegenden Dislokation muss versucht werden, die Tibia nach distal zu bringen. Dabei darf zu Beginn das Kniegelenk nicht gebeugt werden. Mit der Beugung darf erst begonnen werden, wenn sich das Schienbeinplateau in einer anatomisch korrekten Stellung vor den Femurkondylen befindet. Bei einer vollständigen Dislokation wird in vielen Fällen konservativ zumindest zu Beginn ein Erfolg erreicht werden können. Im Falle einer Rekurvation bestehen sogar sehr gute Chancen, eine ausreichende Besserung zu erzielen. Es ist sinnvoll, die Behandlung am Anfang durch eine Immobilisierung zu unterstützen, wobei versucht wird, nach der physiotherapeutischen Behandlung die nunmehr erreichte Stellung in einer Gipsschiene zu halten. Kunststofforthesen sind bei sehr kleinen Kindern nicht sinnvoll, da sie häufig gewechselt werden müssen und der Aufwand und die Kosten in keinem Verhältnis zur gewünschten Tragedauer und zum Behandlungserfolg stehen. Muss die Hüfte wegen einer Dysplasie oder Luxation mitbehandelt werden, ist die Behandlung schwieriger. Kann das Knie bereits gebeugt werden, wird eine Pawlik-Bandage gute Dienste tun. In den anderen Fällen wird beispielsweise die Hüfte mittels einer Pawlik-Bandage behandelt und zusätzlich versucht, das betroffene Kniegelenk mit einer Gipsschale in eine bessere Stellung zu bringen. Komplikationen Abb. 8.3 Vollständige Knieluxation bei einem 3 Wochen alten Neugeborenen. Das Ultraschallbild (Längsschnitt) zeigt die vor dem Femur stehende Tibia. P Patella FE Femurepiphyse TE Tibiaepiphyse TM Tibiametaphyse Komplikationen der Behandlung bestehen in erster Linie darin, dass bei der konservativen Behandlung das Kniegelenk entweder zu früh in Beugung gebracht wird, d. h. bevor das proximale Tibiaende distal des Femurs steht, oder die Beugung erfolgt derartig forciert, dass es zu einer langsamen und meist nicht schmerzhaften Epiphysendistraktion im Sinne einer Hemiepiphyseolyse am proximalen Unterschenkelende kommt. Diese kann in einer starken Antekurvation des proximalen Unterschenkelendes resultieren, die einen Scheinerfolg vorgibt. In einer Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus C.J.Wirth, L. Zichner, D. Kohn: Orthopädie u. Orthop. Chirurgie (ISBN 3-13-126231-1) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2005 8 Fehlbildungen und Deformitäten seitlichen Röntgenaufnahme kann festgestellt werden, ob die Korrektur im Kniegelenk oder fehlerhaft im proximalen Unterschenkelende erfolgt ist. Ergebnisse nisse mit einer Beugefähigkeit von 120° gefunden. Bei den Fällen, die operiert werden mussten, fanden sich ebenfalls in der überwiegenden Zahl gute Ergebnisse. Ferris u. Aichroth (1987) haben ebenfalls gute Ergebnisse beobachtet und warnen vor einer Durchtrennung des vorderen Kreuzbandes und der Sehne des M. quadriceps. Bensahel u. Mitarb. (1989) haben bei konservativer Behandlung im Rahmen einer Multicenterstudie gute Ergeb- 8.3 Kniegelenkschnappen Synonyme Kongenitale Kniesubluxation, kongenitale tibiofemorale Subluxation. Die betroffenen Kinder versuchen entweder die Streckung oder die Beugung zu vermeiden, laufen also mit gestrecktem oder gebeugtem Kniegelenk, wobei sie das betroffene Kniegelenk nicht normal bewegen. Seltene, meist harmlose Erkrankung, bei der eine Subluxation des Kniegelenks in endgradiger Streckung auftritt. Bildgebende Diagnostik Im Röntgenbild kann gelegentlich eine Subluxation der Tibia nach ventral festgestellt werden, wobei sich diese bei kleinen Kindern nur sehr schwer nachweisen lässt. Ätiologie Differenzialdiagnose Angeborene Erkrankung, die meistens mit einer auch klinisch nachweisbaren Bandinstabilität einhergeht. Scheibenmeniskus, Anomalie der Bänder. Definition Therapie Pathogenese Konservative Therapie Durch die unzureichende Bandführung wird das Knie bei Bewegungen nicht ausreichend stabil geführt. Der Schienbeinkopf tritt gegenüber der Norm bei endgradiger Streckung nach ventral. Dadurch treten Schmerzen und eine reflektorische Bewegungshemmung auf. Ob das vordere Kreuzband regulär angelegt oder elongiert ist, wird kontrovers diskutiert. Sind die Kinder beschwerdefrei, ist keine besondere Behandlung notwendig. Bei Beschwerden sollte erst versucht werden, durch Krankengymnastik das Muskelspiel um das Kniegelenk herum zu optimieren. Manche Kinder neigen dazu, das Schnappen willkürlich zu provozieren. In diesen Fällen ist eine Therapie hochgradig erschwert (Beals 1978). Epidemiologie Operative Therapie Wenn das Schnappen des Knies isoliert auftritt und weiterreichende pathologische Veränderungen nicht festgestellt werden können, handelt es sich um ein extrem seltenes Phänomen. Diagnostik Klinische Diagnostik Auffälligster Befund ist ein Knieschnappen. Das Subluxationsphänomen kann oft sowohl akustisch vernommen als auch optisch durch ein Klicken im Gelenk bei der Untersuchung nachgewiesen werden. Der Unterschenkel springt bei endgradiger Überstreckung um wenige Millimeter nach ventral. Bei der Beugung schnappt das Gelenk wieder in die physiologische Stellung zurück. Die Überprüfung der Bandsituation zeigt häufig eine vergrößerte vordere Schublade. Nur wenige Arbeiten beschäftigen sich mit diesem Problem (Beals 1978, Curtis u. Fisher 1970, Ferris u. Jackson 1990, Hejgaard u. Kjaerulff 1987). Je nach Befund kommt eine Bandstabilisierung in Frage. Bei unseren Patienten haben wir bisher keine Indikation zur Operation gesehen. Gänzlich anders muss verfahren werden, wenn eine übergeordnete Erkrankung, beispielsweise eine longitudinale Gliedmaßenfehlbildung der unteren Extremität vorliegt. Diese geht nahezu obligat mit einer Dysplasie der betroffenen Kniegelenke einher. Bei diesen Kniegelenken sind die Bandverhältnisse irregulär, die Bänder können hypoplastisch sein oder gänzlich fehlen (Thomas u. Mitarb. 1985, Di Gennaro u. Mitarb. 1999). Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt. 166 Ergebnisse Bei unseren Patienten haben sich die Symptome ohne Ausnahme nach längerer Zeit nicht mehr gezeigt. Die Patienten wurden beschwerdefrei. Dieses Dokument ist nur für den persönlichen Gebrauch bestimmt und darf in keiner Form an Dritte weitergegeben werden! Aus C.J.Wirth, L. Zichner, D. Kohn: Orthopädie u. Orthop. Chirurgie (ISBN 3-13-126231-1) © Georg Thieme Verlag Stuttgart 2005