Die 2000-Watt-Gesellschaft - Forum

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Forum Holz|Bau|Energie Köln 08
Die 2000-Watt-Gesellschaft│T. Lütolf
Die 2000-Watt-Gesellschaft
Tania Lütolf
Dipl. Architektin ETH
Novatlantis – Nachhaltigkeit im ETH-Bereich
Zürich, Schweiz
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Die 2000-Watt-Gesellschaft│T. Lütolf
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Die 2000-Watt-Gesellschaft│T. Lütolf
Die 2000-Watt-Gesellschaft: Leichter Leben
17'500 Kilowattstunden pro Jahr braucht der Mensch im globalen Mittel. Dies entspricht
einer kontinuierlichen Leistung von 2000 Watt. In Westeuropa sind es heute knapp 6000
Watt pro Person. Nur Bruchteile davon brauchen die Menschen im Durchschnitt in einigen
asiatischen und afrikanischen Ländern. Das Programm der '2000-Watt-Gesellschaft'
strebt eine Lebens- und Wirtschaftsform an, die über Effizienzsteigerungen mit einem
Drittel des heutigen Energiebedarfs auskommt und gleichzeitig die Lebensqualität verbessert. Dadurch wird allen Menschen weltweit ein guter Lebensstandard ermöglicht.
Novatlantis ist ein Programm des ETH-Bereichs1 zur Umsetzung neuster Erkenntnisse und
Resultate aus der Forschung in die Praxis der nachhaltigen Entwicklung von Ballungsräumen. Die Substitution und effizientere Nutzung von Materialien und Energien in Kombination mit einem intelligenten Lebensstil bildet dazu den Schlüssel. Mit wegweisenden
Projekten und einem Netzwerk von prominenten Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft
und Politik zeigt Novatlantis, wie die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft Schritt für Schritt
Wirklichkeit werden kann.
Die Ausgangslage ist bekannt: Die globale CO2-Konzentration war in den letzten 400'000
Jahren nie so hoch wie heute. Seit dem Beginn der Industrialisierung und dem damit
verbundenen Einsatz fossiler Energieträger stieg die Konzentration nie so rasant an wie
in den letzten 200 Jahren. Fahren wir weiter mit dem ‚Business as usual’, wird die CO2Konzentration und damit die Temperaturen weiter ansteigen. Auch wenn sich die heutigen Szenarien in den Details leicht unterscheiden, ist in diesem Fall mit einer mittleren
Temperaturerhöhung von 3°C zu rechnen. Bei einer Stabilisierung des CO2-Gehalts auf
450 ppm (Parts per Million) wird die Temperatur noch um 1.5°C ansteigen. Um diese
Stabilisierung zu erreichen, muss der weltweite CO2-Ausstoss bis ins Jahr 2100 um 50%
reduziert werden – ein ambitiöses Ziel, das sofortige Massnahmen erfordert.
1990
1940
1856
1601
Abbildung 1: Der Schweizer Rhonegletscher zog sich in
den letzten 60 Jahren gleich weit zurück wie in den 300 Jahren davor
Die Folgen der Klimaerwärmung sind bereits heute an vielen Orten sichtbar. In der
Schweiz schrumpften die Gletscher in den Jahren seit 1850, ungefähr der Zeitpunkt, zu
dem die CO2-Konzentration anfing massiv anzusteigen, deutlich schneller als die Jahrhunderte davor (siehe Abbildung 1).
Die Frage stellt sich nicht, ob wir handeln müssen. Die Frage lautet viel eher: Wollen wir
riskieren, Welt-Schadenskosten in riesigen Ausmassen tätigen zu müssen, wenn wir heute vorsorglich mit einem Bruchteil dieser Kosten die Temperaturen stabilisieren können?2
1
Der ETH-Bereich beinhaltet die beiden Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich und Lausanne sowie die Forschungsanstalten Paul Scherer Institut, Empa, Eawag und WSL.
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Stern, Nicholas, The Economics of Climate Change: The Stern Review, Cambridge University Press, New York, 2006
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Kommt hinzu, dass die Nachfrage nach Öl und Gas ansteigt und sich die wichtigsten Lagerstätten in Ländern mit unstabiler politischer Lage befinden. Steigende Preise und geopolitische Machtkämpfe um Lagerstätten und Transportwege sind Vorboten eines Zeitalters, in der fossile Energieträger nicht mehr scheinbar uneingeschränkt verfügbar sein
werden.
Mitte der 90er Jahre ist im ETH-Bereich die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft entstanden. Sie geht vom mittleren weltweiten Primärenergiebedarf pro Person aus, 17'500 Kilowattstunden pro Jahr. Dies entspricht einer kontinuierlichen Leistung von 2000 Watt.
Die Unterschiede zwischen den Ländern sind allerdings exorbitant. Während es in Westeuropa heute durchschnittlich dreimal so viel, knapp 6000 Watt pro Person, sind, brauchen die Menschen in einigen asiatischen, afrikanischen oder südamerikanischen Ländern
nur Bruchteile davon. Die Vision der 2000-Watt-Gesellschaft ermöglicht einen Ausgleich
zwischen Industrie- und Entwicklungsländern und ermöglicht damit allen Menschen einen
guten Lebensstandard. 3
Abbildung 2: Energiepolitische Vision der 2000-Watt-Gesellschaft
1960 war die Schweiz eine 2000-Watt-Gesellschaft, so rasch wie möglich soll sie es wieder werden – und zwar ohne Einschränkung der Lebensqualität. Ein erstes Etappenziel ist
die Halbierung des Anteils der fossilen Energien bis 2050. Längerfristig sollen sie auf 500
Watt pro Person gesenkt werden. Dies entspricht dem Ausstoss von einer Tonne CO2 pro
Person und damit den langfristigen Vorgaben des Intergovernmental Panel on Climate
Change (IPCC) (siehe Abbildung 2).
Konkret bedeutet die 2000-Watt-Gesellschaft, dass wir vom 10-Liter-Auto zum 1-LiterAuto kommen, von Gebäuden, die heute 10 Liter Heizöl pro Quadratmeter benötigen zu
Niedrigenergie- oder Passivhäusern, von fossilen Energien zu erneuerbaren und von der
Abfallgesellschaft zu einer, in der geschlossenen Materialkreisläufe vorherrschen.
Visionen sind wichtig, aber ist eine Reduktion unseres Energiebedarfs um zwei Drittel
überhaupt machbar? Ein Team von Wissenschaftlern hat 2004 im so genannten Weissbuch der 2000-Watt-Gesellschaft4 dieser die Machbarkeit attestiert (siehe Abbildung 3).
Mit zwei Drittel weniger Primärenergieinput könnten zwei Drittel mehr Energiedienstleistungen erbracht werden. Der Schlüssel dazu heisst Energieeffizienz und ein intelligenter
Lebensstil.
3
Leichter Leben: Ein neues Verständnis für unsere Ressourcen als Schlüssel zu einer nachhaltigen Entwicklung – die 2000Watt-Gesellschaft, Novatlantis, 2005
4
Jochem, Eberhard (Ed.), Steps towards a sustainable development: A White Book für R&D of energy-efficient technologies,
Novatlantis, 2004
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Die Studie untersuchte die Potenziale für Energieeffizienzsteigerungen verschiedener Industriezweige und setzte sie in Abhängigkeit der Erneuerungszyklen. Im Baubereich sind
beispielsweise die Technologien bereits heute mehrheitlich vorhanden, um Effizienzsteigerungen von Gebäuden von bis zu 80% zu realisieren. Die Erneuerung des gesamten
Gebäudebestands dauert allerdings lange, auch wenn wir bereits ab morgen alle Neubauten sowie Sanierungen nach dem best möglichen Stand der Technik umsetzen würden.
Umso wichtiger ist es, dass Investoren, Planende und Politiker möglichst rasch mit der
konsequenten Umsetzung beginnen.
Abbildung 3: Das Weissbuch legt die Machbarkeit der 2000-Watt-Gesellschaft dar
Novatlantis sitzt an der Schnittstelle zwischen Forschung, Industrie und Gesellschaft. Mit
Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und der öffentlichen Hand wird in wegweisenden
Projekten – so genannten Leuchttürmen – aufgezeigt, wie die 2000-Watt-Gesellschaft
Schritt für Schritt Wirklichkeit werden kann. Novatlantis fokussiert sich auf die drei Regionen: die Pilotregion Basel, die Partnerregion Zürich und Region Genf. Mit den Partnern
zusammen werden beispielsweise Leuchttürme nachhaltiger Mobilität umgesetzt. Im
Zentrum steht der Modalmix. Für den nicht vermeidbaren Individualverkehr werden
Fahrzeugtechnologien entwickelt, die die Umwelt weniger stark belasten.
Der grösste Energiebezüger ist allerdings der Bau: Rund die Hälfte des gesamten Energiebedarfs in industrialisierten Ländern wird für Herstellung, Heizung und Betrieb von
Gebäuden benötigt. Zusammen mit der Mobilität sind so enorme Effizienzpotenziale vorhanden. Im Bürogebäude der Amstein + Walthert AG, ein Schweizer Planungs- und Consultingunternehmen für nachhaltige Technik am Bau5 wurde der Energiebedarf um den
Faktor 3 reduziert. Möglich wurde dies einerseits über ein zukunftsweisendes Mobilitätskonzept: Die direkt am Bahnhof gelegenen Firma verzichtet auf das Angebot von Parkplätzen für die Mitarbeitenden und bietet stattdessen eine Smart-Flotte für Geschäftsfahrten sowie Verbilligungen für Abonnemente der Zürcher Verkehrsbetriebe an. Das Gebäude ist ausserdem mit dem Minergie®-Label ausgezeichnet, benötigt also nur einen
Bruchteil der Energie herkömmlicher Bauten.
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http://www.amstein-walthert.ch
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Ein Vergleich zwischen dem Energiebedarf von Baubestand, Bauten nach heutigen Vorschriften respektive gemäss den Anforderungen von Minergie® und Minergie-P® (entspricht Passivhaus-Standard) zeigt, dass enorme Einsparungen v.a. im Energiebedarf für
Heizung und Warmwasser möglich sind. Wichtig ist, dass künftig das Augenmerk auf gesamtheitliche Betrachtungen, d.h. auf die Lebenzykluskosten gelegt wird. Während in
energieeffizienten Gebäuden zwar für die zusätzliche Fassadendämmung, für besser
dämmende Fenster und allfällige zusätzliche Gebäudetechnologien (z.B. Komfortlüftung)
zwar etwas mehr investiert werden muss, wird dies durch massive Einsparungen an Betriebskosten längst wettgemacht. So amortisieren sich die Mehrinvestitionen innert weniger Jahren – je höher die Preise für Erdöl und Erdgas ansteigen, desto schneller.
Untersucht man den Gebäudebestand und den Heizenergiebedarf der Bauten verschiedener Epochen, zeigt sich klar, wie gross die Forschritte in den letzten zwei Jahrzehnten
diesbezüglich waren. Nur noch knapp die Hälfte der Energie benötigt heute – dank strengen Vorschriften – selbst ein herkömmlich gebautes Haus in der Schweiz gegenüber einem Bau aus den 50er Jahren. Allerdings wird auch sichtbar, wo der Schwerpunkt der
Interventionen künftig liegen muss: Bis ins Jahr 2050 werden in der Schweiz über 90%
des Gebäudeenergiebedarfs durch Bauten verursacht, die vor 2000 erstellt wurden (siehe
Abbildung 4).
kWh/m2a
Abbildung 4: Der Schwerpunkt künftiger Interventionen muss auf der Sanierung der Baubestandes liegen, in
der Schweiz rund eineinhalb Millionen Gebäude
Im CCEM-Projekt 'Nachhaltige Wohnbauerneuerung'6 geht die Aufgabe der Sanierung
dieses Baubestandes grundsätzlich an. Das Ziel ist eine umfassende Erneuerung und
Aufwertung der Gebäudehülle von Mehrfamilienhäuser und Wohnsiedlungen. Das Konzept
ist einfach und klar: Falls sich das Gebäude eignet, wird über das bestehende Gebäude
eine weitgehend vorfabrizierte neue Fassade und ein neues Dach gelegt. Diese neue Hülle lässt nicht nur viel Spielraum zur architektonischen Gestaltung, sie bietet auch die
Möglichkeit für Wert vermehrende An- und Aufbauten; und sie bietet Gewähr, dass das
Gebäude den höchsten Ansprüchen an Energieeffizienz und Komfort entspricht. Entsprechend sind Rationalisierung, Optimierung, Qualitätssicherung und Kostensicherheit entscheidende Merkmale des Konzepts. Weitere Ergänzungsmodule sind vakuumgedämmte
Innenisolationen, integrierte Komfortlüftung und Solartechnik sowie moderne Regeltechnik.
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http://ccem-ch.web.psi.ch, http://www.empa-ren.ch/ccem-retrofit.htm
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Im Neubaubereich hingegen sind die Technologien für energieeffiziente Bauten bereits
weitgehend vorhanden. So wird beispielsweise die Erweiterung der ETH Hönggerberg in
Zürich zur Science City gemäss nachhaltigen Grundsätzen erfolgen. Das Zürcher Stadtspital Triemli wird zum ersten 2000-Watt-Krankenhaus der Schweiz. In Basel wurden und
werden grössere Überbauungsgebiete (Gundeldinger Feld, altes Güterbahnhofareal der
Deutschen Bahn, Novartis Campus des Wissens etc.) in nachhaltiger Art und Weise umgenutzt. Erwähnenswert ist das P&D-Programm des Kantons Basel-Stadt, mit dessen Hilfe Private Bauherrschaften in den Genuss von finanziellen Beiträgen für nicht amortisierbare Mehrleistungen sowie Begleitstudien kommen. Bei einer ganzen Zahl von Bauten
konnte so bereits Anreiz für nachhaltige Umsetzungen gegeben werden.
Im Juni 2006 bezog die Eawag ihr neues Hauptgebäude auf dem Eawag-Empa-Gelände in
Dübendorf (siehe Abbildung 5)7. Das Verwaltungs- und Forschungsgebäude 'Forum Chriesbach' setzt neue Massstäbe im baulichen Bereich. Die baulichen und technischen Massnahmen tasten sich an die Grenzen des heute Machbaren heran. Der Bau, der als NullEnergiehaus ohne herkömmliche Heizung und Kühlung realisiert wurde, benötigt viermal
weniger Energie als ein konventionelles Gebäude. Die anfallende Wärme von Personen, Arbeitshilfen, Beleuchtung und Sonnenstrahlung genügt, um eine angenehme Raumtemperatur
zu erhalten. Dach und Fassaden sind sehr gut gedämmt. Der Luftwechsel erfolgt laufend,
zentral gesteuert. Im Winter wird die Zuluft im Erdregister vorgewärmt, dann in einem Wärmetauscher mit der Wärme der Abluft und des Serverraums zusätzlich erwärmt. Warmwasser wird durch Sonnenkollektoren geheizt.
Im Sommer wird die Zuluft durch das Erdregister abgekühlt – im Winter entsprechend vorgewärmt – und in die Räume geführt. An heissen Tagen erfolgt eine Nachtauskühlung des
Gebäudes durch automatisches Öffnen der Fensterflügel. Durch das Dach des Atriums kann
dann die warme Luft entweichen und kühle Luft in die Räume nachströmen.Auch das Wasserkonzept ist wegweisend: Mit dem Einbau eines ausgeklügelten Sanitärsystems – Urin
trennende NoMix-WCs, Spülung mit Regenwasser – werden neueste Forschungsergebnisse
der Eawag, einer Forschungsanstalt rund ums Wasser, in die Praxis übertragen.
Abbildung 5: Das Forum Chriesbach in Dübendorf (Schweiz)
setzte neue Massstäbe in Sachen nachhaltiges Bauen
Fazit
Wir stehen vor zwei globalen energiepolitischen Herausforderungen: der Klimawandel
und die Abhängigkeit von endlichen (fossilen) Ressourcen. Die Fakten sind bekannt, Kriege um Ressourcen finden bereits statt. Die globale Vision der 2000-Watt-Gesellschaft
zeigt den Weg zur Lösung auf: Die entsprechenden Technologien sind in weiten Teilen
bereits vorhanden oder ihre Entwicklung absehbar.
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http://www.forumchriesbach.eawag.ch
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Die 2000-Watt-Gesellschaft│T. Lütolf
Mit grossem politischen Willen, einem ausgewogenen Mix an Massnahmen (Vorschriften,
Anreize, griffige Raumplanungsgesetze etc.) und der Bereitschaft, einen Lebensstil anzunehmen, der auf Qualität statt Quantität beruht, können wir der Lösung Schritt für
Schritt näher kommen. Dafür braucht es Entscheidungen der wichtigen Akteure auf allen
Ebenen und weiterhin zielgerichtete Forschung.
Die 2000-Watt-Gesellschaft ist als Chance zu sehen:
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Sie erhöht die Lebensqualität.
Sie stimuliert die Innovation.
Sie stärkt unsere Wirtschaft und ihre Führungsposition am Markt.
Sie reduziert die Ressourcenabhängigkeit.
Sie erhöht unsere Lebensqualität.
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