Parodontitis - Thieme Connect

Werbung
95
Die Parodontitis gehört immer noch zu den weit verbreiteten Krankheiten, aber glücklicherweise
sind nur ca. 5–10 % aller Fälle rasch verlaufende, aggressive Formen (Ahrens u. Bublitz 1987, Miller
et al. 1987, Miyazaki et al. 1991, Brown u. Löe 1993, Papapanou 1996).
Die Parodontitis ist eine durch einen mikrobiellen Biofilm (Plaque) ausgelöste, multifaktorielle
Erkrankung des Zahnhalteapparats. Sie entwickelt sich in der Regel aus der Gingivitis. Hingegen
entsteht nicht aus jeder Gingivitis eine Parodontitis. Die Menge und vor allem die Virulenz der
Mikroorganismen auf der einen Seite, die Antwort des Wirts (Immunstatus, Genetik und damit
Heredität sowie die Präsenz von Risikofaktoren) auf der anderen sind ausschlaggebend für die
Auslösung und Progression der parodontalen Destruktion (S. 21).
Die Klassifikation der Parodontitiden erfolgt nach pathobiologisch-dynamischen Kriterien, wie sie
von der AAP (Armitage 1999) empfohlen wurden (ausführlicher S. 78, vollständig S. 519):
• chronische Parodontitis
• aggressive Parodontitis
• nekrotisierende Parodontitis
(Typ II, ehemals AP)
(Typ III, ehemals EOP/RPP)
(Typ V B / NUP, ehemals ANUP)
Die beiden Hauptformen (Typen II und III) werden weiter nach ihrer Ausbreitung in lokalisiert
(A: ≤ 30 % aller Zahnseiten/„sites“ involviert) oder generalisiert (B: > 30 % aller „sites“ involviert)
unterteilt. Gleichfalls wird der Schweregrad – je nach klinischem Attachmentverlust – unterteilt in
leicht (1–2 mm), moderat (3–4 mm) und schwer (≥ 5 mm).
Zu den aggressiven Formen (Typ III) zählt eine ganze Gruppe von Parodontalerkrankungen, die
früher als PP (prepubertal periodontitis), LJP (localized juvenile periodontitis) und RPP (rapidly
progressive periodontitis) bezeichnet wurden.
Die pathobiologische Nomenklatur bzw. die Verlaufsformen der Parodontitis werden auf den S. 98
und 99 aufgeführt. Selbstverständlich wird darüber hinaus bei der praktischen Diagnostik für
jeden Patienten, für jeden Zahn, ja für jede Zahnseite auch der klinisch und röntgenologisch messbare Schwere-(Schwund-)grad, die Pathomorphologie, diagnostiziert.
Im Folgenden werden dargestellt:
• Schweregrade der Parodontitis
• Taschenformen
• Morphologie des Knochenschwundes
• Furkationsbefall
• Pathohistologie
• klinische und röntgenologische Symptome
• Fälle der verschiedenen Formen
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Parodontitis
96
Parodontitis
Pathobiologie – die wichtigsten Parodontitisformen
Die pathobiologische Nomenklatur für die unterschiedlichen
Parodontitisformen ist keine starre, definitive Einteilung.
Heute werden vor allem chronische und aggressive Formen
unterschieden, die wiederum lokalisiert oder aber generalisiert auftreten. Eine chronische Krankheitsform kann sich –
z. B. im Alter, bei nachlassendem Immunstatus – in eine
aggressive Form wandeln. Die meisten Parodontitiden verlaufen schubweise („random burst theory“). Stadien der
Exazerbation wechseln mit solchen der Stagnation bzw. Remission.
Mit fortschreitenden Erkenntnissen in Mikrobiologie sowie
Pathogenese – insbesondere der Wirtsantwort auf den Infekt – könnte die Diagnostik und die Nomenklatur nicht
mehr verlaufsabhängig definiert werden; vielmehr wäre
eine Parodontitis als Aa- oder Pg-assoziiert (usw.) zu bezeichnen. Noch wichtiger könnten in Zukunft diverse Parameter des Immunstatus, der Mediatoren und der Risikofaktoren sein; sind sie doch für die Entstehung der Erkrankung
und die Geschwindigkeit ihrer Progression weitgehend mitverantwortlich.
Typ II
Typ III B
Diese am häufigsten auftretende Parodontitisform entwickelt sich zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr allmählich aus einer Gingivitis. Das ganze Gebiss kann generalisiert
befallen sein (Typ II B). Häufiger jedoch ist eine ungleichmäßige, lokalisierte Verteilung mit tieferen Einbrüchen besonders an den Molaren, in zweiter Linie an den Frontzähnen
(Typ II A). Die Gingiva zeigt unterschiedliche Entzündung,
teils Schrumpfung, teils fibrotische Verdickung.
Exazerbationen treten nur in größeren Abständen auf. Risikofaktoren (z. B. starkes Rauchen, IL-1-positiver Genotyp)
können den Verlauf akzentuieren. Die Krankheit führt im
höheren Lebensalter nur zum Teil zum Zahnverlust, es sei
denn, es treten bei nachlassendem Immunstatus vermehrt
akute Schübe auf.
Therapie: Die chronische Parodontitis ist auch bei nichtoptimaler Mitarbeit des Patienten allein durch die instrumentelle Therapie sehr erfolgreich zu behandeln.
aggressive Parodontitis
ehemals EOP/RPP
Aggressive Parodontitiden sind relativ seltene Erkrankungen
(Page et al. 1983a, Miyazaki et al. 1993, Lindhe et al. 1997,
Armitage 2000). Sie werden meist zwischen dem 20. und
30. Lebensjahr diagnostiziert. Frauen scheinen häufiger befallen zu sein als Männer. Schweregrad und Verteilung des
Attachmentverlusts sind sehr unterschiedlich. Es zeigen
sich abwechselnd akute Stadien, die in chronische übergehen können. Ursache der Aktivitätsschübe sind spezifische
Mikroorganismen (Aa, Pg u. a.), die zeitweise ins ulzerierte
Gewebe eindringen. Risikofaktoren (Rauchen, Allgemeinleiden wie Diabetes, psychische Spannungszustände, Stress)
und proinflammatorische Mediatoren, die den Immunstatus reduzieren, können das Krankheitsbild verstärken.
Therapie: Durch eine instrumentelle Behandlung kann die
Mehrzahl der aggressiven Fälle aufgehalten werden. Eine
unterstützende systemische Antibiotikatherapie kann bei
dieser schweren Form angezeigt sein.
188 Kennzeichen des Typs II – ehemals AP
189 Kennzeichen des Typs III B – ehemals EOP/RPP
Klinische Syptome
• Morbidität
Klinische Syptome
• Morbidität
• Beginn – Verlauf
etwa 85–95 % aller Erwachsenen (?)
etwa 95 % aller Parodontalerkrankten
Beginn
–
Verlauf
ca. 30. Lebensjahr
•
langsamer, „chronischer“ Verlauf
– Befall aller Zähne,
• parodontal
bevorzugte Lokalisation:
Molaren und Frontzähne
– Gingiva entzündet,
teils geschwollen, teils geschrumpft
– Alveolarknochen:
ungleichmäßige Destruktion
• Allgemeinerkrankungen keine
Blutzelldefekte
neutrophile Granulozyten
–
Monozyten
–
Bakterielle Infektion
Mischflora. In aktiven Taschen häufig
P. gingivalis, P. intermedia,
Fusobacterium nucleatum,
A. actinomycetemcomitans
Vererbung
nein (evtl. Polymorphismen, z. B. IL-1)
5–15 % aller Parodontalerkrankten
in jedem Alter möglich,
bevorzugt jüngere Menschen
rascher zyklischer Verlauf
– viele bis alle Zähne befallen
• parodontal
– Gingiva mehr oder weniger
entzündet
– schneller Knochenschwund
– häufige Aktivitätssymptome
• Allgemeinerkrankungen ?, genetisch determiniert
Blutzelldefekte
Chemotaxis reduziert
Migration erhöht
neutrophile Granulozyten
++
++
Monozyten
++
++
Bakterielle Infektion
Mischflora und spezifisch
P. gingivalis, T. forsythensis,
A. actinomycetemcomitans (Invasion?)
P. intermedia, Fusobacterium nucleatum,
Spirochäten
Vererbung
geschlechtsgebunden dominant (?)
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
chronische Parodontitis
ehemals AP
Parodontitis – Formen
Schwund %
10
20
30
40
50
60
70
Alter
80
97
190 Formen der Parodontitis
0
20
1 chronische, langsam verlaufende Parodontitis beim Erwachsenen – Typ II
40
2 aggressive, schnell verlaufende
Parodontitis – Typ III B
60
3 aggressive, lokalisierte (juvenile) Parodontitis – Typ III A
4 aggressive, generalisierte, präpubertäre, schnell verlaufende
Parodontitis – Typ IV B
80
4
3
2
1
100
Typ IV B
aggressive Parodontitis,
ehemals EOP/LJP
Diese früh auftretende Erkrankung des bleibenden Gebisses
ist selten. Sie beginnt in der Pubertät, wird aber meist zufällig (Bissflügel-Röntgenaufnahmen zur Karieskontrolle) erst
einige Jahre später diagnostiziert. Im Anfangsstadium sind
die 1. Molaren und/oder die Inzisiven des Ober- und Unterkiefers befallen („Inzisivus-Sechser-Typ“), später eventuell
auch andere Zähne. Erbliche (genetische, ethnische) Faktoren
sind nachgewiesen. Mädchen erkranken häufiger als Knaben.
Nur selten sieht man im Anfangsstadium der aggressiven
juvenilen Parodontitis eine ausgeprägte Gingivitis. In den
Taschen tritt fast immer (90 %) Aa auf. Im Serum finden sich
Immunglobuline gegen Aa-Leukotoxin, das PMN schädigt.
Therapie: Bei rechtzeitiger Diagnose und kombinierter mechanisch-instrumenteller und systemisch-medikamentöser
Behandlung können die Schwundvorgänge relativ leicht
zum Stillstand gebracht werden, Knochendefekte können
regenerieren.
aggressive Parodontitis,
ehemals EOP/PP
Diese bereits mit dem Milchzahndurchbruch auftretende Parodontitis ist außerordentlich selten und mit genetischen
Abberationen bzw. systematischen Erkrankungen assoziiert.
(Page et al. 1983b, Tonetti u. Mombelli 1999, Armitage 2000;
vgl. S. 118)
Sie verläuft schnell und tritt meist generalisiert auf:
• Eine lokalisierte Form beginnt mit ca. 4 Jahren und zeigt bei
•
relativ wenig Plaque nur geringe gingivale Entzündung.
Die generalisierte Form (Typ IV B) setzt unmittelbar nach
dem Durchbruch der Milchzähne ein. Sie ist mit schwerer
Gingivitis und Gingivaschrumpfungen vergesellschaftet. Die
Bakteriologie ist nicht geklärt.
Therapie: Die lokalisierte Form ist durch die mechanische
Therapie, kombiniert mit Antibiotikagaben, aufzuhalten.
Die generalisierte Form scheint noch immer weitgehend
therapieresistent zu sein.
191 Kennzeichen des Typs III A (ehemals EOP/LJP)
192 Kennzeichen des Typs IV B (ehemals EOP/PP)
Klinische Syptome
• Morbidität
Klinische Syptome
• Morbidität
• Beginn – Verlauf
0,1 % bei jungen Weißen,
> 1 % bei jungen Schwarzen
Beginn
–
Verlauf
ca. 13. Lebensjahr,
•
mit Beginn der Pubertät
mäßig rascher, schubweiser Verlauf
– primär nur 1. Molaren und/oder
• parodontal
Schneidezähne befallen
– Gingiva oft normal
– kraterförmiger Knochenschwund
• Allgemeinerkrankungen keine, genetisch determiniert
Blutzelldefekte
Chemotaxis reduziert
Phagozytose reduziert
Rezeptormangel
neutrophile Granulozyten
++
+
+
Monozyten
+
?
Bakterielle Infektion
Mischflora und spezifisch
A. actinomycetemcomitans (Serotypen a, b)
Capnocytophaga ssp. (?)
Vererbung
autosomal rezessiv
(geschlechtsgebunden dominant?)
sehr selten (wenige bekannte Fälle)
direkt nach Durchbruch der Milchzähne
Verlauf fast kontinuierlich-destruktiv
• parodontal
– generalisierte Form
– alle Zähne befallen
– Gingiva entzündet, hyperplastisch
– lokalisierte Form
– Einzelzähne befallen, sehr selten
• Allgemeinerkrankungen Hypophosphatasie, anfällig für
Infektionen des Respirationstrakts,
Otitis media, Hautinfektionen
Blutzelldefekte
neutrophile Granulozyten
Monozyten
Adhärenz (Gefäßwand) gestört
++
+
Chemotaxis reduziert
++
++
Rezeptormangel
+
+
Bakterielle Infektion
Mischflora, spezifische Bakterien
unbekannt
Vererbung
autosomal rezessiv
Abb. 188–192 modif. Schroeder 1987b; Page et al. 1983a/b, 1986
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Typ III A
98
Parodontitis
Pathomorphologie – klinische Schweregrade
Gesamtdiagnose – Einzelzahndiagnose – „Seite“
Zwar ist die Form der Parodontitis für das ganze Gebiss einheitlich diagnostizierbar, nicht aber der klinische Schweregrad der Erkrankung. Fast immer verläuft eine Parodontitis
in verschiedenen Gebissabschnitten, an einzelnen Zähnen, ja
sogar an einzelnen Zahnseiten, sehr unterschiedlich schnell.
Die Angabe eines „durchschnittlichen“ Schweregrades hat
demnach wenig Aussagekraft.
Klinische Schweregrade
Die im Folgenden dargestellten pathomorphologischen Einteilungen (Schweregrade) sind daher weniger auf den
ganzen Fall zu beziehen, sondern eher als Einzelzahndiagnosen (und -prognosen) zu verstehen. Die Gründe des oft
sehr ungleichmäßigen, lokalisierten Befalls sind nicht immer eruierbar (Hygiene, Schlupfwinkel, lokalisiert spezifische Bakterien, Zahnkategorie, Funktion?). In der Praxis
werden – neben der Gingivitis – nach wie vor leichte, mittelschwere und schwere Parodontitiden differenziert. Je
nach Autor, „Schule“, parodontologischer Gesellschaft usw.
sind Synonyme für diese Zustandsbilder gebräuchlich.
Klinische Schweregrade
• leicht
• mittel
• schwer
… mild/slight
… levis
… superficialis
… moderate
… media … media
… severe/advanced … gravis … profunda
Lindhe (1997) fügt seinen Graden „levis“ und „gravis“ den
Zusatz „complicata“ bei, wenn der Attachmentverlust – auf
welcher Höhe auch immer – als Knochentasche (vertikaler
Schwund) imponiert, ein Furkationsbefall Grad 2 oder 3
vorliegt (S. 102) oder der Zahn „stark" beweglich ist.
Auch die AAP (1996c) definiert den Schweregrad der Erkrankung nicht mehr ausschließlich durch die Sondierungstiefe
und Bezeichnungen von leicht bis schwer, sondern berücksichtigt auch: gingivale Entzündung, Knochen- bzw. Attachmentverlust, Furkationsbefall und Zahnbeweglichkeit.
Gingivale
Entzündung,
Blutung (BOP)
Sondierungstiefe (ST)
Klinischer
Attachmentverlust (AV)
Knochenverlust
Furkationsbefall
Zahnbeweglichkeit
(ZB)
Klasse
Form
Klasse 1
Gingivitis
+ bis +++
1–3mm
–
–
–
–?
Klasse 2
leichte
Parodontitis
(slight)
+ bis +++
4–5mm
1–2mm
+
–
–?
Klasse 3
mittelschwere
Parodontitis
(moderate)
+ bis +++
6–7mm
3–4mm
evtl. F1
+
schwere
Parodontitis
(severe)
+ bis +++
F2, F3
++
Klasse 4
horizontal
++
einzeln vertikal
>7 mm
Schlussfolgerung
Alle auf dieser Seite beschriebenen pathomorphologischen
Einteilungen (vgl. APP-Glossary 2001) der Parodontitiden
≥ 5 mm
multipel vertikal
++
versuchen, die Schwere einer Erkrankung als Ist-Zustand bei
der Untersuchung wiederzugeben; sie sagen wenig aus über
die Pathobiologie, die Dynamik und die Geschwindigkeit der
Progression (Prognose) einer Parodontitis.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Parodontitis ist ein Sammelbegriff. Er beinhaltet – wie bereits
erwähnt – pathobiologisch-dynamisch unterschiedlich verlaufende Krankheitsformen mit zum Teil unterschiedlicher mikrobieller Ätiologie und unterschiedlicher Resistenz bzw. Wirtsantwort (S. 21ff).
Jede Parodontitis aber beginnt einmal. Sie entwickelt sich in
verschiedenen Lebensaltern, meist aus einer plaquebedingten Gingivitis. Unbehandelt schreitet sie unterschiedlich
schnell fort. Bei der praktischen Befunderhebung und der
daraus resultierenden Diagnose eines Falles muss also neben
der Verlaufsform der Erkrankung festgestellt werden, in welchem pathomorphologischen Stadium sich die Parodontitis
befindet, das heißt, wie weit der Attachmentverlust fortgeschritten ist. Aus diesen diagnostischen Kriterien, Verlaufsform, Ausdehnung (lokalisiert, d. h. weniger als 30 % aller
„sites“, oder generalisiert) und klinischem Schweregrad, lassen sich dann Prognose und Behandlungsaufwand ableiten,
wobei dieser z. B. für eine aggressive Parodontitis (Typ III)
größer sein wird als für eine gleich weit fortgeschrittene
chronische Parodontitis (Typ II).
Parodontitis – Taschen- und Schwundform
99
Taschen- und Schwundformen
Erste Taschen ohne Attachmentverlust bilden sich bereits
bei der Gingivitis in Form der gingivalen Tasche und der
Pseudotasche (S. 79). Kriterien der echten parodontalen
Tasche sind Attachmentverlust, Tiefenproliferation des
Saumepithels und dessen Umwandlung in ein Taschenepithel (Müller-Glauser u. Schroeder 1982). Diese tritt in
zwei Formen auf (Papapanou u. Tonetti 2000):
Die Art des Knochenschwundes – horizontal, vertikal –
scheint von der Dicke des Septums bzw. des fazialen und
oralen Knochens abzuhängen.
Der Attachmentverlust wird von der mikrobiellen Plaque
bzw. ihren Stoffwechselprodukten in der Tasche ausgelöst.
Die Reichweite und damit der Wirkungsradius der Destruktion beträgt etwa 1,5–2,5 mm (Tal 1984, Abb. 195).
• supraalveoläre Tasche bei horizontalem Knochenschwund
• infraalveoläre Tasche bei vertikalem, angulärem Knochen193 Formen parodontaler
Taschen
A normaler Sulkus
apikales Ende des Saumepithels
(SE) an der Schmelz-ZementGrenze (leerer Pfeil)
SE
SE
A
B supraalveoläre Tasche (rot)
Attachmentverlust, proliferierendes Taschenepithel. Am
Fundus der Tasche findet sich
immer ein kurzes, intaktes
Saumepithel (rosa).
SE
B
C
C infraalveoläre Tasche
Knochentasche
194 Knochenschwundformen
Kein Schwund (links)
Normale Alveolarsepten. Lamina
dura und Limbus alveolaris sind
erhalten.
Horizontaler Knochenschwund
(Mitte)
Die Interdentalsepten sind bis zu
50 % resorbiert.
Vertikaler Knochenschwund,
Furkationsbefall (rechts)
Starker Knochenabbau distal des
Sechsers. Am gleichen Zahn ist die
Furkation befallen.
195 Der „Zirkelschlag“ der
Destruktion bestimmt die Form
des Knochenabbaus
Der von der Plaque ausgehende
Destruktionsprozess beträgt ca.
1,5–2,5 mm (rote Kreise). Die
Breite des interdentalen Septums
bestimmt damit die Art des
Knochenschwundes.
A
B
C
A schmal: horizontaler Schwund
B mittel: horizontaler Schwund,
beginnender vertikaler Abbau
C breit: vertikaler Schwund,
Knochentasche
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
schwund: tiefste Stelle der Tasche apikal des Knochens.
100
Parodontitis
Infraalveoläre Defekte, Knochentaschen
Die infraalveoläre Tasche (Knochentasche, vertikaler Knochendefekt) kann in Relation zu den befallenen Zähnen
verschiedene Formen aufweisen (Goldman u. Cohen 1980,
Papapanou u. Tonetti 2000).
Klassifikation der Knochentaschen
• 3-Wand-Knochentasche
begrenzt durch eine Zahnwand und drei Knochenwände
2-Wand-Knochentasche,
interdentaler Krater
•
begrenzt durch zwei Zahnwände und zwei Knochenwände, eine fazial, eine oral
• 1-Wand-Knochentasche
•
begrenzt durch zwei Zahnwände, eine Knochenwand
fazial oder oral und Weichgewebe
kombinierte Knochentasche, schlüsselförmiger Defekt
begrenzt durch mehrere Wände eines Zahns und
des Knochens. Der Defekt läuft um den Zahn herum.
Die Ursachen des morphologisch unterschiedlichen Knochenschwunds sind mannigfaltig und können im Einzelfall nicht
immer eindeutig geklärt werden.
A
B
C
D
3-Wand-Knochentasche
2-Wand-Knochentasche
1-Wand-Knochentasche
kombinierte Knochentasche,
„schüsselförmiger“ Einbruch
3W
2W
1W
CUP
Die die Knochentaschen begrenzenden Wände sind rot markiert
(1–3)
A
197 Kleiner 3-Wand-Defekt
Beginnende Knochentaschenbildung mesial des Fünfers. Die
farbkodierte Sonde (CP 12) misst
ca. 3 mm Tiefe. Bei vorhandenem
Weichgewebe (Gingiva) würde
die Gesamttaschentiefe ca. 5 mm
betragen.
198 Tiefe 3-Wand-Knochentasche
Die Parodontalsonde dringt – vom
Limbus alveolaris aus gemessen –
fast 6 mm bis zum Boden der
3-Wand-Knochentasche vor.
B
C
D
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
196 Knochentaschenformen
im Schema
Parodontitis – Knochentaschen
Neben der Knochenmorphologie spielen sicher noch einige
andere Faktoren für die Form des Schwundes eine Rolle:
• durch spezifische Bakterien in den Taschen verursachte,
lokalisierte akute Schübe
lokalisiert ungenügende Hygiene (Plaque)
•
• Engstand und Zahnkippungen (Schlupfwinkel)
• Zahnmorphologie (Wurzeleinziehungen, Furkationen)
• Fehlbelastungen durch Funktionsstörungen?
Die Morphologie der Knochentasche ist für die Prognose
und Behandlungsplanung („defect selection“) von Bedeutung. Je mehr Knochenwände vorhanden sind, umso eher
kann Knochenneubildung durch Therapie erwartet werden.
199 2-Wand-Knochentasche,
interdentaler Krater
Der koronale Teil des Defekts ist
nur durch 2 Knochenwände (und
2 Zahnwände) begrenzt.
Im apikalen Teil geht die 2-WandTasche in 3-Wand-Defekte über
(s. linke Sondenspitze im linken
Bild).
200 1-Wand-Knochentasche
an Zahn 45 mesial
Ausgeprägter Knochenschwund
im Bereich der Prämolaren und
des 1. Molaren. An Zahn 45 ist die
faziale Knochenwand fast bis auf
den Boden des mesialen Defekts
geschwunden ( ). Die orale
Knochenwand ist noch teilweise
erhalten.
Die fazialen Wurzeloberflächen
und die Interdentalräume könnten
bis zur Schmelz-Zement-Grenze
hin mit Weichgewebe bedeckt
sein.
201 Kombinierte Tasche,
schüsselförmiger Defekt
Im Bereich von Zahn 45 läuft der
apikale Anteil des Knochendefekts
schlüsselförmig um den Zahn herum (Goldman-Sonde). Der Defekt
wird durch mehrere Knochenwände und die Wurzeloberfläche
begrenzt.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Bereits hingewiesen wurde auf die Bedeutung der Knochendicke (Abb. 195). Da die Knochensepten zwischen den
Wurzeln nach koronal hin dünner werden, ergibt sich im
Anfangsstadium einer Parodontitis meist ein vorwiegend
horizontaler Schwund. Je weiter die Wurzeln zweier Zähne
auseinander stehen, je dicker also das Septum wird, umso
eher treten vertikale Einbrüche auf.
101
102
Parodontitis
Furkationsbefall
202 Klassen des Furkationsbefalls – horizontale Messung
Der Furkationsbefall kann mit
infraalveolären Taschen kombiniert sein.
F0
Modifiziert nach Hamp et al. (1975) werden drei Grade des
horizontal gemessenen Furkationsbefalls unterschieden:
Grade – horizontal
Grad 1: Die Furkation ist mit der Sonde in horizontaler
Richtung bis 3 mm tief tastbar (F1).
Grad 2: Die Furkation ist über 3 mm tief tastbar,
aber noch nicht durchgängig (F2).
Grad 3: Die Furkation ist mit der Sonde tastbar
und vollständig durchgängig (F3).
F1
F2
F3
A F0: Tasche an mesialer Wurzel,
ohne Befall der Furkation
B F1: In horizontaler Richtung
bis 3 mm mit Sonde tastbar
C F2: Über 3 mm mit Sonde
tastbar
D F3: Furkation durchgängig
A
203 Kein Furkationsbefall – F0
Klinisch würde in dieser Situation
im Bereich des bukkalen Furkationseingangs eine ca. 5 mm tiefe
supraalveoläre Tasche bestehen.
204 Furkationsbefall – F1
Mit der gebogenen spitzen Sonde
CH3 (Hu-Friedy) ist die Furkation
bukkal weniger als 3 mm tastbar.
Die Sondierungen erfolgen jeweils von fazial und von oral her.
Heute sind spezielle Furkationssonden auf dem Markt. Sie sind
abgerundet und haben eine Millimetereinteilung; z. B. Nabers-2
(Hu-Friedy).
B
C
D
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Parodontaler Knochenschwund an mehrwurzligen Zähnen
stellt dann ein spezielles Problem dar, wenn Bi- bzw. Trifurkationen befallen sind. Teilweise oder ganz geöffnete Furkationen sind zusätzliche Bakterienschlupfwinkel (Schroeder
u. Scherle 1987). Exazerbationen, Abszesse, progressiver
Verlauf des Knochenschwunds und schnelle Taschenvertiefung sind – besonders bei ganz durchgängigen Furkationen
– häufig. Darüber hinaus sind offene Furkationen besonders
kariesanfällig.
Parodontitis – Furkationsbefall
Zusätzlich zu diesen horizontalen Messungen wird der vertikale Schwund ebenfalls in drei Graden (Subklassen A, B, C;
Tarnow u. Fletcher 1984) klassifiziert. Er wird vom Furkationsdach aus gemessen (s. auch S. 172, 383):
Grade – vertikal
Subklasse A:
Subklasse B:
Subklasse C:
1–3 mm
4–6 mm
ab 7 mm
Therapie: Furkationsbefall der Grade F1 und F2 ist durch
Scaling allein oder durch Lappenoperationen (konventionell
und regenerativ) zu beherrschen. Grad-3-Furkationen werden meist resektiv durch Hemisektion oder Amputation einzelner Wurzeln behandelt (S. 381).
205 Furkationsbefall – F2
Die spitze Sonde CH3 tastet über
3 mm tief in die Furkation, die
aber noch nicht ganz durchgängig
ist.
206 Furkationsbefall – F3,
leicht, Subklasse A
Enge, durchgängige Bifurkation
bei noch relativ geringem Knochenschwund (Nabers-2-Sonde).
In der vertikalen Dimension ist
weniger als 3 mm Knochenverlust
vorhanden. Dies entspricht der
Subklasse A.
207 Furkationsbefall – F3,
schwer, Subklasse C
Weite, durchgängige Bifurkation
bei starkem, horizontalem, teils
vertikalem Knochenschwund
(Kuhhornsonde).
In der vertikalen Dimension
beträgt der knöcherne Defekt
mehr als 6 mm: Subklasse C.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Diese Einteilung des Bifurkationsbefalls im UK gilt auch für
den im Röntgenbild kaum diagnostizierbaren Trifurkationsbefall im OK. Hier bleibt noch zu differenzieren, zwischen
welchen Wurzeln welcher horizontale Befallsgrad vorliegt.
Für eine Diagnose muss hier nicht nur von bukkal, sondern
auch von distal und palatomesial sondiert werden.
103
104
Parodontitis
Pathohistologie
Hauptsymptome der Parodontitis sind Attachmentverlust
und Taschenbildung. Modifiziert nach Müller-Glauser u.
Schroeder (1982) wird das Taschenepithel wie folgt beschrieben:
• Transmigration polymorphkerniger neutrophiler Granulo-
• unregelmäßige, zum Bindegewebe hin verzapfte Epithel-
Im subepithelialen Bindegewebe finden sich ein ausgeprägtes
entzündliches Infiltrat und Kollagenverlust, in akuten Stadien
Eiterbildung und Mikroabszesse. Knochen wird resorbiert,
tiefere Knochenmarkbereiche werden in fibröses Bindegewebe umgewandelt.
Supraalveoläre Tasche
208 Supraalveoläre Tasche,
Zahnfleischtasche (links)
Stark verzapftes Taschenepithel.
Apikal des Taschenfundus
zwischen den Pfeilen intaktes
Saumepithel (artifiziell von der
Zahnoberfläche gelöst).
Subepitheliales entzündliches
Infiltrat bis in den Bereich der
transseptalen Fasern (HE, 40×).
Plaque, Zahnstein
Interdentalpapille
transseptale Fasern
Alveolarknochen
209 Infraalveoläre Tasche,
Knochentasche (rechts)
Die tiefste Stelle des noch intakten
Saumepithels (leerer Pfeil) liegt
zum linken Zahn hin apikal des
interdentalen Knochens. Stark verzapftes, teils ulzeriertes Taschenepithel. Das entzündliche Infiltrat
reicht bis in den Desmodontalbereich und die Kochenmarkräume
(HE, 40×).
1 mm
Infraalveoläre Tasche
1 mm
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
•
leisten, zur Tasche hin über den Bindegewebspapillen oft
sehr dünnes, teils ulzeriertes Epithel
apikal geht das Taschenepithel in ein – meist kurzes –
Saumepithel über
•
zyten durch das Taschenepithel
zum Bindegewebe hin teilweise defekter Basallaminakomplex
Parodontitis – weitere Symptome
105
Weitere klinische und röntgenologische Symptome
• Entzündung (Gingivitis)
• echte parodontale Tasche } Attachmentverlust
• Knochenschwund
Diese obligaten Hauptsymptome der Parodontitis müssen
für die Diagnose „Parodontitis“ (= entzündungsbedingter
Attachmentverlust) gleichzeitig vorhanden sein; sie können
in verschiedenen Variationen und messbaren Schweregraden auftreten.
Begleitsymptome
Folgende begleitenden Symptome, die nicht obligat bei jeder
Parodontitis auftreten, modifizieren oder komplizieren das
Krankheitsbild:
• Schrumpfung der Gingiva
• Schwellung der Gingiva
• Taschenaktivität: Blutung, Exsudat, Eiter
• Taschen- und Furkationsabszesse
• Fisteln
• Zahnwanderungen, -kippungen, -elongationen
• Zahnlockerung
• Zahnverlust
Schrumpfung der Gingiva
Im Verlauf einer Parodontitis, insbesondere bei den langsam
verlaufenden chronischen Formen Erwachsener, kann es
über Jahre zur Schrumpfung der Gingiva kommen. Auch
beim Übergang akuter Phasen in eher chronische sowie
nach der instrumentellen Behandlung einer Parodontitis,
der Eröffnung von Abszessen usw. kann es lokal zum Rückgang der Gingiva und damit zur Entblößung der Wurzeloberfläche kommen.
Diese Schrumpfung darf nicht mit der klinisch weitgehend
entzündungsfrei verlaufenden Rezession verwechselt werden. Letztere entwickelt sich ohne jede Taschenbildung und
tritt vor allem fazial über den Wurzeln auf. Die Schrumpfung bei der Parodontitis dagegen kann auch im Papillenbereich sehr ausgeprägt sein.
Liegt der Margo durch die Schrumpfung apikal der SchmelzZement-Grenze, so wird durch Messung der noch bestehenden Tasche der Attachmentverlust unterschätzt. Dieser muss
von der Schmelz-Zement-Grenze bis zum Taschenfundus gemessen werden.
Schwellung der Gingiva
Die Schwellung des Zahnfleischs ist ein Gingivitissymptom,
das auch bei der Parodontitis erhalten bleiben kann.
Ödematös und/oder hyperplastisch über die Schmelz-Zement-Grenze hinaus geschwollene Gingiva kann eine zu
große Taschentiefe (Sondierungstiefe) bzw. einen zu geringen Attachmentverlust vortäuschen (Abb. 212).
Taschenaktivität
Die Aktivität einer Tasche und die Häufigkeit akuter Schübe
sind, insbesondere für die Behandlungsplanung und Einschätzung der Prognose, von größerer Bedeutung als die
Taschentiefe in Millimetern.
Blutung beim Sondieren, Exsudat und Eiterfluss, z. B. auf
Fingerdruck, sind Anzeichen für eine akute Phase der Parodontitis, wie sie häufig bei den aggressiven Parodontitiden,
aber auch bei älteren Patienten mit chronischer Parodontitis
und geschwächtem Immunstatus auftreten (Davenport et al.
1982).
Taschen- und Furkationsabzesse
Ein weiteres Symptom der Parodontitis kann der Taschenoder Furkationsabszess sein. Er entwickelt sich während
akuter Phasen, wenn der Abfluss oder die Resorption zerstörten Gewebes (Nekrose) nicht gewährleistet ist (Verklebung der koronalen Gingiva über tiefen Taschen, Schlupfwinkeln und Furkationen). Ein Abszess (Makronekrose)
kann auch provoziert werden durch Verletzung, z. B. Einbeißen von harten, spitzen Nahrungsbestandteilen in die
Tasche, durch Mundhygiene (abgebrochener Zahnstocher
usw.) oder durch ein Behandlungstrauma. Ausnahmsweise
kann sich ein Parodontalabszess zum submukösen Abszess
(Parulis) entwickeln.
Der Abszess gehört zu den wenigen Symptomen im Verlauf
einer Parodontitis, die Schmerzen verursachen können. Bei
ausgedehnten, weit nach apikal reichenden Abszessen kann
der Zahn druckempfindlich werden. Ein schmerzender
Abszess muss notfallmäßig vom Tascheneingang her oder
durch Spaltung der Gingiva/Mukosa eröffnet werden. Er
kann sich auch spontan nach marginal oder auf Umwegen
über eine Fistel entleeren.
Fisteln
Eine Fistel kann Folge der Spontaneröffnung eines Abszesses sein, wenn die Gingiva marginal verklebt ist. Wird die
Ursache (aktive Tasche) nicht beseitigt, kann ein Fistelgang
lange und ohne Schmerzen bestehen bleiben. Das „Fistelmaul“ liegt nicht immer direkt über dem akuten Prozess.
Ein gewundener Gang kann eine falsche Lokalisation vortäuschen (Sondieren des Gangs mit Knopfsonde!).
Immer ist die Vitalität des Zahns, auch die der angrenzenden
Zähne, zu kontrollieren (endodontische Probleme).
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Hauptsymptome
Parodontitis
Schrumpfung – Schwellung
Bei fortgeschrittenen Parodontitiden können als Symptome
Schrumpfungen (gingivale Rezessionen) oder Schwellungen
der Gingiva, Zahnwanderungen und -kippungen einzelner
Zähne oder ganzer Zahngruppen auftreten. Die Folgen sind
Lückenbildungen und Protrusionen, die auch ästhetische
Probleme mit sich bringen. Die Ursachen der Zahnwanderungen sind mannigfaltig und nicht in jedem Fall zu eruieren. Sicher ist das reduzierte, zahntragende Fundament
eine Voraussetzung für Wanderungen, Kippungen usw. Auslösend können verschiedene Faktoren sein: fehlende Ant-
Klinischer Attachmentverlust
agonisten, funktionelle okklusale Störungen, orale Parafunktionen (Lippen-, Wangenbeißen, Zungenpressen u. a.).
Es wird auch vermutet, dass ein Zahn, der auf einer Seite
eine ausgedehnte Tasche und auf der anderen einen noch
intakten Faserapparat hat, weniger durch Druck des Granulationsgewebes in der Tasche als vielmehr durch den Zug
der intakten suprakrestalen Fasern der Gegenseite bewegt
wird. Für diese Theorie spricht die Tatsache, dass bei gewanderten Zähnen die tiefere Tasche meist „im Schatten“ der
Wanderung liegt.
Im Folgenden werden typische klinische Messbefunde –
Sondierungstiefe, Rezession des Margo, klinischer Attachmentverlust – dargestellt (vgl. auch S. 171).
ST 8 = AV 8
210 Taschenmessung:
Sondierungstiefe (ST) =
Attachmentverlust (AV)
Die Messung (8 mm) erfolgt vom
Zahnfleischrand aus, der auf normaler Höhe entlang der SchmelzZement-Grenze verläuft: Nur
dann entspricht die Sondierungstiefe dem Attachmentverlust.
8
Rechts: Die schematische Darstellung macht deutlich, dass die
Taschentiefe etwa dem Attachmentverlust entspricht.
211 Taschenmessung:
Sondierungstiefe unterschätzt
Attachmentverlust
Die Messung (7 mm) erfolgt vom
3 mm apikal der Schmelz-ZementGrenze liegenden Zahnfleischrand
aus. Attachmentverlust = 10 mm.
ST 7 + RE 3 = AV 10
7
Rechts: Wie die schematische Darstellung deutlich macht, unterschätzt die Taschentiefe durch
die Rezession (RE) der gingivalen
Gewebe den Attachmentverlust.
212 Taschenmessung:
Sondierungstiefe überschätzt
Attachmentverlust
Die Messung (7 mm) erfolgt vom
Zahnfleischrand der ausgeprägten,
über die Schmelz-Zement-Grenze
reichenden Hyperplasie (HY) aus
(Pseudotasche). Der klinische
Attachmentverlust ist 3 mm geringer.
Rechts: Wie die schematische
Darstellung zeigt, wird durch
die Schwellung der Gingiva der
Attachmentverlust überschätzt.
3
ST 7 – HY 4 = AV 3
3
3
4
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
106
Parodontitis – weitere Symptome
Taschenaktivität und Zahnlockerung sind Symptome der
schweren, fortgeschrittenen Parodontitis. Erhöhte Zahnbeweglichkeit ist vorsichtig zu interpretieren, da sie von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird.
Bereits beim gesunden Parodont zeigen die Zähne je nach
Wurzelzahl, -morphologie und -länge Unterschiede der
physiologischen Beweglichkeit (S. 174).
Das okklusale Trauma kann – auch beim gesunden Parodont
– zu einer Erhöhung der Zahnbeweglichkeit führen (S. 461).
Bei der Parodontitis ist der quantitative Verlust des Kno-
chens für die Zahnlockerung bestimmend, wobei durch ein
sekundäres okklusales Trauma die Beweglichkeit noch verstärkt werden kann. In solchen Fällen kann es zu einer ständig zunehmenden (progressiven) Beweglichkeitserhöhung
kommen, die prognostisch ungünstig ist.
Zahnverlust
Das letzte, die Erkrankung „abschließende“ Symptom der
Parodontitis ist der Zahnverlust. Er ist selten spontan, weil
stark gelockerte Zähne, die nicht mehr funktionsfähig sind,
in der Regel vor dem spontanen Ausfall extrahiert werden.
213 Parodontale Fistel – Pus
13 mm tiefe Tasche distal des
extraktionsreifen Zahns 11.
Nach Sondierung Eiterentleerung
und Blutung aus Fistelmund und
Tascheneingang.
Links: Aktive Tasche, Eiterentleerung an Zahn 11 durch
Fingerdruck, Fingerabrollen.
214 Parodontalabszess
Ausgehend von einer 12 mm tiefen
Tasche mesial des gekippten, vitalen Zahns 47 hat sich ein Abszess
gebildet, der kurz vor dem Durchbruch steht.
Links: Röntgenologisch ist ein
ausgeprägter vertikaler Knochenschwund mesial des gekippten
Zahns 47 sichtbar.
215 Zahnwanderung
und -kippung
Diastemabildung durch starke
Kippung von Zahn 41 nach Verlust
von Zahn 42 (starkes Zungenpressen beim Schlucken!)
Links: Zahnlockerung. Beweglichkeitserhöhungen können funktionell und/oder durch Attachmentverlust verursacht sein. Die einfache
klinische Messung (Zahnbeweglichkeitsgrade S. 174) erfolgt
durch zwei Instrumente oder ein
Instrument und die Fingerkuppe.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Taschenaktivität, Zahnwanderung und -lockerung
107
108
Parodontitis
Chronische Parodontitis – leicht bis mittelschwer
Befunde: Formulare und Röntgenstatus S. 109.
Diagnose: Langsam verlaufende, leichte bis mittelschwere
chronische Parodontitis (Typ II).
216 Klinisches Bild (oben)
Sichtbar ist nur eine Gingivitis
sowie geschrumpfte Papillen.
Im UK wurden vor über 30 Jahren
die Fünfer extrahiert. Folge sind
langsame Wanderungen und Kippungen (Lückenbildungen), die
sich in den letzten Jahren stabilisierten. Insuffiziente Okklusion.
217 Anfärbung der Plaque –
Hygiene (rechts)
Die Labialflächen zeigen kaum
Plaque, dagegen finden sich an
allen Approximalflächen Plaque
und Zahnstein.
218 Unterkiefer während
Lappenoperation
Fazial ist der Knochen etwas wulstig, aber kaum geschwunden.
Interdental werden ca. 3 mm tiefe
Knochenkrater gemessen.
Die Therapie beschränkt sich
auf die Wurzelreinigung, geringe
Konturierung des wulstigen
Knochens (Osteoplastik) und die
Reposition des Lappens in seine
alte Lage (keine apikale Reposition).
Therapie: Motivation, Hygieneinstruktion und -kontrolle.
Geschlossene Zahn- und Wurzelreinigung.
Nach Reevaluation an einigen Stellen modifizierte Widman-Operation (Abb. 218). Keine Medikamente. Eventuell Brücken im UK-Seitenzahnbereich.
Recall: 4–6 Monate.
Prognose: Auch bei nur mittelmäßiger Mitarbeit des Patienten gut. In solchen Fällen ist der Zahnarzt immer „sehr
erfolgreich“.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Der 51-jährige Patient wurde bisher unregelmäßig konservierend versorgt. Parodontaldiagnostik und -therapie von
Seiten des Zahnarztes unterblieben. Der Patient selbst klagt
lediglich über leichtes Zahnfleischbluten und über störenden Zahnstein. Er ist sich keiner Parodontalerkrankung bewusst und fühlt sich voll kaufähig!
Parodontitis – Formen
109
219 ApproximalraumPlaqueindex (API) und
Papillenblutungsindex (PBI)
API
7
API
6
5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
6
7
API 93 %. Die Hygiene ist schlecht.
Fast alle untersuchten Interdentalräume zeigen Plaque.
PBI 2,9. Der Index ist sehr hoch.
Sämtliche Papillen bluten bei
Aufnahme des PBI.
PBI
7
PBI
6
5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
6
7
Name
Alter
Klagen
Datum
CAVE
Taschen in mm, Furkationen (F) Grade 1 – 3, Zahnbeweglichkeit (ZB) Grade 1 – 4
Rezession (Re) mm, Gingivabreite (aG) in mm, Frenula, Wülste (W), Sekret (S)
Hygiene
Foetor
f
ZB
o
Einstellungen
Zentrische Relation (RK):
erste Kontakte
Abgleiten in IK mm nach
Artikulation
Kontakte bei Exkursion nach
rechts
links
f
ZB
o
8
7
6
5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
6
7
8
8
7
6
5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
6
7
8
f
ZB
o
f
ZB
o
B
von (B)
(B)
Parafunktionen
anam.:
klin.:
Aetiologie + Pathogenese
Gelenke
Diagnose
morph. und funkt.
Besonderh.
Prognose/Bemerkungen
Mikrobieller
Infekt
schwach
mittel
stark
Resistenz
Verlauf
gut
mittel
schwach
okklusal.
Trauma
gering
mässig
schwach
langsam
schnell
s. schnell
220 Parostatus I
Auf dieser in der Praxis häufig
verwendeten Statuskarte
(Beschreibung S. 194, Abb. 439)
werden Sondierungstiefe, Rezession, Furkationsbefall und Zahnbeweglichkeit alphanumerisch
festgehalten.
Im vorliegenden Fall finden sich
relativ gleichmäßig tiefe Taschen
vor allem im Interdentalbereich.
Zur Beurteilung des Attachmentverlusts sind die unter „Re“ in
Millimetern eingetragenen Rezessionen (Schrumpfungen) mit zu
berücksichtigen.
Die Beweglichkeit der Zähne ist
gering (Grad 0–2). In der Funktionsanalyse zeigen sich vorzeitige
Kontakte zwischen den rechten
Zweiern (Kreuzbiss, erhöhte Beweglichkeit) und Gleithindernisse
im Seitbiss nach rechts sowie im
Vorbiss.
221 Röntgenstatus
Das Röntgenbild bestätigt die
klinischen Befunde: lokalisierter,
leichter bis mittelschwerer, überwiegend horizontaler Knochenabbau.
Wanderungen und Kippungen
einzelner Zähne im UK. Teils unzulängliche konservierende Restaurationen.
Vor allem die „strategisch“ wichtigen Eckzähne und Molaren (kein
Furkationsbefall) sind gut sanierbar.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Die Aufnahme dieser Indizes ist
auf S. 68–70 beschrieben.
110
Parodontitis
Chronische Parodontitis – schwer
Befunde: Formulare und Röntgenstatus S. 111.
Diagnose: Mittelschwere bis schwere generalisierte chronische Parodontitis (Typ II B). Die ausgeprägten Schrumpfungen im OK-Frontzahnbereich dürfen nicht mit der
klassischen gingivalen Rezession verwechselt werden!
222 Klinisches Bild (oben)
Im OK-Frontzahnbereich fallen die
starken Schrumpfungen und keilförmigen Defekte auf (harte Bürste,
abrasive Zahnpaste). Der Patient
hat seine Taschen an dieser Stelle
„weggebürstet“.
223 Unterkieferfront
bei Sondierung (rechts)
Bei Sondierung einer 9 mm tiefen
Tasche mesial von Zahn 41 kommt
es nur zu geringer Blutung. Die
Hälse auch der UK-Frontzähne
zeigen Abrasionsspuren durch die
Zahnbürste (keilförmige Defekte).
224 Resezierte Wurzel
von Zahn 41
Der kaum mehr funktionsfähige
Zahn 41 musste extrahiert werden.
Seine fast nicht mehr im Knochen
stehende Wurzel wurde amputiert
und die natürliche Krone für die
Zeit der Parodontitisbehandlung
als Provisorium mithilfe der Säureätztechnik an den Nachbarzähnen
befestigt.
Therapie:
• Sofortbehandlung: Extraktion der Zähne 18, 17; 28 und
46 sowie der Wurzel von Zahn 41, dessen Zahnkrone
mithilfe der Säureätztechnik an die Nachbarzähne „geklebt“ wird.
• Definitive Therapie: Motivation, Umstellung der Mundhygiene, Extraktion von 26 und 31. Initialbehandlung;
später evtl. chirurgische Eingriffe, Modellgussprothesen.
Recall: Alle 4–6 Monate.
Prognose: Bezüglich der erhaltenen, parodontal behandelten
Zähne bei richtiger Mitarbeit gut.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Der 61-jährige Patient „schrubbt“ seit Jahrzehnten die OKFrontzähne horizontal. Fast alle anderen Gebissabschnitte
werden bei der häuslichen Mundhygiene, die nie demonstriert wurde, vernachlässigt. Insuffiziente Restaurationen.
Parodontitis – Formen
PI
111
225 Plaqueindex (PI)
und Blutungsindex (BOP)
PI
69 %. An fast allen Zahnoberflächen – mit Ausnahme der
OK-Front und einiger Fazialflächen der UK-Front – findet
sich Plaque.
BOP Bei Sondierung bluten 75 %
der untersuchten Taschen.
Die Messungen werden an allen
vorhandenen Zähnen von mesial,
distal, fazial und oral vorgenommen (S. 68 und 69).
226 Parostatus II
In diesem modifizierten „MichiganStatus“ sind Gingivaverlauf,
Sondierungstiefe und Attachmentverlust visuell dargestellt.
Die Taschen werden um jeden
Zahn fortlaufend sondiert und
6 Stellen („sites“) werden notiert:
an je 3 Stellen von vestibulär und
an 3 Stellen von oral.
Wegen der teils ausgeprägten
gleichzeitigen Schrumpfungen
sind die Sondierungstiefen im
Frontzahngebiet trotz starken
Attachmentverlusts nicht sehr tief.
Alle Frontzähne zeigen starke
Lockerung.
Die grundsätzliche Einteilung unseres Parostatus II (modifizierter
Status der Universität Michigan)
ist auf S. 194 (Abb. 440) beschrieben.
227 Röntgenstatus
Das Röntgenbild zeigt eine für
ältere Patienten mit chronischer
Parodontitis sehr typische,
unregelmäßige Verteilung des
Knochenabbaus. Während einzelne Zähne bzw. Zahnseiten bereits
jeden „Knochenkontakt“ verloren
haben, ist beispielsweise an den
unteren Eckzähnen, teils auch an
den Prämolaren, der Knochen fast
intakt.
Bei Zahn 46 kommunizieren apikale und parodontale Läsionen.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
BOP
112
Parodontitis
Aggressive Parodontitis – ethnische Komponente
Befunde: S. Bakteriologie (Abb. 229), Formulare und Röntgenstatus (S. 113).
Diagnose: Aggressive mittelschwere Parodontitis; eine ethnische Komponente muss in Betracht gezogen werden.
228 Klinisches Bild (oben)
Pigmentiertes Zahnfleisch mit klinisch kaum sichtbarer Entzündung.
Interdental Plaque und Blutung bei
Sondierung. Zahnstein an den UKFrontzähnen. Das Diastema zwischen den OK-Frontzähnen hat
sich in den letzten 2 Jahren gebildet, Zahn 11 ist leicht elongiert.
Bakterienart
schwarz pigmentiert
Aa
Pg
Tf
229 Bakterienkulturen (rechts)
In den getesteten tiefen Taschen
große Mengen von Aa, Pg und Ec.
Pi
Rechts: Klassifikation der Bakterienzahlen (Socransky et al. 1991).
Fn
230 Lappenoperation
Oberkiefer links (Zähne 25, 26, 27)
intra operationem, nach Amputation der distalen Wurzeln der
Zähne 26 und 27.
Rechts: Zahn 27 von distal betrachtet (Spiegelbild).
Sammlung J-P. Ebner
Ec
Actinobacillus
actinomycetemcomitans
Porphyromonas
gingivalis
Tannerella
forsythensis
Prevotella
intermedia
Eikenella
corrodens
Fusobacterium
nucleatum
Therapie: Motivation, Hygieneinstruktion und -kontrolle.
Initialtherapie mit gleichzeitiger systemischer Gabe von
Metronidazol und Amoxizillin (van Winkelhoff et al. 1989).
Nach Reevaluation Lappenoperationen im 1., 2. sowie im
4. Quadranten (ohne UK-Front). Extraktion der Zähne 18
und 28.
Erhaltungstherapie: Recall vorerst alle 3 Monate.
Prognose: Bei guter Compliance der Patientin ziemlich gut.
rel. Anteil
Bakt. Zahl
50%
Bakterienart
schwarz pigmentiert
++++
≥106
Aa
++++
≥106
Pg
+++
~ 10
4
Tf
++
~10
3
Pi
++++
≥106
Ec
–
–
Fn
Actinobacillus
actinomycetemcomitans
Porphyromonas
gingivalis
Tannerella
forsythensis
Prevotella
intermedia
Eikenella
corrodens
Fusobacterium
nucleatum
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Die 31-jährige Patientin ist vor 10 Jahren aus Äthiopien in
die Schweiz eingewandert. Sie klagt über Lockerung und
Lückenbildung an den oberen Frontzähnen. Beim Zähnebürsten kommt es regelmäßig zu Zahnfleischbluten. Bisher wurde keine Parodontalbehandlung durchgeführt.
Parodontitis – Formen
113
231 ApproximalraumPlaqueindex (API) und
Papillenblutungsindex (PBI)
7
API
PBI
7
PBI
6
6
Alter
Name
Klagen
5
4
5
3
4
2
3
2
1
1
Datum
1
1
2
3
2
4
3
5
4
6
5
6
7
API 64 %. Die Interdentalhygiene
ist ungenügend, die Glattflächen sind relativ sauber.
PBI Sämtliche Papillen bluten
mehr oder weniger stark. Der
Papillenblutungsindex ist mit
2,3 hoch.
7
CAVE
Taschen in mm, Furkationen (F) Grade 1 – 3, Zahnbeweglichkeit (ZB) Grade 1 – 4
Rezession (Re) mm, Gingivabreite (aG) in mm, Frenula, Wülste (W), Sekret (S)
Hygiene
Foetor
f
ZB
o
Einstellungen
Zentrische Relation (RK):
erste Kontakte
Abgleiten in IK mm nach
Artikulation
Kontakte bei Exkursion nach
rechts
links
f
ZB
o
8
7
6
5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
6
7
8
8
7
6
5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
6
7
8
f
ZB
o
f
ZB
o
B
von (B)
(B)
Parafunktionen
anam.:
klin.:
Aetiologie + Pathogenese
Gelenke
Diagnose
morph. und funkt.
Besonderh.
Prognose/Bemerkungen
Mikrobieller
Infekt
schwach
mittel
stark
Resistenz
Verlauf
gut
mittel
schwach
okklusal.
Trauma
gering
mässig
schwach
langsam
schnell
s. schnell
232 Parostatus I
Die Sondierung zeigt eine sehr
ungleichmäßige Verteilung des
Attachmentverlusts. Auffällig
sind die tiefen Einbrüche an den
Zähnen 11; 26, 27 und 46.
Furkationsbefall 3. Grades bei den
Zähnen 26 und 27. Die Furkationen
sind jeweils von distal und bukkal
durchgehend offen.
Die Überprüfung der Funktion
zeigt vorzeitige Kontakte zwischen
den Zähnen 26 und 35 mit einer
leichten Abgleitbewegung des
Unterkiefers nach vorn rechts.
Dabei wird Zahn 11 traumatisiert.
Die Zähne sind – mit Ausnahme
der Zähne 11 und 21 – kaum gelockert. In der Anamnese gibt die
Patientin zeitweiliges Pressen am
Tage an.
233 Röntgenstatus
Der im Parostatus gemessene
ausgeprägte Attachmentverlust
bestätigt sich im Röntgenbild. An
den Zähnen 26 und 27 stehen die
bukkodistalen Wurzeln kaum noch
im Knochen.
Der leicht elongierte und nach
distal gewanderte Zahn 11 zeigt
mesial einen tiefen Einbruch. Eine
typische Situation: Der stärkste
Attachmentverlust eines gewanderten Zahns liegt meist auf der
Gegenseite der Wanderungsrichtung.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
API
114
Parodontitis
Aggressive Parodontitis – akute Phase
Befunde: s. Formulare, Röntgenstatus (S. 115) und bakteriolog. DNA-Test (IAI Padotest 4 ·5; Abb. 235 und S. 184 f).
Diagnose: Aggressive, mittelschwere, lokalisiert profunde
und akute Parodontitis (aktives Stadium).
Therapie: Inzision der Abszesse; Motivation, Hygieneinstruktion und -kontrolle, Sofortextraktion der Zähne 25; 37, 32,
234 Klinisches Bild (oben)
Parodontitis im akuten Stadium.
Lokalisiert stark entzündete Gingiva, Abszessbildungen und Eiterentleerung aus einzelnen Taschen.
Insuffiziente Okklusion und Schachtelstellung im linken Front- und
Eckzahnbereich.
Zahn: 16, Stelle: pm, Taschentiefe 8
Marker
Aa
Bf
Pg
Td
TBL
TML
236 Abszessbildung
und Eiterentleerung
Auf Fingerdruck entleert sich Eiter
aus dem tiefen Einbruch zwischen
den Zähnen 32 und 33.
Rechts: Ein Abszess zwischen den
Zähnen 23 und 24, der von der bis
zu 10 mm tiefen Tasche zwischen
diesen Zähnen ausgeht, steht kurz
vor dem Durchbruch.
ML
6,3%
6,6%
4,0%
–
17%
15
1,0
0,8
235 DNA-Testresultate –
IAI Padotest 4·5 (S. 184 f)
Resultate der zwei im OK getesteten Taschen (Zähne 16; 26).
Es findet sich ein hoher Anteil an
Porphyromonas gingivalis (Pg) bei
hohem TBL („total bacterial load“).
n
–
7,84
8,2
7
125,0
Typ
5
0,8
Aa
0
Bf
Pg
Td
TBL
• Aa: nicht nachweisbar!
• Pg: im roten Komplex vorhan-
ML
1,7%
4,5%
3,8%
–
10%
den (vgl. S. 37 und 191)
• TML: „total marker load“, d. h.
Typ
5
pathogene Markerkeime mit
17 % und 10 % sehr hoch
• Befund: Taschentyp 5 (S. 185)
5
0,0
Aa
0
Bf
Pg
Td
TBL
0
50
100
150
Mikrobieller Testbefund
10
0,6
0,4
0,2
0,0
n
–
2,41
6,2
7
140,9
15
1,0
5
0,2
Zahn: 26; Stelle: bd, Taschentiefe 6
Marker
Aa
Bf
Pg
Td
TBL
TML
10
0,6
0,4
31; 41, 42; Provisorium für Unterkieferfront;
supra- und subgingivales Scaling.
Systemisch-medikamentös unterstützt (Metronidazol),
im Recall eventuell lokal „Elyzol“ (Metronidazol; S. 289).
Nach erster Reevaluation Entscheidung über weiteres Vorgehen, abhängig von der Mitarbeit der Patientin (radikal,
erhaltend oder aufbauend/GTR).
Erhaltungstherapie: Anfänglich sehr kurzfristiges Recall.
Prognose: Mit Ausnahme der Zähne 15; 24 und 37
und bei guter Mitarbeit der Patientin mittelmäßig.
0
50
100
150
• Therapievorschlag:
mechanische Taschenbehandlung plus Metronidazol
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Die 32-jährige Patientin wurde vom Allgemeinpraktiker
wegen multipler Parodontalabszesse überwiesen. Sie selbst
klagt seit Jahren über immer wiederkehrende Schmerzen
und „Eiterentleerungen“ am Zahnfleisch.
115
237 Parostatus III –
Florida Probe Charting
In den vorangegangenen und nachfolgenden Fällen wurden die Sondierungstiefen manuell mit parodontalen Messsonden (z. B. CP-12
oder CP-15 UNC; Hu-Friedy) bestimmt und in vorgedruckte Statusformulare eingetragen.
Mit fortschreitender Computerisierung der Privatpraxis werden vermehrt elektronische Sonden wie
die „Florida Probe“ für die klinische
Befunderhebung eingesetzt
(Beschreibung S. 195).
Die „Florida Probe“ (Gibbs et al.
1988) arbeitet mit standardisiertem Druck (0,25 N). Die gemessenen Werte von Rezession, Sondierungstiefe u. a. werden auf Tastendruck (Fußbedienung) gespeichert.
Sie sind vom Patienten auf dem
Bildschirm einsehbar (Information,
Motivation) und können farbig
ausgedruckt werden.
Neben Rezession, Sondierungstiefe und Attachmentniveau können
weitere Parameter wie Furkationsbefall, Zahnbeweglichkeit, Plaquebefall, Blutung und Eiterentleerung
(Suppuration) Zahn für Zahn notiert werden. Bei erneuter Befunderhebung, z. B. im Recall, erlaubt
die neue Software des Systems
(FP 32) einen Langzeitvergleich
der Befunde: Verschlechterung
(„progression“) oder Verbesserung
(„improvement“) werden grafisch
angezeigt.
Der vorliegende Fall gehört zum
Typus der generalisierten, aggressiven Parodontitis (III B). Taschen
(Sondierungstiefen) bis 5 mm sind
durch schwarze, tiefere durch rote
„Balken“ gekennzeichnet.
238 Röntgenstatus
Der Röntgenstatus bestätigt die
klinischen Untersuchungen. Ausgeprägter, teils bis fast zum Apex
reichender Knochenverlust wird
deutlich und damit auch die von
Beginn an nicht mehr erhaltungswürdigen Zähne 25; 37, 32, 31;
41, 42.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Parodontitis – Formen
116
Parodontitis
Aggressive Parodontitis – initiales Stadium
Befunde: Formulare und Röntgenbilder S. 117.
Diagnose: Beginnende LJP (Typ III A). Typischer Befall der
Sechser, noch keine Taschenbildung an den Inzisiven.
239 Klinisches Bild – 15-jährig
(oben)
Kariesfreies Gebiss.
Die Gingiva sieht bei der Blickdiagnose ebenfalls gesund aus,
blutet aber an vielen Stellen bei
Sondierung.
240 Bissflügel-Röntgenbild;
13-jährig: gesund (rechts)
Röntgenologisch sind die gesunden, von Kompakta umgebenen Knochensepten der Sechser
erkennbar (leere Pfeile).
241 Bissflügel-Röntgenbild;
15-jährig: LJP (Typ III A)
2 Jahre später zeigen sich deutliche Knochendefekte mesial von
Zahn 16 und distal von Zahn 46
(rote Pfeile) und identische
Defekte auf der Gegenseite:
Frühdiagnose LJP!
Die Bedeutung regelmäßiger Untersuchungen (Rx !) beim Jugendlichen wird deutlich.
Rechts: Knochenkrater distolingual
von 46 während der Operation.
Röntgenbilder U. Hersberger
Therapie: Verbesserung der Interdentalhygiene, vor allem
im Molarenbereich. An den befallenen Sechsern nach
Initialbehandlung modifizierte Widman-Operationen
(intensive Wurzelreinigung unter Sicht).
Bakterieller DNA-Test (z. B. Pado-Test): Aa vorhanden,
Taschentyp 4 (S. 185).
Medikamentöse Unterstützung mit Tetrazyklin (S. 289).
Auffüllen der Knochendefekte mit Implantatmaterial?
Recall: Wiederholte professionelle Plaquekontrolle während
der Wundheilung, danach halbjährliches Recall.
Prognose: Gut.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Die 15-jährige Patientin wird vom Privatzahnarzt wegen
„plötzlich“ aufgetretener parodontaler Einbrüche an allen
Sechsjahrmolaren überwiesen.
Zur Karieskontrolle wurden periodisch Bissflügelaufnahmen
angefertigt und gingivale Befunde notiert. Die jetzt entdeckten lokalisierten Knochendefekte sind somit kein „Zufallsbefund“.
Parodontitis – Formen
7
API
PBI
7
PBI
Name
6
5
6
5
Alter
Klagen
4
3
4
2
3
2
1
1
Datum
1
1
2
3
2
4
3
5
4
6
5
6
242 API und Papillenblutungsindex (PBI)
API 64 %. Nur 10 von 28 untersuchten Interdentalräumen
sind plaquefrei (–), obwohl
das Gebiss relativ sauber
erscheint (Abb. 239).
7
PBI 2,9; Blutungszahl 80!
Bei flüchtiger Betrachtung
erscheint die Gingiva entzündungsfrei. Erst mit der
Aufnahme des PBI kann die
massive Gingivitis identifiziert werden.
7
CAVE
Taschen in mm, Furkationen (F) Grade 1 – 3, Zahnbeweglichkeit (ZB) Grade 1 – 4
Rezession (Re) mm, Gingivabreite (aG) in mm, Frenula, Wülste (W), Sekret (S)
+
Foetor
Hygiene
+
A
A
f
ZB
o
Einstellungen
Zentrische Relation (RK):
erste Kontakte
Abgleiten in IK mm nach
Artikulation
Kontakte bei Exkursion nach
rechts
links
f
ZB
o
8
7
6
5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
6
7
8
8
7
6
5
4
3
2
1
1
2
3
4
5
6
7
8
f
ZB
o
B
von (B)
f
ZB
o
+
A
–
(B)
Parafunktionen
anam.:
klin.:
Aetiologie + Pathogenese
Gelenke
Diagnose
morph. und funkt.
Besonderh.
Prognose/Bemerkungen
Mikrobieller
Infekt
schwach
mittel
stark
Resistenz
243 Parostatus I
An allen vier Sechsjahrmolaren
finden sich Sondierungstiefen bis
zu 7 mm, was etwa einem Attachmentverlust von 5 mm entspricht
(Bissflügel-Röntgenaufnahme,
Abb. 241). An beiden oberen Molaren ist der Furkationseingang von
palatomesial bereits tastbar (F1).
Am Parodont der Inzisiven, das
gleichfalls häufig befallen ist,
zeigen sich noch keine vertieften
Sulci.
Die Okklusion ist normal, keine
Parafunktionen, kein okklusales
Trauma! Die Zahnbeweglichkeit
ist lediglich bei Zahn 36 leicht
erhöht.
Verlauf
gut
mittel
schwach
okklusal.
Trauma
gering
mässig
schwach
langsam
schnell
s. schnell
Cave: In drei der vier 7 mm tiefen
Taschen ist Aa nachweisbar (bunte
Kreise).
244 Röntgenstatus
Auf dem Röntgenstatus treten die
beschriebenen Knochenkrater –
besonders an den unteren Sechsern
– nicht so markant in Erscheinung
wie auf den Bissflügelaufnahmen
(Projektionsunterschiede). An
allen anderen Zähnen – außer den
Sechsjahrmolaren –, insbesondere
an den Inzisiven des Ober- und
Unterkiefers, ist noch kein
Knochenverlust feststellbar.
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
API
117
118
Parodontitis
Präpubertäre Parodontitis – PP
Ohne Abklärung von Blutzelldefekten ist der Fall schwer
einzureihen. Obwohl die meisten Zähne befallen sind, sprechen die relativ geringe gingivale Entzündung und die feh-
lende Gingivahyperplasie gegen die generalisierte Form der
PP (Typ IV B). Ein Verdacht auf Hypophosphatasie (RathbunSyndrom) wäre abzuklären.
Befunde: S. Taschenschema und Röntgenbilder.
Diagnose: Lokalisierte, präpubertäre Parodontitis (PP, Typ IV B).
Therapie: Palliativ oder Extraktion (Page et al. 1983b). Bei
Durchbruch der bleibenden Zähne intensive Prophylaxe.
Prognose: Im Milchgebiss schlecht, im bleibenden Gebiss
fraglich.
245 Klinisches Bild –
2 1/2-jähriger Knabe
OK-Frontzahn 51 (I+) und alle UKFrontzähne und -Dreier sind spontan verloren gegangen.
Die Gingiva ist unauffällig.
Aphthenähnliche Veränderungen
in Regio 73 (–III).
Rechts: Im Röntgenbild wird der
ausgeprägte Attachmentverlust
an den Frontzähnen – bei vollständig erhaltener Wurzellänge –
deutlich.
Überdurchschnittlich große
Pulpen (Hypophosphatasie?).
246 Sondierungstiefe
und Zahnbeweglichkeit
Die Sondierungstiefe konnte nur
an vier Stellen von Zahn 61 (+I)
gemessen werden, weil der erst
2 1/2-jährige Knabe verständlicherweise sehr ängstlich und unruhig
war.
Alle Milchzähne zeigen eine
erhöhte Beweglichkeit. Stark
gelockert sind die Zähne 54, 52;
61, 62 und 63.
247 Orthopantomogramm
Das OPT zeigt an allen noch vorhandenen OK-Milchzähnen ungleichmäßigen, teils ausgeprägten
Attachmentverlust. Im UK sind
die Milchmolaren nur wenig
befallen.
Zahn 61, der im klinischen Bild
oben (Abb. 245) noch vorhanden
ist, ging bis zur Herstellung des
OPT, etwa 2 Wochen nach der
ersten Befundaufnahme, spontan
verloren.
OPT B. Widmer
6
V
IV
III
II
I
I
II
III
IV
V
6
Heruntergeladen von: Thieme E-Books & E-Journals. Urheberrechtlich geschützt.
Der erst 2 1/2-jährige Patient wurde vom Privatzahnarzt
überwiesen. Die mit den Eltern (Schweizer Vater, japanische
Mutter) erhobene Anamnese ergab, dass die unteren Milchfrontzähne und der rechte obere Milcheinser in den letzten
Monaten „ausgefallen“ sind. Der linke Milcheinser, aber auch
die Zweier und Eckzähne im Oberkiefer sind stark beweglich, ihre Wurzeln zeigen aber keinerlei Resorptionen.
Herunterladen