Zusammenfassung der Diplomarbeit: Im Schatten des Klimadeterminismus – eine Analyse der Wahrnehmung und Interpretation des Klimawandels unter Studenten der Geographie von Philipp Aufenvenne Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit Seit jeher sind Wetter und Klima für den Menschen von enormer Bedeutung. Es gibt kaum ein Alltagsgespräch, das nicht mit einem Verweis auf das Wetter begonnen wird. In nahezu allen Massenmedien finden sich Tag für Tag Vorhersagen über die Entwicklung des Wetters der nächsten Tage. Neben diesem Alltagsinteresse für das Wetter ist das Klima seit Jahrtausenden Gegenstand wissenschaftlicher Reflexion. Immer wieder haben Gelehrte oder Wissenschaftler den Verdacht geäußert, dass das Klima Grundlage der menschlichen Zivilisation sei und sogar ihre besonderen Formen hervorbringe. Wer jedoch beispielsweise das Werk Der Selbstmord des Soziologen Emil Durkheim (zuerst 1897) kennt, dem ist die klassische, zum elementaren Paradigma der modernen Sozialwissenschaften geronnene Argumentation vertraut, Soziales nur aus Sozialem zu erklären. Anhand des Beispiels Selbstmord zeigt Durkheim auf, dass selbst scheinbar völlig individuelle Handlungen soziale Phänomene sind und dass sich ihre Verteilung nicht auf physische oder klimatische Ursachen zurückführen lässt. Durkheims Arbeit hatte einen umfassenden Einfluss auf die weitere Entwicklung der modernen Wissenschaften. Die Trennung von Natur- und Sozialwissenschaften wurde zum Grundgerüst der Ausdifferenzierung des Wissenschaftssystems. Während die meisten wissenschaftlichen Disziplinen diese Ordnung und Arbeitsteilung im Laufe des frühen 20. Jahrhunderts verinnerlichten und umsetzten, zeigte die Geographie zunächst verständlicherweise kaum Resonanz, war doch die Wirkung der physischen Umwelt auf die Gesellschaft und den Menschen das Kern- und Gründungsthema dieser frühen wissenschaftlichen Disziplin (u.a. Heinritz et al. 1996; Livingstone 1992). Mit großer Akribie widmete sich die Geographie weiterhin einer Analyse des Klimas und dessen Auswirkungen auf Mensch und Gesellschaft. Mit quantitativer Logik wurde dabei der Einfluss des Klimas mit dem Einfluss anderer natürlicher Faktoren kombiniert. Es gab kaum gesellschaftliche, psychische oder gesundheitliche Aspekte des menschlichen Lebens, die nicht ursächlich mit dem Klima in Verbindung gebracht wurden (Stehr und von Storch 2009, 50f.). Nach der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs verlor der Klimadeterminismus und mit ihm die Geographie schlagartig an Bedeutung. Die Nähe des Klimadeterminismus zu Rassentheorie und Eugenik sorgte für eine moralische Diskreditierung. Im Zuge einer zunehmenden 1 Ausdifferenzierung der Natur- und Sozialwissenschaften verlor der Klimadeterminismus gleichzeitig an intellektuellem Reiz. Die Idee eines engen kausalen Zusammenhangs zwischen Klima, Gesellschaft und Mensch erschien zunehmend als eine einfältige, schablonenhafte Sicht der Welt. Auch in der Geographie setzte sich unter massivem Druck von Außen und Innen die Trennung der beiden großen Wissenschaftshauptgruppen durch: Die Physische Geographie wurde als Natur-, die Humangeographie als Sozialwissenschaft neu konzipiert. Das alte NaturMensch-Kernparadigma der Geographie wurde durch den Raum als eigenständiges geographisches Forschungsobjekt ersetzt. Seit nunmehr zwei Jahrzehnten ist das Thema Klimawandel auf seinem Marsch durch die Institutionen. Obwohl die Theorie einer möglichen anthropogen bedingten globalen Erwärmung bereits am Ende des neunzehnten Jahrhunderts wissenschaftlich diskutiert worden ist (u.a. Arrhenius 1896), rückte das Thema erst in der Mitte der achtziger Jahre in den Fokus des wissenschaftlichen und auch öffentlichen Interesses. Gleich von Beginn an wurde die wissenschaftliche Debatte über die Existenz und das Ausmaß der globalen Erwärmung von illustrativen Darstellungen möglicher ökologischer und gesellschaftlicher Klimafolgen begleitet. Bereits 1986, im Jahr der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl, prägte der Arbeitskreis Energie (AKE) der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) den Begriff der Klimakatastrophe. Diese Darstellungen fanden umgehend Eingang in die öffentliche und politische Diskussion, wobei im Diskursverlauf eine weitere Dramatisierung und Zuspitzung erfolgte (Weingart et al. 2008). Durch die Intensivierung dieser Katastrophen-Semantik rückte die Erforschung der Klimafolgen immer stärker in den Fokus des wissenschaftlichen Interesses. Im Gewand der Klimafolgenforschung erlebt der alte Klimadeterminismus seither eine Art Renaissance und zwar zumeist als Wiederentdeckung der alten Denkweise. Mittlerweile existieren unzählige Forschungsarbeiten, welche die möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesellschaft beschreiben. Die Spannweite der Arbeiten umfasst dabei nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens. Ein Großteil dieser Arbeiten geht von klimadeterministischen Prämissen aus: Um die gesellschaftlichen Folgen eines sich verändernden Klimas berechenbar zu machen, wird lediglich das Klimasystem als variabel modelliert. Der Klimawandel wird so dargestellt, als träfe er auf statische, unveränderliche soziale und wirtschaftliche Realitäten. Die Folgen des Klimawandels werden so naturalisiert. Im Rahmen dieses dominierenden Diskurses über den Klimawandel und dessen Folgen wird auch das Verhältnis von Natur und Sozialem in jüngerer Zeit kontrovers diskutiert. Das eingangs erwähnte Postulat Durkheims, Soziales nur aus Sozialem zu erklären, wird wieder zunehmend in Frage gestellt. Da der Klimawandel ja selbst eine Nebenfolge des gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses sei, könne man ihn weder ganz der natürlichen, noch ganz der 2 sozialen Welt zurechnen. Beim Klimawandel handle es sich vielmehr um ein hybrides Phänomen aus Natur und Gesellschaft (Latour 1995), welches demnach auch die Grenzziehungen zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften verschwimmen lasse (Viehhöver 2008). Während die meisten neueren Entwicklungen in den Geistes- und Sozialwissenschaften von der Geographie nur sehr zögerlich aufgenommen wurden, fand das Konzept der Hybride hier sehr rasch Anhänger (u.a. Turner 1997; Whatmore 2002), scheint es doch dem alten Mensch-UmweltKernthema neue Bedeutung zu geben. Auch die Diskussion um die Notwendigkeit einer transdisziplinären Ausrichtung der Klimaforschung fand innerhalb des Faches großen Anklang. In zahlreichen neueren geographischen Publikationen wird nun plötzlich stets wieder sowohl die transdisziplinäre Ausrichtung als auch die besondere Kompetenz in Fragen zum Verhältnis von Umwelt und Gesellschaft betont. Die Wiederentdeckung der Mensch-Natur-Thematik scheint große disziplinpolitische Hoffnungen zu wecken. Meist geschieht dies jedoch ohne eine kritische Reflexion der fachlichen, von klima- und geodeterministischen Theorien bestimmten Vergangenheit. Die zentrale Frage der Diplomarbeit war nun, ob sich dieser postulierte ganzheitliche Blick auch auf die Art der Erklärungsmuster hinsichtlich des Klimawandels und der Klimafolgen auswirkt. Während der Klimadeterminismus in den letzten Jahren seine Rückkehr auf die wissenschaftlichen Bühnen fand, versäumte es die Geographie durch eine kritische Würdigung der eigenen Fachgeschichte auf die Fallstricke und Schwachpunkte klimadeterministischer Argumentation hinzuweisen. Stattdessen keimten neue fachpolitische Hoffnungen auf, die Geographie könne endlich im Zuge der Klimafolgenforschung und anderer Probleme des globalen Umweltwandels aus ihrem Schattendasein treten und neue gesellschaftliche Relevanz erlangen. Um diese Argumentation auch empirisch zu untermauern, nimmt meine Diplomarbeit daher die Wahrnehmung und Bewertung des Klimawandels durch Studenten der Geographie in den Blick. Im Mittelpunkt der Arbeit steht dabei die Frage, in welchem Ausmaß die Ideen des Klimadeterminismus noch heute unter Geographiestudenten Anklang finden und wie diese Vorstellungen davon beeinflusst werden, wie die Studenten das Fach Geographie einschätzen und bewerten. Zur empirischen Untersuchung der Forschungsfragestellung, wie der Klimawandel und die Klimafolgen von Studenten der Geographie wahrgenommen und interpretiert werden, wurde ein gekoppeltes empirisches Design nach dem Prinzip der Triangulation gewählt. Die Grundlage der Untersuchung bildete eine quantitative Befragung, die von April bis Juni 2009 an den geographischen Instituten der Universitäten Bremen, Münster und Osnabrück durchgeführt worden war. Ergänzt wurde dieses quantitative Vorgehen durch qualitative Datenerhebungen, die etwa parallel am Geographischen Institut der Universität 3 Osnabrück stattfanden. Für die qualitative Datenerhebung wurde die Methode der Gruppendiskussionen angewendet. Dabei konnte deutlich gezeigt werden, dass der Klimadeterminismus nach wie vor als wichtige Orientierungstheorie fungiert. Wie diese kurzen Ausführungen bereits gezeigt haben, gibt es eine Reihe von Gründen, sich erneut mit verschiedenen Formen des Klimadeterminismus zu beschäftigen. Aus einer normativen Perspektive geht es darum, eine Wiederholung früherer Fehlinterpretationen und gefährlicher Vereinfachungen in einem modernen geographischen Klima- und Georeduktionismus zu verhindern. Im Gegensatz zu den gängigen Darstellungen in den meisten Vorlesungen und Seminaren zur geographischen Fachgeschichte zeigt die Diplomarbeit, dass der Klimadeterminismus mehr ist als eine ideengeschichtlich überwundene Episode des geographischen Denkens. Besonders in Anbetracht der durch den Klimawandel und anderer drängender globaler Umweltprobleme legitimierten Forderung nach einer grundlegenden Neuausrichtung und Überwindung der tiefen kulturellen Teilung von Natur- und Sozialwissenschaften, sind deterministische Annahmen auf dem Weg, erneut wissenschaftliche und gesellschaftliche Akzeptanz zu erlangen. Neben diesen normativen Aspekten leistet diese Arbeit einen Beitrag zur Analyse der Expertenund Laienwahrnehmung des Klimawandels. Am Beispiel von Geographie und Geographiestudenten werden die verschiedenen mentalen und symbolischen Formen der Wahrnehmung, Deutung und Kommunikation der Folgen der Globalen Erwärmung aufgezeigt und erläutert. Zusammenfassung der Ergebnisse und ihre wissenschaftliche Relevanz Um die wichtigsten Einzelschritte und Ergebnisse der Arbeit zu resümieren: In einem ersten Schritt wurde zunächst die Hintergrundtheorie expliziert. Im Gegensatz zu den gängigen Definitionen des Klimadeterminismus wurde der Begriff hier bedeutend weiter gefasst und damit von einem linearen Erklärungsmodell in eine beobachtungsleitende Hintergrundtheorie überführt. Daraufhin erfolgte eine recht umfangreiche historische Kontexterkundung zum klimadeterministischen Klimadeterminismus Denken. maßgeblich Dabei von zeigte einem sich, dass zyklischen, die Entwicklung des alltagsweltlich-szientifischen Transformationsprozess geprägt wurde: Ausgehend von seinen antiken Wurzeln wurde der Klimadeterminismus schnell zu einer gängigen Alltagstheorie der alteuropäischen Eliten. Die wissenschaftliche Geographie nahm diese Alltagstheorie auf und machte sie im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu ihrem ersten und bislang einzigen disziplinären Kernparadigma. Ein Blick auf einige Gründerväter und einige Gründertexte der modernen Geographie veranschaulichte die enorme Bedeutung, die der 4 Klimadeterminismus für die Etablierung der wissenschaftlichen Geographie besaß. Nach dem zweiten Weltkrieg verloren der Klimadeterminismus und damit die Geographie abrupt ihre wissenschaftliche Reputation. Nach und nach wurde der Klimadeterminismus aus der Wissenschaft im Allgemeinen und mit etwas Verzögerung auch aus der Geographie verdrängt, ohne jedoch seine alltagsweltliche Relevanz einzubüßen. Daraufhin wurde dann der enge Rahmen der Geographie und der geographischen Theorie- und Ideengeschichte wieder überschritten. Die zuvor herausgearbeiteten theoretischen und historischen Aspekte wurden hier in ihren weiteren gesellschaftlichen Kontext gestellt und um einige konstruktivistische Grundannahmen ergänzt. Es wurde gezeigt, wie der Klimadeterminismus im Rahmen wissenschaftlicher und alltagsweltlicher Diskussionen über die Existenz und die Bedeutung der Globalen Erwärmung erneut an gesellschaftlichem Einfluss gewinnen und sogar – über die Klimafolgenforschung – erneut Eingang in die szientifische Theoriebildung finden konnte. Anhand der Darstellung des Klimawandels als soziale Konstruktion wurde schließlich die Grundlage für den empirischen Teil der Arbeit gelegt. Das Bild, das sich schließlich auf der Grundlage der Ergebnisse der empirischen Erhebung ergibt, lässt sich folgendermaßen beschreiben: Der Klimadeterminismus bildet für die Geographiestudenten noch immer eine wichtige Orientierungstheorie. Die Wahrnehmung des Klimawandels erfolgt zumeist aus einer stark naturalistischen Perspektive; das heißt, das Klima wird von den Studenten zumeist als eigenständige und unabhängige Entität aufgefasst und in der Regel als prägender erachtet als soziale Gegebenheiten und Prozesse. Besonders für die Interpretation des Klimawandels fungieren die verschiedenen Spielarten des Klimadeterminismus noch vielfach als beobachtungsleitende Hintergrundtheorien. Dabei rekurrieren die Studenten allerdings weniger auf klassische klimadeterministische Grundannahmen im Sinne stringenter Ursache-WirkungsGefüge, sondern vielmehr auf vage und moralisch verbrämte Vorstellungen, die sich dem diffusen und freiwilligen Klimadeterminismus zuordnen lassen. Besonders die Vorstellung, dass es ein natürliches Gleichgewicht zwischen klimatischen und gesellschaftlichen Entwicklungen gäbe, bildet für die Studenten eine wichtige Bewertungsgrundlage. Auch viele andere mit Sinn beladene alltagsweltliche Ansichten zu Klima und Wetter, vielfach klimadeterministischer Provenience, tauchen in der Wahrnehmung des Klimawandels immer wieder auf. Zusammengefasst stellen sich die Ergebnisse der empirischen Untersuchung wie folgt dar: Die Geographiestudenten beschreiben den Klimawandel in einer doppelten Distanzierung. Für viele Studenten erscheint der Klimawandel räumlich und zeitlich zu weit entfernt, um ein direktes Gefährdungsgefühl auszulösen. Die generelle Besorgnis, die mit dem Begriff 5 Klimawandel verbunden wird, wird daher auf fremde Räume und Regionen projiziert und mündet schließlich in der bereits dem klassischen Klimadeterminismus immanenten Annahme, das eigene Klima sei dem fremder Regionen überlegen. Diese Annahme zieht sich schließlich wie ein roter Faden durch alle weiteren Aspekte der Wahrnehmung des Klimawandels. Da es kaum persönliche Betroffenheit gibt, sehen die Geographiestudenten die direkten Folgen der Globalen Erwärmung entsprechend zunächst für die Natur, die Entwicklungsländer und für kommende Generationen. Die im Einzelnen angenommen Klimafolgen sind dabei ein Widerhall der medialen Berichterstattung. Insbesondere für die Entwicklungsländer malen die Geographiestudenten detailliert mögliche Klimafolgen aus und argumentieren dabei sehr häufig im Sinne des diffusen und freiwilligen Klimadeterminismus. Drastische gesellschaftliche Folgewirkungen werden naturalisiert und im Sinne von Naturkatastrophen beschrieben. Für Deutschland und die eigene Region wird kaum von direkten und negativen Klimafolgen ausgegangen. Die Vorstellung, dass der Klimawandel neben Verlierern auch Gewinner hervorbringen könnte, wird von den meisten Studenten abgelehnt oder zumindest mit großen Vorbehalten versehen. Vor dem Hintergrund plakativer Gleichgewichtsvorstellungen erscheint jede Klimaveränderung per se als negativ. Die wenigen positiven Folgen, die von den Geographiestudenten für möglich gehalten werden, werden – im Gegensatz zu den negativen Folgen – daher besonders auf gesellschaftliche Entwicklungen zurückgeführt. Zugespitzt formuliert: Verlierer werden naturalisiert und Gewinner vergesellschaftet. Im Umgang mit dem Klimaproblem empfehlen die Geographiestudenten einen Mix aus Anpassungs- und Verhinderungsstrategien. Obwohl den Adaptionsbemühungen insgesamt größere Erfolgsaussichten beigemessen werden, favorisieren die Studenten zumeist dennoch Maßnahmen zur Verhinderung des Klimawandels. Als Begründung führen die Studenten hier überwiegend moralische Argumente an. Die Argumentationsweisen lassen sich dabei häufig dem freiwilligen Klimadeterminismus zuordnen. Obwohl die Geographiestudenten insgesamt über detailliertes wissenschaftliches Wissen über den Klimawandel verfügen, spielen alltagsweltliche Sichtweisen und Sinnzuschreibungen bei der Wahrnehmung des Klimawandels eine bedeutende Rolle. Insbesondere latent deterministische Sinnzuschreibungen finden unter den Studenten hohe Zustimmung. Im Einklang mir der Außendarstellung der Geographie betonen auch die Studenten einstimmig den ganzheitlichen und transdisziplinären Charakter der Geographie. Für alle Geographiestudenten stellt die Geographie noch immer eine fachliche Einheit dar. Diese Einschätzungen spiegeln sich insgesamt auch in der Art und Weise wider, wie die Studenten den Klimawandel wahrnehmen und interpretieren. Durch das stetige Insistieren auf die Einheit der 6 Geographie, scheinen sich m.E. klimadeterministische Denkweisen strukturell in der Geographie zu verankern. Inwieweit die im empirischen Teil beschriebenen und analysierten Muster der Wahrnehmung des Klimawandels nun spezifisch geographische Aspekte darstellen, lässt sich auf der Grundlage der erhobenen Daten nicht beantworten. Hier wäre es sicherlich eine interessante Aufgabe für einen Sozialwissenschaftler, empirisch zu erforschen, in welchem Ausmaß die Ideen des Klimadeterminismus auch im Alltagsdenken vorhanden sind. Des Weiteren wäre es m.E. sinnvoll, klimadeterministische Vorstellungen einmal losgelöst von der Wahrnehmung des Klimawandels und damit gezielter zu untersuchen, um so z.B. die Zusammenhänge zwischen Klimadeterminismus und genetischem Determinismus oder, in Anlehnung an die Cultural Theory (Thompson et al. 1990), zwischen Klimadeterminismus und alltagsweltlichen Naturvorstellungen eruieren zu können. Auch die Frage, wie die Geographie von außen und innen gesehen wird und wie ihre Stärken und Schwächen sowie Zukunftsaussichten eingeschätzt werden, wäre m.E. eine eigenständige empirische Erhebung wert. Losgelöst vom Klimadeterminismus und bezogen auf die allgemeine Erforschung der Laienwahrnehmung des Klimawandels bildete insbesondere die Fragebogenerhebung, aufgrund ihrer Fokussierung auf Klimafolgen und ihrer räumlich differenzierten Fragestellungen, eine sinnvolle und nützliche Erweiterung. Speziell die räumlich differenzierten Fragestellungen ließen sich sicherlich auch fruchtbar auf künftige Arbeiten zum Klimabewusstsein oder auf empirische Untersuchungen zur Risikoperzeption anwenden. Interessant wäre es, zu erforschen, ob sich die hier zutage getretenen Wahrnehmungsmuster auch in ähnlicher Form in anderen kulturellen Kontexten, bspw. in den Ländern des Südens, finden ließen. Die Ergebnisse dieser Arbeit haben auch unmittelbare Konsequenzen für eine sinnvolle Klimafolgenforschung und eine Zeitgemäße Geographie: Die Klimafolgenforschung muss weiter denaturalisiert werden. Rein naturwissenschaftliche Szenarien können keine vernünftigen und sinnvollen Abschätzungen hinsichtlich sozialer Prozesse liefern, da die wichtigsten Faktoren, nämlich die dynamische Entwicklung von Gesellschaft und technologische Innovationen, unberücksichtigt bleiben. Nicht nur die künftige Klimaentwicklung, auch die gesellschaftlichen Entwicklungslinien sind mit großen Unsicherheiten verbunden. Wie der einleitende Verweis auf Durkheim illustriert, wurden aus den sozialwissenschaftlichen Diskursen daher auch all jene theoretischen Perspektiven ausgeklammert, die sich unmittelbar auf den Einfluss natürlicher Faktoren bezogen. Und für diesen Ausschluss gab es damals und gibt es auch heute m.E. gute Gründe. Konkrete natürliche Faktoren verhalten sich schlicht inkompatibel zu den Erkenntnisgegenständen der Sozialwissenschaften: Sinn und Materie, also Soziales und Physisches, sind nicht identisch und 7 lassen sich auch nicht direkt aufeinander beziehen. Eine Zusammenführung von Natur und Gesellschaft im sozialwissenschaftlichen Diskurs, wie es bisweilen gebetsmühlenartig gefordert wird, ist demnach nur dann sinnvoll und weiterführend, wenn dabei der Zugkraft des Naturalismus widerstanden wird. Viele der vermeintlich innovativen Ansätze, die vorgeben, die tiefe Spaltung und den Dualismus von Gesellschaft und Natur überwinden zu können, erscheinen bei genauerem Hinsehen vielfach als Reartikulation überwunden geglaubter Theorien. Ähnliches gilt auch für die Geographie, welche ihre disziplinpolitischen Hoffnungen nicht allzu sehr in einem neuen, unkritischen Aufguss alter, vermeintlich integrativer Ansätze suchen sollte. Es mag verständlich sein, dass die Geographie versucht, durch die Betonung von Transdisziplinarität und Ganzheitlichkeit eine bessere Position im Gefüge der Wissenschaften zu erreichen. Allerdings wird das Insistieren auf einer Einheitsgeographie weder die physische noch die humanwissenschaftliche Geographie voranbringen können, sondern der universitären Geographie auf Dauer einen Bärendienst erweisen. Wie zahlreiche Beispiele zeigen, können sowohl die sozialwissenschaftliche Geographie als auch die physische Geographie durchaus – auch ohne jedwede integrative Perspektive – jeweils wichtige Beiträge zur Klimaforschung leisten. Der überwiegend unkritische Umgang mit der eigenen Fachgeschichte muss dazu allerdings überwunden werden. Die geographische Mensch-Umwelt-Forschung steht dabei vor der Aufgabe, den Natur- und den Klimabegriff in rein sozialwissenschaftlichen Diskursen neu zu bestimmen. Klima und Klimawandel sind keine primär naturwissenschaftlichen Probleme, sondern müssen auch stets konstruktivistisch, sozialwissenschaftlich behandelt werden Literatur Arbeitskreis Energie (AKE) (1986): Stellungsnahme des Arbeitskreises Energie der DPG zum Kohlendioxidproblem. In: Physikalische Blätter, 39, 9-10. Arrhenius, S. (1896): On the influence of carbonic acid in the air upon the temperature of the ground. In: Philosophical Magazine, 41, 237-277. Durkheim, E. (1897): Der Selbstmord. Frankfurt a. M.: Suhrkamp [1983]. Heinritz, G.; Sandner, G. und Wiessner, R. (Hg.) (1996): Der Weg der deutschen Geographie. Rückblick und Ausblick. Stuttgart: Steiner. Latour, B. (1995): Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie. Frankfurt a. M: Fischer. Livingstone, D. N. (1992): The Geographical Tradition: Episodes in the History of a Contested Enterprise. Oxford: Blackwell. Stehr, N. und von Storch, H. (2009): Climate and Society. Climate as Ressource, Climate as Risk. London: World Scientific. Thompson, M; Wildavsky, A. B. und Ellis, R. J. (1990): Cultural Theory. Boulder: Westview Press. 8 Turner, B. L. (1997): Spirals, Bridgers and Tunnels: Engaging Human-Environment Perspectives in Geography. In: Ecumene, 4, 196-217. Viehöver, W. (2008): CO2-Moleküle und Treibhausgesellschaften: Der Globale Klimawandel als Beispiel für die Entgrenzung von Natur und Gesellschaft in der reflexiven Moderne. In: Berichte zur deutschen Landeskunde, 2, 115-133. Weingart, P.; Engels, A. und Pansegrau, P. (2008): Von der Hypothese zur Katastrophe. Der anthropogene Klimawandel im Diskurs zwischen Wissenschaft, Politik und Massenmedien. Opladen: Budrich, 2. leicht veränderte Auflage. Whatmore, S. (2002): Hybrids Geographies. Rethinking. Natures – Cultures – Spaces. London: Sage Publications. 9