26 Thema Einfach China Bauwelt 9 | 2010 Ferienhaus in Gaochun, Provinz Jiangsu Der Bauherr Ye Hui, einer der populärsten Schriftsteller in China, wünschte sich ein Ferienhaus, das gleichermaßen dem Rückzug und der Kontemplation dienen sollte wie großen Festen mit Freunden. Zhang Lei entwarf eine großzügige Adaption des traditionellen chinesischen Hofhauses aus ortstypischem Ziegelmauerwerk. Kritik Brendan McGetrick Fotos Atelier Zhang Lei Die fast geschlossene Eingangsfront des Hauses unterstreicht den introvertierten Charakter. Die Außenraumgestaltung auf der Eingangsseite vermeidet jegliche Gefälligkeit. Lageplan im Maßstab 1 : 5000 „Grundsätzlich mag ich diese Markenarchitekten wie Tadao Ando oder Richard Meier nicht“, erklärt mir Zhang Lei, als wir durch das agrarindustriell geprägte Land in der Provinz Jiangsu fahren. „Sie machen immer das Gleiche. Der lokale Kontext schert sie nicht. Ich glaube nicht, dass das gut ist.“ Zhang Lei ist Architekt und hat sein Büro in Nanjing. Wir sind unterwegs, um uns eines seiner jüngsten Projekte anzuschauen. Das Ferienhaus für Ye Hui, einen in der Volksrepublik China bekannten und populären Schriftsteller, wurde auf dem Gelände eines aufgelassenen Getreidespeichers, 100 Kilometer von Nanjing entfernt, errichtet. „Wir arbeiteten nur mit örtlichen Materialien und setzten nur örtliche Arbeitskräfte ein“, erzählt Zhang und deutet auf eine Gruppe von Männern, die am Straßenrand hämmern und Steine schleppen. „Es sind keine Bauarbeiter. Es sind Bauern, die sich mit dem Bauen auskennen, weil sie ihre eigenen Wohnhäuser errichtet haben.“ Als wir von der Autobahn herunterfahren, schließt Zhang das Autofenster und fährt auf ein großes braunes Gebäude mit einem riesigen Schornstein zu, der wie ein Vulkan mächtige Rauchwolken ausspuckt. Vor dem Gebäude liegen stapelweise Ziegelsteine, die sich farblich kaum von der rötlichen Erde abheben. „Die Backsteine, die wir verwendet haben, stammen aus örtlicher Produktion, genauer gesagt, von hier.“ Die Nutzung traditioneller Bauverfahren für das moderne Bauen ist zurzeit in China ein spannendes Thema. Die Beliebigkeit, mit der sich jedermann irgendwie auf „Nachhaltigkeit“ als ein Ziel der Architektur beruft, weicht zunehmend einem ernsthaften Interesse an der Baukultur in den ländlichen Provinzen der Volksrepublik. Bei bestimmten Projekten, zum Beispiel beim neuen Campus für die Chinesische Akademie der Bildenden Künste in Hangzhou, welche der Architekt Wang Shu entworfen hat, werden vormoderne Bauverfahren aufgegriffen, um sich den Herausforderungen zu stellen, vor denen das moderne China steht – in Wangs Fall war dies der Umgang mit den Bergen an historischem Schutt, die der frenetische Modernisierungsprozess hinterlassen hat. Doch mindestens genauso häufig bemäntelt die Verwendung „örtlicher“ Bautechniken und Baumaterialien eine Durchschnittsarchitektur, die dadurch einen besonderen Reiz für Neureiche bekommen soll. Bauwelt 9 | 2010 27 28 Thema Einfach China Bauwelt 9 | 2010 5 6 6 6 2 1 4 3 8 4 6 Hinter den großen Fenstern liegen im Erdgeschoss die Ausstellungsgalerie, die auch als Partyraum genutzt wird, und im Obergeschoss das Schreibstudio des Hausherren. Grundrisse im Maßstab 1:250 1 2 3 4 5 6 7 8 Eingang Wohnraum Küche, Esszimmer Innenhof Studio Schlafzimmer Galerie, Partyraum Teezimmer 7 Zhang Lei ist sich dieses unheilvollen Trends bewusst und grenzt sich deutlich von solchen Versuchen ab: „Ich benutze Materialien und Bauverfahren, die ortstypisch und verbreitet sind. Manche der einst ortstypischen Materialien sind zu seltenen Materialien geworden, u.a. weil die Natursteinvorkommen restlos abgebaut sind. Und nur dort, wo solche Materialien und Techniken noch verwendet werden, kann man gute Gebäude mit einem niedrigen Budget errichten. Das ist wirklich ortstypisches Bauen und nicht bloß ein Symbol.“ Als wir Ye Huis Ferienhaus erreichen, betont Zhang Lei noch einmal mit unverhülltem Stolz: „Dieses Haus war wirklich günstig. Es hat nur etwa 100 Dollar pro Quadratmeter gekostet.“ Das Ye-Haus ist eine Interpretation des traditionellen chinesischen Hofhauses. Die Fassade zur Eingangsseite wirkt bescheiden, fast schon anspruchslos und abweisend. Tritt man über die Schwelle, hat man zuerst das Gefühl, in einen sehr privaten Rückzugsraum einzudringen. Doch sobald man links vom Eingang den Wohnraum auf der Nordseite des Hauses betritt, ändert sich die Stimmung. Dank der zweiseitigen Belichtung und vor allem der großen Öffnungen zum Innenhof wirkt der Raum groß und licht und so, als wäre mit einem Mal mehr Sauerstoff vorhanden. Das farblich changierende Mauerwerk, das aus dem Hof in die Innenräume hereinspielt, verleiht dem Ye-Haus eine selbstverständliche Maßstäblichkeit. Ein paar Freunde sitzen mit Ye Hui um den Kamin und schauen im Fernsehen NBA-Basketball. Für Ye Hui ist das Haus eher ein Organismus als ein Stück Architektur. Er beschreibt sein Heim darum auch mit Metaphern aus der Natur; es sei ein „Leuchtkäfer“, ein „Vogelschwarm“, ein „Gewitter“. Prosaischer gesprochen handelt es sich um ein Ferienhaus, das sich erweitern und verengen lassen muss. Es soll Intimität und Rückzug gewährleisten, aber auch den Empfang von Gästen und Offenheit, und beides oft gleichzeitig. Um diese Ziele zu erreichen, hat Zhang Lei das Haus um einen Hof als Mittelpunkt organisiert. An dessen Westseite befindet sich das Teezimmer, ein geschlossener Kubus, ein Raum der Stille aus Holz und Glas, der der Kontemplation gewidmet ist. Gegenüber, auf der Ostseite, liegt eine große, als Partyraum nutzbare Galerie, die sich zu dem See hinter dem Haus öffnet. Die Außenwände der Galerie sind als raumhohe Fensterflächen ausgebildet, die für einen fast fließenden Übergang von Innen und Außen sorgen. Bei schönem Wetter verschmilzt die natürliche Umgebung mit dem Innenraum. An dem Tag, als wir zu Besuch sind, ist das Wetter schlecht. Und so nutzt Zhang Lei die Gelegenheit, uns ein anderes, flexibles Element des Hauses vorzuführen. „Alle Glastüren lassen sich abdecken“, erklärt er an der Hofseite der Party-Galerie und arretiert eine Holzplanke in vertikalen Führungsschienen, die unaufdringlich in die Türfensterelemente integriert sind. „Dieses Detail haben wir uns von den Ladenbesitzern abgeguckt. So verrammeln sie nachts ihre Läden. Das ist sehr einfach, es funktioniert, und ortstypisch ist es auch.“ Aus dem Englischen von Christian Rochow 29 Bauwelt 9 | 2010 Architekten Atelier Zhang Lei, Nanjing Mitarbeit Gaochun Architecture and Design Institute Tragwerksplanung Gaochun Architecture and Design Institute Bauleitung Zhao Xiabao Alle Funktionen orientieren sich um den Innenhof. Allein die Außenwände der Galerien sind auf beiden Seiten raumhoch verglast und stellen eine prägnante Verbindung von Innen und Außen her. Das Teezimmer setzt sich in seiner Materialität vom Rest des Hauses ab, es ist als Sonderelement in den Innenhof eingestellt. Hinter dem Haus liegt ein See.