Ferienhaus in Gaochun, Provinz Jiangsu

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Thema Einfach China
Bauwelt 9 | 2010
Ferienhaus in Gaochun, Provinz Jiangsu
Der Bauherr Ye Hui, einer der populärsten Schriftsteller in China, wünschte sich ein Ferienhaus, das gleichermaßen
dem Rückzug und der Kontemplation dienen sollte wie großen Festen mit Freunden. Zhang Lei entwarf eine großzügige
Adaption des traditionellen chinesischen Hofhauses aus ortstypischem Ziegelmauerwerk.
Kritik Brendan McGetrick Fotos Atelier Zhang Lei
Die fast geschlossene Eingangsfront des Hauses unterstreicht den introvertierten
Charakter. Die Außenraumgestaltung auf der Eingangsseite vermeidet jegliche
Gefälligkeit.
Lageplan im Maßstab
1 : 5000
„Grundsätzlich mag ich diese Markenarchitekten wie Tadao
Ando oder Richard Meier nicht“, erklärt mir Zhang Lei, als
wir durch das agrarindustriell geprägte Land in der Provinz
Jiangsu fahren. „Sie machen immer das Gleiche. Der lokale
Kontext schert sie nicht. Ich glaube nicht, dass das gut ist.“
Zhang Lei ist Architekt und hat sein Büro in Nanjing. Wir
sind unterwegs, um uns eines seiner jüngsten Projekte anzuschauen. Das Ferienhaus für Ye Hui, einen in der Volksrepublik China bekannten und populären Schriftsteller, wurde auf
dem Gelände eines aufgelassenen Getreidespeichers, 100 Kilometer von Nanjing entfernt, errichtet. „Wir arbeiteten nur mit
örtlichen Materialien und setzten nur örtliche Arbeitskräfte
ein“, erzählt Zhang und deutet auf eine Gruppe von Männern,
die am Straßenrand hämmern und Steine schleppen. „Es sind
keine Bauarbeiter. Es sind Bauern, die sich mit dem Bauen auskennen, weil sie ihre eigenen Wohnhäuser errichtet haben.“
Als wir von der Autobahn herunterfahren, schließt Zhang das
Autofenster und fährt auf ein großes braunes Gebäude mit
einem riesigen Schornstein zu, der wie ein Vulkan mächtige
Rauchwolken ausspuckt. Vor dem Gebäude liegen stapelweise
Ziegelsteine, die sich farblich kaum von der rötlichen Erde abheben. „Die Backsteine, die wir verwendet haben, stammen
aus örtlicher Produktion, genauer gesagt, von hier.“
Die Nutzung traditioneller Bauverfahren für das moderne Bauen ist zurzeit in China ein spannendes Thema. Die
Beliebigkeit, mit der sich jedermann irgendwie auf „Nachhaltigkeit“ als ein Ziel der Architektur beruft, weicht zunehmend
einem ernsthaften Interesse an der Baukultur in den ländlichen Provinzen der Volksrepublik. Bei bestimmten Projekten,
zum Beispiel beim neuen Campus für die Chinesische Akademie der Bildenden Künste in Hangzhou, welche der Architekt
Wang Shu entworfen hat, werden vormoderne Bauverfahren
aufgegriffen, um sich den Herausforderungen zu stellen, vor
denen das moderne China steht – in Wangs Fall war dies der
Umgang mit den Bergen an historischem Schutt, die der frenetische Modernisierungsprozess hinterlassen hat. Doch mindestens genauso häufig bemäntelt die Verwendung „örtlicher“
Bautechniken und Baumaterialien eine Durchschnittsarchitektur, die dadurch einen besonderen Reiz für Neureiche bekommen soll.
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Hinter den großen Fenstern
liegen im Erdgeschoss die
Ausstellungsgalerie, die auch
als Partyraum genutzt wird,
und im Obergeschoss das
Schreibstudio des Hausherren.
Grundrisse im Maßstab 1:250
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Eingang
Wohnraum
Küche, Esszimmer
Innenhof
Studio
Schlafzimmer
Galerie, Partyraum
Teezimmer
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Zhang Lei ist sich dieses unheilvollen Trends bewusst und
grenzt sich deutlich von solchen Versuchen ab: „Ich benutze
Materialien und Bauverfahren, die ortstypisch und verbreitet
sind. Manche der einst ortstypischen Materialien sind zu seltenen Materialien geworden, u.a. weil die Natursteinvorkommen restlos abgebaut sind. Und nur dort, wo solche Materialien und Techniken noch verwendet werden, kann man gute
Gebäude mit einem niedrigen Budget errichten. Das ist wirklich ortstypisches Bauen und nicht bloß ein Symbol.“ Als wir
Ye Huis Ferienhaus erreichen, betont Zhang Lei noch einmal
mit unverhülltem Stolz: „Dieses Haus war wirklich günstig. Es
hat nur etwa 100 Dollar pro Quadratmeter gekostet.“
Das Ye-Haus ist eine Interpretation des traditionellen chinesischen Hofhauses. Die Fassade zur Eingangsseite wirkt bescheiden, fast schon anspruchslos und abweisend. Tritt man
über die Schwelle, hat man zuerst das Gefühl, in einen sehr
privaten Rückzugsraum einzudringen. Doch sobald man links
vom Eingang den Wohnraum auf der Nordseite des Hauses betritt, ändert sich die Stimmung. Dank der zweiseitigen Belichtung und vor allem der großen Öffnungen zum Innenhof wirkt
der Raum groß und licht und so, als wäre mit einem Mal mehr
Sauerstoff vorhanden. Das farblich changierende Mauerwerk,
das aus dem Hof in die Innenräume hereinspielt, verleiht dem
Ye-Haus eine selbstverständliche Maßstäblichkeit.
Ein paar Freunde sitzen mit Ye Hui um den Kamin und
schauen im Fernsehen NBA-Basketball. Für Ye Hui ist das Haus
eher ein Organismus als ein Stück Architektur. Er beschreibt
sein Heim darum auch mit Metaphern aus der Natur; es sei
ein „Leuchtkäfer“, ein „Vogelschwarm“, ein „Gewitter“. Prosaischer gesprochen handelt es sich um ein Ferienhaus, das sich
erweitern und verengen lassen muss. Es soll Intimität und
Rückzug gewährleisten, aber auch den Empfang von Gästen
und Offenheit, und beides oft gleichzeitig. Um diese Ziele zu
erreichen, hat Zhang Lei das Haus um einen Hof als Mittelpunkt organisiert. An dessen Westseite befindet sich das Teezimmer, ein geschlossener Kubus, ein Raum der Stille aus Holz
und Glas, der der Kontemplation gewidmet ist. Gegenüber, auf
der Ostseite, liegt eine große, als Partyraum nutzbare Galerie,
die sich zu dem See hinter dem Haus öffnet. Die Außenwände
der Galerie sind als raumhohe Fensterflächen ausgebildet, die
für einen fast fließenden Übergang von Innen und Außen sorgen. Bei schönem Wetter verschmilzt die natürliche Umgebung mit dem Innenraum.
An dem Tag, als wir zu Besuch sind, ist das Wetter schlecht.
Und so nutzt Zhang Lei die Gelegenheit, uns ein anderes, flexibles Element des Hauses vorzuführen. „Alle Glastüren lassen sich abdecken“, erklärt er an der Hofseite der Party-Galerie
und arretiert eine Holzplanke in vertikalen Führungsschienen, die unaufdringlich in die Türfensterelemente integriert
sind. „Dieses Detail haben wir uns von den Ladenbesitzern abgeguckt. So verrammeln sie nachts ihre Läden. Das ist sehr
einfach, es funktioniert, und ortstypisch ist es auch.“
Aus dem Englischen von Christian Rochow
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Architekten
Atelier Zhang Lei, Nanjing
Mitarbeit
Gaochun Architecture and
Design Institute
Tragwerksplanung
Gaochun Architecture and
Design Institute
Bauleitung
Zhao Xiabao
Alle Funktionen orientieren
sich um den Innenhof. Allein
die Außenwände der Galerien
sind auf beiden Seiten raumhoch verglast und stellen eine
prägnante Verbindung von
Innen und Außen her. Das Teezimmer setzt sich in seiner
Materialität vom Rest des Hauses ab, es ist als Sonderelement in den Innenhof eingestellt. Hinter dem Haus liegt
ein See.
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