20 Uhr Freitag, 19.05.17 — 20 Uhr Elbphilharmonie Hamburg

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Lintu
& Gluzman
Donnerstag, 18.05.17 — 20 Uhr
Freitag, 19.05.17 — 20 Uhr
Elbphilharmonie Hamburg, Großer Saal
HANNU LINTU
Dirigent
VADIM GLUZM AN
Violine
J E A N S I B E L I U S ( 1 8 6 5 – 1 9 5 7 )
Tapiola
Sinfonische Dichtung op. 112
Entstehung: 1926 | Uraufführung: New York, 26. Dezember 1926 | Dauer: ca. 18 Min.
Largamente – Allegro moderato – Allegro – Allegro moderato
A L B A N B E R G ( 1 8 8 5 – 1 9 3 5 )
Konzert für Violine und Orchester
„Dem Andenken eines Engels“
Entstehung: 1935 | Uraufführung: Barcelona, 19. April 1936 | Dauer: ca. 30 Min.
I. Andante – Allegretto
II. Allegro – Adagio
Pause NDR ELBPHILHARMONIE
ORCHESTER
C A R L N I E L S E N ( 1 8 6 5 – 1 9 3 1 )
Sinfonie Nr. 4 op. 29 „Das Unauslöschliche“
Entstehung: 1914 – 16 | Uraufführung: Kopenhagen, 1. Februar 1916 | Dauer: ca. 38 Min.
I. Allegro –
II.Poco allegretto –
III. Poco adagio quasi andante –
IV. Allegro
Ende des Konzerts gegen 22.15 Uhr
Einführungsveranstaltungen mit Habakuk Traber
jeweils um 19 Uhr im Großen Saal der Elbphilharmonie
Das Konzert wird am 19.06.2017 um 20 Uhr auf NDR Kultur gesendet.
JEAN SIBELIUS
JEAN SIBELIUS
Tapiola op. 112
Tapiola op. 112
„Im Bann der düsteren
Kiefernwälder“
Da dehnen sich des
Nordlands düstre
Wälder
Uralt-geheimnisvoll
in wilden Träumen;
In ihnen wohnt der
Wälder großer Gott,
Waldgeister weben
heimlich in dem
Dunkel.
Gedicht, das der „Tapiola“Partitur vorangestellt ist
Als Jean Sibelius 1926 sein Opus 112 an den Verlag
Breitkopf & Härtel schickte, stieß er zunächst auf Rat­
losigkeit: Wer oder was in aller Welt, so fragte man sich
in Leipzig, war Tapiola? Sibelius, der die Inspiration zu
dem gleichnamigen Werk „gänzlich in der Natur bzw.
in etwas, das man in Worten nicht ausdrücken kann“
erhalten hatte, erklärte, Tapiola stehe für die unend­
lich einsamen finnischen Wälder, die sich hunderte
von Kilometern weit über das Nordland erstrecken.
Der Titel leite sich aus dem finnischen Nationalepos
„Kalevala“ ab – von der Waldgottheit Tapio, jener ele­
mentaren Naturgewalt des hohen Nordens, die in per­
sonifizierter Form als Urvater der Gnome, Trolle und
Luftgeister mit seiner weitverzweigten Familie das
düstere Reich zwischen Unterholz und schwindeler­
regenden Wipfeln beherrscht. Auf der Basis dieser
Ausführungen entstand in einer der Leipziger Verlags­
redaktionen ein programmatisches Gedicht, welches
in verkaufsfördernder Absicht nach Art „neudeutscher“
Programmmusik der Partitur vorangestellt wurde
(siehe linke Spalte).
Der amerikanische Dirigent Walter Damrosch, der
„Tapiola“ gemeinsam mit der New Yorker Sinfonischen
Gesellschaft in Auftrag gegeben hatte, scheint das
Wesen von Sibelius’ Werk sofort erfasst zu haben. Kurz
vor der erfolgreichen Premiere, die am 26. Dezember
1926 in New York stattfand, schrieb er an den Kompo­
nisten: „Wir stehen ganz im Bann der düsteren Kiefern­
4
wälder; wir hören die heulenden Winde, deren eisige
Töne vom Nordpol selbst zu kommen scheinen. Durch
alles huschen die Geisterschatten von Göttern und
seltsamen Wesen, die die nordische Mythologie be­
völkern; sie flüstern ihre Geheimnisse und tanzen ihre
mystischen Tänze zwischen Zweigen und Bäumen.“
Naturgemäß setzte sich Sibelius mit seiner einsätzigen
Komposition über alle Lehrbuchdefinitionen und die
von den Theoretikern erdachten Formmodelle hinweg,
um in brillanter Instrumentation ein visionäres Werk
zu schaffen, das im Charakter eines musikalischen
Kontinuums unterschiedliche Klangfelder aneinander­
reiht. Dabei ist die Komposition, ungeachtet ihrer gro­
ßen Tempovielfalt und der variantenreich verwendeten
Instrumentenkombinationen, im Grunde mono­the­ma­
tisch angelegt. Denn das zweitaktige Streicher­t­­he­ma,
welches gleich zu Beginn der langsamen Einleitung
exponiert wird, bildet die Grundlage einer Folge von
sinfonischen Variationen, die sich hinsichtlich ihrer
musikalischen Charaktere – vom schwergewichtigen
Allegroteil über ein luftiges Holzbläserintermezzo hin
zu einem huschenden Scherzo, in dem sich ein Dialog
zwischen Holzbläsern und Streichern ausbildet – deut­
lich voneinander absetzen. Gegen Ende dieses Pro­
zesses steigert sich die Musik mit Tremolandofigu­ren
der Streicher in Ehrfurcht gebietendem Crescendo zu
einer naturalistische Züge annehmenden Sturmdar­
stellung (nicht zufällig hatte Sibelius kurz vor „Tapiola“
die musikalische Untermalung zu Shakespeares Dra­
ma „Der Sturm“ geschrieben). Nach dem Abklingen
der Naturgewalten endet das bis dahin durchgehend
in Moll gehaltene Werk in einem lange ausgehaltenen
H-Dur-Streicherakkord, der abschließend doch noch
ein Gefühl von Ruhe und Vollendung vermittelt.
Harald Hodeige
5
Jean Sibelius (1923)
Z I TAT E ZU M W E R K
Zuweilen hört man das weh­
mütige, sich immer wieder
wiederholende Munkeln des
Waldgeistes, zuweilen tanzen
die Wichtelmännchen hitzig,
zuweilen wiederum schreit ein
einsamer Wanderer in der
Einöde seinen Lebensschmerz
gegen den Himmel. Ein schönes
Werk, technisch der Sinfonie
Nr. 7 nahe.
Der finnische Komponist
und Dirigent Leevi Madetoja
nach der Uraufführung von
„Tapiola“
Auch wenn Sibelius nichts an­
deres komponiert hätte, dieses
Werk wäre ausreichend, um ihm
einen Platz unter den Großmeistern aller Zeiten zu garantieren.
Der Sibelius-Forscher Cecil Gray
ALBAN BERG
ALBAN BERG
Violinkonzert
Violinkonzert
Requiem voller Symbolik
Manon Gropius
DEM ANDENKEN EINES
ENGELS
Warum hatte die kleine schuldlose Manon mit ihren 18 Jahren
so viel mehr zu leiden als andere
Menschen. Es war der strahlends­
te Ostermontag, an dem sie endlich erlöst wurde … Es war einer
jener Tode, angesichts derer
der gläubigste Mensch, daran
zweifeln muss, dass die Güte
eine Eigenschaft Gottes sei.
Der Schriftsteller Franz Werfel,
mit dem Alma Mahler nach
ihrer Trennung von Walter
Gropius – kurz nach der Geburt
der gemeinsamen Tochter
Manon – zusammenlebte
„Sie verbreitete Scheu mehr noch als Schönheit um
sich, eine Engels-Gazelle vom Himmel!“ Mit diesen
Worten beschrieb Elias Canetti einmal Manon Gropius,
die Tochter von Alma Mahler und Walter Gropius.
Auch Alban Berg war einer der vielen Wiener Künstler,
die das Wesen der jungen Manon verzauberte. Der
frühe Tod der 18-Jährigen an Kinderlähmung traf ihn
im April 1935 tief. So war es ihm ein Bedürfnis, jenes
Werk, das gerade auf seinem Schreibtisch lag, ihrem
Andenken zu widmen. Aus dem Violinkonzert – eigent­
lich eine aus Finanznöten angenommene Auftrags­
arbeit für den Geiger Louis Krasner – wurde ein Requi­
em für den „Engel“ Manon. Dass es zugleich sein
eigenes Requiem werden sollte, konnte Berg nicht ah­
nen: Kurz nach Vollendung der Partitur verursachte
ein Insektenstich eine Blutvergiftung, der der Kompo­
nist am Heiligen Abend 1935 erlag. Das Violinkonzert
wurde posthum in Barcelona uraufgeführt. Berg hat
sein populärstes Werk nie gehört.
Zur mythischen Aura, die Bergs Opus ultimum aus
diesen Gründen umgibt, hat der Musikwissenschaftler
Douglas Jarman sogar noch eine weitere Komponente
hinzugefügt: Bereits viele Wochen vor Manons Tod
stand der Formplan des Konzerts fest. Die Folge aus
vier durch Tempo und Charakter unterschiedenen
Teilen entsprach dabei laut einer Tagebucheintragung
Bergs offensichtlich dem Motto des durch „Turnvater
Jahn“ ins Leben gerufenen Deutschen Turnvereins:
„Frisch, Fromm, Fröhlich, Frei“ – hier nur in umge­
kehrter Reihenfolge. Dem „freien“ Beginn sollte also
ein „fröhliches“ Scherzo folgen, woraufhin „fromme“
Choralvariationen von einem „frischen“ Allegro ab­
6
gelöst werden sollten. Als plausibelste Erklärung für
diesen rückläufigen – und damit ja entstellten – Auf­
griff eines bekannten deutsch-patriotischen Slogans
kommt für Johnson ein privater Akt der Auflehnung
des von den Nazis als „entartet“ verunglimpften
und mit Aufführungsverbot belegten Komponisten
in Frage. Man fühlt sich unmittelbar an die Werke
Schostakowitschs erinnert, in denen auf ähnliche Wei­
se politische und persönliche Botschaften versteckt
sind. Und so wie Schostakowitsch sich in seiner Musik
durch die klingenden Initialen seines Namens ver­
ewigte, hat Berg laut Johnson seinem Violinkonzert
ebenfalls autobiographische Züge durch Zahlensym­
bolik verliehen. So vereine der letzte Takt 230 die
beiden Zahlen 23 und 10, die Berg in vielen anderen
Werken mit sich selbst oder seiner letzten großen
Liebe Hanna Fuchs in Verbindung brachte ...
Was immer man auch glauben will, fest scheint jeden­
falls zu stehen, dass das Programm eines Porträts der
Manon Gropius nicht die erste und einzige Idee hinter
Bergs Violinkonzert war. Auch die Zwölftonreihe, auf
der das Werk beruht, war schon gefunden, als Berg
sich aufgrund des traurigen Anlasses dazu entschloss,
einen Choral von Johann Sebastian Bach („Es ist ge­
nug“) zu zitieren. „Ist das nicht merkwürdig“, konnte er
deshalb seinen Schüler Willi Reich fragen, „die ersten
vier Töne des Chorals (eine Ganztonfolge) entsprechen
genau den letzten vier Tönen der Zwölftonreihe, mit
der ich das ganze Konzert baue?“ Diese Zwölftonreihe
ist übrigens auch noch in anderer Hinsicht bemerkens­
wert: Berg ging von den vier Saiten der Violine (g-d-a-e)
aus und füllte sie mit Terzen auf, so dass sich in der
Reihe ganz tonale Dreiklänge ergeben – ein Grund für
die vergleichsweise leichte Zugänglichkeit und Klang­
schönheit des Violinkonzerts. Es wurde, begünstigt
auch durch die Attraktivität des berührenden Pro­
7
E I N B AC H - Z I TAT
Als Alban Berg für den letzten
Abschnitt seines Violinkon­
zerts einen geeigneten Choral
suchte, wurde er in der Kantate
„O Ewigkeit, du Donnerwort“
BWV 60 von Johann Sebastian
Bach fündig: An deren Ende
steht der berühmte, mit drei
Ganztonschritten beginnende
Choral „Es ist genug“. In Ver­
bindung mit dem Text darf
diese eigenwillige Tonfolge dort
als eine Art „Himmelsleiter“,
als musikalisches Symbol für
das Überschreiten des Lebens­
bereichs zum Tod verstanden
werden, wobei aus dem Ge­
samtzusammenhang der Kan­
tate aber auch deutlich wird,
dass der Mensch dem Tod mit
Zuversicht und Hoffnung auf
die eigene Auferstehung ent­
gegenblicken darf. Genau die­
ser inhaltliche Konnex ließ den
Choral für Bergs Anliegen so
passend erscheinen. Widmete
er sein Violinkonzert nach dem
Tod der 18-jährigen Manon
Gropius „dem Andenken eines
Engels“, so öffnet das Zitat
des Bach-Chorals am Ende ge­
wissermaßen die Tür zum
Himmel. Bachs Musik wird
hier zum Signum des Trostes
und der Erlösung.
ALBAN BERG
ALBAN BERG
Violinkonzert
Violinkonzert
gramms, zum einzigen atonalen Solo-Konzert, das
heute weltweit zum Standardrepertoire gehört.
Alban Berg (1932)
KUNST DER VERMITTLUNG
Die Zwölftonreihe, die Alban
Berg seinem Violinkonzert zu
Grunde legte, ist klug erdacht:
Es lassen sich aus ihr sowohl
die tonalen Zitate des BachChorals oder einer Kärntner
Volksweise herleiten als auch
krass dissonante Klänge wie
diejenigen im 2. Teil. Dem
etwa von Theodor W. Adorno
erhobenen Vorwurf des allzu
Popularisierenden, Simplen
oder Konventionellen sowie
der Kritik an vermeintlichen
Stilbrüchen musste derselbe
gestrenge Autor daher in einem
Atemzug entgegensetzen, dass
sich „Bergs Kunst der Vermitt­
lung in keinem seiner Werke
höher als dem letzten abge­
schlossenen“ niederschlug.
„Bergs Neigung, tonartliche
und zwölftönige Komplexe
konstruktiv miteinander zu
durchdringen“, so Adorno,
„ist im Konzert zur reinsten
Konsequenz geführt.“
Ein tatsächlich „frei“ wirkendes Vorspiel, in dem die
Geige zunächst ihre vier leeren Saiten erklingen lässt,
eröffnet das Werk. „Wer Berg kannte“, erklärte Theodor
W. Adorno, „mag das als ironisch-makabre Anspielung
darauf verstehen, dass er, bei der Auftragskomposi­
tion, sich selbst erst in Stimmung bringen musste. Der
Doppelsinn jenes Wortes ist auskomponiert: vom
unbeseelten Ausprobieren der leeren Saiten, noch dies­
seits der eigentlichen Komposition, wird gleitend die
volle expressive Intensität erreicht“. Mit dieser Inten­
sität schildert der folgende Andante-Satz gemäß Bergs
eigener Erläuterung das sanft-träumerische Wesen der
Manon Gropius. Ein deutlich an Bergs großes Vorbild
Gustav Mahler erinnerndes, wienerisches LändlerScherzo (Allegretto) berichtet sodann auch von Humor
und Anmut des Mädchens. Das Zitat des Kärntner
Volksliedes „Ein Vogerl auf’m Zwetschgenbaum“ er­
innert ferner daran, dass Berg sein Violinkonzert
am Wörthersee, unweit der sommerlichen Aufenthalts­
orte von Brahms und Mahler, komponierte.
Für den zweiten Teil des Werks musste Berg, dem ja
nunmehr die Idee von „Tod und Verklärung“ vor­
schwebte, die ursprünglich geplante Reihenfolge von
Choralvariationen mit abschließendem „frischen“
Allegro umdrehen. Die auskomponierte Solo-Kadenz,
die als Allegro daher am Anfang steht, beschreibt die
Krankheit der Manon, wobei sich in Bergs Skizzen
Kommen­t are wie „Rufe“, „Stöhnen“ oder – für den
Höhepunkt – „Lähmungsakkord“ finden. Auf den
letzten Ausbruch antwortet der Bach-Choral, der dar­
aufhin „in der Variationstechnik des Choralvorspiels
durchgeführt wird, nochmals durchtönt vom Kärntner
Lied, in einer Traurigkeit, an die Worte nicht heran­
8
reichen … Der Abschied, von dem die Musik tönt,
scheint der von Welt, Traum und Kindheit selber.“
(Adorno). Einen deutlichen Hinweis aber auf die Ver­
klärung, auf das ewige Leben nach dem irdischen
Tod birgt der Schluss, in dem Berg jenen offenen
Akkord aufgreift, mit dem schon Mahlers „Lied von
der Erde“ zu den Worten „Ewig, ewig“ ausklang.
Julius Heile
CARL NIELSEN
Sinfonie Nr. 4 op. 29 „Das Unauslöschliche“
„Musik ist Leben“
Die ersten Pläne zu seiner Vierten Sinfonie fasste
Carl Nielsen im Frühjahr 1914. An seine Frau Anne
Marie schrieb er am 3. Mai: „Ich habe eine Idee zu
einer neu­en Arbeit, die kein Programm hat, die aber
ausdrücken soll, was wir unter Lebensdrang oder
Lebensäußerun­gen verstehen, also: alles was sich
rührt, was Leben will, was man weder als böse noch
als gut, niedrig oder hoch, groß oder klein bezeich­
nen kann, sondern wo man einfach nur sagen würde:
,Das ist Leben‘. Ich muss ein Wort oder einen kurzen
Titel finden, der das aussagt“. Fast zwei Jahre lang
arbeitete Nielsen an dem Werk. Mitte Januar 1916
schließlich war es soweit: Nielsen hatte die Sinfonie
vollendet. Bereits am 1. Februar dirigierte der Kom­
ponist die Uraufführung in Kopenhagen. Einen Titel
hatte er auch gefunden: „Det Uudslukkelige“,
zu Deutsch: „Das Unauslöschliche“.
9
Nielsens 4. Sinfonie
gehört zu den
herausragenden
Beispielen einer
Sinfonik, die sich
ohne Traditionsverweigerung dem
Neuen stellte und
die zudem in ihrem
humanen Gestus
nicht veralten kann.
Wulf Konold
CARL NIELSEN
CARL NIELSEN
Sinfonie Nr. 4 op. 29 „Das Unauslöschliche“
Sinfonie Nr. 4 op. 29 „Das Unauslöschliche“
CARL NIELSEN
Carl Nielsen wurde 1865 (im
gleichen Jahr wie Jean Sibelius)
in Sortelung auf Fünen als Sohn
eines Anstreichers geboren.
Er lernte Violine und Trompete
und erhielt mit 14 Jahren eine
Stelle im Militärorchester in
Odense. Nach dem Violinstu­
dium am Konservatorium in
Kopenhagen war er zunächst
Geiger am Königlichen Thea­
ter, trat aber auch schon mit
eigenen Kompositionen hervor.
1905 quittierte er seinen Dienst
im Orchester und konzentrierte
sich fortan auf seine Arbeit als
Komponist und Dirigent. Mit
Werken wie der Oper „Maske­ra­
de“ oder der Dritten Sinfonie
wurde er international be­
kannt. Neben Niels Wilhelm
Gade ist Nielsen bis heute der
wohl berühmteste und bedeu­
tendste Komponist Dänemarks.
Anders als viele skandinavi­
sche Kollegen treten bei ihm
folkloristische Elemente in den
Hintergrund. In seinen sechs
Sinfonien prägte er eine un­
verwechselbar persönliche Har­
monik und Instrumentation
aus und ging seinen ganz ei­
genen Weg zwischen Spätro­
mantik und Expressionismus.
Die Uraufführung war ein großer Erfolg: „Wer sich
dieses Meisterwerk anhörte, muss sich darüber im
Klaren sein, dass hier ein Hauptwerk der dänischen
Musik aus der Taufe gehoben wurde“, hieß es in einer
Kritik. Doch es gab nicht nur begeisterte Stimmen:
„Deine Musik ist die Hölle, und ich möchte nicht in
die Hölle“, musste sich der Komponist von seinem
Freund Thomas Laub anhören. In der Tat hatte sich
Nielsens Tonsprache in der Vierten Sinfonie beträcht­
lich weiterentwickelt: Die Musik ist weit dissonanter
und aggressiver als in all seinen vorherigen Werken;
gelegentlich wird die Grenze zur Atonalität gestreift.
Es ist mehr als wahrscheinlich, dass sich mannigfache
Konflikte persönlicher und allgemeiner Art in diesem
Werk widerspiegeln. 1914 hatte Nielsen sein Amt als
Kapellmeister des Königlichen Theaters Kopenhagen
nach diversen Streitigkeiten niedergelegt; die Ehe
mit der Bildhauerin Anne Marie Brodersen drohte zu
scheitern, da Nielsen es mit der Treue nicht allzu
genau nahm, und nicht zuletzt zeigte sich der Kom­
ponist durch die Geschehnisse des Ersten Weltkriegs
erschüttert und beklagte, dass das Nationalgefühl
allgemein zu einer Art „geistiger Syphilis“ geworden
sei, „die die Gehirne auffrisst und mit irrsinnigem
Hass aus den leeren Augenhöhlen grinst.“
Der erste der vier unmittelbar ineinander übergehen­
den Sätze entfesselt zu Beginn die Gewalten des
Chaos. Die Tonarten D und C stehen gegeneinander,
und ein regelrechtes Thema schält sich aus dem Ge­
schehen noch nicht heraus. Wenn sich der Sturm
beruhigt, erscheint ein in parallelen Terzen der Kla­
rinetten geführtes gesangliches Thema, das sich am
Ende des Finales als das eigentliche Motto der Sin­
fonie herauskristallisieren wird. Die Durchführung
ist vom Konflikt zwischen diesem Thema und den
Energien des Satzanfangs geprägt. In der Reprise
10
jedoch kommt das Thema nicht mehr vor, und die
Musik leitet über zum zweiten Satz, einem pastoralen
Intermezzo von anrührender Schlichtheit, fast allein
den Holzbläsern vorbehalten. „Wir sind im Kinder­
land, wo alle gut und unschuldig sind“, bemerkt der
Komponist. Doch der Frieden währt nicht lange.
„Wie ein Adler im Wind“ (wiederum Nielsens Worte)
wird die weit gespannte Melodie des langsamen Sat­
zes getragen, unterstützt von Streicherpizzicati und
Pauken. Der Charakter der Musik ist schmerzlich –
leidenschaftlicher als beinahe alles, was Nielsen zuvor
komponiert hat. Zu dieser Melodie gesellen sich an­
dere Motive: ein Choral, eine Dreitonfigur und schließ­
lich ein litaneihaftes, durch Tonwiederholungen cha­
rakterisiertes Thema, das zu einer groß angelegten
kontrapunktischen Entwicklung Anstoß gibt. Nach
einem Höhepunkt in E-Dur, der Zieltonart des Werks,
beruhigt sich das Geschehen.
Ein wildes Streicher-Fugato leitet über ins Finale, in
dem die Konflikte zu einer Lösung geführt werden –
aber nicht ohne neuerliche Kämpfe: In diesem Satz
tritt ein zweites Paar Pauken in Erscheinung, das sich
mit dem anderen Paukenpaar wilde Duelle liefert.
Es ist dies nicht nur ein seine Wirkung nicht verfeh­
lender Effekt, sondern es ergibt auch musikalisch
Sinn, indem die Pauken in einer nach E tendierenden
tonalen Umgebung geradezu wütend auf dem d-MollDreiklang (der Tonart des Werkanfangs) beharren.
Am Schluss kehrt das Terzenthema aus dem Kopfsatz
wieder und beschließt die Sinfonie im kräftig bestä­
tigenden E-Dur.
Thomas Schulz
11
DAS UNAUSLÖSCHLICHE
Durch den Titel „Das Unauslöschliche“ hat der Komponist
versucht, mit einem Worte das
anzudeuten, was nur die Musik
selbst völlig auszudrücken
imstande ist: den elementaren
Willen zum Leben. Die Musik
ist Leben und unauslöschlich wie
dieses. Somit könnte das Wort,
das der Komponist als Titel
seines Werkes gebraucht hat,
überflüssig erscheinen; er hat
es indessen verwendet, um den
streng musikalischen Charakter
seiner Aufgabe zu unterstreichen. Es soll demgemäß kein
Programm sein, sondern ein
Wegweiser durch das eigene
Gebiet der Musik.
Carl Nielsens Vorwort zur Par­
titur seiner Vierten Sinfonie
H Ö H E P U N K T E 2 016/2 017
• Konzerte mit dem Deutschen
Symphonie-Orchester Berlin,
Staatsorchester Stuttgart,
Radio-Symphonieorchester
Wien, Luzerner Sinfonieor chester, Orquesta Sinfónica
de Galicia, St. Louis Sympho ny, Toronto Symphony, Balti more Symphony und Detroit
Symphony Orchestra
• Russland-Tournee mit dem
Finnish Radio Symphony
Orchestra
• Rückkehr zum Opernfestival
von Savonlinna mit Aulis
Sallinens „Kullervo“
• Jean Sibelius’ „Kullervo“ in
einem besonderen Projekt
mit der Finnischen National oper Helsinki und deren
Ballett sowie dem Choreo graphen Tero Saarinen
DIRIGENT
VIOLINE
Hannu Lintu
Vadim Gluzman
Hannu Lintu ist seit 2013 Chefdirigent des Finnish
Radio Symphony Orchestra und hatte zuvor Positionen
als Chef des Tampere Philharmonic Orchestra, als
Erster Gastdirigent des RTÉ National Symphony Orches­
tra sowie als Chefdirigent des Helsingborg Symphony
und Turku Philharmonic Orchestra inne. Darüber
hinaus gastierte er etwa beim Cleveland Orchestra,
Gulbenkian Orchestra, Orchestre de Chambre de
Lausanne, Orchestra Sinfonica di Milano Giuseppe
Verdi, BBC Scottish Symphony, Iceland Symphony and
Seoul Philharmonic Orchestra. 2015 dirigierte er einen
Zyklus aller Sibelius-Sinfonien in Tokio mit dem New
Japan Philharmonic und Finnish Radio Symphony
Orchestra. 2016 unternahm er mit seinem Orchester
und der Geigerin Leila Josefowicz eine Tournee durch
Österreich. Regelmäßig ist er auch an der Finnischen
Nationaloper in Helsinki zu erleben und dirigierte hier
u. a. „Parsifal“, „Carmen“, „Tristan und Isolde“ oder
Sallinens „King Lear“. Weitere Opernengagements
führten ihn etwa nach Tampere und Tallin. Zahlreiche
CD-Einspielungen dokumentieren Lintus künstleri­
sches Schaffen und wurden zum Teil für den Grammy
oder den Gramophone Award nominiert. Zuletzt er­
schien eine Aufnahme der Klavierkonzerte von Prokof­
jew mit Olli Mustonen und dem Finnish Radio Sym­
phony Orchestra. Auf anderen CDs sind etwa Mahlers
Erste Sinfonie, Enescus Zweite, Werke von Magnus
Lindberg oder Messiaens „Turangalîla-Sinfonie“ zu
hören. Lintu studierte Cello und Klavier an der SibeliusAkademie in Helsinki, wo er später auch sein Dirigier­
studium bei Jorma Panula ablegte. Er nahm an Meis­
terkursen bei Myung-Whun Chung an der Accademia
Chigiana in Siena teil und erhielt den 1. Preis beim
Nordic Conducting Competition 1994 in Bergen.
12
Vadim Gluzman setzt die große Geigertradition des
19. und 20. Jahrhunderts fort, die er mit der Frische
und Dynamik der Gegenwart belebt. Der israelische
Geiger tritt regelmäßig mit bedeutenden Orchestern
auf, darunter das Chicago, San Francisco Symphony,
London Philharmonic, London Symphony Orchestra,
das Gewandhausorchester Leipzig sowie die Münchner
Philharmoniker. Gern gesehener Gast ist er auch bei
den Festivals in Verbier, Ravinia, Lockenhaus, Colmar
und Jerusalem, bei der Kronberg Academy, beim Fes­
tival Pablo Casals und North Shore Chamber Music
Festival in Northbrook/Illinois, das er gemeinsam mit
seiner Ehefrau und langjährigen Kammermusikpart­
ne­rin am Klavier, Angela Yoffe, gründete. Zu Gluzmans
breit gefächertem Repertoire zählt insbesondere auch
die zeitgenössische Musik. In der aktuellen Saison
spielt er gleich zwei Uraufführungen: Sofia Gubaiduli­
nas Tripelkonzert für Violine, Cello und Bayan mit der
NDR Radiophilharmonie unter Andrew Manze sowie
Elena Firsovas Konzert für Violine und Cello mit dem
Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Tugan
Sokhiev. Gluzmans jüngste CD ist den Werken Sergej
Prokofjews gewidmet. Zahlreiche seiner Aufnahmen
wurden mit renommierten Preisen ausgezeichnet.
1973 in der Ukraine geboren, wurde Gluzman in Lett­
land von Roman Sne und in Russland von Zakhar Bron
unterrichtet. Nach seinem Umzug nach Israel im Jahr
1990 studierte er bei Yair Kless. Seine Lehrer in den
USA waren Arkady Fomin, Dorothy DeLay und Masao
Kawasaki. Zu Beginn seiner Karriere wurde er von
Isaac Stern gefördert. Gluzman spielt die Stradivari
„Ex-Leopold Auer“ (1690), die ihm von der Stradivari
Society Chicago zur Verfügung gestellt wird.
13
H Ö H E P U N K T E 2 016/2 017
• Australien-Tournee mit dem
Sydney und Melbourne
Symphony Orchestra
• Konzerte mit dem Chicago
Symphony, BBC Symphony,
Baltimore Symphony und
NHK Symphony Orchestra,
dem Deutschen Symphonie Orchester Berlin, Orchestre
de Paris sowie Orchestre Phil harmonique de Radio France
• USA-Tournee mit dem
Orpheus Chamber Orchestra
• Leitung des Franz Liszt
Chamber Orchestra in
Budapest
• Fortsetzung der Arbeit als
künstlerischer Berater und
Gastsolist der Kammer musikreihe des ProMusica
Chamber Orchestras in
Columbus/Ohio
TELEMANN
FESTIVAL
KONZERT TIPP
Porträtkonzert
Arvo Pärt
mit Paul Hillier
24.11. BIS 03.12.2017 | HAMBURG
Herausgegeben vom
T H E AT R E O F VO I C E S
NORDDEUTSCHEN RUNDFUNK
PAUL HILLIER
Programmdirektion Hörfunk
Orchester, Chor und Konzerte
Leitung: Andrea Zietzschmann
Leitung
AKADEMIE FÜR ALTE MUSIK BERLIN NDR BIGBAND
IRIS OJA
Mezzosopran
DOROTHEE OBERLINGER MIRIWAYS PARISER QUARTETTE
C H R I S WAT S O N
ORATORIUM BERNARD LABADIE BAROQUE MEETS JAZZ TAG DES GERICHTS
IMPRESSUM
JEAN RONDEAU OPER URBAN STRING
NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER
Management: Achim Dobschall
Bariton
Redaktion des Programmheftes
Julius Heile
ORBIS QUARTETT
CHRISTOPHER BOWERSBROADBENT
Orgel und Klavier
FREIBURGER BAROCKORCHESTER ELBIPOLIS NDR CHOR Ein Abend mit Musik von A R V O P Ä R T :
· Teil 1: Kirchenmusik –
Chor und Orgel
· Teil 2: Kammermusik und Gesang
· Teil 3: Nachtmusik mit Chor
LES TALENS LYRIQUES GIOVANNI ANTONINI CHRISTOPHE ROUSSET MORALISCHE KANTATEN HAMBURGER RATSMUSIK TELEMANN ET LA FRANCE ENSEMBLE RESONANZ SELIGES ERWÄGEN IL GIARDINO ARMONICO
St. Johannis-Harvestehude, Hamburg
Freitag, 09.06.17 — 20 Uhr
Ausführliche Informationen unter ndr.de/telemann-festival
Foto: Johner Images | Gettyimages
Karten zu 20 Euro, ermäßigt 10 Euro
Ein Festival von NDR Das Alte Werk in Kooperation mit Elbphilharmonie Hamburg.
Unterstützt von der ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius und der Kulturbehörde Hamburg.
Fotos
AKG-Images / IAM (S. 5)
Culture-Images (S. 6)
AKG-Images / De Agostini Picture Lib. /
A. Dagli Orti (S. 8)
AKG-Images / Fototeca Gilardi (S. 10)
Kaapo Kamu (S. 12)
Marco Borggreve (S. 13)
Eric Marinitsch / Universal Edition (S. 15)
NDR Markendesign
Design: Factor, Realisation: Klasse 3b
Druck: Nehr & Co. GmbH
Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des NDR gestattet.
ndr.de/elbphilharmonieorchester
facebook.com/NDRElbphilharmonieOrchester
youtube.com/NDRKlassik
Arvo Pärt
15
Hamburg
Die Einführungstexte von Julius Heile und
Thomas Schulz sind Originalbeiträge
für den NDR. Der Einführungstext von
Dr. Harald Hodeige erschien erstmals in der
Saison 2011/2012 beim Sinfonieorchester
Wuppertal.
Foto: Harald Hoffmann
„
Ich möchte
unbekanntes
wie möglich
so viel
Terrain
betreten.
“
IRIS BERBEN
DAS NDR ELBPHILHARMONIE ORCHESTER AUF NDR KULTUR
Regelmäßige Sendetermine:
NDR Elbphilharmonie Orchester | montags | 20.00 Uhr
Das Sonntagskonzert | sonntags | 11.00 Uhr
UKW-Frequenzen unter ndr.de/ndrkultur, im Digitalradio über DAB+
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