Jahrbuch 2013/2014 | Tchumatchenko, Tatjana; Letzkus, Johannes | Theoretische und experimentelle Analyse neuronaler Schaltkreise Theoretische und experimentelle Analyse neuronaler Schaltkreise Computational and experimental analysis of neuronal circuit function Tchumatchenko, Tatjana; Letzkus, Johannes Max-Planck-Institut für Hirnforschung, Frankfurt am Main Korrespondierender Autor E-Mail: [email protected] Zusammenfassung Das Gehirn ist das mit Abstand komplexeste System, das w ir kennen. Am MPI für Hirnforschung verw enden zw ei neue Forschergruppen komplementäre Ansätze, um die Funktion neuronaler Schaltkreise besser zu verstehen: Tatjana Tchumatchenko’s Informationskodierung. Johannes Gruppe nutzt theoretische Letzkus‘ Team verw endet Ansätze experimentelle zur Erforschung neuronaler Ansätze w ie 2-Photonen- Mikroskopie und Optogenetik, um aufzuklären, w elche Aktivitätsmuster in neokortikalen Schaltkreisen bei verschiedenen Verhaltensmustern auftreten und w ie diese Aktivität das Verhalten des Tiers beeinflusst. Summary The brain is the most complex system w e know . At the MPI for Brain Research tw o groups w ere appointed in 2013 that use complementary approaches to address the fundamental functions of neuronal circuits: Tatjana Tchumatchenko’s group uses theoretical approaches to understand information encoding in neuronal circuits. The Laboratory of Johannes Letzkus takes the experimental approach and employs 2-photon microscopy and optogenetic methods to understand w hich activity patterns occur in neocortical circuits during behavior, and how these activity patterns in turn guide the animal’s behavior. Einleitung © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 1/5 Jahrbuch 2013/2014 | Tchumatchenko, Tatjana; Letzkus, Johannes | Theoretische und experimentelle Analyse neuronaler Schaltkreise A bb. 1: Die Koordina tion de r digita le n Ak tivitä t von zwe i Ne urone n s_1(t) und s_2(t) lä sst sich m it Hilfe von be k a nnte n Ga uß-Ve rte ilunge n be schre ibe n. © Ma x -P la nck -Institut für Hirnforschung/Tchum a tche nk o Die Erforschung des Gehirns hat in den letzten Jahrzehnten in einigen Bereichen große Fortschritte erzielt: So haben w ir aktuell ein gutes Verständnis davon, in w elchen Hirnregionen bestimmte Funktionen lokalisiert sind. Parallel dazu w urde die Physiologie und Biochemie einzelner Nervenzellen sehr detailliert charakterisiert. Im Gegensatz dazu w issen w ir noch immer sehr w enig darüber, w ie neuronale Schaltkreise – Zusammenschlüsse von Neuronen unterschiedlicher Typen – funktionieren und Informationen verarbeiten. Die Analyse dieser Vorgänge im mesoskopischen Bereich – einem Größenbereich von einem Nanometer bis zu einem Mikrometer – w urde erst in den letzten Jahren durch technische Fortschritte ermöglicht und ist heute ein zentrales Gebiet der Neurow issenschaften. Die Gruppen von Tatjana Tchumatchenko und Johannes Letzkus am Max-PlanckInstitut für Hirnforschung verw enden sich ergänzende Ansätze, um fundamentale Funktionen neuronaler Schaltkreise zu verstehen. A bb. 2: Te chnik e n zur Able itung von Inte rne urontype n. a ) Die in vivo 2-P hotone n-Ka lzium -Bildge bung be nutzt ge ne tisch k odie rte Fa rbstoffe (hie r GC cMP -3), um die Ka lzium e inström e wä hre nd de r Ak tivitä t de r Ze lle n zu m e sse n. Mit die se r Te chnik ist e s m öglich, die Ak tivitä t von vie le n Ne urone n übe r e ine n lä nge re n Ze itra um hinwe g a bzule ite n. b) Da rübe r hina us k a nn die 2-P hotone n-Mik rosk opie da zu ge nutzt we rde n, se hr hocha uflöse nde e le k trische Able itunge n von ide ntifizie rte n Ze lle n zu m a che n. In e x tra ze llulä re n Able itunge n (e x tra ) sind a usschlie ßlich Ak tionspote nzia le sichtba r, in de r W hole -ce ll-Konfigura tion (intra ) a uch die unte rschwe llige n P ote nzia le . © Ma x -P la nck -Institut für Hirnforschung/Le tzk us © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 2/5 Jahrbuch 2013/2014 | Tchumatchenko, Tatjana; Letzkus, Johannes | Theoretische und experimentelle Analyse neuronaler Schaltkreise Die Gruppe von Tatjana Tchumatchenko hat ihren Fokus auf der theoretischen Modellierung und der mathematischen Analyse der einzelnen Neuronen und der dynamischen Eigenschaften der neuronalen Netzw erke. Die Gruppe benutzt analytische Methoden und Computersimulationen, um zu untersuchen, w ie Neuronen die eingehenden Reize repräsentieren, w ie sie interagieren und w ie daraus dynamische Schaltkreise entstehen. Auf der Methodenseite liegt ihr Schw erpunkt auf den linearen und nicht linearen Differentialgleichungen, mehrdimensionalen stochastischen Integralen und der Informationstheorie. Eine w ichtige Eigenschaft der neuronalen Aktivität zeigt die Beobachtung, dass die Aktivität mehrerer Neuronen untereinander einer feinen zeitlichen und räumlichen Koordination unterliegt. W ie genau die Koordination zustande kommt und w elche Parameter sie beeinflussen, ist Gegenstand der Forschung. In einer Reihe aktueller Arbeiten hat sich Tatjana Tchumatchenko die Frage gestellt, w ie gut die Koordination digitaler Spike-Muster von Neuronenpaaren (siehe Abb. 1) – d. h. die Abfolge ihrer Aktionspotenziale – sich durch die Schw ellenübertritte eines Gauß´schen Zufallsprozesses darstellen lassen [1; 2; 3]. Die Arbeiten haben gezeigt, dass dieses Modell die neuronale Koordination nicht nur gut beschreibt, sondern sich auch durch kompakte mathematische Ausdrücke vollständig beschreiben lässt. Das Ziel der Gruppe ist es, die gew onnenen theoretischen Ergebnisse ebenfalls mit Hilfe experimenteller Daten zu verifizieren oder zu falsifizieren. Die Gruppe ist daher im direkten Austausch mit den experimentell arbeitenden Kollegen am MPI für Hirnforschung, die mit intrazellulären Einzell- oder Mehrzellableitungen arbeiten. Experimentelle Analyse neokortikaler Schaltkreise A bb. 3: Ge ne tisch-de finie rte Type n von Ne urone n k önne n in vivo a nge sproche n we rde n. A) Sche m a de r cre -a bhä ngige n Ex pre ssion de s ca rgo-P rote ins. De r vira le Ve k tor wird in vie le Ne urone a ufge nom m e n, e x prim ie rt a be r da s ca rgo-P rote in nur in Ne urone n, in we lche n a uch die DNA-R e k om bina se cre vorha nde n ist. B) Sche m a de r cre -Ex pre ssion in dre i ve rschie de ne n tra nsge ne n Ma uslinie n, in we lche n cre in dre i unte rschie dliche n Type n von Inte rne urone n e x prim ie rt wird. C ) Die Anwe ndung die se r Te chnik im a uditorische n Korte x e rm öglicht e s, die se Type n von Inte rne urone n in vivo sichtba r zu m a che n. Dick e Linie : P ia ; dünne Linie : Gre nze zwische n Schicht 1 und Schicht 2. C R : C a lre tinin; P V: P a rva lbum in; Som : Som a tosta tin. © Ma x -P la nck -Institut für Hirnforschung/Le tzk us Eine fundamental w ichtige Eigenschaft von neuronalen Schaltkreisen ist, dass sie aus vielen unterschiedlichen Typen von Neuronen zusammengesetzt sind, w elche mutmaßlich auch sehr unterschiedliche Funktionen bei der Informationsverarbeitung erfüllen. Allerdings sind diese spezifischen Funktionen aus technischen Gründen bis jetzt kaum verstanden. Das Team um Johannes Letzkus untersucht, w ie die Aktivität in verschiedenen Neuronentypen zu Hirnfunktionen © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w ie Lernen und Aufmerksamkeit w w w .mpg.de beiträgt. Dazu verw enden die 3/5 Jahrbuch 2013/2014 | Tchumatchenko, Tatjana; Letzkus, Johannes | Theoretische und experimentelle Analyse neuronaler Schaltkreise W issenschaftler eine kürzlich entw ickelte Kombination aus transgenen Mauslinien und viralen Vektoren [5; 6], um verschiedene Neuronentypen zu identifizieren (Abb. 2). In Kombination mit 2-Photonen-Mikroskopie [7] macht dieser Ansatz es möglich, die Aktivitätsmuster der unterschiedlichen Neuronentypen in verschiedenen Verhaltensbeispielen aufzunehmen (Abb. 3). Das gibt Aufschluss darüber, ob der untersuchte Neuronentyp für das Verhalten des Tieres eine Rolle spielen könnte. A bb. 4: Die ne urona le Ak tivitä t k a nn m itte ls Licht fe rnge ste ue rt we rde n. a Ex pre ssion von C ha nne lrhodopsin-2 (grün) in be stim m te n Inte rne urone n im a uditorische n Korte x (P a rva lbum in-positive Inte rne urone ). C ha nne lrhodopsin-2 ist e in Ione nk a na l, de r m itte ls bla ue m Licht ge öffne t we rde n k a nn, um die Ne rve nze lle n zu a k tivie re n. De r La se r wird durch e ine optische Fa se r (bla u) ins Ge hirn ge bra cht, und die ne urona le Ak tivitä t wird gle ichze itig a ufge ze ichne t (rot). b La se rstim ula tion (bla u) löst sta rk e Ak tivie rung in die se n Inte rne urone n a us. © Ma x -P la nck -Institut für Hirnforschung/ Le tzk us Zum Beispiel haben haben die Forscher vor kurzem gefunden, dass bestimmte inhibitorische Interneurone im auditorischen Kortex gehemmt w erden, w enn das Tier lernt [8]. Um von dieser korrelativen Analyse zu kausalen Zusammenhängen zu kommen, verw enden sie die Optogenetik [9], eine Technik, die es ermöglicht, die Aktivität von definierten Neuronentypen mittels Licht fernzusteuern (Abb. 4). Im erw ähnten Beispiel benutzten sie eine optogenetische Aktivierung jener Zellen, w elche w ährend des Lernvorgangs inhibiert w aren. Dies führte dazu, dass sich das Tier kaum an das Gelernte erinnern konnte, dass also der Lernvorgang gestört w urde. Daher steht die Hemmung dieser Interneurone in kausalem Zusammenhang zum Lernen des Tiers [8]. Neben der Beantw ortung grundlegender w issenschaftlicher Fragen ist diese Forschung auch durch das Ziel motiviert, die Basis von Erkrankungen w ie Angststörungen und Aufmerksamkeitsstörungen w ie ADHD besser zu verstehen. Literaturhinweise [1] Tchumatchenko T.; Wolf, F. Representation of dynamical stimuli in populations of threshold neurons Computational Biology 7 (epub ahead of print: DOI 10.1371 (2011) [2] Tchumatchenko, T.; Malyshev, A.; Geisel, T.; Wolf, F. Correlations and synchrony in threshold neuron models Physical Review Letters 104, 058102 (2010) © 2014 Max-Planck-Gesellschaft w w w .mpg.de 4/5 Jahrbuch 2013/2014 | Tchumatchenko, Tatjana; Letzkus, Johannes | Theoretische und experimentelle Analyse neuronaler Schaltkreise [3] Di Bernardino, E; Leon, J. R.; Tchumatchenko, T. Cross-correlations and joint Gaussianity in multivariate level crossing models Journal of Mathematical Sciences, in press [4] Taniguchi, H.; He, M.; Wu, P.; Kim, S.; Raik, R.; Sugino, K.; Kvitsani, D.; Fu, Y .; Lu, J.; Lin, Y .; Miyoshi, G.; Shima, Y .; Fishell, G.; Nelson, S.B.; Huang, Z.J. A resource of cre driver lines for genetic targeting of GABAergic neurons in cerebral cortex Neuron 71, 995 (2011) [5] McCown, T. J. Adeno-associated virus (AAV) vectors in the cns Current Gene Therapy 11, 181-188 (2011) [6] Denk, W.; Strickler, J. H.; Webb, W.W. Two-photon laser scanning fluorescence microscopy Science 248, 73-76 (1990) [7] Letzkus,J. J.; Wolff, S.; Meyer, E.M.M.; Tovote, P.; Courtin, J.; Herry, C.; Lüthi, A. A disinhibitory microcircuit for associative fear learning in the auditory cortex Nature 480, 331-335 (2011) [8] Zhang, F.; Wang, L.P.; Brauner, M.; Liewald, J.F.; Watzke, K.K.; Wood, P.G.; Bamberg, E.; Nagel, G.; Gottschalk, A.; Deisseroth, K. 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