Ein Blick auf Luxemburg aus der Distanz Ein Gespräch mit Rob Krier Eigentlich hatte Rob Krier Luxemburg den Rücken kehren wollen. Doch 1991 erhielt er den Direktauftrag für die Cité Judiciaire auf dem Plateau Saint-Esprit. Das zunächst mit seinem Bruder Léon begonnene Projekt wurde unlängst fertig gestellt – mithin nach beinahe zwanzig Jahren. 1 Rob Krier: Entwurfsperspektive Cité Judiciaire 90 archithese 4.2009 Interview: Hubertus Adam gendlicher schon sehr intensiv mitbekommen. Und ich habe Rob Krier, Ihr Verhältnis zu Luxemburg ist ambivalent. Als mir in dem Pensionat mit Energie den Freiraum erkämpft, positiv stellen Sie Ihre kulturelle Prägung dar – Sie haben in dem Dachstuhl der Abtei malen zu können. Aus dem Un- Ihre Schulzeit im historisch geprägten Echternach ver- rat, der dort herumlag, habe ich ein paar noch intakte Perga- bracht. Die bauliche Entwicklung der letzten Jahre und mente herausgefischt, die sonst verloren gegangen wären – Jahrzehnte wurde hingegen von Ihnen immer wieder kri- ganz frühe Notationen gregorianischer Musik; das hat mich tisiert. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Luxemburg wahnsinnig beeindruckt. Dann gab es einen intakten Kloster- denken? hof mit Arkaden und einem Springbrunnen, eine grosszügige Unbewusst fühle ich mich der Region an der Mosel verbunden. barocke Klosteranlage, Gärten der Patres, Pavillons in der Meine Jugend in dem Pensionat des alten Benediktinerklos- Umgebung und auch römische Relikte. Die römische Villa hat ters in Echternach war prägender als ich es mir zugestehe. Die man auf einem Grundstück meines Urgrossvaters gefunden. romanische Klosterkirche mit ihren vier Türmen, das Kloster Es sind vielleicht sentimentale kulturelle Bezüge, die mich mit seiner ottonischen Buchmalerschule: Das hat man als Ju- geprägt haben. Dann aber auch die ersten Konzerte in Trier. In der römischen Basilika habe ich meinen ersten musikali- Er war einmal mit Ivano Gianola bei mir, hatte die Baustelle schen Schock erlebt, mit Karl Richters Aufführung der Mat- gesehen und meinte, das sei ja ein Schrott sondergleichen. thäuspassion. Dann sah er sich die Pläne an und versuchte, meinen Bruder Und dann ist da die Landschaft, die mich jedes Mal aufs zu überzeugen, das Gebäude so zu bauen, wie ich es entwor- Neue fasziniert. Ein relativ grosser Teil von Luxemburg ist fen hatte. Eigentlich hätte es auch bunt werden sollen – ich noch intakt. So schön wie in Wales oder den Cotswolds ist es hatte mir irgendwo in der Gegend eine Scheune angesehen, hier nicht, aber es gibt schöne Dörfer, die noch in Ordnung die genau diese Farbigkeit besass. sind. Das waren die Grundlagen. Mit ungefähr 18 Jahren ist mir aber bewusst geworden, dass ich in diesem Land nicht blei- Sie und Ihr Bruder haben aber doch immer wieder für Luxemburg entworfen. Warum eigentlich? ben kann – unter keinen Umständen. Vor allem, weil die ge- Wenn ich während der 18 Jahre, die ich in Luxemburg an samte Gesellschaft so unbeschreiblich verspiessert ist. Nach der Cité Judiciaire gearbeitet habe, nicht die Eltern hätte der Matura bin ich weggezogen, mit dem festen Vorsatz, nie besuchen können, dann wäre ich wahrscheinlich – wie mein mehr zurückzukommen. Bruder – an dem Projekt verzweifelt. Alles wurde getan, um das Projekt zu kippen. Sie konnten aber ohnehin seinerzeit nicht in Luxemburg studieren … Zu meiner Überraschung hat Léon ein noch viel intensiveres und sentimentaleres Verhältnis zu seiner Heimat und Das ist noch ein grosser Glücksfall gewesen. Ausser an einer hat immer wieder Projekte entworfen. Das hat in Echternach brillanten Handwerkerschule konnte man in Luxemburg tat- angefangen, wo er ein Jahr lang an einer gigantischen Zeich- sächlich nicht studieren, und es wäre eigentlich gut, es auch nung gearbeitet hat, an einem Projekt für die Schulerweite- in Zukunft so zu lassen. rung unserer Abtei. Der Plan für das Kirchberg-Plateau war eine vollkommen freie Initiative von ihm. Daran war ich al- Eines Ihrer ersten Projekte haben Sie dennoch in Luxem- lerdings nicht beteiligt. Seine Aktionen für die Luxemburger burg gebaut: das Haus Dickes in Bridel, ein Wohnhaus für Orte waren sein ganz persönliches Anliegen – ich habe immer Ihren Vetter. Für mich ist es eine Inkunabel der Architektur eine gewisse Abneigung gehabt, mich um so etwas zu küm- der Siebzigerjahre. Woher stammten die Inspirationen für mern. Er ist da noch viel romantischer als ich. das Gebäude? Ich habe das Haus Dickes am Strand von San Sebastián Mit der Cité Judiciaire haben Sie sich dann aber doch an gezeichnet, wo ich an einem Symposion von jungen baski- einen zentralen Ort in Luxemburg herangetraut. Wie ergab schen Architekten teilnahm. Bei dem Flug von Barcelona aus sich dieser Sinneswandel? fliegt man durch die spanische Landschaft und sieht überall Ich wurde in den Achtzigerjahren zum ersten Mal vom da- weisse, geometrische Häuser, klare Kuben: Das war der Ur- maligen Staatsarchitekten Baldauf angefragt, der mir sagte, sprung. Dass man das Mauerwerk oben ohne Gesims mit er sei vom Minister beauftragt, mich wegen der Planung ei- einer Schräge abschliesst, habe ich auch für das Haus Dickes nes neuen Parlaments anzurufen. Das alte Parlament war zu übernommen. Mein Vetter Carlo, für den es geplant wurde klein geworden und wurde überdies permanent als Speise- und der noch darin wohnt, ist heute noch glücklich damit. saal des Grossherzoglichen Palais mitgenutzt. Daher wollten Das ist für einen Architekten die schönste Befriedigung. Es war ein sehr billiges Haus, mein Vetter hat auch im sich die Parlamentarier mit einem Neubau gegenüber unabhängig machen vom Palast. Dieser Auftrag hat sich über starken Masse beim Bau mitgeholfen. Das Haus hat im Übri- längere Zeit entwickelt, aber als der Grossherzog seinen gen die Form eines weitgehend geschlossenen Würfels, weil Palast umbaute und sich seinen eigenen Speisesaal einrich- die Frau meines Vetters über Jahre in einer anderen Woh- tete, haben die Parlamentarier ihr eigenes Projekt verworfen nung von einem Voyeur verfolgt wurde. Und so hat sie die und den Beschluss zum Umbau des bestehenden Palastes Forderung eines Hauses, in das niemand hineinsehen kann, gefasst. Den Baublock, den ich geplant hatte, zu Büros um- vorgebracht. Auch den Patio wollten sie ursprünglich noch zuwidmen, habe ich abgelehnt. Danach beauftragte mich gegen aussen abschliessen, nur wäre das so teuer geworden, der damalige Ministerpräsident mit einem Kulturzentrum dass das Konzept unterblieb. Auf den Gartengeräteschuppen, in Echternach. Neben der alten Basilika sollte in einem al- der sich an das Haus anschliesst, hätte ich noch gerne eine ten Kloster ein Kulturzentrum errichtet werden, mit einem Figur gestellt … Musiksaal für tausend Personen. In dem Kloster gab es eine alte neuromanische Kapelle. Die Kapelle lag mir sehr am … wie man das auf dem damaligen Modell ja auch sieht. Herzen, ich wollte sie in Form eines kleinen Kammermusik- Nur hätte das noch mehr Besucher angezogen, und die Be- saals integrieren. Aber die Bürgermeisterin und selbst der sitzer waren in dieser Hinsicht damals schon etwas überstra- Denkmalpfleger, der sich um den Erhalt luxemburgischer paziert. Dörfer sehr verdient gemacht hatte, votierten für den Abriss. Nicht alles ist so geworden, wie ich es wollte. Damals Wir sind schon im Gymnasium mit einem Hass gegen die als hatte ich einmal Besuch von Mario Botta, mit dem ich durch epigonal gebrandmarkte Kultur des 19. Jahrhunderts erzo- meine Besuche im Tessin seit der Jugend befreundet bin. gen worden. Dabei hatte man damals eine geistige Freiheit, 91 2 Rob Krier: Grundriss projektierte Gesamtanlage Cité Judiciaire 3 Ansicht Plateau Saint-Esprit und Cité Judiciaire (Fotos 3–5: Johannes Vogt) 2, 3 sich in der Historie zu bewegen, die wir heute nicht mehr Intrige seitens des Bürgermeisters begann, musste alles ver- haben. In einer Sitzung des Gemeinderats habe ich gesagt, kleinert und verkleinert werden – und gleichzeitig hiess es, dass ich ein wertvolles kulturelles Objekt nicht massakrie- das Projekt sei nicht gross genug. Als Léon nicht mehr dabei ren könnte. Ich habe also wieder hingeschmissen, und mir war, habe ich die Gebäude etwas erhöht. Léon wollte alles ist wieder bewusst geworden, warum ich nicht nach Hause dreigeschossig haben, aber das war einfach nicht zu schaf- zurückkommen kann. fen. So ist das Hauptgebäude fünfgeschossig, während die Dann kam eines Tages der Minister, ein Mitglied der so- übrigen Gebäudehöhen von drei oder vier Gerschossen auf- zialistischen Partei, und hat zu mir und Léon gesagt: Wenn weisen. Der Bürgermeister behauptete immer, die UNESCO ihr zusammenarbeitet, gebe ich euch den Auftrag für die sei gegen die Cité, hat das in den Zeitungen veröffentlicht, Cité Judiciaire. Er wollte, dass nicht noch einmal Glaskästen und wir mussten das Projekt verschiedentlich auf UNESCO- in die Altstadt von Luxemburg gestellt werden, und ihm war Kommissionssitzungen vorstellen. bewusst, dass wir niemals unter Luxemburger Jurymitglie- Weil es gegen den Willen der Gemeinde war, wurde das dern einen Preis erhalten würden, wenn an diesem Ort ein Projekt nicht genehmigt, sondern wir fingen einfach an zu Wettbewerb durchgeführt würde. So erhielten wir 1991 einen bauen. Das ging so lange, bis dann die neue Ministerin der Direktauftrag – und schier unendliche Querelen begannen. Stadt mit einem Prozess drohte, weil das Interesse des Staa- Der Bürgermeister der Stadt Luxemburg, Helminger, war ein tes Vortritt habe. Der Bürgermeister hat auch eine beste- erklärter Feind des Projekts. Er ist ein Vertreter der Liberalen, hende Heizungsanlage, die ich mit einem Turm kaschieren die in der Stadt regieren und das Vorhaben kippen wollten. wollte, abreissen lassen. In meiner Jugend besassen meine Eltern ein Grundstück auf einem dem Plateau der Cité gegenüberliegenden Ge- Die Tour des Vents? lände – die Stadt mit ihren Festungsanlagen und Kasematten Ja, genau. Die Ummantelung des Kamins wäre ein Belvedere war Teil meiner Jugend. Daher war natürlich jetzt der Reiz geworden und eine wunderbare touristische Attraktion. Der gross, zumal ich als Soldat in der Kaserne auf dem Plateau Tourismusdirektor war daher auch begeistert, und für die Saint-Esprit Wehrdienst geleistet hatte. Wir bekamen den Auftrag, mein Bruder ist losgeprescht mit seiner intensiven Motivation; bevor wir uns richtig zu- Bürgermeister verhindert. sammengesetzt hatten, hatte er das Projekt schon im Kopf ge- Die Gebäude, die in Léons Plan noch kleine Gassen gebil- löst. Als ich zur ersten Sitzung zu ihm kam, waren schon zwei det hätten, musste ich nach vorne schieben und über einer Alternativen fertig. Eine nach meinen Vorstellungen, etwas bestehenden Tiefgarage platzieren – das hat Millionen an Ahambra-mässig, und eine – wie schon bei anderen seiner Mehrkosten verursacht. Vom Bürgermeister wurde das Pro- Projekte – als Ensemble aus mehreren Baukörpern. Letzteres jekt mit ungefähr zwölf Millionen belastet. Thema wurde politisch akzeptiert, und daher haben wir so 92 archithese 4.2009 Cité Judiciaire wäre es von Vorteil gewesen, auch ein anderes Publikum auf das Gelände zu bekommen. Das hat der Gegen alle Widerstände ist das Projekt aber schliesslich weitergemacht. Solange Léon noch dabei war, bis 1998, hat doch umgesetzt worden. 18 Jahre hat das gedauert – was für er das Projekt bestimmt. Er ist eine extrem starke Persön- eine enorme Verschwendung von Zeit und Arbeit. Unendlich lichkeit, und ich habe ihm eigentlich eher zugeliefert. Als die viele Varianten haben wir produziert. In welchem Masse bedarf ein Gerichtsgebäude heute eines repräsentativen Charakters? Eine zentrale Idee stammt noch von Léon: keinen Palast zu bauen, sondern ein Ensemble kleinerer Gebäude. Und dann ging es darum, die verschiedenen Gerichtssäle und Besprechungsräume so zu gestalten, dass eine gewisse Noblesse ausgestrahlt wird. Gerichtsprozesse werden von den Angeklagten bis zum Schuld- oder Freispruch als tragische Veranstaltung begriffen, und dafür bedarf es Räume, die – wie soll ich es sagen – alles ein wenig verschönern. Den grössten Erfolg habe ich bei den Putzfrauen und den Advokaten. Das Repertoire moderner Architektur bietet für eine derartige Bauaufgabe wenig Substanz. Der Hauptraum des Obersten Gerichts hat achtzig Zentimeter starke Bögen, welche zwei grosse Säle darüber statisch abfangen. Die ganzen Bögen in den Sälen beziehen sich auf eine Reithalle, die zu der Kaserne gehörte, die wir aber abreissen mussten. Innen bestand der Raum nicht zum Reitenlernen, sondern hier wurden die Pferde mit Explosionen auf den Kriegslärm konditioniert. Daher mussten die Bögen 4 extrem dick sein. Im Buch, das demnächst zur Cité Judiciaire erscheint, sind eine ganze Reihe lokaler Referenzen abgebildet, die zeigen, wie reich die Architektur auch in Luxemburg bis zum Krieg war. Um die Avenue de la Liberté, die von der wunderschönen Steinbrücke zum Bahnhof führt, stehen Häuser von einer brillanten Qualität. Auch meine Architektur ist keine lokale bäuerliche Luxemburger Architektur, sondern städtisch. Mit dem Billigmaterial, das wir für die Fassade verwenden mussten, habe ich versucht, von Haus zu Haus Varianten zu produzieren, damit nicht alles uniform wirkt. Als ich mein Praktikum in den Fünfzigerjahren auf einer Baustelle absolviert habe, wurde noch ganz selbstverständlich fünfzig Zentimeter starkes Mauerwerk erstellt. Das ganze Handwerk gab es damals noch. Gibt es so etwas wie «Luxemburger Architektur»? Die Luxemburger Architektur ist bis in die Dreissigerjahre hinein von der europäischen Szene beeinflusst worden. Wenn man eine typische Luxemburger Architektur bauen möchte, müsste man auf Bauernhäuser zurückgreifen. Aber das geht 5 nicht vorbehaltlos. Unlängst hat mich eine Familie gefragt, ob ich ihr ein Haus bauen könne – ein «Luxemburger» Haus. dagegen geschossen und vielleicht ein Jahr lang auf alle Arti- 4 Platzsituation Ich habe ihnen dann etwas gezeigt, was weder hinsichtlich kel reagiert. Meine Schussrichtung ging natürlich gegen das 5 Gerichtsgebäude Grundriss noch Fassade etwas mit Luxemburg zu tun hat. Kirchberg-Quartier. Das ist absolut banale Moderne – es ist Sie zeigten mir dann ebenfalls Häuser, und ich musste ih- so banal, dass man es nicht einmal modern nennen möchte. nen sagen: Das sind Bauernhäuser, und ihr seid Intellektu- Ich glaube durchaus, dass mit modernen Mitteln auch et- elle. Ihr benötigt Platz für 6000 Bücher – warum dann das was Schönes entstehen kann. Le Corbusier könnte neben Bauernhaus? Ein Bauernhaus zu bauen ist in dieser Situa- Mies van der Rohe stehen, neben Oud oder Rietveld, und es tion für mich falsch. Für dieses Paar wären hingegen – auch würde perfekt zusammenpassen. Es gab in den Zwanziger- wenn sie auf dem Land leben – städtische Strukturen viel ad- jahren einen Konsens, keinen Widerspruch. Das Zusammen- äquater. Es gibt keine lokale und autochthone Luxemburger Musizieren, das Harmonieren war ein Anliegen, auch damals. Architektur. Die Architektur, die ich mit der Cité realisiert Das ist heute nicht mehr so, wie man am Kirchberg-Plateau habe, hätte ich nicht entwerfen können, wenn ich nicht in sieht. Dort herrscht eine antimenschliche Atmosphäre, es ist München studiert und in Wien längere Zeit gelebt hätte. Ich eine Anti-Fussgängerstadt: ein Trauma für jeden, der sich hatte schlechte Kritik mit der Cité in Luxemburg. Ich habe dort verliert. 93