Predigt Jubilate

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Predigt
zu
Johannes
15,1‐8
in
der
Johanneskirche
von
Pastor
Marcus
Buchholz
Liebe
Gemeinde!
Eine Suppe trägt zur Bewusstseinserweiterung bei. Bestellt der Gast einen Thunfischsalat, so
spürt er etwas von der Leichtigkeit des Seins. Nicht nur die Speisekarte des Bielefelder
Restaurants „GlückundSeligkeit“ weckt religiöse Gefühle, auch der Raum ist zutiefst religiös. Es
ist die ehemalige Martinikirche in Bielefeld. Für zwei Millionen Euro baute Achim Fiolka die
Evangelische Kirche um. Auf der Empore wird nun gebechert, im Altarraum getafelt. Der 48jährige Gastronom findet es gut: „Ich habe hier etwas geschaffen, das Kirchenferne in ein
Gotteshaus lotst“, sagt er. „Kirche und Religion“ sei immer ein Thema, das an den Tischen
aufkommt. Doch es gab auch andere Stimmen in der Gemeinde – als die Kirche im Jahr 2003
entwidmet und umgebaut werden musste. Der Ortspastor fragte: „Was sage ich all den
Menschen, die hier getraut und getauft wurden?“ Eine Kirchenvorsteherin kämpfte mit den
Tränen, als sie erfahren hat, dass die Kirche aufgegeben werden soll: „Mein verstorbener Mann
hat seinerzeit bei der Sanierung des Gebälks mitgeholfen. Unsere Kinder und Enkelkinder
wurden hier getauft. Und jetzt lässt uns die Kirchenleitung einfach im Stich.“
Vielen Menschen in unserer Kirche geht es in diesen Zeiten ähnlich wie den Gemeindegliedern
der ehemaligen Martinikirche am Stadtrand von Bielefeld. Sie verlieren einen vertrauten, lieb
gewordenen Ort. Das ist nicht anderes, als wenn man aus der gewohnten Umgebung fortziehen
muss, weil man aus gesundheitlichen oder finanziellen Gründen nicht mehr bleiben darf. Solche
Betroffenen haben keinen dauerhaften Halt allein im Leben, das sehen wir nicht nur an der
Situation unserer Kirchengemeinden. Wir spüren es auch, wenn wir Freunde oder Partner
verlieren, wenn wir selbst älter werden und unsere Kräfte nachlassen, kurz: wann immer wir uns
von etwas Liebgewordenen verabschieden müssen.
Der heutige Predigttext handelt auch von einem Abschied. Darin sind die Worte, die Jesus seinen
Jüngern noch sagte bevor er sich endgültig von Ihnen verabschiedete: Und die Jünger sind
traurig. Sie müssen Abschied nehmen von dem Menschen, für den sie so Vieles aufgegeben und
auch riskiert haben. Der über einen längeren Zeitraum ihr Lebensinhalt und ihre Lebensmitte
war. Ihnen sagt er: „Ich bin der wahre Weinstock...“ Im Johannesevangelium gibt es vieler dieser
Aussagen, die Jesus über sich selbst trifft. Da heißt es auch: „Ich bin das Licht der Welt“, „Ich
bin der gute Hirte“, „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“, „Ich bin die Tür“, eben:
„Ich bin der wahre Weinstock“.
Wer „ich bin“ sagt, gibt sich zu erkennen. Wer es wie Jesus sagt, erhebt einen Anspruch, der
über die reine Selbstvorstellung hinausgeht. Gerade im Johannesevangelium markieren diese
„Ich bin Worte“ eine konkrete Abgrenzung: „Ich bin“ bedeutet zugleich: „nur ich allein“ oder:
„alle anderen nicht“. Das wird auch im Predigttext deutlich: „Ich bin der wahre Weinstock“,
heißt es, und im Folgenden wird streng getrennt zwischen denjenigen, die „in ihm“ bleiben und
daher Frucht bringen, und den anderen, die weggeworfen und verbrannt werden.
Kein Zweifel: Solche Aussagen verlangen uns heutzutage einiges ab. In einer Gesellschaft, in der
wir als Bürgerinnen und Bürger oder als Politiker zwischen Multikulti-Toleranz und ängstlicher
Abgrenung hin- und her pendeln. Andererseits: Diese Aussagen bekennen Farbe. Der christliche
Glaube bekommt damit ein Gesicht mit Konturen. Sinn von Jesu Aussagen über sich selbst ist
nichts anderes als Trost zu spenden, Mut zu machen, Kraft zu spenden. Seine Aussagen gelten
zunächst seinen Jüngern und den ersten Christen, die unter der beginnenden Anfeindung der
römischen Herrschaft standen. Damals gab es keine herrschende und selbstherrliche Kirche,
sondern eine kleine, unterdrückte. Ihre Mitglieder hatten stets vor Augen: Vielleicht müssen wir
bald wieder voneinander Abschied nehmen. Da tut es gut, ein klares Profil zu haben. Denn
diesen ersten Christen spricht der Predigttext zu: „Ihr seid auf dem richtigen Weg, auch wenn es
nach außen hin gar nicht so scheint.“ Und in der Tat: Aus lauter kleinen im römischen Reich
versprengten Gemeinden ist eine große Kirche geworden. Der Text blickt nach vorne, in die
Zukunft. Eine Zukunft – um im Bild des Textes zu bleiben – mit vielen reifen Früchten.
Zugleich höre ich aber auch die kritischen Stimmen, wenn der Text in der heutigen Zeit gelesen
wird: „Worüber sollen wir denn jubeln? Damals, als der Predigttext geschrieben wurde, da
wuchsen die Gemeinden. Wir dagegen werden immer weniger, immer älter. Unsere Kirche
schrumpft, wir müssen uns von lieb gewordenen Gebäuden trennen. Wir erleben, wie sich die
Gemeinschaft auflöst.“
An dieser Stelle greift der Schlüsselsatz des Predigttextes, die Wendung: „Ohne mich könnt ihr
nichts tun.“ Ob eine Gemeinde wächst oder Frucht bringt, hängt eben nicht ausschließlich von
der Bereitschaft ihrer Mitglieder ab, sich einzusetzen oder aufzubauen. Es sind nicht unser
Aktionismus und unser Planen, die über den Fortbestand unserer Kirche entscheiden. Das Leben
einer christlichen Gemeinde wächst nicht dank der Tatkraft ihrer haupt- und ehrenamtlichen
Mitglieder. Es wächst allein in Christus.
Ein Beispiel: Vor einigen Wochen wurde ich zu einem Notfalleinsatz gerufen. Ein Mann ist in
seiner Küche verstorben. Die Angehörigen baten um einen Pastor. Nachdem die
organisatorischen Dinge geklärt waren, haben sich die Angehörigen ins Wohnzimmer gesetzt.
Gemeinsam haben wir den Psalm 23 gesprochen: Der Herr ist mein Hirte. Gemeinsam haben wir
das VATER UNSER gebetet. Die Angehörigen haben Abschied genommen von einer lieben
Person aus der Familie – mit Gebet und Worten der Bibel. Hier ist Sinn ins „Abschied-Nehmen“
gekommen. Hier ist die Kraft Gottes in Gebet und Wort ins Spiel gekommen. Die Kraft, die von
den Worten ausgeht: „Ich bin“.
So gesehen führen die letzten Worte Jesu zurück zu den Wurzeln, „back to the roots“. Gerade in
diesen für die Kirche schwierige Zeiten ist es wichtig, sich darauf zu besinnen, was eigentlich
das Wesen ihrer Existenz ausmacht. Es ist nicht ihre Größe, auch nicht ihre
öffentlichkeitswirksame Aktivität und schon gar nicht die Anerkennung von außen. Es ist Ihr
„Sein in Christus“, das vielfältig Frucht bringt und auch in Zukunft bringt. Wenn wir etwa mit
einer groß angelegten Spendenaktion für die Orgel sammeln, wenn wir ein Tauffest organisieren,
zu dem sich rund 15 Täuflinge anmelden, wenn wir ausgefallene Gottesdienste anbieten, wenn
wir mit dem Gospelchor Menschen ansprechen, die sonst nicht in die Kirche kommen – dann ist
das der Kreativität und dem Einsatz der Verantwortlichen zu danken. Vor allem aber hat es nur
Bestand, wenn die Basis vor Augen ist: „Ich bin der wahre Weinstock.“
Mit dieser Perspektive bekommt die Restaurant-Idee von Gastronom Achim Fiolka aus Bielefeld
einen ganz anderen Anstrich. Denn seine Restaurant-Idee ist auffällig kirchentreu: Die Mystik
des Kirchengebäudes nutze er, um seinen Gästen eine Oase mitten im stressigen Alltag zu bieten.
Frei nach dem Motto von Martin Luther: Die Geschichte Gottes kann überall erzählt werden unter jedem Strohdach oder in jedem Saustall. Und erst recht in einer ehemaligen Kirche, die
jetzt ein Restaurant ist. Und auch für so manches Kirchenmitglied ist das Restaurant ein
Treffpunkt: Zusammen Mittag essen oder ein Feierabendbier genießen. Denn: Gemeinschaft –
die sollte in einer Kirche immer sein. Auch wenn das Gotteshaus auf den ersten Blick einem
anderen Zweck dient.
Drei Wochen nach dem Osterfest spricht Jesus uns im Predigttext noch einmal deutlich zu, dass
wir Kraft und Mut aus seinen Worten schöpfen sollen. Lasst uns deshalb nicht mutlos werden,
nicht resignieren, wenn wir sehen, das manches lieb gewordene zerbricht und vergeht. Unser
Blick in die Zukunft darf hoffnungsvoll sein, wenn wir auf die Worte vertrauen: „Ich bin der
wahre Weinstock“. Amen
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