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INFORMATION
Nummer 1 • April 2006
29. Jahrgang
Inhalt
„Ich werde die große ZI-Familie vermissen!“
Prof. Henn wechselt in den (Un-)Ruhestand nach USA
Seite 3
Ein Rückblick
30 Jahre Kinder- und Jugendpsychiatrie am ZI
Seite 6
Kongressbericht
Tagung der Biologischen Kinder- und Jugendpsychiatrie
Seite 8
Präventionsprojekt „Zappelphilipp“
Frühintervention bei durch Delinquenz
auffällig gewordenen Kindern
Seite 10
Nichtrauchen in 6 Wochen
Qualifizierte Tabakentwöhnung am ZI
Seite 11
Nimmt der Alkoholkonsum im Alter ab??
Eine Verlaufsstudie zu Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit
bei Bewohnern in Mannheimer Altenpflegeheimen (1995-2003)
Seite 12
Neuer Bezeichnung für alte Inhalte?
Gesundheits– und Krankenpflege im Kontext
suchtmedizinischer Behandlung
Seite 14
Deeskalationsmanagement
Umgang mit Aggression und Gewalt
Seite 16
Wenn wir hören, was wir fühlen
Emotionale Verarbeitung bei Tinnitus
Seite 17
Strahlenschutz Zertifizierung und Perspektiven der Neuroradiologie am ZI
Seite 19
Gene halten sich nicht an die ICD!
Auf dem Weg zur molekulargenetischen Klassifikation von
psychiatrischen Erkrankungen am Beispiel des Gens G72
Seite 20
Stress und Immunität
Ein Modellprojekt zur Stressreduktion bei Patienten
unter Knochenmark- und Stammzelltransplantation
Seite 24
Zum Schluss...
Seite 27
Autorenliste und Impressum
Seite 28
„Ich werde die große ZI-Familie vermissen!“
Prof. Henn wechselt in den (Un-)Ruhestand nach USA
Sie waren seit 1994 Direktor des ZI.
Welches sind die wesentliche Wegmarken in der Entwicklung des ZI
in dieser Zeit??
Meines Erachtens ist die bedeutendste Entwicklung am ZI
der Wandel in der psychologischen Struktur des Institutes.
Als ich 1994 nach Mannheim
kam, traf ich am Zentralinstitut
Prof. Dr. Dr. Fritz A. Henn
(Quelle:DGPPN)
auf feste, hierarchisch geprägte Strukturen. Heute, so hoffe
ich zumindest, sind die Strukturen flacher und durchlässiger,
und ermöglichen den wissenschaftlichen Austausch zwischen Studenten, jungen Wissenschaftlern
und erfahrenen Forschern in einem Umfeld, das es auch ermöglicht, die theoretischen Ansätze
von Vorgesetzten auf die Probe zu
stellen.
Natürlich gab es auch signifikante
Veränderungen in der Forschungsausrichtung. So konnten wir nach
meinem Wechsel ans ZI das erste neurobiologische Labor eröffnen und 1995 mit dem Aufbau der
NMR-Forschergruppe beginnen.
Beide Projekte sind inzwischen
sehr ausgereift und wir blicken
heute auf ein Institut, das durch
die Breite seiner biologischen und
bildgebenden Forschungsansätze
geprägt ist.
Diese Entwicklungen gingen zu
Lasten des bis 1994 maßgeblichen
epidemiologischen ForschungsZI Aktuell 1/06
schwerpunktes am ZI, wobei ich
darauf hinweisen möchte, dass
sowohl
die
epidemiologische
Forschung als auch die Versorgungsforschung nach wie vor am
ZI sehr aktiv vertreten sind, auch
wenn sie die psychiatrische Forschung des Institutes nicht mehr
maßgeblich prägen. Sowohl im
Bereich der Krankenversorgung
als auch bezüglich des Forschungsschwerpunkts
wurden
Ansätze und Ressourcen, so wie
bereits vor meinem Wechsel ans
Zentralinstitut festgelegt, um den
Bereich der Gerontopsychiatrie erweitert. Außerdem konnte neben
einer Reihe neuer klinischer Angebote auch der in Deutschland bislang erste und einzige Forschungsschwerpunkt
„Abhängiges
Verhalten und Suchtmedizin“ am
ZI etabliert werden, was meines
Erachtens die Dringlichkeit und
das Ausmaß der Suchtproblematik als wichtiges Gesundheitsproblem darstellt. Auch der Bereich der
Psychosomatischen Medizin hat
hier am Zentralinstitut in den letzten
Jahren durch die Einbindung experimentell validierter Behandlungsansätze und Therapien einen
Wandel vollzogen und dabei eine
für das gesamte Gebiet richtungsweisende Rolle angenommen.
Schließlich konnte auch die neue
Forschungsabteilung im Bereich
Neuropsychologie
etabliert
werden, die innerhalb Deutschlands auf diesem Gebiet inzwischen eine führende Rolle einnehmen konnte. All dies illustriert
meines Erachtens die wichtigsten
Veränderungen, die sich in den
vergangenen elf Jahren am ZI
vollzogen haben.
Sie hatten 1994 in einem Interview geäußert, Ihre wesentlichen
Ziele für die Zukunft des ZI seien
der Ausbau der modernen biologischen Forschung auf molekularer
Ebene und die Stärkung der Bildgebung. Diese Ziele scheinen Sie
erreicht zu haben?
Editorial
Liebe Leserin, Lieber Leser,
das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit durchläuft
zur Zeit eine Phase der personellen Veränderungen, wie
selten in seiner mehr als 30jährigen Geschichte zuvor.
Ende März feierte Prof. Dr. Dr.
Fritz Henn, seit 1994 Direktor
des Instituts, seinen 65. Geburtstag und trat in den USA
eine neue berufliche Herausforderung an.
Zeitgleich wurde Prof. Dr. Dr.
Martin H. Schmidt nach 31
Jahren als Ärztlicher Direktor
der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie des Kindesund Jugendalters emeritiert.
Bei seiner Berufung 1975 war
er mit Abstand der jüngste
Lehrstuhlinhaber der Fakultät,
nun verließ er als letzter Vertreter der ersten ZI-Generation
seinen Chefsessel.
Bereits Ende Dezember verabschiedete sich der kaufmännische Direktor Winfried Busche
nach acht Jahren am Institut
zu neuen beruflichen Ufern.
Da sie alle in dieser Ausgabe
nochmals zu Wort kommen
sollten, liegt Ihnen „ZI Information aktuell“ nun etwas später
vor als gewohnt – dafür in neuem, farbigen Layout.
Bis zum Herbst werden alle
Berufungsverfahren wohl abgeschlossen sein, so dass wir
Ihnen in der nächsten Ausgabe
viele neue Gesichter vorstellen
können.
Nun aber wünsche ich Ihnen
für die Lektüre dieser Ausgabe
viel Vergnügen.
Ihre
Ja, ich glaube, es ist uns gelungen,
3
www.zi-mannheim.de
diese Ziele durch die Rekrutierung
exzellenter Wissenschaftler und
der Etablierung kooperativer Forschungsprojekte zu erreichen.
Was ist die herausragendste neue
Erkenntnis in der Psychiatrie der
vergangenen 10 Jahre?
Zwei Gebiete sind meines Erachtens maßgeblich zu nennen: Die
Möglichkeit, anhand bildgebender
Verfahren die Pathologie zahlreicher psychiatrischer Erkrankungen visuell darzustellen und zweitens die Bestimmung der ersten
Gene, die in der Entstehung der
wichtigsten psychiatrischen Störungsbilder eine Rolle spielen,
wobei meines Erachtens nicht ein
einziges Moment, sondern die
Gesamtheit
des
erzielten
Fortschrittes hervorzuheben ist.
künftig auch zu Kooperationen mit
anderen Zentren im Rhein-Neckar-Dreieck und innerhalb Europas
führen wird. Als weiteren Schritt
sehe ich die Möglichkeit einer formellen Kooperation zwischen dem
Zentralinstitut und dem Institut für
Psychiatrie am Kings College in
London. Beide zählen zu den führenden Forschungseinrichtungen
in Europa und eine offizielle Zusammenarbeit könnte die Position
beider Institute mit Blick auf zukünftige Unterstützung durch EU
Forschungsgelder stärken.
Was wünschen Sie Ihrem Nachfolger? Haben Sie Tipps für ihn?
Meinem Nachfolger wünsche ich,
zu delegieren, offen für Vorschläge zu sein und gut zuzuhören.
Sie gehen zurück in die USA? Was
werden Sie dort tun?
In den USA werde ich als Co-Direktor am Brookhaven National
Laboratory für den Bereich Lebenswissenschaften verantwortlich sein. Brookhaven ist ein großes physikalisches Labor, das in
den letzten 25 Jahren Arbeiten zu
sechs Nobelpreisen in Physik hervorgebracht hat und zwei im Fach
Biologie. Ein Preis wurde für die
Entwicklung der strukturellen Magnetresonanz verliehen, ein zweiter für Arbeiten, die wesentlich zu
unserem Verständnis der Struk-
Wie sehen Sie die weiteren Entwicklungen der Psychiatrie in den
nächsten 10 bis 20 Jahren? Welches sind die zu erwartenden herausragenden Erkenntnisse?
Ich sehe die Zukunft der psychiatrischen Forschung und Behandlung von Krankheitsbildern in der
Verknüpfung von Geneffekten zu
strukturellen und funktionellen
Veränderungen im Gehirn, womit wir uns hier am ZI und auch
zahlreiche andere Wissenschaftler sich inzwischen beschäftigen.
Ich vermute stark, dass, wie von
unserer Arbeitsgruppe in jüngster
Zeit publiziert, die Identifikation
bestimmter Geneffekte auf spezifische Emotionen, Verhaltensmustern und kognitive Funktionen
sowie die Analyse funktioneller
Veränderungen, die zu diesen Veränderungen führen, gänzlich neue
diagnostische
Gesichtspunkte
innerhalb der Psychiatrie sowie
neue Ansatzpunkte der Therapie
aufzeigen werden.
Und wie sehen Sie die weitere
Entwicklung des ZI in den nächsten 10 bis 20 Jahren?
Wichtig ist meines Erachtens die
Konsolidierung und dabei die
komplette Nutzung der vorhandenen Ressourcen des neuen Laborgebäudes, was sicherlich zuZI Aktuell 1/06
Therapiegebäude • Laborgebäude • Forschungsgebäude
dass er, wie ich, auf gute Zusammenarbeit mit den anderen Lehrstuhlinhabern und den Assistenten bauen kann. Ich hoffe, dass
es ihm und dem Zentralinstitut
gelingt, kluge und herausragende
Mitarbeiter für vorhandene Ausbildungsprogramme und bei der Wiederbesetzung frei werdender Lehrstühle zu rekrutieren. Schließlich
wünsche ich ihm die beständige
Unterstützung der psychiatrischen
Forschung durch das Land sowie
die vermehrte Förderung durch
die DFG und das BMBF. Als Tipp
würde ich meinem Nachfolger raten, nicht alles im Alleingang bewerkstelligen zu wollen, sondern
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turen und Funktionen des ersten
Ionenkanals, einem Kalium-Kanal
beigetragen haben. Brookhaven
war auch federführend in der Initiierung des „Human Genome Projects“ und verfügt über eines der
bestausgestatteten PET-Zentren
der Welt. Für mich bietet Brookhaven die Chance, administrativen
Aufgaben und der Krankenversorgung den Rücken zu kehren,
und mich wieder voll und ganz der
Forschungsarbeit zu widmen. Erste Ansätze zur Etablierung einer
kooperativen klinischen Forschergruppe mit den Medizinischen
Fakultäten in New York sind gemacht, die uns, sozusagen im Auswww.zi-mannheim.de
tausch für hochspezialisierte Forschungsmöglichkeiten, die an den
einzelnen Fakultäten selbst nicht
vorhanden sind, die notwendigen
Fragestellungen zu Patienten und
Krankheitsbildern liefern werden.
Gibt es weitere Kooperationen mit
dem ZI?
Ich hoffe doch sehr, denn ich kann
mir gut vorstellen, dass einige
der jungen Wissenschaftler am ZI
von Postdoc-Arbeiten in Brookhaven profitieren würden und es ist
durchaus denkbar, dass Brook-
Stärken in Deutschland?
Meines Erachtens sind heute die
Unterschiede im Bereich der psychiatrischen Forschung zwischen
den USA und Deutschland deutlich
geringer als noch vor elf Jahren.
Deutsche Einrichtungen bringen
herausragende Arbeiten hervor, die
sich auf fast allen Gebieten mit den
besten messen können. Es ist vor
allem auch die Dimension der großangelegten kooperativen klinischen
Studien in den USA, die diese nach
wie vor eine beherrschende Rolle spielen lassen. Die Einrichtung
unterschiedlicher Kompetenznetz-
Erachtens im Allgemeinen deutlich
besser. Der Grund hierfür ist im amerikanischen System zu suchen, das
mit seinem Schwerpunkt auf „managed care“ und Kostendämmung bei
psychiatrischen Patienten eine
Verweildauer von durchschnittlich
weniger als einer Woche vorsieht.
Außerdem haben mehr als 50 Millionen Amerikaner für den Bereich
der psychiatrischen Erkrankungen
keinerlei
Krankenversicherung.
Schließlich ist die Versorgung
chronisch psychisch Kranker in
Deutschland durch gut strukturierte, gemeindepsychiatrische Programme deutlich weiter verbreitet
und besser zugänglich als in den
USA.
Sie haben mehr als 11 Jahre in
Deutschland gelebt. Werden Sie
in den USA etwas von hier vermissen?
Therapiegebäude
haven seine Ressourcen, ähnlich
den Vereinbarungen mit Schulen
in New York, für Projekte des Zentralinstituts zur Verfügung stellt.
Außerdem möchte ich gerne weiterhin einen kleinen Beitrag zu
den laufenden Forschungsarbeiten
im Biochemischen Labor leisten,
wenn dies von meinem Nachfolger gewünscht wird. Da ich auch
im Jahr 2007 noch für die DFG als
Gutachter tätig sein und bis Ende
2008 in die fortlaufende Evaluierung Medizinischer Fakultäten in
England eingebunden sein werde,
werde ich sicherlich auch zukünftig
ab und an das ZI besuchen.
Was sind Ihrer Meinung nach die
wesentlichen Unterschiede zwischen Deutschland und USA bezüglich der psychiatrischen Krankenversorgung und Forschung?
Wo liegen ihrer Meinung nach die
ZI Aktuell 1/06
werke in Deutschland hat jedoch
stark dazu beigetragen, dass die
psychiatrische Forschung auf einigen Gebieten modellhaft wurde.
In den USA lassen sich Ideen auch
etwas schneller umsetzen, was
hauptsächlich auf Gegebenheiten
des deutschen Systems zurückzuführen ist. Oftmals werden wirklich
neue Ideen von jungen Forschern
eingebracht, die in den USA zügig
vorankommen, unabhängig werden
und ihre Ideen vorantreiben. Junge
Forscher in Deutschland werden
oft durch das System gebremst,
das Lehrstuhlinhabern beträchtliche Macht zuspricht und den jungen Wissenschaftlern wenig Raum
lässt, die notwendige Zeit und Ressourcen zur Durchführung eigener
Ideen ohne die Kooperation des
Lehrstuhlinhabers aufzubringen.
Auf dem Gebiet der Krankenversorgung ist Deutschland meines
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Sicherlich werden meine Frau und
ich Deutschland sehr vermissen.
Wir haben uns hier sehr wohl gefühlt, haben es genossen in Heidelberg zu wohnen und beim Spaziergang durch die Gassen der Altstadt
auf die Spuren vorheriger Generationen zu stoßen. Die kulturellen
Vorteile dieser Region mit ihrem
vielseitigen Angebot haben wir in
all den Jahren sehr genossen. Vor
allem Suella wird ihr Engagement
und aktives Singen in der Capella
Palatina sehr vermissen und ich
die dazugehörigen Konzerte. Auch
unsere ausgedehnten Spaziergänge durch den Odenwald in Begleitung unseres Hundes bleiben uns
in bester Erinnerung, denn in den
USA kennen wir derart gut gepflegte und zugängliche Waldstücke leider überhaupt nicht. Auch die Pfalz
und ihre exzellenten Weine werden
uns fehlen.
Vor allen Dingen werden wir aber
unsere Freunde vermissen, die wir
in den letzten 11 Jahren gewonnen
haben. Für mich persönlich gehört
dazu auch die große „ZI-Familie“,
und in besonderem Maße auch
meine Mitarbeiter im Forschungsund Kliniksekretariat, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass
fast jeder Arbeitstag am ZI Spaß
gemacht hat.
red
www.zi-mannheim.de
Ein Rückblick
30 Jahre Kinder- und Jugendpsychiatrie am ZI
In unserer kurzlebigen Zeit feiert
man Jubiläen schon nach zehn oder
fünfzehn Jahren. Da erscheint es
gerechtfertigt, nach 30-jähriger Leitung der Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am Zentralinstitut Rückschau zu halten, erst recht, da diese
dreißig Jahre für das Fach eine Zeit
intensiver Veränderungen waren.
Sie spiegeln sich vor allem in den
Möglichkeiten der Patientenversorgung, in der Weiterbildung und in
Themen der Forschung.
Prof. Dr. Dr. Martin H. Schmidt
Modifizierte Behandlungsmöglichkeiten sind heute selbstverständlich,
es gibt längst nicht mehr nur die stationäre Behandlung als Alternative
zur ambulanten. Tages- und nachtklinische Behandlungen wurden
in das Therapiekonzept integriert,
ohne, wie an manchen Orten, eine
eigene Institution dafür zu schaffen.
Das erlaubt eine hohe Flexibilität
und entlastet Belegungsengpässe
angesichts der ständigen Vollauslastung der Klinik. Diese ist nicht nur
bedingt durch den Patientenzustrom
aus dem Raum Ludwigshafen, sondern durch Aufnahmen, die wegen
des bekannten Behandlungsstandards der Klinik weit über das Versorgungsgebiet hinausgehen.
Mit dem Umbau in den Jahren
2004/2005 hat die Klinik für den stationären Anteil exzellente räumliche
Verhältnisse gewonnen, so dass
die Arbeit mit unseren Patienten
in Gruppen zu je sechs organisiert
werden konnte. Auch der Neubau
der Klinikschule geht seiner Verwirklichung entgegen. Modellversuche
zur Behandlung im natürlichen MiZI Aktuell 1/06
lieu - also in Familie, Kindergarten
und Schule - wurden erfolgreich
durchgeführt. Es ist zu hoffen, dass
sie im Rahmen der jetzt konzipierten integrierten Versorgung Eingang
in die Routine finden, so dass die
starre Grenze zwischen ambulanten
und stationären Behandlungsmöglichkeiten im Interesse der Patienten
durchbrochen wird.
Im Umfeld der Klinik hat sich ein
Netz niedergelassener Fachärzte
gebildet, die große Teile der ambulanten Versorgung übernehmen.
Das Psychotherapeutengesetz hat
die Engpässe vor allem mit ambulanter Verhaltenstherapie nachhaltig
verbessert.
Der Enquete zur Lage der Psychiatrie folgte in den Anfangsjahren des
Mannheimer Lehrstuhls das Modellprogramm, das die extramurale psychiatrische Versorgung verbessern
sollte. Davon sind im sozialpsychiatrischen Netzwerk für Kinder und
Jugendliche noch heute Bestände
erhalten. Die Kooperation mit der Kinder- und Jugendhilfe zeigt sich nicht
nur in Kontakten zu den zuständigen
Jugendämtern, sondern auch in der
Betreuung der therapeutischen Intensivgruppen im Wespinstift, den
Nachsorgegruppen für psychisch
kranke Jugendliche im Johann-Peter-Hebel-Heim, der Beratung von
Heimen und der Einrichtung des
Internationalen Bundes für Sozialarbeit zur beruflichen Eingliederung.
Für viele Jahre konnten auch psychisch kranke Vorschulkinder der
in Regelkindergärten integrierten
Sondergruppen unter Anleitung der
Klinik behandelt werden; finanzielle
Engpässe haben das nicht länger
möglich gemacht, aber die Klinik
verfügt heute über gute Möglichkeiten zur Mitaufnahme von Müttern.
Die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen betreffen vor allem die
Psychiatrie-Personalverordnung, an
deren Gestaltung von Mannheim aus
mitgearbeitet wurde, und die einen,
im Vergleich zu anderen Fächern,
sicheren Schlüssel für ärztliches,
therapeutisches und Pflegepersonal
darstellt. Das Kinder- und Jugendhilferecht wurde neu gefasst und
6
kam unseren Patienten durch die
Einbeziehung seelisch Behinderter
in die Jugendhilfe zugute. Das Kindschaftsrecht wurde modernisiert. Die
Abschaffung körperlicher Strafen
wurde durch die von der CDU-/FDPRegierung eingesetzte „Gewaltkommission“, in der von Mannheim aus
mitgearbeitet wurde, eingeleitet. Die
gesetzlichen Änderungen schlugen
sich teilweise in den Gutachten nieder, die Mitarbeiter der Klinik für Jugendstrafkammern, Familiengerichte
und Verwaltungsgerichte erstellten.
Vielfach neue Vorstellungen zur Pathogenese psychischer Störungen
im Entwicklungsalter, die vorzugsweise auf Verlaufsbeobachtungen
beruhen, haben die Therapiekon-
Außenansicht der neuen Stationen 2005
zepte beeinflusst und zur deutlichen
Verkürzung der Dauer stationärer
Behandlungen geführt. Die Ablösung der in den siebziger Jahren
noch vorherrschenden tiefenpsychologisch orientierten Kinderpsychotherapie durch eine Kombination
von Verhaltenstherapie und Pharmakotherapie hat dazu wesentlich
beigetragen. Aus der Familientherapie, in die seinerzeit überhöhte
Erwartungen gesetzt wurden, sind
wichtige Elemente in die Betreuung
der Bezugspersonen unserer Patienten übernommen worden. Die
Entwicklung neuer Psychopharmaka und deren spezifische Zulassung
für Kinder und Jugendliche erlaubt
eine zielgerechtere Behandlung und
hat die Akzeptanz von Pharmakotherapie auch im Entwicklungsalter
www.zi-mannheim.de
deutlich verbessert. Die Leitlinien
für Diagnose und Therapie der Erkrankungen, für die das Fachgebiet
zuständig ist, geben einen sicheren
Handlungskorridor vor.
Sie gehören zum Rüstzeug des
angehenden Facharztes, der nicht
mehr – wie der frühere Name der
Klinik – nur Kinder- und Jugendpsychiatrie, sondern ausdrücklich auch
Psychotherapie umfasst. Damit hat
sich der Weg zum Facharzt wesentlich erweitert.
Es gelang, zusammen mit anderen
Fächern am Zentralinstitut, eine
Psychotherapie-Weiterbildung
zu
etablieren, die dem angehenden
Facharzt die Inanspruchnahme auswärtiger und teils teurer Weiterbildungsmöglichkeiten erspart.
Das Multiaxiale Klassifikationssystem, das in Mannheim seit Eröffnung
der Klinik benutzt und inzwischen
bundesweit eingeführt wurde, erlaubt
eine diagnostische Verständigung
mit in- und ausländischen Kollegen.
Die heute gängigen Klassifikationssysteme der WHO und der Amerikanischen Gesellschaft für Psychiatrie
erlauben eine differenzierte Betrachtungsweise, deren Fortschritt man
nur ermessen kann, wenn man sie
mit der vergleichsweise groben Kategorisierung der Achten Revision
der Internationalen Klassifikation der
Krankheiten vergleicht.
Lehrbücher unserer Tage sind mit
denen der siebziger Jahre nicht vergleichbar. Sie zeigen überwiegend
deutlich abweichende Vorstellungen
über Ätiologie, Einteilung, Verlauf und
Behandlung psychischer Störungen.
Kurz vor Eröffnung der Mannheimer
Klinik war die Zeitschrift für Kinderund Jugendpsychiatrie gegründet
worden, die von Mannheim aus über
dreißig Jahre mitbetreut wurde. Später kam die europäische Zeitschrift
für unser Fachgebiet hinzu.
Alle Mannheimer Studenten der
Medizin hören während eines Semesters die klinische Übersichtsvorlesung über psychische Störungen
bei Kindern und Jugendlichen und
lernen diese im Praktikum kennen.
Mehr als vierhundert Weiterbildungsnachmittage für niedergelassene
Kollegen auch benachbarter Disziplinen hat die Klinik gestaltet.
Wissenschaftliche Abkömmlinge der
Kinder- und Enkelgeneration der
Mannheimer Klinik vertreten kinderund jugendpsychiatrisches FachwisZI Aktuell 1/06
sen im deutschsprachigen Raum an
zehn Fakultäten.
Interessante Wandlungen haben
sich in den Forschungsgegenständen auch der Kinder- und Jugendpsychiatrie vollzogen. Wissenschaftler des Lehrstuhls für Kinder- und
Jugendpsychiatrie haben nicht nur
in zwei Sonderforschungsbereichen
mitgearbeitet, sondern die Klinik hat
auch den Sprecher für beide gestellt,
d.h. an Konzeption und Entwicklung
mitgearbeitet.
Während im Sonderforschungsbereich 116 epidemiologische Fragen
im Mittelpunkt standen, deren Ergebnisse u.a. für Klassifikation und
Versorgungsforschung bedeutsam
wurden, zentrierte sich der Sonderforschungsbereich 258 auf modellgestützte Mehrebenenforschung im
Aquarium auf der umgebauten Station
Längsschnitt. Dieser Mehrebenenforschungsansatz hat in der Kinderund Jugendpsychiatrie vielfältiges
Echo gefunden und fruchtbare Resultate gezeitigt. Die Längsschnittprojekte an Kohorten von Kindern
bzw. Neugeborenen haben diverse
Fragestellungen lösen helfen und
die Mehrebenenforschung hat den
Übergang zur Beantwortung neurobiologischer
Fragestellungen
mühelos vonstatten gehen lassen.
Wissenschaftliche Mitarbeiter des
Lehrstuhls haben die Möglichkeiten
von Elektrophysiologie und Molekularbiologie genutzt und an multizentrischen Studien mitgearbeitet,
auch als erste in Deutschland tierexperimentelle Arbeiten in unserem Fach durchgeführt. Die Klinik
hat so Anschluss an das internationale Forschungsniveau gefunden. Das fand durch die Präsidentschaft der Deutschen Gesellschaft
für Kinder- und Jugendpsychiatrie,
Mitarbeit in WHO-Arbeitsgruppen
sowie im Vorstand der Internationalen Gesellschaft für Kinder- und
7
Jugendpsychiatrie
Anerkennung.
Allen Mitarbeitern, die zum Ruf der
Klinik und dem wissenschaftlichen
Renommee des Mannheimer Lehrstuhls beigetragen haben, gelten
Dank und Anerkennung, auch für
ihren Einsatz in schwierigen Zeiten
und unter widrigen Umständen.
Die Direktoren des Instituts, Herr
Professor Heinz Häfner und Herr
Professor Fritz Henn, haben die
Forschung in unserem Fachgebiet
gefördert. Der Ende 2005 ausgeschiedene Verwaltungsdirektor Winfried Busche, hat durch seine Bautätigkeit bleibende Möglichkeiten für
eine optimale Versorgung geschaffen. Der Aufsichtsrat der Stiftung
hat das unterstützt. Herr Dr. Hans
Martini hat sich während seiner Zeit
als Sozialbürgermeister für den Ausbau der extramuralen Versorgung
gemäß seinen Zusagen aus den Berufungsverhandlungen des Jahres
1975 und während seiner Tätigkeit
im Aufsichtsrat für die Klinik eingesetzt, zuletzt durch sein intensives
und erfolgreiches Bemühen um den
Schulbau. Ihnen allen ist zu danken.
Dem Nachfolger auf den Lehrstuhl
sind ebensoviel Unterstützung, tüchtige Mitarbeiter und eine glückliche
Hand in der Auswahl seiner Forschungsthemen zu wünschen, damit
Mannheim seinen Platz in der kinderund jugendpsychiatrischen Landschaft der Bundesrepublik Deutschland behaupten kann. Vor ihm liegen
die Anwendungen der Resultate von
Genetik und Bildgebung auf die Störungsbilder von Kindern und Jugendlichen, die Kooperation mit vielen
Abteilungen inner- und außerhalb
von Mannheim, die Erhaltung des
Standards von Lehre und Krankenversorgung und eine wissenschaftlich spannende Zeit. Er dürfte als
Ergebnis der aktuellen Forschungstrends die Weiterentwicklung des
Achsensystems der heutigen Klassifikation ebenso erleben wie die
Aufhellung der gemeinsamen Elemente verschiedener Entwicklungsstörungen und die Renaissance
der epidemiologischen Forschung,
wenn es an die Klärung der entwicklungspsychopathologisch relevanten Gen-Umwelt-Interaktionen geht.
Martin H. Schmidt
www.zi-mannheim.de
Kongressbericht
Tagung der Biologischen Kinder- und Jugendpsychiatrie
Die 13. Tagung der Biologischen
Kinderund
Jugendpsychiatrie
fand am 1. und 2. Dezember 2005
in Mannheim statt. Diese jährlich,
immer in der ersten Dezemberwoche stattfindende Veranstaltung hat
zum Ziel, biologischen Themen in
der Kinder- und Jugendpsychiatrie
einen entsprechenden Rahmen zu
geben. Da die Teilnehmerzahl üblicherweise auf je drei Teilnehmer pro
Tag je Universitätsklinik beschränkt
ist, entsteht immer eine freundliche
und intensive Atmosphäre, in der
neue Projekte vorgestellt und diskutiert werden.
Aufgrund einer finanziellen Unterstützung durch den Verein zur
Förderung der Stiftung Zentralinstitut
für Seelische Gesundheit e.V. konnten die großzügigen Räume der Jüdischen Gemeinde angemietet werden und der Tagung mit Vorträgen
und Posterpräsentationen einen
schönen Rahmen bieten.
Der Einladung nach Mannheim
waren 102 Teilnehmer gefolgt, die
eine vielseitige und interessante
Veranstaltung erleben durften.
Wie schon 2003 in Aachen fanden auch dieses Jahr im Vorfeld
zum Kongress zwei Vorseminare
statt. Am 30. November konnten
Nachwuchswissenschaftler
der
kinder- und jugendpsychiatrischen
Universitätskliniken viel über neuropsychologische Diagnostik und
Genetik lernen. Die Neuropsychologin PD Dr. Kerstin Konrad von der
Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Aachen hielt das
Seminar zum Thema Neuropsychologie. Die Seminarteilnehmer erhielten auf der Basis kognitiver Modelle
eine Übersicht über neuropsychologische Testverfahren bei Kindern
und Jugendlichen für Diagnostik
und Differentialdiagnostik sowie deren Verwendung für wissenschaftliche Studien. Das zweite Vorseminar
wurde von Prof. Dr. Johannes Hebebrand (Universität Essen) zum Thema Genetik gestaltet. Es wurde die
Genetik bei den kinder- und jugendpsychiatrischen Diagnosen Enuresis
noc-turna und Autismus dargestellt.
Außerdem lernten die Teilnehmer
Strategien zur Entdeckung von
ZI Aktuell 1/06
Prädispositionsgenen und erfuhren Neues über Familienstudien zu
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) und Störungen des Sozialverhaltens.
Die Tagung startete am 1. Dezember
mit den Themenblöcken Pharmakotherapie, Biofeedback in der Kinderund Jugendpsychiatrie sowie Lernen
und exekutive Funktionen.
Den diesjährigen, viel gelobten
Gastvortrag hielt Prof. Marcella
Rietschel von der Abteilung Genetische Epidemiologie am ZI mit dem
Titel: „Gene halten sich nicht an
das DSM!“. Die Kongressteilnehmer
konnten in diesem spannenden und
didaktisch sehr gut aufbereiteten
Vortrag erfahren, dass bestimmte
Varianten des Gens G72/G30 sowohl bei Patienten mit Schizophrenie als auch bei Patienten mit bipolaren Störungen vermehrt auftreten.
Bei genaueren Analysen zeigte
sich, dass das gemeinsame Symptom, das mit den Genvarianten assoziiert war, Verfolgungswahn bzw.
Angst war. Diese neuen molekulargenetischen Erkenntnisse stellen
ein weiteres, wichtiges Mosaik in
der Identifizierung von Genen und
deren Assoziation mit Syndromen
bzw. Symptomen dar, regen dazu
an, bisherige Diagnosekategorien
zu überdenken und sind ein wichtiger Schritt in Richtung individueller
Therapieansätze.
Die Schwerpunktthemen des zweiten Tages waren Neuroanatomie,
funktionelle Bildgebung, Neuropsychologie sowie Neurophysiologie
bei Autismus, Hyperkinetischen Störungen und Schizophrenie.
Posterpreise
Neben den wissenschaftlichen Vorträgen gab es auch genügend Raum
für die Besichtigung und Diskussion
der Poster. Vor der Mittagspause
wurden die Poster kurz präsentiert
(„one slide, one sentence“) und die
Zuhörer auf den Inhalt neugierig
gemacht, nach dem gemeinsamen
Mittagessen gab es eine Posterbegehung mit Gelegenheit zur Diskussion und fachlichen Austausch.
Die drei besten wissenschaftlichen
Poster wurden von der Fachjury,
8
bestehend aus Prof. Dr. Andreas
Warnke (Würzburg), Prof. Dr. Franz
Resch (Heidelberg) und Prof. Dr.
Alexander von Gontard (Homburg),
prämiert. Den ersten Preis erhielt
Dr. Lars Wöckel (Universität Frankfurt), der mit seiner Arbeitsgruppe
die Geschmackswahrnehmung und
die Geschmackspapillendichte auf
der Zunge jugendlicher Patientinnen
mit Essstörungen im Vergleich zu einer Kontrollgruppe untersucht hatte.
Der zweite Posterpreis ging an eine
Arbeitsgruppe vom ZI, und zwar an
Dr. Yvonne Grimmer zusammen mit
Dr. Dr. Pascal Frankhauser, PD Dr.
Peter Bugert, PD Dr. Patrick Schloss
und Prof. Dr. Dr. Martin H. Schmidt.
Das Poster trug den Titel „Charakterisierung des neuronalen Dopamintransporters auf Thrombozyten“.
Nach Meinung der Jury stellt die
dargestellte Technik eine zukunftsträchtige Methode zur Untersuchung
der Wirkungsweise des Dopamintransporters dar, der bei verschiedenen psychiatrischen Störungen eine
wichtige Rolle spielt. Der dritte Preis
ging nach Berlin an Dr. Stefan Ehrlich, der eine eindrückliche Kasuistik
mit Komplikationen bei einer Patientin mit Anorexie darstellte. Er erhielt
den Preis in Anerkennung für sein
Poster „Refeeding Oedema - eine
somatische Komplikation bei der
Behandlung der Anorexia nervosa“.
Positive Rückmeldungen gab es für
die innovative Kennzeichnung der in
die engere Auswahl für einen Posterpreis gekommenen Poster.
So wurden die nach Meinung der
Jury preisverdächtigen Poster, die
in die engere Auswahl gekommen
waren, schon am ersten Tag für alle
ersichtlich gekennzeichnet, um insbesondere jungen Nachwuchswissenschaftlern Anreiz und Vorbilder
zu geben, wie wissenschaftliche
Sachverhalte anschaulich auf einem
Poster präsentiert werden können.
Bei der Preisverleihung betonte die
Jury aber auch, dass alle der insgesamt 21 ausgestellten Poster sehr
gut waren und lobte das hohe Niveau.
Wissenschaftspreise
Während der Tagung wurden außerdem zwei bedeutende Wissenwww.zi-mannheim.de
schaftspreise in der Kinder- und
Jugendpsychiatrie verliehen: der
Hermann-Emminghaus-Preis sowie
der Kramer-Pollnow-Preis.
Der erstgenannte, nach dem Pionier
der deutschsprachigen Kinder- und
Jugendpsychiatrie Hermann Emminghaus (1845 - 1904) benannte
Preis, wird alle zwei Jahre an Forscher aus dem In- und Ausland verliehen für herausragende grundlegende Arbeiten auf dem Gebiet der
Ätiopathogenese, der Diagnostik, der
Therapie und/oder Prognose psychischer Störungen. Der von der Fa.
Lilly gesponserte Preis, der aus der
Hermann-Emminghaus-Medaille
und einem Betrag von 5500 Euro
besteht, wurde Prof. Dr. Christoph
Wewetzer (Köln, früher Universität
Würzburg) und Dr. Susanne Walitza
(Universität Würzburg) für ihre herausragenden Forschungsarbeiten
zur Zwangsstörung verliehen. Die
Jury würdigte die wissenschaftlichen
Arbeiten von Prof. Wewetzer zur familiären Komorbidität, zu formal-genetischen Zusammenhängen sowie
zum Verlauf der Zwangsstörungen
und Dr. Walitzas ergänzenden Studien zu molekulargenetischen Zusammenhängen. Den Preisträgern sind
Erkenntnisse über eine hohe Stabilität der Zwangsstörung und die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen bei zwei Drittel der Betroffenen
anzurechnen, was die Bedeutung
einer frühen und möglichst nachhaltigen Therapie unterstreicht. Lobend
erwähnt wurde auch die Netzwerkarbeit unter Einbeziehung der Kliniken in Aachen und Marburg und die
damit verbundene große Stichprobenanzahl sowie die Verknüpfung
von Längsschnitt- und Mehrebenenansatz.
Im Rahmen eines feierlichen Abendessens wurde der Kramer-PollnowPreis an PD Dr. Kerstin Konrad
(Universität Aachen) und ihre Arbeitsgruppe (Klinik für Kinder- und
Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Universität Aachen) in Würdigung ihrer wissenschaftlichen
Leistung zur neurobiologischen
Grundlage unterschiedlicher Aufmerksamkeitssysteme und um unterschiedliche
Aufmerksamkeitslenkungen wie fokussierte und
gedankliche Aufmerksamkeit verliehen. So sucht die Arbeitsgruppe
z.B. auch nach psychophysiologiZI Aktuell 1/06
schen Korrelaten (wie autonomes
Ruhearousal, Orientierungsreaktion
oder Habituation auf aversive Reize)
bei Kindern mit ADHS, um die Subgruppe der Kinder mit ungünstiger
Prognose zu identifizieren. Die theoretische Konzeption der Gruppe um
Dr. Konrad wird durch verschiedene
anspruchsvolle Methoden (Augenbewegungen, fMRI, elektrodermale
Antworten, neuro-psychologische
Verfahren) überprüft. Dieser von
der Fa. MEDICE gestiftete KramerPollnow-Preis, der in diesem Jahr
zum zweiten Mal verliehen wurde, ist
ein deutscher Forschungspreis für
biologische Arbeiten auf dem Gebiet
Preisverleihung Kramer-Pollnow Preis 2005
der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Er ist mit 6000 Euro dotiert.
Der
Kramer-Pollnow-Sonderpreis
ging an Dr. H. Heinrich (Erlangen/
München) und Dr. Ulrike Strehl (Tübingen) für ihre gut kontrollierten Studien zu Neurofeedback bei ADHS,
die zeigen, dass dieses neurobiologisch basierte verhaltenstherapeutische Verfahren zu einer deutlichen
Reduktion der ADHS-Kernsymptome und Verbesserung kognitiver
Leistungen führt.
Insgesamt können wir auf eine erfolgreiche Tagung mit spannenden,
z.T. richtungsweisenden Impulsvorträgen, einer ansprechenden wissenschaftlichen Posterausstellung
und lebhaften Diskussionen zurückblicken.
„Young Investigators in Biological
Child and Adolescent Psychiatry“
Während der Tagung, auf der viele
junge
Nachwuchswissenschaftler
vertreten waren, wurde von Stefan
Ehrlich (Charitè Berlin), Thomas
Stegemann (UKE Hamburg) und
Yvonne Grimmer (ZI Mannheim) die
9
Idee geboren, junge Wissenschaftler der verschiedenen Fakultäten,
die im Gebiet der biologischen Kinder- und Jugendpsychiatrie forschen, mit dem Ziel intensiver(er)
Zusammenarbeit und Steigerung
von Qualität und Effizienz zu vernetzen. Diese innovative Idee wurde mit
der Gründung von YIBcap („Young
Investigators in Biological Child
and Adolescent Psychiatry“, siehe
im Internet unter www.yibcap.de)
auch sofort in die Tat umgesetzt.
Als Ziele von YIBcap benennen die
Initiatoren u.a. die Weitergabe und
das Teilen von Know how und Methoden, die Durchführung von Methodenseminaren, das Ermöglichen
von Hospitationen, gemeinsame
Projekte/multizentrische
Studien,
gemeinsame Kontrollgruppen und
Mentoring. Eine Mailingliste und ein
Diskussionsforum wurden bereits
eingerichtet. Prof. Remschmidt (Universität Marburg) und Prof. Schmidt
(ZI Mannheim) konnten schon gewonnen werden, als Senior Advisors
zur Verfügung zu stehen.
Wir danken allen Teilnehmern, Vortragenden, Poster-Präsentierenden,
den Vorsitzenden der Symposien,
der Posterjury, der Gastreferentin
Prof. Rietschel sowie PD. Dr. Konrad
und Prof. Hebebrand für die Durchführung der Vorseminare. Natürlich
danken wir auch allen Mitarbeitern
und kompetenten Helfern, die während der Tagung und im Vorfeld bei
der Planung, Organisation, Koordination, Programm- und Plakaterstellung mitgearbeitet haben und maßgeblich am Erfolg der Veranstaltung
beteiligt waren. Unser ganz besonderer Dank gilt Dr. Hans Martini
und dem Verein zur Förderung der
Stiftung Zentralinstitut für Seelische
Gesundheit e.V. sowie den Firmen
Janssen-Cilag, Lilly, Medice und
Novartis für die finanzielle Unterstützung der Tagung, die ohne das
Sponsoring in diesem ansprechenden Rahmen nicht möglich gewesen
wäre. Eine kleine Kongressnachlese
mit Fotos der Veranstaltung ist ab
sofort auf der ZI-Homepage (http://
zi-mannheim.de) zu finden.
Die nächste, dann 14. Tagung der
Biologischen Kinder- und Jugendpsychiatrie wird im Dezember 2006
in Hamburg stattfinden.
Katja Becker
www.zi-mannheim.de
Präventionsprojekt „Zappelphilipp“
Frühintervention bei durch Delinquenz auffällig gewordenen Kindern
In den letzten Jahren sind Gewalt
und Delinquenz unter Kindern und
Jugendlichen verstärkt in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Berichte über vermehrte Aggressivität
in Kindergärten und Schulen, steigende Kinder- und Jugendkriminalitätsraten und sexuelle Übergriffe
beunruhigen Laien wie Experten
gleichermaßen. 2005 sind laut Kriminalstatistik über 650 Kinder in Mannheim tatverdächtig geworden - und
das ist nur die Zahl der Straftaten,
die der Polizei bekannt geworden
sind. Ca. 200 Neutäter im Alter von
8 bis 13 Jahren wurden von der Polizei erfasst.
Was sind das nun für Kinder und Jugendliche, die diese Straftaten begehen?
Frühes Auftreten von aggressiven
und antisozialen Verhaltenweisen
können Kennzeichen einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens sein. Ca 5% aller Kinder weisen
die Symptome einer hyperkinetischen Störung auf. Die Symptome
sind Aufmerksamkeitsdefizit (z.B.
Ablenkbarkeit, Konzentrationsstörung), Impulsivität (plötzliches, unüberlegtes Handeln) und motorische
Unruhe (Zappeln). Bei ca. 25-40%
bestehen zusätzlich antisoziale Verhaltensmuster, d.h. oppositionelles
Verhalten, lügen, stehlen, zeigen
von Wutausbrüchen und körperlicher Aggressivität, Zerstörung von
Gegenständen, zündeln, Tiere quälen usw. Dann spricht man von einer hyperkinetischen Störung des
Sozialverhaltens. Die Kinder weisen
schon früh (also vor dem 10. Lebensjahr) diese Symptomkombination aus. Des Weiteren zeigen Längsschnittuntersuchungen, dass dieses
Störungsbild sehr stabil ist und bei
50% der 8-jährigen auch noch im
Erwachsenenalter besteht. Die Behandlung dieser Kinder sollte möglichst frühzeitig erfolgen, um eine
Verfestigung der Verhaltensmuster
zu verhindern.
Im Jahr 2003 untersuchte das Polizeipräsidium Mannheim die Gruppe der Intensivtäter genauer. Dabei
stellte sich heraus, dass bei über
60% Symptome eines ADHS bestanden oder sogar die Diagnose
gestellt war. Nur einer dieser IntenZI Aktuell 1/06
sivtäter nahm ein Medikament in
diesem Zusammenhang, die anderen Intensivtäter befanden sich nicht
in Behandlung. Eine Therapie wurde
Projekt in Form einer Therapiestudie
entwickelt, in dem neben bewährten
Therapiebausteinen, wie Beratung
und Medikamenten, die Eltern im
Zappelphillip (Quelle: Heinrich Hoffmann „Der Struwwelpeter“ 1858)
oft mit der Begründung abgelehnt,
dass es zu aufwendig oder zu umständlich sei. Genauso oft wurde die
Begründung angegeben, dass das
Kind sich einer Behandlung verweigere.
Durch Kinder- und Jugendkriminalität entstehen der Volkswirtschaft
in mehreren Ebenen Schäden in
Millionenhöhe, angefangen von der
Zerstörung öffentlichen Eigentums
bis zur Krankenversorgung von Geschädigten, von Jugendhilfe bis zu
Justizvollzugsanstalten.
Deshalb ist es naheliegend, eine
Intervention auf die Zielgruppe der
hyperaktiv-antisozialen Kinder abzustimmen. Dabei sind folgende
Prinzipien zu berücksichtigen: Frühe Intervention ist Prävention, die
Behandlung sollte im Gemeinwesen
etabliert sein, damit sie allen Familien zur Verfügung stehen kann und
sie sollte sich auf den Kreis der gefährdeten Kinder konzentrieren um
möglichst effektiv zu sein.
Ausgehend von dieser Sachlage
wurde auf Anregung des Polizeipräsidiums Mannheim mit finanzieller
Unterstützung des Vereins für Sicherheit in Mannheim und der Robert Bosch Stiftung eine Kooperation zwischen dem Polizeipräsidium
und dem Zentralinstitut für Seelische
Gesundheit aufgebaut. Es wurde ein
10
häuslichen Umfeld im Umgang mit
ihren aggressiven und antisozialen
Kindern gestärkt und unterstützt
werden sollen. Das Projekt startete am 1. September 2005 und wird
noch bis August 2007 fortgeführt
Eltern, deren Kinder erstmalig straffällig geworden sind, kommen immer
in den Kontakt mit den Jugendsachbearbeitern der Polizei. Diese überprüfen jetzt anhand eines einfachen
Rasters, ob die Kinder für das Projekt in Frage kommen. Bei Einwilligung werden die Daten der Kinder in
einer speziellen Datei erfasst und an
das Zentralinstitut übermittelt. Von
dort aus wird Kontakt mit den Familien aufgenommen und nach deren
Einverständnis eine kinderpsychiatrische Diagnostik durchgeführt.
In Abhängigkeit der Symptomatik
erfolgt eine Intervention, die aus einer Kombination von Beratung, ggf.
Medikation und Behandlung zu Hause (Hometreatment) besteht. Das
Hometreatment erfolgt zweimal die
Woche über einen Zeitraum von 16
Wochen. Danach findet eine erste
Auswertung der Maßnahme statt.
Um die langfristige Wirksamkeit
dieser Maßnahme zu erfassen, soll
der Verlauf der Kinder für über zehn
Jahre verfolgt werden.
Gerhard Ristow
www.zi-mannheim.de
Nichtrauchen in 6 Wochen
Qualifizierte Tabakentwöhnung am ZI
Die Klinik für Abhängiges Verhalten
und Suchtmedizin am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim startet ein neues ambulantes
Gruppentherapie-Angebot zur Tabakentwöhnung.
Durch Tabakrauchen sterben in den
westlichen Industrieländern mehr
Menschen als durch Verkehrsunfälle, AIDS, Morde, Selbstmorde,
illegale Drogen und Alkohol zusammengenommen. Weltweit sterben jährlich etwa 4 Millionen Menschen, in Deutschland jährlich über
100.000 Menschen an den Folgen
des Tabakkonsums. Das aktuelle
Jahrbuch 2006 der DHS bestätigt,
dass ca. ein Drittel der Deutschen
Bevölkerung ab einem Alter von 15
Jahren raucht, mit steigenden Zahlen insbesondere für Frauen und
Jugendliche. Der Anteil der abhängigen Raucher liegt dabei vorsichtig
geschätzt bei über 50%.
Viele entwöhnungswillige Raucher
sind trotz hoher Motivation zur Abstinenz und trotz bereits eingetretener
gesundheitlicher Folgen nicht in der
Lage, das Tabakrauchen ohne professionelle Hilfe zu beenden. Dabei
bestehen inzwischen mit der Kombination aus psychotherapeutischen
Techniken und einer medikamentösen Unterstützung wirkungsvolle
und praktikable Therapiemöglichkeiten.
Verhaltenstherapeutisch
werden das Konsumverhalten und
der Umgang mit Versuchungssituationen verändert, medikamentös
werden durch eine vorübergehende
Nikotinersatztherapie körperliche
Entzugssymptome reduziert.
Die ambulante „Qualifizierte Tabakentwöhnung“ am ZI orientiert
sich an dem etablierten Entwöhnungsprogramm des Arbeitskreises
Raucherentwöhnung der Universität Tübingen. Das ambulante Behandlungsprogramm am ZI richtet
sich schwerpunktmäßig an Raucher ohne weitere Substanzabhängigkeiten. Nach einer ersten
Einzelinformation werden sechs
Gruppenbehandlungen mit einem
Behandlungstermin pro Woche à 90
Minuten durchgeführt. Jeder Kurs
besteht aus 8-10 Teilnehmern.
Zu Beginn der Gruppentherapie erZI Aktuell 1/06
halten die Teilnehmer ausführliche
Informationen über die Entstehung
und die Risiken der Tabakabhängigkeit. Vor- und Nachteile einer
Tabak-Abstinenz werden erarbeitet
und mit dem Betroffen zusammen
gewichtet. Ziel ist eine Verstärkung
der Abstinenzmotivation.
Die Selbstbeobachtung soll den
Stellenwert des Rauchens sowie
die Funktion des Rauchens im Alltag sichtbar machen und dient der
Vorbereitung auf den Rauchstopp
mittels der „Punkt-Schluss-Methode“. In der zweiten Kurswoche legen
die Teilnehmer einen Rauchstopptermin fest, welcher zwischen der 2.
und 3. Therapiesitzung liegen soll.
In den folgenden Sitzungen werden
Strategien zur Reiz- und Verhaltenskontrolle vermittelt und alternative Verhaltensweisen zum Rauchen erarbeitet. Die Steigerung der
Kompetenz im Umgang mit riskanten Versuchungssituationen und
typischen Rückfallsituationen ist
ein weiteres Hauptziel. Zur Rückfallprophylaxe werden gefährliche
Situationen über Gedankenspiele
und Rollenspiele „durchgespielt“
und Bewältigungsstrategien eingeübt. Zusätzlich werden alternative
Methoden zum Umgang mit Stress,
Konflikten, Langeweile und ähnliche Situationen mit dem Risiko zum
Rückfall besprochen.
Ergänzt wird das Programm durch
Informationen zur Ernährungsumstellung, Gewichtskontrolle und körperlichen Bewegung.
Das verhaltenstherapeutische Programm erlaubt eine Anpassung an
die Situation und die Bedürfnisse
der jeweiligen Gruppe. Jedem Raucher wird eine individuelle Empfehlung zur medikamentösen Unterstützung der Tabakentwöhnung
gegeben.
Alexander Diehl
Christine Rockenbach
Weiterführende Ziele des Projekts
„Qualifizierte Tabakentwöhnung“ am ZI sind:
►
►
►
►
Etablierung und Ausbau des
klinischen Angebotes
Sicherstellung der Finanzierung
über Absprachen mit Krankenkassen
und Betrieben
Wissenschaftliche Evaluation der
Therapieergebnisse und Grundlagenforschung
zur Grundlagen der Tabakabhängigkeit
Mitarbeiterschulung und Behandlung
als Angebot im Rahmen einer Aufnahme
des ZI in das Netz „Rauchfreier Krankenhäuser“
Die Gebühr für den gesamten 6-wöchigen Kurs
zur Tabakentwöhnung beträgt 95 Euro pro Person.
Zahlreiche Krankenkassen übernehmen
zumindest einen Teil der Kosten dieses zertifizierten Kurses.
Die Anmeldung zum Kurs erfolgt telefonisch
ab sofort unter der Nummer: 0621 - 1703 3503.
11
www.zi-mannheim.de
Nimmt der Alkoholkonsum im Alter ab??
Eine Verlaufsstudie zu Alkoholmissbrauch und -abhängigkeit bei Bewohnern
in Mannheimer Altenpflegeheimen (1995-2003)
Aus Bevölkerungsstudien geht
hervor, dass Konsum, Missbrauch
und Abhängigkeit von Alkohol
im höheren Alter rückläufig sind.
Beispielsweise ergab die Oberbayern-Studie (Dilling und Weyerer 1984), dass die Prävalenz
von 3,1% behandlungsdürftigem
Alkoholismus in der Gruppe der
sum von Alkohol vor (Bühringer et
al., 2000). Dabei zeigte sich, dass
der riskante Alkoholkonsum bei
den Frauen ab dem 50. Lebensjahr abnimmt, bei den Männern
erst ab 60 Jahren.
Für den insgesamt geringeren
Anteil älterer Alkoholabhängiger
Alkohol ist das Suchtmittel Nr. 1 in Deutschland
45-64-Jährigen auf 0,7% bei Personen ab dem 65. Lebensjahr zurückging. Bei den 70-Jährigen und
Älteren, die Anfang der neunziger
Jahre im Rahmen der Berliner Altersstudie untersucht wurden, lag
die Prävalenz einer Alkoholkrankheit oder eines Alkoholmissbrauchs (DSM-III-R-Nr. 303.90,
305.00) bei 1,1% (Helmchen et al.
1996). Bundesweite Studien, die
auch ältere Menschen einschließen, liegen für den riskanten KonZI Aktuell 1/06
sind unterschiedliche Gründe verantwortlich: Wegen der um ein
Vielfaches höheren Mortalitätsrate von Alkoholikern erreichen
nur relativ wenige ein höheres
Lebensalter. Altersbedingte Veränderungen des Stoffwechsels
führen zu einer Abnahme der Alkoholtoleranz. Im höheren Alter
häufiger auftretende gesundheitliche Beschwerden und chronische
Erkrankungen führen zu einer Reduktion des Alkoholkonsums. Im
12
Vergleich zu älteren Menschen in
Privathaushalten ist der Anteil Alkoholkranker in Einrichtungen der
stationären Altenhilfe überdurchschnittlich hoch.
Amerikanischen Studien zufolge
(Joseph et al., 1995, Brennan,
2005) sind bis zu 26% der Bewohner in Pflegeheimen für Kriegsveteranen aktuell alkoholkrank und
bis zu 49% erfüllen die Kriterien
für eine frühere (lifetime) Alkoholdiagnose. Im deutschsprachigen
Raum liegt bislang lediglich eine
von uns in den neunziger Jahren
durchgeführte Studie vor. Eine
Untersuchung von nahezu 2000
Heimbewohnern in 20 Mannheimer Alten- und Pflegeheimen ergab, dass bei Heimeintritt 7,5 %
der Bewohner (19,3 % der Männer und 3,8 % der Frauen) alkoholkrank waren (Schäufele et al.,
1998; Weyerer et al., 1999). In Einrichtungen der stationären Altenhilfe leben keineswegs nur ältere
Menschen. Verschiedene Studien in Alten- und Pflegeheimen in
Deutschland haben ergeben, dass
etwa 8 bis 9% der Bewohner unter 65 Jahre alt sind (Hönig et al.,
1999). In der Gruppe der jüngeren
Bewohner finden sich neben schizophrenen Patienten und Patienten mit geistiger Behinderung vor
allem alkoholkranke Bewohner.
Ziele der Untersuchung
Nach einer Querschnittserhebung
(1995/1996) vor Einführung der
stationären Pflegeversicherung
(1. Juli 1996) haben wir in Altenpflegeheimen der Stadt Mannheim zwei weitere Querschnittsuntersuchungen 1997/1998 und
2002/2003 durchgeführt.
Zu allen drei Zeitpunkten konnten
jeweils über 1.200 Bewohner in
den gleichen 13 Mannheimer Einrichtungen einbezogen werden.
Es wurden folgende Fragen
untersucht:
www.zi-mannheim.de
► Wie häufig wird von Ärzten eine
Alkoholdiagnose bei Heimeintritt
gestellt und wie hoch ist nach Einschätzung des Pflegepersonals
der aktuelle Alkoholmissbrauch?
► Welche soziodemographischen
und
klinischen
Merkmale
(Einschränkungen der Alltagsaktivitäten, Verhaltensauffälligkeiten) haben Heimbewohner mit
Alkoholproblemen?
Angesichts des sehr hohen
Anteils von Heimbewohnern, die
vor allem wegen einer demenziellen Erkrankung nicht befragt werden konnten, verwendeten wir bei
der Datenerhebung zwei Quellen:
► die Pflegedokumentation: zur
Erfassung von soziodemographischen Merkmalen, Aufenthaltsdauer, gesetzlicher Betreuung,
Pflegestufen nach SGB XI, ärztlichen Diagnosen einschließlich
Alkoholdiagnosen bei Heimeintritt
und medizinischer Behandlung
► die Fremdbeurteilung durch
qualifizierte Pflegepersonen, die
die wichtigsten Interaktionspartner für die Heimbewohner sind:
Mit Hilfe eines standardisierten
Beurteilungsbogens wurden - bezogen auf die letzten vier Wochen
► Pflegebedürftigkeit, kognitive
Beeinträchtigung, Verhaltensauffälligkeiten, Teilnahme an Aktivitäten, freiheitseinschränkende
Maßnahmen (Fixierung), und
Alkoholkonsum (differenziert in
keinen, unauffälligen und missbräuchlichen Konsum) erfasst
Ein solches Vorgehen mit Hilfe
eines standardisierten und zeitökonomischen Untersuchungsinstruments liefert quantifizierbare
Daten für alle, auch für körperlich,
kognitiv und sensorisch schwer
beeinträchtigte Heimbewohner.
Ergebnisse und Folgerungen für
die Praxis
Ausgehend von den ärztlichen
Diagnosen bei Heimeintritt wiesen zu allen drei Querschnitten
ZI Aktuell 1/06
etwa 10% der Bewohner eine Alkoholdiagnose nach ICD 10 auf,
wobei -ebenfalls stabil über die
Zeit- ein Viertel der Männer und
5% der Frauen betroffen waren.
Dabei dürfte die Dunkelziffer
relativ hoch sein: Beispielsweise ist aus der oberbayerischen
Feldstudie bekannt, dass nahezu
die Hälfte der von psychiatrisch
geschulten Interviewern identifizierten Alkoholkranken vom
Hausarzt nicht erkannt wurde
(Weyerer et al., 1981). Man muss
deshalb davon ausgehen, dass
von den Hausärzten nur schwerere Erkrankungen diagnostiziert
wurden und der tatsächliche
Anteil alkoholkranker Bewohner zum Zeitpunkt des Heimeintritts höher sein dürfte.
Zu allen drei Querschnitten
zeigten die Bewohner, die bei
Heimeintritt eine Alkoholdiagnose
hatten, im Vergleich zu den
Bewohnern ohne Alkoholdiagnose signifikante Unterschiede bei
einer Reihe von Merkmalen:
► das Alter zum Zeitpunkt des
Heimeintritts war bei Alkoholkranken mit 62 Jahren wesentlich
niedriger im Vergleich zu Nichtalkoholkranken (78 Jahre)
► über die Hälfte der Alkoholkranken, aber nur jeder vierte
Nichtalkoholkranke war ledig oder
geschieden
► vermutlich auch aufgrund des
geringeren sozialen Netzes erhielten Alkoholkranke signifikant
seltener Besuch von Verwandten
und Angehörigen
► innerhalb von sieben Jahren
nahm der Anteil der Heimbewohner mit einer gesetzlichen Betreuung zu, zu allen drei Zeitpunkten
war der Anteil gesetzlich Betreuter bei den Alkoholkranken höher
im Vergleich zu den Nichtalkoholkranken.
Verglichen mit den ärztlichen Alkoholdiagnosen bei Heimeintritt
ist die Prävalenz des aktuell von
den Pflegekräften eingeschätz-
13
ten Alkoholmissbrauchs 1995/96
mit 4,2% (Männer: 7,5%; Frauen:
3,1%), 1997/98 mit 5,2% (Männer: 11,8%; Frauen: 2,9%), und
2002/2003 mit 2,2% (Männer:
7,8%; Frauen: 1,0%) wesentlich
niedriger. Über die Hälfte der
Bewohner, die zum Zeitpunkt
der Heimaufnahme eine Alkoholdiagnose hatten, waren nach
durchschnittlich etwa vier Jahren
alkoholabstinent. In Anbetracht
der geringeren Verfügbarkeit von
Alkohol in den Einrichtungen und
der erheblichen kognitiven und
physischen Beeinträchtigungen
der Betroffenen ist dieses Ergebnis jedoch nicht überraschend.
Auch in den Fällen, in denen das
missbräuchliche Trinken im Heim
fortgesetzt wurde, kann davon
ausgegangen werden, dass es
im Vergleich zu der Zeit vor der
Heimaufnahme reduziert wurde.
Von den Bewohnern, die zum
Zeitpunkt des Heimeintritts keine Alkoholdiagnose hatten, stellte das Pflegepersonal bei 1,9%
(1995/96), 2,8% (1997/98) und
1,2% (2002/03) einen Alkoholmissbrauch fest. Bewohner mit
Alkoholproblemen stellen eine
besondere Herausforderung für
die Pflegekräfte dar:
Die Hälfte der Bewohner mit aktuellem Alkoholmissbrauch zeigte
ein aggressives und unkooperatives Verhalten gegenüber dem
Pflegepersonal; bei der Gruppe
ohne Alkoholmissbrauch traten
diese Probleme dagegen nur bei
etwa 25% auf. Auf die Anforderungen von Bewohnern mit Alkoholproblemen sind die Pflegekräfte nur unzureichend vorbereitet.
Eine Schulung des Pflegepersonals im Umgang mit Alkoholkranken, eine adäquate personelle
Ausstattung sowie eine konsiliarische Beratung durch qualifizierte
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
von Suchtberatungsstellen sind
dringend erforderlich.
In den
Suchteinrichtungen wird nach wie
vor nur ein sehr geringer Anteil älterer Menschen versorgt. Obwohl
nahezu jeder vierte Deutsche 60
Jahre und älter ist, liegt der Anwww.zi-mannheim.de
teil der 60-jährigen und älteren
Alkoholabhängigen sowohl in den
ambulanten als auch in den stationären Suchteinrichtungen nur
bei etwa 5% (Welsch und Sonntag 2003). Viele Altenpflegeheime
scheinen Versorgungsfunktionen
für alt gewordene Alkoholkranke zu erfüllen. Bühringer et al.
(1998) kritisieren zu Recht, dass
die meisten Suchteinrichtungen
bereits ein Alter ab 60 Jahren als
Kontraindikation betrachten.
Hier wird es notwendig sein, auch
in den Spezialeinrichtungen für
Suchtkranke geeignete Angebote
für ältere Menschen zu schaffen.
Aufgrund der demographischen
Veränderungen mit der stetigen
Zunahme des Anteils älterer Menschen nimmt auch die Behandlung
von Alkoholkrankheiten in dieser
Altersgruppe zu. Die bisherigen
Erfahrungen mit der Therapie älterer Alkoholkranker zeigen generell (Oslin 2004), dass motivierte
ältere Patienten eine günstige
Prognose haben können, wenn
ihre spezifischen Bedürfnisse
berücksichtigt und geeignete Behandlungsmöglichkeiten angeboten werden.
Das Thema des Schwerpunktes
für 2006 der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) widmet sich dem Thema Sucht und
Alter unter dem Motto: „Unabhängig – Tabak, Alkohol und Medikamente, es ist nie zu spät für Veränderung“.
Es ist zu hoffen, dass diese Initiative nicht nur zu einer besseren
Behandlung suchtkranker älterer
Menschen beitragen wird, sondern auch wichtige Impulse für die
bislang sehr defizitäre Forschung
auf dem Gebiet „Sucht und Alter“
geben wird.
(Literatur bei den Verfassern)
Siegfried Weyerer
Martina Schäufele
Ingrid Hendlmeier
ZI Aktuell 1/06
Neue Bezeichnung für alte Inhalte?
Gesundheits– und Krankenpflege im Kontext suchtmedizinischer Behandlung
Seit 2004 ist die Berufsbezeichnung Krankenschwester und Krankenpfleger ersetzt durch die Bezeichnungen Gesundheits- und
Krankenpflegerin und Gesundheits- und Krankenpfleger. Analog sind die Bezeichnungen in der
Kinderkrankenpflege ebenfalls geändert.
Krankenpflege mit neuer Bezeichnung für alte Inhalte? Neues Etikett
für Altbekanntes? Diese Fragen
stellen sich, wenn man sich mit
dem aktuellen Paradigmenwechsel in
der Pflege auseinandersetzt.
Medizin und Pflege befinden sich,
bedingt durch ökonomische Anforderungen in Verbindung mit steigenden Qualitätserwartungen, in
einem stetigen Wandel. Die Pflege
ist dabei, sich von der Krankenpflege zur Gesundheits- und Krankenpflege zu entwickeln. Innerhalb
der Gesundheitsversorgung ist
eine bedeutende Aufgabenstellung damit verbunden. Diese Aussage werden durch folgende Fakten gestützt:
► Das Aufgabenspektrum ist breit
gefächert. Aufgaben strukturell-organisatorischer Art werden ebenso
übernommen wie medizinisch/therapeutische und pflegefachliche
Aufgaben.
► Das Basiswissen setzt sich aus
den Erkenntnissen verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen
(Medizin, Psychologie, Sozialwissenschaften) zusammen und wird
durch pflegewissenschaftliche Erkenntnisse erweitert. Da sich die
Pflegewissenschaft erst relativ
kurze Zeit als wissenschaftliche
Disziplin etabliert hat, ist der Zuwachs an wissenschaftlich belegten Erkenntnissen im Bereich der
direkten Pflege unschwer zu erklären.
► In Ergänzung zur Medizin, die
sich auf Krankheiten, deren Heilung oder Linderung konzentriert,
steht im Mittelpunkt des Interesses
der Pflege die erfolgreiche Bewälti-
14
gung des Alltages eines Patienten
/ Klienten im Rahmen des Krankheits- und Gesundungsprozesses.
► Durch die Ausrichtung des Pflegehandelns nach den Prämissen
des Pflegeprozesses, die Verwendung spezifischer Instrumente zur
Durchführung von Assessments
und nicht zuletzt durch den Einsatz von elektronischer Datenverarbeitung, kommen die Kernkompetenzen gezielt zum Tragen.
Die Pflegetätigkeit im jeweiligen
Behandlungsumfeld wird begründeterweise unverzichtbaren Bestandteil der Behandlungsplanung.
Externe und interne Evidenz sind
dabei von besonderer Bedeutung.
► Auf die Berücksichtigung von
professionellem Erfahrungswissen
kann nicht völlig verzichtet werden.
Es ist vielmehr erforderlich, neue
Erkenntnisse bewusst zu integrieren und damit die Handlungskompetenz zu aktualisieren.
Aufgaben der Pflege
Suchtmedizinische
Behandlung
bedingt konzeptionell klare und
eindeutige Strukturen, die abgestimmt sein müssen im regionalen Behandlungsnetz und mit den
Suchthilfeeinrichtungen.
Beispielhaft und für die konkrete
Akutbehandlungssituation der Klinik für Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten und der Suchttagesklinik möchte ich hier die
Qualifizierte Entzugsbehandlung in
Erinnerung bringen. Dieses Therapiekonzept stellt für die Pflege ausgezeichnete Rahmenbedingungen
dar. Für die Aufgabenstellung in
diesem speziellen Kontext sind fundierte Kenntnisse aus dem Bereich
somatische Medizin und Pflege
ebenso unerlässlich wie die speziellen Fachkenntnisse der Suchtmedizin und ihre spezifischen Pflegeanforderungen.
Die traditionellen Aufgaben von Pflegefachkräften sind auch im Bereich
der Suchtmedizin vorzufinden.
www.zi-mannheim.de
Im Einzelnen heißt das:
► teilnehmende Beobachtung
der Patienten
► Organisation einer
Behandungseinheit
► Management der
therapeutischen und
diagnostischen Angebote
► Eingehen auf die
Grundbedürfnisse
der Patienten
► Mitverantwortung für das
therapeutische Milieu einer
Station
► Freizeitgestaltung
Mit der Differenzierung im Bereich
der medizinischen Gesundheitsversorgung, u.a. bedingt durch den
beträchtlichen Erkenntnisgewinn,
entwickelt sich die Krankenpflege zu einem Aufgabenbereich im
Spektrum der Gesundheitsberufe.
Gesundheits- und Krankenpflege wird von professionell Tätigen
ausgeübt, die aus den Bereichen
Krankenpflege,
Kinderkrankenpflege und Altenpflege kommen,
optimalerweise ergänzt um die
Kompetenzen, die durch die entsprechenden Fachweiterbildungen
komplettiert werden.
Bezieht man dies wiederum im engeren Sinne auf den Fachbereich
der Suchtmedizin kann festgestellt
werden, dass für die konkreten
Aufgaben ein breit gefächertes
Angebot von Pflegekompetenzen
und Qualifikationen zur Verfügung
steht.
Qualifikationen
Geht man aus Transparenzgründen zunächst von den Personen
aus, die die Pflege ausführen, so
kann man unterschiedliche Qualifikationsniveaus
beschreiben.
Basisqualifikation ist die Ausbildung in Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege.
Aktuelle Tendenzen lassen eine
Entwicklung zu einer integrierten
Pflegeausbildung erkennen, die
die aktuelle Gesundheits- und
Krankenpflege, Gesundheits- und
Kinderkrankenpflege sowie die Altenpflege in einer gemeinsamen
Basisqualifikation zusammenführt.
Die ersten Auszubildenden eines
Modellprojekts in Speyer werden
voraussichtlich in 2006 ihre praktische psychiatrische PflegeausZI Aktuell 1/06
bildung im Zentralinstitut absolvieren.
Darüber hinaus gibt es andere Ausbildungsmodelle, die die berufliche
Ausbildung mit dem Erwerb eines
akademischen Grades verbinden.
Damit wird eine Basisqualifikation
für wissenschaftliches Arbeiten
begründet. Ein breit gefächertes
Studienangebot im Fachhochschulbereich steht darüber hinaus zur Kompetenzerweiterung zu
Verfügung. Die Basis für evidenzbasierte Pflege wird hier fundiert
gesichert.
Die speziellen Qualifikationen für
die Anforderungen der Pflege im
Bereich der Suchtmedizin werden
nicht zuletzt durch die berufliche
Weiterbildung ermöglicht. An Einrichtungen, wie die der Weiterbildungsstätte am Zentralinstitut
(www.zi-mannheim.de /ausbild_
pfl ege.html), werden die notwendigen Kompetenzen vermittelt. Die
Stationen der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin
stehen als Ausbildungsort für die
praktische Weiterbildung zu Verfügung. Absolventen der Weiterbil-
Suchttagesklinik in J4
dung geben dabei ihr Wissen als
Mentoren bzw. künftig als Praxisanleiter weiter.
Ab 2006 wird auch die Suchtmedizinische Tagesklinik in diese
Aufgabenstellung mit einbezogen.
Mit der Übernahme spezifischer
therapeutischer Aufgaben können
die Weitergebildeten beauftragt
werden. Die Vermittlung von Entspannungsverfahren (Progressive
Muskelrelaxation und Phantasieund Märchenreise), die Übernahme von soziotherapeutischen
Aufgaben
(Alltagsbewältigung)
15
und psychotherapeutischen Aufgaben (Psychoedukation, Motivationsstärkung) ist fachkompetent möglich. Kompetenzen für
eine suchtspezifische Krisenbewältigung werden ebenfalls
erworben.
Hierfür sind u.a. spezielle Gesprächsführungstechniken besonders hilfreich und nicht zuletzt das
Wissen und die Handlungskompetenz in Bezug auf medizinisch/
pflegerischen
Behandlungskonzepte z.B. bei Vorliegen einer Intoxikation, eines Entzugssyndroms
mit Delirium, einem Entzugsanfall
und in somatischen Krisen kardialer, neurologischer oder internistischer Art.
Weitere Schwerpunkte erweitern
den Aufgabenbereich der Pflege.
Dies sind Beratung und Gesundheitsförderung.
Bezugspflege
Über die spezifisch therapeutisch
definierten Aufgaben hinaus, ist
der Beziehungsarbeit zwischen
Patient und Pflegendem Beachtung zu schenken. Pflege defi niert ihre Funktion nicht nur über
den Krankheits- und Genesungsprozess, sondern auch über eine
positiv verstärkende, gesundheitsfördernde Unterstützung des
Patienten. Der Veränderungsprozesses, den der Patient durchlebt,
wird hier zielgerichtet begleitet.
In der Pflegefachterminologie bedeutet dies: Praktizieren einer geeigneten Form von Bezugspflege.
Hierin wird dem Patienten und seinen Bezugspersonen vermittelt,
dass ihre aktuellen Bedürfnisse
und Anliegen beachtet und respektiert werden. Diese Vermittlung ist
eine aktiver Handlungsprozess der
durch bewusstes Einbeziehen der
Patienten und ihrer Bezugspersonen in die pflegerische Aufgabenstellung, die Beseitigung von
Wissensdefiziten und die Beratung
im Hinblick auf eine gesundheitsfördernde Lebensweise beinhaltet.
Hieraus ergeben sich deutliche
Hinweise, inwieweit Pflegefachkräfte über Potentiale verfügen,
die im Rahmen neuer Behandlungskonzeptionen im Hinblick auf
die Entwicklungen von Disease-Managementprogrammen und anderen integrierten Versorgungsformen
abgerufen werden können. Bezugswww.zi-mannheim.de
pflege kann als eine Basisqualifikation für Case Management verstanden werden und bei einer bewussten
Ausrichtung auf die entsprechenden
Kontextbedingungen die verantwortliche Wahrnehmung von Koordinations- und Beratungsfunktionen
begründen. Die Grenzen der klassischen Behandlungsformen (stationär, teilstationär, ambulant) werden
dabei überschritten. Das bedeutet,
dass hier-mit weitere Möglichkeiten
eröffnet werden - gerade im Bereich künftiger suchtmedizinischer
Behandlungskonzepte. Ein Teil des
Personenkreises, der zum einen
Behandlungsrelevanz aufweist, zum
anderen aber bisher nicht in das Behandlungsnetz eingebunden werden
konnte, kann so erreicht werden.
Die Chance, damit einen möglichen
ständigen sozialen Abstieg zu verhindern und eine Lebensqualität zu
erreichen, die Zukunftsperspektiven
wieder eröffnet, werden für die Betroffenen erfahrbar. Damit wird eine
wichtige Ressource geschaffen, die
für die Bewältigung der Suchtproblematik von Bedeutung ist.Dies alles
gelingt um so besser, wenn diese
Zielrichtung von Pflege in Verbindung mit den Kompetenzen der Gesundheits- und Krankenpflegerinnen
und -pflegern mit den anderen medizinisch/therapeutischen Gesundheitsberufen und ihren Aufgabenstellungen integrativ verbunden ist.
Die Eröffnung des Suchtzentrums
mit Suchtmedizinischer Tagesklinik
ist ein weiterer Baustein auf dem
Weg zur Realisierung einer adäquaten Suchtmedizinischen Versorgung der Stadt Mannheim und
der Region Rhein-Neckar. Pflege
ist daran beteiligt. Das stelle ich als
Leiter des Pflegedienstes am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
und Pflegedienstleiter der Klinik für
Suchtmedizin und Abhängiges Verhalten mit Genugtuung und erfreut
fest. Die pflegerischen Mitarbeiter in
der suchtmedizinischen Versorgung
wirken erfolgreich im multiprofessionellen Team und ich bin mir sicher,
dass sie sich einer interessanten
attraktiven Aufgabe mit viel innovativen Anteilen stellen.
Hans-Werner Schiel
ZI Aktuell 1/06
Deeskalationsmanagement
Umgang mit Aggression und Gewalt
Ende der 90er Jahre kam es zu
einem „gefühlten“ Anstieg von
körperlichen Übergriffen und Verletzungen, an die Berufsgenossenschaft gemeldete Unfälle aufgrund Patienteneinwirkung sowie
Bitten an die Pflegedienstleitung
für mehr Wissen und Handlungskompetenz im Bereich Aggression
und Gewalt Sorge zu tragen. Damals wurde eine Arbeitsgruppe
beauftragt, den Bereich „Aggres-
Befreiender Haltegriff
sion und Gewalt“ am Zentralinstitut zu beleuchten, Optimierungsvorschläge zu erarbeiten und den
Prozess zu begleiten. Diese Arbeitsgruppe existiert nach wie vor
und ist im Wesentlichen auch für
die „Umbauarbeiten“ im Aggressionsmanagement verantwortlich.
Vorgehensweise
Eine extern durchgeführte Befragung der Mitarbeiter und die dadurch vorhandenen valide evaluierten Daten gaben den Anstoß,
den gesamten Bereich Krisenmanagement neu zu überdenken.
So waren beispielsweise 55,3%
der Befragten der Meinung, dass
ein Konzept zum sicheren Umgang mit Patienten nicht vorliege
(n=150) und 72,3% fanden sich im
Hinblick auf körperliche Übergriffe nicht ausreichend ausgebildet.
(n=148)
Daraus entstand das Konzept eines
Kriseninterventionsteams,
16
das sowohl durch Schulungen im
verbal-deeskalierenden
Bereich
als auch im taktilen Umgang bei
bereits eskalierten Situationen
K r is e nm ana g e m e nt f unk t i o n e n
übernehmen kann. Neben dem
Deeskalationsmanagement
als
Tagesfortbildung und dem kontrollierten Üben von Fixierungssituationen stellt das monatliche Üben
der erlernten Techniken einen
wichtigen Teil dar.
Aktueller Stand
Bereits jetzt lässt sich anhand der
aktuellen Rückmeldungen und
Einschätzungen feststellen, dass
durch die installierten Maßnahmen
ein deutliches Plus im Bereich Sicherheit und Handlungskompetenz
erreicht wurde. Die Akzeptanz der
angebotenen Fortbildungen ist
hoch und die Nachfrage wächst
im gesamten multiprofessionellen
Bereich.
Einen weiteren wesentlichen Punkt
stellt die zunehmende Sicherheit
der Kolleginnen und Kollegen dar.
Die Nachbesprechung eskalierter
Situationen zeigt, dass regelmäßiges Üben und das Absprechen
des Vorgehens unangenehme
Folgen reduzieren. Besonders für
die Kolleginnen und Kollegen aus
der Pflege gilt daher, dass die in
Fortbildungen verbrachte Zeit eine
sinnvolle Investition darstellt.
Derzeit wird die Tagesfortbildung
von zwei Fachpflegern aus der
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters angeboten, die das Konzept
dazu selbst entwickelt und auch in
anderen Zusammenhängen erfolgreich eingeführt haben.
Erfahrungen und
Schlussfolgerungen
In einem Feld vielfältiger Angebote, die sich im Bereich Umgang
mit Aggression und Gewalt gebildet haben, haben wir ein eigenes
Konzept gefunden, welches durchaus Modellcharakter haben könnte und in unserem Haus zu einer
anhaltenden Verbesserung geführt hat. Patienten und Mitarbei-
www.zi-mannheim.de
ter profitieren gleichermaßen, die
Evaluation sowie die Modifizierung
der Maßnahmen erfolgt unter Einbeziehung sämtlicher beteiligter
Gruppen. Fortbildungen werden
kontinuierlich angeboten.
Im September 2005 fand im Zentralinstitut eine Veranstaltung zum
Thema „Umgang mit Aggression
und Gewalt“ statt, an der 100 Kollegen aus Kinder- und Jugendpsychiatrischen Kliniken und Abteilungen teilnahmen. Organisiert und
eingebettet in unseren Arbeitskreis Südwest gab es sehr positive Rückmeldungen, speziell auch
über das „Deeskalationsmanagement“, wie es in unserem Haus
entwickelt wurde und umgesetzt
wird.Anfang Dezember 2005 haben wir unser Konzept im Rahmen
eines
pflegewissenschaftlichen
Kongresses, dem „2. Dreiländerkongress - Pflege in der Psychiatrie“ in Bern vorgestellt und mit der
Fachöffentlichkeit diskutiert. Poster, Workshop und Vortrag haben
den derzeitigen Stand in unserem
Haus vermittelt und Kontakte und
Austauschsmöglichkeiten ermöglicht, die für das Weiterentwickeln
unseres Konzeptes enorm wichtig
sind.
Insgesamt lässt sich feststellen,
dass wir auf einem sehr guten Weg
mit einem erfolgreichen Konzept
sind, welches wir in den nächsten
Jahren evaluieren und weiterentwickeln wollen. Rückmeldungen
über Erfahrungen mit Gewalt im
Haus oder über die Teilnahme an
der Tagesfortbildung „Deeskalationsmanagement“ sind erwünscht
und gewollt.
Unser Arbeitskreis hat sich in der
Zusammensetzung verändert, aktuell sind folgende Kolleginnen
und Kollegen an der konzeptionellen Weiterentwicklung beteiligt:
Dr. Almut Betzen (Betriebsärztin),
Prof. Dr. Harald Dreßing (Leiter
Bereich Forensische Psychiatrie),
Birgit Reichert (Fachkrankenpflegerin), Hans-Werner Schiel (Leiter
Pflegedienst), Claus Staudter (Leitender Krankenpfleger der Klinik
für Psychiatrie und Psychotherapie
des Kindes- und Jugendalters).
Claus Staudter
ZI Aktuell 1/06
Wenn wir hören, was wir fühlen
Emotionale Verarbeitung bei Tinnitus
Tinnitus
Der Begriff Tinnitus
(aus dem lateinischen,
tinnire = klingeln)
steht allgemein für die Wahrnehmung
von Tönen oder Geräuschen,
denen keine äußere
Schallquelle
zugeordnet werden kann.
Häufigkeit
Tinnitus stellt ein in der Bevölkerung weit verbreitetes Phänomen
dar. Eine repräsentative Umfrage in Deutschland aus dem
Jahre 1999 von Pilgramm und
Kollegen zeigte, dass etwa ein
Viertel der Deutschen im Laufe
ihres Lebens zumindest kurzzeitig von Ohrgeräuschen betroffen
ist. Viele Menschen haben schon
einmal ein Ohrensausen nach einem Konzert oder Discothekenbesuch erlebt, das aber oft nach
wenigen Minuten oder Stunden
wieder abgeklungen ist. Etwa
4% aller Bundesbürger geben
allerdings ein Ohrgeräusch an,
das länger als ein Jahr andauert.
Bedenklich ist, dass sich von den
Tinnitusbetroffenen etwa 15%
aufgrund des Ohrgeräusches und
seiner Begleiterscheinungen wie
Konzentrationsschwierigkeiten
und Schlafproblemen in ihrer Lebensqualität stark beeinträchtigt
fühlen. Tinnitus kann dabei nicht
nur mit körperlichen sondern oftmals auch mit deutlichen psychischen Beschwerden einhergehen, die sich in entsprechenden
Emotionen wie Hilflosigkeit oder
Angst widerspiegeln. Diese Emotionen können sich im Laufe der
Chronifizierung massiv auf die Lebensqualität und die psychische
Gesundheit der Betroffenen auswirken und sogar in Selbstmordversuchen gipfeln.
Entstehung
Bisherige
diagnostische
und
therapeutische Ansätze grün-
17
den auf komplexen Modellen zur
Entstehung des Ohrgeräusches,
die sowohl Organschädigungen
im Innenohr wie auch neuronale
plastische Veränderungen auf verschiedenen Stufen der Hörbahn
annehmen. Insbesondere das
Modell von Jastreboff und Kollegen aus den 90er Jahren bietet interessante Erklärungsansätze zur
Entstehung und Chronifizierung
des Tinnitus. Es stellt Annahmen
darüber an, wie die Wahrnehmung
des Tinnitus im Zusammenhang
mit psychischen Prozessen auf
der Basis plastischer neuropsychologischer Mechanismen entsteht und aufrechterhalten wird.
Fehlende oder defizitäre Gewöhnungsprozesse an das Geräusch
bei den Betroffenen werden demnach über Hirnstrukturen vermittelt, die vor allem emotionale
Informationen verarbeiten. Diese
zentralnervösen Veränderungen
gehen auch einher mit einer veränderten emotionalen Verarbeitung, die sich möglicherweise
auch in Maßen wie der Herzaktivität widerspiegelt.
Die Vorstellung geht dahin, dass
durch wiederholte parallele Aktivierung die Hirnareale, die für das
Hören zuständig sind, mit den Hirnarealen, die für die emotionale
Verarbeitung zuständig sind, über
neuroplastische Prozesse stärker miteinander verbunden werden. Schließlich bilden sich dem
Modell nach zwischen dem Hörzentrum und den Strukturen der
www.zi-mannheim.de
emotionalen Verarbeitung, dem
sogenannten limbischen System,
neuronale Rückkopplungsschleifen aus. Damit könnte nicht nur
die Wahrnehmung des Ohrgeräusches Emotionen wie Angst und
Hilflosigkeit auslösen oder verstärken. Es könnten auch umgekehrt
bestimmte mit dem Ohrgeräusch
verknüpfte Emotionen die Wahrnehmung des Ohrgeräusches
auslösen und verstärken. Diese
Rückkopplungsschleifen könnten
so zu einer Chronifizierung der
Ohrgeräusche beitragen.
Studie am ZI
Bisher sind nur Teilaspekte dieser
Modellannahmen
ansatzweise
überprüft, obwohl populäre Behandlungsansätze wie die Tinnitus Retraining Therapie auf den
Annahmen des Jastreboffschen
Modells gründen. Am Institut für
Neuropsychologie und Klinische
Psychologie am ZI wurde unter
Leitung von Prof. Herta Flor daher eine Studie zur Emotionalen
Verarbeitung bei Tinnitus durchgeführt. Ziel war es, die Modellannahmen Jastreboffs zur Entstehung und Chronifizierung des
Tinnitus zu überprüfen.
Dazu wurden während der Betrachtung emotional gefärbter
Bilder bei Tinnitusbetroffenen
zentralnervöse Maße sowie autonome Maße als Indikatoren emotionaler Verarbeitung erhoben.
Als zentrale Maße wurden ereigniskorrelierte Potentiale im Elektroencephalogramm (EEG) sowie
BOLD-Kontraste in der funktionellen Magnetresonanztomographie
(fMRT) gemessen. Als autonomes
Maß diente u.a. die Veränderung
der Herzfrequenz.
Aufgrund des Modells sind mit zunehmender Tinnitusdauer stärkere
neuroplastische Veränderungen
erwartet und damit einhergehend
veränderte zentrale und autonome Indikatoren emotionaler Verarbeitung zu erwarten.
Insgesamt wurden die Daten von
15 akuten Tinnitusbetroffenen erhoben, die nicht länger als drei
Mo-nate ein Ohrgeräusch berichteten, dazu die Daten von 15
ZI Aktuell 1/06
chronischen Tinnitusbetroffenen,
die bereits über zwei Jahren ein
Ohrgeräusch berichteten, sowie
die Daten von 15 parallelisierten
Kontrollprobanden ohne Ohrgeräusche. Die Durchführung der
Studie wurde von der American
Tinnitus Association finanziell gefördert.
Chronische
Tinnitusbetroffene
zeigten tendenziell gegenüber akut
Betroffenen und Kontrollprobanden eine stärkere Herzfrequenzveränderung bei Betrachtung der
emotionalen Bilder. Weiter wurde
als Ereigniskorreliertes Potential
im EEG die späte Positivierung
(P300 sowie Late Positive Complex) bei der Bildbetrachtung analysiert. Hier wurde zwar wie erwartet eine stärkere Positivierung
auf emotionale Bilder im Vergleich
zu neutralen Bildern gefunden.
Allerdings unterschieden sich
die drei Untersuchungsgruppen
nicht bedeutsam in der Ausprägung dieser Reaktion. Sowohl die
Herzrate als auch die mittels EEG
gemessenen kortikalen Reaktionen stützen folglich Jastreboffs
Annahme nicht, dass Tinnitusbetroffene mit zunehmender Tinnitusdauer eine verstärkte emotionale Reaktion zeigen. Zusätzlich
wurde als zentralnervöses Maß
die funktionelle Magnetresonanztomographie eingesetzt. Diese
Methode ermöglicht es, auch die
Aktivität des limbischen Systems
zu untersuchen. Die chronischen
Betroffenen zeigten entgegen den
Annahmen
erstaunlicherweise
kaum bedeutsame Unterschiede zu den Kontrollprobanden.
Die akuten Betroffenen dagegen
zeigten bei positiven Bildern ein
stärkeres Signal in der Amygdala,
dem Anterioren Cingulum und in
der Insula, also in Strukturen des
limbischen Systems.
Darüber hinaus zeigten die akuten Tinnitusbetroffenen aber auch
gegenüber den chronisch Betroffenen eine stärkere Aktivierung in
Regionen, die der Verarbeitung
akustischer Reize zugeordnet
werden können wie beispielsweise dem Heschl-Gyrus.
Es scheint also gerade im Akut-
18
stadium des Tinnitus Anhalte für
entsprechende Rückkopplungsschleifen zwischen emotionalen
und auditorischen Hirnregionen
zu geben. Bei chronischen Tinnitusbetroffenen mag eine dauerhafte plastische Veränderung
möglicherweise nur bei solchen
Personen zu finden sein, die sich
nicht mit dem Ohrgeräusch abgefunden haben, sehr darunter
leiden und eine psychische Störung wie z.B. eine Depression
entwickelt haben. Solche Betroffene wurden aber nicht in der vorliegenden Studie untersucht, um
Einflüsse psychischer Störungen
auf die emotionale Verarbeitung
auszuschließen. Jastreboffs Annahmen müssten nach der Formulierung seines Modells jedoch
für alle chronischen Tinnitusbetroffene gelten, egal, wie stark
sie durch ihr Ohrgeräusch belastet sind. Demnach konnten die
durchgeführten Untersuchungen
das Modell von Jastreboff nicht
bestätigen.
Ausblick
Für die weitere Forschung wäre
eine Längsschnittstudie wünschenswert, die akut Tinnitusbetroffene mit breit gestreuten
Belastungsgraden prospektiv untersucht und Zusammenhänge
mit der Aktivierung der limbischen
und auditorischen Hirnareale im
Laufe der Chronifizierung bzw. der
Erholung näher beleuchtet. Eine
solche Studie befindet sich derzeit am Institut für Neuropsychologie und Klinische Psychologie am
ZI in Planung. Außerdem werden
im Rahmen des Süddeutschen
Brain-Imaging-Centers in Kooperation mit dem DKFZ Heidelberg
geräuscharme Sequenzen für
die fMRT-Messungen entwickelt.
Diese neue Meßmethode wird es
ermöglichen, emotionale Verarbeitungsprozesse mit akustischen
Reizen, also in der tinnitusspezifischen Modalität, bei Tinnitusbetroffenen zu untersuchen.
Maren Struve
www.zi-mannheim.de
Strahlenschutz
Zertifizierung und Perspektiven der Neuroradiologie am ZI
Im Abstand von zwei Jahren werden alle radiologischen Arbeitsplätze des Landes durch die „Ärztliche
Stelle der Landesärztekammer Baden-Württemberg“ überprüft. Gegenstand der Prüfung ist die technische
Optimierung der Röntgenuntersuchungen. Dazu werden die technischen Parameter des Arbeitsplatzes
anhand der z.T. täglich, z.T. auch
wöchentlich vorgenommenen Testaufnahmen und der Testung des Entwicklungsvorganges mit Standards
verglichen. Außerdem werden die
Röntgenbilder, die für verschiedene
Organsysteme an unterschiedlichen
Röntgenarbeitsplätzen für einzelne Patienten gefertigt wurden, auf
standardgemäße Einstellungen und
Durchführung beurteilt. Ziel ist es,
durch optimierte Röntgentechnik mit
möglichst geringer Strahlendosis störungsfreie, diagnostische Bilder zu
gewinnen, die den nationalen Standards entsprechen und somit eine
optimale Auswertung ermöglichen.
In 2005 wurde auch die Abteilung für
Neuroradiologie geprüft. Im Ergebnis wurde das erstmalig angebotene
Zertifikat für alle drei radiologischen
Arbeitsplätze (Somatom AR.T, Multix/Vertix und Siregraph) erteilt. Das
ist unter dem Gesichtspunkt, dass in
der Abteilung sehr viele ältere und
schwerkranke Patienten untersucht
werden, besonders erfreulich und
dokumentiert auch den Erfolg eines verständnisvollen Umgangs der
Röntgenassistenten mit psychisch
Kranken. Die Urkunden wurden im
Warteraum der Abteilung ausgehängt und werden in die Aufklärung
der Patienten bei „Strahlenangst“ mit
einbezogen. Mit der Zertifizierung der
radiologischen Arbeitsplätze können
alle Patienten sicher sein, dass die
von ihren behandelnden Ärzten für
notwendig erachteten Röntgenuntersuchungen unter optimalen technischen Bedingungen mit einem
Minimum an Röntgenstrahlendosis
in der Abteilung für Neuroradiologie
durchgeführt werden. Die Bemühungen um die Reduzierung von Untersuchungen mit ionisierender (Röntgen-)Strahlung gehen jedoch weiter.
Nach mehrjährigen Vorarbeiten wird
bis zum Jahreswechsel die Ausstattung der Abteilung mit einem neuen
ZI Aktuell 1/06
Universal Röntgengerät AXOIOM
ICONOS MD, Fa. Siemens, vertraglich fixiert sein. Danach wird die Abteilung durch digitale Bildgebung und
Verwendung von Speicherfolien statt
Röntgenfilmen in der Lage sein, die
Röntgenstrahlen-Exposition der Patienten weiter zu reduzieren. Dies ergibt sich daraus, dass einerseits die
Folien empfindlicher als Filme sind
und daher eine geringere Strahlenexposition des Patienten nötig ist.
Andererseits lassen die digitalen Bilder eine Nachbearbeitung zu, sodass
Fehler in der Belichtung auch dann
noch ausgeglichen werden können,
wenn bei Verwendung von Röntgenfilmen eine neue Aufnahme mit
korrigierten Belichtungswerten notwendig ist. Außerdem hat die fortlaufende Analyse ergeben, dass für die
diagnostischen Fragestellungen, die
mit bildgebenden Verfahren am ZI zu
klären sind, die Untersuchungen im
Regelfall nicht mit Röntgen-Computer-Tomographie (CT), sondern mit
der Magnetresonanz-Tomographie
(MRT) ohne Röntgenstrahlen-Exposition durchzuführen sind. Damit
wird nicht nur die Vorhaltung eines
zweiten, in (Neu-)Anschaffung und
Wartung teuren Gerätes überflüssig, sondern es wird die gesetzliche
Vorgabe der Röntgenverordnung
konsequent erfüllt. Diese fordert die
Aufklärung der Patienten darüber, ob
es Methoden gibt, die ohne Exposition mit ionisierender Strahlung zum
gleichen diagnostischen Ergebnis
führen. Sinnvollerweise sind dann
diese, nicht an die Exposition mit ionisierender Strahlung gebundenen
Unter-suchungen auch einzusetzen!
Nicht verschwiegen werden soll, dass
mit einer konsequenten Ausrichtung
auf die MRT einzelne Untersuchungen nicht mehr in der Abteilunge
durchgeführt werden können. Dies
ergibt sich aus Kontraindikationen für
die MRT, d.h. aktive Implantate wie
Herzschrittmacher und Medikamentenports, oder auch Angst des Patienten vor der Untersuchung. Leider
sind aber auch einige wenige, hier im
Vorfeld der Entscheidung analysierte
und quantifizierte Untersuchungen
betroffen, die im Vergleich besser
mit CT durchgeführt werden sollten.
Dies kann im Einzelfall aber in einer
19
der umliegenden Praxen oder Krankenhäuser geschehen, die aufgrund
ihres anderen Aufgaben- und Untersuchungsspektrums einen Computertomographen vorhalten.
In der Gesamtschau dominieren die
Vorteile der konsequenten Digitalisierung der Bildgebung in der Abteilung für Neuroradiologie. Neben
dem Aspekt des Strahlenschutzes ist
die Digitalisierung auch Voraussetzung für ein filmloses Arbeiten in der
Abteilung. Verbunden damit ist die
Möglichkeit, die digitalisierten Bilder
in das Intranet resp. in das in Entwicklung begriffene KIS/PACS des
Instituts einzustellen und dem autorisierten Arzt auf Station unverzüglich
zugängig zu machen. Dies wird nach
Installation des Gerätes in der Abteilung und geeigneten Bildschirmen
auf Station im ersten Quartal 2006
technisch möglich sein. Für die (autorisierte) Weitergabe von Bildmaterial, z.B. zur Einholung einer zweiten
Meinung oder Behandlung eines hier
gefundenen Prozesses mit z.B. chirurgischer Konsequenz, werden die
Bilder auf eine CD gebrannt und dem
Patienten mitgereicht. Für die Verwaltung von Terminen und Material wird
ein aus dem Zentral-Computer übernommener Patientendatensatz von
der Anmeldung bis zur Dokumentation und Abrechnung der Leistung
verwendet werden. Damit verringern
sich der Personalaufwand und letztlich auch die Fehlermöglichkeiten.
Selbstverständlich hat die digitale,
filmlose Bildgebung auch finanzielle
Konsequenzen. Eingespart werden
die Kosten, einschließlich der Wartungskosten für einen Laserprinter,
die Entwicklungsmaschine und die
Chemikalien. Mit dem Verzicht auf
die Filmdokumentation ist eine Rationalisierung der Archivierung verbunden, indem nicht mehr Filme mit entsprechendem Raumbedarf, sondern
CD archiviert werden müssen. Somit
entfällt die aufwendige handschriftliche und damit mit Fehlern behafteten Beschriftung von Archivtüten und
letztlich auch die Suche nach Voraufnahmen, wobei wir mit entsprechenden gemeinsamen Anstrengungen
bereits jetzt erfreulicherweise nur
sehr geringe Verluste verzeichnen
mussten.
Frank Hentschel
www.zi-mannheim.de
Gene halten sich nicht an die ICD!
Auf dem Weg zur molekulargenetischen Klassifikation von
psychiatrischen Erkrankungen am Beispiel des Gens G72
Dass an
der Entstehung
psychiatrischer
Erkrankungen
in sehr
großem
Maße genetische
Faktoren
beteiligt
sind, ist
seit längerem aus
Familien-,
Zwillings- und
Adoptionsstudien
bekannt.
Erkrankungen wie
Schizophrenie,
bipolare
Erkrankung,
Depression
oder Angststörungen
gehören,
wie auch
Krebserkrankungen,
entzündliche
Darmerkrankungen oder
Asthma, zu
den genetisch komplexen Erkrankungen.
Dies bedeutet
zum einen,
dass die
Erkrankung
polygener
Natur ist, d.h.
mehrere Gene
sind an ihrer
Entstehung
beteiligt, ganz
im Gegensatz
zu monogenen
Erkrankungen,
ZI Aktuell 1/06
bei denen Veränderungen (Mutationen) in nur
einem Gen krankheitsauslösend
sind (z.B. Mukoviszidose, Chorea
Huntington,
Sichelzellanämie).
Zum anderen spielen bei genetisch komplexen Erkrankungen
neben den genetischen Faktoren
auch Umgebungseinflüsse (exogene Faktoren) eine wichtige Rolle bei der Krankheitsentstehung.
Daher spricht man im Bereich
der komplexen Genetik auch vom
Suszeptibilitätskonzept.
Ein Suszeptibilitäts- oder Vulnerabilitätsgen ist weder hinreichend
noch notwendig für die Ausbildung
der Erkrankung. Man geht vielmehr von einem Wechselspiel der
exogenen Faktoren mit den genetischen Anlagen aus, welches
ent-scheidend zum Krankheitsausbruch, zum Erkrankungsalter, zur Schwere und zum Verlauf
beiträgt. Ebenso ist anzunehmen,
dass die Gene untereinander interagieren und in verschiedenen
Populationen auch spezifische
genetische Interaktionen zum Tragen kommen können.
Im Bereich der psychiatrischen
Erkrankungen werden auf der
Grundlage mehrerer epidemiologischer Studien verschiedene
exogene Faktoren als bedeutsam
diskutiert, z.B. Geburtskomplikationen, Geburt im Winter, Aufwachsen im städtischen Umfeld,
Traumatisierung während Kindheit und Adoleszenz und Drogen.
Obwohl eine familiäre Belastung
durch einen Verwandten ersten
Grades mit einer psychischen
Störung wie Schizophrenie oder
bipolarer Störung den größten aller bisher bekannten individuellen
Risikofaktoren darstellt, ebenfalls
an einer solchen Störung zu erkranken, tappte man bezüglich
einer genaueren Eingrenzung der
genetischen Faktoren auf molekulargenetischer Ebene längere
Zeit im Dunkeln. Seit Beginn der
modernen psychiatrischen Genetik, also seit ca. vier Jahrzehnten,
20
haben sich Forscher weltweit bemüht, den verantwortlichen Gene
mittels so genannter Kopplungsund Assoziationsstudien auf die
Spur zu kommen, anfänglich mit
geringem Erfolg. Erst in den letzten drei Jahren konnten erhebliche Fortschritte gemacht werden.
Genetische Kopplungs- und Assoziationsstudien
Kopplungsstudien haben entscheidend zur Identifikation der verantwortlichen Gene bei monogenen Erkrankungen beigetragen.
Kopplungsstudien untersuchen,
ob in Kollektiven von Familien mit
mehreren Erkrankten die Erkrankung überzufällig häufig gemeinsam mit bestimmten genetischen
Markern (d.h. bekannte genetische Variationen in regelmäßigen
Abständen über das menschliche
Genom verteilt) gekoppelt, auftritt. Zeigt eine chromosomale
Region Hinweis auf Kopplung mit
einer Erkrankung, kann man mit
hoher Wahrscheinlichkeit davon
ausgehen, dass in dieser Region (Lokus), das krankheitsauslösende Gen zu finden ist. Frühe
Kopplungsstudien für die Schizophrenie oder die bipolare Erkrankung, die sich solcher Kopplungsanalysen in großen Familien mit
mehreren Erkrankten, bedienten,
zeigten allerdings keine robusten Befunde. Die Ursache hierfür
liegt darin, dass sich anders als
bei monogenen Erkrankungen
bei psychischen Störungen keine
klaren Aussagen zum Erbgang
(d.h. rezessiv oder dominant)
oder zum Erkrankungsstatus machen lassen; so kann z.B. ein gesunder Bruder eines schizophren
Erkrankten Genträger sein, ohne
jemals selber zu erkranken. Die
Verlässlichkeit dieser Parameter
ist aber von entscheidender Bedeutung für die klassische Kopplungsanalyse, die deshalb auch
parametrische Kopplungsanalyse
genannt wird. Ist sie nicht gegeben, sind robuste Befunde nicht
zu erwarten. Daher mussten viele
www.zi-mannheim.de
frühere Kopplungsbefunde für die
Schizophrenie oder die bipolare
Erkrankung, die zunächst Hoffung auf raschen Erfolg geweckt
hatten, wieder verworfen werden.
Die Einführung der sogenannten
nicht-parametrischen Kopplungsanalyse, die nicht auf diese Parameter angewiesen ist und sich
auf die Analyse von Kernfamilien
(d.h. Eltern und erkrankte Geschwisterpaare) konzentriert (sog.
„affected sibling pair“-Methode),
hat allerdings in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass für
beide Erkrankungen mit großem
Erfolg chromosomale Regionen
identifiziert werden konnten, die
von verschiedenen Forschergruppen weltweit in verschiedenen
Kollektiven
unterschiedlichster
ethnischer
Zusammensetzung
bestätigt (repliziert) werden konnten. Zu diesem Erfolg haben maßgeblich auch die Kooperationen
der Arbeitsgruppen auf nationaler
aber auch internationaler Ebene
beigetragen, da nur mittels gemeinsamer Kooperationen große,
statistisch aussagekräftige Familienkollektive etabliert werden
konnten. Mittels solcher Strategien sind für Schizophrenie (SZ)
und bipolare Störung (BP) für eine
Reihe chromsomaler Regionen
positive Kopplungsbefunde berichtet worden, v.a.: 1q (SZ) , 3p
(SZ), 5q (SZ), 6p (SZ), 6q (SZ und
BP), 8p (SZ), 8q (BP), 10q (BP),
11q (SZ), 13q (SZ und BP) 14p
(SZ), 18q (BP), 22q (SZ und BP).
Wenn sich ein Kopplungsbefund
als robust erwiesen hat, sind Feinkartierungsmaßnahmen, d.h. die
Einengung des Lokus mittels Analyse weiterer genetischer Marker,
der nächste Schritt. Gene, die in
den so eingegrenzten chromosomalen Bereichen liegen, werden
als positionale Kandidatengene
bezeichnet. Ihr möglicher Beitrag
zur Erkrankung wird mittels genetischer
Assoziations-studien
überprüft. Eine genetische Assoziationsstudie (Fall-Kontroll-Studie) untersucht, ob sich eine Population von Erkrankten von einer
Kontrollstichprobe bzgl. der Häufigkeit der Ausprägung bekannter
genetischer Variationen (MarkerZI Aktuell 1/06
Allelfrequenzen) signifikant unterscheidet. Typische genetische
Marker für eine Assoziationsstudie sind sog. single nucleotide
polymorphisms (SNPs). Diese
genetischen Variationen bestehen in einem einfachen Basenaustausch, also z.B. A(lanin) statt
G(uanin) oder T(hymidin) statt
C(ytosin). Für Assoziationsstudien
aussagekräftige SNPs (d.h. SNPs
mit einer ausreichend hohen Allelfrequenz) treten im menschlichen
Genom ca. alle 1000 Basen auf.
Wenn z.B. bei Patienten mit bipolarer Störung an einem bestimmten SNP signifikant mehr A-Allele
auftreten als bei Kontrollen, so ist
das A-Allel mit der bipolaren Störung assoziiert. Moderne Assoziationsstudien untersuchen nicht
nur Assoziationen mit einzelnen
Allelen, sondern auch mit so genannten Haplotypen, Kombinationen von Allelen auf einem Chromosom (z.B. A-T-A-C-G).
Voraussetzung für die Robustheit
genetischer Assoziationsstudien
sind hinreichend große Kollektive
von Fällen und Kontrollen, die sich
bzgl. möglichst vieler Parameter
(Geschlecht, Alter und v.a. ethnischer Zusammensetzung) entsprechen sollen. Da ein singulärer
positiver Assoziationsbefund in
einer Population natürlich immer
auch ein falsch positiver Befund
sein kann, sind Replikationsstudien zur Überprüfung berichteter
Assoziationen unabdingbar. Erst
wenn eine genetische Assoziation in mehreren unabhängigen
Studien in unterschiedlichen ethnischen Gruppen nachgewiesen
werden kann, kann man von einem robusten Befund sprechen.
Je mehr Studien nicht nur dasselbe Gen, sondern auch exakt
dieselben Allele oder Haplotypen
innnerhalb eines Genes assoziiert
finden, desto eher kann man davon ausgehen, dass man kausale
Genvarianten für eine Erkrankung
gefunden hat.
Durch systematische Assoziationsstudien in Kopplungsregionen
konnten innerhalb der letzten drei
Jahre mehrere Suszeptibilitätsgene für die Schizophrenie (z.B.
21
Neuregulin-1 auf 8p, Dysbin-din
auf 6p, COMT auf 22q, DISC-1
auf 1q) identifiziert werden, die
in mehreren Replikationsstu-dienn bestätigt werden konnten
und nun das Ziel weitergehender
Studien (funktionelle in vitro-Studien, knock-out-Tiermodelle) zur
Klärung der Pathophysiologie der
Erkrankung geworden sind.
Der Genlokus G72 auf Chromosom 13q
Im Jahre 2002 führten Chumakov
und Kollegen eine groß angelegte, systematische Assoziationsstudie zur Schizophrenie in der
Kopplungsregion 13q durch. Sie
untersuchten ein frankokanadisches sowie ein russisches FallKontroll-Kollektiv. Sie typisierten
191 SNP-Marker. Mehre-re SNPs
in der Subregion 13q34 zeigten
sowohl Einzelmarker- als auch
Haplotypen-Assoziation mit Schizophrenie. In der assoziiert gefundenen Region konnte mittels der
verfügbaren Informationen aus
dem Humanen Genomprojekt ein
Gen identifiziert werden, welches
seither unter dem Namen G72
bekannt geworden ist. Chumakov
und Mitarbeiter konnten durch in
vitro-Analysen des Weiteren herausfinden, dass das Gen-Produkt
von G72, also das von ihm codierte
Protein, mit dem Enzym D-Aminosäure-Oxidase (DAAO) interagiert
und es aktiviert. Das für DAAO
kodierende Gen liegt auf Chromosom 13. Bemerkenswerter Weise konnte auch eine genetische
Asso-ziationsstudie mit SNPs im
DAAO-Gen zeigen, dass dieses
Gen mit Schizophrenie assoziiert
ist. Da das Enyzm DAAO die Oxidation von D-Serin, einem wichtigen Aktivator von NMDA-Rezeptoren, katalysiert, wird postuliert,
dass eine Mutation im Gen G72 zu
einer vermehrten Aktivierung von
DAAO und damit zu einer verminderten NMDA-Rezeptor-Aktivität
führen, welche wiederum mit der
Generierung psychotischer Symptomatik in Verbindung gebracht
wird (siehe auch Blockade der
NMDA-Rezeptoren durch PCP).
In einer Studie der University of
Chicago wurde nach diesen iniwww.zi-mannheim.de
tialen Befunden eine mögliche
Assoziation von G72-Markern
mit der bipolaren Störung untersucht, da die Region 13q bereits
zuvor als Kopplungsregion für
die bipolare Störung beschrieben
worden war. Die Forscher fanden tatsächlich eine Assoziation
mit Markern des G72-Gen und
der bipolaren Störung.
Das Ende der kraepelinschen Dichotomie?
Verfolgungswahn als Kern der
genetischen Assoziation zwischen G72/G30 und der bipolaren Störung
Die nähere Beschäftigung mit
für diese Befundlage sein? In
Anbetracht der oben skizzierten
möglichen Beteiligung von G72
an der Regulierung von NMDARezeptor-Aktivität sowie der Tatsache, dass die Kopplungsbefunde zwischen der Region 13q und
Auf der Grundlage dieser Befunde untersuchte unsere Arbeitsgr uppe, in Kooperation mit Kollegen der Universität Bonn (Institut
für Humangenetik, Life & Brain
Center, Klinik für Psychiatrie und
Psychotherapie) eine mögliche
Assoziation von G72-Markern
mit Schizophrenie und bipolarer Störung. Wir untersuchten
Kollektive von 300 Patienten mit
Schizophrenie, 300 bipolaren Patienten sowie 300 Kontroll-Individuen aus Deutschland. Als erste
Gruppe weltweit konnten wir für
beide Erkrankungen eine Assoziation mit einem identischen 4Marker-Haplotyp, bestehend aus
den Markern M12, M15, M23, M24
(entsprechend der Nomenklatur
von Chumakov et al.) finden. Wir
konnten für die Schizophrenie
(und schwächer für die bipolare
Störung) ebenfalls eine Assoziation mit dem DAAO-Gen finden.
In der Folge dieser Befunde berichteten mehrere Gruppen weltweit Assoziationen zwischen G72
und Schizophrenie aber auch bipolarer Störung in unabhängigen
europäischen, amerikanischen
und asiatischen Populationen.
Damit gehört das Gen G72 zu
den am bestreplizierten Suszeptibilitätsgenen für psychische Erkrankungen.
Obwohl dieses Gen für sich allein genommen nur einen kleinen
Teil der ätiologischen Varianz
der Schizophrenie oder der bipolaren Störung erklärt, stellt seine
Identifikation doch einen ersten
wichtigen Meilenstein in der psychiatrischgenetischen Forschung
dar.
ZI Aktuell 1/06
Abb.1: OPCRIT-Variablen für psychotische Lebenszeitsymptomatik
und ihre Assoziation mit dem G72-Marker M23
diesen Befunden, die man in dieser Robustheit noch vor wenigen
Jahren für nahezu undenkbar gehalten hätte, wirft natürlich einige
Fragen auf. Zum einen wissen wir
noch sehr wenig über die genaue
Funktionsweise dieses Gens,
welches nur bei höheren Lebewesen (Primaten) vorkommt. Zum
anderen überrascht die Deutlichkeit der Assoziation dieses Genes mit zwei bisher als klar von
einander getrennt angesehenen
Krankheitsentitäten, nämlich der
Schizophrenie und der bipolaren
Störung. Was könnte der Grund
22
der bipolaren Störung ausgeprägter sind, wenn man sich auf
bipolare Patienten mit psychotischer Lebenszeitsymptomatik
konzentriert, liegt die Vermutung
nahe, dass die Assoziation zwischen der bipolaren Störung und
G72 auf Fälle mit psychotischer
Symptomatik
zurückzuführen
sind. Wir überprüften dies: Von
den 300 Patienten unseres Kollektivs hatten 173 eine positive
Anamnese für psychotisches Erleben. Die Stärke der Assoziation
wurde aber nicht wesentlich besser, wenn wir nur diese 173 Pawww.zi-mannheim.de
tienten gegen Kontrollen testeten. Daher entschlossen wir uns
zu einer systematischen Genotyp-Phänotyp-Korrelationsanalyse, um dem Kern der Assoziation näher zu kommen. Da wir pro
Patient über 2000 Variablen mittels eines von uns entwickelten
computergestützten Phänotypisierungsinventars (Interviews für
Psychiatrisch-Genetische Studien; IPGS;) erheben, können wir
psychotische Symptomatik detailliert beschreiben.
So lässt sich psychotische Symptomatik mittels des OPCRIT-Systems z.B. anhand von 21 Variablen abbilden (siehe Abb.1).
In dieser Genotyp-PhänotypKorrelationsanalyse (logistische
Regression mit dem bestassoziierten Einzelmarker M23 als
abhängige Variable) zeigte sich,
dass nur ein spezifisches psychotisches Symptom, nämlich
Verfolgungswahn, die abhängige
Variable, den Marker M23, signifikant erklärte (p=0,005; siehe
Abb.1). Auf Grund dieses Befundes testeten wir nun nur noch
diejenigen Patienten mit einer
psychotischen Lebenszeitsymptomatik (n=83) gegen unser Kontrollkollektiv: dies führte zu einer
deutlichen Zunahme der Stärke
der Assoziation. Die Odds Ratio
für den 4-Marker-Haplotyp, als
Zusammenhangsmaß für das
relative Risiko, verbesserte sich
von 1,29 im Gesamtkollektiv auf
1,54 in diesem Subkollektiv, obwohl das Fallkollektiv nun weniger als ein Drittel des Ursprungskollektiv umfasste (83 von 300
Patienten).
Da diese Analyse natürlich eine
explorative posthoc-Studie darstellte, war es wichtig, diesen
Befund, in einem unabhängigen
Kollektiv zu bestätigen. Dazu untersuchten wir ein ähnlich großes
Fall-Kontroll-Kollektiv, welches
durch unsere Kooperationspartner aus dem polnischen Posen
erhoben worden war. Das Gesamtkollektiv zeigte keine Assoziation mit den von uns beschriebenen Risikohaploytpen.
ZI Aktuell 1/06
Wenn wir allerdings nur die Fälle analysierten, die eine positive
Lebenszeitanamnese für Verfolgungswahn aufwiesen, zeigte
sich eine signifikante Assoziation.
Aus unserer Studie lässt sich folgern, dass die von uns beschriebene Assoziation zwischen bipolarer Störung und dem Gen G72
hauptsächlich auf Fälle zurückzuführen ist, die eine positive
Anamnese für Verfolgungswahn
aufweisen. Damit wurde zum
ersten Mal ein molekulargenetisches Korrelat der in der klinischen Praxis schon lange beobachteten Überlappung zwischen
bipolarer und schizophrener Störung beschrieben. Dieser Befund
rüttelt also an einer Grundfeste
moderner psychiatrischer Klassifikationssysteme: der Dichotomie
Kraeplins.
Interessanterweise
fanden wir dieselben Risikohaplotypen auch in einem Kollektiv
von Patienten mit Panikstörung
assoziiert, was darauf hindeuten
könnte, dass „Verfolgungswahn“
per se nicht den eigentlichen
Kern der Assoziation repräsentiert, sondern dieser möglicherweise die „Angst“ sein könnte. In
Anbetracht der Tatsache, dass
„Verfolgungswahn“ durch massives Angsterleben des Patienten
gekennzeichnet ist, erscheint
uns diese Überlegung als eine
viel versprechende Arbeitshypothese.
Da Angst ein elementarer Bestandteil vieler psychischer Erkrankungen ist, wirft dies dann
natürlich weitere Fragen auf. In
diesem Zusammenhang ist es
daher nicht erstaunlich, dass vorläufige Resultate aus unseren
Analysen auch eine Assoziation
der beschriebenen Haplotypen
mit der unipolar depressiven Störung nahe legen. Da unsere Befunde zur Panikstörung und zur
unipolaren Depression allerdings
noch nicht in unabhängigen Studien repliziert worden sind, lassen sich hierzu noch keine definitiven Aussagen machen. Daher
streben wir, zusammen mit unse-
23
ren nationalen und internationalen Kooperationspartnern in den
USA, Spanien, Russland, Bosnien-Herzegovina sowie Serbien
& Montenegro, Replikationsstudien in unabhängigen Fall-Kontroll-Kollektiven an. Um dem Ziel
der Gen-Identifikation näher zu
kommen, bedienen wir uns auch
moderner bildgebender Verfahren. In einer der bisher größten
Studie untersuchten wir 42 bipolare Patienten und 42 Kontrollen
mit strukturellem MRT. Hierbei
zeigten die bipolaren Patienten
gegenüber Kontrollen eine signifikante Verminderung der grauen
Substanz im frontotemporalen
Kortex. Dieser Kontrast war bei
denjenigen Patienten deutlicher,
die im Laufe ihrer Erkrankung
jemals an Verfolgungswahn litten. Damit imponiert „Verfolgunswahn“ als phänotypischer Marker
von entscheidender Bedeutung
für die bipolare Störung.
Auch wenn unsere molekulargenetischen und Bildgebungsuntersuchungen letztlich noch nicht
den Schlüssel zum Verständnis
der bipolaren Störung oder der
Schizophrenie geliefert haben,
so haben wir innerhalb der letzten Jahre doch eine entscheidende Wegstrecke zurückgelegt.
Schon jetzt ist allerdings sicher,
dass traditionelle, kategoriale
Diagnosesysteme der Komplexität psychischer Erkrankungen
nicht gerecht werden, sondern
dass unser Augenmerk wieder
vielmehr auf individuellen Symptomen und Symptomkomplexen
liegen muss.
Die molekulargenetische Forschung wird unseres Erachtens
nach in Zukunft entscheidende
Hilfestellungen hierbei leisten.
Thomas G. Schulze
Heike Tost
Marcella Rietschel
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Stress und Immunität
Ein Modellprojekt zur Stressreduktion bei Patienten
unter Knochenmark- und Stammzelltransplantation
Die Behandlung von Patienten
mit Leukämien und Krebserkrankungen stellt eine besondere Herausforderung für die hämatoonkologische und psychoonkologische
Forschung dar.
Die neu begründete Arbeitsgruppe „Psychoonkologie und Psychoneuroimmunologie“ der Klinik
für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin am ZI beschreitet jetzt in Kooperation mit
mehreren deutschen und internationalen Transplantationszentren
mit einem von der „Deutschen
José Carreras Leukämiestiftung
(DJCLS)“ mit knapp 300.000
Euro geförderten Modellprojekt
innovative Wege zur Entwicklung
und Erforschung psychoonkologischer Interventionen bei diesen
hoch belasteten Patienten.
Hintergrund
Die Kombination von modifizierten Hochdosis-Chemotherapien
gen auseinander setzen. Dazu
gehören die Erkrankung selbst,
die Isolation in einer keimarmen
Umgebung, rasche und unsichere Veränderungen des klinischen
Status, mögliche lange stationäre
Aufenthaltsdauern, invasive medizinische Eingriffe, therapiebedingte körperliche Nebenwirkungen, Transplantatreaktionen bei
Fremdspendertransplantationen,
starkes Angewiesensein auf das
Betreuungspersonal,
familiäre
Belastungen, berufliche Veränderungen, und u.U. eine reale Lebensbedrohung.
Stressinduzierte psychische Symptome können Angst, Depression,
Lethargie, Apathie, „Fatigue“, Ärger und Feindseligkeit, fehlende
Compliance,
Schlafstörungen,
Alpträume, Grübeln, Intrusionen,
verstärkte
Schmerzwahrnehmung, u.a. sein.
Nur wenige Studien haben bisher
psychosoziale oder verhaltens-
Abb.1: Grafische Darstellung der Stress Entwicklung.....
mit Immuntherapien bei Leukämie-Patienten hat bei gleicher
oder erhöhter Wirksamkeit deren Verträglichkeit erheblich verbessert. Dennoch müssen sich
Patienten unter hämato-onkologischen Intensivtherapien nach
wie vor mit starken körperlichen
und psychosozialen BelastunZI Aktuell 1/06
bezogene Aspekte als Prädiktoroder Moderatorvariablen für die
Symptomentwicklung und den
Krankheitsverlauf von LeukämiePatienten untersucht. Eine Arbeitsgruppe konnte zeigen, dass
das Ausmaß von initial erlebtem
Stress, familiärer Unterstützung
24
und schmerzbezogenen Bewältigungsfähigkeiten der Patienten
die stärksten Prädiktoren für die
erlebte Schmerzintensität unter
Knochenmarktransplantation waren. Eine andere Gruppe wies bei
knochenmarktransplantierten Patienten eine Akutprävalenz psychischer Störungen (gem. DSM-IV)
von über 40% nach. Dabei zeigten sich in einer multivariaten Regressionsanalyse - neben CML,
initialem Karnofsky-Index <90 und
intensivem Konditionierungsschema - affektive Störungen sowie
Angst- und Anpassungsstörungen als unabhängige Prädiktoren
für die Hospitalisierungsdauer der
untersuchten Patientengruppe.
Bereits von Mason (1968) wurde
darauf hingewiesen, dass subjektiv als neuartig, unvorhersagbar
und unkontrollierbar erlebte Situationen als besonders intensive
Stressoren erlebt werden, die neben der psychischen Belastungserfahrung mit einer deutlichen
Aktivierung endokriner Systeme
assoziiert sind. Die besondere
Behandlungssituation von Leukämie-Patienten unter Stammzelltransplantation mit vielen Unwägbarkeiten stellt einen solchen
intensiven Stressor dar.
Klinische Untersuchungen belegen, dass die Fähigkeit von Patienten unter Knochenmark- und
Stammzelltransplantation
zur
„Bedrohungsminimierung“
und
Stressreduktion sowie gegenregulatorische Maßnahmen (körperliche Aktivität, geleitete Entspannung, soziale Unterstützung)
positive Auswirkungen auf ihr
subjektives Befinden, den Krankheitsverlauf und die stationäre
Aufenthaltsdauer haben. Experimentelle Untersuchungen zeigen,
dass sich daraus auch günstige
Effekte auf eine beschleunigte Immunrekonstitution, eine geringere
Schmerzbelastung und einen geringeren Medikamentenverbrauch
ergeben können. Interventionen
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zur Stressreduktion bei Patienten
unter HSCT/KMT
Weltweit liegen bisher nur fünfprospektive, randomisierte und
kontrollierte psychosoziale Interventionsstudien (RCT) bei Patienten unter hämatopoietischer
Stammzelltransplantation
vor.
Diese untersuchten:
► informationelle und
psychoedukative Einzel- und
Gruppeninterventionen vor
Beginn der Transplantation
► supportive Psychotherapien
mit symptomorientierten und
kognitiv-behavioralen Interventionen
► entspannungstherapeutische
Verfahren
ge einzelner Behandlungsmaßnahmen (z.B. kortikoidbedingte
Myopathie). Die verminderte Leistungsfähigkeit hat wiederum bedeutsame psychische Folgen und
Auswirkungen: Langzeitstudien
konnten zeigen, dass aufgrund
des reduzierten Allgemeinzustandes etwa ein Drittel der Patienten
ein Jahr nach Abschluss der Knochenmarktransplantation
nicht
imstande ist, Erwerbstätigkeiten
nachzugehen. Um das Ausmaß
an „Fatigue“ zu verringern, wird
den Patienten oft empfohlen, die
körperliche Aktivität weitgehend
zu reduzieren, was den Bewegungsmangel aber eher verstärkt.
Daraus resultiert ein weiterer
Muskelabbau und somit ein Circulus vitiosus.
Mehrere Untersuchungen der
Leistungsfähigkeit zu, gegenüber
der Kontrollgruppe kam es zu einer signifikanten Reduktion psychischer Symptombelastung (Ärger/Feindseligkeit, zwanghaften
Zügen, Angst, globaler psychischer Belastung). Weitere Studien haben die positiven Effekte eines Ausdauer- und Krafttrainings
bei Patienten während und nach
konventioneller
Chemotherapie bzw. Bestrahlung belegt. Sie
konnten auch zeigen, dass richtig
dosierte körperliche Belastungen
keine Zunahme der behandlungsbedingten Beschwerden verursachen. Einige Arbeiten zur Wirkung
von Ausdauertraining untersuchten auch Effekte auf den immunologischen und hormonellen Status von Patienten, mit z.T. jedoch
noch heterogenen Ergebnissen
► musiktherapeutische
Verfahren
► Sport- und bewegungstherapeutische Verfahren
(Ausdauertraining)
Diese Studien hatten aber z.T.
erhebliche methodische Schwächen, kleine Stichprobengrößen
und heterogene Ergebnisse.
Ausdauertraining
Die Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit und die
ausgeprägte Ermüdung („Fatigue“) sind gravierende stressinduzierende Probleme hämatoonkologischer Patienten. Dieses
Phänomen wird bei über 70% der
hämatologischen Patienten zeitnah nach konventioneller Chemotherapie und bei fast 100%
der Patienten nach Stammzelltransplantation beobachtet. Häufig schränken diese Symptome
Arbeits- und Freizeitaktivitäten
auch längerfristig so stark ein,
dass eine Wiederaufnahme des
normalen Alltagslebens verzögert
und erschwert wird. Zum Teil sind
diese Probleme durch die meist
mit einer Hospitalisierung verbundene Inaktivitätsatrophie bedingt.
Zum Teil sind sie auch direkte Fol-
ZI Aktuell 1/06
Patientengemälde
letzten Jahre konnten nun die positiven Effekte eines Ausdauertrainings bei chemotherapie- und
krankheitsbedingter
„Fatigue“
belegen. Gleichzeitig bewirkt die
körperliche Aktivität eine deutliche Besserung des psychischen
Zustandes: Selbstwertgefühl und
Selbständigkeit der Teilnehmer
an einem Trainingsprogramm
nahmen mit der Verbesserung der
25
Hypno- und entspannungstherapeutische Verfahren bei onkologischen Patienten.
Ein
anderer
therapeutischer
Ansatzpunkt zur Stress-Reduktion sind hypno- und entspannungs-therapeutische Verfahren.
Rationale dieser Verfahren ist,
zu einer Reduktion von physiologischem Arousal und Angst beizutragen, wodurch Patienten die
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Umgebung als weniger feindselig
und bedrohlich wahrnehmen und
damit einen verbesserten Zugang
zu Coping-Fähigkeiten erhalten.
In einer Pilotstudie mit 30 krebserkrankten Patienten unterschiedlicher Diagnosegruppen in einem
Behandlungszentrum in Dublin
erreichten Patienten nach einem
10-wöchigen Kurs in Autogenem
Training eine signifikante Reduktion von Angst, einen Anstieg
des Coping-Stils „Fighting Spirit“
(Kampfgeist) und einen verbesserten Schlaf.
Andere Studien untersuchten den
Effekt von hypnotherapeutisch geleiteter Imagination auf das Wohlbefinden und die Immunität von
Patientinnen nach Mamma-Ca.
In einer ebenfalls nicht-kontrollierten und nicht-randomisierten
Studie konnten Bakke et al.
(2002) nach einem 8-wöchigen
Trainingsprogramm in Hypnoticguided Imagery vorübergehend
eine signifikante Verbesserung
von Depressivität und einen absoluten Anstieg von NK-Zellen zeigen, die aber in einem 3-MonatsFollow-up nicht persistierten.
Mindfulness-Based Stress Reduction (MBSR) bei onkologischen Patienten
Ein besonders vielversprechender
Ansatz zur Stressreduktion sind
achtsamkeitsbasierte Verfahren
in der Medizin und Psychotherapie. Mindfulness-Based Stress
Reduction (MBSR) ist ein von Jon
Kabat-Zinn und Mitarbeitern an
der University of Massachusetts
Medical School in Worcester entwickeltes Programm, mit dem basale Fähigkeiten zur Stress-Modifikation vermittelt werden.
Schwerpunkte und Ziele des Verfahrens sind eine:
► Wahrnehmungsfokussierung
(Focussing)
► Förderung von Konzentration
und Achtsamkeit (Enhancement
of Concentration)
givibblogo
► nicht-bewertende Akzeptanz
von Wahrnehmungen, KognitioZI Aktuell 1/06
nen und Emotionen (Non-judgemental Attitude)
Sie bedient sich durch regelmäßiges Üben mittels meditativer
Techniken der Wahrnehmungslenkung auf Atmen, Hören, Sehen
und andere Sinnesreize
Dieses Verfahren ist ein Programm, das im Verlauf mehrerer
weisen. Diese Patientengruppen
erhielten jedoch keine intensive
Chemotherapie.
Bauer-Wu et al. (2004) legten eine
Explorative Feasibility Study vor,
in der sie am Dana-Farber Cancer
Institute und dem Brigham and
Women’s Hospital der Harvard
University, Boston, Mass., bei insgesamt 19 Patienten unter KMT
die Anwendbarkeit von MBSR in
diesem Behandlungssetting überprüften und Stimmung und physiologische Stress sowie ausgewählte Immunparameter unmittelbar
vor und nach den MBSR-Sitzungen erfassten. Zugleich erhoben
Wochen (i.d.R. wöchentliche
Gruppenübungen á 90 Min. für
7-9 Wochen) durch Trainings und
CD-geleitete Hausaufgaben selbständig erlernt werden kann, wenig Anstrengungen erfordert und
daher für hämatoonkologische
Patienten besonders geeignet ist.
Bislang liegen acht veröffentlichte Studien zur Anwendung von
MBSR bei depressiven und onkologischen Patienten vor.
Speca, Carlson et al. (2000) konnten nach 7 Wochen, Carlson, Ursuliak et al. (2001) nach 7 Wochen
und in einem 6 Monats-Follow-up
in jeweils unkontrollierten Studien deutliche Effekte auf Stimmung (Mood), Stress-Symptome,
Schlafverhalten, Stresshormone
und Immunfunktion bei jeweils 90
ambulanten Krebspatienten nach-
sie direkte Rückmeldungen von
den Patienten zu den 1:1-Sitzungen und der Anwendung von
Guided Mindfulness Mediatation
CDs. Über den Gesamtverlauf der
Studie wurden unabhängig von
den Trainern mit den Patienten
Interviews zur Einschätzung ihrer
Befindlichkeit und des Verfahrens
durchgeführt, die audiographiert
und transkribiert wurden; ferner
erfolgte eine Einschätzung der
Symptomatik. An unmittelbaren
Effekten zeigten sich über alle
Sitzungen hochsignifikante Ergebnisse in der Verbesserung
des subjektiven Wohlbefindens,
des Ausmaßes an Entspannung,
der Schmerzreduktion und der
Zufriedenheit.
Ebenso waren von der ersten bis
zum Abschluss der vierten Sit-
► intentionslose Präsenz
(Nonstriving Attitude)
► ein auf sich selbst und andere
gerichtetes Wohlwollen und Wertschätzung (Loving Kindness)
26
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zung signifikante Änderungen der
Herz- und Atemfrequenz feststellbar; auf die Erfassung des Blutdrucks während bzw. nach den
Sitzungen wurde im Verlauf aus
Praktikabilitätsgründen verzichtet. Die berichteten PatientenFeedbacks ergaben eine hohe
Zufriedenheit der Patienten mit
dem Training.
Das Modellprojekt
In einer weltweit ersten psychoonkologischen Interventionsstudie
dieser Art werden nun unter Federführung des ZI die Auswirkungen gezielter und von Patienten
vor der Behandlung eingeübter
Meditations- und Entspannungsverfahren und eines an die Bedingungen einer hämatologischen
Intensivstation
angepassten
Kraft-Ausdauertrainings bei Patienten unter hämatopoietischer
Stammzelltransplantation systematisch untersucht.
Es werden bis zu 160 Patienten
verschiedener hämatologischer
und onkologischer Systemerkrankungen in die Therapiestudie
einbezogen. Die Untersuchung
wird als Multicenter-Studie an
den Transplantationszentren der
Universitäten
München,
Heidelberg und Mannheim, sowie an der Deutschen Klinik
für Diagnostik Wiesbaden, unter Federführung der Projektgruppe des ZI Mannheim durch
geführt. International erfolgt eine
enge Kooperation mit der Harvard-University.
Vor Beginn der Interventionen
werden psychobiologische, psychische und familiäre Belastungsund Schutzfaktoren der Patienten über Interviews, Fragebögen,
funktionelle Bildgebung und Laboruntersuchungen erfasst. Nach
einer achtwöchigen Trainingsphase in den spezifischen Verfahren
(Mindfulness, Ausdauertraining)
vor Beginn der Hochdosisthera-
pie und Transplantation praktizieren die Patienten diese Verfahren
täglich unter Anleitung und Supervision, zusätzlich zu den stations- und therapieüblichen Maßnahmen.
Untersucht werden das Ausmaß
von erlebtem Stress, psychischen
Belastungen, Schmerzintensität,
Schmerz- und Beruhigungsmittelverbrauch, Herz-Kreislauf-Funktionen, körperlicher Belastbarkeit, Infektionen, Erholung des
Immunsystems, allgemeiner und
spezifischer Lebensqualität, Behandlungsdauer und weiterer
Merkmale im Therapieverlauf,
zum Abschluss der stationären
Behandlung, sowie 3, 6, 9 und 12
Monate nach Therapie.
Über erste Ergebnisse wird in einer der nächsten Ausgabe von
ZI-Information aktuell berichtet.
Andreas Remmel
Zum Schluss....
Mein Name ist Winfried Busche. Erinnern Sie sich?
Vom 1. August 1998 bis zum 31. Dezember 2005 war ich Verwaltungsdirektor des Zentralinstituts für Seelische
Gesundheit in Mannheim - Ihrem ZI - unserem ZI - meinem ZI.
Der Anfang war schwer. Vieles war aufzubereiten, zu verändern, zu entwickeln – Vertrautes war veraltet, Neues erschien risikoreich und bedrohlich.Es war ein großes, ein gutes Stück Arbeit,
die nötigen Dinge auf den Weg zu bringen. Wir haben ununterbrochen gebaut und
renoviert, wir haben geplant und reorganisiert, wir haben mehr informiert und anders kommuniziert, wir haben delegiert und entbürokratisiert, wir haben kontrovers
diskutiert und – miteinander gelacht. Das Ergebnis unserer Arbeit kann sich sehen
und fühlen lassen. Ich danke Ihnen für Ihre Flexibilität und Entwicklungsbereitschaft, Sie sind die Garanten für eine erfolgreiche, sichere und unabhängige Zukunft des Zentralinstituts. Bleiben Sie dran an der Gestaltung Ihres Arbeitgebers,
Ihres Arbeitsplatzes, Ihres ZI.
Ich will mein ZI gerne weiter beobachten, begleiten und unterstützen, denn es ist
zweifellos etwas Besonderes. Mein besonderer Dank gilt allen Menschen am Zentralinstitut für diese arbeitsreiche, wie im Flug vergangene gemeinsame Zeit.
Winfried Busche
Sie haben mich qualifiziert für neue berufliche Aufgaben und mir Erfahrungen
gegeben für das Leben.
Zum Schluss ein herzliches „Ahoi“ an Monnem, das meiner Familie und mir eine Heimat bleiben wird,
auch wenn wir – typisch Saarländer - nie hier gewohnt haben.
Ihr Winfried Busche
ZI Aktuell 1/06
27
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Autorinnen und Autoren
Becker, Katja, Dr. med.,
komm. Ärztliche Direktorin der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie
des Kindes- und Jugendalters, E-Mail: [email protected]
Busche, Winfried, bis 31.12.2005 kaufmännischer Direktor ZI,
nun Vorsitzender des Vorstandes, Saarländischer Schwesternverband,
E-Mail: [email protected]
Diehl, Alexander, Dr. med.,
Oberarzt der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin,
E-Mail: [email protected]
Hendlmeier, Ingrid, Dipl.-Geront.,
Wissenschaftl. Mitarbeiterin der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie,
E-Mail: [email protected]
Henn, Fritz A., Prof. Dr. med Dr. phil.
bis 31. März 2006 Institutsdirektor
Hentschel, Frank, Prof. Dr. med.,
Leiter der Abteilung Neuroradiologie,
E-Mail: [email protected]
Remmel. Andreas, Dr. med. Dr. phil. Dipl.-Psych.,
Ltd. Oberarzt der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin,
E-Mail: [email protected]
Rietschel, Marcella, Prof. Dr. med.,
Leiterin der Abteilung Genetische Epidemiologie,
E-Mail: [email protected]
Ristow, Gerhard, Dr. med.,
Assistenzarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters,
E-Mail: [email protected]
Rockenbach, Christine, Dipl.-Psych.,
Wissenschaftl. Mitarbeiterin der Klinik für Abhängiges Verhalten und Suchtmedizin,
E-Mail: [email protected]
Schäufele, Martina, Dr. sc. hum.,
Stv. Leiterin der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie,
E-Mail: [email protected]
Schiel, Hans-Werner, Dipl.-Pflegew.,
Leiter Pflegedienst,
E-Mail: [email protected]
Schmidt, Martin, Prof. Dr. med. Dr. rer. nat.,
Bis 31. März 2006 Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am ZI,
E-Mail: [email protected]
Schulze, Thomas G., Dr. med.,
Wissenschaftl. Mitarbeiter der Abteilung Genetische Epidemiologie,
E-Mail: [email protected]
Staudter, Claus,
Leitender Krankenpfleger der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters am ZI, E-Mail:
[email protected]
Struve, Maren, Dipl.-Psych.,
Wissenschaftl. Mitarbeiterin am Institut für Neuropsychologie und Klinische Psychologie,
E-Mail: [email protected]
Tost, Heike, Dr. phil., Dipl.-Psych.,
Wissenschaftl. Mitarbeiterin der Abteilung Genetische Epidemiologie, E-Mail: [email protected]
Weyerer, Siegfried, Prof. Dr. phil.,
Leiter der Arbeitsgruppe Psychogeriatrie,
E-Mail: [email protected]
Impressum
Herausgeber: Zentralinstitut
für Seelische Gesundheit
68159 Mannheim, J 5
Redaktion: Dr. Marina Martini
Referat Öffentlichkeitsarbeit
Telefon: 0621/17 03-1301, -1302
Telefax: 06 21/17 03-1305
E-Mail: [email protected]
Internet: http://www.zi-mannheim.de
Nachdruck nur mit Genehmigung.
Hinweis:
Auch wenn in den folgenden Texten auf die weibliche Form bei der Benennung von Personen verzichtet wird,
sind selbstverständlich immer Frauen und Männer gemeint.
INFORMATION
Martini, Marina, Dr. med.,
Leiterin des Referats Öffentlichkeitsarbeit,
E-Mail: [email protected]
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