24-27 Barbarakraut

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NATUR Wanderung
D
as Gebiet des Oberthurgaus im
Bezirk Bischofszell wird durch
sanfte Hügelzüge, weit gezogene
Ebenen fruchtbaren Landes und
durch den Lauf der Thur geprägt. Wehrhafte Burgen ragen stolz über das Land,
Bauernhöfe stehen als beeindruckende
Riegelbauten in der Kulturlandschaft,
während das unverbaute Gelände von
kleinen Tümpeln und Weihern unterbrochen wird.
Wanderer geniessen hier den erfrischenden Apfelsaft und erfreuen sich an
erlebnisreichen Pfaden. Insbesondere die
3-stündige Route entlang der Thur von
Bischofszell nach Niederhelfenschwil zur
Kobesenmühle und wieder zurück zum
Ausgangspunkt beschert einzigartige
Überraschungen, sei es das Blütenwunder
des Barbarakrautes oder die Kunstwerke
des berühmten einheimischen Malers
Wilhelm Lehmann.
Kleinstadt Bischofszell
Ausgangspunkt der 3-stündigen Maiwanderung entlang der Thur ist die
Kleinstadt Bischofszell, von den Einheimischen schlicht «Zell» genannt. Der Bezirkshauptort des oberen Thurgaus mit
seinen rund 5700 Einwohnern liegt an
attraktiver Lage zwischen dem Bodensee
und dem Säntisgebirge, unmittelbar am
Zusammenfluss der Thur und der Sitter.
Die malerische Altstadt, welche 1987 mit
dem Wacker-Preis geehrt wurde, zeugt
von einer bemerkenswerten Vergangenheit. Erstmals wurde Bischofszell im
Jahre 919 erwähnt,und zwar anlässlich
der Gründung des Chorherrenstiftes
durch den Bischof Salomo von Konstanz.
Rund um das Stift bildeten sich mit der
Zeit verschiedene altehrwürdige Behausungen, beschützt durch eine mächtige
Burg. Der Ort als Kleinzentrum am Fusse
des Bischofsberges erhielt im Jahre 1248
das Stadtrecht. Drei grosse Brände, der
letzte 1743, zerstörten beträchtliche Teile
BarbarakrautAuf einer Länge von 46 km durchfliesst die Thur den Kanton Thurgau
und bestimmt das Landschaftsbild «Mostindiens».
Auf den Wanderpfaden entlang des Flusses leuchten uns überall die
goldenen Blütenähren des Barbarakrautes entgegen.
Text und Fotos: Bruno Vonarburg
Fügt sich harmonisch
ins Landschaftsbild:
Bauernhof im Riegelbaustil
des Ortes, worauf die Gebrüder Grubenmann aus Teufen einen neuen Überbauungsplan mit verbreiterten Gassen in
Angriff nahmen.
In den Jahren 1747 bis 1750 entstand
unter der Leitung des Baumeisters Kaspar
Bagnato das Rathaus mit seiner spätbarocken Schauseite zur Marktgasse. Erst
zu Beginn der Helvetischen Republik 1798
schloss sich Bischofszell dem Kanton
Thurgau an.
Eine Stadtbesichtigung präsentiert dem
Besucher zahlreiche Sehenswürdigkeiten
der vergangenen Zeit, so den Zeitglockenturm neben dem Rathaus, die Stiftskirche
St. Pelagius, die Michaelskapelle, die zahl-
reichen vornehm wirkenden Bürgerhäuser
und die «Krumme Brücke» an der Thur,
welche 1487 erbaut wurde.
Denkmalgeschützter
Flussübergang
Pfad
Zwischen dem kleinen Waldgebiet der
Ghöggershütte südwestlich von Bischofszell und dem schmalen Landstreifen, der
sich von Rengishalden gegen den letzten
sanktgallischen Thurübergang bei Niederbüren hinzieht, drängt sich die Thur in
den Kanton Thurgau. Beim Felsriegel von
Chatzensteig verläuft sie in einer Schleife
Richtung Bischofszell. Dort steht die erste
Brücke auf thurgauischem Boden. Ursprünglich bildete eine Fähre den Übergang, später ein Steg, dessen Existenz mit
dem Flurnamen «Stegwiese» dokumentiert wird. Mit der Ablösung des Steges
durch die sagenumwobene sechsjochige
Brücke entstand ein Baudenkmal der besonderen Art. Die Überquerung wurde auf
dem flachen Riff quer durch das Flussbett
mit seinen Nagelfluhköpfen erbaut. Allerdings reichten die Felsenriffe nicht aus,
um die Überführung in gerader Richtung
erstellen zu können. Deshalb errichtete
man die Brücke auf der mehrfach gebrochenen Grundlinie mit einem krummen
Verlauf, was ihr den Namen «Krumme
Brücke» eingetragen hat. Heute ist sie ein
Bauwerk von nationaler Bedeutung und
steht unter Denkmalschutz.
Der Thur entlang
Unseren Maispaziergang beginnen wir
beim Bahnhof Bischofszell. Von dort wan-
dern wir ins Städchen hinunter, vorbei an
der Kirche, bei der ein Garten-Labyrinth
angelegt ist. Anschliessend marschieren
wir an der alten Papierfabrik vorbei zur
Thurbrücke, wo wir nach 15 Minuten
zum Wegweiser «alte Thurbrücke 473 m
ü. M.» gelangen. Am linken Ufer führt der
Pfad stromaufwärts in ein kleines
Wäldchen, in dem sich Pfaffenhütchen,
Schwarzdorn, Bergahorn, Ulme, Weissdorn, Silberweide, Rotbuche, Faulbaum,
Hartriegel, Hasel und Holunder auf das
Frühlings-Blütenfest vorbereiten. Am
Wegrand finden wir die Knoblauchsrauke,
die Taubnessel, den Bärlauch und den
Winterschachtelhalm vertreten. Wenn wir
weitermarschieren, passieren wir die
Zitterpappel, die Traubenkirsche, den Liguster, den Gemeinen Schneeball, den
Feldahorn, die Winterlinde und die Vogelkirsche. Wir erreichen nach kurzer Zeit
den Wasserkanal, der seinerzeit für die
Papierfabrik erstellt wurde. Bald führt der
Pfad zu jener Stelle, wo die Thur an einer
hohen Nagelfluhwand vorbeifliesst. Dort
geht es links hinauf zum Bauernhof
«Ghögg», wo wir die Brücke überqueren
und wieder zurück zum Uferweg gelangen
(siehe Tafel «Chatzensteig»). Auf dieser
Strecke begegnen wir hier und dort den
goldenen Blütenähren des Barbarakrautes,
dem Klettenlabkraut, der Zypressenwolfsmilch und dem Waldhabichtskraut. Vorbei
am «Huserfelsen» erreichen wir nach
ungefähr 1 Stunde 40 Min. Marschzeit
(von Bischofszell berechnet) die Brücke,
wo wir die Thur überqueren und zum
Golfplatz gelangen. Von hier aus bringt
uns ein 10-minütiger Aufstieg zum Wegweiser «Kobesenmühle». Rechterhand
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Ursprünglich für die Papierfabrik
ausgehoben: Wasserkanal
befindet sich der Eingang zur alten Mühle,
wo heute das Wilhelm Lehmann-Museum
untergebracht ist.
Wilhelm Lehmann-Museum
Das Wilhelm Lehmann-Museum in der
Kobesenmühle (Telefon 071 947 14 51)
ist von April bis November jeweils am
ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17
Uhr geöffnet. Der Künstler (1884 bis
1974) verbrachte die grösste Zeit seines
Lebens samt seiner Familie mit 3 Kindern
in diesem verträumten rustikalen Gebäude, verborgen am abseitigen Bachtobel
gelegen. Die alte Müllerswohnung war
für die Familie wie eine Klause, welche
heute noch von einem wunderbaren Blumen- und Gemüsegarten umsäumt wird.
In dieser Zurückgezogenheit arbeitete
der Künstler an seinen Skulpturen, die er
aus natürlich vorgebildeten Wurzeln und
Ästen herausschnitzte. Neben solchen
Holzfiguren schuf er auch zahlreiche Freiplastiken aus Tuffstein, den er im nahegelegenen Bachtobel fand. Viele dieser
steinernen Skulpturen sind im Garten
und entlang der halbversteckten Wege
und Stege hinunter zum sprudelnden
Mühlebach zu bewundern.
Wilhelm Lehmann war nicht nur ein
aussergewöhnlicher Künstler, er setzte
sich auch zeitlebens entschlossen gegen
die Ausbeutung der Natur ein. Um seiner
Wanderroute:
3-stündiger Wanderpfad der Thur entlang
Reproduziert mit Bewilligung des Bundesamtes
für Landestopographie (BA 035154)
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Wut über die gedankenlose Rodung der
Wälder oder die weltweite Verschmutzung des Wassers Luft zu verschaffen,
schnitzte er seine Warnung in Wort und
Bild in Holzstücke, machte davon Abzüge
und verschickte diese Holzschnitte in
Postkartenformat an Parlamentarier, Umweltschützer und Bundesräte. Heute wird
das Vermächtnis des Künstlers durch die
Wilhelm Lehmann-Stiftung, Kobesenmühle, 9527 Niederhelfenschwil, bewahrt. In seinem ehemaligen Atelier
Wanderung NATUR
Wohnhaus, Atelier und heute
Museum: Kobesenmühle
Barbarakraut –
Schutzpflanze für Bergleute
und Kanoniere
Der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der
Bergleute, Kanoniere und Steinbrucharbeiter,
wurde das Barbarakraut (Barbarea vulgaris)
gewidmet. Früher hat man nämlich Wunden,
die man sich bei Bergbauarbeiten, im Steinbruch oder im Krieg zugezogen hatte, mit den
Blättern des Barbarakrautes bedeckt.
Die Pflanze besitzt dunkelgrüne geteilte BlätNaturverbundener Künstler:
Wilhelm Lehmann 1884–1974
ter mit einem grossen, abgerundeten Endlappen. Von Mai bis Juni erscheinen die gelben
Blüten. Sie stehen zunächst in einem dichten
finden auch Konzerte, Lesungen und
Führungen statt.
Zurück nach Bischofszell
Nach dem Besuch im Museum von
Wilhelm Lehmann geht es zurück nach
Bischofszell. Oberhalb der Kobesenmühle
führt der Weg rechts am Waldrand entlang
nach Enkhüseren, vorbei am blau-violetten
Lungenkraut. Dann folgen wir der gelben
Wegmarkierung zur Anhöhe hinauf, wo
wir den freien Blick ins Alpsteingebirge
geniessen. Bei der Sitzbank steht die Wegtafel, die die Richtung rechts hinab zur
Thur vorzeigt. Nach etwa einer halben
Stunde (seit Abmarsch in der Kobesenmühle) erreichen wir den Wegweiser «Letten 479 m», wo wir dem Thurufer entlang
und an Bauernhäusern vorbei nach Rengishalden marschieren. Ungefähr 1 Stunde
nach dem Abmarsch bei der Kobesenmühle
erreichen wir die Strasse, wo der Pfad nach
wenigen Schritten rechts hinüber zu einem
Bauernhaus führt. Gleich dahinter befindet
sich der Abstieg (Treppenweg) zur Thur
hinunter. Dann spazieren wir am Ufer
entlang Richtung «Krumme Brücke». Dort
treffen wir nach rund 3 Stunden Gesamtmarschzeit bei der alten Thur-Überquerung
ein. Von hier sind es nur noch 15 Minuten
bis zum Bahnhof von Bischofszell.
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Knäuel, bilden aber allmählich eine längliche
Ähre. Bei sonnigem Wetter spreizen sich die
Staubblätter weit nach aussen und bieten ihre
pollenbedeckte Innenseite dar. Bei trübem
Wetter dagegen bleiben die Staubblätter
senkrecht und legen den Pollen auf die Narbe,
so bestäuben sich die Blüten selbst. Der Nektar wird beim Barbarakraut in den Aussackungen am Grunde der beiden äusseren Kelchblätter bereitgehalten.
Die Pflanze, die den Kreuzblütlern angehört,
wird 30 bis 90 cm hoch und ist mit dem Ackerschöterich, dem Acker- und Mauersenf, aber
auch mit der Wegrauke leicht zu verwechseln.
Blütenstand und Blattform charakterisieren
das echte Barbarakraut.
Auf Felsenriff erbaut:
sechsjochige «Krumme Brücke»
Erinnert an die Schutzpatronin
der Bergleute: Barbarakraut
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