NATUR Wanderung D as Gebiet des Oberthurgaus im Bezirk Bischofszell wird durch sanfte Hügelzüge, weit gezogene Ebenen fruchtbaren Landes und durch den Lauf der Thur geprägt. Wehrhafte Burgen ragen stolz über das Land, Bauernhöfe stehen als beeindruckende Riegelbauten in der Kulturlandschaft, während das unverbaute Gelände von kleinen Tümpeln und Weihern unterbrochen wird. Wanderer geniessen hier den erfrischenden Apfelsaft und erfreuen sich an erlebnisreichen Pfaden. Insbesondere die 3-stündige Route entlang der Thur von Bischofszell nach Niederhelfenschwil zur Kobesenmühle und wieder zurück zum Ausgangspunkt beschert einzigartige Überraschungen, sei es das Blütenwunder des Barbarakrautes oder die Kunstwerke des berühmten einheimischen Malers Wilhelm Lehmann. Kleinstadt Bischofszell Ausgangspunkt der 3-stündigen Maiwanderung entlang der Thur ist die Kleinstadt Bischofszell, von den Einheimischen schlicht «Zell» genannt. Der Bezirkshauptort des oberen Thurgaus mit seinen rund 5700 Einwohnern liegt an attraktiver Lage zwischen dem Bodensee und dem Säntisgebirge, unmittelbar am Zusammenfluss der Thur und der Sitter. Die malerische Altstadt, welche 1987 mit dem Wacker-Preis geehrt wurde, zeugt von einer bemerkenswerten Vergangenheit. Erstmals wurde Bischofszell im Jahre 919 erwähnt,und zwar anlässlich der Gründung des Chorherrenstiftes durch den Bischof Salomo von Konstanz. Rund um das Stift bildeten sich mit der Zeit verschiedene altehrwürdige Behausungen, beschützt durch eine mächtige Burg. Der Ort als Kleinzentrum am Fusse des Bischofsberges erhielt im Jahre 1248 das Stadtrecht. Drei grosse Brände, der letzte 1743, zerstörten beträchtliche Teile BarbarakrautAuf einer Länge von 46 km durchfliesst die Thur den Kanton Thurgau und bestimmt das Landschaftsbild «Mostindiens». Auf den Wanderpfaden entlang des Flusses leuchten uns überall die goldenen Blütenähren des Barbarakrautes entgegen. Text und Fotos: Bruno Vonarburg Fügt sich harmonisch ins Landschaftsbild: Bauernhof im Riegelbaustil des Ortes, worauf die Gebrüder Grubenmann aus Teufen einen neuen Überbauungsplan mit verbreiterten Gassen in Angriff nahmen. In den Jahren 1747 bis 1750 entstand unter der Leitung des Baumeisters Kaspar Bagnato das Rathaus mit seiner spätbarocken Schauseite zur Marktgasse. Erst zu Beginn der Helvetischen Republik 1798 schloss sich Bischofszell dem Kanton Thurgau an. Eine Stadtbesichtigung präsentiert dem Besucher zahlreiche Sehenswürdigkeiten der vergangenen Zeit, so den Zeitglockenturm neben dem Rathaus, die Stiftskirche St. Pelagius, die Michaelskapelle, die zahl- reichen vornehm wirkenden Bürgerhäuser und die «Krumme Brücke» an der Thur, welche 1487 erbaut wurde. Denkmalgeschützter Flussübergang Pfad Zwischen dem kleinen Waldgebiet der Ghöggershütte südwestlich von Bischofszell und dem schmalen Landstreifen, der sich von Rengishalden gegen den letzten sanktgallischen Thurübergang bei Niederbüren hinzieht, drängt sich die Thur in den Kanton Thurgau. Beim Felsriegel von Chatzensteig verläuft sie in einer Schleife Richtung Bischofszell. Dort steht die erste Brücke auf thurgauischem Boden. Ursprünglich bildete eine Fähre den Übergang, später ein Steg, dessen Existenz mit dem Flurnamen «Stegwiese» dokumentiert wird. Mit der Ablösung des Steges durch die sagenumwobene sechsjochige Brücke entstand ein Baudenkmal der besonderen Art. Die Überquerung wurde auf dem flachen Riff quer durch das Flussbett mit seinen Nagelfluhköpfen erbaut. Allerdings reichten die Felsenriffe nicht aus, um die Überführung in gerader Richtung erstellen zu können. Deshalb errichtete man die Brücke auf der mehrfach gebrochenen Grundlinie mit einem krummen Verlauf, was ihr den Namen «Krumme Brücke» eingetragen hat. Heute ist sie ein Bauwerk von nationaler Bedeutung und steht unter Denkmalschutz. Der Thur entlang Unseren Maispaziergang beginnen wir beim Bahnhof Bischofszell. Von dort wan- dern wir ins Städchen hinunter, vorbei an der Kirche, bei der ein Garten-Labyrinth angelegt ist. Anschliessend marschieren wir an der alten Papierfabrik vorbei zur Thurbrücke, wo wir nach 15 Minuten zum Wegweiser «alte Thurbrücke 473 m ü. M.» gelangen. Am linken Ufer führt der Pfad stromaufwärts in ein kleines Wäldchen, in dem sich Pfaffenhütchen, Schwarzdorn, Bergahorn, Ulme, Weissdorn, Silberweide, Rotbuche, Faulbaum, Hartriegel, Hasel und Holunder auf das Frühlings-Blütenfest vorbereiten. Am Wegrand finden wir die Knoblauchsrauke, die Taubnessel, den Bärlauch und den Winterschachtelhalm vertreten. Wenn wir weitermarschieren, passieren wir die Zitterpappel, die Traubenkirsche, den Liguster, den Gemeinen Schneeball, den Feldahorn, die Winterlinde und die Vogelkirsche. Wir erreichen nach kurzer Zeit den Wasserkanal, der seinerzeit für die Papierfabrik erstellt wurde. Bald führt der Pfad zu jener Stelle, wo die Thur an einer hohen Nagelfluhwand vorbeifliesst. Dort geht es links hinauf zum Bauernhof «Ghögg», wo wir die Brücke überqueren und wieder zurück zum Uferweg gelangen (siehe Tafel «Chatzensteig»). Auf dieser Strecke begegnen wir hier und dort den goldenen Blütenähren des Barbarakrautes, dem Klettenlabkraut, der Zypressenwolfsmilch und dem Waldhabichtskraut. Vorbei am «Huserfelsen» erreichen wir nach ungefähr 1 Stunde 40 Min. Marschzeit (von Bischofszell berechnet) die Brücke, wo wir die Thur überqueren und zum Golfplatz gelangen. Von hier aus bringt uns ein 10-minütiger Aufstieg zum Wegweiser «Kobesenmühle». Rechterhand Natürlich | 5-2003 25 Ursprünglich für die Papierfabrik ausgehoben: Wasserkanal befindet sich der Eingang zur alten Mühle, wo heute das Wilhelm Lehmann-Museum untergebracht ist. Wilhelm Lehmann-Museum Das Wilhelm Lehmann-Museum in der Kobesenmühle (Telefon 071 947 14 51) ist von April bis November jeweils am ersten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Der Künstler (1884 bis 1974) verbrachte die grösste Zeit seines Lebens samt seiner Familie mit 3 Kindern in diesem verträumten rustikalen Gebäude, verborgen am abseitigen Bachtobel gelegen. Die alte Müllerswohnung war für die Familie wie eine Klause, welche heute noch von einem wunderbaren Blumen- und Gemüsegarten umsäumt wird. In dieser Zurückgezogenheit arbeitete der Künstler an seinen Skulpturen, die er aus natürlich vorgebildeten Wurzeln und Ästen herausschnitzte. Neben solchen Holzfiguren schuf er auch zahlreiche Freiplastiken aus Tuffstein, den er im nahegelegenen Bachtobel fand. Viele dieser steinernen Skulpturen sind im Garten und entlang der halbversteckten Wege und Stege hinunter zum sprudelnden Mühlebach zu bewundern. Wilhelm Lehmann war nicht nur ein aussergewöhnlicher Künstler, er setzte sich auch zeitlebens entschlossen gegen die Ausbeutung der Natur ein. Um seiner Wanderroute: 3-stündiger Wanderpfad der Thur entlang Reproduziert mit Bewilligung des Bundesamtes für Landestopographie (BA 035154) 26 Natürlich | 5-2003 Wut über die gedankenlose Rodung der Wälder oder die weltweite Verschmutzung des Wassers Luft zu verschaffen, schnitzte er seine Warnung in Wort und Bild in Holzstücke, machte davon Abzüge und verschickte diese Holzschnitte in Postkartenformat an Parlamentarier, Umweltschützer und Bundesräte. Heute wird das Vermächtnis des Künstlers durch die Wilhelm Lehmann-Stiftung, Kobesenmühle, 9527 Niederhelfenschwil, bewahrt. In seinem ehemaligen Atelier Wanderung NATUR Wohnhaus, Atelier und heute Museum: Kobesenmühle Barbarakraut – Schutzpflanze für Bergleute und Kanoniere Der heiligen Barbara, der Schutzpatronin der Bergleute, Kanoniere und Steinbrucharbeiter, wurde das Barbarakraut (Barbarea vulgaris) gewidmet. Früher hat man nämlich Wunden, die man sich bei Bergbauarbeiten, im Steinbruch oder im Krieg zugezogen hatte, mit den Blättern des Barbarakrautes bedeckt. Die Pflanze besitzt dunkelgrüne geteilte BlätNaturverbundener Künstler: Wilhelm Lehmann 1884–1974 ter mit einem grossen, abgerundeten Endlappen. Von Mai bis Juni erscheinen die gelben Blüten. Sie stehen zunächst in einem dichten finden auch Konzerte, Lesungen und Führungen statt. Zurück nach Bischofszell Nach dem Besuch im Museum von Wilhelm Lehmann geht es zurück nach Bischofszell. Oberhalb der Kobesenmühle führt der Weg rechts am Waldrand entlang nach Enkhüseren, vorbei am blau-violetten Lungenkraut. Dann folgen wir der gelben Wegmarkierung zur Anhöhe hinauf, wo wir den freien Blick ins Alpsteingebirge geniessen. Bei der Sitzbank steht die Wegtafel, die die Richtung rechts hinab zur Thur vorzeigt. Nach etwa einer halben Stunde (seit Abmarsch in der Kobesenmühle) erreichen wir den Wegweiser «Letten 479 m», wo wir dem Thurufer entlang und an Bauernhäusern vorbei nach Rengishalden marschieren. Ungefähr 1 Stunde nach dem Abmarsch bei der Kobesenmühle erreichen wir die Strasse, wo der Pfad nach wenigen Schritten rechts hinüber zu einem Bauernhaus führt. Gleich dahinter befindet sich der Abstieg (Treppenweg) zur Thur hinunter. Dann spazieren wir am Ufer entlang Richtung «Krumme Brücke». Dort treffen wir nach rund 3 Stunden Gesamtmarschzeit bei der alten Thur-Überquerung ein. Von hier sind es nur noch 15 Minuten bis zum Bahnhof von Bischofszell. ■ Knäuel, bilden aber allmählich eine längliche Ähre. Bei sonnigem Wetter spreizen sich die Staubblätter weit nach aussen und bieten ihre pollenbedeckte Innenseite dar. Bei trübem Wetter dagegen bleiben die Staubblätter senkrecht und legen den Pollen auf die Narbe, so bestäuben sich die Blüten selbst. Der Nektar wird beim Barbarakraut in den Aussackungen am Grunde der beiden äusseren Kelchblätter bereitgehalten. Die Pflanze, die den Kreuzblütlern angehört, wird 30 bis 90 cm hoch und ist mit dem Ackerschöterich, dem Acker- und Mauersenf, aber auch mit der Wegrauke leicht zu verwechseln. Blütenstand und Blattform charakterisieren das echte Barbarakraut. Auf Felsenriff erbaut: sechsjochige «Krumme Brücke» Erinnert an die Schutzpatronin der Bergleute: Barbarakraut Natürlich | 5-2003 27