Fassadenvielfalt 1 Mit ihrem bionischen Prinzip sorgt die Fassadenfarbe »Color Dryonic« für schnelltrocknende Fassaden, so dass Algen und Pilze kaum eine Chance haben, sich anzusiedeln. Foto: Sto Farbe: Gesicht und Schutzschild Was Fassadenbeschichtungen heute können müssen. G ebäude sind schutzbedürftig. Denn die Natur ist mächtig und nagt mit Regen, Frost, Hitze und UV-Strahlung permanent an der Bausubstanz. Die Fassade ist dabei den heftigsten Attacken ausgesetzt, weshalb sie eines ganz besonderen Schutzes bedarf. Fassadenbeschichtungen bilden die äußerste Oberfläche eines Gebäudes und haben immer zwei Aufgaben zu erfüllen: eine funktionelle und eine visuelle. Zum einen schützen sie die darunterliegenden Materialien und Konstruktionen vor den verschiedenen Umwelteinflüssen, zum anderen geben sie dem Gebäude ein Gesicht. Als Schnittstelle zwischen Innen- und Außenraum bestimmen gestalterische, bauphysikalische und mechanische Anforderungen die Konzeption der Fassade. Dazu stehen unterschiedliche Systeme zur Verfügung: silikatisch gebundene Materialien, organisch gebundene Dispersionsfarben, silikonharzhaltige Beschichtungen oder hybride Konstellationen mit mehreren Bindemitteltypen. Vermehrt gibt es auch Produkte mit vielseitigen funktionellen Eigenschaften. Farbe intensiv Die Farbigkeit des Fassadenanstrichs beeinflusst ganz wesentlich die Oberflächentemperatur der Fassade. www.ausbauundfassade.de Nicht von ungefähr werden die Außenwände der Gebäude in südlichen Gefilden traditionell weiß gestrichen – je mehr Licht reflektiert wird, umso geringer fällt der Wärmeeintrag in das Mauerwerk aus – eine sehr schlichte Möglichkeit der Gebäudekühlung. Ein sehr dunkler oder gar schwarzer Fassadenanstrich kann umgekehrt – in allen Klimazonen – zu hohen Temperaturen und in Folge zu erheblichen Spannungen im Materialgefüge führen. Starke Temperaturschwankungen durch Aufheizen und Abkühlen der Oberfläche sind für Putze kritisch, können aber auch Untergründe schädigen, vor allem Dämmsysteme und hochwärmegedämmtes Mauerwerk, da die Oberflächen hier nur eine sehr geringe Speichermasse zur Verfügung haben und der Dämmstoff nur wenig Wärme weiterleitet. Mittlerweile gibt es jedoch Farben am Markt, die es erlauben, dunkle und intensive Farbtöne bis Hellbezugswert 5 auch auf gedämmten Oberflächen risikofrei zu realisieren. Möglich wird dies durch die teilweise Reflexion der solaren Strahlungsenergie. Die Sonne strahlt nämlich mehr als die Hälfte ihrer Energie, etwa 58 Prozent, im nahen Infrarotbereich aus. Viele Hersteller entwickelten mit diesem Hintergrundwissen Farbrezepturen, die genau diese Nah-Infrarot-Wellen reflektieren und damit für eine deutlich geringere Aufheizung der 27 EXTRA: Farben für Fassaden 2 Das Verwaltungsgebäude Stadtwerke Lemgo: Mit dem Sol Reflex-System und den speziellen, TSR-formulierten, infrarotreflektierenden Farbtonrezepturen war es möglich, die wärmegedämmte Fassade im dunklen Farbton RAL 7016 Anthrazit zu beschichten. Foto: Brillux Fassadenoberfläche sorgen und sie zuverlässig vor Temperaturen über der kritischen Marke von 70 Grad Celsius schützen. So ergibt sich ein größerer Spielraum für die farbige Fassadengestaltung (zum Beispiel Brillux Sol Reflex, Muresko Cool Protect von Caparol, Reflecta von Heck Wall Systems, Keim Soldalit-Coolit, Sto Color X-black). Problem: Algen und Co. Der Einsatz von Wärmedämm-Verbundsystemen hält eine weitere Anforderung für Beschichtungssysteme bereit: den Bewuchs mit Algen und Pilzen zu vermeiden. Auf hochdämmenden Außenwandkonstruktionen neigen die Oberflächen zur Kondenswasserbildung. In diesem feuchten Mikroklima gedeihen Algen und Co. besonders gut und führen oft zu unschönen Verfärbungen ganzer Wände. Diese Mikroorganismen zerstören die Fassadenbeschichtung zwar nicht, die grau-grünbraunen Schleier und Schlieren machen die Fassade jedoch unansehnlich und sind ein Ärgernis für jeden Hausbesitzer. Als gängige Maßnahme, um Algen- und Pilzbefall zu verhindern, wird das Beschichtungsmaterial antibakteriell und fungizid ausgerüstet. Diese Lösung ist jedoch umstritten, denn die Substanzen werden mit der Zeit ausgewaschen, so dass einerseits der gewünschte Effekt nachlässt und andererseits die Umwelt durch Biozide belastet wird. Natur als Vorbild Eine Alternative bieten hydrophile, also wasserfreundliche Systeme. Sie schützen auf der Basis physikalischer Wirkprinzipien vor Algenbildung, indem sie die Fassadenoberfläche möglichst trocken halten. Quasi alle silikatischen Produkte basieren auf diesem hydrophilen Prinzip. Der kapillaraktive Feuchtetransport innerhalb des mineralischen, dickschichtigen Oberputzes und die hohe Diffusionsfähigkeit des Anstrichs sorgen für eine 28 schnelle Rücktrocknung und minimieren so das Bewuchsrisiko. Hinzu kommt, dass der nährstofffreie Anstrichfilm Algen und Pilzen keine Nahrung bietet und der hohe pH-Wert zusätzlich vor Bewuchs schützt (beispielsweise Keim Aqua-Royal, Saint-Gobain Weber Aqua-Balance, Brillux Fassadenfarbe HP 1801, Sylitol NQG von Caparol). Einen erhöhten Schutz gegen Algen- und Pilzbefall ohne den Einsatz von Bioziden bieten auch Beschichtungen, die sich die Natur zum Vorbild nehmen. Diese Farben mit bionischem Wirkprinzip basieren auf Mikrostrukturen und sind sowohl hydrophob als auch hydrophil eingestellt, besitzen also wasseranziehende wie -abstoßende Eigenschaften. Die Folge: Regen- und Tauwasser kommen auf der mikrostrukturierten Oberfläche erst gar nicht zur Ruhe und laufen sofort ab. So bleiben Fassaden dauerhaft trocken und bieten Algen Foto: Caparol 3 Das Seniorenzentrum hat eine Fassade mit spannendem Materialmix: Die Fenster-Akzentflächen wurden mit »geschleuderten Kieselsteinen« (Alsecco Spar Dash) abgesetzt, die farblich individuell mischbar sind. ausbau + fassade 05.2017 Fassadenvielfalt und Pilzen keinen Lebensraum – ganz ohne bioziden Filmschutz (Sto Color Dryonic). Gestaltungsspielräume Ob ein Gebäude in einem städtischen Kontext oder in freier Natur steht, schafft grundsätzlich andere Rahmenbedingungen für die Farbgebung. Im Stadtraum sind Fassaden ein wichtiges Gestaltungselement und oft auch Ausdruck der Nutzung und Funktion eines Gebäudes – Beispiele sind Kirchen, Stadtschlösser und Rathäuser. Die farbige Fassadengestaltung dient der Individualisierung des Gebäudes, um seine Präsenz und Eigenständigkeit zu betonen, aber auch der gestalterischen Einbindung in natürliche oder städtebauliche Vorgaben, insbesondere in historischen Altstädten, die häufig unter Ensembleschutz oder Denkmalschutz stehen. Regionale Farbigkeit gewinnt als Identitätsstifter und Inspiration für die Gestaltung zunehmend an Bedeutung. Spannende Kontraste Ist kein gewachsenes Umfeld vorhanden, ergibt sich ein größerer Gestaltungsspielraum. Hier lassen sich mit Farbe, kreativen Techniken und Effekten individuelle Fassaden unterschiedlichster Strukturen und Optiken gestalten: glatt oder rau, hart oder weich, hell oder dunkel. Aktuell geht der Trend zu Farbtönen, die zeitlos, materialhaft und natürlich wirken: Sandtöne sowie Schlamm-, Ocker- und Graunuancen. Farbe und Material erscheinen als Einheit und verstärken die monolithische Wirkung eines Gebäudes. Aber auch die Mischfassade, also die Kombination von Farbe, Putz und Materialoptik, ist angesagt – sie liefert spannende Kontraste. Richtig eingesetzt kann Farbe viel bewirken – einige Hersteller bieten daher professionelle Farbberatung an. Im Dialog mit den Beteiligten erstellen die Farbprofis maßgeschneiderte Farb- und Materialkonzepte und unterstützen bei der Entscheidungsfindung mit Erfahrung, Fachwissen und Kompetenz (zum Beispiel Caparol Farbdesignstudio, Brillux Farbstudio, Keim Farbstudio). Dauerhaft Gemäß der Erkenntnis, dass nichts von Dauer ist, verändern sich auch Farbtöne. Verschmutzung, Schadstoffe und der UV-Anteil im Sonnenlicht führen zu Farbtonveränderungen auf der Fassade, die einen optischen Mangel darstellen und den Gesamteindruck eines Gebäudes empfindlich stören können. Der sogenannte »Fensterladeneffekt« (die Fassade ist ausgeblichen, nur hinter den Fensterläden, geschützt vor Licht und Witterung, lässt sich noch der ursprüngliche Farbton finden) ist nur eine unerfreuliche Variante des Phänomens. Farbtonstabilität und der konstante optische Eindruck eines Fassadenanstrichs hängen von verschiedenen Faktoren ab. Besonders wichtig ist dabei die Beständigkeit der Farbpigmente gegen UV-Strahlung und aggressive Luftschadstoffe. Mineralische Pigmente, wie sie in Mineralfarben eingesetzt werden, zeichnen sich durch eine extrem hohe Farbtonkonstanz aus, weil die chemische Struktur dieser pulvrigen Farbträger extrem stabil gegen äußere Einwirkungen ist. Mineralische Farben bleiben über Jahrzehnte fast unverändert (beispielsweise Brillux Silikat-Fassadenfarbe, Caparol Muresko, Keim Granital oder Soldalit, Kreidezeit Gekko Sol, Sto Color Sil). Die Firma Keim gewährt auf ihre »Klassiker« 20 Jahre Farbtongarantie für pigmentbedingte Veränderungen. Fazit Fassadenbeschichtungen leisten heute schon eine Menge zum Schutz und Werterhalt von Gebäudeoberflächen. Und in den Labors der Farbenhersteller werden die Rezepturen kontinuierlich weiterentwickelt: für mehr Haltbarkeit, mechanische Beständigkeit und Farbkonstanz über einen längeren Zeitraum. Auf die Ergebnisse der nächsten Jahre darf man also gespannt sein. Susanne Mandl, Fachjournalistin 4 Keimfarben gibt für seine mineralischen »Fassadenklassiker« 20 Jahre Farbtongarantie. www.ausbauundfassade.de Foto: Keim 29