o-ton.stefan piendl Lokales A&R und zeitgenössische Musik im Fokus „Wir wollen unsere Nummer-zwei-Position ausbauen“ Köln – Seit dem Merger von Sony und BMG hatte der ehemalige Leiter von BMG Classics viel Zeit. Nun kehrte Stefan Piendl zu EMI Classics in den neu geschaffenen Posten eines Managing Directors zurück. Sein Ziel: Die verlorenen Marktanteile von EMI Classics wieder zurückzugewinnen. Sein erstes Interview gab er MusikWoche. MW: Sie sind „heimgekehrt“ zu EMI. Was hat Sie gereizt, was schreckte Sie ab? Piendl: Ich arbeite jetzt seit 15 Jahren für Majors, habe in dieser Zeit sehr viel Schönes erlebt und hatte das eine oder andere Erlebnis, auf das ich hätte verzichten können. Trotzdem habe ich eine enge Bindung an diese Branche und eine ungebrochene Faszination für klassische Musik, beides reizt mich nach wie vor. Für und mit dieser Musik und diesen Künstlern zu arbeiten, ist meine Motivation. Insofern ist man nach 15 Jahren auch etwas abgehärtet und nicht mehr leicht zu schrecken. Und was mich natürlich bei EMI Classics und Virgin Classics gereizt hat, ist diese starke Verpflichtung gegenüber der Klassik, die man sowohl in Deutschland als auch in London und Paris bei Virgin spürt. Klassische Musik an sich ist hier nie in Frage gestellt worden. Das kenne ich auch anders, um es mal harmlos zu formulieren. Nicht alle Majors haben sich zu jeder Zeit zu ihren Klassikabteilungen bekannt. MW: Die Erfolge in den Charts zeigen, dass Klassik verkaufen kann, oder? Piendl: Gerade in den vergangenen Wochen waren teilweise sechs, sieben Klassiktitel in den Longplay-Charts, auch von uns. Das zeigt, dass es ein beachtliches Potenzial für die Stars der Klassik gibt. Um ehrlich zu sein: Es hat allerdings auch etwas mit der Entwicklung der Verkaufszahlen der Pop-CDs zu tun. MW: Welchen Marktanteil hat EMI Classics am deutschen Klassikmarkt? Piendl: Über vernünftige Marktanteile Klarheit zu bekommen ist in Deutschland fast unmöglich, zum einen wegen der unterschiedlichen Erhebung von GfK und IFPI und zum anderen, weil jeder etwas 16 anderes meldet. Wir haben bei der GfK einen Marktanteil von sieben Prozent am Gesamtmarkt im reinen Klassiksegment – ohne Soundtracks, Jazz und so weiter. MW: Wie lief das vergangene Jahr für EMI Classics? Piendl: Das EMI-Geschäftsjahr geht Ende März zu Ende. Der Umsatz von Virgin Classics wurde zum Beispiel von Stephanie Haase und ihrem Team im vergange- Will zeitgenössische Musik stärken: Stefan Piendl nen Jahr verdoppelt. Das ist ein schöner Erfolg, den wir weiter ausbauen wollen. Die Klassik ist auch bei EMI profitabel. Es ist leider ein nur schwer ausrottbares Klischee, mit Klassik könne man kein Geld verdienen. Meine Erfahrung ist eine durchaus positive. Die Klassikbereiche müssen in der Regel den Vergleich nicht scheuen. Klassik verkauft sich nun mal über einen relativ langen Lebenszyklus und ist ein sehr internationales Geschäft. MW: Wo wollen Sie in fünf Jahren sein? Piendl: Es ist unser erklärtes Ziel, Marktanteile zurückzuerobern – so bald wie möglich, nicht erst in fünf Jahren. Die EMI lag vor zwei Jahren ungefähr bei zwölf bis 13 Prozent, da wollen wir wieder hin. MW: Finden Sie es da nicht schade, dass Rolando Villazón zu Universal wechselt? Piendl: Es ist natürlich ein hartes Los, dass man immer mal wieder Künstler verliert, meist in Richtung Universal. Das ist nun mal die Anziehungskraft, die der Marktführer ausübt. Doch es gibt noch drei Villazón-VÖs bei uns: eine DVD mit Anna Netrebko, „Liebestrank“, aus der Staatsoper Wien, eine Monteverdi-Oper mit Natalie Dessay und Emmanuelle Haim als Dirigentin und zum Abschluss erscheint ein Latin-Album im Frühjahr 2007. Die Villazón-Zeit ist für uns also noch lange nicht abgeschlossen. MusikWoche: Wie kam es zur neu geschaffenen Position des Managing Directors bei EMI Classics? Stefan Piendl: Bei EMI war international immer ein starkes Engagement für Klassik sichtbar. Natürlich standen die Plattenfirmen in den vergangenen Jahren erheblich unter Druck, was sich auch in den Klassikabteilungen bemerkbar machte, personell wurden der Klassik mancherorts die Flügel sehr gestutzt. Das ging auch an EMI nicht spurlos vorbei. Doch jetzt möchten wir hier wieder deutliche Akzente setzen und die Aktivitäten im Klassiksegment intensivieren. Das ist einer der Gründe, warum ich sehr gerne zur EMI zurückgegangen bin: das kontinuierliche Commitment für die klassische Musik. MW: Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer Arbeit? 11/2006 stefan piendl.o-ton Piendl: Einer ist sicherlich, sich um neue le Künstler unter Vertrag zu nehmen. Das Kompositionen und neue Komponisten zu ist auf jeden Fall einer der Bereiche, in dekümmern: Zum einen um die, die man nen wir uns verstärkt engagieren werden. MW: Welche Kriterien müssen die Künstler unter „akademischer“, avantgardistischer Musik versteht wie Thomas Adès bei EMI erfüllen, um einen Vertrag zu bekommen? Piendl: Sie müssen dem internationalen Classics oder Qigang Chen bei Virgin Classics; zum anderen um Komponisten wie Wettbewerb standhalten und ein internaKarl Jenkins, der zum Beispiel in England tionales Profil sowie hohes künstlerisches mit seinem Requiem und „The Armed Potenzial haben. Man kann auf Dauer Man“ Verkaufszahlen von Popstars erreicht. nicht nur für den deutschen Markt produMW: Wobei manche zeitgenössischen zieren, sondern sollte etwas aus ihm herKompositionen nicht unbedingt masaus entwickeln. Das hat sehr viel mit der sentauglich sind. Wie Präsenz eines Künstlers in „Als Plattenmensch wählen Sie aus? anderen Ländern zu tun. Piendl: Wir haben ein inUnd die steht und fällt mit interessiert mich einem internationalen teressantes Phänomen, das Publikum“ wenn’s um neue Musik Management, das ein Künstler haben muss. geht: Erreicht sie ein groKünstler allein über eine CD in einem anßes Publikum, hat sie in den Feuilletons deren Land zu etablieren, ist schwierig. einen schlechten Stand. Umgekehrt ignoDas merken wir auch an Künstlern aus anrieren CD-Käufer weitgehend die Werke, deren Nationen in Deutschland. Die Leute die im Elfenbeinturm gefeiert werden. Als möchten jemanden früher oder später Plattenmensch interessiert mich in letzter auch live erleben, und zwar die MedienKonsequenz das Publikum, das bei einem profis sowie Musikliebhaber, KonzertKarl Jenkins und seinem Projekt Adiemus gänger und CD-Käufer. zuschlägt und dem diese Musik gefällt, geMW: Welches Potenzial sehen Sie im rade weil sie eingängig ist. Dazu muss man Onlinebereich? stehen, und diesen Markt wollen wir bePiendl: Der internationale Katalog von dienen, zum Beispiel mit einer „Essential EMI Classics ist komplett digitalisiert. Collection“, die am 17. März erscheint. MW: Legen Sie Ihren Schwerpunkt auf Das Problem ist eher, diesen Wahnsinnsden deutschen Markt? Datenberg bei Apple & Co. auch schnell Piendl: Meine Zuständigkeit ist auf verfügbar zu machen, was natürlich für Deutschland zugeschnitten, wobei wir den die Zukunft sehr wichtig ist. MW: Wo steht EMI Classics beim Majorkompletten internationalen Künstlerstamm von EMI Classics und Virgin ClasRanking? Piendl: Wenn ich mir den Künstsics hier vertreten. Zudem wollen wir in Deutschland wieder behutsam Zeichen lerstamm und das Engagesetzen mit lokalem A&R und deutschen ment für die Klassik anProduktionen, die dann idealerweise auch schaue sowie die Anüber internationales Potenzial verfügen. zahl der NeuveröffentMW: Heißt das, Sie wollen im Bereich lichungen im Bereich A&R wieder aktiv werden? Core-Klassik vergleiPiendl: Wir haben sogar den klaren Aufche, dann ist für mich trag, in einem gewissen Rahmen nationadie EMI nach wie vor die Nummer zwei, mag Sony BMG auch durch den Merger zurzeit in manchen Ländern vielleicht einen höheren Umsatz erzielen können. Es ist unser Ziel, an dieser Nummer-zwei-Position für EMI Classics und Virgin Classics zu arbeiten. Universal lässt sich in seiner Rolle als Klassik-Marktführer einfach nicht ernsthaft attackieren. MW: Wie viele Veröffentlichungen planen Sie in diesem Jahr? Piendl: EMI Classics und Virgin Classics bringen rund 60 Neuproduktionen auf den Markt, und zwar „echte“ Klassik und viele Debüts junger Künstler, für die es sogar eine eigene Reihe bei uns gibt. Das ist viel. Und das belegt unseren Anspruch auf unsere Positionierung und wird sich schließlich auch in den Marktanteilen und Chartspositionen widerspiegeln. zur person Stefan Piendl begann seine Karriere 1991 als Verkaufsleiter Klassik bei Sony Music. Vier Jahre später wechselte er zu EMI, wo er die Position des Marketing Director für EMI Classics/Virgin Classics einnahm. Im September 1998 trat er seine Position als Geschäftsführer bei BMG Ariola Classics in München an und verantwortete ab 2003 als Senior Vice President & COO auch das internationale Klassikgeschäft der BMG. Im Januar 2006 übernahm er die Leitung von EMI Classics Deutschland. Piendl engagierte sich für die Etablierung des Echo Klassik, der Klassik Komm. und der Klassik-Charts. Darüber hinaus ist er Mitglied des Präsidiums des Deutschen Musikrats. 11/2006 17