Unter der Hördusche 40 Lautsprecher bilden ein Orchester: Wie klingt das? E in Orchester aus Lautsprechern? Sind dann anstelle der Musiker nur Boxen auf der Bühne? Und wie klingt das eigentlich? LisztMagazin-Autorin Julia Ackermann ging diesen Fragen bei einem Besuch im Studio für elektroakustische Musik (SeaM) nach. Das gemeinsam von der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar und der Bauhaus-Universität Weimar genutzte SeaM hat zwei Standorte: Im Produktionsstudio im Fürstenhaus entstehen die Kompositionen, im Werkstattstudio in der Coudraystraße (rechts im Bild) können diese aufgeführt werden. Beim Betreten des Werkstattstudios des SeaM befindet man sich plötzlich inmitten eines Waldes aus Lautsprechern: große, kleine, hohe, niedrige, runde, eckige. Auf den ersten Blick scheinen sie völlig durcheinander zu stehen. Beim genaueren Blick fällt aber auf, dass sie nach einem bestimmten System im Raum verteilt sind: Da stehen große Lautsprecher in den Ecken für weit entfernte Klänge; für sehr nahe Klänge hängen kleine Lautsprecher über den Stuhlreihen – und gegen die Wand gerichtete Lautsprecher lassen den Raum größer erscheinen. Bei einem Konzert mit dem Lautsprecherorchester werden die einzelnen Klänge einer elektroakustischen Komposition auf über 40 Lautsprecher verteilt – und zwar grundsätzlich live. Deshalb kann man auch von dem Lautsprecherorchester als einem Instrument sprechen, auf dem die Stücke immer anders interpretiert werden können. „Die vielen Kabel, Lautsprecher und technischen Geräte sollen nicht darüber hinweg täuschen, dass es hier um Musik geht“, betont Robin Minard, Professor für Elektroakustische Komposition an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar. Licht aus – Ohren auf Ein elektroakustisches Werk aus zwei Stereo-Boxen oder aus den 40 Boxen des Lautsprecherorchesters zu hören, ist ein Unterschied wie Tag und Nacht. Und zwar im wörtlichen Sinn, denn bei Konzerten mit Lautsprecherorchester wird grundsätzlich das Licht ausgemacht. Die Lautsprecher sind also nicht die Akteure dieses „Orchesters“, sie sind gar nicht zu sehen. Die Musik soll keine konkrete Quelle haben, nur die Wahrnehmung des Klangs ist wichtig. Der Konzertbesucher wird auch nicht abgelenkt durch den Fleck auf der Krawatte des Geigers oder durch die expressiven Bewegungen der Flötistin. Am besten schließt man im abgedunkelten Raum die Augen, um ganz bewusst und konzentriert zu hören. „Wir Elektroakustiker nennen das ‚reduziertes‘ oder ‚reines‘ Hören. Die semantischen Assoziationen sollen dabei ausgeblendet werden. Ganz ausschalten kann man sie natürlich nicht, deshalb spielen Komponisten elektroakustischer Musik zum Teil auch ganz bewusst mit ihnen“, erklärt 46 Liszt - Das Magazin der Hochschule 2011 | Con spirito: Wissenswertes Sebastian Peter, Master-Student der elektroakustischen Komposition an der Weimarer Musikhochschule. War das da gerade ein vorbeifahrender Zug? Und jetzt plötzlich: Möwengeschrei! Doch beim tieferen Eintauchen in die Klanglandschaften werden diese Klänge tatsächlich abstrakt und stehen nicht mehr für das Gegenständliche. Als Hörer des Lautsprecherorchesters wird man in die Musik einbezogen und erlebt eine ganz direkte Wirkung der Klänge auf den Körper. „Wichtig ist mir, dass dieses Hörerlebnis auch den ungeübten Hörer anspricht“, erzählt Prof. Minard. „Mit dem Schaffen von Räumen und Bewegungen in der Musik wird nämlich ein ganz natürliches Hören im Raum nachempfunden.“ Der Raum wird so zu einem musikalischen Parameter: Die Klänge sind nicht mehr nur laut oder leise, hoch oder tief, weich oder schrill. Ganz entscheidend für ihre Wirkung ist jetzt auch, ob sie nah oder fern sind und wie sie sich im Verhältnis zum Hörer im Raum bewegen. Verschiedene Klangbilder werden als Objekte im Raum verteilt. Ein Klang bewegt sich langsam von rechts nach links, ein anderer saust diagonal vorüber, und plötzlich klingt es auch von oben herab – der Zuhörer sitzt unter einer Hördusche! Virtuose am Mischpult Wenn das Licht wieder angeht, ist endlich auch der „Spieler“ oder Klangregisseur des Lautsprecherorchesters zu sehen. Sebastian Peter steht vor einem großen Mischpult, das er so präzise und schnell bedient wie ein Orgelvirtuose seine verschiedenen Manuale. Genaues Timing ist gefordert: Um die Stücke spielen zu können, muss er die Werke unbedingt auf die Sekunde genau auswendig lernen. „Wie jeder Pianist muss ich auch sehr viel an meinem Instrument üben“, berichtet Sebastian Peter aus seinem Studienalltag. „Hier in Weimar haben wir den großen Vorteil, dass uns das im Werkstattstudio fest installierte Lautsprecherorchester permanent als Übe-Instrument zur Verfügung steht.“ Das ist durchaus keine Selbstverständlichkeit. Bevor es das Werkstattstudio gab, konnte das Lautsprecherorchester jeweils nur für einige Tage im Semester aufgebaut werden. Dabei ist das Experimentieren mit verschiedenen Klängen und Raumwirkungen besonders wichtig in der elektroakustischen Komposition. „Wie Bildhauer müssen wir unsere Musik entwickeln, verändern und im Dialog mit den Klangwirkungen erarbeiten“, beschreibt Prof. Minard den Schaffensprozess. Julia Ackermann