VERANSTALTUNGSBEITRAG Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. GROßBRITANNIEN FLORIAN HARTLEB Dezember 2010 Rechtspopulismus als Dauerbrenner in der europäischen Politik? www.kas.de www.kas.de/london Populismus per se ist ein ungenauer, den schillernder und nebulöser Begriff, bei Schweizer Minaretten per Verfassung ver- Bau von ohnehin überschaubaren dem jeder, Laie wie Experte, irgendwie bieten zu lassen Selbst in Deutschland, eine zu wissen glaubt, was gemeint ist. rechtspopulismusfreie Zone, scheinen pro- Neue Parteien, die in Europa durch Er- vokante Thesen zur Integrationspolitik zu folge von sich reden machen – manche zünden, wie der erstaunliche Erfolg und die sind sogar in der Regierung vertreten – einhergehende breite Debatte um das Buch werden mit dem Etikett „populistisch“ von Thilo Sarrazin belegen. Kurzzeitig sah versehen. Seit den frühen 1980er Jah- es danach aus, dass die Rechtspopulisten ren können neuartige, in erster Linie keine Idee für die Zukunft Europas entwi- rechtspopulistische Parteien mit einer ckeln können. Die tabubrecherischen Be- Anti-Establishment-Haltung, Protest- kämpfer des Establishments sind keine Kraft themen und einer charismatischen Füh- in Brüssel bzw. im wenig bedeutsamen Eu- rungspersönlichkeit wieder ropäischen Parlament, zumal sie sich auch Wahlerfolge auf nationaler Ebene erzie- untereinander häufig nicht einig sind und len, so in Frankreich, Österreich, Ita- keine lien, den Niederlanden, Belgien, der stemmen. Nun aber scheint die antiislami- Schweiz und Skandinavien. Allein Län- sche Mobilisierung zu funktionieren. Eine der wie Großbritannien und Deutsch- neue Idee einer Festung Europas scheint land erweisen sich weitgehend als im- Gestalt anzunehmen. immer länderübergreifenden Formationen mun, obwohl oder weil es dort klassiParteien Die Gelegenheitsstrukturen für neue politi- gibt. Nach dem Systemwechsel entfal- sche Wettbewerber sind teilweise ähnlich tet der Populismus auch in Osteuropa gelagert. Spätestens im letzten Jahrzehnt seine Wirkung. sind die tradierten westeuropäischen Partei- sche rechtsextremistische ensysteme ins Rotieren geraten. Dabei ist Quer durch Westeuropa können die rechts- nicht nur vom Niedergang der sozialdemo- populistischen Herausfordererparteien aktu- kratischen Parteien die Rede, auch ihre tra- ell ditionellen Gegner, die Christdemokraten, mit offenkundiger Islamfeindlichkeit punkten. Paradebeispiel ist der charismati- beklagen ähnliche Schwierigkeiten. Quer sche Niederländer und Islamhasser Geert durch die westeuropäischen Staaten ziehen Wilders, der in den Niederlanden nun sogar sich die Instabilität der sozialen Sicherungs- die von ihm abhängige Minderheitsregierung systeme, das Unbehagen gegenüber der vor sich hertreiben kann. Auch in Österreich Europäischen Union und ihrer Erweiterung hat Haider-Nachfolger Heinz-Christian Stra- oder eine – vermeintliche bzw. tatsächliche che Wiener – Vernachlässigung nationaler Interessen. Wahlkampf dominiert. „Daham statt Islam“ Die Ursachen für den steilen Aufstieg der lautet die plumpe Parole. In der Schweiz andersartigen Parteien sind komplexer Na- trug die Schweizer Volkspartei im November tur: Antimodernismus, das Empfinden diffu- 2009 via Plebiszit entscheidend dazu bei, ser Zukunftsangst, die Furcht vor dem Ver- mit Anti-Islam-Tiraden den 2 Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. lust der materiellen und sozialen Basis, die die grundlegenden gesellschaftlichen Fragen romantisierende mit Blick auf Abtreibung und Gleichstellung Sehnsucht nach einer GROßBRITANNIEN überschaubaren Gesellschaft, ein tiefer Ver- gleichgeschlechtlicher FLORIAN HARTLEB trauensverlust in die Akteure der Politik, scheinen zumindest in Westeuropa gelöst. verstärkt durch technokratische Funktions- Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen eliten in Partei und Gesellschaft, die latente Bedingungen finden populistische Argumen- www.kas.de Angst vor dem „Fremden“, die Absenz von te gegen Zuwanderung überall in Europa WWW.KAS.DE/LONDON Wertedebatten, die Vernachlässigung von einen Zukunftsthemen, die Tabuisierung gravie- fundamentale Probleme überbordender So- render Probleme – all diese Faktoren bilden zialstaatlichkeit in simplifizierten Gleichun- den idealen Humus für die neuen populisti- gen als Migrationsprobleme deuten. Europa schen Gruppierungen. gilt gleichsam als „Insel der Glückseligkeit“, Dezember 2010 aufnahmebereiten Partnerschaften Nährboden, die die sich, um diese zu erhalten, vor ImmigPopulismus und Extremismus können, ranten aus fremden „Kulturkreisen“ schüt- müssen aber keineswegs korrelieren. zen muss. Rechtspopulistische Parteien sind Populismus markiert per se auch keinen nicht neue Faschisten, welche die Demokra- Graubereich zwischen Demokratie und Ex- tie per se aushöhlen. Die Gefahr ist subtiler, tremismus. Wer Populismus und Extremis- liegt in der Krise der etablierten Parteien. mus synonym gebraucht, macht bewusst Zu einfach wäre es für diese, die populisti- oder unbewusst einen Fehler. Populismus schen Herausforderer als verfassungsfeind- muss keine antidemokratischen und verfas- liche Extremisten zu deklarieren. sungsfeindlichen Tendenzen aufweisen. Gerade sein Pragmatismus ist sein Markenzei- Die häufigste Forderung in diesem Kontext chen. Dazu gehört auch die Verbindung besteht darin, dass die christ- undsozialde- mitunter durchaus gegensätzlicher Inhalte. mokratischen Durch seine Verteidigung libertärer Errun- sches Profil schärfer sollen. In Anbetracht genschaften hat ein Geert Wilders es ver- der gesellschaftlichen Modernisierungs- und standen, seinen spezifischen Nationalpopu- Differenzierungsprozesse stellt sich jedoch lismus über reine Xenophobie und Ressen- durchaus die Frage, ob es überhaupt mög- timents hinauszuheben, die in den Nieder- lich ist, in Anbetracht der Heterogenität der landen mit Rechtsextremen assoziiert wer- politischen Einstellungen in der Bevölkerung den. Seine Ausrichtung auf die Vereinigten für die anvisierten breiten Wählerschichten Staaten und Israel macht Wilders zu einem attraktive und zugleich markante Inhalte zu Außenseiter in der nationalpopulistischen präsentieren. Dieses Grunddilemma könnte Familie, die nicht gerade für eine exponiert den Rechtspopulismus durchaus zu einem pro-amerikanische oder pro-israelische Hal- Dauerbrenner in der europäischen Politik tung bekannt ist. machen. Thematischen Einfluss entfalten die Rechtspopulisten offenkundig im kulturellen Bereich, insbesondere in der Migrationspolitik. Die rechtspopulistischen Bewegungen agieren fiktiv als Anwälte der Einheimischen gegen die Migranten. Die kulturellen Fragen überhöhen sie mit Wertekonflikten. Daneben ergeben sich hier politische Profilierungsmöglichkeiten, die Wirtschaftsund Sozialfragen nicht mehr bieten. Auch Parteien *** ihr programmati-