Fachtag zum Thema »Ursachen und Erscheinungsformen von Extremismus unter Jugendlichen« Salafismus und radikal islamistische Bewegungen als neue Formen von Extremismus Dr. Marwan Abou Taam 20:35:24 Afghanistan Was ist „Islam“? Islam (arab. al-Islām): Unterwerfung (unter Gott) bzw. völlige Hingabe (an Gott) Der Islam 1500VC 660 1440 600 563 30AD 622 1823 1879 09:23 Weltreligionen Abraham Judentum 18 Millionen Christentum 2 Milliarden Islam 1.3 Milliarden Islam heute Etwa 1,8 Mrd. Muslime weltweit Islam ist dominierende Religion im Nahen Osten, Afrika und in Teilen Asiens Ca. 25 Mio. in Europa Ca. 4,3 Mio. in Deutschland Über 2500 Moscheen in Deutschland Der Islam Was ist „Islamismus“? • Globale Erscheinung • Politisierung der Religion • Verbindung von politischen Zielen und religiösen Überzeugungen • Islamismus ist ein Überbegriff für eine Vielzahl von unterschiedlichen (Teil-) Strömungen, wie beispielsweise der Salafismus in seinen jihadistischen und gewaltlosen Varianten. Fundamentalismus Nicht die Religion ist der Schlüssel zum Verständnis der Gesellschaft, sondern die Gesellschaft ist der Schlüssel zum Verständnis der Religiosität Fundamentalismus ist eine Reduktion religiöser Sinngehalte und Symbole zur Schaffung einer politischen Ideologie und Legitimation politischer Handlungen Struktureigenschaften Alleinvertretungsanspruch in Bezug auf absolute Wahrheiten hermetisch abgeschlossene Weltanschauung rigide Unterscheidung zwischen Gut und Böse eigenes Begriffssystem Abkehr von Demokratie und Liberalität Fundamentalismus • • • Kulturell Die Flucht des einzelnen in die „Hörigkeit geschlossener Kollektive“. Intellektuell Die Flucht aus dem offenen Diskurs in die „unbegründbaren und grundlosen Geheimnisse vermeintlicher Fundamente“ Politisch: „Metapolitik von einer absoluten göttlichen Wahrheit , die das Recht beansprucht, „den Regeln der Demokratie, enthoben zu sein.“ Fundamentalismus Fundamentalistische Konzepte sind dualistisch strukturiert Ewiger Kampf zwischen „Gut“ und „Böse“ Vereinfachung Komplexer Zusammenhänge Sakralisierung einer bestimmten Leseart der Geschichte Lineares Geschichtsverständnis Diktatur des Textes (Textgläubigkeit) Fundamentalismus keineswegs rückständige, mittelalterliche religiöse Fanatiker, sondern in den Bereichen der Technik und allgemein der quantitativen Kapabilitäten durchaus bewandert Fundamentalisten lehnen die mit den Errungenschaften der Moderne verbundenen Werte und Normen der „kulturellen Moderne“ ab. Gescheiterte Identitätsstiftung führt zu der defensiv-kulturellen Antwort des Fundamentalismus auf die westliche Moderne: Vorwurf: überkomplex, verwirrenden, dekadent korrupt, Werteverfall, Übersexualisierung, Morallos, überkapitalisiert Islamischer Fundamentalismus islamische Gesellschaften befinden sich in einer doppelten Krise: (interzivilisatorisch / intrazivilisatorisch) Konfliktbeladene Heterogenität, die nicht überwunden werden kann und immer zu Auseinandersetzungen führt. aufgrund der inneren Schwäche, die sich aus dem Versagen der Nationalstaaten, sowie den innerislamischen Zerwürfnissen können weltpolitischen Ansprüche nicht nach außen transportiert werden Fundamentalismus will dies überwinden (Rückorientierung: Utopischer Zustand des Urislams) Folgende Kernelemente des Islamismus haben aller islamistischen Strömungen gemeinsam: •„Der Islam“ ist nicht allein Glaube und Ethik, sondern begründet eine alles umfassende Lebensform, die auf Koran und Sunna (Überlieferung der Reden und Taten des Propheten) basiert. •Die Muslime bilden eine religiöse und politische Einheit (Panislamische Zielsetzung). •Die Scharia (islamisches Gesetz) stellt ein politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip dar. Alle anderen Gesetze und (Rechts)Ordnungen werden abgelehnt. •Koran und Sunna haben „Verfassungsrang“ und verbindliche Vorbildfunktion für politisches Handeln und einen zukünftigen „islamischen Staat“. Islamismus in Deutschland - 20:35:24 Etwa 1000 Gewaltbereite Islamisten 450 Kämpfer in Syrien Salafistische Bestrebungen in Deutschland Muslime in Deutschland ca. 4 Mio. Personen Salafisten in Deutschland ca.5.500 20:35:24 Radikalisierung in Deutschland • • • 20:35:24 radikalisiert eingewandert Muslime, die emotional mit Herkunftsländern verbunden sind Islamismus als Jugend-/ Protestkultur: • muslimische jugendliche • Konvertiten Ideologische Entwicklung • • • • • 20:35:24 Radikalisierungsprozess verläuft nicht notwendigerweise linear Radikalisierung kann rasch erfolgen äußere Einflüsse innerer Prozess der „Selbstradikalisierung“ Diskurs ist eine verzerrte und einseitige Darstellung aktueller und vergangener Ereignisse Homegrown-Terrorismus Blackbox mit vielen unbekannten!! Input Jugendliche Konvertiten Soziale Problemlagen Politische Überzeugung gruppendynamische Prozesse Identitätskonflikt ökonomische Problemlagen 20:35:24 Ideologie Homegrown Terrorism Religiöse Überzeugung Zeit Output Ideologische Entwicklung Daw´a Konflikt/ Deprivation Selbstbestimmung innerhalb der Umma Änderungswille Djihad/ Kampf Djihad-Salafia/ Segregation „Prädradikalisierung“ „Identifizierung“ „Indoktrinierung“ „Manifestation” Kommunikation durch Aggression • • • 20:35:25 Immer mehr psychische und sozial unsichere und irritierte Jugendliche haltlosen und unstrukturierten Familienbeziehungen Freizeitgestaltung: gewalthaltige Medienangebote Konflikt der Jugend mit der Gesellschaft • Soziale und ökonomische Problemlagen: • • • • Identitätskonflikt • • 20:35:25 mangelnde Deutschkenntnisse Bildungs- und Qualifikationsdefizite Einkommensunterschiede Arbeitslosigkeit Mangelnde Anerkennung biographische Brüche Kulturbrüche Nachgeborenenphänomen • unter jungen muslimischen Zuwanderern der zweiten und dritten Generation haben sich verbreitet: – – – 20:35:25 Ausgrenzungserfahrungen • Demütigungsgefühle • gesellschaftliche Diskriminierungserfahrungen • schulische und berufliche Misserfolgserlebnisse • Frust, Wut, Hass Underdog-Mentalität • Resignation • Konflikte mit Autoritäten (Eltern, Lehrer, Polizei) Wunsch nach starken Erlebnissen • Rückzug in die eigenen „peer groups“ • Leben in der Subkultur nach eigenen Regeln Fehlende Integration/„ethnische Zuflucht“ in die globale Umma • • • 20:35:25 Selbstethnisierung/ Konservierung kultureller Partikularität Mechanismus der Selbstwerterhöhung = Menschen sind bestrebt positiv bewerteten Gruppen anzugehören : • positive personale Identität • positive soziale Identität neue Solidarisierungsformen mit einer großen abstrakten sozialen Gruppe (islamische Umma) • Solidarisierung mit „muslimischen“ Brüdern weltweit • Dadurch wirkt die Welt: • „verständlich“ • „stimmig“ • „geordnet“ Identität und Salafismus • Es werden eigens relevante Bewertungsdimensionen geschaffen • Überlegenheit der eigenen Gruppe • Moralische Unterlegenheit der Fremdgruppen • • • • 20:35:25 Wenn Menschen nicht in die Aufnahmegesellschaft integriert werden, entstehen extreme Gruppenidentitäten Suche nach Identität bei fehlender Integration schafft Räume für extreme Ideologien Der Salafismustaucht als Heilsideologie: unterstreicht Unterschiede hebt die „moralisch reinere“ eigene Gruppe ab Verselbstständigung einer Ideologie • • Cyber-Mufties und Hassprediger • Fatwas/ Rechtsgutachten mit ideologischem Charakter • Lancierung von Gewalt-Fatwa treiben Kosten für Präventionsmaßnahmen in die Höhe • Überdehnung staatlicher Institutionen extremistische Politisierung: • salafistische Propaganda • • 20:35:25 Deren Botschaft ist einfach und klar Das Gedankengut wird über vielfältige Kanäle verbreitet: • über Erziehungs- und Bildungsangebote • schriftliches und audiovisuelles Material, • TV-Programme • Predigten radikaler Imame • Internet Schlussfolgerung • • 20:35:25 Es kommt zur Entwicklung von Jugendgegenkulturen Homegrown-Terroristen schließen sich dem internationalen Djihadismus an: • salafistische Weltanschauung bietet die Möglichkeit, sich von der Aufnahmegesellschaft abzuspalten • Und die Aufnahmegesellschaft abzustrafen Kampf Für Demokratie gegen Extremismus • • • Integrationsdefizite sind maßgebliche Motivationsfaktoren im islamistischen Radikalisierungs- und Rekrutierungsprozess • Islamismus von Islam entkoppeln • Bundesregierung unterstützt vielfältige Aktionsprogramme zur Integration und Prävention • Dialog mit Muslime fördert Vertrauen • Kooperation mit islamischen Verbänden Gemeinsame präventive Aktivitäten mit Migrantenselbstorganisationen Polizistinnen und Polizisten mit Migrationshintergrund 20:35:25 Schlussfolgerung • • • • Sicherheitspolitik als “gesellschaftliche Querschnittsaufgabe” Integration und Festigung demokratischer Werte Kinder/Jugend im Focus der Integrationspolitik positive Bewertung der kulturellen Vielfalt, allerdings gelten Regeln für Alle: • Demokratie/ Rechtsstaatlichkeit • Grundrechte/ Menschenrechte • Pluralismus • Gleichberechtigung 20:35:25 Vielen Dank! 20:35:25 Salafismusّّا Historischer Überblick Historische Entwicklungsstufen der salafistischen Lehre: • Aḥmad Ibn Ḥanbal (gest. 855) • Taqī ad-Dīn Ibn Taimiyya (gest.1328) • Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb (gest. 1791) zurück 20:35:26 Salafiya als geistige/moralische Reformbewegung (historische Salafiya) • • • • Rückbesinnung auf den Islam werde die Muslime wieder zu alter Stärke führen Protagonisten: • Jamal ad-Din al-Afghani (1839-1897) • Muhammad Abduh (1849-1905) • Rashid Rida (1865-1935) Bild einer stark idealisierten Urgesellschaft in Medina, der der frommen Altvorderen (as-salaf as-salih) friedliche Erneuerung der Gesellschaft aus der Kraft der eigenen Tradition 20:35:26 Die neue Generation der Islamisten • verstand sich im strengen Sinne als salafiyaBewegung: • buchstabentreu am Koran und den prophetischen Aussprüchen und Traditionen orientiert • propagiert die Rückkehr zu einem Goldenen islamischen Zeitalter • Wichtigsten Werke: 20:35:26 • Sayyid Qutb • Abu al-A`la al-Maududi • Klassiker: Ibn Taimiya und Ibn Qusair Historischer Überblick Muḥammad Ibn Abd al-Wahhāb (gest. 1791) Die saudi-arabische Dominanz über den Salafismus Spaltung und Entgrenzung der salafistischen Strömungen 20:35:26 Salafismus - Grundelemente • • Glauben in Koran und Sunna • Idealisierung der Frühzeit der ersten Muslime in Mekka + Medina • Unerbittliche Versuch, Gottes Gebote wortgetreu in die Tat umzusetzen • Salafismus folgt seit seiner Entstehung einem literalistischen Verständnis des Koran (das unerschaffene, unveränderbare, zeitlos geltende Wort Gottes) und wendet sich gegen Ansätze historisch-kritischer Hermeneutik. Tawhid: Bekenntnis, dass es nur einen Gott gibt („Einsheit/Einssein“ Gottes) : • • jegliches Handeln, das darauf hinweist, dass etwas oder jemand neben Gott verehrt oder angebetet wird, ist ein Zeichen der Häresie • Ablehnung: „Tawassul“ • Anbetung muslimischer Heiliger (islamische Mystik) Bitte um Beistand und Schuld/Sündenerlass (Interzession) • 20:35:26 Ablehnung: Besuch der Gräber von Heiligen (Ziyarat al-qubur) 2/3 Salafismus 3/3 - Grundelemente • • Takfir: Ausschluss von Muslimen • Alle Nicht-salafisten sind Ungläubige (auch „Moslems“) • Bekämpfung im Djihad Manhağ / Methode: „al-ittiba‘ wa zam al-ibtida‘“ (die Befolgung [sakraler Texte] und die Missbilligung der Einführung unstatthafter Neuerungen) • Keine islamische Philosophie • Rechtsfindung durch naql (Orientierung an den überlieferten Traditionen und dem Koran) steht weit vor der Rechtsfindung durch den ‘aql (menschlichen Intellekt). „Demonstrative Rechtleitung“ (al-haddī aẓ-ẓāhir) . (Selbst)Verpflichtung zu daʿwa (Missionierung/Einladung zum Islam) • al-walāʾ wal-barāʾa (Treue und Bruch) 20:35:26 zurück Zeitgenössische salafistische Strömungen • • • • Rein quietistische Strömungen (Bsp. al-Albānī: at-tazkiyya wattarbiyya) Staatstragende Strömungen (Bsp. Saudi-Arabien: Ibn Bāz, Ibn alUṯaimīn, Ibn Ğibrīn) Aktivistische Strömungen (Bsp. salafistische Parteien in Kuwait, Ägypten) Jihadistische Strömungen (Bsp. GPC/al-Qaida) zurück 20:35:26