With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”

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SMF – FMS Schweizerisches Medizin-Forum – Forum Médical Suisse – Forum Medico Svizzero – Forum Medical Svizzer
Swiss
Medical Forum
47 23. 11. 2016
1019 W. Jungraithmayr,
D. Schneiter, A. Soltermann, et al.
Diagnose und Therapie
des Thymuskarzinoms
1029 T. Rauer, S. Hürlimann,
T. Krüger, et al.
Akrale Metastasierung
1032 S. Rudolf
Ein nicht alltäglicher
Tumor …
With extended abstracts from “Swiss Medical Weekly”
Themenschwerpunkt
Onkologie
Offizielles Fortbildungsorgan der FMH
Organe officiel de la FMH pour la formation continue
Bollettino ufficiale per la formazione della FMH
Organ da perfecziunament uffizial da la FMH
www.medicalforum.ch
1009
INHALTSVERZEICHNIS
Redaktion
Beratende Redaktoren
Prof. Dr. Nicolas Rodondi, Bern (Chefredaktor); Prof. Dr. Stefano Bassetti,
Prof. Dr. Reto Krapf, Luzern; Dr. Pierre Périat, Basel;
Basel; Dr. Ana M. Cettuzzi-Grozaj, Basel (Managing editor);
Prof. Dr. Rolf A. Streuli, Langenthal
Prof. Dr. Martin Krause, Münsterlingen; Prof. Dr. Klaus Neftel, Bern;
Prof. Dr. Antoine de Torrenté, La Chaux-de-Fonds; Prof. Dr. Gérard
Waeber, Lausanne; PD Dr. Maria Monika Wertli, Bern
Advisory Board
Dr. Daniel Franzen, Zürich; Dr. Francine Glassey Perrenoud,
La Chaux-de-Fonds; Dr. Markus Gnädinger, Steinach;
Dr. Matteo Monti, Lausanne
Und anderswo …?
A. de Torrenté
1011 Dupilumab bei unzureichend eingestelltem Asthma
Übersichtsartikel AIM
C. Balmelli, S. Hofer, K. Conen
1012
Maligne Hyperkalzämie
Eine maligne Hyperkalzämie kann bei allen Tumorentitäten auftreten und wird mit einer
Inzidenz von 10–30% angegeben. Die klinischen Symptome sind in der Regel unspezifisch und
infolge von Multimorbidität im Kontext der Krebsdiagnose nicht immer einfach zuzuordnen.
Auch wenn heutzutage wegen des frühen Einsatzes von antiresorptiven Therapien bei
Knochenmetastasen die Inzidenz vermutlich gesunken ist, bleibt die maligne Hyperkalzämie
eine onkologische Notfallsituation.
Übersichtsartikel
W. Jungraithmayr, D. Schneiter, A. Soltermann, T. Frauenfelder, W. Weder
1019
Diagnose und Therapie des Thymuskarzinoms
Thymuskarzinome machen etwa ein Fünftel aller Thymustumoren aus. Im Gegensatz zu den
Thymomen weisen sie keine organtypische Morphologie mehr auf, zeigen ein aggressiveres
Verhalten und haben eine wesentlich schlechtere Prognose. Ein multidisziplinärer Behandlungsansatz ist angezeigt, wobei die primär chirurgische Tumorentfernung die wichtigste Rolle spielt.
Fallberichte
E. Wohlfarth, S. Berezowska, A. Pöllinger, T. Geiser, M. Funke
1026
Trockener Husten und Leistungsknick
Ein 36-jähriger Apparatebauer stellt sich initial wegen Anstrengungsdyspnoe, atypischer
linksthorakaler Schmerzen und Leistungsintoleranz bei seinem Hausarzt vor.
Die Lachtherapie für Ihr Wartezimmer!
Christophe Badoux
KRANK GESCHRIEBEN
ISBN 978-3-03731-153-0
48 Seiten, farbig
15 19 cm, Hardcover
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in der Rubrik „Bücher“.
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EMH Schweizerischer Ärzteverlag AG
Farnsburgerstrasse 8, CH-4132 Muttenz
1010
INHALTSVERZEICHNIS
Fallberichte
T. Rauer, S. Hürlimann, T. Krüger, A. Rindlisbacher, M. Zünd
Akrale Metastasierung
1029
Ein 70-jähriger Patient mit einer peripheren Polyneuropathie bei einem nicht insulinpflichtigen
Diabetes mellitus Typ II sowie einem chronischen Alkoholabusus stellte sich mit einer neun Tage
alten Quetschwunde des linken Ringfingers auf der Notfallstation vor.
S. Rudolf
Ein nicht alltäglicher Tumor …
1032
Eine 63-jährige Patientin stellte sich neu beim Hausarzt vor, da sie seit einiger Zeit unter
Antriebslosigkeit und Konzentrationsstörungen litt. Sie sei teilweise «abwesend», verliere sich
in der Zeit, ausserdem sei sie immer müde.
Extended abstracts from SMW
New articles from the online journal “Swiss Medical Weekly” are presented after page 1034.
Eine berndeutsche Weltreise
Gerhard Binggeli
¡ O DAS NO
‹I Bsinne mi› Bd. 2
Erstausgabe August 2015
Klappenbr., 13 × 21 cm, 147 Seiten
inkl. CD mit 20 Geschichten
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CHF 29.– / EUR 29.–
Zytglogge Verlag
Der neue Band von Gerhard Binggeli versammelt seine Mundart-Kolumnen, die jede Woche im ‹Bund› erscheinen. Es sind Trouvaillen
der Erinnerung, Anekdoten aus seinem Leben. Mit wachem, heiterem Blick macht der Autor auf unscheinbare Details aufmerksam,
weckt Fernweh und Neugierde. Ein Büchlein, das nicht ausgelesen ist, das man immer wieder hervornehmen kann, um darin zu
schmökern. Ihm ist eine CD beigelegt, auf der 20 ausgewählte Kolumnen, vom Autor gelesen, zu hören sind.
Zytglogge Verlag | Steinentorstrasse 11 | CH-4010 Basel
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und der Schweizerischen Gesellschaft
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1011
UND ANDERSWO …?
Und anderswo …?
Antoine de Torrenté
Fragestellung
20–25% der 250 Millionen Asthmatiker weltweit sind mit einer Behandlung, die aus inhalativen oder systemischen Steroiden und
Beta-2-Sympathikomimetika besteht, unzureichend eingestellt. Sie haben ein hohes Exazerbations-, Hospitalisations- und sogar Sterberisiko. Interleukin 4, 5 und 13 sind sowohl an
der Pathophysiologie von Asthma als auch
von atopischer Dermatitis und chronischer
Sinusitis mit Nasenpolypen beteiligt. Dupilumab ist ein monoklonaler humaner Antikörper, der die Interleukin-4-Rezeptor-alphaUntereinheit blockiert. Auf diese Weise wird
der Signalweg von Interleukin 4 und 13 unterbrochen. Bei atopischer Dermatitis und chronischer Sinusitis mit Nasenpolypen hat Dupilumab bereits einen Nutzen gezeigt. Wie wirksam und sicher ist es bei durch inhalative
Steroide und langzeitwirksame Beta-2-Sympathikomimetika unzureichend eingestelltem
Asthma?
Asthma, das gemäss den Kriterien der Global
Inititative for Asthma 2009 diagnostiziert
und mit einer mittleren oder hohen Dosis inhalativen Fluticasons oder eines vergleichbaren Medikaments sowie einem Beta-2-Sympathikomimetikum behandelt wurde. Ihre FEV1
während des Screenings betrug vor Bronchodilatation 40–80% des Vorhersagewerts. Im
Vorjahr mussten die Patienten mit systemischen Steroiden behandelt oder in die Notaufnahme eingewiesen worden sein. Die Studie
umfasste drei Phasen: 14–21 Tage Screening,
24 Wochen Behandlung mit Dupilumab oder
Plazebo und 16 Wochen Nachbeobachtung. Es
wurden 776 Patienten eingeschlossen. Zusätzlich zu ihrer Standardbehandlung beendeten
146 die Behandlungsphase mit Plazebo, 135
mit 200 mg Dupilumab alle 4 Wochen, 142 mit
300 mg Dupilumab alle 4 Wochen, 137 mit
200 mg Dupilumab alle 2 Wochen und 149 mit
300 mg Dupilumab alle 2 Wochen. Primäres
Endziel war die Veränderung des FEV1 in Woche 12 der Behandlungsphase. Als sekundäre
Endpunkte wurden u.a. schwere Exazerbationen (Gabe systemischer Steroide oder Hospitalisation) erfasst.
Methode
Die Studie wurde in 174 Zentren weltweit
durchgeführt. Die Patienten waren >18 Jahre
alt, litten seit mindestens 12 Monaten an
Resultate
Die Studie zeigte zahlreiche beeindruckende
Resultate. Die wichtigsten: Insgesamt wiesen
die Verumgruppen eine signifikante Verbes-
Alendronat und atypische Frakturen
Eine dänische Studie bezüglich einer mindestens 10-jährigen Alendronat-Therapie hat bei
Patienten, welche die Behandlung über 10 Jahre
erhielten, einen Rückgang der Hüftfrakturen
um 30% gezeigt. Eine Schätzung der Frakturrate nach 10 Jahren ergab, dass 38 Patienten
behandelt werden müssen, um eine Fraktur
zu vermeiden und fast 1500 Patienten, um
eine atypische Fraktur zu beobachten. Das
Nutzen-Risiko-Verhältnis scheint also eindeutig für die Behandlung zu sprechen …
Abrahamsen Bo, et al. BMJ. 2016;353.
doi: http://dx.doi.org/10.1136/bmj.i3365.
den schwachen Patienten betrug die Sterblichkeit einige Tage postoperativ 13,6 gegenüber 4,8%. Eine amerikanische Studie an
230 000 Patienten hatte bereits einen starken
Anstieg der 30-Tagesmortalität von 9,4 vs.
0,6% nach einer Kolektomie gezeigt. Vielleicht
lohnt es sich, einige Monate zu warten, um
schwache Patienten, z.B. durch bessere Ernährung, optimal auf die Operation vorzubereiten.
McIsaac DI, et al. JAMA Surg. 2016;151(6):538–45.
http://dx.doi.org/10.1001/jamasurg.2015.5085.
Dupilumab bei unzureichend
eingestelltem Asthma
Schwäche und postoperative Sterblichkeit
Eine kanadische Studie hat die postoperative
Mortalität 30 Tage und ein Jahr nach elektiven, nicht kardiovaskulären Operationen bei
schwachen >65-jährigen Patienten untersucht. Schwäche war nach den Kriterien der
Johns Hopkins University definiert (Mangelernährung, Demenz, Gangunsicherheit …). 3%
der 200 000 Patienten litten an Schwäche. Bei
Kniegelenkserguss bei Arthrose:
eine überraschende Behandlung!
~40% der >60-Jährigen leiden an Kniegelenksarthrose. Diese geht oft mit einem Kniegelenkserguss einher, der eine Bewegungseinschränkung und Schmerzen verursacht.
200 Patienten, bei denen der Kniegelenkserguss <30 Tage bestand, erhielten entweder
50 mg Spironolacton, 3 × tägl. 400 mg Ibuprofen, 2 × tägl. 10 Minuten lang kalte Kompressen oder ein Plazebo. Bei 86% der Patien-
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2016;16(47):1011
serung der FEV1 von 18% auf und die Patienten, die alle 2 Wochen 300 mg Dupilumab
erhielten, hatten ein um 70% verringertes
Hospitalisationsrisiko. Der NO-Gehalt in der
Ausatemluft, ein Marker für die Bronchialentzündung, war um 40% gesunken. Die Gabe im
Abstand von 2 war wirksamer als die im Abstand von 4 Wochen. Die Nebenwirkungen
waren in allen Gruppen identisch.
Kommentar und Probleme
Die Studie ist extrem komplex, da die Patienten ausser für die Suche nach der wirksamsten Dupilumab-Dosis noch entsprechend ihrer Eosinophilenzahl im Blut stratifiziert wurden (> oder <300 Eosinophile/µl). Dupilumab
wirkt unabhängig vom Eosinophiliegrad, was
bei anderen Asthmabehandlungen mit Biologicals wie Reslizumab nicht der Fall ist. Letzteres hemmt Interleukin 5, einen Mediator
der Eosinophilensynthese. In Zukunft muss
die Wirksamkeit von Dupilumab bei Patienten unter systemischen Steroiden, die bei
den schwersten Asthmaformen zur Anwendung kommen, evaluiert werden. Mit grosser
Wahrscheinlichkeit wird Dupilumab jedoch
seinen Platz in der Behandlung von mit klassischer Therapie unzureichend eingestelltem
Asthma finden. Bei atopischer Dermatitis ist
das Medikament bereits zugelassen.
Wenzel S, et al. Lancet. 2016;388(10039):31–44.
ten unter Spironolacton, 36% unter Ibuprofen,
42% unter kalten Kompressen und 16% unter
Plazebo war der Kniegelenkserguss im Ultraschall nicht mehr sichtbar. Erstaunlich, der
Wirkmechanismus ist jedoch unbekannt. Und
andere Diuretika?
Elsaman AM, et al. J Rheumatol. 2016;43(6):1114–20.
http://dx.doi.org/10.3899/jrheum.151200.
Wie das Mikrobiom Adipositas
begünstigen könnte …
Bestimmte Darmbakterien kommen bei adipösen Patienten häufiger vor. Einige dieser
Bakterienstämme (Firmicuten) produzieren,
insbesondere bei fettigen Mahlzeiten, kurzkettige Fettsäuren und Acetat. Acetat regt die
Insulin- und Ghrelinsekretion (Hungerhormon) an. Die Abtötung dieser Keime durch
Antibiotika verringert die Gewichtszunahme.
Zwar wurde dies bei Ratten beobachtet, letztendlich ist der Unterschied zum Menschen
jedoch gering …
Perry RJ, et al. Nature. 2016;534:213–7.
http://dx.doi.org/10.1038/nature18309.
1012
ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
Eine onkologische Notfallsituation
Maligne Hyperkalzämie
Dr. med. Catharina Balmelli a , Dr. med. Silvia Hofer b , Dr. med. Katrin Conen a
a
Medizinische Onkologie, Universitätsspital Basel; b Medizische Onkologie, Luzerner Kantonsspital
Eine maligne Hyperkalzämie kann bei allen Tumorentitäten auftreten und wird
mit einer Inzidenz von 10–30% angegeben. Die klinischen Symptome sind in der
Regel unspezifisch und infolge von Multimorbidität im Kontext der Krebsdiagnose
nicht immer einfach zuzuordnen. Auch wenn heutzutage wegen des frühen Einsatzes von antiresorptiven Therapien bei Knochenmetastasen die Inzidenz vermutlich gesunken ist, bleibt die maligne Hyperkalzämie eine onkologische Notfallsituation.
Einführung
Die maligne Hyperkalzämie wurde erstmals 1921 beschrieben und ist definiert durch eine erhöhte Kalziumkonzentration im Serum bei gleichzeitigem Vorliegen eines Malignoms. Sie wird mit einer Inzidenz von
ca. 10–30% beschrieben und stellt damit eine der häufigsten tumorinduzierten Stoffwechselkomplikationen dar [1, 2]. Während vor wenigen Jahren die Inzidenz
der tumorassoziierten Hyperkalzämie noch höher war,
wird heute von einer deutlich gesunkenen Inzidenz
ausgegangen [2–4]. Dies ist vor allem auf den frühzeitigen Einsatz von Bisphosphonaten beziehungsweise Denosumab bei Nachweis von Knochenmetastasen zurückzuführen. Internationale Richtlinien publiziert
von der Amerikanischen Gesellschaft für klinische Onkologie (ASCO) [5] und der Europäischen Gesellschaft
für Medizinische Onkologie (ESMO) [6] empfehlen den
Beginn einer antiresorptiven Therapie, sobald Knochenmetastasen gefunden werden, mit dem Ziel, die
Inzidenz sogenannter skelettabhängiger Ereignisse
(«skeletal-related events», SREs), die in Zulassungsstudien antiresorptiver Medikamente als Endpunkt sub-
Catharina Balmelli
sumiert werden, zu senken. Eine Ausnahme bildet
onkologisches Notfallereignis zu betrachten, das bei
das hormonsensitive Prostatakarzinom, wo ein früher
fehlender Behandlung lebensbedrohlich ist. Eine mali-
Einsatz von antiresorptiven Medikamenten keinen
gne Hyperkalzämie kann grundsätzlich bei allen Tumor-
Vorteil bringt. Unter den Begriff der SREs fallen patho-
erkrankungen auftreten [2, 3]. Die häufigsten zugrunde
logische Frakturen, spinale Kompression, der Bedarf
liegenden Tumorerkrankungen sind in Tabelle 1 aufge-
einer Radiotherapie oder Operation am Knochen und
führt.
eben die maligne Hyperkalzämie. In diesem Kontext
Der Nachweis einer malignen Hyperkalzämie bei Kar-
wird die Inzidenz der malignen Hyperkalzämie mit ca.
zinompatienten ist prognostisch ungünstig. Eine ältere
10% beschrieben [7, 8]. Auch wenn somit von einer ge-
Studie zeigt, dass ca. 50% dieser Patienten innerhalb
nerellen Reduktion der Inzidenz maligner Hyperkalz-
von 30 Tagen verstarben [9]. Die Patienten erleiden
ämien ausgegangen werden kann, sind hyperkalzämi-
progressive mentale Veränderungen bis hin zum Koma
sche Entgleisungen weiterhin präsent und als ein
sowie ein Nierenversagen.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
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1013
ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
Tabelle 1: Tumorerkrankung und Häufigkeit des Auftretens
einer malignen Hyperkalzämie.
Tumorerkrankung
Häufigkeit in %
Lungentumoren
25
Mammakarzinom
20
Multiples Myelom
10
Kopf-Hals-Tumoren
8
Tumoren des Urogenitaltraktes
8
Ösophaguskarzinom
6
Gynäkologische Tumoren
5
Lymphome
4–5
3. Schliesslich wird eine maligne Hyperkalzämie auch
durch eine Mehrsekretion von 1,25-Dihydroxycholecalciferol, auch 1,25-Dihydroxy-Vitamin-D genannt,
induziert. Es ist die biologisch aktive Form von Vitamin D im Körper. Dieses wird vor allem bei Patienten mit einem Lymphom beobachtet. Ähnlich wie
bei der Sarkoidose liegt hier eine erhöhte extrarenale Bildung von 1,25-Dihydroxycholecalciferol vor.
Die Hyperkalzämie entsteht als Folge einer erhöhten intestinalen Kalziumabsorption sowie einer erhöhten Knochenresorption (Osteoklastenaktivierung) [2, 4]. Therapeutisch hat dies Konsequenzen,
da diese Form der Hyperkalzämie auf die Gabe von
Glukokortikoiden gut anspricht (s. Therapie).
Pathogenese
4. In sehr seltenen Fällen entsteht die Hyperkalzämie
Die Ursache für die maligne Hyperkalzämie ist multi-
durch eine ektope Bildung von echtem PTH durch
faktoriell. Es werden vier Typen unterschieden.
Tumorzellen. In der Literatur finden sich Einzellfall-
1. Am häufigsten (80%) tritt eine paraneoplastische
berichte diverser Tumorerkrankungen ohne Häu-
Bildung von sogenanntem Parathormon-related
fung bei einer speziellen Malignomart [10, 11].
Peptid (PTHrP) auf [1]. Man bezeichnet diesen Typ
der malignen Hyperkalzämie daher als humorale
maligne Hyperkalzämie. PTHrP wird von den Tu-
Symptome
morzellen sezerniert und besitzt eine dem PTH
Die Organsymptome, die auftreten können, sind in
ähnliche Struktur. Es bindet an einen gemeinsamen
Tabelle 2 dargestellt und unterscheiden sich wenig von
Rezeptor und führt zu dessen Aktivierung. Daher
denen eines primären Hyperparathyreoidismus. Die
sind die laborchemischen wie auch klinischen Ver-
meisten Symptome sind unspezifisch und im Gesamt-
änderungen weitestgehend vergleichbar mit dem
kontext einer komplexen fortgeschrittenen Krebser-
primären Hyperparathyreoidismus. Die Hyper-
krankung nicht immer einfach zu beurteilen. Die Pa-
kalzämie wird hierbei durch die PTH-ähnlichen Wir-
tienten schildern Müdigkeit, Durst, Polyurie, Übelkeit,
kungen auf den Knochen (erhöhte Knochenresorp-
Erbrechen, diffuse Bauchschmerzen und Obstipation,
tion) und die Nieren (erhöhte Kalziumretention)
aber auch Bewusstseinstrübungen und Desorientiert-
verursacht. Insbesondere bei Plattenepithel- und
heit. Im schlimmsten Fall stellen sich Koma und/oder
Nierenzellkarzinomen entsteht die Hyperkalzämie
akutes Nierenversagen ein. Erste Symptome treten in
über diese humorale Wirkung, und zwar auch ohne
der Regel ab Serumkalziumwerten >2,7 mmol/l auf,
Vorliegen von Knochenmetastasen.
schwere Symptome ab Werten >3,5 mmol/l. Ein solcher
2. Ein weiterer Grund für das Entstehen einer Hyper-
Zustand wird auch als hyperkalzämische Krise be-
kalzämie sind osteolytische Metastasen des Kno-
zeichnet und stellt einen akut lebensbedrohlichen
chens. Ursache des erhöhten Kalziumabbaus aus
Zustand dar.
dem Knochen ist eine Mehrsekretion von knochen-
Es wurde beschrieben, dass vor allem die neurologi-
abbauenden Zytokinen, insbesondere Interleukin 1,
schen und renalen Symptome mit steigendem Kal-
Tumornekrosefaktor (TNF), Interleukin 6 und «trans-
ziumwert korrelieren. Der Schweregrad der Symptome
forming growth factor» (TGF). Voraussetzung sind
ist aber auch abhängig vom Zeitverlauf (rascher Anstieg
multiple Knochenläsionen, typischerweise bei Mam-
versus langsamer Anstieg über Wochen), Alter (früh-
makarzinomen, Myelomen und Lymphomen [2, 4].
zeitige Verschlechterung von neurologischen Sympto-
Tabelle 2: Organsymptome der malignen Hyperkalzämie.
Gastrointestinale Symptome
Inappetenz, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Bauchschmerzen, Pankreatitis, peptische
Ulzera
Renale Symptome
Polyurie, Polydipsie, Nykturie, Exsikkose
Kardiale Symptome
Arrhythmien, QT-Verkürzung im EKG, arterielle Hypertonie
Neurologische Symptome
Müdigkeit, Adynamie, Muskelschwäche, Hyporeflexie, Verwirrtheit, Verhaltensstörung,
Depression, Bewusstseinstrübung, Koma
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2016;16(47):1012–1018
1014
ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
men bei milder Hyperkalzämie bei vorbestehenden
PTH suggeriert eine humorale maligne Hyperkalzämie.
neurokognitiven Einschränkungen bei älteren Patien-
Osteolyseassoziierte Hyperkalzämien zeigen in der Re-
ten) und Komedikation (begleitende Einnahme von Se-
gel niedrige PTH-, nicht nachweisbare PTHrP- und supprimierte Viatmin-D-Spiegel. Hingegen spricht ein er-
dativa, Neuroleptika) [2, 4].
höhtes Vitamin D mit niedrigem PTH und nicht
nachweisbarem PTHrP für eine ektope Vitamin-D-Bil-
Diagnostik
dung. Zusätzlich zur Labordiagnostik gehört ein EKG
Zur Diagnostik gehört neben Anamnese (Medika-
zum Ausschluss einer QT-Zeit-Verkürzung, eines AV-
mente [insbesondere Thiazide, Vitamin D, Calcitriol
Blocks 1. Grades und von Arrhythmien. Gegebenenfalls
und Lithium], granulomatöse Erkrankungen, 1° Hyper-
sollte eine Bilddiagnostik zum Nachweis von Knochen-
parathyreoidismus resp. 3° bei chronischer Nierenin-
läsionen erfolgen (konventionelles Röntgen, Compu-
suffzienz, Hyperthyreose, Nebennierenrindeninsuffi-
ter- und/oder Magnetresonanztomographie).
zienz) und körperlicher Untersuchung, die Messung
Eine wichtige differentialdiagnostische Besonderheit
des Kalziums, gegebenenfalls auch des ionisierten Kal-
ist das gleichzeitige Vorliegen eines Hyperparathyreoi-
ziums. Ergänzend wird eine venöse Blutgasanalyse
dismus zusammen mit einer malignen Hyperkalzämie,
und die Messung von Phosphat, Kalium, Magnesium
die bei ca. 10% aller Patienten mit maligner Hyperkalz-
und Kreatinin empfohlen. Zur Differentialdiagnose
ämie auftritt und durch ein unpassend hohes PTH
der malignen Hyperkalzämie sollten PTH, PTHrP und
auffällt. Diese Patienten zeigen in der Regel eine chro-
Vitamin D (1,25(OH)2 D3) nach dem in Abbildung 1 vor-
nische und milde Hyperkalzämie, die im Verlauf akut
geschlagenen Algorithmus bestimmt werden. Ein er-
symptomatisch werden kann, was auf eine malignom-
höhter PTHrP-Spiegel mit einem niedrig-normalen
assoziierte Hyperkalzämie hindeutet [12].
Hyperkalzämie
Ca ≥2,6 mmol/l
Milde-moderate Hyperkalzämie
Ca ≥2,6–3,4 mmol/l
Schwere Hyperkalzämie
Ca ≥3,5 mmol/l
Ggf. erneute Bestimmung von
ionisiertem Ca bei Unklarheit
umgehend
Bestätigte Hyperkalzämie:
PTH und PTHrP
parallel
Bestimmung von PTH, PTHrP,
Vitamin D und skelettale
Metastasensuche
Wenn PTH und PTHrP normal
bzw. nicht nachweisbar, Vitamin-DBestimmung und/oder skelettale
Metastasensuche
Therapiebeginn
Abbildung 1: Diagnostischer Algorithmus bei Verdacht auf maligne Hyperkalzämie.
Abkürzungen: Ca = Kalzium, PTH = Parathormon, PTHrP = Parathormon-related Peptid.
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2016;16(47):1012–1018
1015
ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
Therapeutische Überlegungen
Grundsätzlich muss dem behandelnden Arzt bewusst
sein, dass die alleinige antihyperkalzämische Therapie
nur einen kurzfristigen Effekt hat und das Überleben
des Tumorpatienten nicht beeinflusst. Daher sollte die
Bei milden Hyperkalzämien sollten baldmöglichst eine
tumorspezifische Therapie sowie supportive Massnahmen eingeleitet werden. Bei moderaten und schweren
Hyperkalzämien sind zusätzliche antiresorptive Therapiestrategien angezeigt (siehe unten).
tumorspezifische Therapie immer zuerst geprüft und
nach Möglichkeit umgehend eingeleitet werden. Gibt
es realistische Chancen, ein Tumorleiden prognostisch
Therapiestrategien im Detail
zu beeinflussen, ist die antihyperkalzämische Therapie
Die optimale Therapie einer malignen Hyperkalzämie
zur kurzfristigen Kontrolle der Situation bis zum Wirk-
basiert auf verschiedenen Behandlungspfeilern und
beginn der tumorspezifischen Therapie von grossem
wird im Folgenden erläutert. Eine Zusammenfassung
Wert. Bestehen keine solche Chancen mehr, ist das Vor-
ist in Tabelle 3 dargestellt.
enthalten oder Sistieren einer einmal begonnenen
antihyperkalzämischen Therapie ein angebrachter und
Tumorspezifische Therapie
humaner Weg, der zum Koma oder Tod führen kann.
Primär sollte der baldmöglichste Beginn einer tumor-
Gerade im Kontext der heutigen, oben genannten
spezifischen Therapie geplant werden.
frühzeitigen Therapie mit Antiresorptiva bei Knochenmetastasen sollte man das «Weglassen» dieser Behand-
Supportive Massnahmen
lung in einer terminalen Tumorsituation immer wie-
Die gezielte antihyperkalzämische Behandlung sollte
der gezielt evaluieren.
zunächst mit supportiven Massnahmen beginnen. Bei
Grundsätzlich wird zwischen drei Schweregraden der
der Evaluation von Begleitmedikamenten müssen
Hyperkalzämie unterschieden [3]:
gezielt Kalzium induzierende Stoffe wie Kalziumsup-
– mild: Kalzium: 2,6–2,9 mmol/l;
plemente, Lithium, Vitamin D und Thiaziddiuretika
– moderat: Kalzium 3,0–3,4 mmol/l;
gestoppt werden. Wird der Patient parenteral ernährt,
– schwer: Kalzium >3,5 mmol/l.
sollte eine kalziumfreie parenterale Ernährung begon-
Tabelle 3: Therapieansätze der malignen Hyperkalzämie (modifiziert nach [2]).
Intervention
Dosis
Hydratation oder Calciuresis
Volumensubstitution
NaCl 0,9% i.v. 200–500 ml/Stunde abhängig vom
kardiovaskulären und renalen Status des Patienten
Furosemid
20–40 mg i.v., nach Rehydratation
Phosphatrepletion
PO4 per oral
Bei Serum PO4 <0,97 mmol/l
Erstlinienmedikamente
Intravenös Bisphosphonate
– Pamidronat 60–90 mg i.v. alle 3–4 Wochen
oder:
– Zoledronat 4 mg iv alle 3–4 Wochen
Denosumab
120 mg s.c. 1×/Woche für 4 Wochen, dann monatlich
(keine Zulassung in der Schweiz)
Zweitlinienmedikamente
Glukokortikoide
Prednison 60 mg/Tag p.o. über 10 Tage
Calcitonin
4 IU/kg KG s.c. 12-stündlich
Supportive Ansätze
Stopp einer exogenen Kalziumzufuhr
Stopp Sedativa
Hämodialyse
Bei schwerer Niereninsuffizienz und/oder schwerer
Herzinsuffzienz
Tumorspezifisch
Gezielte tumorspezifische Behandlung zur Kontrolle
des Grundleidens so schnell als möglich beginnen
Therapieverzicht
Diskutieren bei terminalen Tumorpatienten ohne Option
für Therapie des Grundleidens
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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
nen werden. Bei Anwendung von Sedativa und Analge-
über eine Blockade der osteoklastenvermittelten Kno-
tika mit sedativer Wirkung sollte eine Umstellung auf
chenresorption [15].
weniger sedativ wirkende Medikamente geprüft werden,
Wegen ihrer hohen Potenz sind Pamidronat und Zole-
um den mentalen Zustand des Patienten zu stabilisieren.
dronat die beiden Bisphosphonate der Wahl [16]. Zole-
Da eine Hypophosphatämie eine häufige Begleiterscheinung der malignen Hyperkalzämie ist und
diese weiter verschlechtern kann, sollte der Phosphatspiegel regelmässig gemessen und zwischen
0,98–1,0 mmol/l gehalten werden (perorale Phos-
Die gezielte antiresorptive Therapie mit
Bisphosphonaten hat den grössten, in Studien
belegten therapeutischen Nutzen bei maligner
Hyperkalzämie.
phatsubstitution zum Beispiel mit Phoscap® Kapseln
dronat hat den Vorteil einer kürzeren Infusionsdauer
mit einem Phosphatgehalt von 288 mg = 3 mmol anorga-
(15 min versus 2 Stunden). Hingegen ist Pamidronat
nisches Phosphat pro Kapsel).
kostengünstiger, obwohl verschiedene generische Formen von Zoledronat mittlerweile im Handel sind (ca.
Volumensubstitution
CHF 90 versus CHF 150). Wirksamkeit wurde auch für
Ein weiterer therapeutischer Pfeiler in der antihyper-
Ibandronat und Clodronat beschrieben [9, 17, 18]. Letz-
kalzämischen Therapiestrategie ist die Volumensubsti-
tere haben in der Schweiz jedoch nur eine limitierte
tution, da die Hyperkalzämie durch einen renalen Was-
Zulassung (nicht für die maligne Hyperkalzämie).
ser konzentrierenden Effekt (nephrogener Diabetes
Die Bisphosphonattherapie sollte schnellst möglichst
insipidus) eine Dehydratation verursacht. Daher sollte
eingesetzt werden. Die Wirkung ist erst nach zwei bis
normal konzentrierte Kochsalzlösung (NaCl 0,9%) pa-
vier Tagen zu erwarten. In der Regel tritt der Nadir des
renteral zugeführt werden. Ziel ist, die glomeruläre Fil-
Klaziumspiegels fünf bis sieben Tage nach verabreichter
trationsrate zu steigern und damit die renale Exkretion
Therapie ein [19] und steigt nach einer bis drei Wochen
von Kalzium im Glomerulum zu fördern sowie die Kal-
erneut an. Der mediane Kalziumnadir gemessen bei
ziumrückresorption im proximalen Nephron zu inhi-
Zoledronat- und Pamidronat-Therapien lag bei 2,4, bzw.
bieren (kalziuretischer Effekt von Kochsalz). Ein übli-
2,6 mmol/l und ist somit nicht herausragend. Die The-
ches Hydrierungsschema umfasst die intravenöse Gabe
rapie sollte alle 3–4 Wochen wiederholt werden.
von 200–500 ml NaCl 0,9%/Stunde bei fehlenden Kon-
Ein Problem stellen Patienten mit einer Niereninsuffi-
traindikationen. Bei schweren malignen Hyperkalz-
zienz dar, die sich wie oben beschrieben häufig bei Hy-
ämien mit deutlicher Dehydratation und fehlenden Ko-
perkalzämien einstellt. Bisphosphonate sollten bei ei-
morbiditäten können zwischen 4–6 l 0,9% NaCl-Infusion
ner eingeschränkten Nierenfunktion mit Vorsicht
in den ersten 24 Stunden infundiert werden [13].
angewandt werden. Bei Patienten mit einer Kreatininclearance <30 ml/min wird laut Fachinformation eine
Furosemid
Behandlung mit Zoledronat nicht empfohlen. Die Kie-
Nach dieser Stabilisierung der glomerulären Filtration
ferostenekrose, eine mit 1% auftretende schwerwie-
und des Volumenhaushaltes des Patienten ist der Ein-
gende Komplikation der längerfristigen Bisphospho-
satz vom Schleifendiuretikum Furosemid möglich, das
nattherapie, ist vermutlich aufgrund der Kürze der
seinerseits die renale Kalziumrückresorption in der
Therapiedauer über wenige Monate unbedeutend.
Henle'schen Schleife reduziert [14]. Furosemid sollte
nur bei ausgeglichenem Volumenhaushalt des Patien-
Denosumab
ten angewendet werden, da eine weitere Dehydratation
Eine neue Therapie zur Behandlung der malignen Hy-
die Hyperkalzämie negativ beeinflusst. Thiaziddiuretika
perkalzämie könnte Denosumab darstellen [20, 21]. Der
sollten wegen ihres kalziumsparenden Effekts unbe-
humane monoklonale Antikörper Denosumab wurde
dingt vermieden werden.
2010 zur Behandlung von Osteoporose und zur Prävention von SREs bei soliden Tumoren und Knochenmetastasen zugelassen. In der Schweiz beinhaltet der
Antiresorptive Therapie
Zulassungstext eine Limitatio für oben genannte Er-
Bisphosphonate
krankungen, sodass Denosumab für die Behandlung
Die gezielte antiresorptive Therapie mit Bisphospho-
der malignen Hyperkalzämie formal nicht kassenzu-
naten hat den grössten, in Studien belegten therapeu-
lässig ist.
tischen Nutzen bei maligner Hyperkalzämie. Da bei
Denosumab ist ein Antikörper gegen RANKL («recep-
peroraler Gabe nur eine geringe Menge absorbiert
tor activator of nuclear factor-κB ligand»). Er inhibiert
wird, ist die intravenöse Gabe zu bevorzugen. Bisphos-
gezielt Reifung, Aktivierung und Funktion von Osteo-
phonate entfalten ihre antihyperkalzämische Wirkung
klasten. In den Zulassungsstudien, die Denosumab auf
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ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
dessen Wirksamkeit in der Prävention von SREs versus
getriggerten Konversion von 25-Hydroxyvitamin D
Zoledronat verglichen, lag die maligne Hyperkalz-
(Calcidiol) in die aktive Form 1,25-Dihydroxyvitamin D
ämierate mit einer Inzidenz von 10% versus 6% bei
(Calcitriol), womit die intestinale Kalziumresorption in-
Zoledronat deutlich höher [22]. In Fallberichten zeigte
hibiert wird. Trotz fehlender randomisierter Studien
sich sogar ein antihyperkalzämischer Effekt bei malig-
wird die Gabe von oralem Prednison 60 mg/Tag für
ner Hyperkalzämie nach Versagen einer vorangegan-
zehn Tage empfohlen. Die durchschnittliche Dauer bis
genen Bisphosphonattherapie. In einer kürzlich publi-
zum Ansprechen der Therapie liegt bei einer Woche. Zu
zierten, prospektiven, kontrollierten Phase-II-Studie
berücksichtigende relevante Nebenwirkungen sind zu-
wurde 33 Patienten mit maligner Hyperkalzämie, die
sätzliche Immunsuppression und Hyperglykämie.
auf Bisphosphonate refraktär waren, Denosumab verabreicht [21]. Die Patienten erhielten 120 mg Deno-
Hämodialyse
sumab (Xgeva®) subkutan einmal pro Woche für vier
Die Durchführung einer Hämodialyse bei maligner
Wochen, gefolgt von monatlichen Injektionen. Es zeigte
Hyperkalzämie gehörte zu den ersten gezielten anti-
sich ein Abfall des Serumkalziums durchschnittlich
hyperkalzämischen Massnahmen. Sie ist effektiv [28, 29],
neun Tage nach Therapiebeginn. Die mediane An-
jedoch seit dem Einsatz von Bisphosphonaten nur
sprechdauer lag bei 104 Tagen. Unter Denosumab-The-
noch bei selektionierten Patienten empfohlen, wenn
rapie besteht ein ähnliches Risiko für Kieferosteonek-
Tumorerkrankungen mit guter Prognose vorliegen,
rose wie bei den Bisphosphonaten. Eine aus den
aber ein akutes oder chronisches Nierenversagen zu-
Zulassungsstudien bekannte und gefürchtete schwere
grunde liegt. Ist bei diesen Patienten eine aggressive
Hypokalzämie trat bei den 33 Patienten mit maligner
Hydrierung nicht möglich und sind andere Therapien
Hyperkalzämie unter Denosumab nicht auf. Zwei von
wie etwa Bisphosphonate schwierig einzusetzen, kann
33 Patienten zeigten lediglich eine milde, nicht behand-
die Dialyse ein effektiver, therapeutischer Ansatz sein.
lungsbedürftige Hypokalzämie unter Denosumab.
Da Denosumab nicht über die Nieren verstoffwechselt
wird, wird es bei Patienten mit Niereninsuffizienz
Fallbeispiel
ohne Einschränkungen empfohlen. Dennoch muss bei
Eine 54-jährige postmenopausale Patientin mit ausgedehnt metastasiertem Mammakarzinom präsentierte sich im August 2015
in unserer ambulanten onkologischen Sprechstunde.
In der Vorgeschichte ab 2014 wurde ein gering differenziertes invasiv-lobuläres Mammakarzinom links pT2 pN1a (1/3) (sn) L1 V0
Pn1 R0 G3 diagnostiziert, die Hormonrezeptoren waren positiv,
HER-2/neu negativ und Ki-67 betrug 30%. Nach der Mastektomie
links erhielt die Patientin eine adjuvante Chemotherapie mit
4 Zyklen Doxorubicin und Cyclophosphamid, anschliessend Tamoxifen bei Unverträglichkeit gegenüber Letrozol. Ein Jahr später und unter adjuvanter antihormoneller Therapie mit Tamoxifen
bestätigte sich histologisch ein Rezidiv des wenig differenzierten
Mammakarzinoms in der Harnblasenhinterwand, bildgebend
fanden sich auch ossäre Metastasen, sowie Metastasen retroperitoneal und mesorektal. Eine palliative Chemotherapie mit Paclitaxel wöchentlich 80 mg/m2 und eine antiresorptive Therapie
mit Denosumab (Xgeva®) wurden eingeleitet. Nach 6 Gaben Pa-
maligner Hyperkalzämie unseres Erachtens Vorsicht
geboten sein und allenfalls eine Dosisreduktion erwogen werden, da das Risiko einer Hypokalzämie bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion bei gestörter Kalziumhomeostase erhöht ist [23].
Calcitonin
Calcitonin hat den schnellsten kalziumsenkenden Effekt mit Ansprechraten innerhalb von 12–24 Stunden
[24]. Dennoch sind die erreichten Effekte oft nur klein
und von kurzer Dauer [25]. Calcitonin senkt das Serumkalzium durch Inhibition der Osteoklasten und über
eine Verstärkung der Kalziumexkretion der Niere. Eine
initiale Dosis von 4 IU/kg Körpergewicht wird subkutan oder intramuskulär injiziert und alle 12 Stunden
wiederholt, bis ein kalziumsenkender Effekt gemessen
werden kann. Bei Nichtansprechen kann die Dosis auf
bis zu 8 IU/kg alle 6 Stunden kurzfristig gesteigert werden [26]. Calcitonin kann auch bei Niereninsuffizienz
angewendet werden. Häufige Nebenwirkungen sind
Nausea, Erbrechen, Flush und Schwindel.
Glukokortikoide
Glukokortikoide haben einen Stellenwert bei malignen
Hyperkalzämien mit erhöhten 1,25-Dihydroxycholecalciferol-Werten, wie zum Beispiel bei Lymphomen [27].
Ihre Wirkung liegt in der Inhibition der 1-α-Hydroxylase-
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clitaxel wöchentlich kam es zu einem Tumorprogress. Die Chemotherapie wurde mit Carboplatin AUC2 wöchentlich zu Paclitaxel ergänzt und das Denosumab alle 4 Wochen weitergeführt.
Innert weiterer 4 Wochen kam es zu einer akuten AZ-Verschlechterung mit Kopfschmerzen, Gangstörungen, Schwindel, zunehmender Müdigkeit und zunehmendem abdominalem Druckgefühl
bei progredienter Hyperkalzämie (Albumin-korrigiertes Kalzium
3,54 mmol/l) sowie Aszites im Rahmen des Tumorprogresses. Es
erfolgten notfallmässig die Aszitespunktion, Volumensubstitution
und im Verlauf die forcierte Diurese mittels Furosemid. Trotz
Zometa® 4 mg (Bisphosphonat) (insgesamt 2×) und Calcitonin-Gaben liess sich die Hyperkalzämie nicht beherrschen mit rasant steigenden Albumin-korrigierten Kalziumwerten bis über 4,3 mmol/l.
Die Patientin zeigte sich zunehmend schläfrig und somnolent.
Im Einvernehmen mit den Angehörigen wurde im Sinne der Patientin die Behandlung auf «best supportive care» umgestellt
und die Patientin verstarb kurze Zeit später.
1018
ÜBERSICHTSARTIKEL AIM
Korrespondenz:
Dr. med. C. Balmelli
Universitätsspital Basel
Zusammenfassung und Diskussion
des Falles
Petersgraben 4
Unser Fallbeispiel zeigt, dass sich eine maligne Hyper-
CH-4031 Basel
kalzämie mit unspezifischen Symptomen präsentieren
catharina.balmellicattelan
[at]usb.ch
und trotz antiresorptiver Therapie bei ossären Metasta-
sen in einem späten Krankheitsstadium manifestieren
kann. In unserem Fall mit fortgeschrittenem Tumorleiden war die Hyperkalzämie nicht mehr kontrollierbar.
Ausblick
Die maligne Hyperkalzämie bleibt eine prognostisch
ungünstige Komplikation einer Tumorerkrankung
Das Wichtigste für die Praxis
und kann lediglich durch die Kontrolle des Tumor-
• Die Hyperkalzämie bei Malignomen tritt am häufigsten (80%) als Folge
einer paraneoplastischen Bildung des Parathormon-related Peptids
(PTHrP) auf. Die laborchemischen und klinischen Veränderungen sind
weitgehend vergleichbar mit einem primären Hyperparathyreoidismus.
Die Hyperkalzämie wird durch die Parathormon-ähnlichen Wirkungen auf
den Knochen (erhöhte Knochenresorption) und die Nieren (erhöhte Kalziumretention) verursacht. Andere Ursachen sind osteolytische Metastasen, paraneoplastisch erhöhte extrarenale Bildung von 1,25-Dihydroxycholecalciferol und die ektope Bildung von echtem Parathormon
durch Tumorzellen.
• Symptome der malignen Hyperkalzämie sind unspezifisch und beinhalten Müdigkeit, Durst, Polyurie, Übelkeit, Erbrechen, diffuse Bauch-
geschehens prognostisch beeinflusst werden. Da 80%
aller malignen Hyperkalzämien durch die ektope Bildung von PTHrP ausgelöst werden, bleibt zukünftig die
Entwicklung eines PTHrP-spezifischen Antikörpers
von grossem Interesse. In einem murinen malignen
Hyperkalzämie-Modell konnte mittels eines humanisierten antihumanen PTHrP-Antikörpers eine prompte
und anhaltende Korrektur der Hyperkalzämie nachgewiesen werden [30]. Diese Daten zeigen, dass PTHrP ein
vielversprechendes Ziel für die Weiterentwicklung
neuer Modelle in der Behandlung der PTHrP-abhängigen maligen Hyperkalzämie darstellt.
schmerzen und Obstipation, aber auch Bewusstseinstrübungen und Desorientiertheit. Im schlimmsten Fall stellen sich Koma und/oder akutes
Nierenversagen ein. Erste Symptome treten in der Regel ab Serumkalziumwerten >2,7mmol/l auf, schwere Symptome ab Werten >3,5 mmol/l
(auch als hyperkalzämische Krise bezeichnet). Ältere Patienten vor allem
mit Komorbiditäten können bereits bei leicht erhöhten Kalziumwerten
symptomatisch werden.
• Die Therapie einer malignen Hyperkalzämie ist einerseits gegen den auslösenden Tumor gerichtet und andererseits kalziumsenkend (Weglassen
von Kalziumquellen, Hydrierung, Furosemid, intravenöse Bisphosphonate,
Calcitonin, Steroide).
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Literatur
Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang
des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch.
1019
ÜBERSICHTSARTIKEL
Seltener Mediastinaltumor
Diagnose und Therapie des
Thymuskarzinoms
Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Wolfgang Jungraithmayr a , Dr. med. Didier Schneiter a , Prof. Dr. med. Alex
Soltermann b , Prof. Dr. med. Thomas Frauenfelder c , Prof. Dr. med. Walter Weder a
UniversitätsSpital Zürich
a
Klinik für Thoraxchirurgie; b Institut für Klinische Pathologie; c Institut für Diagnostische Radiologie
Thymuskarzinome machen etwa ein Fünftel aller Thymustumoren aus. Im Gegensatz zu den Thymomen weisen sie keine organtypische Morphologie mehr auf, zeigen
ein aggressiveres Verhalten und haben eine wesentlich schlechtere Prognose. Ein
multidisziplinärer Behandlungsansatz ist angezeigt, wobei die primär chirurgische
Tumorentfernung die wichtigste Rolle spielt.
Einleitung
Thymuskarzinome sind seltene Tumoren des Mediastinums und treten mit einer Inzidenz von 0,15 Fällen pro
100 000 Menschen pro Jahr auf [1]. Sie machen 15–20%
aller Thymustumoren aus. Aus historischer Sicht wurden Thymuskarzinome als ein Subtyp den Thymomen
des Typs C zugeordnet. 2004 allerdings wurde das
Thymuskarzinom von der World Health Organization
(WHO) als eigenständige Entität klassifiziert. Auf der
Basis einer Konsensuskonferenz im Jahr 2014 wurde
vor allem mit Hilfe zellulärer Marker eine weitere Verfeinerung der Einteilung der Thymustumoren unter
besonderer Berücksichtigung der Abgrenzung des Thymoms Typ B3 vom Thymuskarzinom vorgenommen
[2]. Beim Thymuskarzinom ist im Gegensatz zum Thymom ein typischer Organaufbau des Thymus nicht
mehr zu erkennen. Zudem weist es im Vergleich zum
Thymom ein wesentlich aggressiveres Verhalten auf
mit einer deutlich schlechteren Langzeitprognose. Für
inoperable Thymuskarzinome beträgt die 5-JahresÜberlebensrate lediglich 17% [3].
Syndrome, wie z.B. Polymyositis, Dermatomyositis oder
Klinisches Erscheinungsbild
und Diagnose
Wolfgang Jungraithmayr
eine Erythropoetin-Hypersekretion, selten [4]. Auch
die Myasthenia gravis, die beim Thymom häufig als
paraneoplastisches Syndrom vorkommt, tritt beim
Etwa 60% der an einem Thymuskarzinom erkrankten
Thymuskarzinom nur selten (0–15%) auf [5].
Patienten sind symptomatisch. Typische Symptome
Wie bei der Thymomdiagnostik ist die Bildgebung der
sind Thoraxschmerzen, Dyspnoe, Husten oder eine
Wahl die Computertomographie (CT). Hier zeigt sich in
obere Einflussstauung. Bei Diagnosestellung haben
der Regel eine unscharf begrenzte mediastinale Raum-
bereits 40% der Patienten Lymphknoten- sowie 10%
forderung mit radiologischen Zeichen der Infiltration
der Patienten Fernmetastasen. Im Gegensatz zum Thy-
umgebender Organe beziehungsweise ohne klare
mom sind beim Thymuskarzinom paraneoplastische
Abgrenzung zu diesen (Abb. 1). Zuweilen wird dieser
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ÜBERSICHTSARTIKEL
Befund von uni- oder bilateralem Pleuraerguss,
Perikarderguss, pleuralen Verdichtungen im Sinne
eines Tumorbefalls oder aber der Invasion in benachbarte Strukturen, z.B. in die Lunge, als Zeichen der
Malignität begleitet (Abb. 2). Das makroskopische Bild
bestätigt diese Befunde (Abb. 3). In solchen Fällen kann
eine Diagnostik mittels Magnetresonanztomographie
(MRT) zusätzliche Informationen im Hinblick auf die
Beziehung und potentielle Invasion in benachbarte
Strukturen liefern. Ein PET-CT sollte bei Nachweis eines
Thymuskarzinoms zum festen Bestandteil des Stagings
gehören, um das Ausmass einer möglichen Metastasierung (pleurale, Lymphknoten- oder FernmetastasieAbbildung 1: Computertomographie eines Patienten mit einem Thymuskarzinom.
Es findet sich ein unscharf begrenzter Tumor ohne klare Grenzen zum umgebenden
Fett und den benachbarten Strukturen.
rung) zu erfassen.
Histologie
In der WHO-Klassifikation aus dem Jahre 2004 wird
eine klare Trennung zwischen Thymom und Thymuskarzinom vorgenommen. Dies geschieht vor dem
Hintergrund der Rationale, dass im Gegensatz zum
Thymuskarzinom Thymome eine organtypische Morphologie aufweisen mit einer charakteristischen Kombination aus Epithelzellen und reaktiven Lymphozyten. Die histologische Unterscheidung zwischen
aggressiven Formen des Thymoms und des Thymuskarzinoms kann vereinzelt schwer fallen. Auch wurde
eine grosse Interobserver-Variabilität in Bezug auf die
Zuordnung zur einen oder anderen Thymusentität
sowie die Inkonsistenz zwischen einigen Studien kritisiert, sodass 2014 in einer Konsensuskonferenz der
International Thymic Malignancy Interest Group (ITMIG)
Abbildung 2: Computertomographie eines Patienten mit einem fortgeschrittenen
Thymuskarzinom. Deutlich ist die Ummauerung und Infiltration der grossen Gefässe
(Aorta und linke Arteria pulmonalis) sowie ein Perikarderguss und ein Pleuraerguss
rechts als Zeichen für eine Infiltration zu sehen.
objektive Kriterien in Bezug auf Zellatypie, mitotische
Aktivität sowie Vorkommen von Nekrosen und charakteristischem Rezeptormuster erarbeitet wurden [2].
Auf Basis dieser Konsensuskonferenz wurden als
Abbildung 3: Makroskopische Ansicht eines Thymuskarzinoms (Plattenepithelkarzinom) (A, B), mit Infiltration in die Lunge
(erkennbar sind die Klammernahtreihen der Lungen-Wedge-Resektion) sowie in die Wand der Vena cava superior.
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ÜBERSICHTSARTIKEL
wesentliche Kriterien das infiltrative Wachstum, die
Auf Basis der WHO-Klassifikation werden nun sieben
Atypie bis zur Anaplasie der Epithelzellen, das Fehlen
Subtypen des Thymuskarzinoms unterschieden (Ta-
unreifer «terminal deoxynucleotidyl transferase
belle 1). Unter diesen Subtypen sind das Plattenepi-
(TdT)»-T-Zellen, die epitheliale Expression von CD5 und
thelkarzinom (40%) und das sogenannte lympho-
CD117 sowie GLUT1 und MUC1 sowie das Vorhanden-
epitheliale Karzinom (15%) am häufigsten vertreten [6],
sein kleiner Tumornester in desmoplastischem Stroma
wobei das Plattenepithelkarzinom von allen die beste
definiert [2]. Abbildung 4 zeigt die histologischen Bil-
Prognose aufweist [6]. Eine weitere, von einigen Autoren
der eines Thymuskarzinoms (Plattenepithelkarzinom)
separat aufgeführte Untergruppe der Thymuskarzinome
mit typischer membrangebundener Färbung von CD5
bildet die der neuroendokrinen Thymuskarzinome.
und CD117.
Einteilung
Eine abschliessende Einteilung der Thymuskarzinome
fehlt bis heute. Die ITMIG empfiehlt die Verwendung
der Masaoka- und Masaoka-Koga-Einteilung, wie sie
beim Thymom angewandt wird (siehe Artikel «Das
Thymom – Diagnostik und Therapie», Swiss Medical
Forum Heft 45). Aufgrund einer ungenügenden Überlebensstratifizierung auf der Basis der Masaoka-Einteilung wurde ein Zusammenführen der Masaoka-Stadien I und II sowie III und IV vorgeschlagen [7]. Wegen
der hohen Prävalenz von Lymphknotenmetastasen bei
Diagnosestellung bezog man sich allerdings mehr auf
eine klassische TNM-Einteilung wie von der WHO in
2004 vorgeschlagen. Derzeit arbeiten das «International
Association for the Study of Lung Cancer (IASLC)»-Staging-Komitee wie auch die ITMIG an einer konsistenten Klassifizierung aller Thymustumoren, die in die
8. Auflage des TNM-Manuals thorakaler Tumoren inkorporiert werden wird. Bis dahin behält die MasaokaKoga-Einteilung als Standardeinteilungssystem ihre
Gültigkeit.
Behandlung
Die Behandlungsstrategie soll im Rahmen einer interdisziplinären Tumorkonferenz festgelegt werden.
Wichtigster prognostischer Faktor ist die komplette
Resektion. Daher gilt die operative Entfernung des
Thymuskarzinoms im Rahmen einer kompletten
Thymektomie als Therapie der ersten Wahl. Empfohlen
wird zudem die systematische Lymphadenektomie
mit Resektion supraklavikulärer sowie zer vikaler
Lymphknoten, da beim Thymuskarzinom wie auch
beim Thymuskarzinoid der Lymphknotenbefall 25%
oder mehr beträgt [8, 9]. Scheint ein Thymuskarzinom
primär nicht radikal resektabel, so sollte eine Induktionstherapie (Chemo- oder Radiochemotherapie) gefolgt von einer chirurgischen Resektion durchgeführt
werden. Gemäss japanischen Daten sprechen PatienAbbildung 4: Histologie und Immunhistochemie (Micro-array) eines Thymuskarzinoms
(Plattenepithelkarzinom) mit typischer membranständiger Färbung von CD5 und CD117.
(A) H&E, 40×-Vergrösserung, (B) CD5, 40×-Vergrösserung, (C) CD117, 40×-Vergrösserung.
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ten mit einem fortgeschrittenen Thymuskarzinom auf
eine Induktionspolychemotherapie bestehend aus Cisplatin, Vincristin, Doxorubicin und Etoposid mit ei-
1022
ÜBERSICHTSARTIKEL
Tabelle 1: Subtypen des Thymuskarzinoms nach WHO.
Thymuskarzinom-Typ
Histologische Charakteristika
Epithelzelliges
(epidermoides)
Karzinom
Die keratinisierende Form dieses Karzinoms weist Plattenepithelverbände von scharfer Kontur auf,
die mit interzellulären Brücken verbunden sind. Das basaloide Karzinom als ein Untertyp besteht aus
kompakten Tumorzellläppchen. Diese sind pallisadenartig aufgebaut und färben sich typischerweise
basophil an. Eine Keratinisierung fehlt.
Lymphoepitheliales
Karzinom
Dieser Typ des Thymuskarzinoms ist vom primären lymphoepithelialen Karzinom der Lunge nicht
zu unterscheiden. Die Differentialdiagnose zu Germzelltumoren, besonders dem Seminom, kann
schwerfallen.
Sarkomatoides Karzinom Teile oder die Gesamtheit dieses Karzinomtyps ähneln stark eine Weichgewebssarkom.
Klarzelliges Karzinom
Dieser Karzinomtyp besteht vorwiegend oder ausschliesslich aus Zellen, die ein klares Zytoplasma
aufweisen.
Mukoepidermoides
Karzinom
Typischerweise ähnelt dieser Karzinomtyp einem primären Speicheldrüsenkarzinom.
Papilläres Adenokarzinom
Dieser Karzinomtyp zeigt ein papilläres Erscheinungsbild. Begleitend können Psammomkörper
vorhanden sein. Gemeinsam mit dem papillären Wachstumsmuster weist es Ähnlichkeiten zum
papillären Schilddrüsenkarzinom auf.
Undifferenziertes
Karzinom
Dieser seltene Subtyp des Thymuskarzinoms zeigt ein aus geprägt undifferenziertes Wachstum
ohne das Vorhandensein von sarkomatoiden (spindelzelligen oder pleomorphen) Anteilen.
nem verbesserten 5-Jahres-Überleben von 80% sowie
vorzugen in dieser Situation die roboterassistierte
einem rezidivfreien 5-Jahres-Überleben von 68,6% gut
Resektion, die aufgrund der überragenden dreidimen-
an [10]. Dagegen wird die prognostische Bedeutung ei-
sionalen Sicht und Manövrierbarkeit der feinen Instru-
ner Induktionschemotherapie auf der Basis jüngster
mente, gepaart mit Präzision aufgrund der Vergrösse-
Untersuchungen der «European Society of Thoracic
rung und Bewegungsskalierung der konventionellen
Surgeons (ESTS) Database» eher uneindeutig beurteilt
videoassistierten Technik klar überlegen ist.
[11].
Aufgrund der relativen Seltenheit von Thymuskarzino-
Der Stellenwert der alleinigen Induktionsradiotherapie
men ist die Rolle einer adjuvanten Therapie, entweder
ist ebenfalls unklar. Es kann aufgrund des Einschlusses
in Form einer Chemotherapie oder einer Bestrahlung,
von nur wenigen Patienten nicht differenziert werden,
nicht klar definiert. In einer grossen japanischen Studie
ob eine adjuvante oder eine neoadjuvante Radiotherapie
an 92 Patienten mit komplett reseziertem Thymuskar-
einen Einfluss auf das Überleben hat [12, 13]. Patienten
zinom konnte allerdings gezeigt werden, dass das
aber, die beispielsweise eine Induktionsradiochemo-
Überleben nach alleiniger adjuvanter Chemotherapie
therapie erhielten, wiesen bei einer chirurgischen
besser war als nach alleiniger postoperativer Radiothe-
Komplikationsrate von 36% eine erheblich verbesserte
rapie, Chemo-Radiatio oder ohne jegliche adjuvante
R0-Resektionsrate von 77% auf [14]. Allerdings muss be-
Therapie [15]. Allerdings konnte auch ein leichter Über-
merkt werden, dass die Grenzzonen des zu bestrahlen-
lebensvorteil durch Radiotherapie bei Patienten mit
den Tumors vor einer chirurgischen Resektion einfa-
komplett reseziertem Thymuskarzinom nachgewiesen
cher zu definieren und dadurch wohl effektiver sind.
werden [16]. Während andere Autoren diese Ergebnisse
Die mediane Sternotomie als Zugang bietet eine sehr
nicht bestätigten [17], zeigte eine retrospektive Studie
gute Übersicht über das Mediastinum mit den oberen
der ESTS-Database, dass die adjuvante Radiotherapie
Anteilen der beidseitigen Pleurahöhlen. Je nach Tumor-
nach operativ entferntem Thymuskarzinom gegen-
ausdehnung sind aber erweiterte Zugänge wie Clamshell
über der alleinigen Operation einen signifikanten
oder Hemiclamshell, insbesondere bei Befall des Pleura-
Überlebensvorteil erbringt [5]. Limitiert aber wird die
raumes, notwendig. Die Resektatgrenzen respektive
Aussagekraft dieser Studien vor allem durch ihren re-
nichtresektables Tumorgewebe sollten für eine mög-
trospektiven Charakter. Dennoch kann auf der Basis
liche postoperative Bestrahlung Clip-markiert werden.
der vorliegenden Untersuchungen nach Resektion eines
Aufgrund der oft ausgedehnten Tumor infiltration in
Thymuskarzinoms eine postoperative Chemoradiothe-
vitale Strukturen haben minimalinvasive Techniken
rapie oder aber eine alleinige postoperative Radio-
bei der operativen Therapie von Thymuskarzinomen
therapie empfohlen werden, sofern eine präoperative
einen niedrigen Stellenwert. Sofern jedoch durch den
Chemotherapie durchgeführt wurde [18]. Diejenigen
Zugang kein Kompromiss in Bezug auf die Radikalität
Patienten dagegen, die inoperabel sind, profitieren von
der Resektion gemacht wird, können auch minimal-
einer Chemo- oder Radiotherapie mit einer verbesserten
invasive Techniken zur Anwendung kommen. Wir be-
Überlebensrate von zwischen 20 und 60%.
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ÜBERSICHTSARTIKEL
Die Entdeckung der Überexpression molekularer
plette Resektion mit der besten Überlebensrate kor-
Marker wie etwa KIT (in bis zu 79% der Fälle über-
reliert. Aber auch ein Tumordebulking bei primär
exprimiert [19]) führte zu der Annahme, Thymuskarzi-
inoperablen Thymuskarzinomen scheint einen Über-
nompatienten eine zunehmend massgeschneiderte
lebensvorteil gegenüber keiner Therapie zu haben [5].
Therapie anbieten zu können [20]. Leider stellte sich
Unter den prognostischen Faktoren gilt in erster Linie
trotz der Überexpression von KIT heraus, dass nur ein
neben der kompletten Resektion das Tumorstadium
kleiner Prozentteil dieser Patienten auch tatsächlich
als wesentlicher Faktor für ein besseres Überleben. Da-
eine KIT-Mutation besass (9%). Klinische Phase-II-
gegen spielen assoziierte paraneoplastische Syndrome
Studien mit KIT-Inhibitoren wie zum Beispiel Imatinib
oder histologische Subtypen eine prognostisch unter-
lieferten daher eher enttäuschende Resultate [18]. Als
geordnete Rolle (Tab. 2). Allerdings existiert eine Arbeit
erfolgversprechender dagegen haben sich Tyrosinki-
mit 65 Thymuskarzinompatienten, die zeigt, dass Tumo-
naseinhibitoren der neueren Generation erwiesen.
ren kleiner als 7 cm sowie ein negativer Lymphknoten-
Sunitinib beispielsweise zeigte in einer open-label
status ein prognostischer Faktor für ein besseres Über-
Phase-II-Studie bei Patienten mit therapierefraktärem
leben ist, während hier das Masaoka-Stadium eine nur
Tumor nach mindestens einem Zyklus Platin-basierter
geringe Rolle spielt [7].
Chemotherapie ein partielles Ansprechen des Tumors
von 26% [21]. Aber auch Inhibitoren der Histon-Deacetylase in Kombination mit Platin-basierter Chemotherapie (Cisplatin, Doxorubicin und Cyclophosphamid)
Rezidiv des Thymuskarzinoms
und dessen Behandlung
erreichte eine Ansprechrate von 21% [22]. Die Wirksamkeit anderer Therapeutika, wie zum Beispiel Cixu-
Die Rezidivrate des Thymuskarzinoms (systemisch)
tumumab, ein gegen «Insulin-like growth factor 1» ge-
beträgt trotz kompletter Resektion zwischen 30 und
richteter monoklonaler IgG1-Antikörper, konnte leider
40%. Nach internationalen Guidelines wird zur Tumor-
nicht nachgewiesen werden [23].
nachsorge postoperativ beziehungsweise nach Abschluss einer adjuvanten Behandlung innerhalb der
Überleben und prognostische Faktoren
ersten zwei Jahre alle sechs Monate eine CT empfohlen.
Alternativ, gerade bei jüngeren Patienten, ist eine Ver-
Die Prognose von Thymuskarzinomen ist deutlich
laufskontrolle mittels MRT möglich, während ein PET-
schlechter als jene von Thymomen. Die 5-Jahres-Über-
CT im Routine-Follow-up ohne spezielle Fragestellung
lebensrate beträgt 30 bis zu 85% [17, 24], wobei die kom-
keinen Stellenwert besitzt.
Tabelle 2: Vergleich von 5-Jahresüberleben und prognostische Faktoren beim Thymuskarzinom in verschiedenen Studien.
Autor (Jahr)
Anzahl Patienten
(%) Komplette
Resektion (RO)
5-Jahres-Gesamt- Prognostische Faktoren
überleben (%)
Kondo et al. (2003) [8]
186
92 (71)
51
Komplette Resektion, adjuvante
Therapie
Yano et al. (2008) [18]
30
7 (23)
48
Hämatogene Metastasierung,
komplette Resektion
Lee et al. (2009) [10]
60
14 (35)
39
Masaoka-Stadium, Operation,
komplette Resektion
Hosaka et al. (2010) [19]
21
14 (67)
61
Masaoka-Stadium, histologischer
Grad
Okereke et al. (2012) [20]
16
14 (88)
65
NA
Weissferdt et al. (2012) [7]
65
21 (45)
66
Masaoka-Stadium, Tumorstadium,
Lymphknotenstatus
Okuma et al. (2013) [3]
40
–
30
NA
Weksler et al. (2013) [13]
290
121 (89)
40
Geschlecht, Operation MasaokaStadium, histologischer Grad
De Montpreville et al. (2013) [21] 37
22 (60)
66 (3 Jahre)
Masaoka-Stadium, komplette
Resektion
Ruffini et al. (2014) [5]
229
140 (71)
61
Masaoka-Stadium, komplette
Resektion, adjuvante Radiotherapie
Hishida et al. (2015) [22]
294
180
61
Komplette Resektion, MasaokaStadium
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1024
ÜBERSICHTSARTIKEL
Thymuskarzinome zeigen typischerweise eine höhere
sektion zu erhöhen, und andererseits, um das Risiko
Rate an Fernmetastasen auf. Zudem tritt das Rezidiv
der bei Thymuskarzinomen nicht seltenen Metastasie-
früher als beim Thymom auf und ist mit einem gerin-
rung zu vermindern. Eine adjuvante Radiotherapie mit
geren progressionsfreien Überleben vergesellschaftet
Möglichkeit einer gezielten Bestrahlung der Risikozo-
[25]. Eine erneute Biopsie wird hierbei nicht zwingend
nen ist aus unserer Sicht auch nach R0-Resektion zu
empfohlen. Bei Auftreten von Fernmetastasen ist eine
diskutieren, im Fall einer inkompletten Resektion hin-
Chemotherapie indiziert. Im Falle eines Lokalrezidivs
gegen unerlässlich. Insbesondere bei Inoperabilität ist
ist die Indikation zur erneuten chirurgischen Resek-
dann aber die Radiotherapie in Kombination mit einer
tion zu diskutieren und sollte interdisziplinär entschie-
Chemotherapie Standard. Je nach Komorbiditäten kom-
den werden, da es im Gegensatz zur chirurgischen Rezi-
men diese zwei Therapieoptionen aber erst in der
divbehandlung des Thymoms keine sicheren Daten für
Palliation zur Anwendung.
ein verbessertes Überleben gibt [26]. Die Behandlung
Auch für die Tumornachsorge existieren keine allge-
des Thymuskarzinomrezidivs mit alleiniger Chemo-
meingültigen Empfehlungen. Da es sich beim Thymus-
therapie oder Radiochemotherapie weist eine 5-Jahres-
karzinom um einen malignen Tumor mit ähnlicher
Überlebensrate von 25–50% auf [27, 28].
Aggressivität wie derjenigen des Bronchuskarzinoms
handelt, empfehlen wir in Analogie eine halbjährliche
Eigene Überlegungen zu Diagnostik und
Therapie des Thymuskarzinoms
Kontrolle für die ersten zwei Jahre nach Resektion mit
Wechsel auf jährliche Kontrollen bis zum fünften postoperativen Jahr. Vor dem Entscheid zu einer Nachkon-
Aufgrund der sehr niedrigen Inzidenz (ca. 1,5/1 Million)
trolle müssen die Frage nach der therapeutischen Kon-
und fehlender effizienter Screeninguntersuchungen
sequenz und die möglichen Szenarien für die
wird das Thymuskarzinom in etwa 40% der Fälle als
Therapieoptionen und das Vorgehen im Falle eines Tu-
Zufallsbefund im Rahmen einer bildgebenden Unter-
morrezidives zusammen mit dem Patienten bespro-
suchung anderer Krankheitszustände gefunden. Die
chen werden. Wie auch bei den Bronchuskarzinomen
CT sowie je nach Fragestellung weitere bildgebende
besteht die Tendenz, die Kontrollen darüber hinaus zu
Verfahren wie MRT und PET sind die Grundpfeiler der
erweitern, beim Bronchuskarzinom mit der Frage nach
Diagnostik. Die Frage, ob bei radiologisch begründe-
einem Zweittumor und beim Thymuskarzinom wegen
tem Verdacht eine Biopsie (interventionell oder chirur-
des längeren Rezidivintervalls. Da es bei dieser Patho-
gisch) erforderlich ist, wird kontrovers diskutiert, da
logie in erster Linie zu einem lokalen Rezidiv oder zu
auch die Meinungen über die beste Form der Therapie,
Metastasierungen in der betroffenen Thoraxhöhle
respektive die Abfolge, wann welche Behandlungs-
kommt, ist eine Bildgebung mittels CT wahrscheinlich
form eingesetzt werden soll, uneinheitlich sind.
ausreichend, es gibt keine Evidenz für ein PET-Fusions-
In unserem Setting wird die Strategie interdisziplinär
verfahren. Allerdings besteht insbesondere im Falle
am Tumorboard festgelegt. Dabei sind die radiologi-
einer bereits primär notwendigen erweiterten Resek-
sche Beurteilung mit der Frage nach Infiltration sowie
tion mit allfälliger Pleuraentfernung immer eine ge-
die chirurgische Einschätzung bezüglich Radikalität
wisse Unsicherheit bei der Unterscheidung zwischen
der Resektion entscheidend. Je wahrscheinlicher eine
Rezidiv und normalen postoperativen Veränderungen
Infiltration des Tumors in andere Organe ist und je
respektive Narben. In diesem Fall wäre eine PET-Unter-
weniger eine Resektion sicher im Gesunden erwartet
suchung indiziert, vorausgesetzt, der Tumor zeigte be-
werden kann, desto eher wird eine neoadjuvante The-
reits initial eine Aktivität.
rapie empfohlen. Ob die auf radiologischen Kriterien
beruhende Verdachtsdiagnose mittels Biopsie erhärtet
werden muss, ist nicht geklärt. Wir gehen dabei prag-
Schlussfolgerung
matisch vor und sehen von einer neoadjuvanten
Die Evidenz zur Therapie des Thymuskarzinoms ist
Behandlung ab, wenn der Tumor ohne erhöhtes peri-
gering und fusst vor allem auf retrospektiven Daten.
operative Risiko radikal entfernt werden kann.
Aufgrund des im Vergleich zur heterogenen Gruppe der
Da eine klare Evidenz der Behandlungsabfolge bis an-
Thymome aggressiveren Verhaltens sollte die Behand-
hin fehlt, ist neben den rein medizinischen Aspekten
lung regelmässig im multidisziplinären, individuellen
(Komorbiditäten) selbstverständlich die Präferenz des
Konzept erfolgen. Hauptbestandteil der Therapie ist
Patienten zu berücksichtigen. Bei Verdacht auf ein
die chirurgische Resektion. Falls eine Operation tech-
Thymuskarzinom sind wir mit der Indikationsstellung
nisch nicht möglich ist, sollte ein neoadjuvantes Vor-
einer neoadjuvanten Chemotherapie grosszügiger,
gehen entweder in Form einer Chemo- oder Strahlen-
einerseits, um die Möglichkeit einer kompletten Re-
therapie oder ein kombiniertes Verfahren erwogen
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1025
ÜBERSICHTSARTIKEL
werden. Auch bereits in frühen Tumorstadien muss die
sionale konformale Bestrahlung oder die intensitätsmo-
Wolfgang Jungraithmayr,
Indikation zur postoperativen Radio- und/oder Che-
dulierte Bestrahlung, welche die Applikation höherer
MD PhD
Korrespondenz:
motherapie individuell diskutiert werden. Eine Platin-
Strahlendosen erlauben. Im Falle einer definitiven Be-
University Hospital Zurich
basierte Polychemotherapie ist hier der Standard. In
strahlung sollte die adaptive, rezidivierte Bestrahlung
Raemistrasse 100
der Bestrahlung sollten sogenannte konformale Techni-
zur Minimierung unerwünschter Effekte auf normales
ken angewendet werden, zum Beispiel die dreidimen-
Gewebe erwogen werden. Die postoperative Bestrahlung
Division of Thoracic Surgery
CH-8091 Zurich
wolfgang.jungraithmayr[at]
der Lymphknotenstationen hingegen wird nicht routine-
usz.ch
mässig empfohlen.
Im Falle von Fernmetastasen ist die Chemotherapie
Das Wichtigste für die Praxis
indiziert, bei einem Lokalrezidiv ist primär eine er-
• Thymuskarzinome sind seltene Tumoren des Mediastinums und werden
in der WHO-Einteilung von 2004 als eigenständige Tumoren klassifiziert.
• Die Abgrenzung zwischen einem aggressiven Typ B-Thymom und einem
Thymuskarzinom ist allerdings nicht immer klar. Hier können neuere histologische und immunhistochemische Kriterien Hilfestellung leisten.
• Die Behandlung sollte in einem multidisziplinären Ansatz erfolgen, wobei
die primär operative Entfernung des Tumors die wichtigste Rolle spielt.
• Die Indikation zur Induktionstherapie sollte bei Invasion benachbarter
neute chirurgische Resektion in Erwägung zu ziehen,
bei Nichtresektabilität wäre eine Radio- oder in letzter
Instanz auch eine Chemotherapie indiziert.
Für 2017 wird die neue Klassifikation für Thymustumoren respektive Thymuskarzinome erwartet, die aus
einer gemeinsamen Arbeit aller bedeutenden Thymusorganisationen, der Japanese Association for Research
of the Thymus (JART), der IASLC, der ITMIG und der ESTS
hervorgehen wird.
Strukturen grosszügig erfolgen, um die Möglichkeit einer kompletten
Resektion zu erhöhen.
Danksagung
• Die postoperative Radio- und/oder Chemotherapie sollte regelmässig interdisziplinär diskutiert und individuell geplant werden.
• Eine adjuvante Radiotherapie mit Möglichkeit einer gezielten Bestrahlung
der Risikozonen ist aus unserer Sicht selbst nach R0-Resektion zu erwägen.
• Die Tumornachsorge sollte in Form einer halbjährlichen Kontrolle für die
ersten zwei Jahre nach Resektion mit Wechsel auf jährliche Kontrollen
bis zum fünften postoperativen Jahr erfolgen.
• Eine Bildgebung mittels Computertomographie erscheint ausreichend, eine
PET-Untersuchung erscheint nur bei initial bestehender Aktivität indiziert.
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2016;16(47):1019 –1025
Wir danken Prof. Enrico Ruffini (Professore Associato, Universita Turino) und Prof. Pier Luigi Filosso (Professore Associato, Universita Turino) für ihre wertvolle Mitwirkung an dieser Arbeit.
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
Die vollständige nummerierte Literaturliste finden Sie als Anhang
des Online-Artikels unter www.medicalforum.ch.
LITERATUR / RÉFÉRENCES Online-Appendix
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1026
FALLBERICHTE
Seltene pulmonale Spätkomplikation nach Morbus Hodgkin
Trockener Husten
und Leistungsknick
Eva Wohlfarth a,d , dipl. Ärztin; Dr. med. Sabina Berezowska b ; PD Dr. med. Andreas Pöllinger c ;
Prof. Dr. med. Thomas Geiser a ; Dr. med. Manuela Funke a
a
Universitätsklinik für Pneumologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, Schweiz; b Institut für Pathologie, Universität Bern, Schweiz; c Universitätsinstitut
für Diagnostische, Interventionelle und Pädiatrische Radiologie, Inselspital, Universitätsspital Bern, Schweiz; d Departement für Allgemeine Innere Medizin,
Hirslanden Bern, Schweiz
Hintergrund
Follow-up, CT-graphisch vor Beginn der beschriebenen
Symptomatik zuletzt 2004, ergaben sich keine Hin-
Dyspnoe ist eines der häufigsten Symptome, die zu
weise auf ein Rezidiv.
einem Arztbesuch führen.
Die Liste der möglichen Ursachen ist lang – sowohl an
Klinischer Status
den kardiorespiratorischen, metabolischen, als auch
Es präsentierte sich ein Patient in gutem Allgemein-
an den psychosomatischen Bereich muss gedacht wer-
und schlankem Ernährungszustand mit vesikulärem
den. Nicht zuletzt ist Dyspnoe ein Kardinalsymptom
Atemgeräusch über allen Lungenfeldern, reinen, rhyth-
bei Panikattacken oder Angststörungen, insbesondere
mischen, normokarden Herztönen ohne periphere
bei jüngeren Patienten. Gerade hier müssen somatische
Ödeme oder andere Hinweisen für eine kardiale De-
Ursachen zunächst ausgeschlossen werden.
kompensation. Haut und Bewegungsapparat und die
Die klinische Untersuchung und einfache Labor- und
orientierende neurologische Untersuchung waren un-
Röntgenuntersuchungen helfen bei der Diagnose-
auffällig.
findung. Oft ist auch eine Spirometrie erforderlich, um
obstruktive Lungenerkrankungen auszuschliessen. In
Befunde
schwierigen Fällen sollte eine Beurteilung durch den
Im Lungenfunktionstest fand sich eine mittelschwere
Kardiologen und Pneumologen, einschliesslich Body-
restriktive Ventilationsstörung mit eingeschränkter
plethysmographie, CT-Thorax (Hochauflösende Compu-
Diffusionskapazität (TLC 4,65 l [69% Soll], FEV1 2,52 l
tertomographie [HRCT]) und Spiroergometrie, erfolgen.
[65% Soll], FVC 2,92 l [63% Soll], DLCO 6,05 mmol/min ×
Doch häufig ist, wie auch in unserem Fall, der Schlüssel
kPa [56% Soll]). Die arterielle Blutgasanalyse war unauf-
zur Diagnose die Anamnese.
fällig. Bei Belastung bestand kein Abfall der Sauerstoffsättigung. Bereits bei der Vorstellung in der Hausarztpraxis fand sich im Röntgen-Thorax ein verbreitertes
Fallbericht
Mediastinum mit beidseits nach oben gezogenen
Zwerchfellen und fraglich nodulären Strukturen im
Eva Wohlfarth
Anamnese
linken Oberfeld. Eine Computertomographie des Thorax
Der 36-jährige Patient gab bei der Erstvorstellung in
zeigte eine apikal betonte Verdickung der Pleura mit
unserer Klinik ca. 3 Monate nach Symptombeginn
Ausziehung bis ins Lungenparenchym, Retikulationen
einen Leistungsknick, atem- und lageabhängige links-
bis in die Lappenspalten und leichte Milchglastrübun-
thorakale Schmerzen mit Druckdolenz sternocostal,
gen (Abb. 1A, 1B).
progrediente Anstrengungsdyspnoe und trockenen
Zur weiteren Abklärung wurde eine Bronchoskopie mit
Husten an. In seiner Vorgeschichte findet sich ein 1996
Biopsien durchgeführt.
diagnostizierter M. Hodgkin vom nodulär-sklero-
Die Inspektion war unauffällig, mit normaler Zellver-
sierenden Typ, weshalb der Patient 1996–1997 eine
teilung in der bronchoalveolären Lavage und ohne
Chemotherapie nach BEACOPP-Schema (Bleomycin,
pathologischen mikrobiologischen Befund. In den trans-
Etoposid, Adriamycin, Cyclophosphamid, Vincristin,
bronchial entnommenen Biopsien wurde eine herd-
Procarbazin, Prednisolon) und bei einem Rezidiv 1998
förmige Fibrose ohne Entzündungsinfiltrat beschrieben,
eine erneute Chemotherapie nach ABVD (Adriamycin,
die nicht näher zugeordnet werden konnte. Bei unspe-
Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin)-/COPP-Schema, ge-
zifischen Befunden erfolgte eine kardiologische Beur-
folgt von einer autologen Stammzelltransplantation
teilung, die den Verdacht auf eine beginnende Anthra-
(1998), erhalten hatte. Im klinischen und radiologischen
cyclin-assoziierte Kardiotoxizität mit einer LVEF von
SWISS MEDICAL FORUM – SCHWEIZERISCHES MEDIZIN-FORUM
2016;16(47):1026 –1028
1027
FALLBERICHTE
50% ergab. Eine konkomittierende kardiale Ischämie
Therapie
wurde mittels Stress-Kardio-MRI ausgeschlossen. In
Da etablierte Therapieoptionen bisher nicht zur Ver-
der Spiroergometrie zeigte sich eine kombinierte pul-
fügung stehen, erfolgen aktuell supportive Massnah-
monal-ventilatorische, kardiale und periphere musku-
men, einschliesslich Rehabilitation und kardiale The-
läre Einschränkung mit pulmonaler Limitation. Zur
rapieoptimierung.
weiteren Diagnostik erfolgte fünf Monate nach Symptombeginn eine thorakoskopische Wedge-Resektion
Verlauf
des Ober- und Unterlappens links. Histologisch fand
Nach vier Monaten zeigte sich eine weitere Progredienz
sich eine fleckige, subpleural betonte, jedoch auch in
mit Abnahme der Lungenfunktionswerte (FEV1 2,19 l
das Parenchym weit hineinziehende, zeitlich homogene
[57% Soll], FVC 2,72 l [59% Soll]). Konventionell-radiolo-
zellarme Fibrose mit assoziierter Elastose der Alveolar-
gisch zeigen sich die beidseitigen pleuralen Adhäsionen
septen und abruptem Übergang zum angrenzenden,
links basal leicht zunehmend. Bei weiterer Progredienz
entzündungsfreien Lungengewebe (Abb. 2A, 2B).
im Verlauf würde eine Transplantationsabklärung in
Frage kommen, wobei die gleichzeitige kardiale Ein-
Diagnose
schränkung diese therapeutische Möglichkeit in un-
Die klinischen, radiologischen und histologischen
serem Fall erschwert.
Befunde lassen die Diagnose einer pleuro-parenchymalen Fibroelastose (PPFE) zu, in diesem Fall wahrscheinlich sekundär nach Chemotherapie. Zusätzlich
Diskussion
besteht der Verdacht auf eine beginnende Anthracy-
Die PPFE ist eine Erkrankung der Pleura und des Lun-
clin-assoziierte Kardiotoxizität mit geringer Einschrän-
genparenchyms. Sie kann sekundär in Folge von
kung der LVEF.
Therapien mit alkylierenden Chemotherapeutika wie
Abbildung 1A, 1B: Apikal betonte Verdickung der Pleura mit Ausziehung ins Lungenparenchym. Retikulation bis in
die Lappenspalten. Leichte Milchglastrübungen.
Abbildung 2A, 2B: Fleckige, subpleural betonte, jedoch auch in das Parenchym weit hineinziehende, zeitlich homogene
zellarme Fibrose mit assoziierter Elastose der Alveolarsepten, und abruptem Übergang zum angrenzenden, entzündungsfreien
Lungengewebe. Färbung: Hämatoxylin und Eosin (A), Elastica van Gieson (B).
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FALLBERICHTE
Korrespondenz:
Eva Wohlfarth, dipl. Ärztin
Department Allgemeine
Cyclophosphamid und (autologer) Stammzelltrans-
Fibrose mit Anreicherung von elastischen Fasern im
plantation [1] auftreten. Eine sekundäre PPFE wird nach
alveolären und subpleuralen Lungengewebe gesehen
langer Latenzzeit beschrieben und als Korrelat einer
werden [4].
Hirslanden Bern
chronischen Graft-versus-Host-Reaktion diskutiert [2].
Therapeutische Optionen sind noch unklar. Kortiko-
Schänzlihalde 11
Wenn kein erkennbarer Auslöser zu finden ist, handelt
steroide führten in einer kleinen Fallserie in Frankreich
eva.wohlfarth[at]
es sich um eine sehr seltene Form der idiopathischen
[1] nicht zu einer Verbesserung der Symptomatik.
hirslanden.ch
interstitiellen Lungenerkrankungen (idiopathic inter-
Mit antifibrotischen Substanzen (Pirfenidon) wurden
stitial pneumonia [IIP]).
Therapieversuche durchgeführt. Pirfenidon verlang-
Zum ersten Mal wurde das Krankheitsbild der PPFE
samt, bei jedoch unbekanntem Mechanismus, den
1992 in Japan beschrieben. Bis jetzt wurden weltweit
Fibrosierungsprozess bei idiopathischer Lungenfibrose
100 bis 200 Fälle publiziert. Man muss allerdings davon
(IPF) und konnte in einer kürzlich veröffentlichen Fall-
ausgehen, dass diese relativ neu definierte Erkrankung
beschreibung den Abfall der Lungenfunktion bei idiopa-
unterdiagnostiziert und die Prävalenz wahrscheinlich
thischer PPFE aufhalten [5]. Weitere Studien sind jedoch
unterschätzt wird [3]. Klinisch bestehen, wie auch bei
erforderlich, um einen effektiven Nutzen nachzuweisen.
Innere Medizin
CH-3013 Bern
anderen Formen von Lungenfibrosen, progrediente
(Anstrengungs-)Dyspnoe, trockener Husten und eventuell Gewichtsverlust. Häufig kommt es zu Pneumo-
Zusammenfassung und Ausblick
thoraces [3]. Die in unserem Fall beschriebenen atypi-
Der beschriebene Fall vereint die typischen anam-
schen thorakalen Schmerzen scheinen multifaktoriell
nestischen, klinischen, lungenfunktionellen und ra-
bedingt zu sein.
diologischen Befunde der PPFE. Nach vorgängiger
Trockener Husten und Leistungsknick sind zwar typisch,
Chemotherapie mit unter anderem Bleomycin und
aber nicht spezifisch für die PPFE. Viele medikamentös-
Cyclophosphamid und autologer Stammzelltransplan-
toxische interstitielle Lungenkrankheiten präsentieren
tation liegen postulierte typische Risikofaktoren für
sich mit diesen alleinigen Symptomen und bedürfen
diese Erkrankung als sekundäre Form vor. Damit steht
einer weiteren Abklärung.
dieser Fall beispielhaft für eine seltene Differential-
Die Diagnose wird radiologisch und histopathologisch
diagnose der Dyspnoe bei jungen Patienten, die auch
gestellt. Dabei zeigen sich in der HRCT oberlappen-
im hausärztlichen Patientengut gesehen werden kann
betonte subpleurale Konsolidationen mit Traktions-
und eine fachärztliche Mitbeurteilung erfordert.
bronchiektasen, Architekturstörung und Verkleinerung
Die Prognose der Erkrankung ist schlecht, mit Progre-
des Volumens der Oberlappen. Histologisch kann eine
dienz in den beschriebenen Fällen. Auch in unserem
Fall besteht eine relativ rasche Progredienz. Etablierte
Therapien fehlen bislang, sind aber Gegenstand aktueller Forschung. Bei rascher Progredienz sollte eine
Das Wichtigste für die Praxis
• Bei jungen Patienten mit unauffälligen Basisuntersuchungen sind auch
Lungentransplantation evaluiert werden.
seltene Differentialdiagnosen der Dyspnoe zu berücksichtigen. Anamnese,
Disclosure statement
Vorerkrankungen und vorangegangene Therapien spielen dabei eine
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Schlüsselrolle und müssen sorgfältig erfasst werden.
• Patienten mit Chemotherapie in der Vorgeschichte haben bereits in jungem
Alter nicht nur ein erhöhtes Risiko für eine Herzinsuffizienz, sondern auch
Literatur
1
in besonderen Fällen für eine spezielle Form der interstitiellen Pneumopathie (PPFE). Hier ist die vollständige Lungenfunktionsuntersuchung
2
und weitere pneumologische Evaluierung essentiell, wobei etablierte
Therapien bisher noch fehlen. Einzelne Fälle sprechen möglicherweise
auf neue antifibrotische Therapien (Pirfenidon) an.
3
• Für die hausärztliche Praxis ist es besonders wichtig, Patienten zu erkennen, die weiterer Abklärung durch einen Spezialisten bedürfen. In unserem
Fall führte die weitere pneumologische Beurteilung, nach Feststellung
4
einer restriktiven Ventilationsstörung in der Bodyplethysmographie und
weiterer Diagnostik, zu dieser seltenen Diagnose.
• Trotz der derzeit schlechten Prognose der PPFE ist es wichtig, sie zu erkennen – zur Abgrenzung anderer Krankheitsbilder und insbesondere im Hinblick auf eine eventuell im weiteren Verlauf notwendige Transplantation.
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1029
FALLBERICHTE
Seltenes Erstsymptom eines hepato zellulären Karzinoms
Akrale Metastasierung
Dr. med. Thomas Rauer a , Dr. med. Sandra Hürlimann b , Dr. med. Tobias Krüger c ,
Dr. med. Andreas Rindlisbacher a , Dr. med. Michael Zünd a
a
c
Chirurgische Klinik, Zuger Kantonsspital; b Pathologisches Institut, Luzerner Kantonsspital;
Radiologie, Zuger Kantonsspital
Fallbericht
solid-trabekulär und azinär wachsendes Karzinom mit
Nekrose nach (Abb. 2). Immunhistochemisch zeigte
der Tumor eine Expression von HepPar-1 (Abb. 3) und
Anamnese
Glypican 3 sowie eine fokale Positivität für Alpha-Feto-
Ein 70-jähriger Patient mit einer peripheren Polyneu-
protein (Abb. 4), sodass das histomorphologische und
ropathie bei einem nicht insulinpflichtigen Diabetes
immunhistochemische Bild mit einem hepatoid diffe-
mellitus Typ II sowie einem chronischen Alkohol-
renzierten Karzinom vereinbar war.
abusus stellte sich mit einer neun Tage alten Quetsch-
Bei im Serum auf 880 µg/l erhöhtem Alpha-Fetopro-
wunde des linken Ringfingers auf der Notfallstation
tein wies die thorakoabdominale Computertomogra-
vor.
phie (Abb. 5) ein ausgedehntes, pulmonal metastasiertes hepatozelluläres Karzinom bei äthyltoxischer
Befunde und Diagnose
Leberzirrhose Child-Pugh Stadium B nach.
Klinisch zeigte sich eine nekrotische Defektwunde des
Thomas Rauer
Endgliedes. Die konventionell radiologische Dia-
Therapie und Verlauf
gnostik wies einen osteodestruktiven Prozess des End-
Da der Patient eine weitere Therapie ablehnte, wurde
gliedes (Abb. 1) nach. Differentialdiagnostisch wurde
im Rahmen einer interdisziplinären Tumorkonferenz
an eine Osteomyelitis oder ein Malignom gedacht.
auf eine palliative Systemtherapie bei metastasierter
Eine Amputation der distalen Phalanx des linken Ring-
Tumorerkrankung und fortgeschrittener Leberzir-
fingers war erforderlich.
rhose verzichtet und eine «best supportive care»-The-
Die histologische Aufarbeitung des Amputates wies in
rapie initiiert. Fünf Monate nach Diagnosestellung
der ulzerierten Haut, der Subkutis und im Knochen ein
verstarb der Patient.
Abbildung 1: Röntgen Dig IV Hand links ap/lat: osteodestruktiver Prozess des Endgliedes.
Abbildung 2: Hämatoxylin-Eosin-Färbung, 25-fache Vergrösserung: Karzinom mit Nekrose.
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FALLBERICHTE
Abbildung 3: Immunhistochemie HepPar-1, 400-fache Vergrös serung: Nachweis einer hepatozellulären Differenzierung.
Abbildung 4: Immunhistochemie, 400-fache Vergrösserung:
fokale Positivität für Alpha-Fetoprotein.
Abbildung 5: Thorakoabdominale Computertomographie mit ausgedehntem, pulmonal metastasiertem hepatozellulären Karzinom.
Diskussion
ist, auf den Zusammenhang zwischen dem bei Männern erhöhtem Nikotinabusus und dem damit erhöh-
Akrale Metastasen, also Metastasen im Bereich der
ten Lungenkarzinomrisiko zurückgeführt [2, 4]. Bei
Hände und Füsse, sind sehr selten und repräsentieren
noch nicht vollständig geklärtem pathophysiologi-
lediglich 0,1% aller Knochenmetastasen [1, 2]. Erstbe-
schem Metastasierungsmechanismus wird angenom-
schrieben an der Hand 1906 durch Handley und 1920
men, dass die akrale Metastasierung vorwiegend häma-
am Fuss durch Bloodgood ist die akrale Metastasie-
togen und nicht lymphatisch erfolgt [2, 5]. Einige
rung ein Ausdruck einer schlechten Prognose bei
Autoren postulieren eine Assoziation der akralen Meta-
meist fortgeschrittener Tumorerkrankung [2]. In knapp
stasierung zu traumatischen Läsionen der Akren [2, 6].
der Hälfte der Fälle ist der Primärtumor in der Lunge
Während Metastasen in den Händen vorwiegend auf
lokalisiert, gefolgt von Tumoren des Gastrointestinal-
Lungentumoren zurückzuführen sind, findet sich der
und Urogenitaltraktes sowie der Brust [1, 3]. Ein hepato-
Primärtumor bei akralen Metastasen im Fussbereich
zelluläres Karzinom als Primarius einer akralen Metas-
meist in den Nieren oder kolorektal. Bei Brusttumoren
tase ist eine absolute Rarität, sodass in der Literatur
konnte kein signifikanter Unterschied in der Metasta-
nur vereinzelte Fallberichte dokumentiert sind [2]. Ak-
sierungslokalisation aufgezeigt werden [2].
rale Metastasen werden zweimal häufiger bei Männern
Akrale Metastasen der Hand sind am häufigsten am
als bei Frauen nachgewiesen. Diese männliche Ge-
Mittelfinger und Daumen zu finden und sind hier
schlechterprädominanz wird von einigen Autoren, da
meist an der distalen Phalanx lokalisiert, während kar-
am häufigsten ein Lungenkarzinom der Primärtumor
pale Metastasen sehr selten sind [2, 4]. Healey et al. be-
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1031
FALLBERICHTE
schreiben in ihrer Publikation von 1986 eine Prädomi-
der Diagnose mittels Gewebebiopsie sowie ein anschlies-
Klinik für Unfallchirurgie
nanz der akralen Metastasierung für die dominante
sendes komplettes Staging zur Tumorlokalisation und
UniversitätsSpital Zürich
Hand [6]. Am Fuss sind der Talus und der Calcaneus die
-ausbreitung indiziert [2]. Während akrale Metastasen
häufigste Lokalisation der Metastasierung [2].
meist bei Patienten mit einem bekannten, weit fortge-
Klinisch weisen die Patienten eine geschwollene Akre
schrittenem Tumorleiden auftreten, sind sie in 10% der
mit palpablem Tumor und meist starken Ruheschmer-
Fälle, wie im oben geschildertem Fall, ein Erstsymp-
zen auf, wodurch es zu Funktionseinbussen der betrof-
tom eines okkulten Tumorleidens [2, 3].
fenen Hand oder des betroffenen Fusses kommt [2]. In
Aufgrund der Seltenheit der akralen Metastasierung
fortgeschrittenen Stadien können Erytheme und Ulze-
existiert keine standardisierte Therapie. Da akrale Me-
rationen auftreten [2].
tastasen einen Indikator für eine sehr schlechte Prog-
Differentialdiagnostisch sollte an eine infektiöse, rheu-
nose mit einer mittleren Lebenserwartung von sechs
matoide oder tuberkulöse Genese gedacht werden. Des
Monaten ab Diagnosestellung darstellen [4, 5], hat die
Weiteren sind Zysten, Ganglien, Gichttophi, pyogene
meist palliative Therapie das Ziel der Schmerzreduk-
Granulome sowie primäre Hauttumoren differential-
tion sowie des Funktionalitäterhaltes der Hand oder
diagnostisch in Erwägung zu ziehen [2].
des Fusses [1]. Als Therapieoptionen stehen Radiothera-
In der konventionell radiologischen Bildgebung wei-
pie, lokale Curretage und Tumorresektion zur Aus-
sen akrale ossäre Metastasen eines Lungen- oder Nie-
wahl, wobei die lokale Rezidivrate nach Curretage bei
renkarzinoms typischerweise lytische Läsionen, die
bis zu 20% liegt [3]. Der Einsatz einer Chemotherapie
eines Prostatakarzinoms sklerotische Läsionen auf. Ist
wird in der Literatur noch kontrovers diskutiert [2]. Die
der Primärtumor in der Brust lokalisiert, zeigt sich häu-
situationsangepasste Amputation ist die in der Litera-
fig ein gemischtes Bild aus lytischen und sklerotischen
tur am häufigsten erwähnte Therapieoption.
Dr. med. Thomas Rauer
Rämistrasse 100
CH-8091 Zürich
Thomas.Rauer[at]usz.ch
Veränderungen [2].
Ergeben Anamnese, klinische Untersuchung und konventionell radiologische Diagnostik den Verdacht einer
Informed consent
Den Autoren liegt eine kantonsärztliche Entbindung der Schweigepflicht für die Publikation dieses Fallberichtes vor.
akralen Metastase, so sind die histologische Sicherung
Disclosure statement
Die Autoren haben keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Das Wichtigste für die Praxis
• Akrale Metastasen sind sehr selten. Sie stellen circa 0,1% aller Knochenmetastasen dar und werden doppelt so häufig bei Männern als bei
Frauen nachgewiesen.
• In knapp 50% der Fälle ist der Primärtumor in der Lunge lokalisiert, gefolgt von Tumoren des Gastrointestinal- und Urogenitaltraktes sowie der
Brust.
• Akrale Metastasen treten vorwiegend bei Patienten mit einem bekannten, weit fortgeschrittenen Tumorleiden auf. In 10% der Fälle sind sie jedoch ein Erstsymptom eines okkulten Tumorleidens.
• Es existiert keine standardisierte Therapie, wobei die situationsangepasste Amputation mit dem Ziel der Schmerzreduktion und des Funktionserhalts die in der Literatur am häufigsten erwähnte Therapieoption ist.
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1032
FALLBERICHTE
Primäres B-Zell-Lymphom des ZNS
Ein nicht alltäglicher Tumor …
Stefanie Rudolf, dipl. Ärztin
Praxis Dr. Rudolf und Dr. Schürch, Port
Fallbericht
Diskussion
Anamnese
Primäre B-Zell-Lymphome des ZNS gehören zu den selte-
Eine 63-jährige Patientin stellte sich neu beim Haus-
nen Vertretern der Non-Hodgkin-Lymphome (ca. 0,47/
arzt vor, da sie seit einiger Zeit unter Antriebslosigkeit
100 000) und treten gehäuft im 6. und 7. Lebensjahrzehnt
und Konzentrationsstörungen litt. Sie sei teilweise
auf. Ein erhöhtes Risiko besteht bei Immunsuppression
«abwesend», verliere sich in der Zeit, ausserdem sei sie
(HIV, medikamentös oder kongenital).
immer müde. Immer wieder trete auch Schwindel mit
Primäre B-Zell-Lymphome machen 1–2% aller Lym-
einer begleitenden Fallneigung nach links auf. Eine sie
phome aus sowie 2–7% aller primären ZNS-Tumoren.
begleitende Bekannte erwähnte zusätzlich, ihr sei eine
90% der nicht HIV-assoziierten primären ZNS-Lym-
deutliche Verlangsamung aufgefallen.
phome sind vom diffus-grosszelligen Typ.
Die Patientin selber vermutet eine Depression, da sie
Bis in die 1970er Jahre war die Zahl der primären B-Zell-
nach eigenen Angaben den Tod ihres Ehemanns ca.
Lymphome des ZNS stabil, danach kam es zu einem
3,5 Jahre zuvor noch nicht verarbeitet habe.
langsamen Anstieg bis ins Jahr 2000, wobei vermutet
wird, dass die Zunahme der HIV-Infektionen für den
Status
Anstieg verantwortlich ist.
In der klinischen Untersuchung präsentierte sich die
Die Prognose der primären ZNS-Lymphome ist schlecht,
Patientin in ordentlichem Allgemein- und leicht adipö-
ohne Behandlung beträgt das mittlere Überleben drei
sem Ernährungszustand, normoton, normokard. Kar-
Monate. Eine dauerhafte Remission kann in einigen
dial, pulmonal sowie abdominell zeigten sich keine
Fällen erreicht werden, in den meisten Fällen kommt
Auffälligkeiten. Im Neurostatus fand sich eine leichte
es zum Rezidiv.
Asymmetrie des Gaumensegels (links tiefer als rechts),
die übrigen Hirnnervenprüfungen waren unauffällig.
Klinik
Ausserdem ergab sich eine leichte Kraftminderung M4
Die Patienten präsentieren sich oft mit neuropsycho-
des linken Arms und Beines, die Sensibilität war seiten-
logischen Symptomen, Zeichen des erhöhten Hirn-
gleich, die Reflexe waren symmetrisch mittellebhaft.
drucks, Krampfanfällen sowie okulären Symptomen,
wobei Krampfanfälle seltener auftreten als bei anderen
Befunde
ZNS-Tumoren, weil meist vor allem die subkortikale
Die Magnetresonanztomographie (MRT) zeigte einen
weisse Substanz betroffen ist. B-Symptome treten nur
ca. 2 cm messenden Hirntumor im frontalen Mark-
selten auf.
lager mit Mittellinienverlagerung und erheblichem
Diagnostik
perifokalem Ödem (Abb. 1)
In der MRT zeigt sich typischerweise eine fokale Mas-
Therapie und Verlauf
senläsion (über 50% der Fälle), bei Immunkompeten-
Es erfolgte die sofortige Verlegung ins Zentrumspital,
ten meist eine solitäre, homogen kontrastmittelanrei-
wo die navigationsgestützte mikrochirurgische Exstir-
chernde Läsion, meist in einer Hemisphäre lokalisiert,
pation und komplette Exzision des Tumors erfolgte.
seltener in Thalamus oder Basalganglien, Corpus callo-
Der histopathologische Befund ergab die Diagnose
sum, periventrikulärem Bereich oder Kleinhirn. Noch
eines diffusen grosszelligen B-Zell-Lymphoms des Zen-
seltener sind isolierte Rückenmarkslymphome. Die Dia-
tralnervensystems (ZNS).
gnosesicherung erfolgt mittels stereotaktischer Biopsie.
Postoperativ wurde eine Chemotherapie mit Metho-
Stefanie Rudolf
trexat, Rituximab und Cytarabin durchgeführt, wor-
Behandlung
unter es zu einer teilweisen Regredienz kam.
Die Behandlungsstrategie setzt sich zusammen aus
Eine konsolidierende Hochdosis-Chemotherapie ist
hochdosierten Kortikosteroiden, Chemotherapie und
aktuell geplant.
Radiatio.
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1033
FALLBERICHTE
Die früher als Methode der Wahl beschriebene Ganzhirnbestrahlung wird heute nur noch selten alleine
durchgeführt, da sie zwar eine grosse Effizienz in der
initialen Kontrolle zeigt, jedoch insbesondere in der
Gruppe der über 60-Jährigen oft mit verzögerten neurotoxischen Effekten verbunden ist, weshalb bei dieser
Gruppe oft ganz darauf verzichtet wird. Mit einer alleinigen Bestrahlung beträgt das mittlere Überleben
12–18 Monate, die 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit 18–35%.
Chirurgische Verfahren kommen nur selten bei ausgeprägtem Masseneffekt zum Einsatz.
Kortikosteroide bewirken eine rasche Tumorregredienz sowie einen Rückgang des perifokalen Ödems.
Oft kommt es jedoch zu einem frühen Rückfall, weshalb sie heute nicht mehr als alleinige Therapie eingesetzt werden. Ein rasches Ansprechen auf Kortikosteroide gilt jedoch als positiver prognostischer Faktor
(117 Monate Überlebensdauer bei Ansprechen, 5,5 Monate bei fehlendem Ansprechen). Sie sollten jedoch erst
nach Diagnosesicherung eingesetzt werden wegen ihres
lymphozytolytischen Effekts, der eine Zerstörung der
Tumorzellmorphologie bewirken und so zu diagnostischer Ungenauigkeit führen kann.
Chemotherapeutisch wird oft Methotrexat eingesetzt,
wobei wegen seiner eingeschränkten ZNS-Penetration
hohe Dosen benötigt werden. In Kombination mit einer
Ganzhirnbestrahlung zeigen sich in über 50% der Fälle
ein radiologisches Ansprechen und eine 2-Jahres-Überlebenschance von 43–73%.
Methotrexat in Kombination mit Cytarabin zeigt ein
Ansprechen von 91% und ein progressionsfreies Überleben von 24 Monaten bei einer Gesamtüberlebenswahrscheinlichkeit von 36,9%.
In neuesten Studien werden Dexamethason, Etoposid,
Ifosfamid und Carboplatin in Kombination mit Radiotherapie eingesetzt, worunter es bei 95% der Patienten
mit neu diagnostiziertem ZNS-Lymphom sowie bei
83% der Patienten mit einem therapierefraktären oder
rezidivierenden ZNS-Lymphom zu einer Tumorregredienz kommt.
Ein verbesserter Outcome zeigt sich bei Patienten, die
auf die initiale Chemotherapie ansprechen. Grundsätzlich kommt es jedoch sehr oft zum Rezidiv, was eine
deutlich schlechtere Prognose mit einem durchschnittlichen Überleben von 4,5 Monaten bedeutet.
Neurotoxische Effekte sind häufig, insbesondere bei
Patienten über 60 Jahren und vaskulären RisikofakAbbildung 1: Magnetresonanztomographie des Schädels. Ca. 2 cm grosser, im frontalen
Marklager gelegener Tumor mit Mittellinienverlagerung von ca. 1 cm und Kompression
des Frontalhorns des rechten Seitenventrikels. Erhebliches periläsionelles Ödem, das
sich über das Corpus callosum zur Gegenseite ausbreitet. A: T2 transversal: Mittellinienverlagerung. B: T1 sagital: deutliches perifokales Ödem. C: T2 coronar.
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toren. Typischerweise sind Demenz, Gangataxie, Inkontinenz, in leichteren Fällen treten eine eingeschränkte
Aufmerksamkeit, eingeschränkte exekutive Funktionen, Verlangsamung sowie eine Verschlechterung des
Gedächtnisses auf, wobei diese Funktionseinschrän-
1034
FALLBERICHTE
Korrespondenz:
kungen auch als Folge der progredienten Grunder-
Stefanie Rudolf, dipl. Ärztin
krankung auftreten können.
Praxis Dr. Rudolf und
Die autologe Stammzelltransplatation gehört zu den
Dr. Schürch
Hauptstrasse 9
neueren Ansätzen der Therapie der primären ZNS-
Postfach 92
Lymphome und zeigt in verschiedenen Studien gute
CH-2562 Port
stefanie.rudolf[at]hin.ch
Resultate.
Danksagung
Die Autorin dankt Dr. med. Martin Wenger, Radiologie Privatklinik
Linde, Biel, für das Bildmaterial.
Disclosure statement
Die Autorin hat keine finanziellen oder persönlichen Verbindungen
im Zusammenhang mit diesem Beitrag deklariert.
Literatur
1
Das Wichtigste für die Praxis
• Primäre B-Zell-Lymphome des Zentralnervensystems (ZNS) gehören zu
den seltenen Vertretern der Non-Hodgkin-Lymphome und treten gehäuft
im 6. und 7. Lebensjahrzehnt auf. Sie machen 1–2% aller Lymphome aus
2
3
sowie 2–7% aller primären ZNS-Tumoren.
• Die Patienten präsentieren sich oft mit neuropsychologischen Symptomen, Zeichen des erhöhten Hirndrucks, Krampfanfällen sowie okulären
Symptomen.
• Die Prognose ist schlecht, ohne Therapie beträgt das mittlere Überleben
drei Monate. Eine dauerhafte Remission kann nur in wenigen Fällen
erreicht werden.
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