Foto: Stefan Thomas Titelthema In Thüringen allzeit bereit Am Südhang des Thüringer Waldes liegt im Tal von Lauter und Hasel die Stadt Suhl. Am dortigen Zentralklinikum betreibt die DRF Luftrettung seit 20 Jahren den Rettungshubschrauber Christoph 60. Wir haben die Besatzung einen Tag lang bei ihren Einsätzen begleitet. A ls ich morgens um 6 Uhr aus dem Fenster schaue, sehe ich dunkle Nacht. Und ich sehe Regen, wie er sich tagelang über dem Land festsetzen kann. Der Himmel ist unwesentlich heller, als mich die Besatzung an der Suhler Station um 7 Uhr mit einem freundlichen „Guten Morgen“ empfängt. Zu diesem Zeitpunkt hat Pilot Martin Hannig die morgendliche Vorflugkontrolle (siehe unser Bericht auf S. 22/23) bereits abgeschlossen, das Wetter gecheckt und die Nachrichten für Luftfahrer, kurz NOTAMs, gelesen. „Da erfahren wir, ob es in unserem Einsatzgebiet kurzfristig eingerichtete Flugverbotszonen gibt“, erklärt 6 Hannig. Rettungsassistent Tobias Strom hat zwischenzeitlich die medizintechnischen Geräte im Hubschrauber einem Check unterzogen sowie Verbrauchsmaterialien und Medikamente aufgefüllt. Sobald der Hubschrauber bei der Leitstelle einsatzbereit gemeldet werden kann, was bei Tagstationen wie Suhl um 7 Uhr bzw. bei Sonnenaufgang der Fall ist, wird er vom Hangar nach draußen auf den Vorplatz gezogen. „Mit dem Anmelden warten wir noch, bis die Sicht besser wird, im Moment können wir nicht fliegen“, informiert der erfahrene Pilot und geht gemeinsam mit Tobias Strom in die Wohnküche, wo Notarzt Dr. Georg Kochinki Wettercheck o.k.: Hannig gibt grünes Licht Während des gemeinsamen Frühstücks wirft Martin Hannig immer wieder einen kritischen Blick gen Himmel. Der Regen hat mittlerweile aufgehört. „Hmmm ... sieht schon besser aus. Ich schau mir mal die Wettermeldungen der umliegenden Flugplätze und die Bilder der Webcams an“, sagt der erfahrene Pilot und nimmt vor dem Computer Platz. Hannig, der seit 2010 bei der DRF Luftrettung ist, hat mittlerweile 6.800 Flugstunden im Logbuch stehen. Wer für die DRF Luftrettung fliegen möchte, muss 2.000 Flugstunden Gesamtflugerfahrung auf Hubschraubern mitbringen, davon 1.000 Flugstunden auf Turbinenhubschraubern, mindestens 20 Stunden Nachtflugerfahrung und 500 Stunden Erfahrung mit Einsätzen aus dem Bereich Helicopter Emergency Medical Services (HEMS). Nach dem Wettercheck gibt Martin Hannig grünes Licht und zieht die rot-weiß lackierte EC 135 ins Freie vor den Hangar, während Tobias Strom Christoph 60 bei der Rettungsleitstelle Suhl einsatzbereit meldet. „Sie alarmiert uns bei Notfällen. Für Transporte von intensivpflichtigen Patienten zwischen zwei Kliniken werden wir von der Leitstelle Jena angefordert“, erzählt der erfahrene Rettungsassistent, der seit 2008 bei der DRF Luftrettung ist. In den Jahren zuvor hat er Berufserfahrung gesammelt, um überhaupt im Luftrettung 1 || 2014 Foto: Irina Wonneberg Luftrettungsdienst tätig sein zu dürfen. „Verlangt werden fünf Praxisjahre auf arztbesetzten Rettungsfahrzeugen. Darüber hinaus führt die DRF Luftrettung Tests durch, in denen neben notfallmedizinischem Fachwissen auch die persönliche Eignung des Bewerbers für den Luftrettungsdienst geprüft wird“, berichtet Strom. Bevor der Rettungsassistent dann auf dem Hubschrauber Einsätze fliegen darf, muss er einen 7-tägigen Grundkurs zum HEMS Crew Member (HCM) absolviert haben. Darin werden ihm u.a. Kenntnisse in Wetterkunde, Navigation oder Flugphysiologie vermittelt, da der HCM den Notarzt und den Piloten unterstützt. Die erste Alarmierung des Tages erfolgt just in dem Moment, als das morgendliche Briefing beendet ist. Die Leitstelle Jena beauftragt die Crew von Christoph 60 mit einem Intensivtransport. Ein 61-jähriger Patient mit akutem Koronarsyndrom soll zur Abklärung seiner Symptome von einer Klinik in Bad Salzungen in das Rhön-Klinikum nach Meiningen verlegt werden. „Bei einem akuten Koronarsyndrom gehen wir von einer unklaren und länger anhaltenden Herz-Symptomatik aus, beispielsweise aufgrund eines Herzinfarkts. Häufig besteht Lebensgefahr“, erläutert Dr. Kochinki, warum Eile geboten ist. Das Klinikum in Meiningen verfügt über eine kardiologische Fachabteilung und hat somit mehr diagnostische und therapeutische Möglichkeiten als ein Haus der Grund- und Regelversorgung. „Die Spezialisierung der Kliniken hat dazu geführt, dass Patienten häufiger verlegt werden müssen, oft auch über größere Distanzen. In diesen Fällen ist meist der Hubschrauber das Transportmittel erster Wahl“, erklärt der Foto: Stefan Thomas bereits das „Briefingfrühstück“ vorbereitet hat. „Ein für unser Team sehr wichtiger Teil des Tages, häufig ist es die einzige Möglichkeit, gemeinsam in Ruhe zu besprechen, was aktuell ansteht“, erklärt der Notarzt. An diesem Morgen ist die Planung und Organisation des „Christoph-60-Tags“ im Jubiläumsjahr zentrales Thema. „Diese Fortbildungsveranstaltung hat für die Optimierung der Notfallversorgung in der Region einen hohen Stellenwert“, weiß der Rettungsassistent. 2012 beispielsweise stand die Fortbildung unter dem Motto „Notfälle am und im Wasser“. In Praxiskursen wurde den Teilnehmern unter anderem vermittelt, welche Rettungs-, Bergungs- und Suchtechniken die Wasserwacht anwendet und welche Beatmungsmöglichkeiten es nach einem schweren Tauch- oder Ertrinkungsunfall gibt. „Unser Einsatzgebiet umfasst die Landkreise Schmalkalden-Meiningen, Suhl, Wartburgkreis, Gotha, Ilmkreis, Schweinfurt, Coburg, Saalfeld, Hildburghausen und Sonneberg und ist damit wenig wasserreich. Trotzdem kann es vorkommen, dass wir bzw. unsere bodengebundenen Kollegen zu Wassersport- oder Tauchunfällen alarmiert werden. Darauf möchten wir so gut wie möglich vorbereitet sein“, berichtet Strom. Während Pilot Martin Hannig die aktuellen Wetterinformationen einholt (oben), prüft Rettungsassistent Tobias Strom die medizintechnische Ausrüstung. 7 Titelthema der Hubschrauber hier als schneller Notarztzubringer unverzichtbar ist“, so Dr. Kochinki, der auch als bodengebundener Notarzt aktiv ist und somit genau weiß, wovon er spricht. Patient stabil? Arztbriefe und Befunde vorhanden? Bei einer Patientenübernahme wissen Klinikmitarbeiter und Luftretter genau, worauf zu achten ist. Notarzt. Das weiß im Fall des 61 Jahre alten Patienten auch die abgebende Klinik. Die Crew wird bereits erwartet, die Übergabe des Patienten auf der Intensivstation verläuft reibungslos. Dr. Kochinki nimmt die Befunde wie Laborwerte und EKG sowie den Arztbrief für die weiterbehandelnden Kardiologen in Meiningen entgegen. Dann wird der Mann auf die Hubschraubertrage gebettet und zum Landeplatz transportiert. In der Maschine schließt ihn Tobias Strom an das Monitoring an, um während des Fluges seine Vitalwerte wie Blutdruck, Herzfrequenz und Sauerstoffsättigung kontinuierlich überwachen zu können. „Kabine klar“, meldet er schließlich über den Bordfunk ins Cockpit – und schon erhebt sich Christoph 60 in den grauen Himmel. Wenige Minuten später erreichen wir Meiningen. Auf dem Rückflug zur Station fällt mir auf, wie dünn besiedelt die Landschaft unter uns ist. „Der Thüringer Wald ist durch seine vielen Täler sehr zerklüftet, mit bodengebundenen Rettungsmitteln sind die Anfahrtswege häufig sehr lang, sodass Zurück auf Station tankt Pilot Hannig den Hubschrauber auf, Notarzt Kochinki gibt die Daten des Einsatzprotokolls in die medizinische Datenbank Medat ein und Rettungsassistent Strom füllt Medikamente und Infusionen wieder auf. Es bleibt gerade noch Zeit für ein Glas Wasser, als erneut ein Alarm eingeht. In einer Scheune in der Nähe von Coburg war eine Frau aus ca. 5 m Höhe gestürzt und dabei mit Kopf und Brust auf ein Geländer geprallt. Während des Fluges zum Unfallort, der nur wenige Minuten dauert, lasse ich mir die medizinische Ausrüstung der EC 135 erklären: Beatmungsgerät, Spritzenpumpen, Überwachungsgerät, Defibrillator, Videolaryngoskop, Wärmedecke für unterkühlte Patienten, Traumatasche mit Thoraxdrainage, Kindernotfalltasche, pneumatische Beckenschlinge, Christoph 60 ist mit hochwertiger Medizintechnik ausgestattet. „Bei Bedarf können wir auch einen Inkubator (Brutkasten) installieren, um Transporte von Frühgeborenen durchzuführen. Für diesen Fall nehmen wir ein pädiatrisches Team (Kinderarzt/-schwester) des Klinikums Suhl mit an Bord“, so Dr. Kochinki, der selbst als Facharzt für Anästhesie und Intensivmedizin am Klinikum Suhl arbeitet. Die meisten Notärzte, die an Bord von Christoph 60 eingesetzt werden, sind Anästhesisten. Sie werden von den Kliniken in Suhl, Meiningen und Sonneberg Foto: DRF Luftrettung Foto: Stefan Thomas Gerade mal Zeit für einen Schluck Wasser Von Heuboden schwer gestürzt Am Einsatzort eingetroffen, landet Hannig die EC 135 direkt am Hof. Hubschraubernotarzt und Rettungsassistent eilen in die Scheune, wo die Patientin in 5 m Höhe auf dem Zwischenboden der Scheune liegt. Bodengebundene Rettungskräfte sind bereits bei ihr und berichten, dass die Frau kurzzeitig bewusstlos war und über starke Schmerzen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule klagt. Strom und Dr. Kochinki machen sich ein Bild über die Gesamtsituation. „Georg, wir brauchen die Feuerwehr mit einer Schleifkorbtrage, um die Frau sicher abtransportieren zu können“, sagt der Rettungsassistent. Der Notarzt bejaht dies. „Hier ist es dunkel und beengt. Da sie möglicherweise Wirbelsäulenverletzungen erlitten hat, müssen wir sie in stabiler Lage von dort oben in den Hubschrauber bekommen“, konstatiert Dr. Kochinki. Er legt der 61 Jahre alten Patientin einen Zugang und verabreicht ihr Schmerzmittel, während Tobias Strom die Feuerwehr aus Niederndorf mit dem erforderlichen Equipment alarmiert. Die Patientin ist gerade versorgt, als die Feuerwehr eintrifft. In der Schleifkorbtrage, die speziell für die Rettung von Personen aus unwegsamem Gelände sowie aus Höhen und Tiefen entwickelt wurde, kann die Patientin waagrecht abgeseilt und in den Hubschrauber verbracht werden. „Wir bringen ihre Frau zur weiteren Abklärung ihrer Verletzungen ins Zentralklinikum nach Suhl“, informiert Strom den Ehemann der Patientin. Und schon nimmt Hannig Kurs auf Suhl. Zwei Einsätze kann die Crew an diesem Tag noch übernehmen, dann ist die Sonne am Horizont versun- Weitere Informationen über die Station Suhl halten wir im Internet für Sie bereit: www.drf-luftrettung.de/standorte Luftrettung 1 || 2014 ken. 30 Minuten nach Sonnenuntergang wird die Maschine bei der Leitstelle abgemeldet. Anschließend führt der Pilot die Nachflugkontrolle durch und reinigt den Hubschrauber äußerlich mit Wasser, Schwamm und Lappen. „Bei Hubschraubern ist die Sauberkeit ein Sicherheitsdetail. Das Wichtigste sind eine saubere Scheibe und die Rotorblätter“, so der Pilot. „Verschmutzte Rotorblätter beeinflussen die Aerodynamik Foto: Irina Wonneberg bereitgestellt. „Unsere Kontakte zu den umliegenden Kliniken sowie zu Organisationen wie der Bergwacht Suhl Goldlauter oder der Polizeischule in Meiningen sind sehr gut“, ergänzt Tobias Strom. So geht die Zusammenarbeit von Luftrettung und bodengebundenem Rettungsdienst, Polizei und Feuerwehr im Einsatzgeschehen Hand in Hand. negativ, daher ist es wichtig, diese nach jedem Flugtag gründlich zu reinigen“, betont Hannig. Auch die medizinische Besatzung ist mit Reinigungsarbeiten beschäftigt. Tobias Strom desinfiziert das Innere der EC 135, während Georg Kochinki den Patientensack aus dem Hubschrauber sowie die Dienstkleidung aller Besatzungsmitglieder in die Waschmaschine steckt. Strom: „Bei uns packt jeder mit an. Am Ende des Tages ist es einfach nur gut zu wissen, in so einem Team zu arbeiten.“ Ist Christoph 60 bei der Leitstelle abgemeldet, steht er im Hangar, wo die hochwertige Technik in der Nacht gut geschützt ist. Irina wonneberg Für einen kurzen Videoclip, der Start und Landung einer EC 135 zeigt, folgen Sie bitte diesem Link www.drf-luftrettung.de/footage 9