Gewaltdelikte jugendlicher Täter: Erscheinungsformen

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Gewaltdelikte jugendlicher Täter:
Erscheinungsformen, Ursachen,
psychiatrische Begutachtung
Franz Joseph Freisleder
22.1
Einführung – 246
22.2
Jugendgewalt als gesellschaftliches Phänomen – 246
22.3
Aggressives Verhalten zwischen Norm und
Störungssymptom – 246
22.3.1 Substanzmissbr
auch – 247
22.3.2
Psychosen und Borderline-Störungen – 248
22.3.3 P
ädosexuelle Aggression – 248
22.3.4 Br
andstiftung – 249
22.4
Medieneinflüsse und Dominoeffekte – 249
22.5
Multifaktorielle Gewaltgenese – 250
22.6
ToM-Defizit als Kausalfaktor? – 250
22.7
Reife- und Schuldfähigkeitsbegutachtung – 251
22.8
Dissozial-unterkontrollierte und gehemmt-überkontrollierte
Aggressionstäter – 252
22.9
Therapeutisch-pädagogische Ansätze – 252
Literatur – 253
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Kapitel 22 · Gewaltdelikte jugendlicher Täter: Erscheinungsformen, Ursachen, psychiatrische Begutachtung
22.1
Einführung
Bezieht man sich auf spektakuläre Berichte in den
Medien, so scheinen in D eutschland während der
letzten J ahre im B ereich der J ugendkriminalität
v. a. Gewaltdelikte in b eunruhigender Weise zugenommen zu ha ben. A uch lo kale S tatistiken deuten in dies e Ric htung: I m R aum M ünchen etwa
wuchs nac h An gaben des do rtigen Am tsgerichts
vom M ärz 2005 die Z ahl j unger M enschen, die
sich strafbar machten, deutlich. 200 3 wurden 5350
Jugendliche und Heranwachsende zwischen 14 und
21 Jahren a ngeklagt, ein J ahr spä ter b ereits 5900.
Ganz im V ordergrund s tanden in ihr er A usführung immer b rutaler a nmutende A ggressionstaten. Bemerkenswert ist in dies em Zusammenhang
ebenso, dass offensichtlich auch Mädchen und strafunmündige Kinder zunehmend als Gewalttäter in
Erscheinung treten.
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22.2
Jugendgewalt als
gesellschaftliches Phänomen
Diesen pessimistischen Daten widersprechen allerdings die Ein schätzungen v on C. Pfeiffer (2005),
dem L eiter des kr iminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, der gerade in den letzten Jahren
einen leicht rückläufigen Trend bei der Jugendgewalt
in Deutschland registriert haben will: Dafür würden
eine seit 1991 abnehmende Zahl von polizeilich festgestellten Tötungs- und R aubdelikten b ei J ugendlichen und – entsprechend den D aten des B undesverbandes der U nfallkassen v om M ai 2005 – ein
Rückgang t ätlicher A useinandersetzungen v on
Schülern sp rechen. Ala rmierende En twicklungen
im Sinne einer en tlang ethnischer Grenzen verlaufenden Gewalt werden von Pfeiffer dagegen innerhalb v on s ozialen R andgruppen und S ubkulturen
festgestellt, speziell im U mfeld von schlecht eingegliederten A usländern und neuen Ein wanderern
wie etwa junge Türken, Russlanddeutsche oder vom
Balkan stammende Jugendliche (s. Beispiel: Kaskadenhafte Ausbreitung von Jugendgewalt).
Kaskadenhafte Ausbreitung von Jugendgewalt
Ein aktuelles Beispiel für dieses Phänomen stellen die im
Herbst 2005 flächendeckend in Brand gesetzten Autos
und Gebäude in Frankreich dar, als sich hauptsächlich
bei unterprivilegierten Jugendlichen soziale Unzufriedenheit in einer nur wenig integrationsfähigen Einwanderungsgesellschaft aggressiv entladen hat.
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass es in der jüngeren
Geschichte immer wieder gesellschaftliche Perioden mit
ansteigender Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen und
Heranwachsenden gegeben hat: beispielsweise die sich
bekämpfenden Banden in den deutschen Großstädten
der Nachkriegszeit oder die mancherorts in Europa in
Gewaltexzessen eskalierenden Studentenrevolten der
späten 1960-er Jahre, aus deren fanatischen Ablegern
zum Teil auch die politische Terrorismusszene hervorging.
22.3
Aggressives Verhalten
zwischen Norm und
Störungssymptom
Gewalttätige Re aktionsmuster v on J ugendlichen
sind a ber nic ht n ur ein g esellschaftliches Phänomen, auf das sic h das ö ffentliche Interesse immer
wieder einmal f okussiert. A uch der K inder- und
Jugendpsychiater sieh t b ei mehr als 5 0% s einer
Patienten ein aggressiv-impulsives und/o der autoaggressiv-suizidales Verhalten als Leitsymptom von
individuellen Krankheitsbildern. D abei handelt es
sich im Wesentlichen um Störungen, die gelegentlich a uch f orensische b zw. stra frechtliche K onsequenzen im plizieren (s. Übersicht: Kinder- und
jugendpsychiatrische S törungen und a ggressives
Verhalten). Dies es kinder - und j ugendpsychiatrische S pektrum zeigt, dass die Differenzialdiagnose ag gressiv g etönter S törungen »ein w eites
Feld« darstellt.
Kinder- und jugendpsychiatrische Störungen und
aggressives Verhalten
5 Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS)
5 Impulskontrollstörungen
5 Spezielle hirnorganische Störungen
5 Expansive Sozialverhaltensstörungen
5 Persönlichkeitsentwicklungsstörungen
5 Borderline-Syndrome
5 Depressiv-suizidale Syndrome
5 Akute schizophrene bzw. manische Psychosen
5 Alkohol- und Drogenmissbrauch
22.3 Aggressives Verhalten zwischen Norm und Störungssymptom
! Unabdingbar ist allerdings der folgende
entwicklungspsychologische Grundsatz: Die
Fähigkeit, in altersgerechter und situationsangemessener Form auch einmal aggressiv
agieren und reagieren zu können, gehört zum
Verhaltensrepertoire eines normal entwickelten
Jugendlichen, der in der Lage ist, sich selbst
zu behaupten und auch in Bedrängnis seinen
Standpunkt verantwortungsvoll zu vertreten.
Dieser Aspekt darf gerade im Hinblick auf eine
zu rasche Kriminalisierung bzw. Pathologisierung von Aggressivität bei Heranwachsenden
nicht vernachlässigt werden.
Der forensisch tätige Kinder- und Jugendpsychiater
muss aus seiner Perspektive insbesondere die a ufgeführten A ggressionsdelikte b eurteilen (s. Übersicht: H äufige A ggressionsdelikte j ugendlicher
Straftäter).
Häufige Aggressionsdelikte jugendlicher
Straftäter
5 Schwere Körperverletzung eines Einzeltäters
5 Schwere Körperverletzung eines Gruppentäters
5 Tötungsdelikte
5 Sexualdelikte (Vergewaltigung, Nötigung,
Missbrauch von Kindern)
5 Brandstiftung
5 Persönlichkeitsentwicklungs- und Sozialverhaltensstörungen
Bei j ugendlichen S traftätern, die einzeln o der in
der G ruppe eine s chwere K örperverletzung b egehen, ist gutachterlich häufig abzuklären, ob eine die
Schuldfähigkeit mög licherweise t angierende Persönlichkeits- und Verhaltensstörung gemäß ICD-10
(Internationale Klasifikation der Krankheiten nach
WHO) vorliegt. Einerseits b eginnen insbesondere
Persönlichkeitsstörungen definitionsgemäß bereits
in K indheit und A doleszenz, und sie v erfestigen
sich im Er wachsenenalter. Ander erseits er scheint
aus en twicklungspsychiatrischer S icht a ufgrund
noch nicht länger überschaubarer Lebensläufe eine
zu f rühe diagnostis che F estlegung a uf eine P er-
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22
sönlichkeitsstörung oft fragwürdig und problematisch.
Obwohl dem Sac hverständigen b ei der U ntersuchung j unger D elinquenten nic ht s elten g erade
solche W esensakzentuierungen und psy chopathologischen A uffälligkeiten im ponieren, die die
Diagnose einer Persönlichkeitsstörung nahe legen,
ist hier jedoch – insbesondere vor dem 16. Lebensjahr – diagnostische V orsicht und Z urückhaltung
geboten. D enn es ist in dies er Entwicklungsphase
immer no ch mi t üb erraschenden und un vorhersehbaren entwicklungsabhängigen Persönlichkeitsausgestaltungen und Cha rakterstabilisierungen zu
rechnen.
Terminologisch ist deshalb der B egriff Persönlichkeitsentwicklungsstörung zu b evorzugen, der
sich unter Berücksichtigung einer noch wirksamen
Reifungsdynamik p rognostisch nic ht endgül tig
festlegt. K lassifikatorisch sinn voll ist a ußerdem
bei den hä ufig anzutreffenden dissozialen jugendlichen S traftätern mi t en tsprechenden S ymptomkonstellationen oft die diagnostis che Eino rdnung
in die Kategorie einer Störung des Sozialverhaltens
mit erhaltenen oder fehlenden sozialen Bindungen,
eventuell k ombiniert mi t einer S törung der Emotionen.
22.3.1 Substanzmissbrauch
Alkohol- und Drogenkonsum nehmen in den letzten J ahren im S ozialverhalten v on J ugendlichen
und s ogar K indern einen immer gr ößeren S tellenwert ein. B ei sinkendem Einstiegsalter tendiert
eine bestimmte Gruppe Jugendlicher mit erhöhtem
Straffälligkeitsrisiko offensichtlich zunehmend
früher auch zu einem p olyvalenten Substanzmissbrauch.
Während k örperliche A bhängigkeit, etwa b ei
Alkohol- o der Opioidkonsum, mit typischen Entzugssymptomen zumindest b ei j üngeren J ugendlichen nur ausnahmsweise auftritt, sind psychische
Missbrauchssymptome wie An triebsverlust, a ffektive A bstumpfung o der En themmung b is zur
Induktion psychotischer Störungen – z. B. bei
Cannabinoiden – in einer jugendpsychiatrischen
Klinik keine seltenen Erscheinungsbilder.
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Kapitel 22 · Gewaltdelikte jugendlicher Täter: Erscheinungsformen, Ursachen, psychiatrische Begutachtung
Speziell G ewaltdelikte in G ruppen w erden
bei j ugendlichen T ätern d urch Alk oholgenuss
angebahnt und w eiter k onstelliert. B ei der f orensischen B eurteilung der S teuerungsfähigkeit eines
alkoholisierten j ugendlichen Täters mit no ch f ehlender Toleranzentwicklung – v. a. im Hinblick auf
eine n umerische T atzeit-Blutalkoholkonzentration – müssen u. U. bereits geringere Blutalkoholkonzentrationen als b ei Er wachsenen s chuldmindernd b erücksichtigt w erden. En tscheidend sind
auch b ei der B egutachtung s olcher Tatsituationen
in erster Linie die psy chopathologischen Anknüpfungskriterien während des Deliktgeschehens.
22.3.2 Psychosen und Borderline-
Störungen
Bei der Unterschuchung emotional ausgeprägt auffälliger j ugendlicher S traftäter ha t sic h der Sac hverständige in sbesondere b ei G ewaltdelikten mi t
rätselhaftem mo tivationalem H intergrund eb enso
mit der F rage auseinanderzusetzen, ob sich hinter
den kr iminellen H andlungen eines v ordergründig nur diss ozial anmutenden Täters diagnostisch
möglicherweise eine p räpsychotische V orpostensymptomatik v erbirgt o der o b s eine Taten b ereits
Ausdruck einer floriden Psychose sind.
Zu nennen is t in dies em Kontext darüber hinaus die nic ht un problematische Diagnos estellung
einer Borderline-Störung, die mi ttlerweile a uch in
der K inder- und J ugendpsychiatrie a n B edeutung
gewonnen hat. Mit ihr muss sich der Sac hverständige in J ugendstrafverfahren ma nchmal b ei der
Begutachtung im pulsiver und a ffektiv instabiler
junger Probanden auseinandersetzen. Erforderlich
ist dies v.a. dann, wenn – etwa bei gefährlichen Körperverletzungen o der Tötungsdelikten – die mo tivisch-psychologischen D eliktumstände und urchsichtig erscheinen und die Ana mnese des J ugendlichen s chon v on f rüher K indheit a n a uf hä ufige
und abrupte Beziehungsabbrüche hinweist.
Konträre, nic ht mehr mi teinander v erknüpfbare B eziehungserfahrungen s cheinen b ereits b ei
Kindern und J ugendlichen zum A bwehrmechanismus der S paltung zu p rädestinieren. Der plötzliche W echsel v on einer Er fahrungsmöglichkeit
in eine a ndere ka nn da nn – z. B. in einer a ffektiv
aufgeschaukelten und sozial überfordernden Tatsituation – beim Betroffenen dazu f ühren, dass sic h
aggressive I mpulse in ra ptusartigen H andlungen
entladen.
! Die Diagnose Borderline-Störung allein lässt
jedoch noch keinen Rückschluss auf eine
forensisch relevante Beeinträchtigung oder gar
Aufhebung der Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit
zu. Entscheidend bleibt auch hier die psychopathologische Analyse im Einzelfall. Wenngleich
gerade dieses Störungsbild viele psychodynamische Spekulationen und Erklärungsmodelle
eines spezifisches Täterverhaltens anbietet,
besagen hier diverse Interpretationsmöglichkeiten wenig über das tatsächliche Ausmaß der
Steuerungsfähigkeit eines individuellen Gewalttäters zum Tatzeitpunkt.
22.3.3 Pädosexuelle Aggression
Jugendliche, besonders aber Kinder, sind in er ster
Linie Opfer von Sexualstraftaten. Heranwachsende
mit pädosexuellen Tendenzen treten jedoch ebenso
in un terschiedlicher Er scheinung als T äter a uf.
Dabei ka nn es sic h um k ognitiv ein geschränkte,
aber a uch um no rmalbegabte, g elegentlich en twicklungsverzögerte, diss oziale und o ft sozial
gehemmte Jugendliche ha ndeln, die in ihr er Vorgeschichte nicht selten selbst Opfer eines meist länger andauernden sexuellen Missbrauchs geworden
sind.
Gerade bei jüngeren Tätern muss der G utachter b eurteilen, ob sich ein T atgeschehen a ls no ch
unreifes Exp erimentierverhalten erk lären lässt,
eventuell a uch als pass ageres Phä nomen in einer
sexuellen Reifungskrise. Manchmal sind dera rtige
Handlungen aber bereits im Jugendalter Ausdruck
einer schweren Fehlentwicklung.
Wenn B ereitschaft zu ehrlic her P reisgabe
besteht, kann der G utachter bei einem P robanden
mitunter aggressiv-sadistische Pha ntasiebildungen
und T agträumereien mi t pädos exuellen I nhalten
explorieren. In diesen hat sich der Täter, gelegentlich bereits über Jahre, quasi antizipatorisch mit der
Bemächtigung seiner imaginierten Opfer beschäftigt. Derartige Kennzeichen und weitere Tatcharak-
22.4 Medieneinflüsse und Dominoeffekte
terisitka wie etwa ein hohes Maß an Egozentrik und
Brutalität in der realen Vorgehensweise können bei
jungen T ätern V orboten b zw. er ste H inweise f ür
eine später fixierte aggressiv-sadistische Deviation
sein. 60% ä ußerst g ewaltbereiter S exualstraftäter
haben bereits in ihrer Kindheit schwere Tierquälereien begangen (Osterheider 2005).
22.3.4 Brandstiftung
Zu den Aggressionsdelikten im weiteren Sinn müssen a uch B randstiftungen g ezählt w erden. U rsachen solcher Taten und Beweggründe jugendlicher
Brandleger sind vielfäl tig. S cheinbar mo tivlose
Brandstiftungen v on s chwer neur otisch g estörten
Heranwachsenden k önnen S ignalcharakter im
Rahmen v on S elbstwertkrisen o der in einer s ubjektiv ausweglos erlebten Lage besitzen. Sie können
zur S pannungsabfuhr a ggressiver I mpulse dienen
und im un günstigen Fall sogar in ein s uchtartiges
Verhalten münden. Oft steht für den Täter die Faszination v on F euer a m Anfa ng einer dera rtigen
Entwicklung. Geltungsdrang, Rachekomponenten,
soziale I solation und a uch Alk oholisierung o der
hirnorganische Beeinträchtigungen spielen in diesem Kontext kausal häufig eine Rolle.
22.4
Medieneinflüsse und
Dominoeffekte
Statistisch gesehen sind v on Kindern und J ugendlichen ausgeführte gravierende Aggressionsdelikte
wie v . a. T ötungshandlungen, die nahezu r egelmäßig v on der V ielzahl der M edien wirk ungsvoll
aufbereitet w erden, in D eutschland nac h wie v or
eine R arität. Eine b estimmte F orm der dra matisierenden medialen D arstellung leistet damit zum
einen ihr en B eitrag zu einer zus ätzlichen Verunsicherung der B evölkerung. Z um a nderen gib t es
Anhaltspunkte dafür, dass die ras che und g lobalisierte I nformationsverbreitung üb er s ensationelle,
von ju gendlichen A ltersgenossen ve rübte G ewaltverbrechen d urch P resse und F ernsehen g erade
psychisch labile, geltungssüchtige jugendliche Täter
zur Nachahmung anregen kann nach dem M otto:
»Wie komme ich ins Fernsehen?«
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22
Dieses neua rtige P hänomen ist v ergleichbar
mit dem in der K inder- und J ugendpsychiatrie
schon la nge b ekannten Werther-Effekt, w onach es
als Folge eines in der Öffentlichkeit bekannt gewordenen Selbstmordes zu I mitationssuiziden kommt
(s. Beispiel: Spektakuläre Nachahmungsdelikte).
Spektakuläre Nachahmungsdelikte
Einige Monate nach dem auch für amerikanische Verhältnisse beispiellosen Attentat von Littleton/Colorado,
bei dem zwei Jugendliche vor ihrem Suizid 14 Mitschüler
und ihren Lehrer ermordet hatten, ereignete sich im
Herbst 1999 im oberbayerischen Bad Reichenhall eine
in dieser Form in Deutschland bis zu diesem Zeitpunkt
einmalige Amoktat. Dabei erschoss ein 16-Jähriger mit
der Waffe seines Vaters vor seinem Suizid vier Menschen
und verletzte weitere Personen.
Auch dieser Vorfall fand in den Medien große Resonanz. In der Folgezeit kam es in verschiedenen Regionen Deutschlands zu von Schülern vollendeten bzw.
geplanten Mordanschlägen, die sich in erster Linie gegen
Lehrer richteten: So erschoss im Februar 2002 im oberbayerischen Freising ein 22-Jähriger vor seinem Selbstmord zunächst zwei Arbeitskollegen und schließlich den
Direktor seiner früheren Berufsschule. Bei seinem Amoklauf im April 2002 tötete der 19-jährige Schüler Robert
Steinhäuser in seinem ehemaligen Erfurter Gymnasium
erst 16 Menschen und dann sich selbst.
Die Bedeutung der Medien als Vorbild bei der Entstehung v on G ewaltkriminalität da rf a ndererseits
nicht üb erschätzt w erden. S o sind G ewaltdarstellungen in F ilmen und der en gewohnheitsmäßiger
Konsum in aller Reg el n ur ein K ofaktor, der sic h
bei j ugendlichen Risik opersonen einem b ereits
vorhandenen U rsachenbündel f ür eine erhö hte
Aggressionsbereitschaft zusätzlich aufpfropft.
Mehr no ch als einen p otenziellen N achahmeffekt
scheint die hä ufige B etrachtung v on G ewalt- und
Horrorvideos bzw. die B eschäftigung mit brutalen
Computerspielen (»K illerspiele«) b ei in stabilen
Heranwachsenden emotionale Abstumpfung und
den Erwerb aggressiver Reaktionsmuster zu f ördern. Fatal ist auch, dass gefährdete Jugendliche im
Zusammenhang mi t A ctionfilmen, a ber a uch im
Alltag, immer wieder die Er fahrung machen, dass
ein egozentrisch-aggressiver Handlungsstil durch-
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aus p ositive K onsequenzen ha ben ka nn (»G ewalt
lohnt sich«).
Wissenschaftler der M ichigan State University
(Weber 2005) ka men zu er sten vorläufigen Ergebnissen, w onach zwis chen vir tueller und t atsächlicher Gewalt ein kurzzeitiger, offenbar neurobiologisch v ermittelter Kausalzusammenhang b estehen
könnte. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird nach
heutigem Kenntnisstand jedoch nur ein s ehr kleiner K reis v on la bilisierten und en tsprechend p rädisponierten J ugendlichen d urch den exzes siven
Konsum derartiger Computerspiele maßgeblich zu
realen T ötungshandlungen a ngestoßen. V ermutlich ist dies e Form der F reizeitbeschäftigung beim
Großteil der j ugendlichen K onsumenten r elativ
harmlos und dien t allenfalls einer »sp ortlichen«
Spannungsabfuhr im virtuellen Raum.
Dennoch ist a us der S icht des f orensisch t ätigen J ugendpsychiaters die im K oalitionsvertrag
der neuen Bundesregierung formulierte Absicht zu
begrüßen, »Killerspiele« nicht nur für Jugendliche,
sondern aus präventiven Gründen generell zu verbieten.
22.5
Multifaktorielle Gewaltgenese
Für die Entstehung von Gewaltdelinquenz bei jungendlichen und heranwachsenden Tätern ist jedoch
im Allg emeinen das Z usammenwirken mehr erer
Faktoren er forderlich. G enetische und neur ohormonelle Einflussgrößen, die f ür k onstitutionelle
Vulnerabilitäten wie z. B. I ntelligenzmangel, ein
hyperkinetisches Syndrom, Defizite im Bereich der
Aufmerksamkeit und der k ognitiven Verarbeitung
bzw. I mpulskontrollschwäche p rädestinieren k önnen, verschränken sich oft mit ungünstigen Sozialisationserfahrungen, etwa einem aggressiven innerfamiliären Umgangsstil. Derartige Voraussetzungen
ebnen einem g efährdeten Jugendlichen wieder um
den Weg zu P eergroups, die sic h im H inblick auf
Gewaltbereitschaft modellhaft als V erstärker a uswirken. S ituative Faktoren wie z. B. K ränkungserlebnisse, B eziehungskonflikte mi t dem Op fer, die
Verfügbarkeit v on g efährlichen W affen, Alkohol
und Drogen erhöhen schließlich das Risiko für eine
aggressive Handlung (s. Übersicht: En stehungsbe-
dingungen von Gewaltdelinquenz bei jugendlichen
Tätern).
Enstehungsbedingungen von Gewaltdelinquenz bei jugendlichen Tätern
1. Biolog isch-genetische Vulnerabilitätsfaktoren
5 Intelligenzmangel
5 Defizite im Bereich der Aufmerksamkeit, der kognitiven Verarbeitung und
der Impulskontrolle
5 Reduzierte serotonerge Aktivität (?)
5 ToM-Defizit (?)
2. Ungünstige Sozialisationserfahrungen
5 Lange tradierter aggressiver
Umgangsstil in der Familie
5 Anschluss an gewaltbereite Peergroups
3. Situativ e Faktoren
5 Beziehungskonflikte zum Opfer
5 Subjektive Kränkung/Benachteiligung
5 Verfügbarkeit gefährlicher Waffen
5 Alkoholtoxische Effekte
5 Aktuelle psychiatrische Erkrankung
4. Rolle der Medien als Vorbild
5 »Dominoeffekt« nach reißerischer
medialer Darstellung von sensationellen Gewalttaten (z. B. Littleton
1999)
5 Erwerb aggressiver Reaktionsmuster
sowie emotionale Abstumpfung
durch Konsum von Gewalt- und
Horrorvideos und Beschäftigung mit
brutalen Computerspielen (ErfurtTäter, 2002)
22.6
ToM-Defizit als Kausalfaktor?
Im R ahmen einer Anal yse der U rsachen und
Entstehungsbedingungen v on G ewaltdelinquenz
junger T äter wir d neuer dings v on f orensischen
Psychiatern auch das K onzept der ToM diskutiert,
wenngleich auf diesem Gebiet noch keine gesicherten Resultate vorliegen (7 Kap. 19). Gemeint ist mit
diesem K onstrukt in er ster L inie die p rozesshafte
251
22.7 Reife- und Schuld-fähigkeitsbegutachtung
Entwicklung des in tuitiv er worbenen psy chologischen Wissens eines I ndividuums in s einer f rühen Kindheit, insbesondere im Alter zwischen dem
dritten und dem sechsten Lebensjahr. Entsprechend
dem T oM-Konzept ist der Er werb dies er s pezifischen kognitiven Kompetenz, die sich im Jugendund Er wachsenenalter w eiterentwickelt, wic htige
Voraussetzung f ür eine a ngemessene Erk ennung,
Interpretation und a uch V oraussage des eig enen
und fremden Erlebens und Verhaltens im s ozialen
Zusammenleben (Sodian 2003).
In der K inder- und J ugendpsychiatrie w erden
in dies em K ontext b isher K orrelationen zwis chen
einem primären k ognitiven D efizit und typ ischen
psychopathologischen S ymptombildungen wie
Störungen der s ozialen I nteraktion und K ommunikation s owie die E tablierung v on st ereotypen
Verhaltensmustern und S onderinteressen v ermutet, wie sie v . a. b ei den autistischen S yndromen
(frühkindlicher Autismus nach Kanner, AspergerAutismus) a uftreten. D arüber hina us gib t es a ber
auch Hinweise, dass M ängel b ei der indi viduellen
Verfügbarkeit der T oM nic ht n ur im a utistischen
Spektrum, s ondern a uch b ei P atienten mi t a nderen psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie,
affektive Psychosen oder Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung (ADHS) vorliegen könnten
(Bruning et al. 2005).
Gerade die h ypothetische K ausalverbindung
zwischen einer B eeinträchtigung der T oM und
der En tstehung v on ADHS, der der psy chiatrische
Sachverständige hä ufig als einer in der K indheit
durchgemachten o der no ch im Er wachsenenalter
persistierenden S törung sp eziell b ei A ggressionstätern b egegnet, k önnte auch f orensisch durchaus
von I nteresse s ein. D arüber hina us sind E gozentrizität, Gefühlskälte, fehlendes Empathievermögen
und Ein schränkungen im a ntizipatorischen D enken typ ische psy chische K ennzeichen, die immer
wieder bei jugendlichen Gewalt- und S exualdelinquenten a uffallen. D abei ha ndelt es sic h um P ersönlichkeitsmerkmale, die zumindest t heoretisch
mit einem f rüh a ngelegten T oM-Defizit zusammenhängen könnten.
! Kritisch muss an dieser Stelle angemerkt werden, dass das Postulat eines, möglicherweise
sogar organisch begründbaren ToM-Mangels
22
zwar von wissenschaftlichem forensischem
Interesse ist, aber – zumindest aus heutiger
Sicht – einen Gewalttäter nicht von strafrechtlicher Verantwortung befreien kann.
22.7
Reife- und Schuldfähigkeitsbegutachtung
Bei der psychiatrischen Begutachtung von jugendlichen und hera nwachsenden G ewalttätern m uss
sich der Sachverständige in einem ersten Schritt in
Abhängigkeit v om Tatzeitalter mi t dem individuellen Reifegrad des Täters befassen, wie es in § 3 und
§ 105 des J ugendgerichtsgesetzes ( JGG) f estgelegt
ist. Nur äußerst selten wird er gemäß § 3 JGG einem
14-, aber noch nicht 18-Jährigen eine noch fehlende
strafrechtliche Reife attestieren. Die B efürwortung
des § 105 JGG führt bei volljährigen 18- bis 20-jährigen, a ber no ch als unr eif ein geschätzten An geklagten nic ht zur An wendung des Er wachsenen-,
sondern des milderen Jugendstrafrechts.
Diese Verfahrensweise, ur sprünglich als A usnahmeregelung gedacht, wird in Deutschland, v. a.
bei den K apitaldelikten, s ehr hä ufig praktiziert.
Gleichwohl gibt es bei dieser nicht unumstrittenen
Praxis in der Rec htsprechung erhebliche regionale
Unterschiede, die immer wieder Anlass f ür p olitische Reformüberlegungen sind.
Im Hinblick auf die Schuldfähigkeitsproblematik orientiert sich der G utachter in einem zw eiten
Schritt wie b ei er wachsenen Delinquenten an den
§§ 20 und 2 1 des Strafgesetzbuchs bei der K lärung
der Frage, ob zur Z eit der S traftat eine f orensisch
relevante psychiatrische Störung (krankhafte seelische Störung, Schwachsinn, tiefgreifende Bewusstseinsstörung o der s chwere a ndere s eelische Abartigkeit) mi t erheb lichem Einfluss a uf Ein sichtsund/oder Steuerungsfähigkeit bestanden hat.
Gibt es b eim P robanden einen Z usammenhang zwis chen s einer S traftat und einer Alk oholoder Drogensucht (»Hangtäter«) oder sind auf der
Grundlage einer erheblich verminderten oder aufgehobenen Schuldfähigkeit krankheitsbedingt auch
in Zukunft von ihm erhebliche rechtswidrige Taten
zu er warten, m üssen gu tachterlich g emäß §§ 63
und 64 StGB die Voraussetzungen eines Maßregelvollzugs geprüft werden (Freisleder u. Trott 1997).
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Kapitel 22 · Gewaltdelikte jugendlicher Täter: Erscheinungsformen, Ursachen, psychiatrische Begutachtung
22.8
Dissozial-unterkontrollierte
und gehemmtüberkontrollierte
Aggressionstäter
Zwei Prägnanztypen j ugendlicher G ewaltdelinquenten b egegnet der j ugendpsychiatrische G utachter immer wieder , dem unk ontrollierten und
dem überkontrollierten Aggressionstäter.
Der unterkontrollierte Typ. Zahlenmäßig im V ordergrund s tehen j ugendliche A ggressionstäter,
deren o ft in G ruppen a usgeführtes D eliktverhalten als T eilsymptom einer nic ht s elten s chon im
Grundschulalter b egonnenen S ozialverhaltensstörung einzuo rdnen ist. K lassischerweise sind b ei
diesen P robanden immer wieder defizitäre erzieherische A ufwuchsbedingungen, eine eher niedrige Intelligenz, manchmal diskrete hirnorganische
Auffälligkeiten, anamnestische Hinweise auf ADHS
und T eilleistungsstörungen wie z. B. L egasthenie
oder S prachentwicklungsstörungen zu er uieren.
Überzufällig häufig findet sich auch ein schädlicher
Gebrauch v.a. v on Alk ohol. Dies er P ersonenkreis
besitzt ein ho hes Risiko für die En twicklung einer
antisozialen P ersönlichkeitsstörung im Er wachsenenalter.
Der überkontrollierte Typ. Ein zw eiter, s eltener
anzutreffender jugendlicher Aggressionstätertyp
kommt v .a. f ür s olche ag gressiven H andlungen
in F rage, die sic h f ür die U mgebung des T äters
überraschend er eignen und ma nchmal zunäc hst
scheinbar unerk lärlich sind . H ier ha ndelt es sic h
auf den ersten Blick oft um wenig auffällige, jedoch
gehemmte, s ensible und leic ht krä nkbare Jugendliche, die im All tag eher zur ückgezogen und einzelgängerisch leb en und sic h ma nchmal s ogar als
ängstlich und depressiv erweisen. Vor allem haben
sie a ber o ffensichtlich gr oße P robleme da mit, in
adäquater Weise mi t ihr en ag gressiven I mpulsen
umzugehen. I m Gleic haltrigenkreis wir d s olchen
Außenseiterpersonen ma nchmal die Ro lle des
»Sündenbocks« zug eschrieben. Erleb t ein dera rtig ag gressiv-gehemmter b zw. üb erkontrollierter
Heranwachsender, e ventuell in einer a ffektiv aufgeschaukelten Situation, eine p lötzliche Kränkung
oder Provokation, kann er zu einer heftigen, uner-
warteten ag gressiven En tladung – im Extr emfall
auch zu einem Tötungsdelikt – in der Lage sein. Bei
der Gutachtensuntersuchung lassen sich in solchen
Fällen nic ht n ur a usnahmsweise la ng a nhaltende,
ungelöste emotionale Konflikte des T äters feststellen, in die o ft auch sein Opfer, möglicherweise als
Projektionsobjekt, involviert war.
Im Rahmen der Begutachtung wird der jugendpsychiatrische Sachverständige bei der ersten skizzierten Gruppe der unterkontrollierten dissozialen
Aggressionstäter trotz der Attestierung einer S ozialverhaltensstörung im Reg elfall k eine Anhal tspunkte für eine Einschränkung von Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit finden können. Oft müssen in
diesem K ontext a ber gu tachterlich zen tralnervöstoxische E ffekte als F olge einer Alk oholisierung
und ihre mögliche Auswirkung auf die Steuerungsfähigkeit hinterfragt werden.
Problematischer is t g elegentlich die B egutachtung eines j ugendlichen G ewalttäters, der
der G ruppe der Üb erkontrolliert-Aggressionsgehemmten zuzuo rdnen ist. H ier ka nn mög licherweise die Diagnos e einer b isher unerka nnten
psychiatrischen Störung, also einer s chweren neurotischen Fehlentwicklung, einer Persönlichkeits(e
ntwicklungs)störung oder, in s eltenen Ausnahmefällen, einer b landen s chizophrenen P sychose im
Raum stehen. Täterdiagnose und si tuative Tatumstände sind da nn ha ndlungsleitend b ei der gu tachterlichen Analyse der F rage, ob Ein sichts- bzw.
insbesondere S teuerungsfähigkeit in erheb lichem
Ausmaß eingeschränkt waren (Freisleder 2000).
22.9
Therapeutisch-pädagogische
Ansätze
Unabhängig vom Schuldfähigkeitsaspekt muss der
jugendpsychiatrische Sac hverständige b ei A ggressionstätern a uch die En twicklungs- und L egalitätsprognose beurteilen. Aus präventiven Gründen
sind er forderlichenfalls t herapeutisch-pädagogische Maßnahmen zu diskutieren, die im Rahmen
des J ugendgerichtsgesetzes ( JGG) v eranlasst w erden können.
Im Z entrum s tehen hier delik t- und p ersönlichkeitsbezogene Hilfs- und Behandlungsangebote,
bei denen das (Wieder-)Erlernen von sozial akzep-
253
Literatur
tierten, nic htkriminellen F ähigkeiten und F ertigkeiten zur Bewältigung von kritischen Alltagssituationen angestrebt wird (z. B. kontrollierter Alkoholkonsum, Aggressionsdeeskalierung in Konflikten).
Beim verhaltenstherapeutisch ausgerichteten Antiaggressionstraining für gewalttätige junge Wiederholungstäter etwa wird auch in Rollenspielgruppen
mit V ideo-Feedback g earbeitet. L etztendlich g eht
es da rum, b eim und mi t dem T äter d urch P sycho- und S ozialtherapie eigene Kompetenzmängel
im B ereich der F remd- und S elbstwahrnehmung
bzw. -s teuerung zu erk ennen und zu v erbessern.
Nicht ganz abwegig erscheint die H ypothese, dass
damit gerade b ei no ch jungen G ewalt- und S exualdelinquenten eine individuelle ToM-Entwicklung
angestoßen, systematisch aufgebaut und s o gewissermaßen eine emotionale Nachreifung unterstützt
werden könnte.
Beim schuldfähigen jungen Täter können therapeutisch-pädagogische Interventionen im a mbulanten S etting er folgen, F reiwilligkeit und Eig enmotivation erhö hen die Er folgsaussichten. A uch
erlebnispädagogische P rogramme (z. B. t herapeutisches Segelschiff etc.) oder die Platzierung in einer
sozialtherapeutischen W ohngemeinschaft können
hier indizier t s ein. B ehandlungsmöglichkeiten
innerhalb v on J ugendstrafanstalten sind v .a. a us
personell-fachlichen Gründen meist b egrenzt. Für
jugendliche und hera nwachsende D elinquenten
mit ek latanten s ozialen D efiziten wie b ereits v erfestigter G ewaltbereitschaft o der S törungen der
sexuellen Präferenz ist deshalb die Erweiterung des
Angebots von so genannten sozialtherapeutischen
Abteilungen in J ugendgefängnissen mit s peziellen
Therapieangeboten zu fordern und anzuregen.
In bestimmten Fällen ist auch eine psychopharmakologische Behandlung zu er wägen, etwa eine
Methylphenidatmedikation b eim V orliegen einer
ADHS. Positive Er fahrungen gib t es a uch in Einzelfällen a ußerhalb ihr er klassischen I ndikationsgebiete mit Lithium, Carbamazepin, B etablockern
und Serotoninwiederaufnahmehemmern (Nedopil
2000).
Psychisch kra nken j ungen A ggressionstätern
mit zumindes t erheb lich v erminderter S chuldfähigkeit (§§ 20, 2 1 S tGB) und ho hem G efährlichkeitsrisiko muss in Z ukunft üb erall ein adäq uater
jugendpsychiatrischer Therapierahmen im Maßre-
22
gelvollzug (§ 63 StGB) zur Verfügung gestellt werden, der in Deutschland leider weitgehend fehlt.
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