8A6LniQo ABENDZEITUNG DIENSTAG, 5. 1. 2016 MÜNCHEN WWW.AZ-MUENCHEN.DE 5 Das große AZ-Interview mit Bayerns oberstem Denkmalschützer Mathias Pfeil Der Denkmalschutz kann ihr nicht helfen: Die alte Tierklink mit ihrem charakteristischen gelben Bau an der Königinstraße wird abgerissen, um dem neuen Nano-Institut der LMU (rechts) Platz zu machen. „Da muss man früher aufwachen“ Bayerns Generalkonservator Mathias Pfeil (54) über Herausforderungen, mit denen der Denkmalschutz in der sich rasant verändernden Stadt konfrontiert wird. Auch einige Streitfälle müssen besprochen werden. Läuft da nicht einiges schief derzeit? Von Thomas Müller D as Interview mit Bayerns oberstem Denkmalschützer startet mit einem Quiz – mit einem Foto-Bingo. Im Büro von Mathias Pfeil in der Alten Münze am Hofgraben hängt es an der Wand. Hoch- und großformatig, in Schwarz-Weiß zeigt es eine völlig leergeräumte Kirche. Auffallend ist der lehmigbazige Fußboden. Eine Aufnahme von 1945? Dafür ist die Kirche zu intakt. Ein kleiner Tipp vielleicht? „Es ist eine Münchner Kirche“, hilft der 54-Jährige. „Na, kommen Sie drauf?“ Nicht ganz leicht. Gotische Hallenkirche, barockisierend überformt, aber halt völlig leer. Hm. Dann klingelt’s beim Interviewer: Die Augustinerkirche – heute besser bekannt als Jagdmuseum. Bingo. „So schnell ist bislang noch keiner gewesen“, lobt Pfeil. Tja, einen besseren Start in ein Gespräch über alte Bauten, deren Vernichtung oder Bewahrung in der Boomstadt München kann es eigentlich kaum geben. Auf geht’s. Pack mas. Tierklinik Die Tierklinik an der Königinstraße: Ihr wird der vereinfachte Wiederaufbau nach dem Krieg zum Verhängnis. Der Abriss der stadtbildprägenden gelben Bauten durch den Freistaat ist bereits beschlossene Sache, daran ändert auch ein erhaltenes Jugendstiltreppenhaus im Inneren offenbar nichts. AZ: Die Tierklinik wird abgerissen und durch Kuben ersetzt. Ist da nicht ein bisserl was aus dem Ruder gelaufen? MATHIAS PFEIL: Nein, das ist kein Denkmal. Man muss aufpassen, dass man Denkmalschutz nicht instrumentalisiert. Das sind sehr schöne Gebäude, städtebaulich auch überzeugend – aber eben keine Denkmäler. Es sind Bauten aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert, und sie wurden nach Zerstörungen im Krieg beim Wiederaufbau so stark überformt, dass keine Aussagekraft mehr AZ-INTERVIEW mit Mathias Pfeil Seit 2014 ist der 54-Jährige Generalkonservator und damit oberster Denkmalschützer in Bayern. aus der Entstehungszeit vorhanden ist. Denkmalschutz muss glaubwürdig bleiben, man muss deshalb heute genau aufpassen, was genau geschützt werden soll. Wenn ein Fall vor Gericht kommt und ein Gebäude nicht wirklich fundiert begründet in die Denkmalliste eingetragen wurde, dann schadet das dem Denkmalschutz insgesamt. Städtebaulich können Sie da nicht als Korrektiv eingreifen? Viele Bürger können sich an der Stelle die neuen Kuben, die ja geplant sind, nur sehr schwer vorstellen. Vor allem die Altstadtfreunde tun sich da ja besonders hervor. Die sind zu spät dran. Davor ist doch eine lange Planungsphase gewesen und es gab einen Wettbewerb, der mit dem Landesdenkmalamt und der Schlösserverwaltung als Anlieger abgestimmt worden war. Es bringt nichts, wenn man sich erst ganz am Schluss artikuliert, nach dem Motto: „Ich hab auch noch eine Meinung“, dann ist eben der Zug abgefahren, man muss früher aufwachen. Zacherlbräu Das ist der letzte Rest der alten Paulaner-Brauerei in der Au. Hier sollte eigentlich ja die alte Fassade erhalten bleiben. Es blieb beim Versuch. Der alte Zacherlbräu in der Ohlmüllerstraße – hier ist das Kind ja bereits in den Brunnen gefallen. Maßgabe war ja, die Fassade zu erhalten. Haben Sie da jetzt mal hingeschaut? Ja. Und? Die Fassade ist erhalten. . . . . .in geringen Teilen aber nur. Das Problem ist doch: Sie sind als Denkmalpfleger ohne Stimmrecht in einem Preisgericht nicht in der Lage, alleine zu entscheiden. Man kann sich als Denkmalpfleger einfach nicht immer durchsetzen – man kann anraten, was zu beachten wäre, durchaus auch rechtliche Aspekte einbringen, und auf Probleme hinweisen. Der Denkmalschutz ist aber ein Belang von mehreren. Natürlich müssen aber rechtliche Grundlagen eingehalten werden und eine Stadt, die Untere Denkmalschutzbehörde und gleichzeitig Genehmigungsbehörde ist, muss die verschiedenen Sachverhalte belast- und nachvollziehbar so miteinander abwägen, dass sie gegebenenfalls auch gerichtsfest sind. Denkmalbelange, die natürlich auch einen Rechtsschutz haben, müssen mit anderen Belangen in Beziehung gesetzt werden und es muss dann „ein schlüssiges Ergebnis“ erreicht werden. Das passiert oft aber leider nicht ausreichend. Kommt weg: die denkmalgeschützte ehemalige Osram-Zentrale. Osram-Gebäude Auch das in den 60er Jahren erbaute ehemalige Osram-Ensemble am Mittleren Ring ist dem Untergang geweiht – für die Denkmalschützer ein herber Verlust. Kaum zu glauben, dass die Osram-Bauten unter Denkmalschutz stehen. Das war eines der ersten Großraumbüros überhaupt in Deutschland, damit ist es von geschichtlicher und technischer Bedeutung. Geplant in den 60er Jahren von Walter Henn, der zu seiner Zeit einer der bedeutendsten Architekten war, hatte es eine der ersten Vorhangfassaden der Nachkriegszeit. Und als Großraumbüro möglichst flexible Nutzungsmöglichkeit für Gewerbe. Es ist zwar noch relativ gut erhalten, in Teilen aber natürlich sanierungsbedürftig. Jetzt kommt es ja weg. Wie schon gesagt, wir als Landesamt für Denkmalpflege können uns nicht immer durchsetzen. Vor allem dann, wenn die Vorgaben schwierig sind. Beim Osram-Gebäude war es beispielsweise so: Es gab einen Wettbewerb, einmal mit, einmal ohne Gebäudeerhalt. Aber nur mit Wohnnutzung – eine sachgerechte Abwägung ist das nicht. Warum nicht? In dem Fall ist es so, dass eine Wohnraumnutzung in diesem ehemaligen GroßraumbüroGebäude einfach nicht passt. Wenn dann nur noch circa 30 Prozent von der Originalsubstanz übrig bleiben, ist es kein Denkmal mehr. Es war es einfach die falsche Entscheidung, keine gemischte Nutzung zuzulassen. Diese Diskussion wäre wichtig gewesen, wenn es um den Erhalt des Gebäudes gegangen wäre. Der Denkmalcharakter kann mit der Wohnnutzung alleine nicht sinnvoll erhalten bleiben, der Wettbewerb hat belegt, dass dieses Gebäude zum Wohnen einfach nicht geeignet ist. Diese Entscheidung der Stadt war insofern für den Erhalt des Denkmals nicht richtig. Die 60er Jahre hat man in Sachen Denkmalschutz normalerweise gar nicht so auf der Rechnung. In den 60er Jahren wurde oft bewusst gegen den tradierten Städtebau gearbeitet, diese „städtebaulichen Querschläger“ haben es auch heute noch schwer, auf die Liste zu kommen, wenn sie reine Opposition waren. Zudem leidet die Nachkriegszeit daran, dass die damaligen Konstruktionen und Baumaterialien oft Neuentwicklungen waren und noch nicht über lange Zeit getestet. Es wurden eben Baumaterialien verwendet wie etwa Vorhangfassaden, Paneele oder Bleche, deren Alterungsfähigkeit oft unzureichend ist. Und dann stellt sich heute die Frage: Wie gehe ich jetzt damit um? Auch die Reparaturfähigkeit ist ein Argument. Man kommt bei diesen Bauten sofort in eine Substanz-Diskussion. Ist es der Geist, die Idee – oder nur die reine Substanz eines Gebäudes, die wertvoll ist? Das ist bei den Gebäuden der Nachkriegsmoderne natürlich besonders spannend. 70er Jahre Auch die Flower-Power-Zeit hat in München ihre Spuren hinterlassen. Meistens nicht ganz so bunt wie die Mode in dieser Zeit eher ganz schön grau: Beton war damals das Maß aller Dinge. Bald unter Denkmalschutz? Der Fuchsbau in Schwabing. Gehen wir ein Jahrzehnt weiter in die 70er Jahre. Das Olympiagelände steht ja unter Schutz. Was könnte denn von anderen Gebäuden aus dieser Zeit auf die Denkmalliste wandern? Der Fuchsbau in Schwabing vielleicht? Das ist ein Gebäude, das für seine Zeit durchaus spannend ist. Ein prägendes Gebäude, es hat die Zeit gut überlebt und ist relativ unverändert erhalten geblieben. Ich habe in der Nähe mal gewohnt. Ein spannender Bau, den werden wir uns auf jeden Fall näher anschauen. Eine 70er-Ikone war ja das Schwabylon in der Leopoldstraße, allerdings nur sehr kurz. Ja, das ist ja fast schon schade, dass das weg ist. Wenn es heute noch da wäre, dann wäre es wohl ein Prüf-Fall. Aber es ist ja so: Im Denkmalschutzgesetz steht, dass auf die Denkmallis- te nur Gebäude „aus vergangener Zeit“ kommen können. Ob ein Gebäude ein Denkmal ist, können Sie nie aus der aktuellen Zeit heraus beurteilen. Es müssen einige Dekaden vergangen sein. Letztlich muss sich ein Gebäude auch „selbst bewährt haben“. Es muss einige Zeit lang gesellschaftlichen Strömungen widerstanden und damit gezeigt haben, dass es für die Gesellschaft wertvoll war und noch ist. Das ist so eine Art Selbsttest des Gebäudes, um eine Überlebensfähigkeit zu beweisen. Das Schwabylon hatte die ganz offensichtlich nicht. Genau, da waren die Ansprüche an das Gebäude eben viel höher als die Überlebenskraft des Baus. Damit hat es sich sozusagen selbst von einer – möglichen späteren – Liste genommen. Was würden Sie denn aus den 60er/70er Jahren konkret auf die Denkmalliste setzen. Können Sie ein Beispiel nennen? Das tu ich jetzt nicht gerne. Wir sind gerade dabei, die Kriterien für die Überprüfung der Gebäude der 60er und 70er Jahre zu entwickeln. Wir werden einige Prüffälle haben, aber ich kann jetzt nicht sagen, ob das oder das andere mehr oder weniger Chancen hat, da würde ich der Prüfung vorgreifen. 80er Jahre Granit-Fassaden, angedeutete Säulchen, verspielte Kapitälchen oder Erkerchen – und meist viel zu kleine Fenster: Auch Bauten aus der postmodernen Epoche kommen so langsam in die Jahre. Ein imposantes Beispiel: die neue Hopfenpost in der Seidlstraße. Gebäude aus dieser Epoche: Sind die schon denkmalreif? Das kommt noch zu früh. Die müssen ihre „Überlebensfähigkeit“ erst noch ohne Schutz beweisen. Zum Beispiel der Gasteig. Da bin ich echt gespannt, was mit dem noch passiert. Wie setzt sich diese Architektur durch? Könnte schwer werden. Ich bewerte den jetzt auch gar nicht. Aber es könnte ja sein, dass die Gesellschaft meint, dass auch solche Klötze schützenswert sind. Nach der Sanierung muss man schauen, was von ihm übrig geblieben ist. Weiter auf S. 6 und 7 8A6LniQo 6 MÜNCHEN ABENDZEITUNG DIENSTAG, 5. 1. 2016 WWW.AZ-MUENCHEN.DE ABENDZEITUNG DIENSTAG, 5. 1. 2016 WWW.AZ-MUENCHEN.DE MÜNCHEN 7 Fortsetzung des AZ-Interviews mit Bayerns oberstem Denkmalschützer Mathias Pfeil über Bewahrung, Zerstörung und pubertäre Bauten sowie über die Identität der Stadt München, die durchaus gefährdet ist Der neue Turm am Hauptbahnhof: „Belangloser Klotz aus Glas und Stahl“ 50er Jahre Die unmittelbare Nachkriegszeit hat wohl am meisten Spuren im Stadtbild hinterlassen. Wenig verspielt, sehr zurückhaltend, oft sogar recht elegant – die 50er Jahre muss man fast schon mögen. Seit Jahren geht es diesen Bauten aber dennoch an den Kragen. AZ: Die Identität der Münchner Altstadt: Das sind die wiederaufgebauten Ankerbauten plus die 50er Jahre. Gerade in den letzten Jahren geht es den 50er-Jahre-Bauten an den Kragen, was das Altstadt-Ensemble, das ja unter Ensembleschutz steht, peu a peu zerstört. Warum werden diese prägenden Bauten nicht mehr als Einzeldenkmal geschützt? MATHIAS PFEIL: Die Altstadt steht seit 1983 als Ensemble auf der Denkmalliste. Was die Einzeldenkmäler anbelangt: Ich kann nur eine Auswahl, also Gebäude von herausragender Qualität, auf diese Liste setzen. Andere Gebäude, die eben nicht diese herausgehobene Bedeutung haben, müssen selbst im Ensemble-Bereich auch hin und wieder ersetzt werden können. Ansonsten wäre die Entwicklung einer Stadt zu stark aufgehalten. Diese Entwicklung schreitet gerade stark voran. Sie müssen sich vorstellen: 75 Prozent der Bausubstanz in der Altstadt wurden im Krieg zerstört. Das heißt aber auch, dass 75 Prozent der Gebäude nach dem Krieg erst erbaut wurden. Wenn jetzt viele 50er-JahreBauten keine Einzeldenkmäler sind, dann liegt das eben daran, dass der Überlieferungswert, dass die Bedeutung dieser Gebäude einfach zu gering ist. Auf die Liste können nur Bauten Weinstraße 6: Hier wurde gerade ein 50er-Jahre-Bau am Dom plattgemacht. Foto: Daniel von Loeper kommen, die typisch für ihre Zeit sind, die eine besondere Aussagekraft besitzen. Wir haben da halt eben auch sehr viel Durchschnitt – und den kann man nur begrenzt, als Bestandteil des Ensembles, in dem die Gebäudehüllen ja Denkmalwert haben, schützen. Das gewohnte Stadtbild in dem geschützten Ensemble geht so natürlich Stück für Stück verloren. Zunächst mal muss man im Ensemble den Abriss auch von Gebäuden, die keine Einzeldenkmäler sind, genau begründen. Die Gebäudehüllen selbst stehen ja unter Schutz. Wichtig ist also auch hier wieder die Abwägung. Und dann ist es einfach ein Irrtum zu glauben, dass man die Zeit über den Denkmalschutz einfrieren kann. Das wäre nicht richtig. Wir müssen auch den künftigen Generationen die Möglichkeit geben, Denkmäler hervorzubringen, die jetzt erst gebaut werden. Weinstraße 6 Das Geschäftshaus in der Weinstraße 6 war nicht spektakulär, aber eben ein typischer Bau aus der Wiederaufbau-Ära unweit der Frauenkirche. War, wohlgemerkt. Auch dieses Haus ist inzwischen Geschichte. AZ: Dieses Geschäftshaus aus der unmittelbaren Wiederaufbauzeit ist gerade abgerissen worden – ein Bau in direkter Sichtachse zur Frauenkirche. Schade drum? MATHIAS PFEIL: Als Teil des Ensembles hatte es sicherlich eine bestimmte Bedeutung, allerdings nie die Chance, ein Einzeldenkmal zu sein. Donisl Der Donisl hat seine 50er-Fassade dagegen voll erhalten können. Die Traditionswirtschaft ist gerade neu eröffnet worden. Alles ist neu – zum vierten Mal in der Geschichte des Lokals. Ein paar Meter weiter ist ja gerade der Donisl neu erstanden. Innen alles neu – vorne die Wiederaufbau-Fassade mustergültig herausgeputzt. Schaut doch gut aus, oder? Passt schon. War auch nur ein Ensemble-Bestandteil, kein Einzeldenkmal. Im Inneren wird man sehen, wie sich die Münchner an das Gebäude gewöhnen. Ich finde es aber gut gelungen. Dülferbau an der Münchner Freiheit Ein schmuckes Mietshaus, in den Jahren 1900 bis 1902 von Martin Dülfer erbaut, in dem er bis 1906 auch gewohnt hat. Im Krieg wurde es beschädigt und vereinfacht wiederaufgebaut. Ein Gebäude, das wohl ebenfalls bald verschwunden sein könnte, es existieren bereits Neubau-Pläne. Auch das ist ein Bau, den viele erhalten möchten. Ist denn nicht auch ein ursprünglich älteres, aber beim Wiederaufbau stark verändertes Gebäude erhaltenswert? Steht das nicht auch für seine Zeit? Grundsätzlich ja, auch der Wiederaufbau kann ein schützenswerter Zeitspiegel sein – wenn er im Gebäude genug Aussagekraft hat. Aber die Frage ist: Wie viel kann ich von der jeweiligen Bauphase erkennen und ist das dann besonders typisch? Es gibt natürlich schon Gebäude, die unterschiedliche Lebensphasen in besonderer Aussagekraft überstanden haben – wie etwa das CuvilliesTheater in der Residenz: Ein Teil eines Einzeldenkmals trägt in sich das Rokoko, dann die Wiederaufbauzeit und jetzt die Neuzeit – und alles ist besonders. Es kommt eben immer auf den Einzelfall an. Letztlich ist Denkmalschutz aber auch ein Eingriff in Privateigentum, und man muss genau abwägen, was wichtiger ist. Denkmalschutz ist ein Belang des Gemeinwohls, also ein Belang, der den Menschen insgesamt dient. Es gibt aber auch eine Schutzbedürftigkeit für Privateigentum. Und in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns. Wir müssen zwischen diesen Belangen „Gemeinwohl einerseits und Privateigentum andererseits“ gut abwägen und gut belegen können, warum wir uns so entschieden haben. Als Denkmalschützer hat man’s nicht leicht: Kritik an Ihnen gibt’s viel. Wir können es nie allen Recht machen. Mal ist es zu viel, mal zu wenig Denkmalschutz. Deshalb ist es elementar wichtig, dass wir bei der Denkmaleintragung genau prüfen und argumentieren können. Konkret: Die Weinstraße 6 war kein Denkmal. Da wäre es nie gerechtfertigt gewesen, wegen der im Ensemble geschützten Fassade dem Eigentümer gewaltige Mehrkosten zu deren Erhalt aufzudrücken. Bei der Donisl-Fassade dagegen war der Erhalt der Fassade für den Ort wichtiger und auch eine bewusste Entscheidung des Investors. Das kann man nicht vergleichen. Alte Akademie Diesen Bau mit seiner Schaufront an der Neuhauser Straße neben der Michaelskirche hat KarstadtEigner Rene Benko für 240 Millionen Euro in Erbpacht vom Freistaat erworben. Man darf gespannt sein, was der Investor hier plant. Ein anderes Beispiel der 50er Jahre ist ja die Alte Akademie. Hier stehen sehr große Umwälzungen an. Ein spannendes Projekt. Die Alte Akademie ist nach der Residenz die größte städtebauliche Anlage im Altstadtbereich von München. Als Ort der Gegenreformation über bestehende Wohngebiete gelegt, hat sie ab dem 16. Jahrhundert erhebliche Bedeutung und ist bis heute ein Ort der Kontemplation. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand hier eine Kaufhausnutzung, die kann man deshalb heute auch nicht mehr ahnden. Der Architekt Wiedemann hat hier mit dem Kaufhaus Hettlage im Prinzip den Prototyp des Münchner Wiederaufbaus hingestellt. Derzeit läuft hier ja alles auf Konsum, weniger auf Kontemplation hinaus. Leider ja, aber wir hatten bei den Vorgesprächen mit der Stadt und dem Investor auch mal den Stararchitekten Chipperfield da, der diese Gespräche koordiniert hat. Der hatte am Anfang noch gesagt: „Das ist ja alles Mittelmaß, nichts Besonderes“. Tja – für München ist es aber eben schon was Besonderes. Das hat er dann bei den weiterführenden Gesprächen auch so gesehen. Was ist denn genau das Besondere an der Akademie? Wiedemann hat in seiner Formensprache eine bewusst „durchschnittlich wirkende“, aber absichtsvoll stark zurückgenommene Sprache des Wiederaufbaus in dem zerstörten historischen Umfeld gewählt, auch um sich von der vorherigen unmaßstäblichen Zeit bewusst abzusetzen. Da steckt sehr viel mehr an Gedanken dahinter, als auf den ersten Blick erkannt werden kann. Was genau an der Akademie ist denn schützenswert? Zunächst die komplett wiederaufgebaute städtebauliche Hofanlage, die auf das ursprüngliche Kloster zurückgeht. Dann der rekonstruierte Querbau, der parallel zur Michaelskirche in der Neuhauser Straße massive städtebauliche und historische Bedeutung hat, und dann noch Vieles mehr. Was den Umbau anbelangt: Das ist ja kein Spaß, der Investor muss in 66 Jahren Erbpachtzeit 240 Millionen refinanzieren, dazu kommen noch die Umbaukosten. Also, da wird schon eine Verkaufs-Maschine entstehen. Dabei müssen aber auch unsere Münchner Werte überleben können. Es ist ein extrem vielschichtiger Ort mit umfassender Geschichte. Ich bin selber gespannt. Was ist denn beim Umbau genau zu beachten? Wichtig sind zum Beispiel die Arkaden. In den 50er Jahren war die Neuhauser Straße die verkehrsreichste Straße Münchens, und die Arkaden waren ein bewusst geplanter Rückzugsort für die Bevölkerung. Sie waren damals spannend gestaltet mit vielen Glaseinbauten und Vitrinen. Wiedemann hatte dort eine „Erlebniswelt von Schaufenstern“ installiert, die heute extrem reduziert ist. Beim Wettbewerb könnte durchaus eine Interpretation dieser damaligen Erlebniswelt entstehen. Natürlich würde der Investor gerne die Arkaden schließen, um mehr Verkaufsflächen zu haben. Aber dann würde der Bau seine Proportionen verlieren und seine Geschichte. Auch die feingliedrig Die Alte Akademie – behält sie ihr Gesicht? Foto: Daniel von Loeper Und so würde der neue Turm mit Blick vom Bahnhof aussehen. schwerfällt – man muss Modernes mit Altem zusammenführen können. Das ist sicherlich nicht leicht, aber eben auch spannend. Ein gutes Ergebnis liegt aber nicht nur an der Qualität der Architekten, sondern auch an der Qualität der Preisrichter, die den ersten Preis auswählen. Sitzen Sie auch drin? Ich bin als sogenannter „ständig anwesender Sachverständiger“ mit dabei, habe aber kein Stimmrecht. Ich kann anmahnen und beraten, was ich natürlich tun werde. Kaufhof am Marienplatz Das ist der geplante Turm am Hauptbahnhof (rechts die Paul-Heyse-Unterführung). Ob er tatsächlich auch so verwirklicht wird? proportionierte Fassade muss erhalten bleiben. Auch das ist ein wichtiger Teil der Münchner Geschichte. Ich bin auf das Preisgericht und die Wettbewerbsteilnehmer gespannt. Klingt recht spannend. Ja, genau. Hier werden wir uns auch klar positionieren, dass die gebauten Gedanken, die an diesem Ort relativ unverändert überliefert geblieben sind, trotz der dann neuen Architektursprache noch wiedererkannt werden. Deshalb muss auch die Hofsituation der Gesamtanlage gewahrt bleiben, hier ist die Kreativität der Architekten gefragt. Ich erwarte mir aber an dem Ort etwas Münchnerisches. Wie müsste das aussehen? Das wird man sehen. Die Architekten sollen sich einfach mit der Geschichte des Ortes auseinandersetzen und ein Gespür dafür entwickeln, wie man die unter hohem Verkaufsdruck stehenden Flächen so gestaltet, dass es auch ein Mehrwert für München entsteht. Es wird ja auch eine hochwer- Hier soll der neuen Bahnhofs-Turm entstehen: Der Starnberger Flügelbahnhof, hier ein Foto von 1958, steht eigentlich unter Denkmalschutz, soll aber abgerissen werden. Foto: imago tige Wohnnutzung entstehen. Balkons sind aber wohl nicht erlaubt. . . .. . nicht zur Neuhauser Straße. Hier sind Balkone nicht denkbar. Aber es wird Wohnen zu den Innenhöfen geben, und da müssen die Architekten beweisen, wie sie mit diesen reduziert gestalteten, feinsinnigen Fassaden umgehen, wie man es schafft, hier hochwertige Wohnnutzung unterzubringen. Okay, also Arkaden, Hofsituation. Was ist sonst aus Denkmalsicht noch zu beachten? Zu erhalten sind auch die besonders typischen Ausstattungsmerkmale der 50er Jahre, wie etwa die Eingangshalle und die Treppenhäuser. Die muss man in die neue Architektur integrieren. Ein Architekt muss sich auch mal zurücknehmen können – was Architekten oft Der klobige Bau steht anstelle des einzigen kriegsunversehrten Gebäudes am Marienplatz, das Ende der 60er Jahre dennoch abgetragen wurde. Eine städtebauliche Sünde, die heute noch schmerzt. Architekt Wiedemann hat ja auch den Kaufhof am Marienplatz hingestellt. Den würden viele Münchner am liebsten eins: eigenhändig abreißen. Das wäre aber übertrieben. Würden auch Sie ihn am liebsten abreißen? Absolut. Ich finde ihn an dieser Stelle völlig unmöglich. Umso mehr, wenn man weiß, was zuvor an dieser Stelle gestanden hat. Der Kaufhof steht doch nicht etwa schon unter Denkmalschutz? Nein, er ist aber Teil des Altstadt-Ensembles, nur halt kein Einzeldenkmal. Dazu ist er im Inneren zu oft überformt worden. Man könnte ihn also abreißen? Er besitzt mit seiner Fassade eine starke Aussage im Altstadt-Ensemble, einem Ensemble des Wiederaufbaus. Auch damit muss man schon sorgfältig umgehen und genau hinschauen: Der Kaufhof ist schon etwas Herausgehobenes, irgendwie Exaltiertes. Aber seine eigentliche Bedeutung liegt vor allem darin, dass er einer der Gründe dafür war, dass 1973 das Denkmalschutzgesetz entstanden ist. Der Vorgängerbau, das sogenannte Roman-MeyerHaus, hatte als eines der ganz wenigen Gebäude am Marienplatz den Krieg fast unversehrt überstanden und wurde Ende der 60er Jahre abgerissen, um durch diesen „neuen Klotz“ – so hat man es damals empfunden, oft auch heute noch – ersetzt zu werden. Das hat dann die Heimatpflege aufgerufen, bei der Politik einen gesetzlichen Schutz für alte Gebäude einzufordern. Das Denkmalschutzgesetz von 1973 war dann die Folge. Nochmal: Er ist also kein Einzeldenkmal. Er ist kein Einzeldenkmal. Wie die Weinstraße 6. Wie die Weinstraße 6. Man könnte ihn also. . . Nicht jedes Gebäude, das im Ensemble kein Einzeldenkmal ist, kann einfach so abgerissen werden. Es gibt wichtigere Gebäude und weniger wichtige. Und dann gibt es nicht nur den Denkmalschutz, der hier zu fragen ist. Hauptbahnhof Der Hauptbahnhof soll völlig neu erbaut werden, zumindest die Haupt-Fassade. Die Frage ist, wie geht man mit den Resten aus der Wiederaufbau-Ära um. Einfach abreißen? In München trauern viele noch dem Bürklein-Bau hinterher, jetzt geht es dem 50er/60erJahre-Bau an den Kragen. Unter Denkmalschutz stehen ja die Gleishalle – und der Starnberger Flügelbahnhof. Letzterer taucht bei den NeubauPlänen der Bahn allerdings gar nicht mehr auf. Wie kann das sein? Der ist 2010 auf die Liste gekommen, zu einem Zeitpunkt also, als die Wettbewerbsergebnisse der Bahn von 2006 schon bekannt gewesen sind. Da haben Sie einfach Vertrauensschutz. Sollte der Entwurf von 2006 zur Ausführung kommen, kann man nicht davon ausgehen, dass die Bahn die erst später dazugekommene Denkmaleintragung bei ihren Planungen berücksichtigen muss. Man hat sich gemeinsam mit der Stadt darauf verständigt, dass auf den Flügelbahnhof verzichtet wird, wenn diese Planung von 2006 umgesetzt werden soll. Ein Problem wird sicherlich sein: der hohe Turm, der damals noch nicht Teil der Planungen war. Was ist an dem geplanten Turm das Hauptproblem? Mit einer Höhe von 75 Metern hat dieser Turm sehr wohl denkmalfachliche Auswirkungen. Er hat beinahe die Höhe der Besucherplattform der Frauenkirche. Das setzt im Altstadtgefüge Münchens ganz neue Maßstäbe. Die Altstadtsilhouette Münchens ist vor allem geprägt von historischen Kirchen, dem Rathaus und dem Justizpalast. Jetzt soll in unmittelbarer Nähe zum „Hotel Deutscher Kaiser“, das selbst schon ein städtebaulicher Missstand ist, etwas noch deutlich Höheres entstehen. Ein Turm, der aber keine „inhaltliche Bedeutung“ hat, wie etwa die heute Silhouetten-prägenden Bauten Münchens. Das würde die feingliedrige Altstadtsilhouette deutlich negativ verändern. Wenn Sie so etwas zulassen, dann kommt sofort der nächste Fall. Man sollte sich in München jetzt dringend konzeptionell überlegen, wo welche Hochpunkte entstehen können. Ansonsten hat man in München irgendwann einmal ein Stadtbild wie in Brüssel oder in London, einen absoluten Verhau. Der neue Turm am Hauptbahnhof ist für Sie also. . . . . . ein absolutes No-Go – der geht gar nicht. Der Turm ist an dieser Stelle in München städtebaulich nicht zu erklären. Für was soll er in der Stadtsilhouette ein Zeichen sein, welche symbolhafte Bedeutung hätte er? Keine. Eben nur ein Turm, in dem Büros sind. Sonst gar nichts. Vielleicht Erstaunliches drinnen im Hauptbahnhof: Diese Fensterbögen sind sogar noch ein Relikt aus dem Bürklein-Bau. wäre es für die Stadt München wirklich alles wurscht ist, nicht ignoriert alle städtebaulichen ja an der Zeit, wieder eine neue leicht. Aber bei unserer Arbeit Vorgaben für diesen im Hochhaus-Studie in Auftrag zu geht es ja vorrangig nicht um Münchner Stadtbild extrem geben und sich dann ganz geden Schutz von Architektur. wichtigen Ort, die bis heute nau zu überlegen, wo man Nur etwa 1,4 Prozent der Gejahrzehnte- und jahrhundertenachverdichten will. Jedes Gebäude in Bayern stehen unter lang gegolten haben. Jetzt stellt bäude in dieser GrößenordDenkmalschutz, und das ist sich da ein kleines Hochhaus – nung wird so oder so identiauch richtig so. In erster Linie a bisserl wie ein pubertierentätsstiftend für München sein: vertritt der Denkmalschutz die der Jüngling – einfach in die Das kann dann aber gut sein – Belange von Bürgerinnen und Mitte und sagt: „Hallo, ich bin oder eben auch nicht. Ohne BeBürgern, es geht um Gemeinhier der Wichtigste!“ Das ist gründung Türme ins Stadtbild wohlinteressen. Wir sind die aber dem Ort nicht angemeszu setzen, ergibt einen Verhau, Stimme derer, die sich nicht so sen. Sowohl von der Sprache so wie heute in anderen Großartikulieren können. Es geht wie auch von der Typologie städten. Oder aber man sucht um Identität und Heimat, und her. Der neue Königshof verdiese Standorte sehr bewusst diese wird vor allem geprägt sucht, ein bisschen das Karlstor aus und setzt Gebäude dorthin, durch Bauten. Und wir müssen zu imitieren, indem er diesen wo sie sich mit den alten Akerkennen, was für die Zukunft Schnitt in der Mitte hat, was tyzenten im Stadtbild gut ergänzu bewahren ist. Das hat schon pologisch völliger Blödsinn ist. zen. auch etwas von einem Blick in Man muss aufpassen, was die Verträgt sich das mit der die Glaskugel. Stadt München ausmacht: Dort Münchner Silhouette übersteht dann also ein Profanbau, haupt? Königshof ein Hotel, neben dem JustizpaDie alte Stadtsilhouette MünDas Luxus-Hotel entstammt last und versucht, diesen zu chens wird vor allem geprägt noch der Wiederaufbauzeit und übertrumpfen. Man setzt dadurch die Frauenkirche, den Alwurde in den 60er Jahren aufmit aber auch einen neuen Beten Peter und viele andere hiswendig umgebaut. Jetzt wird der zugspunkt. Es wird schwierig Bullaugen-Bau am Stachus abwerden, ähnliche Vorhaben in torische Hochpunkte – wie die gerissen. der Nähe abzulehnen. Am Theatinerkirche oder das RatGibt’s aus Ihrer Sicht noch ein Bahnhof gibt es das schon. . . haus und den Justizpalast, um aktuell für Sie spannendes . . . und der Karstadt ist der einige besonders wichtige BeiProjekt in München? Nächste. spiele zu nennen. Alle diese Den Königshof. Der Bau ist aber Kenne ich noch nicht, ist da Gebäude stehen für Irgendwas, leider wohl durchdiskutiert. Er was los? haben eine gesellschaftliche Bedeutung. Die Silhouette von München ist extrem typisch, sie wird von fast jedem wiedererkannt und darf nicht ohne Not verwässert werden durch einen simplen Büroturm. Natürlich sind auch diese alten Gebäude irgendwann einmal neu erbaut worden. Aber sie hatten Bedeutung und standen als feingliedrige, filigrane Gebäude mit einer typischen Aussagekraft für ihre jeweils herausgehobene Nutzung. Und das wäre der neue Turm am Hauptbahnhof nicht. Niemals. Wenn man jetzt einen belanglosen Klotz aus Glas und Der alte Königshof – hier noch mit seiner üppigen Leuchtreklame. Stahl dort hinstellt, wird man der wertvollen Stadtkulisse einfach nicht gerecht. Man muss sich doch bitte sehr genau überlegen, was an Wertvollem man damit zerstört. Es ist in dieser Sache aber – so hoffe ich – noch nichts entschieden, die Planung war noch nicht mal in der Stadtgestaltungskommission. Da wird man eben noch weiter diskutieren müssen: Wie sieht die Massenverteilung aus? Kann man da noch was ändern? Da werden also noch einige Probleme auf Sie zukommen. Das sind keine Probleme, das macht ja auch Spaß. Klar, manchmal ist die Auseinandersetzung mit einem Investor, dem Viel höher und vorne ein Schlitz: So soll der neue Königshof ausschauen.