Differentialdiagnostische Abgrenzungen zu Angststörungen, zwanghafte PS und Schizophrenie Seminar: „Zwangsstörungen“ Leiter der Veranstaltung: Dr. M. Backenstraß Referentinnen: Caroline Thümmel, Sarah Turgut, Lena Hahn Inhalt Was ist Differentialdiagnostik? ➢ Sechs Schritte zur Differentialdiagnostik ● Diagnosekriterien der Zwangsstörung nach DSM IV-TR ● Angststörungen ➢ Diagnosekriterien der Generalisierten Angststörungen ➢ Differentialdiagnostische Abgrenzung zu Zwangsstörungen ➢ Entscheidungsbaum zur differentialdiagnsotischen Abgrenzung von Angststörungen ● Inhalt Diagnosekriterien der zwanghaften Persönlichkeitsstörungen ➢ Differentialdiagnostische Abgrenzung zu Zwangsstörungen ● Diagnosekriterien der Schizophrenie ➢ Diagnosekriterien nach dem DSM IV-TR ➢ Schizophrenie-Subtypen ➢ Differentialdiagnostische Abgrenzung zu Zwangsstörungen ● Fallbeispiele ● Was ist Differentialdiagnostik? Definition: Wenn unterschiedliche Diagnosen gestellt und diese dann durch besondere Abgrenzungen gegeneinander ausgeschlossen werden, so bezeichnet man die aus diesem Vorgehen resultierende Diagnose als Differentialdiagnose Ziel: Bildung von differentiellen Klassifikationen nach relevanten Untergruppen mit möglichst geringer Irrtumswahrscheinlichkeit Was ist Differentialdiagnostik? Differentialdiagnostische Überlegungen sind nötig um abzuklären, ob die Zwangssymptomatik als Teil einer Zwangsstörung gilt oder besser durch eine andere körperliche oder psychische Erkrankung erklärt werden kann. Die Abgrenzung ist besonders gegenüber anderen Angststörungen, Schizophrenie, Störungen der Impulskontrolle, Depression, somatoformen Störungen, zwanghafter Persönlichkeitsstörung und Tic-Störungen vorzunehmen. Sechs Schritte zur Differentialdiagnose Der Kliniker sollte den folgenden sechs grundlegenden Schritten der Symptomerhebung folgen, um zu einer Differentialdiagnose zu gelangen: 1. Ausschluss einer substanzbedingten Ätiologie (z.B. Drogen, Medikamente, Vergiftung) • Dies beinhaltet eine sorgfältige Anamnese und evtl. eine körperliche Untersuchung • Erst dann kann abgeschätzt werden, ob eine Beziehung zwischen der Substanzeinnahme und den psychiatrischen Symptomen existiert Sechs Schritte zur Differentialdiagnose 2. Ausschluss eines Zusammenhangs mit einem medizinischen Krankheitsfaktor • MKF können psychiatrischen Symptome durch eine direkte physiologische Wirkung auf das ZNS verursachen, oder Symptome wie depressive Verstimmung oder Angst als psychologische Reaktionen hervorrufen (Anpassungsstörung) 3. Bestimmung der derzeit vorliegenden Hauptstörung • Man sollte zunächst die Diagnosen erwägen, die am ehesten mit der gegenwärtigen Symptomatik kompatibel sind Sechs Schritte zur Differentialdiagnose 4. Unterscheidung einer Anpassungsstörung von einer Nicht Näher Bezeichneten Störung • Wenn die Symptome nicht die Kriterien einer spezifischen DSM-IV Diagnose erfüllen, aber der Kliniker den Eindruck hat, dass eine psychische Störung vorliegt, dann sollte entweder die Diagnose einer Anpassungsstörung oder die jeweilige Kategorie „Nicht Näher Bezeichnete Störung“ erwogen werden • Anpassungsstörung: Die Symptome sind Ausdruck einer Fehlanpassung an einen oder mehrere psychosoziale Belastungsfaktoren • „Nicht Näher Bezeichnete Störung“: Wenn keine Belastungsfaktoren für die Symptome verantwortlich scheinen Sechs Schritte zur Differentialdiagnose 5. Prüfung des Übergangs zum Normalen: • Gegenwärtige psychiatrische Diagnosen schließen viele Aspekte ein, die im Übergangsbereich zum Normalen liegen • Damit der Kliniker sicher sein kann, dass eine psychische Störung vorliegt, müssen die vorhandenen Symptome schwer genug sein, um klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen oder Leiden hervorzurufen 6. Ausschluss einer Vorgetäuschten Störung oder Simulation • Simulation: Wenn ein Patient Symptome produziert oder vortäuscht, um ein besonderes Ziel zu erreichen (z.B. um an Drogen heranzukommen) • Vorgetäuschte Störung: Wenn ein Patient Symptome produziert oder vortäuscht, um die Krankenrolle einzunehmen Diagnosekriterien der Zwangsstörung nach DSM-IV Diagnosekriterien der Zwangsstörung nach DSM-IV Diagnosekriterien der Zwangsstörung nach DSM-IV Angststörungen Panikstörung mit Agoraphobie: Gemeinsames Vorliegen von wiederholt auftretenden unerwarteten Panikattacken (= Ein abgrenzbarer Zeitraum in dem starke Besorgnis, Angstgefühle oder Schrecken plötzlich einsetzten und häufig mit dem Gefühl drohenden Unheils einhergehen) und Agoraphobie (= Die Angst vor oder das Vermeiden von Plätzen oder Situationen, in denen eine Flucht schwer möglich wäre) ➢ Wird dreimal häufiger bei Frauen diagnostiziert. ➢ Etwa die Hälfte aller Personen, bei denen eine Panikstörung diagnostiziert wurde, haben auch eine Agoraphobie ➢ Das Ersterkrankungsalter für die Panikstörung variiert beträchtlich, liegt aber typischerweise zwischen der späten Adoleszenz und Mitte 30 ➢ Zwillingsstudien sprechen für einen genetischen Beitrag bei der Entwicklung einer Panikstörung Angststörungen Spezifischen Phobien: Eine klinisch bedeutsame Angst, die durch die Konfrontation mit einem bestimmten gefürchteten Objekt oder einer bestimmten Situation ausgelöst wird und häufig zu Vermeidungsverhalten führt. ➢ 75-90% der Betroffenen sind weiblich ➢ Phobien sind in der Allgemeinbevölkerung sehr häufig, aber die Diagnose einer spezifischen Phobie ist nur bei sehr hoher Belastung gerechtfertigt ➢ Oft familiäre Häufung ➢ Durchschnittliches Alter bei Beginn der Störung variiert in Abhängigkeit vom Typus der spezifischen Phobie Angststörungen Posttraumatischen Belastungsstörung: Das Wiedererleben einer sehr traumatischen Erfahrung ➢ Kann in jedem Alter, einschließlich der Kindheit, auftreten ➢ Die Symptome beginnen normalerweise innerhalb der ersten drei Monate nach dem Trauma, obwohl sich die Ausbildung der Symptome aber auch um Monate oder sogar um Jahre verzögern kann ➢ Die Störung kann sich auch bei Personen entwickeln, bei denen zuvor keine besondere Anfälligkeit vorhanden war, besonders wenn es sich um eine extreme Belastung handelt Angststörungen Generalisierte Angststörung: Eine mindestens sechs Monate anhaltende ausgeprägte Angst und Besorgnis ➢ Viele Personen erleben auch körperliche Symptome (z.B. Schwitzen, Übelkeit) und eine übertriebene Schreckreaktion ➢ Häufiger bei Frauen als bei Männern ➢ Viele Betroffene haben sich schon in ihrem ganzen Leben ängstlich und nervös gefühlt ➢ Keine spezifische familiäre Häufung vorhanden Diagnosekriterien der Generalisierten Angststörung Diagnosekriterien der Generalisierten Angststörung Differentialdiagnostische Abgrenzung zu Zwangsstörungen Generalisierte Angststörung vs. Zwangsstörungen Gemeinsamkeiten: • • • • Wiederkehrende Gedanken Gedankenunterdrückung In Zukunft gerichtete Angst Vermeidungsverhalten Unterschiede: • • • • Sorgen über reale Lebensumstände Ich-syntones Erleben Keine Rituale Weniger Verantwortungsgefühl bzgl. der Befürchtung Im Gegensatz zu Angstpatienten berichten Patienten mit Zwangsstörungen nicht nur über Angst als emotionale Reaktion auf ihre Gedanken, sondern oft über Ekel, Unwohlsein oder innere Unruhe Differentialdiagnostische Abgrenzung zu Zwangsstörungen Panikstörung mit Agoraphobie vs. Zwangsstörungen Gemeinsamkeiten: • • • Vermeidungsverhalten Angst vor Kontrollverlust Angst vor zukünftigen Katastrophen Unterschiede: • • • Angst vor Panikattacken oder panikartigen Symptomen Keine Rituale Weniger Verantwortungsgefühl bzgl. der Befürchtung Differentialdiagnostische Abgrenzung zu Zwangsstörungen Spezifische Phobien vs. Zwangsstörungen Gemeinsamkeiten: • • • Angst und Ekel Vermeidung bestimmter Orte oder Situationen Angst vor zukünftigen Katastrophen Unterschiede: • • • • Gefühl, keinen Einfluss auf die befürchtete Katastrophe zu haben Keine Rituale Angst vor unmittelbarer Konsequenz einer Situation Weniger Verantwortungsgefühl bzgl. der Befürchtung Differentialdiagnostische Abgrenzung zu Zwangsstörungen Posttraumatische Belastungsstörungen vs. Zwangsstörungen Gemeinsamkeiten: • • • Wiederkehrende Gedanken, Bilder oder Vorstellungen Vermeidungsverhalten Gedankenunterdrückung Unterschiede: • • Gedanken, Bilder und Vorstellungen stehen im Zusammenhang mit dem traumatischen Erlebnis Keine stereotypen Rituale Entscheidungsbaum zur differentialdiagnostischen Abgrenzung von Angststörungen Entscheidungsbaum zur differentialdiagnostischen Abgrenzung von Angststörungen Diagnosekriterien der zwanghaften Persönlichkeitsstörung • • • • Obwohl die zwanghafte PS und die Zwangsstörung ähnliche Namen haben, sind die klinischen Ausprägungen recht unterschiedlich Zur Differenzierung der beiden Störungsbilder müssen für die Diagnose der zwanghaften PS zunächst die allgemeinen diagnostischen Kriterien einer Persönlichkeitsstörung erfüllt sein, wie z.B. dass es sich um ein überdauerndes Muster von innerem Erleben und Verhalten handelt, das bis in die Adoleszenz zurückverfolgt werden kann Die Symptome bei der zwanghaften PS werden nicht als störend erlebt und äußern sich in übertriebener Sorgfalt und Perfektionismus Wenn eine Person Symptome von sowohl Zwangsstörungen als auch zwanghafter PS zeigt, können beide Diagnosen gegeben werden Diagnosekriterien der zwanghaften Persönlichkeitsstörung Differentialdiagnostische Abgrenzung zu Zwangsstörungen Zwanghafte PS vs. Zwangsstörungen Gemeinsamkeiten: • • Streben nach Kontrolle Rigidität beim Ausführen bestimmter Handlungen Unterschiede: • • • • Zwangsgedanken fehlen Ich-syntones Erleben Beginn muss vor dem 18. Lebensjahr sein Angst und Ekel stehen nicht im Vordergrund Schizophrenie vs. Zwangsstörung - wichtig: Unterscheidung von Zwangsgedanken und -handlungen - Unterscheidung vom Zwangsgedanken und Wahneinfall - Unterscheidung von Zwang im engeren Sinne und im weiteren Sinne - kein Übergang von Zwang i.e.S. und Wahn - diagnostische Orientierung an Zwangshandlungen und retrospektiver Befunderhebung ist zu vermeiden - Dichotomie von Neurose und Psychose Diagnosekriterien der Schizophrenie Diagnosekriterien der Schizophrenie Schizophrenie-Subtypen Paranoider Typus - starke Beschäftigung mit einem oder mehreren Wahnphänomenen oder häufige akustische Halluzinationen - desorganisierte Sprechweise, desorganisiertes oder katatones Verhalten oder verflachter oder inadäquater Affekt dürfen nicht im Vordergrund stehen Schizophrenie-Subtypen Desorganisierter Typus - desorganisierte Sprechweise - desorganisiertes Verhalten - verflachter oder inadäquater Affekt - Kriterien für den Katatonen Typus sollten nicht erfüllt sein Schizophrenie-Subtypen Katatoner Typus - mindestens 2 der folgenden Kriterien müssen zutreffen: - motorische Unbeweglichkeit oder Stupor - übermäßige motorische Aktivität - extremer Negativismus oder Mutismus - merkwürdige Willkürbewegungen, die sich als Haltungsstereotypien, stereotype Bewegungsabläufe, ausgeprägte Manierismen oder ausgeprägtes Grimassieren äußern - Echolalie oder Echopraxie Schizophrenie-Subtypen Residualer Typus - Fehlen von ausgeprägten Wahnphänomenen, Halluzinationen, desorganisierter Sprechweise und von grob desorganisiertem oder katatonem Verhalten - Fortbestehende Hinweise auf das Störungsbild, die sich im Vorhandensein von Negativsymptomen zeigen oder von zwei oder mehr Symptomen der Kriterien A für Schizophrenie Schizophrenie-Subtypen Undifferenzierter Typus - es müssen Symptome vorliegen, die die Diagnosekriterien A für Schizophrenie erfüllen, ohne den anderen Typen zu entsprechen Zusätzlich gibt es noch die Klassifikation des Längsschnittverlaufs der Schizophrenie - diese Zusatzcodierung können nur angewandt werden, wenn mind. ein Jahr nach erstem Einsetzen florider Symptome vergangen ist Differentialdiagnostische Abgrenzung zu Zwangsstörungen Schizophrenie vs. Zwangsstörungen Gemeinsamkeiten: • • Ritualisiertes Verhalten Angst Unterschiede: • • • • Ich-syntone Symptomatik Gedanken sind nicht Produkt des eigenen Geistes Inhaltliche Denkstörungen Negative Symptomatik Differentialdiagnostik Fallbeispiele Schizophrenie • Ich-syntone Symptomatik • Gedanken sind nicht Produkt des eigenen Geistes • Inhaltliche Denkstörung • Negative Symptomatik Gen. Angststör. • Sorgen über reale Lebensumstände • Ich-syntones Erleben • Keine Rituale • Weniger Verantwortungsgefühl bzgl. der Befürchtung Zwanghafte PS • Zwangsgedanken fehlen • Ich-syntones Erleben • Beginn muss vor dem 18. Lebensjahr sein • Angst und Ekel stehen nicht im Vordergrund