Ausgangspunkt ist quasi ein Roh-Jamming

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Ausgangspunkt ist quasi ein Roh-Jamming, währenddessen ich dann in kurzen
Unterbrechungen entsprechende Richtungshinweise als Korrektur geben kann.
Ultra-wichtig ist es – weil später nur schwer zu korrigieren –, den richtigen Klang
zu finden. Hast du den nicht im Sinne des Erfinders (Komponisten) in deinem
Kopf abgespeichert, dann zementiert der sich bis zum St. Nimmerleinstag.
Deshalb tendieren vorab aufgenommene Demos dazu, sehr viele gute Ideen im
Keime zu ersticken, die sich beim freien Jammen locker entfalten würden.
Wenn ich etwas komponiere, dann mache ich das komplett bis zum letzten
Schlagzeug-Break! Somit zeige ich Peavy – meistens schon vor unserem Treffen im
Proberaum – die Melodien innerhalb der Songstruktur, die ich natürlich auf seine
Ton-Range abgestimmt habe, so wie ich das immer mache, wenn ich für einen
bestimmten Sänger komponiere. Und selbst wenn ich den passenden Interpreten
für einen Song noch gar nicht kenne, komponiere ich die Gesangsmelodien immer
für eine bestimmte Stimme, Stimmlage, Stimmfarbe, die ich im Kopf habe.
Auf jeden Fall kann sich Peavy dadurch die Gesangsparts schon einigermaßen
gut reinziehen und mit einem oft höchst lustigen Phantomtext versehen, sodass
André nicht einen halben Tag dumm herumsitzen und warten muss.
Interview mit Peavy Wagner am 6. Juli 2014
Ich habe bereits 1993 Victors Telefonnummer von Bogdan Kopec – dem
damaligen „Rage“-Manager – erhalten. Schon zu der Zeit hätte ich ihn lieber
anrufen sollen. Aber leider habe ich dann noch zwei andere Gitarristen gehabt
und konnte erst Jahre später, 1999, wieder auf Victor zurückgreifen. Dass das so
spät geschah, bedauere ich noch heute. Ich war gerade dabei, unsere CD „Ghost“
im Studio aufzunehmen. Diese beiden Gitarristen hatten aber offensichtlich
hinter meinem Rücken schon vor, mehr in Richtung Pop-Band zu gehen und
waren dabei, sich musikmäßig entsprechend „umzuorientieren“. Während
unserer Aufnahmen entschieden sie sich plötzlich, alles hinzuschmeißen und
mich allein zu lassen. In dieser Not habe ich mich dann an die Telefonnummer
von Victor erinnert. Ich wusste inzwischen ja schon, welch begnadeter Gitarrist
er war. Diesen Zettel mit der Nummer habe ich übrigens heute noch.
Da Victor auch ein exzellenter Studiomusiker war und ist, konnte er in null
Komma nichts die fehlenden Gitarrenparts in einer Weise einspielen, dass mir
nur so die Ohren schlackerten. Da lag es für mich auf der Hand, dass ich ihn
auch bat, mich auf der bereits geplanten Tour zu unterstützen. Gott sei Dank
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sagte er sofort zu. Alles aber noch im Rahmen seiner „Aushilfe-Leistung“. Wir
verstanden uns gleich sehr gut, die Tour und unser erster gemeinsamer Auftritt
in Wacken war auch super und Ende 1999 war es dann so weit, dass Victor fester
Bestandteil von „Rage“ wurde.
Eins muss man ja mal vorwegsagen:
Es gibt wohl niemanden, der eine so umfassende musikalische Ausbildung
und ein so extrem ausgebildetes, handwerkliches Können auf der Pfanne hat
wie er. Da zeigen sich Riesenabgründe zwischen der hoch professionellen
musikalischen Ausbildung in der Welt, aus der Victor stammt, und unserer
westlichen Hemisphäre. Wir haben uns auf gewisse Weise immer richtig ergänzt.
Manchmal passierte es sogar, dass wir uns getroffen hatten, und kamen beide mit
der gleichen Idee daher. Der große Unterschied: Ich spielte ihm ein paar Riffe
auf meiner Akustik-Gitarre vor und Victor hat das Ganze dann in ein „MetalRiff-Gewitter“ umgewandelt. Seine Ideen hingegen hatten weit mehr als den
reinen Ideen-Charakter. Es waren fertig arrangierte Songs, die dann bei einem
gemeinsamen Jammen im Proberaum den finalen Schliff bekamen.
Victor hat ja nun in seinen unzähligen Studiojobs mit den verschiedensten
Produzenten zusammengearbeitet und so deren Handwerk quasi von der Pieke
auf mitgekommen und sich Stück für Stück aneignen können. Sein absolutes
Meisterstück als Produzent war dann die 2013 veröffentlichte CD vom „Lingua
Mortis Orchestra“. Hier sprechen wir über eine Produktion, an der neben „Rage“
und drei Gastsängern auch noch über 100 Musiker beteiligt waren – das Ganze
über mehrere Monate mit zwei Orchestern, in drei Ländern und vier Studios.
Bereits vorher bei anderen „Rage“-CDs und im Besonderen bei den Aufnahmen
zu unserer „Strings To A Web“-CD hat Victor die komplette Produktion des von
ihm komponierten „Suite Lingua Mortis“-Orchesterwerkes übernommen.
Abschließend möchte ich aber eines noch sagen:
Neben seinem musikalischen Können, das weltweit nicht nur im Metal-Bereich
seines Gleichen sucht, ist und war Victor auch ein begnadeter Lehrer für mich.
Nicht dass er mir Unterrichtsstunden gegeben hätte, aber in dem jahrelangen
Miteinander habe ich so dermaßen viel von ihm gelernt, wie ich es mir so nie
hätte vorstellen können. Gitarrenspiel, Komposition, Arrangement – die ganze
Palette der Musikwelt.
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