JUGENDLICHE MIT BIKULTURELLEM HINTERGRUND IM PROZESS IHRER IDENTITÄTSENTWICKLUNG HANDLUNGSMÖGLICHKEITEN FÜR DIE INTERKULTURELLE SOZIALE ARBEIT Diplomarbeit für die Staatliche Abschlussprüfung im Fachbereich Sozialwesen, Studiengang Soziale Arbeit, an der Katholischen Fachhochschule NRW, Abteilung Köln vorgelegt von: Cheryl Feldmann Matr.Nr.: 211252 am 13. März 2006 Erstkorrektor: Prof. Dr. Josef Freise Zweitkorrektor: Dipl. Sozialpädagoge Mustafa Bayram 1 Inhaltsverzeichnis Einleitung _________________________________________ 4 1. Grundlegende Aspekte von Kultur ___________________ 7 1.1 Begriffsbestimmung _____________________________________ 7 1.2 Multikulturelle Gesellschaft ______________________________ 13 1.3 Migrantengruppen______________________________________ 18 1.4 Bikulturalität __________________________________________ 21 1.5 Interkulturelle Zwischenwelten ___________________________ 23 1.6 Resümee Kultur _______________________________________ 27 2. Identität / Identitätsentwicklung ____________________ 28 2.1 Begriff „Identität“ ______________________________________ 28 2.2 Modelle der Identitätsentwicklung _________________________ 29 2.2.1 Erikson ________________________________________________ 29 2.2.2 Marcia ________________________________________________ 31 2.2.3 James, Mead und Athens: Symbolischer Interaktionismus ________ 34 2.2.4 Ahbe: Das bordieusche Kapitalkonzept _______________________ 35 2.2.5 Keupp _________________________________________________ 39 2.3 Kulturelle Identität _____________________________________ 44 2.4 Resümee Identität ______________________________________ 45 3. Situation bikultureller Jugendlicher_________________ 47 3.1 Jugendliche und ihre Sozialisation _________________________ 47 3.2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen _____________________ 51 3.2.1 Rahmenbedingungen des Aufwachsens_______________________ 51 2 3.2.2 Soziale und gesellschaftliche Partizipation als Bedingung des Aufwachsens ___________________________________________ 56 3.3 Jugendmilieus _________________________________________ 58 3.4 Lebenswelt bikultureller Jugendliche _______________________ 62 3.4.1 Sozialisation bikultureller Jugendlicher mit Elternteilen unterschiedlicher Nationalitäten ____________________________ 63 3.4.3 Sozialisation bikultureller Jugendlicher mit Migrationshintergrund _ 70 3.5 Bikulturelle Identität ____________________________________ 74 3.5.1 Erfahrungsberichte einzelner Jugendlicher ____________________ 74 3.5.4 Empirische Untersuchung von Khounani _____________________ 85 3.6 Resümee _____________________________________________ 89 4.Handlungsmöglichkeiten der Interkulturellen Sozialen Arbeit ____________________________________________ 92 4.1 Was bedeutet Interkulturelle Soziale Arbeit? _________________ 92 4.2 Interkulturelle Erziehung und Bildung ______________________ 96 4.2.1 Grundlage______________________________________________ 98 4.2.2 Ziele __________________________________________________ 99 4.2.3 Interkulturelles Lernen mit dem Ziel Interkultureller Kompetenz__ 111 4.2.4 Interkulturelle Trainings _________________________________ 114 4.3 Handlungsansätze _____________________________________ 115 4.3.1 Interkulturelles Lernen in der Schule________________________ 115 4.3.2 Außerschulische Angebote _______________________________ 118 4.3.3 Angebote der Jugendhilfe ________________________________ 121 4.4 Resümee ____________________________________________ 124 Fazit ____________________________________________ 126 Literaturliste _____________________________________ 131 Erklärung _______________________________________ 138 3 Einleitung Einleitung In Köln und in vielen anderen Städten gehören interkulturelle Begegnungen zum Alltag. Allein die Fahrt in der Straßenbahn eröffnet die Möglichkeit interkulturelle Erfahrungen zu sammeln und mit Menschen anderer Kulturen Kontakt aufzunehmen - manchmal muss man dazu nur seine Augen und seine Ohren öffnen. In der vorliegenden Arbeit untersuche ich die Identitätsentwicklung bikultureller Jugendlicher. „Was bedeutet denn bikulturell?“ Diese Frage habe ich sehr oft gestellt bekommen, während ich meine Arbeit schrieb. Der verwendete Begriff „bikulturell“ beschreibt zum einen Menschen, deren Elternteile aus zwei unterschiedlichen Kulturkreisen stammen und zum anderen Individuen mit Migrationshintergrund. Die Arbeit versucht herauszufinden, inwieweit die Identitätsbildung bikultureller Jugendlicher sich von denen der deutschen Jugendlichen unterscheidet. Die These, die dieser Arbeit zugrunde liegt, geht von einer komplexeren Identitätsentwicklung bikultureller Jugendlicher aus. Angesichts der unterschiedlichen kulturellen Paarkonstellationen und der verschiedenen Kulturkreise, denen Jugendliche angehören, ist eine Generalisierung von besonderen Problemen und Ressourcen aller bikulturellen Jugendlichen nicht möglich. Allgemeingültige Aussagen sind in diesem Kontext schwer zu treffen, da Gruppeneinteilung zu Pauschalisierungen und Stereotypisierung führen kann. Die Frage nach der eigenen Identität hat sich wohl schon jeder Mensch gestellt. Bis vor einigen Jahrzehnten war die Identitätsbildung weitestgehend durch die Familie, die Schicht und den Berufsstand bestimmt. Es gab klare Vorstellungen, an denen sich Menschen orientierten. Heutzutage können Jugendliche zwischen sehr vielen Möglichkeiten der Lebensgestaltung wählen, das ihnen häufig schwer fällt. Aufgrund der sich wandelnden Lebensverhältnisse und Globalisierung ergeben sich veränderte Rahmenbedingungen des Aufwachsens, welche sich dementsprechend auf die Identitätsbildungsprozesse auswirken. 4 Einleitung Das Leben in der westlichen Welt, auf das Bezug genommen wird, entpuppt sich als schwierig, da Jugendliche von vielfältigen Einflüssen geprägt werden und sich in einer reizüberfluteten Welt positionieren müssen. Jugendliche stehen im Prozess ihrer Identitätsentwicklung vor einer doppelten Aufgabe: Sie müssen in eine Gesellschaft hineinwachsen und sich etablieren, um letztlich gesellschaftsfähig zu sein. Dieses geht nicht ohne Anpassung an die gesellschaftlichen Bezüge. Sie müssen dafür sorgen, dass sie ein zukunftsfähiges soziales Netzwerk aufbauen, in der sie Beziehungen zu anderen Menschen pflegen und weiterentwickeln. Eine andere Aufgabe, die sich den Jugendlichen stellt, ist die individuelle Persönlichkeitsentwicklung, die sie von anderen Menschen unterscheidbar macht. Das Finden der eigenen und der gesellschaftlichen Rolle stellt eine große Herausforderung dar. Wie wirkt es sich aus, wenn sich zwei Kulturen in einer Person „treffen“? Bikulturelle Jugendliche müssen sich, neben den allgemeinen Entwicklungsproblemen noch mit weiteren Aufgaben auseinander zu setzen: Sie müssen sich, abgesehen von den in Deutschland geltenden Normen und Wertvorstellungen, zusätzlich mit den Lebensmodellen der Herkunftskultur des ausländischen Elterteils bzw. der Elternteile beschäftigen. Die verschiedenen Lebenswelten, die daraus resultieren, bestimmen den Hauptteil dieser Arbeit. Die Beschäftigung mit der dürftigen Literatur zu dieser Thematik hat es stellenweise schwer gemacht, diese Unterschiede heraus zu arbeiten und lässt auf eine bestehende Forschungslücke schließen. In der Literatur findet man unzählige Untersuchungen zu den Migrationsfolgegenerationen, aber kaum Literatur, die sich mit bikulturellen Kindern und Jugendlichen beschäftigt. Deshalb beziehe ich mich in meiner Arbeit größtenteils auf Literatur vom Verband für binationale Familien und Partnerschaften e.V., die sich ausgiebig mit der Lebenswelt bikultureller Paare auseinander setzen. Auf Sekundärliteratur wird zum Teil zurückgegriffen, da es nicht möglich gewesen ist, die entsprechende Literatur zu beschaffen. Zugunsten des Textflusses habe ich in der Arbeit teilweise auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet. 5 Einleitung Neben der bestehenden Forschungslücke zu der Thematik basiert die Auswahl des Themas auf dem Hintergrund meiner eigenen bikulturellen Identität. Als Tochter einer philippinischen Mutter und eines deutschen Vaters habe ich oft meine eigene Identität hinterfragt und verfolge mit der Arbeit somit persönliche Interessen. Die Arbeit gliedert sich in vier Kapitel mit zugehörigem Resümee, die ersten beiden Kapitel sind theoretischer Natur: Im ersten Kapitel setze ich mich zunächst mit den grundlegenden Aspekten von Kultur auseinander, in der wichtige Begrifflichkeiten erörtert werden. Anschließend analysiere ich im zweiten Kapitel Identitätsmodelle, wobei unter anderem auch auf die kulturelle Identität Bezug genommen wird. Neben der theoretischen Auseinandersetzung mit Kultur und Identität folgt das dritte Kapitel, welches den Hauptteil der vorliegenden Arbeit darstellt. Dabei setze ich mich mit den Lebenswelten bikultureller Jugendlicher auseinander. Abgesehen von allgemeinen Sozialisationsinstanzen werden zudem Erfahrungsberichte einzelner Jugendlicher und eine empirische Untersuchung hinzugezogen. Im letzten Teil dieser Arbeit werden Handlungsmöglichkeiten der Interkulturellen Sozialen Arbeit vorgestellt. 6 Kultur 1. Grundlegende Aspekte von Kultur Im folgenden Kapitel werden zentrale Begriffe für den Gesamtzusammenhang dieser Arbeit näher erläutert. Um zu verstehen, wer Jugendliche mit bikulturellem Hintergrund sind, muss vorab der Begriff der Kultur erläutert werden, denn er bildet die Grundlage aller weiteren Ausführungen (Punkt 1.1). Multikulturelle Gesellschaft ist, aufgrund der zunehmenden Globalisierung in aller Munde und bedarf gleichfalls einer Erklärung (Punkt 1.2). Des Weiteren sollen die Migrantengruppen beschrieben werden, da viele Jugendliche aus diesen entstammen bzw. Migrantengruppen und Einheimischengruppen sich im Laufe der Zeit vermischt haben (Punkt 1.3). Mit dem Konzept der Interkulturellen Zwischenwelten wird der Begriff der Bikulturalität dargestellt (Punkt1.5). Ein abschließendes Resümee soll zur Vertiefung der Ausführungen dienen. 1.1 Begriffsbestimmung Der Begriff Kultur ist ein sehr allgemeiner und umfassender Begriff, der zahlreiche Bücher und Zeitschriften füllt. Daher ist es nicht möglich eine einzige allgemeingültige Definition zu nennen. In der Soziologie versteht man unter Kultur: „Die raum-zeitlich eingrenzbare Gesamtheit gemeinsamer materieller und ideeller Hervorbringungen, internalisierter Werte und Sinndeutungen sowie institutionalisierter Lebensformen von Menschen“ (Schäfers 2001: 196). Diese Definition kann aufgeteilt werden in folgende drei Bereiche: a) Die ideelle Kultur, bezogen auf einen Komplex von Vorstellungen, Werten und Normen. b) Die symbolische Kultur, die sich auf verbale und nonverbale Artikulation bezieht, wie zeichnerische, musikalische, tänzerische, mathematische usw. c) Die materielle Kultur, zu der Werkzeuge, Maschinen, Gebäude, Gemälde etc. gehören. 7 Kultur Diese Kulturbereiche sind sehr eng miteinander verbunden, stehen in vielfacher Beziehung zueinander und beeinflussen sich gegenseitig (Vgl. Reinhold 1997: 346). Nieke hat sich ausführlich mit dem Begriff der Kultur auseinander gesetzt und definiert im Zusammenhang der interkulturellen Erziehung und Bildung, Kultur als „Gesamtheit der kollektiven Deutungsmuster einer Lebenswelt“ (Nieke 1995:49). Das bedeutet, dass sich jeder Mensch in einer Lebenswelt einordnet, die ihm Orientierungen und Sicherheiten gibt. Die jeweilige Kultur bezieht sich auf die allgemeingültigen und geteilten Werte, Normen und Bedeutungen der Mitglieder einer Lebenswelt, die das Verhalten, die Einstellungen und Handlungen bestimmen (Vgl. Freise/Schier 1999: 464). Das Eisbergmodell, welches in der interkulturellen Bildungsarbeit verwendet wird, eignet sich, um den Begriff der Kultur zu verdeutlichen: Abbildung 1: Eisbergmodell Die Kunst: Theater, Musik, Malerei,… Die Alltagskultur: Feste feiern, Essen, Kleiden, Wohnen… Institutionalisierte Kultur: Sprache, Gesetze, Heirat, Sexualität Produktion, Geselligkeit,… Internalisierte Kultur: Sauberkeitsvorstellungen, Ordnungsmuster, geschlechtsspezifische Rollenmuster, Zeitgefühl, Raumorientierung, Gestik, Mimik… (Quelle: Freise 2005: 17) 8 Kultur An der Spitze des Eisberges steht die Kunst mit ihren Facetten, wie beispielsweise Theater, Musik, Malerei, Architektur. Das alltägliche Leben steht in Verbindung zur Kultur, durch die Art und Weise wie man Feste feiert, welche kulinarischen Speisen gegessen werden, durch die Kleidung die getragen wird, die jeweilige Wohnkultur und vieles mehr. Institutionalisierte Kultur bezieht sich auf Sprache, Gesetze und gesellschaftliche Bräuche. Zudem bezieht sie sich auch auf Normen, Werte und Verhaltensweisen, die wir für selbstverständlich halten und verinnerlicht haben. Zum Beispiel auf länderbezogene Heiratsvorschriften, Formen der erlaubten und unerlaubten Sexualität, in Produktionsweisen und in Formen der Geselligkeit. Am Fuß des Eisberges steht die internalisierte Kultur. Diese beinhaltet kulturelle Vorstellungen, wie beispielsweise zu Sauberkeit und Ordnung, zu Zeit- und Raumorientierung, zu Gestik und Mimik etc. Diese werden schon sehr frühzeitig erlernt und internalisiert, so dass darüber diskutiert wird, ob sie nicht als Teil des Erbgutes anzusehen sind (Vgl. Freise 2005: 16-17). Barth bezieht sich in seiner Auseinandersetzung mit dem Kulturbegriff ausschließlich auf Alltagskulturen: „Also z.B. die guten Sitten beim Essen und Trinken, wie man sich begrüßt, wie man einen Flirt beginnt, wie man sich verabredet, ob man auf der Strasse etwas essen darf, welchen Abstand beim Reden man als angenehm empfindet, welche Länge von Gesprächspausen als gültig empfunden werden, wie Gestik und Mimik gedeutet und wahrgenommen werden und vieles mehr“ (Barth 1998: 15). Diese alltäglichen Dinge bilden einen kulturellen Code, den jeder Mensch bzw. jede Kommunikationsgemeinschaft unbewusst und ungewusst beherrscht und dementsprechend einsetzt. Dieser Code beinhaltet eine Reihe von Interaktionregeln, genauer gesagt von selbstverständlichen Regeln, die nur in Abgrenzung zu einer fremden, nicht gewohnten Regel beschrieben und erklärt werden können (Vgl. Barth 1998: 16). 9 Kultur Folgendes Beispiel soll verdeutlichen, wie unterschiedlich solche Interaktionsregeln sein können: In vielen Ländern gibt es Regeln dafür, wie sich Gast und Gastgeber zu verhalten haben. Thema ist eine Einladung zum Abendessen bei einer philippinischen Familie um 20 Uhr. Die Einladung wird dankend von dem deutschen Ehepaar angenommen. Die philippinische Frau fängt an, um kurz vor 20 Uhr den Tisch zu decken, da klingelt es an der Tür. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedlich die Interaktionsregeln in den jeweiligen Ländern sind. Auf den Philippinen ist es üblich, mindestens eine halbe Stunde nach der vereinbarten Zeit zu erscheinen (oder sogar noch später), da das pünktliche Eintreffen als aufdringlich empfunden wird. Im Gegensatz dazu wird ein pünktliches Erscheinen in Deutschland positiv gewertet und gilt als Zeichen der Zuverlässigkeit. Eine Verspätung dagegen kann als unhöfliche Geste interpretiert werden. Dies bestätigt, „dass Kultur die Gestaltungskraft ist, die alle landestypischen Regeln für die dort lebende Gesellschaft plausibilisiert“ (Rohe 2000: 67). Ergänzend dazu, soll an dieser Stelle die Kulturdefinition vom Center for Contemporary Cultural Studies genannt werden, die laut Barth, die umfassendste und für die Bedingungen einer multikulturellen Gesellschaft die geeignetste ist: „Die Kultur einer Gruppe oder Klasse umfasst die besondere und distinkte (klare und deutliche) Lebensweise einer Gruppe oder Klasse, die Bedeutungen, Werte und Ideen, wie sie in den Institutionen, in den gesellschaftlichen Bedeutungen, in Glaubenssystemen, in Sitten und Bräuchen, im Gebrauch der Objekte und im materiellen Leben verkörpert sind. Kultur ist die besondere Gestalt, in der dieses Material und diese gesellschaftliche Organisation des Lebens Ausdruck findet“ (Barth 1998: 15). Eine Kultur enthält im symbolischen Sinne die Landkarte der Bedeutungen, welche zum Beispiel die genannten Interaktionsregeln für ihre Mitglieder verständlich machen. Diese Landkarten sind in Form gesellschaftlicher Organisationen und Bedeutungen objektiviert, durch die das Individuum wiederum zu einem gesellschaftlichen Individuum wird. 10 Kultur Auf der einen Seite bezeichnet Kultur, wie die Beziehungen einer Gruppe strukturiert sind, auf der anderen Seite, wie diese Formen erfahren, verstanden und interpretiert werden. Menschen sind durch Geschichte, Gesellschaft und Kultur geformt. Demzufolge werden diese Ausgangsbedingungen transformiert und weiterentwickelt, wodurch letztlich Kultur reproduziert und vermittelt wird (Barth 1998: 15). Die oben genannte Definition stammt aus der Jugendforschung. Jugendliche bilden häufig Subkulturen, die unabhängig von der ethnischen Zugehörigkeit oder Staatsangehörigkeit durch Mode, Design, Musikrichtung und andere Trends die herrschende Kultur in Frage stellen (Barth 1998: 15). Diese Thematik wird im 3. Kapitel noch ausführlicher behandelt. „Wichtige kulturprägende Faktoren sind die Sprache, die nationale, religiöse und schichtenspezifische Zugehörigkeit, die durch die Arbeit geprägte Lebensweise sowie die regionale und geographische Eingebundenheit (Stadt, Land, Klima)“ (Vgl. Freise/Schier 1999: 464). Eine Besonderheit der Definition vom Center for Contemporary Cultural Studies, die oben genannt wurde, besteht in der Dynamik des Kulturbegriffes. Sie verhindert von pauschalen Kulturen zu sprechen, wie etwa die rein deutsche, die rein türkische Kultur usw. „Die Definition erfasst sowohl die Ausdifferenzierung, als auch die Weiterentwicklung des kulturellen Selbstverständnisses einer Gruppe“ (Barth 1998: 16). Auch Freise hebt hervor, dass der Kulturbegriff „dynamisch“ sein und kulturelle Überschneidungssituationen mit einbeziehen muss. Zur Realität gehört, dass Menschen verschiedene Rollen in ihrem Leben besetzen und mehreren Kulturen gleichzeitig angehören. Beispiele für solche kulturellen Überschneidungssituationen: ¾ „Ich bin Mutter und Studentin“. ¾ „Ich verstehe mich als Künstler und Weltbürger“. ¾ „Ich bin ein schwedischer Moslem“. ¾ „Ich bin eine amerikanische Christin“. 11 Kultur Mit dem Kulturbegriff muss behutsam umgegangen und aufpasst werden, dass nicht ein statischer Kulturbegriff Stereotypen bildet und zu falschen Abgrenzungen führt (Vgl. Freise 2005: 18). Die Ethnologin Krasberg versteht Kultur hingegen „im Sinne einer kulturellen Identität, d.h. in der Art und Weise des Denkens, sich die Welt vorzustellen und zu gestalten. Aber: Kultur wird erst in der Grenzüberschreitung wahrnehmbar, im Gegenüber einer fremden Kultur, sei es in der Ferne oder im eigenen Land“ (Krasberg 1998: 31). Sie betrachtet Kultur ebenso als etwas dynamisches, „als eine stets in der Veränderung begriffene Spiegelung, ausgehend von einer anderen, fremden Kultur“ (Krasberg 1998: 31). Kultur geht immer vom Menschen aus. Dieses besagt, dass sich in einem Kulturkontakt nicht nur im abstrakten Sinne Kulturen begegnen, sondern Menschen. Jede Begegnung mit einer fremden Kultur zeigt auch immer einen Aspekt oder eine kulturelle Erscheinung der eigenen Kultur. Die eigene Kultur programmiert Flecken in der Wahrnehmung, das bedeutet, dass in der Begegnung mit der fremden Kultur, die eigene nie in ihrer Gesamtheit beleuchtet wird, sondern immer nur bestimmte Aspekte. Welche das sind, hängt auch von der Spezifität der fremden Kultur ab. In der Begegnung mit einem Franzosen werden beispielsweise andere Facetten sichtbar, als bei der Begegnung mit einem Einheimischen von einer fernen Insel. Deshalb ist Fremdheit relativ zu sehen, bedeutet aber nicht eine Bewertung dessen, was in der eigenen Kultur erkennbar wird. „Streng genommen wird in der Begegnung mit der fremden Kultur zuallererst die eigene Kultur erkannt, auch wenn die fremde wahrgenommen wird“ (Krasberg 1998: 42). Eine wichtige Erkenntnis aus der Ethnographie ist, dass die eigene Kultur nur mit Hilfe fremder Kulturen wahrgenommen werden kann. Das bedeutet, es besteht eine gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Kulturen. Wie man klar erkennen kann, gibt es weit und eng gefasste Kulturbegriffe. Um zu verdeutlichen, wie vielfältig der Begriff der Kultur ist oder ferner die Beschreibungen, wird im Folgenden eine etwas andere Ansicht dargelegt. 12 Kultur Heinz Bude bezeichnet Kultur als „das Ganze als Rest. Überall auf der Welt funktionieren Banken wie Banken, Bibliotheken wie Bibliotheken und Flughäfen wie Flughäfen. Aber da ist noch ein alltäglicher Rest, der dem Beobachter das Ganze als fremdartig und erstaunlich erscheinen lässt. Das ist die Kultur“ (Bude 1995: 775). 1.2 Multikulturelle Gesellschaft Der Begriff der „multikulturellen Gesellschaft“ wird in vielfacher Weise beschrieben und mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt. Deshalb bedarf er einer Präzisierung. Für einige beschreibt er eine bestehende Situation, in der unterschiedliche kulturelle Ethnien nebeneinander leben. Für andere stellt der Begriff ein Konzept dar, dass das Zusammenleben in einer Einwanderungsgesellschaft regelt (Vgl. Brack 1999: 71). Brack bezieht sich in seiner Auseinadersetzung mit dem Begriff der multikulturellen Gesellschaft auf zwei Definitionen: Zum einen auf Miksch, der multikulturelle Gesellschaft als ein Konzept sieht, in dem „Menschen mit verschiedener Abstammung, Sprache, Herkunft und Religionszugehörigkeit so zusammenleben, dass sie deswegen weder benachteiligt noch bevorzugt werden“ (Miksch 1993, zit. n. Brack 1999: 71). Miksch macht zwei Anmerkungen, nämlich dass sich die Minderheitenkultur in den meisten Lebensbereichen der Mehrheit anpassen muss, wobei auch die multikulturelle Gesellschaft von der Mehrheitskultur bestimmt wird. Eine Beeinflussung durch die Minderheiten wird dabei nicht ausgeschlossen. In der Regel ist es üblich, dass sich eine Gesellschaft auch durch die Minderheiten verändert (Vgl. Miksch 1993, zit. n. Brack 1999: 71). Zum anderen bezieht Brack sich auf Geissler, der den Begriff ähnlich definiert, sich dabei aber konkret auf Deutschland bezieht: „Multikulturelle Gesellschaft bedeutet die Bereitschaft, mit Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zusammenzuleben, ihre Eigenart zu respektieren, ohne sie zu germanisieren oder assimilieren zu wollen. Das heißt auf der anderen Seite, ihnen wenn sie es wollen, ihre kulturelle Identität zu lassen, aber gleichzeitig von ihnen zu verlangen, dass sie die universellen Menschenrechte und 13 Kultur die Grundwerte der Republik […] achten und zweitens die deutsche Sprache beherrschen“ (Geissler o. J., zit. n. Brack 1999:71). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eine multikulturelle Gesellschaft durch ethnisch-kulturelle Vielfalt gekennzeichnet ist. Schulte bezieht sich auf Heckmann, er formuliert: „Bei ethnischen Gruppen handelt es sich um Teilbevölkerungen von staatlich verfassten Gesamtgesellschaften, die durch Vorstellungen gemeinsamer Herkunft, ein Zusammengehörigkeitsbewusstsein, Gemeinsamkeiten von Kultur und Sprache, eine auf eigenen und fremden Zuschreibungen beruhende kollektive Identität gekennzeichnet und durch gemeinsame Institutionen und Beziehungssysteme verbunden sind“ (Heckmann 1988, zit. n. Schulte 1992: 12). Der Begriff der multikulturellen Gesellschaft taucht im deutschen Sprachgebrauch erstmals Anfang der 80er Jahre im Blickfeld der Bildungsarbeit in evangelischen Akademien auf. Ende der 70er Jahre gibt es eine Debatte um das Einwanderungsland Deutschland, die von Einwanderorganisationen initiiert wird, mit dem Ziel, bürgerlich-republikanische Gleichbehandlung der Einwanderer durchzusetzen. Durch den Begriff bzw. die Rede der multikulturellen Gesellschaft wird die Debatte um das Einwanderungsland Deutschland abgelöst. Der Begriff hat zunächst hauptsächlich eine strategisch-politische Funktion. In dieser Zeit wird der Begriff der multikulturellen Gesellschaft eingangs synonym zu dem Begriff des Einwanderungslands verwendet. Der Erhalt der kulturellen Identität der Einwanderer ist ein politisches Ziel, das sowohl von Nationalstaatsideologen, wie auch von Einwanderorganisationen gleichermaßen angestrebt wird. Somit bietet sich das Ausweichen auf die kulturelle Dimension an. Sehr früh stellt sich jedoch heraus, dass die angeworbenen Arbeitnehmer nicht nur vorübergehend bleiben, sondern in Deutschland ein neues Leben beginnen. Im Jahre 1983 gab es einen Versuch, die angeworbenen Arbeitnehmer durch das Rückkehrhilfegesetz zur freiwilligen Rückkehr zu bewegen. Dieser Versuch scheitert und führt zu einem deutlichen Stimmungswandel innerhalb der Einwanderungsgruppen. Seither ist nicht mehr die Rede vom Einwanderungsland, sondern von einer multikulturellen Gesellschaft (Vgl. Barth 1998: 10). 14 Kultur Positionen zur Multikulturellen Gesellschaft Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich auf Schulte, der sich in seinem veröffentlichten Referat „Multikulturelle Gesellschaft: Zu Inhalt und Funktion eines vieldeutigen Begriffs“ ausgiebig mit der Thematik beschäftigt (Vgl. Schulte 1992: 11ff). Ablehnende Positionen: Multikulturelle Gesellschaft als Bedrohung Ablehnende Positionen sind einem eher rechten politischen Spektrum zuzuordnen, in dem multikulturelle Gesellschaft in der Regel als Bedrohung oder Gefahr gewertet und von daher abgelehnt wird. Grundsätzlich kann man zwischen zwei Richtungen unterscheiden: den spontanen Widerständen und den programmatischen und organisierten Formen der Ablehnung. Als spontane Formen der Ablehnung bezeichnet Schulte distanzierte, ablehnende oder aggressive Einstellungen und Haltungen von einheimischen Gruppen gegenüber bestimmten Ausländern. Für die Entstehung und Entwicklung solcher spontanen Artikulationen sind begründete oder unbegründete soziale Ängste von zentraler Bedeutung. Verursacht werden solche Einstellungen und Ängste hauptsächlich durch die gesellschaftlichen Strukturen und Mechanismen, „die sich (real oder vermeintlich) in verunsichernder oder negativer Weise auf Individuen und soziale Gruppen auswirken. Hierzu gehören insbesondere die sich verschärfenden Konkurrenzmechanismen auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt, die Tendenzen der Individualisierung, der Mangel an sozialen Infrastrukturen und Vernetzungen im Wohn- und Freizeitbereich sowie unzureichende Möglichkeiten aktiver Gestaltung in verschiedenen Lebensbereichen“ Den programmatisch entwickelten und politisch organisierten Formen der Ablehnung liegen in der Regel Sichtweisen zugrunde, die als nationalsozialistisch, ethnozentristisch, rechtextremistisch und rassistisch bezeichnet werden. Ein Beispiel dazu ist die Nationalistische Partei Deutschland (NPD), die in Deutschland, vor allem in den neuen Bundesländern großen Zuspruch findet (Vgl. Schulte 1992: 14-15). 15 Kultur Kennzeichnend für solche Sichtweisen sind in der Regel, die Annahmen von Schulte (Schulte 1992: 16-17), dass ¾ Volk, Kultur und Identität homogene Gebilde sind, ¾ zwischen dem eigenen Volk und seiner Kultur einerseits und fremden Völkern und Kulturen andererseits grundlegende Gegensätze bestehen, ¾ eine Ausgrenzung des Heterogenen erforderlich ist, wenn der soziale Friede, die eigene Identität und die gesellschaftliche Integration gesichert werden sollen, und ¾ die Völker bzw. Kulturen ungleichwertig sind, wobei das jeweils eigene als das Höherwertige, das jeweils fremde als das Minderwertige gilt. Schulte betont: „Die spontanen und organisierten Formen der von rechts erfolgenden Ablehnung einer multikulturellen Gesellschaft sind so insgesamt durch Tendenzen bestimmt, soziale und politische Probleme- unabhängig davon, ob diese im Zusammenhang mit Einwanderungsprozessen stehen oder nicht- auf der Grundlage und mit der Hilfe einer pauschalen oder selektiven sozialen Diskriminierung der Zugewanderten bzw. noch Zuwanderern zu lösen“ (Schulte 1992: 17). Befürwortende Positionen: Multikulturelle Gesellschaft als Chance, Ideologie und kritisch- emanzipatorischer Multikulturalismus Eine Befürwortung des Multikulturalismus ist mit sehr unterschiedlichen Begründungen, Interessen und Zielvorstellungen verbunden. Von einem einheitlichen Multikulturalismus kann deswegen nur bedingt gesprochen werden. Es haben sich zwei Positionen herauskristallisiert, zum einen die ideologische, zum anderen die kritisch-emanzipatorische Sichtweise. Nach Schulte werden Denkweisen als ideologisch bezeichnet, wenn sie unwahre, unvollständige oder halbwahre Aussagen über die Wirklichkeit enthalten und von ihrer Funktion herrschaftsstabilisierend und legitimierend wirken. Ideologische Tendenzen können als solche beschrieben werden, wenn folgende Sichtweisen vorherrschend sind: 16 Kultur ¾ Überschätzung der Bedeutung kultureller Faktoren und Unterschätzung struktureller und gesellschaftspolitischer Faktoren ¾ Generalisation von Kultur(en) im allgemeinen und von Migrantenkultur(en) im Besonderen ¾ Instrumentalisierung und Funktionalisierung der Migranten und ihrer Kulturen für Interessen der Aufnahmegesellschaften Die ideologischen Vorstellungen einer multikulturellen Gesellschaft können sich auch auf die Interessenslagen einzelner sozialer Gruppen oder Schichten beziehen. Kritisch emanzipatorischer Zusammenleben Multikulturalismus von einheimischer ist der Versuch, Bevölkerung das und Einwanderungsminderheiten weder durch soziale Diskriminierung noch mit Hilfe einer Assimilation oder Segretion dieser Minderheiten zu gestalten. Die Einwanderungsminderheiten sollen dabei die Möglichkeiten haben, ihre Lebenswelt aufrecht zu erhalten und weiter zu entwickeln. Daneben sollen Einheimische und Einwanderer in Austauschbeziehungen, geleitet von dem Prinzip der Gleichberechtigung zueinander stehen. Das Ziel der gesellschaftlichen Konkretisierung des Multikulturalismus, ist eine Emanzipation der Einwanderungsminderheiten zu ermöglichen und Prozesse der Demokratisierung im politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Bereich zu fördern. Dabei muss der rechtliche Rahmen beachtet werden, wie beispielsweise der Grundsatz der Menschenwürde, die Grundrechte usw. Schulte nennt die gesellschaftlichen Voraussetzungen und politischen Rahmenbedingungen, die aus emanzipatorischer Perspektive von zentraler Bedeutung sind: ¾ die Annerkennung der Einwanderungssituation und somit die Zugehörigkeit der Einwanderungsminderheiten zu den Aufnahmegesellschaften, ¾ die Annerkennung der multikulturellen Gesellschaft als ansatzweise bestehender Tatbestand, als dynamischer Prozess und als noch zu verwirklichendes Ziel, 17 Kultur ¾ die rechtliche Emanzipation der Einwanderer, d.h. die Aufhebung der vor allem im Ausländerrecht verankerten besonderen staatlichen Disposition über die Betroffenen und deren rechtliche und politische Gleichstellung, ¾ die Schaffung und Sicherung von Möglichkeiten zur wirksamen gesellschaftspolitischen Partizipation, Selbstorganisation und Interessensvertretung der Einwanderer, ¾ der Abbau von, in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen bestehenden ethnischen Stratifikationen und ¾ die Einleitung und Durchführung von wirksamen Maßnahmen zur Einschränkung und Bekämpfung von Diskriminierung, Ausländerfeindlichkeit und (Kultur)Rassismus. Abschließend fasst Schulte zusammen: „Schließlich ist zu berücksichtigen, dass kritisch emanzipatorische Vorstellungen eines multikulturellen Zusammenlebens nur dann einige Erfolgs- und Realisierungschancen haben, wenn auch außerhalb des Ausländer- bzw. Immigrantenbereichs gesellschaftliche und politische Veränderungen stattfinden“ (Vgl. Schulte 1992: 27). 1.3 Migrantengruppen Wird der Begriff „multikulturelle Gesellschaft“ beschreibend verwendet, benennt er den Zustand, der durch die dauerhafte Anwesenheit von Migranten eingetreten ist (Vgl. Hamburger 1991: 70). Ergänzend zu den bisherigen Ausführungen zur Thematik der multikulturellen Gesellschaft wird nun auf die drei großen Migrantengruppen in Deutschland eingegangen. Da ein Großteil der Jugendlichen, auf die in Kapitel drei Bezug genommen wird, aus diesen Migrantengruppen kommen, stellt es eine Notwendigkeit dar, auf diese genauer einzugehen und den geschichtlichen Hintergrund zu beleuchten. In diesem Abschnitt sollen anhand des Artikels „Multikulturelle Gesellschaft“, die Migrantengruppen dargestellt werden (Vgl. Barth 1998: 10-17). 18 Kultur In der Bundesrepublik lassen sich drei große Migrantengruppen unterscheiden: ausländische Arbeitnehmer, Flüchtlinge und Spätaussiedler. Für jede dieser Gruppen gibt es unterschiedliche gesetzliche Regelungen, die die Einreise, den Aufenthalt, die Beendigung des Aufenthaltes und die Partizipationsmöglichkeiten an sozialen Leistungen bestimmen. Des Weiteren sind die Migrantengruppen durch soziale, politische, religiöse und kulturelle Differenzierungsprozesse gekennzeichnet. Ausländische Arbeitnehmer sind durch die Anwerbevereinbarungen der Bundesrepublik mit Italien (1955), mit Spanien und Griechenland (1960), mit der Türkei (1961), mit Marokko (1963), mit Portugal (1964), mit Tunesien (1965) und mit dem ehemaligen Jugoslawien (1968) eingereist. Im Jahre 1973 ist die Anwerbephase gestoppt worden. Die Bedingungen der Migration haben sich durch die europäische Einigung für Staatsangehörige aus Italien, Spanien, Griechenland und Portugal grundlegend verändert. Viele Menschen aus den ehemaligen Anwerbeländern haben sich seit der Öffnung der Grenzen der EU, in den reicheren Ländern der EU niedergelassen. Durch das Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei haben sich auch für türkische Staatsangehörige einige sozial- und ausländerrechtlichen Begünstigungen ergeben, sofern sie als Arbeitnehmer eingereist oder Familienangehörige sind. Gänzlich verändert haben sich die Gegebenheiten für Staatangehörige aus dem ehemaligen Jugoslawien. Durch den Zerfall des Staates und den Bürgerkrieg hat eine große Flüchtlingsgruppe in Deutschland Zuflucht gesucht. Ein kleiner Teil dieser Flüchtlingsgruppe ist bei den angeworbenen Familienangehörigen unterkommen, so dass deren Aufenthaltsstatus gesichert ist. Der größere Teil hingegen, hat versucht einen Flüchtlingsstatus zu erhalten. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands sollte eine aufenthaltsrechtliche Lösung für die ehemaligen Vertragsarbeiter aus der DDR gefunden werden. Die größten nationalen Gruppen waren Staatsangehörige aus Vietnam, Mozambique und Angola. Die ehemaligen Vertragsarbeiter haben, obwohl es logischerweise so hätte folgern müssen, nicht den gleichen Rechtstatus bekommen, wie ihn die angeworbenen Arbeitnehmer aus Deutschland erlangt haben. Neue Wanderungsmuster haben sich kommunistischen Staaten ergeben. 19 nach dem Zusammenbruch der Kultur Vereinbarungen über Werkvertragsarbeitsverhältnisse und andere kurzfristige Arbeitsverhältnisse sind mit den meisten Mittel- und Osteuropäischen Ländern getroffen worden. Das führte dazu, dass auch aus diesen Ländern neue Gruppen von Arbeitsmigranten einreist sind. Die Migrantengruppe der Flüchtlinge wird oft als Asylanten bezeichnet. Der Begriff Asylant ist 1980 in die Debatte eingeführt worden, er hat ausschließlich negative Bedeutungsmerkmale. Asylant und Wirtschaftsflüchtling werden in der politischen Abhandlung fast gleich verwendet. Im Folgenden werden die Begriffe erläutert, die die Verwaltung den Flüchtlingen gegeben hat. Sie richten sich im Wesentlichen nach dem Asylverfahren: ¾ Asylbewerber sind diejenigen Flüchtlinge, die einen Antrag gestellt haben, über den noch nicht entschieden worden ist. ¾ Asylberechtigte sind Flüchtlinge, über deren Asylantrag positiv entschieden worden ist. ¾ Bona-fide-Flüchtlinge sind Flüchtlinge, über deren Antrag positiv entschieden worden ist, der aber noch nicht rechtskräftig ist, weil von staatlicher Seite Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt worden sind. ¾ Bürgerkriegsflüchtlinge, sind diejenigen, die aus einem Gebiet fliehen, in dem Krieg oder Bürgerkrieg herrscht. Diese Flüchtlinge haben kein Anrecht auf einen Asylstatus, da keine individuelle Verfolgung nachgewiesen werden kann. ¾ De-facto-Flüchtlinge sind diejenigen deren Asylantrag abgelehnt wurde, die aber aus humanitären und faktischen Gründen nicht abgeschoben werden können. ¾ Kontingentflüchtlinge werden aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen durch den politischen Beschluss der Bundesrepublik aufgenommen. Zum Beispiel die Boatpeople der 70er Jahre und in neuerer Zeit russische Juden. Zudem gibt es noch spezielle Maßnahmen und Altfallregelungen, auf die aber nicht im Detail eingegangen wird. Die letzte Migrantengruppe, die Barth beschreibt, ist die der Aussiedler. Sie gehören zu den deutschen Volkszugehörigen, die nach der Ausführung gesetzlich geregelter Vorraussetzungen und nach Erhalt eines Aufnahmebescheides, die definierten Aussiedlungsgebiete verlassen und in Deutschland einreisen. 20 Kultur Dies ist die einzige Migrantengruppen, für den der Begriff Einwanderer vorgesehen wird, denn nur sie besitzen mit der Annerkennung des Aussiedlerstatus alle Bürgerrechte. Dennoch sind sie sozial und individuell gesehen auch Migranten und keine wirklichen deutschen Staatsbürger. Die individuellen Problemlagen der Aussiedler ähneln denen anderer Migrantengruppen (Vgl. Barth 1998: 12-13). Nach Josef Freise gibt es noch eine vierte Migrantengruppe, nämlich die der Ausländer ohne geregelten Aufenthaltsstatus. Diese Gruppe ist datenmäßig nicht erfassbar und es gibt nur wenige gesicherte sozialwissenschaftliche Erkenntnisse über diese Gruppe. Über die Zahl dieser Migranten kann nur spekuliert werden. Es reisen Menschen mit Touristenvisum ein und bleiben in Deutschland. Zudem werden aus Osteuropa zunehmend Frauen eingeschleust und zur Prostitution gezwungen (Vgl. Freise 2005: 87). 1.4 Bikulturalität Nachdem die Begriffe Kultur und Multikulturelle Gesellschaft einschließlich der Migrantengruppen näher erläutert wurden, soll nun auf den Begriff der Bikulturalität eingegangen werden. Wießmeier gibt eine allgemeine Definition von Bikulturalität: „Zwei kulturelle Einflüsse prägen eine menschliche Identität. Ausschlaggebend ist hierbei, dass dieses Aufeinandertreffen zweier Kulturen nicht nur Kennzeichen einer vorübergehenden Lebensphase ist, wie z.B. bei einem Auslandsaufenthalt, sondern elementarer Bestandteil der Lebenserfahrung“ (Wießmeier 1999: 5). Diese Definition bezieht sich auf Menschen in verschiedenen Lebenssituationen. Das können Menschen sein mit zwei Elternteilen gleicher Nationalität, die in einem anderen Land aufwachsen, dort geboren oder dorthin migriert sind, oder aber Elternteilen, die zwei verschiedene Nationalitäten besitzen bzw. zwei verschiedenen Kulturkreisen angehören. 21 Kultur Um dem Begriffsverständis von Bikulturalität näher zu kommen, wird an dieser Stelle die notwendige Begriffsunterscheidung von Pandey zwischen binational und bikulturell vorgenommen (Vgl. Pandey 1990: 15-19). Der Begriff binational setzt bei der Nation an. Er orientiert sich an dem juristischen Konstrukt der Nationalität. Es handelt sich also um Elternpaare und deren Kinder, die zwei verschiedenen Nationen angehören. Folgende Beispiele sollen dies verdeutlichen: Ein Mädchen hat einen griechischen Vater und eine deutsche Mutter, binational ist auch ein Junge, der einen deutschen Vater und eine indische Mutter hat. Ein anderes Mädchen ist hingegen nicht binational, denn ihre Eltern kommen beide aus Italien und sie leben seit vier Jahren in Deutschland. Aber sie wächst bikulturell auf, das heißt mit zwei verschiedenen Kulturen, nämlich mit der deutschen und der italienischen. Diese Beispiele machen deutlich, dass es sich bei binational um die Staatsangehörigkeit der Eltern handelt. Bikulturell bedeutet hingegen, das Aufwachsen in zwei Kulturen, unabhängig davon, welcher der beiden Elterteile eine andere Staatsangehörigkeit hat. Beide Begriffe können nicht eindeutig einem bestimmten Personenkreis zugeordnet werden. Beispielsweise haben nicht alle Kinder, die als binational beschrieben werden zwei Staatsangehörigkeiten (Vgl. Pandey 1990:15-16). In dieser Arbeit wird der Begriff „bikulturelle“ Jugendliche verwendet. Angesichts der Globalisierung sollte er gesellschaftliche Akzeptanz erlangen. Jede sechste Eheschließung in Deutschland ist heute eine binationale und jedes fünfte Kind hat mindestens einen ausländischen Elternteil. Die Tendenz ist steigend (Vgl. Spohn 2004: 47). Für die Verankerung des Begriffes spricht auch die Geschichte. Seit der deutschen Reichsgründung 1871 hat es stets etwas Anrüchiges sich mit Fremden einzulassen. Fremd sind nicht nur, wie heute, die Inder, Chinesen oder Türken gewesen, sondern auch beispielsweise die benachbarten fremden Franzosen und Engländer. Kinder aus solchen Verbindungen haben vielfach als minderwertig und problembelastet gegolten. „Rassenmischung“, wie sie damals bezeichnet wurde, ist verpönt gewesen und schon lange vor dem dritten Reich von Politikern, Publizisten und Wissenschaftlern als schädlich für das Gemeinwesen angesehen worden. 22 Kultur Der Ausdruck für diese Abneigung wird auch im Sprachgebrauch sichtbar, wie z.B. die Bezeichnung „Rheinland- Bastarde“, womit Kinder schwarzer Angehöriger der französischen Besatzungstruppen nach dem ersten Weltkrieg gemeint worden sind. Die schlimmen Folgen des Rassenwahns unter den Nationalsozialisten sind bekannt (Vgl. Pandey 1990: 17-18). Das Adjektiv bikulturell hingegen impliziert etwas Positives 1.5 Interkulturelle Zwischenwelten Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Gemende, die sich in ihrem Buch „Interkulturelle Zwischenwelten“ ausgiebig mit Bewältigungsmustern des Migrationsprozesses auseinandersetzt (Gemende 2002: 21-34). Der Begriff der Interkulturellen Zwischenwelt beschreibt sehr anschaulich die Lebenslagen bikultureller Jugendlicher mit Migrationshintergrund und gibt einen Einblick, was es bedeutet, mit zwei Kulturen aufzuwachsen. Als erstes soll der Begriff der kulturellen Zwischenwelt beschrieben werden. Deren Grundlage sind psychische, soziale, kulturelle Widersprüchlichkeiten und das jeweilige Pendeln zwischen den Welten. „Zwischenwelt nennen wir jenen psychischen, sozialen und kulturellen Standort, den ein Mensch bezieht, wenn er unter dem Anspruch eines einheitlichen Lebensentwurfs versucht, gegensätzliche Lebenswelten, von denen er abhängig ist, zusammenzufügen“ (Hettlage–Varjas/Hettlage 1984, zit. n. Gemende 2004: 24). Um eine Persönlichkeit zu entwickeln und diese wiederum sozial vermitteln zu können, werden die Bestandteile der unterschiedlichen Welten miteinander verbunden. Das Konzept der Zwischenwelt beschreibt einen Denk- und Handlungsprozess, da sich das Verhältnis zu den verschiedenen Lebensformen der Migranten kontinuierlich verändert. 23 Kultur Die Lebenswelt der Migranten „wird laufend ausgebaut, neu definiert, verändert, verfeinert und nimmt ständig eine neue Gestalt an. Seine Dynamik lebt davon, die (Kultur-)Spannungen auszugleichen und zu einem entspannt(er)en Selbst- und Weltbezug zu gelangen, ohne dabei jedoch ein Ende anvisieren zu können“ (Hettlage–Varjas/Hettlage 1984, zit. n. Gemende 2004: 24). Die bezeichnete Zwischenwelt ist somit dynamisch, ähnlich wie der Kulturbegriff und kann sich biographisch, individuell und auf unterschiedliche ethnische Gruppen beziehen. „Zwischenwelten sind keine Übergangsmuster des Handelns von einer Gesellschaft zur anderen, sondern dauerhafte Handlungsmodi, die in bestimmten Situationen und biographischen Phasen besonders herausgefordert werden, aber eben auch latent vorhanden sind“ (Gemende 2004: 24). Interkulturelle Zwischenwelten soll als Kategorie für die eben genannten Handlungsweisen verstanden werden. „Interkulturelle Zwischenwelten sind eigenständige, multiple, ambivalente und veränderliche Wahrnehmungs- und Handlungsmuster, die MigranntInnen in einem widerständigen Wechselspiel zwischen sich und ihrer Umwelt entwickeln. Sie sind Ausdruck der Bewältigung der Verbundenheit eines Menschen mit mindestens zwei ethnisch-kulturellen Kontexten und seines Vermögens, sich in ein produktives Verhältnis zu den sich daraus ergebenen kollektiven sozialen Anforderungen (z.B. zum Verhalten der Geschlechter und Generationen, der Arbeitswelt u.a.) und ihren strukturellen Bedingungen zu setzen“ (Gemende 2004: 30). In der folgenden Ausführung werden die in der oben genannten Definition relevanten Begriffe, welche die interkulturellen Zwischenwelten bestimmen, erläutert: Eigenständig bedeutet, dass es sich um permanente Lebensformen von Migranten handelt. Interkulturelle Zwischenwelten sind Ausdruck von Veränderung durch den Zuzug von Migranten und sie variieren nach individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Bedingungen. 24 Kultur Ambivalent sind interkulturelle Zwischenwelten, weil Individualisierung des modernen Menschen zugleich auch Vergesellschaftung in unterschiedlichen sozialen Beziehungen und unterschiedliche Emotionalität bedeutet. Daraus resultiert, dass in je spezifischer Weise keine klare Grenze zwischen Freiheit und kollektiver Abhängigkeit des Individuums besteht. Diese Uneindeutigkeit müssen die Migranten grenzüberschreitend in zwei Gesellschaften bewältigen. Sie stehen vor der Konfrontation sich zwischen Fremdenangst aus eigener Verunsicherung der Einheimischen heraus und ihrer Assimilationsanforderung zu sehen. Multipel bedeutet, dass Migranten zu vielfältigen sozialen Kontexten gehören, die individuell gewichtet werden. Die Zugehörigkeit zur Aufnahmegesellschaft und zur Herkunftsgesellschaft können die Wahrnehmung der eigenen Person überlagern und beeinflussen dementsprechend auch die Bewältigung anderer kollektiver Anforderungen, z.B. das Frau-Sein. Widerständig sind interkulturelle Zwischenwelten, da sie in Zugehörigkeitsbestrebungen und Annerkennungskämpfen in der jeweiligen Aufnahmegesellschaft entwickelt werden. Außerdem sind sie Ausdruck für die Bewältigung der Entfremdung von der Herkunftsgesellschaft. Dynamisch sind interkulturelle Zwischenwelten, weil sie sich individuell unterscheiden und auch innerhalb der Migrantengruppen verschieden sind. Deshalb wird auch der Plural „Interkulturelle Zwischenwelten“ benutzt. Der Lebensentwurf der Migranten ändert sich permanent. Im Hinblick auf die erläuterten Begriffe ist erkennbar, dass sich Zwischenwelten nicht nur an den Polen Aufnahmegesellschaft und Herkunftsgesellschaft messen lassen. Interkulturelle Zwischenwelten bedeuten nicht nur die einseitige Entwicklung der Migranten hin zur Aufnahmegesellschaft, sondern sie „beschreiben Handlungsmuster in der Migration, in denen sich das Individuum zu sich und zu unterschiedlichen kollektiven Norm- und Wertstrukturen von Herkunfts- und Aufnahmegesellschaften in ein Verhältnis setzt und diese zu eigenständigen Handlungsmustern integriert“ (Gemende 2004: 32). 25 Kultur Des Weiteren bedeutet Zwischenwelt ein psychisches, soziales und kulturelles Gleichgewicht zwischen verschiedenen kollektiven Anforderungen herzustellen. Kennzeichen der Interkulturellen Zwischenwelten ist das Bewältigungsmuster, das den Versuch zur Herstellung von Normalität in Entscheidungszwängen beschreibt. Interkulturelle Zwischenwelten beziehen sich auf aktiv handelnde Menschen, deshalb wird ihnen prinzipiell ein produktiver Charakter zugeschrieben. Das Adjektiv „interkulturell“, auf das im letzten Kapitel noch eingegangen wird hebt den interaktiven Charakter der Entwicklung von Zwischenwelten hervor. Es gibt nicht nur die eine Zwischenwelt, sondern Menschen bilden je individuelle Zwischenwelten. Darüber hinaus ist das Wort interkulturell zu einem Schlagwort geworden, vor allem in der Erziehungswissenschaft, um ethnische Differenz und den Umgang damit darzulegen (Vgl. Gemende 2004: 32). 26 Kultur 1.6 Resümee Kultur Aus dem ersten Kapitel ist erkennbar, dass Kultur mehr als eine Definition, Multikulturelle Gesellschaft nicht nur eine Utopie, Migrantengruppen deutsche Realität und Bikulturalität mehr als das bloße „in zwei Kulturen leben“ bedeutet. Zusammenfassend betrachtet, stellt die Dynamik des Kulturbegriffes eine Wichtigkeit dar, die nicht unterschätzt werden darf. Denn, wenn pauschal von Kulturen gesprochen wird, ist die Konsequenz von Vorurteilen nicht weit entfernt. Deshalb ist es ratsam bei der Begegnung mit dem Fremden, seine eigene Herkunft nicht zu vergessen. Je nach subjektivem Empfinden eines Menschen von Kultur, handelt er auch danach. Wenn das Verständnis für multikulturelle Gesellschaft nicht nur als statische Situation, in der unterschiedliche kulturelle Ethnien nebeneinander bestehen, verstanden wird, sondern als ein Konzept des Zusammenlebens, dann ist der Begriff zukunftsfähig. Demzufolge zieht die ethnisch kulturelle Vielfalt notwendige gesellschaftliche und politische Veränderungen mit ein. Wie zum Beispiel die Einbettung des Begriffes Bikulturalität, denn das ist zwangsläufig unentbehrlich. Die Anzahl bikultureller Kinder und Jugendlicher ist aufgrund der Globalisierung steigend. Wie Kultur und andere Aspekte die Identität dieser Jugendlichen bestimmen und entwickeln, soll im nächsten Kapitel näher beschreiben werden. 27 Identität 2. Identität / Identitätsentwicklung „In ähnlicher Weise wie Kultur ist auch Identität als ein historischgesellschaftliches Phänomen und als ein dynamischer, in vielfältiger Weise bedingter, aber auch beeinflussbarer Prozess zu begreifen“ (Schulte 1990: 23). In diesem Kapitel wird der Begriff der Identität näher erläutert. Zunächst wird etwas zum Ursprung und zu der allgemeinen Definition gesagt. Um zu einem brauchbaren Arbeitsbegriff, für die hier vorliegende Arbeit zu gelangen wird einleitend eine Definition aus der Entwicklungspsychologie genannt (Punkt 2.1). Anschließend geht es weiter mit Modellen der Identitätsentwicklung, die sich neben soziologischen Theorien überwiegend auf die Entwicklungspsychologie stützen. Klassische Theorieansätze werden Neuen gegenübergestellt (Punkt 2.2). Eng daran geknüpft wird im letzten Abschnitt auf die kulturelle Identität bzw. bikulturelle Identität eingegangen (Punkt 2.3). Im abschließenden Resümee wird die Thematik in Kontext zu bikulturellen Jugendlichen gesetzt (Punkt 2.5). 2.1 Begriff „Identität“ Die Geschichte des Identitätsbegriffs hat ihren Anfang in der Antike. Das lateinische idem (=dasselbe) deutet ursprünglich auf Gleichheit, Artgleichheit oder wesensgleiche Übereinstimmung hin (Vgl. Walkenhorst 1999: 19). Eine ähnliche Definition findet man heutzutage im Brockhaus, der den Begriff der Identität, als die Gleichheit mit sich selbst definiert (Der Brockhaus 2002: 401). Um zu einem brauchbaren Arbeitsbegriff zu gelangen, wird die allgemeine Definition von Oerter und Dreher aus der Entwicklungspsychologie hinzugezogen, die als Einführung dient (Vgl. Oerter/Dreher 2002: 290ff). Die Definition ist von drei Komponenten bestimmt. Zunächst durch die einzigartige Kombination von persönlichen, unverwechselbaren Daten des Individuums wie beispielsweise Name, Alter, Beruf, Geschlecht usw. Dadurch kann das Individuum von allen anderen Personen unterschieden werden. In diesem sehr allgemeinen Verständnis lässt sich Identität somit auf Gruppen oder Kategorien von Personen anwenden. 28 Identität Die zweite Komponente ist in einem engeren psychologischen Sinn zu sehen und meint die einzigartige Persönlichkeitsstruktur, verbunden mit dem Bild, das andere von dieser haben. Die dritte Komponente bezieht sich auf das individuelle Verständnis für die eigene Identität, die Selbsterkenntnis und der Sinn für das, was man ist bzw. sein will. Dies ist ein entscheidender Punkt für die Entwicklung im Jugendalter (Vgl. Oerter, Dreher 2002: 290). 2.2 Modelle der Identitätsentwicklung Im Folgenden werden drei klassische Theorieansätze zwei Neuen Identitätskonstruktionen gegenübergestellt. 2.2.1 Erikson Der bekannteste, vieldiskutierte und wohl meistzitierte Ansatz der Identitätsentwicklung ist der von Erikson von 1956. In seinem Buch Identität und Lebenszyklus beschreibt er Identität wie folgt: „Das bewusste Gefühl, eine persönliche Identität zu besitzen beruht auf zwei gleichzeitigen Beobachtungen: der unmittelbaren Wahrnehmung der eigenen Gleichheit und Kontinuität in der Zeit, und der damit verbundenen Wahrnehmung, dass auch andere diese Gleichheit und Kontinuität erkennen“ (Erikson 1991: 18). Erikson versteht die Identitätsentwicklung als eine psychosoziale Entwicklung, in der das Individuum ständig in Wechselwirkung mit sich und der Gesellschaft steht. Er vertritt die Auffassung, dass der Mensch in den verschiedenen Entwicklungsphasen, die er durchläuft, wie beispielsweise Kindheit und Adoleszenz, eine zentrale psychosoziale Krise zu bewältigen hat (siehe Abbildung 2). Diese Krisen werden in den jeweiligen Entwicklungsphasen bzw. Lebensphasen deutlich. Überwunden werden sie durch das Lösen der jeweils vorherigen Aufgabe, so dass ein „nicht Überwinden“ der Krise auch Folgen für die kommenden hat (Vgl. Erikson 1991: 149). 29 Identität Abbildung 2: Die Phasen der psychosozialen Entwicklung nach Erikson unter Hervorhebung der Jugendphase (Zeile V) (Quelle Erikson 1991: 150-151) 30 Identität Die Krise der Adoleszenz bezeichnet eine der Hauptkrisen nach Eriksons Modell, da der Jugendliche in dieser Lebensphase eine eigene Position herausbilden und finden muss, die ihn wiederum zu einer Ich-Identität führt. Erreicht wird die IchIdentität durch die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Erwartungen und den eigenen Fähigkeiten. Wenn die Gesellschaft diese Fähigkeiten erkennt und akzeptiert, kann sich das Individuum als anerkanntes Mitglied der Gesellschaft fühlen und die psychosoziale Krise wäre überwunden. Durch diese beidseitige Annerkennung entsteht eine feste und irreversible Identität, die den Menschen in seinem weiteren Leben handlungsfähig macht. Wird die genannte Aufgabe nicht gelöst, so kommt es nach Erikson zu einer Identitätsdiffusion (siehe Tabelle). Die noch kommenden Phasen werden dadurch negativ beeinflusst und eventuell nicht lösbar sein (Vgl. Erikson 1991: 136 ff). 2.2.2 Marcia Die Ausführungen, auf die im Folgenden Bezug genommen wird, sind von Karl Haußer, der in seiner Veröffentlichung „Identitätspsychologie“ von 1995 sehr präzise die Modelle der Identitätsentwicklung darstellt. In der nachstehenden Ausführung wird der Entwicklungspsychologe und Jugendforscher James E. Marcia vorgestellt. Er erweitert das Modell der psychosozialen Entwicklung von Erikson und ergänzt es wesentlich, indem er es empirisch überprüfbar macht. Durch das so genannte Identity-Status–Interview erschuf er ein Instrument zur Erhebung von Identitätszuständen, auf das an dieser Stelle nicht näher eingegangen wird. Er ist nicht wie Erikson auf altersgebundene Phasenthematiken und irreversible Krisenlösungen fixiert. Um Marcias Konzept der Identitätszustände zu verstehen, soll im Folgenden der Bezug zu Erikson herausgearbeitet werden: Laut Erikson tritt das Kind nach dem Schulalter in die Adoleszenz ein, wobei es Überzeugungen und Orientierungen weitestgehend von den Eltern übernimmt, wie beispielsweise die Auffassung, dass es unbedingt notwendig sei nach der Schule ein Studium zu beginnen. In der Adoleszenz kommt es zu einem diffusen Zustand, zu einer Identitätsverwirrung, in der das Übernommene in Frage gestellt wird. Eine eigene Festlegung in beruflicher, ethnischer, partnerschaftlicher oder politischer Richtung ist jedoch noch nicht möglich, laut Erikson. 31 Identität Im günstigen Fall treten nach dieser Identitätsverwirrung verschiedene Orientierungs- und Entscheidungsalternativen ins Bewusstsein, wie zum Beispiel der Einfluss eines Berufsberaters, der dem Jugendlichen eine Ausbildung rät, um erst einmal Praxiserfahrungen zu sammeln. Dieser Zwiespalt zwischen Übernommenen und verschiedenen Alternativen, steigert sich zu einem krisenhaften psychosozialen Moratorium, aus dem als Krisenlösung eine eigene erarbeitete Identität entsteht. Das ist zum Beispiel die Auflehnung des Jugendlichen, gegen den Rat der Eltern aus eigener Initiative eine Ausbildung zu beginnen. Dieser schemenhafte Weg der Identitätsentwicklung nach Erikson während und nach der Jugendphase, ist in Abbildung 3 mit einem Pfeil gekennzeichnet. Die Abbildung zeigt in Form eines Vierfelderschemas die vier Identitätszustände nach Marcia, die auf dem eben beschriebenen Ansatz von Erikson beruhen. Abbildung 3: Die vier Identitätszustände nach Marcia und der hypothetische Verlauf einer Identitätskrise im Jugendalter nach Erikson Krise Keine Krise Innere Erarbeitete Übernommene Verpflichtung Identität Identität Keine Moratorium Diffuse Innere Verpflichtung oder Identität diffuse Identität (Quelle: Haußer 1995: 80) „Ein vorübergehender ebenso wie ein stabiler Identitätszustand eines Menschen ist nach Marcia gekennzeichnet durch das Bestehen bzw. Nichtbestehen einer inneren Verpflichtung in den jeweiligen Gegenstandsbeziehungen und durch das Vorkommen bzw. Ausbleiben einer Krise in den gegenwärtigen Gegenstandsbeziehungen oder auf dem Weg zu ihnen“ (Haußer 1995: 80). 32 Identität Diese vier Identitätszustände nach Marcia werden nun im Einzelnen erläutert: Übernommene Identität beschreibt den Zustand, in dem eine klare innere Verpflichtung eingegangen wird, zum Beispiel in beruflicher oder politischer Hinsicht. Dabei sind die Orientierungen in der Regel eng mit den Auffassungen der Eltern verknüpft. In diesem Zustand wird keine echte Krise durchgemacht. Menschen mit diffuser Gegenstandsbeziehungen Identität empfinden keinerlei innere in den betreffenden Verpflichtung, sind entscheidungsunfähig, desorientiert und zeigen keinerlei Interessen. In diesem Identitätszustand kann es zu einer Krise kommen, aber nicht zwangsläufig. Menschen im Moratorium befinden sich im Kampf zwischen verschiedenen Alternativen, aus denen sie wählen können und für die der Mensch sich innerlich verpflichten kann. Das Moratorium ist notwendigerweise mit einer Krise verbunden. Dem Menschen in diesem Zustand ist bewusst, dass er sich früher oder später entscheiden muss. Erarbeitete Identität bedeutet, dass Menschen eine Krise durchlebt haben und demzufolge den Identitätszustand erreicht haben. Einflüsse der Eltern und anderer Bezugspersonen werden dabei kritisch geprüft. Durch diese Auseinandersetzung sind sie zu einem eigenen Standpunkt gelangt, dem sie sich verpflichtet fühlen. „Marcia sieht in seinem Identitätskonzept weder eine Stufenfolge, also eine Sequenz der stetigen Vervollkommnung im Sinne von Erikson, noch ein altersgebundenes Schema menschlicher Identitätsentwicklung und auch nicht ein Merkmal, das homogen die gesamte Lebenswelt eines Menschen umfasst“ (Haußer 1995: 82). Nach Marcia sind Identitätszustände reversibel, das heißt dass der Weg von jedem Identitätszustand in einen anderen während der gesamten Lebensspanne offen ist (Haußer 1995: 82). 33 Identität 2.2.3 James, Mead und Athens: Symbolischer Interaktionismus Der erste Identitätspsychologe James (1890) hat eine sehr wichtige begriffliche Unterscheidung vollzogen. Er differenziert die Innenperspektive, „I“ von der Außenperspektive „Me“. „I“ wird bezeichnet als der Wissende und Erfahrene, „Me“ hingegen, ist der von anderen Personen Erfahrene (Vgl. Haußer: 38). Diese fundamentale Unterscheidung von „I“ und „Me“ wird von Mead (1934, dt.1973) weitergeführt. In seinem Hauptwerk „Geist, Identität und Gesellschaft“ von 1934 geht es um die fundamentale Frage, wie Menschen ihre Handlungen aufeinander abstimmen. Kern seiner Handlungstheorie ist die Analyse der sozialen Funktion von Sprache. Nach seiner Auffassung kann sich erst durch das Symbolsystem Sprache das kooperative menschliche Handeln und die planvolle Interaktion zwischen Individuen gestalten. Aus dieser Grundannahme hat sich der Begriff des symbolischen Interaktionismus herauskristallisiert, der als übliche Bezeichnung für seine Theorie verwendet wird (Vgl. Baumgart: 120). Mit „I“ reagiert eine Person auf die Haltungen anderer. Es bezeichnet das Wesen, den Willen und die Einmaligkeit dieser Person. Somit sind Individualität, Selbstanspruch und auch biographische Unverwechselbarkeit garantiert. „Me“ wird dagegen von Bestimmungen und Gewohnheiten gelenkt und ist stets vorhanden. „Me“ muss über das Verhaltensrepertoire verfügen, das auch alle anderen in einer Gesellschaft besitzen. Sonst könnte es nicht Mitglied einer Gesellschaft sein. Dieses Verhaltensrepertoire bezieht sich beispielsweise auf Gewohnheiten und Reaktionen eines Individuums. Somit steht „Me“ für soziale Anpassung, soziale Annerkennung und Funktionsfähigkeit in der Gesellschaft, die wiederum eine Existenzsicherung mit sich ziehen. Durch das innere Aushandeln zwischen „I“ und „Me“ entwickelt sich nach Mead das „Self“. Das bedeutet, dass jedes Individuum seine Identität in der Auseinandersetzung zwischen dem persönlichem „I“ und dem sozial angepassten „Me“ entwickelt (Vgl. Haußer: 39). Das innere Aushandeln wird von Athens (1994) weiterentwickelt, indem er den Prozess des Aushandelns zwischen individuellen Bedürfnissen und gesellschaftlichen Ansprüchen näher erläutert. Laut Athens geschieht es in Form von Selbstgesprächen oder wie er sie auch bezeichnet als innere Zwiegespräche. Schon im Kindesalter kann man dies beobachten, kleine Kinder bringen sich die Auffassungen anderer durch spielerische innere Rollenspiele näher. 34 Identität Bei Jugendlichen und Erwachsenen setzen sich, die bei Kindern laut vorgetragenen Rollengespräche, meistens unbewusst und schweigend fort. Durch diese inneren Rollenspiele bzw. Selbstgespräche entsteht letztendlich das Selbst, das sich als fließender, ständig weiterentwickelnder Prozess durch das Leben zieht. Die Differenzierung des „I“ und „Me“ Meads sind nach Athens noch reichhaltiger. Er macht eine weitere Differenzierung in „Us“ und „Them“. Das „Us“ oder auf deutsch „Wir“, bezeichnet die primären Bezugsgruppen, wie etwa Eltern, Geschwister, und in anderen Kulturen auch weitere Mitglieder der Großfamilie, wie beispielsweise Tanten und Onkel. Diese Menschen beanspruchen einen engen Bezug zum Individuum und haben von daher einen großen Einfluss. „US“ kann das Individuum unter Druck setzten, aber auch bei schwierigen Entscheidungen unterstützend sein. Zu den „Us-Stimmen“ gehören aber noch die jeweiligen Meinungen der Peergroup, in welcher der Jugendliche viel Zeit verbringt. Das „Them“ bezeichnet die „Sie-Stimmen“. Das sind unter anderem Lehrer, der Arbeitgeber, die Polizei usw. Das „Them“ konfrontiert das Individuum mit verschiedensten, oft auch gegensätzlichen Erwartungen einer Gesellschaft. Des Öfteren benötigt das Individuum eine ganze Versammlung von inneren Gesprächspartnern in seinem Kopf, um unterschiedliche Ansichten und Meinungen für sich klarzustellen. Diese vier Stimmen bezeichnet Athens als „phantom-community“, die unser Handeln ausmachen und bestimmen (Vgl. Freise: 122 f). Das innere Aushandeln wird auch in dem Identitätskonzept von dem Autorenteam um Keupp beschrieben, auf das im Punkt 2.2.5 näher eingegangen wird. 2.2.4 Ahbe: Das bordieusche Kapitalkonzept Im folgenden Auszug handelt es sich um die Ausführungen von dem Autor Ahbe, der die Bedeutung und das Wechselspiel der verschiedenen Ressourcen für die Identitätsentwicklung junger Erwachsener diskutiert. Er geht in seinem Aufsatz systematisch auf das bordieusche Kapitalkonzept ein und zeigt die Anschlussfähigkeit, an die in der Identitätsforschung genutzte Begrifflichkeit (Vgl. Ahbe 1998: 207-222). 35 Identität Ahbe hebt hervor: „Der in der Tendenz wachsende Zwang zur Selbstgestaltung, zum Selbstentwurf des Subjekts erfordert auch ein größeres Maß an Identitätsarbeit“ (Ahbe 1998: 208). Das Individuum muss sich in unterschiedlichen Lebenswelten bewegen und häufig ist es der Fall, dass das Individuum in diesen Lebenswelten mit entgegengesetzten Wertesystemen und Handlungsanforderungen konfrontiert wird. Dieses so genannte „Patchwork“ muss auf das Individuum und auf die soziale Umwelt bezogen, lebbar bzw. funktionstüchtig gemacht werden. Dadurch werden elastische, flexible und vor allem bei Jugendlichen diffuse Identitäten gebildet. Diese Identitäts-Diffusion wird heutzutage nicht mehr wie bei Erikson als krisenhaftes Moratorium beschrieben, sondern gilt als kulturelle Adaption. Ahbe hinterfragt, ob jedes Individuum bei den heutigen vielfältigen Optionen seine Identität selbst frei gestalten kann. Neben den klassischen Aspekten der sozialpsychologischen Identitätsforschung, wie etwa den unterschiedlichen Lebensbereichen und sozialen Netzwerken eines Individuums, sieht Ahbe die Notwendigkeit, die Ressourcenproblematik stärker ins Auge zu fassen. Insbesondere ist es wichtig, die Ansammlung, den Transfer und den Verlust von Ressourcen näher zu untersuchen und in einem Konzept zusammenzufassen. Ahbe bezieht sich auf das gängige Konzept der Kapitalformen von Bourdieu. Den aus der Ökonomie stammenden Kapitalbegriff erweitert Bourdieu und überträgt ihn auf alle gesellschaftlichen und sozialen Bereiche. Er unterscheidet drei Kapitalarten, die in einer sich bedingenden Wechselwirkung zueinander stehen: Das ökonomische Kapital bezeichnet die finanzielle und materielle Ausstattung eines Individuums. In der sozialpsychologischen Identitätsforschung wird es mit den materiellen Ressourcen gleichgesetzt. Diese können selbst erworben oder von seiten der Eltern und der Herkunftsfamilie zur Verfügung stehen. Das Sozialkapital beschreibt die Ressourcen eines Individuums aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit. Das bedeutet genauer gesagt, die sozialen Beziehungen, die ein Individuum pflegt. Diese Ressourcen sind mit gegenseitigem Kennen oder Anerkennen verbunden. Der Umfang des Sozialkapitals ist von der Ausdehnung des sozialen Netzwerks abhängig, welches das Individuum mobilisieren kann. Zudem wird der Umfang bestimmt von dem ökonomischen, kulturellen oder symbolischen Kapital, das diejenigen verwenden, mit denen das Individuum in Beziehung steht. 36 Identität Angeeignet wird Sozialkapital durch bewusste oder unbewusste Investition in soziale Beziehungen, die im Laufe der Zeit einen unmittelbaren Nutzen versprechen. Wichtig, um soziale Netzwerke beizubehalten, sind ständige Austauschkontakte, welche die Beziehung bestätigen. Im Hinblick auf die sozialpsychologische Identitätsforschung stellt Ahbe fest, dass der Begriff des Sozialkapitals mit dem der sozialen Ressourcen gleichzusetzen ist. Die Menge des Sozialkapitals ist für die Identitätsbildung Jugendlicher von großer Bedeutung, da der Besitz eines dauerhaften sozialen Netzwerkes die Identität grundlegend bestimmt. Bedingung für den Aufbau individueller Netzwerke ist das Vorhandensein aller drei Kapitalformen. Des Weiteren merkt Ahbe an, dass die Qualität der Netzwerke von dem ökonomischen Kapital abhängt. Bildungsstand, Einkommen und die permanente Beziehungsarbeit in Form von ständigen Austauschkontakten erfordern Zeit und Geld. Deshalb ist das ökonomische Kapital zwangsläufig mit sozialem Kapital verbunden. Das kulturelle Kapital hat insgesamt drei Formen: inkorporiertes, objektiviertes und institutionalisiertes Kulturkapital. Inkorporiertes Kulturkapital bezieht sich auf die internalisierten Haltungen und Fertigkeiten, die grundsätzlich körpergebunden sind. Das Individuum muss viel Zeit und Energie in dieses Kapital investieren, weil es nur persönlich erworben werden kann. Beispiele für inkorporiertes Kapital sind Bildung und Übung. Objektiviertes Kulturkapital sind zum Beispiel Bücher, Tonträger oder jegliche Form von Kunst. Sie können materiell übertragen werden, erfordern bei der Aneignung aber genauso viel Zeit, wie bei dem inkorporierten Kapital. Institutionalisiertes Kulturkapital sind staatlich anerkannte Abschlüsse und Titel, die das Individuum erwerben kann. Ein wichtiger Aspekt ist die Weitergabe von Kulturkapital der Eltern auf die Kinder, da dieses große Bedeutung für die Identitätsentwicklung Jugendlicher hat. Entscheidend dabei ist nicht nur allein die häusliche Gemeinschaft, sondern auch die Zeit, die in der Familie zur Verfügung steht, dieses kulturelle Kapital weiterzugeben. In der sozialpsychologischen Identitätsforschung wird das kulturelle Kapital mit den individuellen Ressourcen gleichgesetzt. 37 Identität Zu dem individuellen Kapital gehören unter anderen auch Gesundheit, Kraft, Aussehen, Charakter, Temperament und die Fähigkeiten, die für die Identitätsbildung besonders wichtig sind, wie etwa Rollendistanz, Empathie und Ambiguitätstoleranz. Ahbe hebt an diesem Punkt hervor, dass diese Fähigkeiten besonders wichtig sind, „weil im Zuge der Modernisierung die Ausformung, Konstruktion und Anerkennung der verschiedenen individuellen Identitäten nicht mehr mit Selbstverständlichkeit erfolgen und weil dem Subjekt ein hohes Maß an Gestaltungskompetenz und individueller Fähigkeit zum Aushandeln abverlangt wird“ (Ahbe 1998: 214). Die Bedeutung bzw. der Nutzen des Ansatzes von Bourdieu besteht darin, dass die Transformation der Ressourcen beschrieben wird. So kann zum einen verdeutlicht werden, welcher Preis bei der Transformation von einer Kapitalsorte in die andere zu zahlen ist und welcher Gewinn erzielt werden kann. Zum anderen kann so auch die Lebenssituation des Individuums verbessert oder verschlechtert werden. Der Alltag besteht aus permanenten Umtauschakten von einem Kapital in ein anderes. Die gelungene oder misslungene Ressourcentransformation lässt sich nach Ahbe sehr gut bei Jugendlichen beobachten. In der Übergangsphase vom Jugendlichen zum jungen Erwachsenen geht es unter anderen darum, die in der Familie erworbenen Kapitale in einem größeren gesellschaftlichen Rahmen umzusetzen und zu realisieren. Die jungen Erwachsenen müssen sich in der Gesellschaft etablieren, indem sie beispielsweise einen Ausbildungsweg finden, sich für eine berufliche Karriere entscheiden, partnerschaftliche Versuche unternehmen und vieles mehr. Das bis dahin angesammelte ökonomische, soziale und kulturelle Kapital muss realisiert werden. Bei Jugendlichen stellt sich das als besonderes schwierig dar. Ergänzend zu den Kapitalsorten sind die verschiedenen Milieus zu nennen in denen sich die Jugendlichen aufhalten. „Die Jugendlichen desselben Milieus haben mit großer Wahrscheinlichkeit die gleiche Ressourcenlage und eine sich ähnelnde Wertestruktur. Ressourcen und Werte wiederum bestimmen Reichweite und Richtung der jeweiligen Identitätsbildungsprozesse“ (Ahbe 1998: 218). Da jeder nur im Rahmen seines Kapitals und seiner Ressourcen seine Identität gestalten kann, müssen diese bei der Betrachtung eines Identitätsprozesses immer mit einbezogen werden. 38 Identität 2.2.5 Keupp Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Autorenteam um Keupp, das sich zehn Jahre lang umfassend mit der Identitätsforschung beschäftigt hat. Im Jahre 1999 erscheint erstmalig das Buch „Identitätskonstruktionen- Das Patchwork der Identitäten in der Spätmoderne“, in dem das Autorenteam seine Forschungsergebnisse vorstellt. Die nachstehenden Ausführungen helfen dabei, angesichts der heutigen Zeit zu einem Verständnis der Identitätsentwicklung zu gelangen. Mit dem Projekt von Keupp et al. wurde das Ziel verfolgt, „Identitätsarbeit als aktive Passungsleistung des Subjekts unter den Bedingungen einer individualisierten Gesellschaft zu begreifen und sie in ihren wesentlichen Funktionsprinzipien zu rekonstruieren. Identität verstehen wir als das individuelle Rahmenkonzept einer Person, innerhalb dessen sie ihre Erfahrungen interpretiert und das ihr als Basis für alltägliche Identitätsarbeit dient“ (Keupp et al. 2002: 60). In dieser so genannten Identitätsarbeit versucht das Individuum innere und äußere Erfahrungen situationsbedingt anzupassen und unterschiedliche Teilidentitäten zu verknüpfen. Mit „Teilidentität“ oder Selbsterfahrungsbereichen, wie Keupp sie auch nennt, sind die verschiedenen Rollen, die ein Individuum in seinem Leben besetzt, gemeint. Diese wird auch als Patchwork Identität bezeichnet. Zum Beispiel kann ein Mensch gleichzeitig Mutter, Kind, Geschäftsfrau, Ehefrau, Sportlerin usw. sein. Die Auswirkungen der globalen und gesellschaftlichen Veränderungen ergeben fünf Diskursebenen, mit denen sich das Autorenteam beschäftigt. Diese fünf Diskursebenen unterscheiden verschiedene Spannungsfelder der Identitätsdiskussion. Die Abbildung soll einen Rahmen für die weiteren Ausführungen geben. 39 Identität Abbildung 4: Fünf Spannungsfelder der Identitätsdiskussion Anthropologische Konstante Frage der Modere Die Identitätsfrage ist zeitlos. Die Identitätsfrage ist ein Problem der gesellschaftlichen Moderne. Derselbe bleiben Sich selber finden Identität bezeichnet ein So-sein, Identität ist bezogen auf einen Such- und etwas Wesenhaftes. Entwicklungsprozess, auf ein Sicht-selbstFinden Gefährliche Vielfalt Vielfalt als Chance Identität braucht Kohärenz und Erst Kontinuität Kohärenz und Identität möglich. Personaler Fokus Soziale Konstruktion Identität meint die Singularität Identität Vielfalt des und Selbsterlebens Alterität sind macht untrennbar verbunden Basale Identität Narrative Identität Identität beruht auf basalen innerpsychischen Identität ist sozial konstruiert. Das Prozessen, einem Identitätsgefühl. Medium der Konstruktion Ist Sprache. Die Strukturierung ist erzählend, narrativ. (Quelle: Keupp 2002: 69) Der Prozess der Identitätsentwicklung ist durch vier zentrale Koordinationsleistungen gekennzeichnet. Identität wird bestimmt als relationale Verknüpfungsarbeit, als Konfliktaushandlung und als Ressourcen- und Narrationsarbeit. Diese Koordinationsleistungen werden nun erläutert: Relationale Verknüpfungsarbeit Der Identitätsprozess ist nicht mit dem Ende der Adoleszenz abgeschlossen, „sondern der Motor lebenslanger Entwicklung“ (Keupp et al. 2002: 190). Relationale Verknüpfungsarbeit bedeutet, dass sich das Individuum in einer ständigen Verknüpfungsarbeit befindet, in der es die Erfahrungen deutet und versucht, sich selbst zu begreifen. Dabei ordnet das Individuum seine Selbsterfahrungen in unterschiedlicher Weise. Zum einen werden die Selbsterfahrungen einer zeitlichen Perspektive zugeordnet, wobei Vergangenes mit Gegenwärtigem und Zukünftigem verknüpft wird. 40 Identität Zweitens werden die Selbsterfahrungen mit den unterschiedlichen Lebenswelten verknüpft. Somit ergeben sich unterschiedliche Teilidentitäten. Zum Beispiel die Erfahrungen, die man als Lebenspartner macht, als Berufstätiger, als Sportler usw. Drittens werden Ähnlichkeiten und Differenzen der Selbsterfahrungen verknüpft. Das bedeutet, dass schon gemachte Erfahrungen zum Teil bestätigt, aber auch zum Teil neu formuliert werden. Hinzu kommen noch die Erfahrungen, die von Grund auf neu sind. Darüber hinaus bedeutet relationale Verknüpfungsarbeit, dass Identität als Passungsprozess an der Schnittstelle von Innen und Außen entsteht. Identität beschreibt einen Aushandlungsprozess des Individuums mit seiner gesellschaftlichen Umwelt. Identität als Konfliktaushandlung Das Individuum sucht nicht nach einem spannungsfreien Gleichgewicht, sondern versucht aus gegebenen Differenzen, die daraus resultierenden Spannungen zu ertragen und immer wiederkehrende Krisen zu meistern. Diese differenten Aspekte bilden eine motivationale Spannung für neue Handlungen und Identitätsentwürfe. Der Einbezug der Zukunftsperspektive stellt ein weiteres Konfliktspannungspotenzial dar. Identitätstheoretisch kommt es hier zu einer wichtigen Differenzierung, in welcher der bislang geltende Standard durch neue Lebensentwürfe umgestaltet werden kann. Die Autoren betonen in diesem Zusammenhang: „Die Identitätsarbeit lebt auch von dem Spannungszustand zwischen dem, was man erreicht hat, und dem, was man noch erreichen möchte“ (Keupp et.al 2002: 197). Grundspannungen werden als Quelle der Dynamik im Prozess der Identitätsbildung gesehen. „Passungsverhältnis“ meint eine Dynamik einer andauernden Aushandlung der Unstimmigkeiten und nicht einen spannungsfreien Balancezustand. Die Autoren schlussfolgern: „Identitätsarbeit zielt auf die Herstellung eines konfliktorientierten Spannungszustandes, bei dem es weder um Gleichgewicht und Widerspruchsfreiheit noch um Kongruenz geht, sondern um ein subjektiv definiertes Maß an Ambiguität und des Herausgefordertseins“ (Keupp et.al 2002: 197). 41 Identität Das jeweils gefundene Passungsverhältnis muss subjektiv stimmig sein. Wird dieses Maß erreicht, resultiert daraus ein Gefühl der Authentizität. Identität als Ressourcenarbeit Auf diesen Punkt wird im Folgenden nicht näher eingegangen, da er im Abschnitt 2.2.3 dieser Arbeit schon ausführlich behandelt wurde. Identität als Narrationsarbeit Bei der Narrationsarbeit nehmen die Autoren an, dass die Identitätsbildung im Wesentlichen mit dem Mittel der Selbstnarration erreicht wird. Selbstnarration bedeutet, dass das Individuum seine vielseitigen Erfahrungen erzählend organisiert und somit in einen Gesamtzusammenhang bringt. Dadurch werden vergangene Ereignisse sichtbar gemacht und dienen des Weiteren dazu, die Erwartung zukünftiger Ereignisse zu begründen. Diese Selbstnarrationen verändern sich ständig in sozialen Aushandlungsprozessen. Sie sind das sprachliche Werkzeug eines jeden Menschen sich zu etablieren. Sie werden von den Autoren als symbolische Systeme verstanden, die für Rechtfertigung, Kritik und/oder die Produktion von innerer Stimmigkeit verwendet werden. Die Gestaltungsmöglichkeiten der Selbstnarration sind sehr vielfältig. Keupp et. al beziehen sich auf die Teilidentitäten, die sich in den Lebensbereichen Familie/Partnerschaft, Arbeit und Freunde/Freizeit entwickeln und schlussfolgern daraus, dass es drei Inhaltsbereiche für Selbstnarrationen gibt. Sie beziehen sich auf Gergen und Gergen, die auf einer sehr allgemeinen Ebene drei Formen der Selbstnarration unterscheiden. Zum einen gibt es die Stabilitätsnarration, bei der die reflektive Erzählposition des Individuums unverändert bleibt. Zum anderen die progressiven und die regressiven Narrationen, in denen sich die Position des Individuums auf der Erzähldimension über die Zeit verändert. In den Untersuchungen von Keupp et.al. wird bestätigt, dass Jugendliche in der Regel progressive Narrationen formulieren. Die Geschehnisse der Narration sind nicht nur Narrationen eines einzelnen Individuums, sondern ebenfalls die Handlungen von anderen. Das bedeutet, dass narrative Konstruktionen immer handlungstützende Rollenbesetzungen erfordern. 42 Identität „Eine Selbstnarration kann nur dann erfolgreich aufrechterhalten und fortgeschrieben werden, wenn die handlungstützenden Rollenträger bereit sind, die Darstellungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft mitzutragen“ (Keupp et. al 2002: 213). Jedes Abwenden eines Teilnehmers bzw. Rollenträgers kann die Selbstnarration bedrohen, da die Konstruktion eine wechselseitig voneinander Abhängige ist. Die Autoren ziehen die Konsequenz: „Insofern ist die Stabilität unserer Identität als Selbstnarration eine öffentliche Angelegenheit“ (Keupp et.al. 2002: 214). Das Mittel der Selbstnarration wird von den Autoren als zentrales Medium der Identitätsarbeit hervorgehoben. Mit dem Begriff der alltäglichen Identitätsarbeit wollen die Autoren um Keupp deutlich machen, dass Identität nicht etwas angeborenes ist, sondern einen lebenslangen Prozess darstellt, den das Individuum im Laufe seines Lebens entwickelt. Neben den geschilderten situationalen Selbstthematisierungen, gibt es weitere Konstruktionen, die an dieser Stelle kurz genannt werden sollen. Als erstes ist der Begriff der „Teilidentitäten“ zu nennen, der am Anfang kurz erläutert wurde. Teilidentitäten entstehen über die Reflexion situationaler Selbsterfahrungen und deren Integration. Weiter ist das Identitätsgefühl anzuführen, das über die Verdichtung biographischer Erfahrungen und Bewertungen der eigenen Person und der zunehmenden Generalisierung der Selbstthematisierung und der Teilidentitäten entsteht. Als dritte Komponente sind die biographischen Kernnarrationen zu erwähnen. Das ist der bewusste Teil des Identitätsgefühls, der zu einer narrativen Verdichtung der Darstellung der eigenen Person führt. Diese drei Ergebnisse führen zu der letzten Konstruktion, nämlich zu der Handlungsfähigkeit. Sie markiert die Funktionalität der Identitätsarbeit für das Handeln eines Individuums und hat eine innere und eine äußere Komponente. 43 Identität 2.3 Kulturelle Identität „Kulturelle Identität“ wird in der gängigen Literatur oft mit „kollektiver Identität“ oder auch „Wir-Identität“ gleichgesetzt, die sich unter anderem auf eine Ethnie beziehen kann (Vgl. Günay 2001: 10). Kollektive Identität bezeichnet „keine physische Einheit von verschiedenen Objekten, sondern drückt die Identifikation von jemanden mit etwas aus, bezeichnet also ein spezifisches, kognitiv und affektiv geprägtes Verhältnis von Personen zu einem Identifikationsobjekt“ (Nissen 2004: 21). Kollektive Identität beinhaltet nach Nissen ebenso Empathie als Basis für Solidarität und Loyalität. Da Kultur gleichermaßen wie Identität einen dynamischen Grundcharakter hat, stellen beide einen endlosen Prozess dar. Günay bezieht sich auf Hall, der kulturelle Identität wie folgt beschreibt: „Kulturelle Identitäten sind die instabilen Identifikationspunkte oder Nahtstellen, die innerhalb der Diskurse über Geschichte und Kultur gebildet werden. Kein Wesen, sondern eine Positionierung. Daher gibt es immer eine Identitätspolitik, eine Politik der Positionierung, für die es keine absolute Garantie eines unproblematischen, transzendentalen Gesetzes des Ursprungs gibt“ (Hall 1994 zit. n. Günay 2001: 10). Günay merkt an, dass für die Sinnkonstruktion kollektiver Identitäten insbesondere ethnische, religiöse und nationale Identitäten in Betracht gezogen werden. Darüber hinaus sind aber auch Geschlecht, Generation, soziale Herkunft, Klasse usw. identitätsbestimmende Elemente. Die Ethnologin Ulrike Krasberg, die im ersten Kapitel dieser Arbeit schon erwähnt wurde, versteht kulturelle Identität als eine Art und Weise des Denkens, sich die Welt vorzustellen und zu gestalten. Diese Definition lässt sich mit dem Begriff der Teilidentitäten des Autorenteams um Keupp verbinden Bezogen auf die kulturelle Identität, bildet das Individuum je nach Rolle bzw. Art und Weise des Denkens, die es situationsgebunden vertritt, kulturelle Teilidentitäten. 44 Identität 2.4 Resümee Identität Ebenso wie Kultur, ist auch Identität bzw. die Identitätsentwicklung schwer zu beschreiben und zu definieren. Im Folgenden soll nun eine Zusammenfassung dazu dienen, die eben erläuterten Identitätsmodelle in einen Kontext zu den Jugendlichen mit bikulturellem Hintergrund zu bringen. Wie in Eriksons Modell beschrieben, geht es um das Finden der eigenen Rolle, weniger um das Erschaffen einer neuen, individuellen. Der Jugendliche soll eine Auswahl aus den schon bestehenden Rollen in einer Gesellschaft besetzen. Man könnte sagen, dass die Gesellschaft ein Angebot für eine Identität bietet, die der Jugendliche entweder annimmt oder ablehnt. Schafft der Jugendliche es nicht, sich in einer Rolle wieder zu finden, wird ihm von der Gesellschaft eine Rolle zugeschrieben, was laut Erikson zu einer diffusen Rollenausprägung führen kann. Diffusion und die darauf folgende Identitätskrise kann auch entstehen, wenn die Gesellschaft zu viele Wahlmöglichkeiten anbietet und die Erwartungen an das Individuum zu hoch sind. An dieser Stelle lässt sich feststellen, dass unter „besonderen dynamischen Bedingungen schwere Identitätskrisen entstehen können“ (Erikson 1991: 212). Ich-Identität kann nach Erikson nur erreicht werden, wenn die Erwartungen der Gesellschaft und somit die angebotene Rolle den eigenen Vorstellungen, den individuellen Fähigkeiten und Anforderungen entspricht. Auf die in der Arbeit bezogene Zielgruppe der bikulturellen Jugendlichen ist das Modell von Erikson nur begrenzt anwendbar. Die Annahme, dass ein Identitätsangebot gemacht wird und die angenommene Rolle dann für immer beibehalten wird, kann als sehr gradlinig und zu kontinuierlich gesehen werden. Die Voraussetzung für die Validität eines solchen Modells ist eine Gesellschaft der festen Strukturen und klaren Abläufe. Eine dynamische Gesellschaft ist nach Erikson der Feind der Ich- Identität. Marcia ist zu der wichtigen Erkenntnis gelangt, dass die Identität reversibel ist und nicht mit der Adoleszenz endet, sondern einen lebenslangen Prozess darstellt. 45 Identität Das Autorenteam um Keupp hat ein sehr umfassendes Modell der Identitätsentwicklung erarbeitet, das den Symbolischen Interaktionismus nach James, Mead und Athens und die beschriebenen Kapitalsorten von Ahbe miteinbezieht. Ein wichtiger Punkt in Bezug auf bikulturelle Jugendliche, ist die Erkenntnis des Autorenteams um Keupp, dass das Individuum Teilidentitäten bildet und nicht nur eine Identität hat. Bezogen auf bikulturelle Jugendliche besitzt zum Beispiel ein Jugendlicher der in einer deutsch-iranischen Familie aufgewachsen ist möglicherweise mehr Rollen, in die er hineinschlüpft, als ein deutscher Jugendlicher. Wenn er zum Beispiel zu Besuch bei seinen Verwandten im Heimatland ist, hat er eine andere Rolle zu vertreten, als bei seinen deutschen Verwandten. In einem Punkt sind sich alle Autoren einig, das Individuum steht in ständiger Wechselwirkung mit sich und der Gesellschaft. Was aber ist mit den bikulturellen Jugendlichen, die sich nicht nur mit einer Gesellschaft auseinandersetzten, sondern mit zwei Gesellschaften - der Herkunftsgesellschaft und der Aufnahmegesellschaft? Wie diese Verknüpfung von zwei Gesellschaften im Detail aussieht soll im nächsten Kapitel näher beschrieben werden 46 Situation bikultureller Jugendlicher 3. Situation bikultureller Jugendlicher In diesem Kapitel wird auf die Lebenswelt bikultureller Jugendlicher eingegangen. Zunächst soll der Begriff der Jugend und wichtige Aspekte der Identitätsentwicklung in der Adoleszenz aufgegriffen werden, denn sie bilden die Grundlage des Verständnisses von Jugend im Allgemeinen (Punkt 3.1). Da in dieser Arbeit von bikulturellen Jugendlichen aus Deutschland die Rede ist, muss angesichts der sich wandelnden Rahmenbedingungen des Aufwachsens in Deutschland darauf Bezug genommen werden. Dadurch soll ein Einblick in die verschiedenen Lebenswelten der Jugendlichen gegeben werden (Punkt 3.2). In den nächsten beiden Abschnitten wird auf die Jugendmilieus der deutschen Shell Studie und die Lebenswelt bikultureller Jugendlicher eingegangen (Punkt 3.2 und 3.3). Um die Lebenswelt der bikulturellen Jugendlichen und deren Identitätsentwicklung besser zu verstehen, sollen Erfahrungsberichte und eine empirische Untersuchung von Khounani dienen (Punkt 3.4). Abschließend werden die einzelnen Abschnitte zusammengefasst und in einen Gesamtzusammenhang gebracht (3.5). 3.1 Jugendliche und ihre Sozialisation „Die Jugend von heute“, ein häufig gehörter Satz der älteren Generationen. Aber wer ist sie und was macht sie aus? Das wird im Folgenden näher erläutert. Jugend darf nicht als geschlossene Kategorie oder als geschlossenes Phänomen definiert werden, da die soziokulturelle Beschaffenheit des gegenwärtigen Gesellschaftssystems es nicht erlaubt. Dieses wird deutlich in den unterschiedlichen Lebensbedingungen und Lebenswelten Jugendlicher, die sie mehr trennen, als dass sie in eine homogene Gruppe kategorisiert werden können (Szepan/ Teichmann 1993:84). Wird der individuelle Lebenszyklus betrachtet, so ist der Jugendliche durch den Wechsel von der Rolle des Kindes zu der des Erwachsenen gekennzeichnet. Erkennbar ist dieser Übergang durch die körperlichen, psychisch-seelischen und sozialen Veränderungen. 47 Situation bikultureller Jugendlicher Die Erwartungshaltung der Gesellschaft an die Jugend bezieht sich zum einen auf die Loslösung der Herkunftsfamilie und die Entwicklung einer individuellen Persönlichkeit, zum anderen soll der Jugendliche sich an gesellschaftliche Normen und Verhaltensweisen der Erwachsenenwelt anpassen. Dies geschieht durch den Beruf, die Ausbildung und eigener Familienbildung. Zudem ist diese Übergangssituation durch die rechtliche und politische Position des Jugendlichen gekennzeichnet. Szepan und Teichmann definieren die Phase der Jugend wie folgt: „Jugend ist die Zeit zwischen Ende der Kindheit (Pubertät), d.h. 14.-15. Lebensjahr, Ende der Schulpflicht, und dem Beginn des Erwachsenenstatus, d.h. ungefähr 24.-25. Lebensjahr, wenn die eigene Familie gegründet wird. Mit anderen Worten: Jugend ist die Übergangssituation zwischen sozialer Unreife und sozialer Reife“ (Szepan/ Teichmann 1993: 84). Jugendliche werden von vielen Forschungsgebieten definiert und genannt. In dieser Arbeit wird auf den Jugendbegriff der Soziologie Bezug genommen. „Jugend in soziologischer Sicht ist eine soziale Verhaltensphase, das Stadium des sozialen Rollenübergangs von der Kindes- zur Erwachsenenrolle. Der Jugendliche erfüllt nicht mehr die Rolle des Kindes und noch nicht die Rolle des Erwachsenen als eines vollgültigen Trägers sozialer Institutionen. Jugend ist immer Teil einer spezifischen Gesellschaft und Kultur, durch die sie geprägt wird“ (Szepan/ Teichmann 1993: 85). Identitätsbestimmende Bereiche in der Adoleszenz Kampshoff beschäftigt sich mit den Sozialisationsinstanzen Jugendlicher und nennt sechs Bereiche, die auf die Identitätsentwicklung Jugendlicher Einfluss nehmen. Einige der Bereiche sind in den oben genannten Ausführungen als Übergangssituation wieder zu finden. Kampshoff unterteilt die jeweiligen Punkte in Personale und Soziale Identität, die auf Goffman zurückzuführen sind (Vgl. Kampshoff 1996: 60 ff). 48 Situation bikultureller Jugendlicher Leib- und körperbezogener Bereich Personale Identität bezieht sich auf das individuelle Körpergefühl, verknüpft mit Sexualität und Gesundheit, im Zusammenhang der eigenen Lebensgeschichte und der konkreten Lebenswelt. Soziale Identität sind die Erkenntnis und das Gefühl, Gemeinsamkeiten in der Entwicklung und Ausprägung des Körpers, wie Geschlecht, ähnliche körperliche Symptome oder Krankheiten zu haben. Dieses ist im biographischen und im situativen Kontext zu sehen. Soziales Netzwerk Personale Identität bezieht sich zunächst auf die ursprüngliche Mutter-KindBeziehung. Die im weiteren Verlauf des Lebens in der Familie, bei Freunden, in Liebesbeziehungen, in der Schule, in Ausbildung und Beruf weiter entwickelt wird. Durch dieses soziale Netzwerk resultiert wiederum das Selbstwertgefühl des Jugendlichen. Soziale Identität meint die soziale Eingebundenheit in eine bestimmte Gruppe. Diese Eingebundenheit kann positiver und solidarischer Natur sein oder auch negative Abgrenzung bedeuten. Die Individualität wird beibehalten und geht nicht verloren. Arbeit und Leistung Personale Identität ist die Selbstverwirklichung eines Individuums in einer Arbeit oder Tätigkeit. Diese kann sich auf den Haushalt, die Freizeit und den Beruf beziehen. Arbeit und Leistung ist sehr stark von thematischen und motivationalen Gesichtspunkten geprägt. Soziale Identität besagt das Zugehörigkeitsgefühl oder gemeinsame Interessensvertretung mit anderen Personen ausgewählter Berufs- oder sonstiger Gruppen. Materielle Bedingungen Personale Identität bezieht sich auf die Bedingungen, wie ein Mensch aufwächst. Dabei spielen milieu-, schicht-, kulturspezifische und historisch bedingte Lebensbedingungen eine Rolle. 49 Situation bikultureller Jugendlicher Zudem sind auch ökonomische Bedingungen, wie etwa Einkommen, Besitz und Lebensumwelt für die Entwicklung personaler und sozialer Identität von Bedeutung. Soziale Identität meint die Eingebundenheit in eine bestimmte Umgebung, Schicht usw. Diese muss nicht zwangsläufig ein Leben lang gleich bleiben, sondern kann sich im Laufe eines Lebens ändern. Werte, Normen, Moralvorstellungen Personale Identität bezieht sich auf die individuelle Wert- und Normvorstellungen. Soziale Identität bedeutet kollektive Orientierungen in einer Gruppe, sie ist kontext- und situationsgebunden. Umgang mit Macht und Herrschaft Personale Identität bezieht sich auf die Rangposition bzw. Verortung in der hierarchisch aufgebauten Gesellschaft, im familiären Kontext und in Beruf und Politik. Soziale Identität ist entweder der Bezug zu einer Gruppe von gesellschaftlich unterdrückten Individuen oder zu einer Gruppe privilegierter, machtausübender Personen. (Vgl. Kampshoff 1996: 60 ff) Diese genanten Bereiche sind wechselseitig aufeinander bezogen. Um diese beschriebenen Bereiche in einen Kontext zu setzen, müssen die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Deutschlands miteinbezogen werden. Diese werden im nächsten Abschnitt näher behandelt. 50 Situation bikultureller Jugendlicher 3.2 Gesellschaftliche Rahmenbedingungen Im ersten Abschnitt wird genauer auf den Prozess des Aufwachsens von Kindern und Jugendlichen in Deutschland eingegangen. Die Aufmerksamkeit richtet sich insbesondere auf familiäre, mediale, interkulturelle bzw. internationale und demographische Wandlungsprozesse und Beständigkeiten. Inwieweit Kinder und Jugendliche einen Zugang zum sozialen und gesellschaftlichen Leben haben, wird im zweiten Abschnitt erläutert. Eingangs soll darauf hingewiesen werden, dass bikulturelle Kinder und Jugendliche mit Elternteilen unterschiedlicher kultureller Herkunft im 12. Kinder und Jugendbericht des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend nicht als eigenständige Gruppe beachtet werden. Sie sind zu deutschen bzw. auch zu Migrantenjugendlichen zu zählen. Dies soll beim Lesen beachtet werden. 3.2.1 Rahmenbedingungen des Aufwachsens Familiäre Lebenswelt Die Familie ist die primäre Bezugsquelle und Lebenswelt Kinder und Jugendlicher. „Sie können Auskunft darüber geben, welche Kommunikations- und Unterstützungspartner den Kindern und Jugendlichen in der Familie in welchem zeitlichen Umfang zur Verfügung stehen, und bieten Hinweise darauf, ob die familiären Lebenswelten im Prozess des Aufwachsens durch soziale Kontinuitäten oder Diskontinuitäten geprägt sind“ (BMFSFJ 2005: 58). Das Bundesministerium hat herausgefunden, dass Kinder und Jugendliche überwiegend mit einem Geschwisterkind aufwachsen und die Familienform der klassischen gleicht. Mit klassischer Familienform ist die eheliche Zwei- ElternFamilie gemeint. Darüber hinaus leben sie aber auch häufig in alternativen Lebensformen der Moderne, wie z.B. in nicht ehelichen Paargemeinschaften, in Stieffamilien oder in Alleinerziehendenhaushalten. Differenzen ergeben sich bei dem Vergleich zwischen den neuen und den alten Bundesländern. Darauf wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen. Bei ausländischen Familien mit Kindern hat sich herauskristallisiert, dass eheliche Lebensgemeinschaften weit verbreiteter sind, als in deutschen Familien. 51 Situation bikultureller Jugendlicher Im Jahr 2000 waren es 86 % gegenüber 78%, der Anteil Alleinerziehender und nicht-ehelicher Lebensgemeinschaften hat sich verringert, 2 % gegenüber 6%. Kinder und Jugendliche in ausländischen Familien haben häufig mehr Geschwister, als deutsche Kinder und nur selten keine Geschwister. Es existieren nicht nur Unterschiede in den Familienformen bei ausländischen und deutschen Familien. Es ergeben sich darüber hinaus auch Unterschiede bei ausländischen Familien je nach Herkunftsland. Dreiviertel der Türkinnen und Türken sind verheiratet, nur 7% leben in nicht-ehelichen Partnerschaften. Bei Personen aus der EU und bei Aussiedlerfamilien sind weniger als zweidrittel verheiratet. Bei Aussiedlerfamilien sind nicht eheliche Gemeinschaften deutlich stärker vertreten als in der türkischen Population. Die Zeit, die Familien miteinander verbringen und die Interaktionen innerhalb der Familie sind wesentlich von der Erwerbstätigkeit der Eltern bestimmt. Bei einem Vergleich zwischen Familien mit und ohne Migrationshintergrund hat sich ergeben, dass Mütter häufiger nicht erwerbstätig sind. Die amtliche Statistik des Bundesministeriums bestätigt, dass im Jahr 2003 ausländische Frauen zwischen 25 und 54 Jahren mit unter 18-jährigen Kindern im Haushalt lediglich 43% aktiv erwerbstätig sind. Bei deutschen Frauen sind 67% erwerbstätig. Einen generellen Schluss, den das Bundesministerium zieht, ist, dass Kinder zunehmend seltener mit beiden Elternteilen zusammen sind, aber heutzutage im allgemeinen, mehr Zeit mit ihren Eltern verbringen als noch vor zehn Jahren. Institutionelle Lebenswelt Der Alltag von Kindern und Jugendlichen ist heutzutage weitgehend institutionell strukturiert. Dazu beigetragen Kinderbetreuungsangeboten, die haben Verlängerung die der Vermehrung Schulzeit, von alltägliche Unterrichts- und Lernzeiten und eine Fülle von Freizeitangeboten. „Durch die Schaffung spezieller kindlicher und jugendlicher Lebensräume verfestigt sich zum einen die Trennung der Lebenswelten von Kindern und Erwachsenen, zum anderen differenzieren sich mit der wachsenden Vielfalt von Angeboten die Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen sowohl im Tages- als auch im Biographieverlauf aus“ (BMFSFJ 2005: 67). 52 Situation bikultureller Jugendlicher Institutionen bestimmen und begrenzen Handlungs- und Bewegungsräume. Die zeitliche Strukturierung des Lebensalltags wird mit dem Begriff der „Terminkindheit“ beschrieben. Vor allem außerschulische und außerfamiliäre Angebote sowie Verabredungen mit Freundinnen und Freunden, machen dies deutlich. Die Inanspruchnahme solcher Termine bzw. Angebote hat mit sozialen und räumlichen Wechseln zu tun. Zum einen erfordert es von Kindern und Jugendlichen soziale und kognitive Integrationsleistungen, zum anderen bietet die Terminkindheit weitere Erfahrungs- und Entwicklungsmöglichkeiten. Eine wichtige Anmerkung, die das Bundesministerium macht, ist, dass nicht alle Angebote allen Kindern und Jugendlichen gleichermaßen zugänglich sind. „Soziale, ökonomische und kulturelle Ressourcen sowie Milieuzugehörigkeiten kanalisieren die Teilnahmemöglichkeiten und führen deswegen häufig zu relativ sozial homogenen Zusammensetzungen der Nutzergruppen“ (BMFSFJ 2005: 67). Ein weiterer Begriff, den das Bundesministerium heranzieht, ist der der „Konsumkindheit“, womit die Freizeitwelten der Kinder und Jugendlichen gemeint sind. Das kann z.B. das Cliquen-Leben sein. Diese Freizeitwelten sind von den institutionellen und familiären Lebenswelten weitgehend getrennt. Zudem hat das Bundesministerium Auflösungstendenzen von altersdifferenzierten Lebenswelten festgestellt. Das bedeutet, dass Kinder schon früh in biographisch relevante Entscheidungen mit einbezogen werden, und dass sie sehr früh als eigenständige Konsumenten agieren. Von der Geschäftswelt werden die Kinder auch als eigenständig gesehen. Das Bundesministerium hebt an diesem Punkt hervor: „Die wachsende Bedeutung und kompetenzorientierte Verwertung außerschulischer Bildungsaktivitäten beinhaltet die Gefahr der Verschärfung bestehender Ungleichheiten sowie der Entstehung neuer Ungleichheiten, soweit der Zugang zu ihnen sozial, kulturell und ökonomisch selektiv strukturiert ist“ (BMFSFJ 2005: 68). 53 Situation bikultureller Jugendlicher Mediale Lebenswelt Medien gehören zum alltäglichen Erfahrungsfeld und beeinflussen die Lebensführung von Kindern und Jugendlichen. In den Bereichen der Interaktion, der Freizeitgestaltung sowie der Wissensaneignung und Bildung wird auf verschiedene Medien Bezug genommen. Insbesondere werden digitale Medien als Lern- und Lehrmittel in Schulen und Freizeitbereichen eingesetzt. Medien, wie das Handy, Fernsehen, Video usw. sind mittlerweile selbstverständliche Bestandteile der Lebenswelten von Kindern und Jugendlichen und die Häufigkeit, diese zu nutzen, hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Es ergibt sich, dass Medien viel Zeit gewidmet wird, aber im Leben der Kinder und Jugendlichen nicht dominieren. Im Hinblick auf Medien ist zu beachten, dass es alters-, geschlechts-, bildungsund schichtspezifische Unterschiede in der Nutzung und im Zugang zu den jeweiligen Medien gibt. Elektronische Massenmedien sind so weit verbreitet, da sie vielfältige Nutzungsmöglichkeiten bieten, so z.B. dienen sie der Unterhaltung, transportieren Wissen, Informationen usw. Darüber hinaus sind Medien ein grundlegender Bestandteil der Arbeitswelt. Das Bundesministerium verweist darauf, dass Medien zu heimlichen Miterziehern geworden sind, in denen sich einerseits Probleme und Gefahren bergen, aber andererseits auch Chancen bieten. „Da Medienkompetenzen sich zunehmend zu kulturellen und beruflichen Basisqualifikationen entwickeln, gleichzeitig jedoch soziale Differenzen im Zugang zu und in der Nutzung von neuen Medien bestehen, kann auf eine systematische Integration ihres Erwerbs in die öffentliche Erziehung und Bildung nicht verzichtet werden“ (BMFSFJ 2005: 70). Internationalisierung von Lebenswelten Der Begriff der Internationalisierung meint den allmählichen Prozess transkultureller Durchdringung, der sich auf wirtschaftliche und soziale Entwicklungen, auf kulturelle Ausdrucksformen und politische Regelungen bezieht. Zudem sind die Europäisierung und die Zuwanderung von Migrantinnen und Migranten als Teil der Internationalisierung zu sehen. 54 Situation bikultureller Jugendlicher Zum Ausdruck kommt die Internationalisierung durch das Vordringen von Informationen aus aller Welt, sowie die Integration vereinbarter Rechtsansprüche in soziale und personale Wahrnehmungs- und Deutungsmuster. In Deutschland gehört heutzutage die Auseinandersetzung mit anderen Kulturen zu den selbstverständlichen Merkmalen der Lebensführung und des Aufwachsens. Für Kinder und Jugendliche ergibt sich daraus konkret eine Ausdehnung der Erfahrungs- und Aneignungsmöglichkeiten, die den individuellen Horizont erweitern und bereichernd für Bildungsprozesse sein können. Zugleich kann aber auch ein Gefühl der Überforderung auftreten. Diese Überforderung äußert sich bei jungen Menschen ohne Voreingenommenheiten, Migrationshintergrund Fremdheitserfahrungen, dann z.B. in Stereotypisierungen und Verunsicherungen. Bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund können unzureichende Anstrengungen bezüglich ihrer Integration in die jeweilige Aufnahmegesellschaft, zu Ausgrenzungs- und Benachteiligungserfahrungen führen. Das kann wiederum zu Entwicklungsproblemen und Verhaltensweisen führen, die eine fähigkeitsgerechte Bildungsbeteiligung erschweren und die soziale Partizipation beeinträchtigen. Das Bundesministerium vermutet: „Angesichts demographischer, ökonomischer und politischer Entwicklungen ist von einer weiteren Verflechtung und Durchmischung der Nationen und Kulturen in Deutschland auszugehen“ (BMFSFJ 2005: 72). Aufwachsen in einer sich alternden Gesellschaft In Deutschland wachsen Kinder und Jugendliche in einer zunehmend alternden Gesellschaft auf. „Im Jahr 2030 wird- nahezu unabhängig vom Zuwanderungsgeschehen- etwa jede dritte Person in Deutschland 60 Jahre alt oder älter und nur noch jede sechste wird unter 20 Jahre alt sein“ (BMFSFJ 2005: 73). Durch die Verschiebung der Altersstruktur ergeben sich für Kinder und Jugendliche Probleme, deren Lösungen noch nicht bereit liegen. 55 Situation bikultureller Jugendlicher Es können nicht nur Generationenkonflikte entstehen, sondern der Wandel kann sich auch auf die Lebenslagen von Kindern und Jugendlichen, sowie auf ihre Entwicklungs- und Bildungschancen beziehen. 3.2.2 Soziale und gesellschaftliche Partizipation als Bedingung des Aufwachsens Die soziale und gesellschaftliche Partizipation ist wesentlich von der Position der Mitglieder in der sozialen Ordnung abhängig. Sie wird bestimmt durch die sozioökonomische Lage, die ethnische Zugehörigkeit, das Geschlecht und durch die regionalen Lebensbedingungen. Diese Faktoren stehen in enger Wechselwirkung zueinander. Die sozio-ökonomische Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen hängt weitestgehend von dem Bildungsniveau und der dementsprechenden beruflichen Tätigkeit und daran angeknüpft dem Einkommen, der jeweilige Familienform, der Anzahl und dem Alter der Kinder ab. Alleinerziehende haben es am schwersten und sind einem hohen Armutsrisiko ausgesetzt. Insgesamt hat seit 1990 die Armutssituation der Kinder und Jugendlichen zugenommen. Im Jahre 2003 ist die Armutsrate bei allen Altersgruppen sehr hoch, besonders stark betroffen sind Kinder unter fünf Jahren. Das Bundesministerium hat herausgefunden, dass die sozio-ökonomische Lebenssituation im Kontext zu der Lebensform des Haushaltes steht. Die ethnische Zugehörigkeit in Bezug auf die Partizipation am gesellschaftlichen und sozialen Leben ist entscheidend, da sich Differenzen in der Bildungsbeteiligung, in den Bildungsabschlüssen, im beruflichen Status der Eltern, sowie in den unterschiedlichen sozio-ökonomischen Lebenslagen zwischen jungen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gezeigt haben. Zum Beispiel sind bei ausländischen Jugendlichen in den letzten zehn Jahren nur geringe Veränderungen beim Besuch der unterschiedlichen Schularten zu beobachten. Die höchsten Zunahmen bezogen auf die Schularten sind bei den Gesamt- und Sonderschulen zu verzeichnen. Dabei sind jedoch herkunftsbedingte und geschlechtsspezifische Unterschiede zwischen den unterschiedlichen Gruppen zu beachten. Darüber hinaus spielt für das Erreichen eines höheren Abschlusses das elterliche Bildungsniveau eine große Rolle. 56 Situation bikultureller Jugendlicher Die Geschlechter scheinen sich heutzutage in Deutschland in vielen Einstellungsund Handlungsorientierungen, sowie Lebensweisen anzugleichen. Belegt wird dies vom Bundesministerium, zum Beispiel anhand der höheren Bildungsabschlüsse bei Mädchen, der Zunahme weiblicher Studierender usw. Es gibt nach wie vor Benachteiligungsstrukturen, diese sind aber für die vorliegende Arbeit nicht weiter relevant. Ein wichtiger Aspekt für die Beteiligung am sozialen und gesellschaftlichen Leben Kinder und Jugendlicher ist die Region, in der sie leben. Regionale und lokale Umwelten stellen für Kinder und Jugendliche primäre Räume zur Aneignung der dinglichen und sozialen Welt, der Versorgung mit Konsumgütern und Dienstleistungen, der Ausstattung mit Erziehungs-, Bildungs- und Unterstützungsangeboten, sowie der Reproduktion und Regeneration dar. Regionale Ungleichheiten nehmen Einfluss auf das Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen, sie wirken im Wesentlichen über (BMFSFJ 2005: 86) ¾ alters- und haushaltsspezifische sowie soziale und kulturelle Mischungen bzw. Entmischungen in der Bevölkerungszusammensetzung des sozialen Umfeldes, ¾ die Verfügbarkeit und die Qualität des Wohnungs- und Freiflächenangebots, ¾ den Zugang zu Angeboten für Bildung, Erziehung und Betreuung (z.B. Schulen, Kindertageseinrichtungen, soziale und kulturelle Angebote), ¾ die Versorgung mit Kommunikations- und Unterstützungsangeboten sowie mit haushaltsbezogenen Dienstleistungen und Gütern sowie ¾ unterschiedliche individuelle sowie familiäre sozio-ökonomische Gestaltungsspielräume und Zukunftsperspektiven im Zusammenhang mit dem regionalen Arbeitsplatzangebot und mit Armutsrisiken. Zudem unterscheidet das Bundesministerium drei unterschiedliche Bereiche des Aufwachsens: Zum einen das Aufwachsen in der Stadt, zweitens das Aufwachsen auf dem Lande und drittens das Aufwachsen unter dem Aspekt großräumiger Disparitäten. 57 Situation bikultureller Jugendlicher So bietet das Aufwachsen in der Stadt eine vergleichsweise hohe Vielfalt sozialer Erfahrungsmöglichkeiten durch unterschiedliche Betreuungs-, Freizeit- und Bildungsangebote, sowie eine bunte Mischung verschiedener Bevölkerungsgruppen und –schichten. Jedoch gibt es auch innerhalb von Städten auch Differenzen je nach Wohnlage. Das Wohnen in ländlichen Gegenden hat sich weitestgehend der städtischen Lebenswelt angenähert, jedoch ist der Zugang zu den eben genannten Angeboten oftmals schwieriger zu erreichen, da ländliche Räume durch geringere infrastrukturelle Dichte gekennzeichnet sind. Kinder und Jugendliche, die auf dem Land wohnen, profitieren in der Regel von geringen Verkehrsbelastungen. Die Möglichkeiten interkulturelle Erfahrungen zu machen, sind allerdings eingeschränkt, da in ländlichen Gebieten kaum ausländische Familien leben. Aufwachsen unter dem Aspekt großräumiger Disparitäten meint z.B. die Ungleichheiten des Aufwachsens zwischen Ost- und Westdeutschland. 3.3 Jugendmilieus Nachdem der Begriff der Jugendlichen allgemein und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geklärt wurden, wird nun genauer auf die Jugendmilieus in Deutschland eingegangen. An dieser Stelle soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass bikulturelle Jugendliche nicht separat genannt werden und somit unter deutsche und ausländische Jugendliche fallen. Die Jugendmilieus sollen einen Einblick über die allgemeine Situation der Jugendlichen in Deutschland geben. In der 13. Shell Studie wurde herausgefunden, „dass Wertorientierungen (falls sie das je gewesen sein sollten) keine stabilen und klar trennenden Verhaltensprädikatoren mehr sind, denen in einer 1:1 –Entsprechung bestimmte Handlungen folgen. Dennoch hängen die Wertorientierungen nicht nur eng mit den Sozialisationsvoraussetzungen, sondern auch mit der eigenen Zukunftssicht und den Lebensplanungsmustern zusammen“ (Deutsche Shell, Band 1, 2000: 138). 58 Situation bikultureller Jugendlicher In einer Befragung der 13. Shell Studie werden die Zusammenhänge zwischen Sozialisationsbilanz, Lebenshaltungen, Wertorientierungen und Planungsmustern sehr gut zusammengefasst und die Jugendlichen in fünf verschiedene Jugendtypen eingeteilt. Dadurch werden Gruppenunterschiede in den Lebenslaufvoraussetzungen, in den Einstellungen und biographischen Absichten deutlich. Im Folgenden werden die fünf Typen näher beschrieben: Die „Distanzierten“ (17%) Zu dieser Gruppe gehören überwiegend junge Männer, dessen Durchschnittsalter 19,6 Jahre beträgt. Überwiegend sind Berufsschüler, junge Arbeiter, Arbeitslose und zum Teil Studenten vertreten, die wenig Wertorientierung haben. Der Ausländeranteil ist in dieser Gruppe am stärksten, insbesondere der Anteil der türkischen Jugendlichen. Das Bildungsniveau der Eltern ist das niedrigste gegenüber dem der Vergleichsgruppen. Über die Hälfte der Jugendlichen lebt in Großstädten und industriellen Mittelstädten. Sie sind häufig streng erzogen und würden ihre eigenen Kinder anders erziehen. Dementsprechend sind die Eltern und andere Verwandte als Bezugspersonen wenig wichtig. Die Jugendlichen dieser Gruppe leben stark gegenwartsorientiert und fühlen sich schlecht auf die Zukunft vorbereitet. Genussorientierung steht deutlich vor Leistungsorientierung, zudem sind sie nicht sehr anpassungsbereit und ziehen sich stark ins Privatleben zurück. Die Jugendlichen dieser Gruppe sehen viel fern und sind die Arbeit betreffend nur durchschnittlich mobilitätsbereit. Das Interesse an Politik ist in dieser Vergleichsgruppe sehr niedrig. Die Auffassung Ausländer und Deutsche könnten voneinander lernen, ist in dieser Gruppe am niedrigsten. Es besteht nicht nur ein geringes Interesse an Politik, sondern auch an der europäischen Einigung. Viele Jugendliche nehmen Europa als irrelevant für sich selbst wahr und sehen eher Nachteile als Vorteile für das Individuum. Die „Freizeitorientierten“ (16%) Diese Gruppe besteht zu zwei Dritteln aus jungen Frauen. Das Durchschnittsalter beträgt, wie in der ersten Gruppe, 19,6 Jahre. Der Ausländeranteil unter den Jugendlichen in dieser Gruppe ist am niedrigsten. Sie kommen größtenteils aus ländlichen Gebieten, nur wenige wohnen in Großstädten. 59 Situation bikultureller Jugendlicher Das Bildungsniveau der Eltern ist ein wenig höher als das der ersten Gruppe, dennoch liegt es unter dem Durchschnitt der anderen Vergleichsgruppen. Nur einige Jugendliche sind der Auffassung, sie seien streng erzogen worden und würden ihre Kinder ähnlich wie ihre Eltern erziehen. Die Eltern haben als Bezugspersonen eine eher unwichtige Stellung. Der Beruf spielt eine unwesentliche Rolle, sie interessieren sich stärker für ihr Freizeitleben mit Freunden, Hobbys usw. Die Jugendlichen ziehen, stärker als die erste Gruppe, ein genussorientiertes Leben dem leistungsorientierten Leben vor, zudem ziehen sie sich ebenfalls in das Privatleben zurück. Sie glauben eher als die erste Gruppe, dass sie ihre Zukunft nach eigenen Vorstellungen gestalten können, sind aber dennoch nicht sehr optimistisch. Der gesellschaftliche Pessimismus ist in dieser Gruppe am stärksten ausgeprägt. Das politische Interesse in dieser Vergleichsgruppe ist am niedrigsten von allen. Die Meinung, dass Deutsche und Ausländer voneinander lernen können, ist ebenfalls nicht weit verbreitet. In dieser Gruppe ist die Ausländerfeindlichkeit am stärksten ausgeprägt. Die Zustimmung zur Irrelevanz von Europa für den Einzelnen ist in dieser Gruppe am stärksten ausgeprägt. Die „Vielseitigen“ (25%) In diesem Viertel aller befragten Jugendlichen sind gleichermaßen Jungen und Mädchen vertreten. Das Durchschnittsalter beträgt 19,4 Jahre und ist somit die jüngste Vergleichsgruppe. Jeder Zehnte dieser Gruppe ist ein ausländischer Jugendlicher. Sie kommen überwiegend aus Klein- und Großstädten. Das Bildungsniveau der Eltern ist mittelmäßig. Der Erziehungsstil der Eltern ist keineswegs streng, sondern als demokratisch anzusehen. Die Jugendlichen dieser Gruppe verfügen über ausgesprochen hohe Persönlichkeitsressourcen und glauben, dass sie ihre Zukunft nach eigenen Vorstellungen gestalten können. Im Gegensatz zu den erstgenannten Gruppen verfügen sie über eine klare Lebensplanung mit positivem Blick in die Zukunft. Sie sind äußerst mobilitätsbereit und leistungsorientiert. Die Eltern und andere Bezugspersonen, wie z.B. Freunde spielen eine überdurchschnittlich wichtige Rolle. Die Fernsehnutzung liegt im mittleren Bereich. Zudem ist das Technikinteresse in dieser Gruppe vergleichsweise stark ausgebildet. Das Interesse an Politik und an Europa ist ebenfalls sehr hoch. 60 Situation bikultureller Jugendlicher Die Jugendlichen dieser Gruppe sind der Überzeugung, dass Deutsche und Ausländer gleichermaßen voneinander lernen können. Die „Modernen“ (22%) Diese Gruppe macht ca. ein Fünftel der befragten Jugendlichen aus und besteht zu 60% aus jungen Männern. Das Durchschnittalter beträgt 19,5 Jahre. Überwiegend kommen die Jugendlichen aus Mittel- und Großstädten. Das Bildungsniveau der Eltern ist relativ hoch. Es sind überdurchschnittlich viele Schüler in dieser Gruppe zu verzeichnen. Jeder Zehnte dieser Gruppe ist ein deutscher Jugendlicher. Die Herkunftsfamilie spielt für diese Jugendlichen eine geringe Rolle, Eltern und Geschwister sind von durchschnittlicher Bedeutung, andere Bezugspersonen eher unwichtig. Jedoch sind gute Freunde für diese Jugendlichen sehr wichtig. Ihre persönlichen Ressourcen sind durchschnittlich. Die eigene Zukunftssicht ist recht zuversichtlich, die gesellschaftliche Zukunft wird von dieser Vergleichsgruppe sogar am optimistischsten bewertet. Die Jugendlichen sind vielseitig interessiert und glauben, dass sie ihre Zukunft nach eigenen Vorstellungen gestalten können. Des Weiteren ist anzumerken, dass sie sehr mobilitätsbereit sind, was den Beruf angeht. Das Technikinteresse ist in dieser Gruppe am stärksten ausgeprägt. Darüber hinaus ist das Politikinteresse außergewöhnlich hoch und die meisten Jugendlichen sehen Europa als Chance und erhoffen sich Vorteile dadurch. Hinsichtlich der Lebenskonzepte ist ihnen eine familienzentrierte Lebensführung am unwichtigsten. Diese Jugendlichen bilden die Hoffnungsträger der Wirtschaft, da überdurchschnittlich viele Studenten vertreten sind. Die Jugendlichen dieser Gruppe sind der Meinung, dass Ausländer eher von Deutschen lernen können als umgekehrt. Die „Traditionellen“ (20%) Diese Gruppe macht ein Fünftel aller Jugendlichen aus, das Durchschnittsalter beträgt 19,7 Jahre und stellt somit die älteste Gruppe dar. 51% sind Frauen. Studenten sind in dieser Gruppe überproportional vertreten. Sie erscheinen als äußerst konservativ und angepasst. Insgesamt ist in dieser Gruppe das höchste Bildungsniveau zu verzeichnen. Sie leben überwiegend auf dem Lande, kommen aus Dörfern in der Nähe von Mittel- und Großstädten oder aus industriellen Kleinstädten. 61 Situation bikultureller Jugendlicher Die Beziehung der Jugendlichen zu ihren Eltern, ist als demokratisch anzusehen und die meisten würden ihre Kinder genauso wie ihre Eltern erziehen. Die gesellschaftliche Zukunft sehen diese Jugendlichen sehr positiv, auch ihrer eigenen Zukunft sehen sie optimistisch entgegen. Sie sind sehr zukunftsorientiert und betonen die Rücksichtsnahme auf andere Menschen von allen Vergleichsgruppen am stärksten. Deshalb werden sie als die Sozialorientierten bezeichnet, da ihnen eine interessante Tätigkeit wichtiger ist als ein hohes Gehalt. Medien sind ihnen weniger wichtig, attraktiver ist für diese Jugendlichen der Sozial- und Bildungsbereich. Der Großteil der Jugendlichen vertritt die Meinung, dass Deutsche und Ausländer gleichermaßen voneinander lernen können. In dieser Gruppe ist das Interesse an Politik im Allgemeinen und an Europa am größten. Sie erhoffen sich durch die europäische Einigung persönliche Vorteile (Vgl. Deutsche Shell, Band 1, 2000: 138-155). 3.4 Lebenswelt bikultureller Jugendliche In den nachstehenden Ausführungen werden die Lebenswelten bikultureller Jugendlicher im Hinblick auf ihre Identitätsentwicklung näher erläutert. Nachdem die Identitätsentwicklung nach Keupp et. al als Patchwork Identität beschrieben wurde, soll an dieser Stelle ein anderer Begriff hinzugefügt werden, der ergänzend sehr gut zu dem der Patchwork Identität passt: Generation Crossover. Ursprünglich ist er ein Synonym aus der Musikszene und bezeichnet einen bestimmten Musikstil. Crossoverbands charakterisieren Grenzgänger zwischen Jazz, Rock, Folk und Pop. Crossover ist ein Synonym für schräg, schrill und innovativ. Auf die Lebenswelt Jugendlicher bezogen, bedeutet dies, Neues zu gestalten, alte Muster „über Bord zu werfen“, der eigenen Kreativität freien Lauf zu lassen und damit wiederum eine Vielfalt an Möglichkeiten zu entdecken. Crossover ist ein Netzwerk für Jugendkultur, das vom Bundesjugendministerium gefördert wird. Spohn hat sich ausgiebig mit dieser Thematik auseinandergesetzt und merkt an, „die Jugend ist ein Zustandsbeschreibung“ (Spohn 2004: 29). 62 Generationenbegriff und keine Situation bikultureller Jugendlicher Die Gruppe der bikulturellen Jugendlichen ist sehr vielfältig. Im Folgenden sollen die unterschiedlichen Lebenswelten von Kindern aus Familien mit einem deutschen Elternteil und einem ausländischen Elternteil und Kindern aus Migrantenfamilien dargestellt werden. 3.4.1 Sozialisation bikultureller Jugendlicher mit Elternteilen unterschiedlicher Nationalitäten Wird heutzutage im deutschen Sprachgebrauch von einer bikulturellen, binationalen oder sogar interkulturellen Beziehung gesprochen, so ist damit eine „intermarriage“ gemeint. Der Begriff stammt aus den USA, die hinsichtlich dieser Thematik eine lange Forschungstradition haben (Vgl. Elschenbroich: 364). Binationale bzw. bikulturelle Paare sind angesichts der sich wandelnden Lebensverhältnisse, ein stetig wachsender Teil der deutschen Gesellschaft. Wie im ersten Kapitel erwähnt, ist jede sechste Eheschließung in Deutschland eine binationale. Hinsichtlich der bevorzugten Länder bei der Partnerwahl sind geschlechtsspezifische Besonderheiten festzustellen. Deutsche Männer haben überwiegend Beziehungen mit Frauen aus osteuropäischen Ländern, mit großem Abstand folgend dann Frauen aus Asien und anderen EU-Staaten. Deutsche Frauen indessen gehen überwiegend Beziehungen mit türkischen Partnern ein, folgend von Partnern aus EU Staaten, wie z.B. Italien, den Niederlande usw. Im Jahre 2002 wurden 719.250 Kinder geboren, davon 155.245 Kinder binational. Das bedeutet, dass jedes fünfte Kind bikulturell aufwächst. Neben den ehelich geborenen Kindern, sind noch die unehelich geborenen Kinder deutscher Mütter zu verzeichnen. Insgesamt sind 170.915 Geburten registriert. Einige von ihnen könnten ausländische Väter haben, die statistisch nicht erfasst sind, den Anteil der bikulturellen Kinder aber noch einmal erhöhen würden (Vgl. StöckerZafari/Wegner 2004: 17-22). Binationale Kinder und Jugendliche wachsen in einer bikulturellen Situation auf, die geprägt ist von beiden Kulturen der Eltern, dem Migrationskomplex und den Reaktionen der Umwelt. Mit Migrationskomplex sind die Migrationserfahrungen und -verarbeitung des ausländischen Elternteils gemeint (Vgl. Pandey 1990: 3753). 63 Situation bikultureller Jugendlicher Ob diese bikulturelle Situation für Kinder und Jugendliche als belastend oder als bereichernd anzusehen ist, wird im Folgenden näher erörtert. Nachstehende Aspekte oder Spannungsfelder sind nach Pandey benannt (Vgl. Pandey 1990: 87ff): Zweisprachigkeit Für eine zweisprachige Erziehung eines Kindes in einem bikulturellen Elternhaus sprechen vor allem folgende Gründe (Pandey 1990: 129): ¾ Die Eltern können sich mit dem Kind in ihrer eigenen Sprache besser und direkter mitteilen als in einer Fremdsprache. ¾ Das Kind erfährt durch die Zweisprachigkeit der Familie, dass die ausländische Sprache genauso viel wert ist, wie die inländische. ¾ Das Kind kann sich mit seinen ausländischen Angehörigen verständigen und hat keine Sprachprobleme bei Besuchen im Heimatland. ¾ Die Zweisprachigkeit stärkt das Selbstwertgefühl des Kindes Diese Gründe für Mehrsprachigkeit gelten unabhängig davon, ob die ausländische Sprache des Elternteils eine international gebräuchliche ist oder nicht. Es gibt verschiedene Methoden zur zweisprachigen Erziehung. Zum einen können die Sprachen nacheinander gelernt werden, zum anderen können sie auch gleichzeitig gelernt werden. Letzteres ist in bikulturellen Familien eher der Fall. In einer bikulturellen Familienwelt aufzuwachsen, in der mehrere Sprachen gesprochen werden, erfordert von den Kindern und Jugendlichen, sich mit unterschiedlichen kulturellen Zusammenhängen auseinander zu setzen. Aus diesen Teilen des interkulturellen Lebenszusammenhangs versuchen die Kinder und Jugendlichen wiederum ihre eigene Identität zu finden bzw. herauszubilden. Die andere Sprache stellt eine wichtige Verbindung zum ausländischen Teil dar und ist teilweise die einzige Möglichkeit mit im Ausland lebenden Verwandten und Familienmitgliedern zu kommunizieren. Eine gute sprachliche Kompetenz in der dominanten Umgebungssprache, also deutsch, ist ebenfalls sehr wichtig. Sie befähigt dazu, sich am sozialen, ökonomischen und politischen Leben der deutschen Gesellschaft zu beteiligen. 64 Situation bikultureller Jugendlicher Das monolinguale Bildungssystem Deutschlands bekräftigt die Unverzichtbarkeit einer guten deutschen Sprachkompetenz, um letztendlich eine erfolgreiche Bildungskarriere einzuschneiden. Die frühste Kindheit und das soziale und gesellschaftliche Wissen, die kulturellen Normen und Werte, die durch diese Sprachen vermittelt werden, sind sehr eng mit der Entwicklung einer gefestigten persönlichen Identität verbunden. Die Kinder und Jugendlichen, die mehrsprachig in unterschiedliche soziale und gesellschaftliche Gruppen hineinwachsen, erleben ihre Mehrsprachigkeit als Ergänzung und Bereicherung. Für sie gehört es zum selbstverständlichen Alltag, sich in zwei verschiedenen Sprachen und Welten zu bewegen. Damit die Mehrsprachigkeit ausgewogen ist, bedarf es einer entsprechenden Förderung in den jeweiligen Sprachen. Mehrsprachigkeit, die unter günstigen Bedingungen gelernt wurde, bringt sehr häufig Vorteile in anderen Entwicklungsbereichen mit sich. Mehrsprachigkeit erfordert ein höheres Maß an Reflexion über Sprache und mehr Flexibilität und Kreativität beim Einsatz von Sprache. Das sprechen zweier Sprachen kann sich auch auf andere kognitive Leistungen auswirken, wie z.B. das mathematische Denken. Die Vorzüge zweisprachiger Erziehung sind zudem von der dahinter stehenden Grundhaltung der Eltern abhängig, die positiv sein sollte. Kinder und Jugendliche, die sich in mehreren Sprachen ausdrücken können, haben oft die wichtigen Aufgaben der Verbindung und Vermittlung zweier unterschiedlicher Kulturen. Mehrsprachigkeit wird als eine Quelle der Anerkennung und Selbstwertentwicklung gesehen, da Wissen, das über mehr als nur eine Sprache erfasst wird, umfangreicher und komplexer ist. Mehrsprachige Kinder und Jugendliche haben oft das Gefühl, mehr oder besser Bescheid zu wissen über kulturelle Gegebenheiten. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Sprachen reflektieren und vergleichen sie mehr, reagieren flexibel und stellen sich schnell auf neue Situationen ein. Regeln und logische Zusammenhänge können sie schneller erkennen, da sie es aus ihrem bikulturellen Lebensalltag gewohnt sind. Die Umwelt fördert zunehmend solche besonderen Fähigkeiten. Mehrsprachigkeit wird als Kompetenz und als zusätzliche Qualifikation anerkannt. Dennoch gibt es Unterschiede. Je nachdem, um welche Sprache es sich handelt, erfahren die Kinder und Jugendlichen unterschiedliche Wertschätzung. 65 Situation bikultureller Jugendlicher Religion Von vielen Menschen werden Ehen mit Personen anderer Religionen gesellschaftlich und von anderen Religionsgemeinschaften nicht akzeptiert. In Deutschland begegnen viele Menschen Personen anderer Religionen, insbesondere in der heutigen Zeit Muslimen, mit Angst und Abwehr. Die Medien verstärken diese Angst und lassen Vorurteile wachsen. Binationale Familien bleiben von solchen Ängsten und Vorurteilen oft nicht verschont. Wenn die Religion in einer bikulturellen Familie Oberhand gewinnt, führt dies zwangsläufig zu Konflikten. An dieser Stelle soll aber betont werden, dass solche Konflikte auch bei gleichen Religionszugehörigkeiten entstehen können. Es muss berücksichtigt werden, dass Religiosität in anderen Teilen der Welt einen ganz anderen Stellenwert hat, als in Deutschland bzw. in Europa. Das zeigen gegenwärtig die Medien. Nicht nur für einen Muslim, sondern auch für einen christlichen Filipino, kann die in Deutschland zum Teil herrschende Ungläubigkeit erschreckend sein. Leider gibt es kein Patentrezept über den Umgang mit verschiedener Religiosität. Für einige Paare scheint die Konversion in die andere Religion die einzige Möglichkeit, ein konfliktfreies Leben zu führen. In diesem Falle ist die Religionszugehörigkeit des Kindes schon entschieden. Andere bikulturelle Paare lassen ihre Kinder religionslos aufwachsen oder sind der Meinung, dass diese selbst entscheiden sollten welcher Religion sie angehören möchten. In manchen Familien werden Kinder deshalb mit Ritualen beider vertretenen Religionen vertraut gemacht, zum Beispiel durch Geschichten, Gebete. Lieder usw. In manchen Fällen überlässt ein Elterteil dem anderen auch die religiöse Erziehung. Mit gegenseitigem Einfühlungsvermögen und Respekt ist das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religion möglich. Es ergibt sich daraus die Notwendigkeit, klare Vereinbarungen bezüglich der Religion zu treffen, damit das Kind und der Jugendliche in seiner Identität keine Diffusion erfährt. Familienrollen Jedes Individuum spielt in seinem Leben verschiedene Rollen, in denen er sich präsentieren muss, darunter fallen auch Familienrollen. Was er oder sie als Schwester, Bruder, Vater, Mutter usw. für Aufgaben erfüllen muss, wird zum großen Teil durch die Bezugsgruppen bestimmt. 66 Situation bikultureller Jugendlicher Diese orientieren sich wiederum an den Werten und Normen der jeweiligen Kultur. Dementsprechend sind auch Familienrollen kulturell bedingt verschieden. In bikulturellen Familien kann es aufgrund verschiedener Rollenerwartungen zu Konfliktsituationen kommen. Angstphantasien richten sich vor allem auf das Heranwachsen der Tochter, wenn der Vater aus einem patriarchalisch geprägten Kulturkreis kommt. Die Mütter befürchten oft der Vater könnte der eigenen Tochter die Freiheit entziehen. Die Väter hingegen sind der Auffassung, ihre Tochter werde durch vorzeitige sexuelle Erfahrungen verdorben. Des Öfteren entstehen Konflikte, weil der Vater an seinen kulturüblichen Rollenmustern festhält und diese durchzusetzen versucht. Diese Vorstellungen sind nicht nur in der islamischen Kultur zu finden, sondern auch in anderen religiösen Kulturkreisen vertreten. Es stellt sich heraus, dass durch die Sorgen der Mutter um die Tochter und der Verbundenheit des Vaters in die deutsche Kultur, solche Konflikte gar nicht oder nur in geringem Maße auftreten. Die Pubertät des Sohnes und die Ablösung von der Familie erweisen sich ebenso als problematisch, da die Ablösung in vielen Kulturen nicht oder in einer anderen Weise erfolgt. Solche beschriebenen Rollenkonflikte können gelöst werden, wenn einer der beiden Partner sich von seinen kulturüblichen Verhaltensweisen bzw. Rollen löst. Daraus kann resultieren, dass eine einseitige Anpassung stattfindet, indem der Partner das andere kulturelle Muster auf Dauer übernimmt. Dies ist allerdings selten der Fall, da der ausländische Partner sich zwangsweise an die deutschen Muster anpassen muss. Bei einem Besuch im Heimatland verhält es sich in der Regel so, dass der deutsche Partner sich den dortigen Rollen anpasst. In bikulturellen Familien sind vorübergehende Anpassungen je nach Lebensbereich und Situation sehr häufig anzutreffen. In der Gesellschaft ausländischer Freunde verhält man sich z.B. anders, als bei deutschen Freunden. Der „goldene Mittelweg“ scheint auf Dauer eine Lösung für klare Familienrollen zu sein, denn dadurch werden neue Rollen kreiert, mit der beide Partner einverstanden sind. Für bikulturelle Kinder und Jugendliche sind diese verschiedenen Rollenübernahmen der Eltern, je nach Situation, sehr wichtig, da sie einen Wegweiser darstellen. Dadurch lernen sie, wie mit den unterschiedlichen Rollenerwartungen umgegangen werden kann, ohne sich aufzugeben oder zu verlieren. 67 Situation bikultureller Jugendlicher „Gerade die Distanz zu den Rollenerwartungen, die die Kinder in bikulturellen Familien lernen (müssen), bietet eine Chance, das Spiel auf der Weltbühne zu durchschauen und umso besser und leichter mitspielen zu können“ (Pandey 1990: 202). Bezogen auf die Identitätsentwicklung von Kindern und Jugendlichen bedeutet dies, dass Eltern ein klares Rollenverhalten, je nach Situation bzw. kultureller Umgebung, vorleben müssen, damit die Kinder und Jugendlichen eine gesunde Identität herausbilden können. Auseinandersetzung mit der Umwelt Manche Menschen gehen davon aus, dass bikulturelle Paare aufgrund massiver kultureller Unterschiede keinen dauerhaften Bestand haben. Angehörige derselben sozialen, nationalen und religiösen Gruppe haben eine größere Aussicht, dass ihnen die Stabilität von Paarbeziehungen zugeschrieben wird. Dieses Phänomen wird als Endogamieregel bezeichnet. Binationalen bzw. bikulturellen Paaren werden oft Fragen über ihr Zusammenleben gestellt, die sie als zwiespältig erleben. Auf der einen Seite sehen sie die Neugier und das Interesse der Menschen, auf der anderen Seite werden aber auch persönliche Grenzen überschritten. Solche Fragen würden ausbleiben, wenn der Partner aus dem gleichen Land käme. Bikulturelle Paare stoßen gesellschaftlich auf unterschiedliche Widerstände. Abhängig von verschiedenen Merkmalen, wie Hautfarbe, sozialer Status, Wohnort, sozialem Umfeld usw. werden sie dementsprechend ablehnend und diskriminierend oder freundlich empfangen. Die Herkunft des ausländischen Elternteils spielt dabei eine große Rolle, da nicht alle Länder auf dieser Welt gleiches gesellschaftliches Ansehen genießen. Es ist eine Hierarchie der Nationalitäten und kulturellen Werte zu beobachten. Durch das Zusammenwachsen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union entwickelt sich eine Distanz zu außereuropäischen Staaten, insbesondere gegenüber wirtschaftlich schwächeren Ländern. Besonders deutlich ist diese Distanz zwischen Afrika und Asien zu beobachten. Menschen, die aus diesen Kontinenten stammen, erfahren oft allein aufgrund ihrer Herkunft eine ablehnende Haltung. Diese kann durch einen hohen Bildungsstand und berufliche Qualifikationen gemildert werden. 68 Situation bikultureller Jugendlicher Akzeptiert die Gesellschaft die bikulturelle Beziehung wirkt sich das positiv auf die Entwicklung des Paares aus. An dieser Stelle soll betont werden, dass Sympathien und Antipathien gegenüber bestimmten Ländern von der Weltpolitik mitbestimmt werden und somit einem zeitlichen Wandel unterliegen. Die Zustimmung der eigenen Familie und der Umwelt kann sehr entlastend sein und sich positiv auf die Selbstwahrnehmung des bikulturellen Paares auswirken. Bikulturelle Paare machen häufig Erfahrungen mit Diskriminierung. Zum einen erleben sie strukturelle Diskriminierung, zum anderen gesellschaftliche Diskriminierung. Mit struktureller Diskriminierung sind z.B. das deutsche Verwaltungshandeln und die Nichtanerkennung ausländischer Berufs- und Studienabschlüsse gemeint. Mit gesellschaftlicher Diskriminierung ist z.B. die Benachteiligung bei der Arbeits- und Wohnungssuche gemeint. Aber auch das Verhalten einiger Mitbürger, wie etwa die Frage: „Haben Sie das Kind adoptiert?“, ist als gesellschaftlich diskriminierend einzustufen. Wenn sich Vorurteile gegenüber der bikulturellen Familie zuspitzen, kann es für die Kinder und Jugendlichen bedeuten, dass sie einen Teil des Selbst als minderwertig ansehen und kein positives, integriertes Bild ihres Selbst entwickeln. Somit hat Diskriminierung Einfluss auf die Identität der Kinder und Jugendlichen. Es ist notwendig, dass die Eltern auf zwei Ebenen gleichzeitig handeln. Zum einen müssen sie ihr Kind positiv stärken, damit es den Vorurteilen standhalten kann. Zum anderen sollen sie auf die Umwelt der Kinder und Jugendlichen gestaltend einwirken, damit die Vorurteile ihre Wirkung verlieren. Die seelische Stärkung des Kindes ist verbunden mit der Bekämpfung der eigenen Vorurteile der Eltern, da sie diese sonst auf dem Weg der Kulturübertragung an das Kind und den Jugendlichen weitergeben. Durch den Abbau gegenseitiger Vorurteile wird die Beziehung der Eltern gefestigt, was dem Kind und dem Jugendlichen mehr Sicherheit gibt. Zudem wirkt sich die gegenseitige Akzeptanz positiv auf das Selbstwertgefühl des Kindes und des Jugendlichen aus und somit auch auf die Identitätsentwicklung. Kontakt zu anderen bikulturellen und ausländischen Kindern verstärkt die Erfahrung kultureller Vielfalt und verhindert, dass sich das Kind als Außenseiter erlebt. Durch das Vorbild der Eltern lernen die Kinder und Jugendlichen mit Konfliktsituationen und Diskriminierungserfahrungen umzugehen. 69 Situation bikultureller Jugendlicher Staatsangehörigkeit Kinder, die in einer deutsch-ausländischen Ehe geboren werden, sind deutsche Staatsbürger (Abstammungsprinzip). Ob sie zusätzlich zu der deutschen noch die Staatsangehörigkeit ihrer ausländischen Elternteile erwerben, richtet sich nach deren Heimatrecht. Seit 1. Januar 2000 gilt in Deutschland ergänzend zum Abstammungsprinzip das Geburtsortprinzip. Unter bestimmten Voraussetzungen ist das Kind automatisch mit der Geburt Deutsche oder Deutscher, auch wenn keines der Elternteile die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt. In diesem Fall müssen sich die Kinder aber nach Erreichen der Volljährigkeit für eine Staatsangehörigkeit entscheiden (Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2005: 9). Ob bikulturelle Kinder und Jugendliche eine oder zwei Staatsangehörigkeiten haben, kann sich auf ihre Identitätsentwicklung auswirken. Denn, wenn sie sich auf die zweifache Staatsangehörigkeit berufen können, fühlen sie sich vielleicht in ihrer Bikulturalität bestärkt, was ihnen dann wiederum mehr Sicherheit und Selbstwertgefühl gibt. 3.4.3 Sozialisation bikultureller Jugendlicher mit Migrationshintergrund Jugendliche mit Migrationshintergrund haben neben generellen Problemen in der Entwicklung noch die zusätzliche Aufgabe zu lösen, sich mit den konkurrierenden Lebensmodellen der Herkunftskultur und der Aufnahmekultur auseinander zusetzen. Freise merkt an, dass die fremde Kultur nicht überbewertet werden darf, da erst die Anhäufung von Belastungen, wie etwa die Scheidung der Eltern, zu Entwicklungsproblemen führt (Vgl. Freise 2005: 124-130). Wie bei den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen klar zu ersehen ist, gibt es neben der beschriebenen alltäglichen Identitätsarbeit noch weitere Aspekte, die auf die Kinder und Jugendlichen Einfluss nehmen, wie z.B. der schichtspezifische Bildungszugang. Jugendliche mit Migrationshintergrund unterscheiden sich von den Jugendlichen mit Elternteilen zwei unterschiedlicher Nationalitäten, dadurch, dass sie durch die Familie keinen direkten Zugang zu der Aufnahmekultur Deutschlands haben. Somit ist die gesellschaftliche Akzeptanz eine andere. 70 Situation bikultureller Jugendlicher Im Folgenden werden fünf Aspekte der Orientierungsproblematik von Migrantenjugendlichen aufgeführt. Diese beziehen sich schwerpunktmäßig auf Jugendliche, die aus den orientalischen Kulturen stammen. Kulturelle Werte und Normen Kulturelle Werte und Normen entsprechen einer bestimmten Form gesellschaftlicher Lebenspraxis. Wenn sich das Land ändert, so müssen sich dementsprechend auch die kulturellen Vorstellungen verändern bzw. anpassen. Gemeint ist nicht eine völlige Anpassung, sondern in dem Maße, dass sie noch dienlich ist. Für die Migrantenjugendlichen bedeutet das, dass sie zwischen den kulturellen Werten und Normen der Herkunftskultur ihrer Eltern, und den traditionellen Werten und Normen des Aufnahmelandes stehen. Dadurch entsteht in den meisten Fällen eine Spannung zwischen aktueller Lebenspraxis und kultureller Tradition, welches für die meisten Jugendlichen einen Konflikt darstellt. Es ergibt sich die Frage nach dem persönlichen Sinn, denn für die Migrantenjugendlichen gelten nicht nur die kulturellen Bedeutungen der Herkunftskultur ihrer Eltern. Auernheimer merkt an: „Möglich ist als Ausweg eine stillschweigende persönliche Umdeutung kultureller Traditionen“ (Auernheimer 1988: 126). Dadurch ergeben sich Probleme bei der Sinn- und Identitätsfindung. Verstärkt werden diese durch die zunehmende Individualisierung in Deutschland, die häufig in großer Konkurrenz zu den Kulturen der Migrantenjugendlichen steht. In orientalischen Kulturen legitimiert z.B. erst die Heirat den Auszug aus dem Elternhaus, bis dahin unterstehen die Kinder und Jugendlichen weitestgehend der Weisungsbefugnis ihrer Eltern. Die Migrantenjugendlichen erleben, dass dieses nicht der deutschen Realität entspricht. Die meisten Jugendlichen aus westlichen Kulturen verlassen ihr Elternhaus, wenn die Ausbildung oder das Studium dies erfordert und wenn die finanziellen Möglichkeiten gegeben sind. Die in orientalischen Gesellschaften bestehende und starke Rollentrennung steht in Konkurrenz zu der Deutschen Kultur, da es in der deutschen Kultur eine geringere geschlechtspezifische Rollentrennung gibt. Eine weitere Unterscheidung bezieht sich auf die Religion, die z.B. in der türkischen Kultur oft konstitutiver 71 Situation bikultureller Jugendlicher Bestandteil des Aufwachsens ist. In Deutschland hingegen wird die Religionserziehung eher leger gestaltet (Vgl. Freise 2005: 127). Bezugsgruppenproblematik Die eben beschriebene Entfremdungs- und Sinngebungsproblematik steht in enger Verbindung zu der Bezugsgruppenproblematik. Migrantenjugendliche haben oft Schwierigkeiten sich selbst zu verwirklichen, da sie durch die Gesellschaft verunsichert werden. Zum einen erleben sie eine Missbilligung der Herkunftskultur, zum anderen eine Ablehnung der Aufnahmegesellschaft. Diese Problematik ergibt nicht nur eine Handlungsunsicherheit, sondern auch Probleme bei der sozialen Selbstzuordnung und Selbstdefinition. Wie im zweiten Kapitel dieser Arbeit herausgearbeitet wurde, gehört die Bestimmung der eigenen Stellung in der Gesellschaft zu den Aufgaben der Identitätsbildung. Da dieses für die Migrantenjugendlichen sehr schwierig ist, kommt es häufig zu einer ethnischen Selbstzuordnung, der sie sich zwangsläufig nicht entziehen können. Innere Konflikte entstehen für die Migrantenjugendlichen einerseits durch die Diskriminierung, andererseits durch die Konfrontation mit Ausländerfeindlichkeit. Diskriminierung gehört für viele Jugendliche zum Alltag in Deutschland. Viele fühlen sich der Herkunftskultur der Eltern nicht verbunden aber der deutschen Peer-group auch nicht zugehörig. Eine Lösung könnte hier in einem Zusammenschluss in generationenspezifischen eigenen Ausländergruppen bestehen (Vgl. Auernheimer 1988: 127). Verhinderung von Lebensentwürfen Die Identitätsentwicklung ausländischer Kinder und Jugendlicher wird durch rechtliche, wirtschaftliche und kulturelle Aspekte geprägt, die zum Teil die Verwirklichung von Lebensentwürfen be- oder verhindern. Die rechtliche Lage verspricht teilweise keine klare Lebensplanung für Migrantenjugendliche. Die ausländerrechtlichen Bestimmungen und die Unsicherheiten im Aufenthaltserlaubnisrecht sind immens. Zudem sehen viele Jugendlichen ihre Zukunftsperspektiven aufgrund der Jugendarbeitslosigkeit wenig positiv (Vgl. Auernheimer 1990: 128). 72 Situation bikultureller Jugendlicher Ein weiterer Punkt, der die Selbstverwirklichung der Migrantenjugendlichen erheblich beeinflusst, ist der Druck der Eltern. Oft ist es nicht der eigene Wille der Eltern, sondern der soziale Druck der islamischen Glaubens- und Kulturgemeinschaft, der beispielsweise türkische Eltern dazu bewegt, ihren Kindern mehr Reglementierengen aufzuerlegen, als sie das selbst eigentlich möchten (Vgl. Freise 2005: 128). Ansehen der Herkunftskultur Die Identitätsentwicklung von Migrantenjugendlichen ist auch davon abhängig, inwieweit sich die Herkunftsgruppe am politischen und kulturellen Leben in Deutschland beteiligt und sich mit diesem auseinandersetzt. Ein entscheidender Punkt ist, inwieweit die Minorität Gewissheit über ihre Lage und ein Selbstbewusstsein entwickelt. Gesellschaftliche Einschränkungen Die gesellschaftlichen Einschränkungen beziehen sich auf die Aneignungsmöglichkeiten. Migrantenjugendliche sind oft in zweifacher Weise vom kulturellen Erbe ausgeschlossen, zum einen von der Herkunftskultur, zum anderen von der Aufnahmegesellschaft. Da in Deutschland viele Migrantenjugendliche als Ausländer gelten und in ihrer Heimat als Deutsche, ist es für sie sehr schwierig sich zuzuordnen. Auernheimer hebt hervor: „Je mehr ausländische Jugendliche über kulturelle Mittel verfügen oder sich verfügbar machen, desto eher werden sie zur eigenen Orientierung fähig“ (Auernheimer 1990: 129). Der Schlüssel kultureller Mittel stellt die Sprache dar. Migrantenjugendliche haben die Möglichkeit, sich in beiden Kulturen zu bewegen und sogar eine Vermittlerrolle einzunehmen. 73 Situation bikultureller Jugendlicher 3.5 Bikulturelle Identität In diesem Abschnitt wird durch einzelne Erfahrungsberichte realitätsnah auf die bikulturelle Identität eingegangen. Die Erfahrungsberichte beziehen sich auf Bücher und andere Publikationen vom Verband für binationale Familien und Partnerschaften. Die einzelnen Berichte wurden so ausgewählt, dass man einen groben Überblick bzw. Einblick in verschiedene bikulturelle Konstellationen erhält. Exemplarisch werden drei Erfahrungsberichte dargestellt. Im letzten Unterabschnitt wird auf die Ergebnisse von Khounani Bezug genommen, der mit drei Stichproben-Gruppen die bikulturelle Identität untersucht. An dieser Stelle soll noch darauf hingewiesen werden, dass die Erfahrungsberichte zum Teil gekürzt sind, da sie sonst den Rahmen dieser Arbeit überschritten hätten. 3.5.1 Erfahrungsberichte einzelner Jugendlicher Miriam (14), Mutter Deutsche, Vater Türke „Nach meiner Geburt zogen meine Eltern mit mir nach Istanbul. Dort lernte ich sprechen (natürlich Türkisch). Als wir dann nach einem Jahr wieder nach Deutschland zogen, konnte mich erstmal keiner so richtig verstehen. Obwohl meine Mutter auch in der Türkei immer Deutsch mit mir geredet hatte, konnte ich natürlich am Anfang erstmal besser Türkisch sprechen. Wir fuhren von nun an jeden Sommer in den Ferien in die Türkei. Als ich neun Jahre alt war, flog ich auch einmal alleine zu meinen Verwandten. In der Türkei ist es toll. Vor allem das Meer und das Superwetter im Sommer. Letztes Jahr war ich zum ersten Mal in Adana. Von dort kommt mein Vater. Aber jetzt lebt außer meinem Onkel die ganze Familie in Istanbul. Dort finde ich es auch spitze. Die Läden werden dann geschlossen, wenn die Verkäufer keine Lust mehr haben zu arbeiten, zumindest die bakkallar, das sind die kleinen Lebensmittelgeschäfte, die fast an jeder Ecke stehen. Manche sind sogar bis ca. 12 Uhr nachts geöffnet. Was ich auch noch super finde, ist meine Riesenfamilie. In den Ferien treffen sich alle entweder bei meiner Oma oder bei einem meiner vielen Onkel. Am lustigsten wird es meistens abends. Die Kinder spielen und toben, machen Quatsch und sind total ausgelassen. So was wie „um 10 Uhr geht’s ab ins Bett“ oder so, gibt es dort nicht. Jeder geht dann schlafen, wann er will. Meistens ist das bei uns so gegen 2 Uhr nachts. (Natürlich in den Ferien!). 74 Situation bikultureller Jugendlicher […] Wenn ich in Deutschland bin, spreche ich nur mit meinem Vater Türkisch. Ich kann es nicht leiden, wenn er anfängt, Deutsch mit mir zu reden, es kommt mir dann immer ganz ungewohnt vor. Ich tue dann einfach immer so, als hätte ich ihn nicht verstanden, oder als hätte ich ihn nicht gehört. Eigentlich kann mein Vater es selber nicht ausstehen, Deutsch mit mir zu reden, aber manchmal macht er es, um mich zu ärgern. Bei meiner Mutter ist das genauso. Wenn sie anfängt, aus Versehen mit mir Türkisch zu reden, dann kriege ich immer einen totalen Anfall!!! Ich hasse das. Meistens reagiere ich dann einfach gar nicht darauf. Obwohl… manchmal ist es ja auch ganz praktisch, dass meine Mutter Türkisch kann und mein Vater Deutsch, denn wenn wir uns etwas sagen wollen, was die anderen nicht verstehen sollen, können wir das wunderbar machen. Manchmal hat mich in Deutschland auf der Straße oder in der U-Bahn jemand gefragt, ob ich aus der Türkei komme. Angeblich sieht man das an meinen Augen. Aber wenn mich jemand so was fragt, finde ich das eher witzig, als dass ich mich darüber ärgere. Einmal ist mir aber was ziemlich blödes passiert. Ich wollte mit einer Freundin eine Fete feiern. Weil viele, die wir eingeladen hatten, nicht wussten, wie sie zu unserem Haus kommen sollten, wollten wir vom Hauptbahnhof bis zu unserem Haus Pfeile mit Kreide auf die Straße malen. Am nächsten Tag sollte in Bonn eine riesige Demo stattfinden, und überall gab es dafür schon Vorbereitungen. Ich war gerade dabei, den zweiten Pfeil zu malen, da kam so ein blöder Typ von ca. 50 Jahren an, stellte sich groß vor mir auf, und faselte irgendwas wie: „Go in your land, bla bla bla!!!“ Ich hab erst gar nicht kapiert, was der wollte und habe gesagt, ich würde ihn nicht verstehen. Da hat er doch prompt das ganze in einem total schlechten Englisch wiederholt. Ich habe ihn dann verstanden und gemerkt, dass er was gegen Ausländer hatte. Ich habe einfach gesagt: „Tut mir leid, ich verstehe sie nicht!“ (Auf Deutsch). Er hat sich dann noch mal auf Englisch wiederholt, und als ich einfach nicht mehr reagiert habe, hat er angefangen, auf deutsch loszuschimpfen: ich solle gefälligst in mein Land abhauen und nicht hier herkommen und die Straßen vollkritzeln, in meinem Land würde ich das auch nicht tun. Diese ganzen Scheißausländer kämen hierher und dann würden sie auch noch demonstrieren. (Dabei war die Demo am nächsten Tag gar nicht gegen Ausländerfeindlichkeit oder so.) 75 Situation bikultureller Jugendlicher Ich sagte dann, ich sei Deutsche, aber er schimpfte immer weiter. Als er dann sogar anfangen wollte, mich zu treten, haben sich endlich ein paar Leute eingemischt. Sie sagten ihm, es sei besser, Pfeile zu malen als Hakenkreuze, und dann haben sie mich vor dem blöden Typen gefragt, ob sie auch noch ein paar Pfeile malen sollen. Irgendwann ist der Typ dann weggegangen. Ich war total fertig. Das war vor ca. einem Jahr. Sonst ist mir aber eigentlich noch nichts in der Art passiert, ich hätte gar nicht gedacht, dass man mir so ansieht, dass ich HALBtürkisch bin!!! Im großen und ganzen bin ich aber eigentlich total froh, und ehrlich gesagt auch ein bisschen stolz darauf, dass ich nicht nur einfach Deutsch bin und noch eine andere Sprache verstehe! Ich finde es auch total toll, dass ich so viele Verwandte in der Türkei habe! Manchmal fragen mich Freundinnen, ob ich später mal ein Kopftuch tragen muss. Diese Frage finde ich echt total blöd! Warum sollte ich? Nur weil mein Vater aus der Türkei kommt? Als wenn in der Türkei alle Frauen ein Kopftuch aufziehen würden! Ich glaube, mein Vater würde das gar nicht gut finden, wenn ich auf einmal mit Kopftuch rumlaufen würde! Die einzige, die in meiner Familie in der Türkei ein Kopftuch aufzieht, ist meine Oma! Und das auch nur, wenn sie rausgeht oder betet. Meine Oma ist die einzige bei uns, die religiös ist. Aber sie geht auch nicht in die Moschee. Einmal als ich noch jünger war, habe ich in einer Zeitschrift ein Bild mit tief verschleierten Frauen gesehen. Ich habe mich gefragt, wo dieses Bild gemacht wurde und dann las ich unter dem Bild: „Die Frauen in der Türkei“ oder so ähnlich! Ich habe damals gar nicht verstanden, was das sollte, denn ich habe in der Türkei noch nie solche Frauen gesehen. Letztes Jahr ist mir dann zum ersten Mal eine einzige Frau begegnet, die verschleiert war, aber ich war mir ehrlich gesagt noch nicht einmal sicher, ob das eine Türkin war, denn ich habe sie nicht verstanden, als sie mit ihrem Mann geredet hat! Na ja, vielleicht hatte sie auch einfach nur einen starken Dialekt!“ (Miriam Salgar zit. nach IAF 1999: 59-62) 76 Situation bikultureller Jugendlicher Shirin (12), Mutter Deutsche, Vater aus der Karibik „Ich heiße Shirin, bin zwölf Jahre alt und wohne in Dortmund. Meine Mutter ist Deutsche, mein Vater stammt aus der Karibik und ist in England aufgewachsen. Ich schreibe euch mal meine zehn Tops auf, worüber ich mich im Moment am meisten ärgere. 1. Dumme Erwachsene Wenn Kinder glauben, dass Afrika ein Land ist, kann ich das noch verstehen, aber auch Erwachsene glauben das oft. Manche meinen, es gäbe die Sprache afrikanisch. Wenn ich sage, dass mein Vater aus der südlichen Karibik stammt und die Insel Nevis heißt, glauben sie einfach nicht, dass es diese Insel gibt. 2. Dummdreiste Erwachsene Das sind die Schlimmsten. Sie bezweifeln einfach das, was Kinder sagen, und sind eingeschnappt, wenn ein Kind oder Jugendlicher, sie korrigiert. Wenn ich zum Beispiel erkläre, wo Nevis liegt, das wollen sie dann nicht wissen. Kann ich was dafür, wenn ihre Welt in Mallorca endet? Manchmal sind sogar Lehrer so. In der Grundschule hatte ich eine Freundin, die kam aus Ghana. Unsere Lehrerein war der Ansicht, alle Schwarzen, die aus Afrika kommen, sind Katholiken. Daphne und ihre Familie sind nicht katholisch. Wir haben es ihr mit vereinten Kräften erklärt. Aber nein, Daphne musste vier Jahre in den katholischen Religionsunterricht gehen. 3. Kosmetik Letzte Woche bin ich in einen Drogeriemarkt gegangen und wollte einen Abdeckstift gegen Pickel kaufen. Die Verkäuferin war nett und half mir beim suchen. Natürlich gab es keinen Abdeckstift für meine Hautfarbe, natürlich auch keine Abdeckcreme oder sonst irgendwas, auch keine Pflegemittel für meine Haare, das war mir schon klar. Der Verkäuferin war das sehr unangenehm, sie wurde richtig rot. 4. Friseurbesuche Früher habe ich mal versucht, mit meiner Mutter einen Friseur aufzusuchen, Spitzen abschneiden, musste mal sein. Obwohl ich erst neun Jahre alt war, merkte ich wie die Friseurinnen um mich herumschlichen oder im Pausenraum verschwanden. Ich habe nie mehr einen Friseur besucht. 77 Situation bikultureller Jugendlicher 5. Zeitschriften Manche in meiner Klasse lesen Bravo Girl oder Young Miss. Da geht es um Mode, Schminktipps und Frisuren. Da brauche ich gar nicht reinschauen! Für braune und schwarze Mädchen gibt es da gar nichts. Zehn Seiten, wie sich ein Blondie im Sommer pflegt: Sonnenschutz, Frisuren für den Strand, wie hält die Sonnenbräune besonders lang usw. Obwohl es manchmal schwarze Models und Moderatorinnen gibt, was ja schon ein Fortschritt ist - für ganz normale Mädchen wie mich ist nichts dabei. 6. Rentner Manche Rentner benehmen sich Kindern gegenüber oft unmöglich. Nur am schimpfen und am Maulen. An meiner Schulbushaltestelle ist es besonders schlimm. Wir sind morgens immer zu fünft, vier von uns sehen nicht typisch deutsch aus. Die fünfte ist zwar blond und blass, hat aber lange Haare. Und manchmal geht es da richtig ab. 7. Familie Manche Leute denken, ich müsste unglücklich sein, weil mein Vater nicht bei uns lebt. Das ist auch so im Fernsehen. Die armen Alleinerziehenden. Ich kann das gar nicht verstehen. Ich habe väterlicherseits noch drei kleine Geschwister, mütterlicherseits noch einen älteren Bruder, dazu hatte ich noch einen Pflegebruder, mein großer Bruder hat wiederum väterlicherseits noch eine kleine Halbschwester und einen älteren Bruder. Wir kennen uns alle. Als ich noch jünger war, habe ich das manchmal nicht auf die Kette gekriegt. Besonders als mein älterer Bruder noch die kleine Schwester bekam, da war ich eifersüchtig und wollte nicht einsehen, dass ich mit ihr nicht verwandt bin. Ich habe beschlossen, dass sie meine Cousine ist. Nach außen treten wir immer alle als Geschwister auf, kapiert sonst sowieso niemand und passt auch gut, weil wir alle braun bis schwarz sind. Auf der neuen Schule habe ich richtig gemerkt, dass es in machen Familien ganz anders ist. Es gibt bei uns zum Beispiel welche, da sind vier Kinder, die haben nur einen Vater, und der lebt auch noch bei ihnen. Für mich ist das komisch. So ein Vater, der immer zu Hause ist, ist doch eher eine Mutter. 78 Situation bikultureller Jugendlicher 8. Manche Kinder Es gibt wirklich noch Kinder, die mich fragen: „Warum bist du schwarz und deine Mutter weiß. „Ich fass es einfach nicht. „Gut“, sage ich, „hast du schon mal mit Wasserfarben gemalt? Du nimmst also dunkelbraun und Weiß und mischt es, was passiert dann?“ Manche kapieren es dann immer noch nicht, ich kann ihnen dann auch nicht helfen. 9. Rassismus Ich hasse es, wenn ich angestarrt werde. Und noch mehr hasse ich es, wenn die Leute glauben, ich würde es nicht merken. Neulich bin ich mit meinen zwei Freundinnen (wir sehen alle drei nicht typisch deutsch aus) aus einem Geschäft rausgeschmissen worden. Wir standen am Süßwarenregal und wollten was aussuchen. Die Verkäuferin wieder mit diesem typischen „Ich sortier hier ein“Blick, bei dem auch dem Blödesten auffällt, dass sie aufpasst, dass wir nichts klauen. An der Kasse musste dann meine Freundin die Hand öffnen. So was aber auch, nichts gestohlen. Natürlich entschuldigt sich niemand bei ihr. Mit dummen Ausländerkindern kann man es ja machen. Als wir nachfragen, was das soll, regt sie sich auf und wir bekommen Ladenverbot, sie droht schließlich mit der Polizei. Ich sage ihr: „Sie machen sich doch lächerlich“, da wird sie völlig wütend. Wir haben am nächsten Tag dann drei deutsch aussehende Mädchen in den Laden geschickt. Erwartungsgemäß passierte gar nichts. 10. Unter den Tisch kehren Mich macht es wütend, dass die Dinge hier nicht beim Namen genannt werden dürfen. Es darf einfach keinen Rassismus geben. Wenn man nicht drüber spricht, gibt es das Problem nicht. Am meisten regt mich auf, wenn Leute, die gar nicht betroffen sein können, ihre Meinung sagen. Da sagt dann einer auf dem Schulhof: „Du siehst aus, als wenn du in die Scheiße gefallen wärst“, und ich finde, das ist eine rassistische Beschimpfung. „Nein, das hat er nicht so gemeint“, sagen die Erwachsenen. „Sind doch Kinder“ (Shirin zitiert nach Massingue 2005: 57-59). 79 Situation bikultureller Jugendlicher Rita (26), Mutter Finnin, Vater Deutscher „Menschen, die ich hier in Deutschland kennen lerne, sind oft erstaunt, wenn sie mitbekommen, dass ich Halbfinnin bin. Weil man es nicht merkt. Nicht am Aussehen, nicht an der Sprache, nicht am Verhalten. Ich bewege mich, als sei ich hier zuhause, und nur hier. Perfekte Anpassung. Deutschland ist meine Heimat. Als Kind war es immer schön, nach Finnland zu fahren. Es war Abenteuer. Fliegen, reisen, die Cousins sehen und mit ihnen durch den riesigen Garten toben. In der Sauna machten sie es so heiß, dass wir vier Halbfinninen (ich habe drei Geschwister) brüllend raus rannten- nur kurz vor den beiden Ganzfinninen. Im Sommerregen den entlaufenden Hund suchen. Der Regen war warm, und dass wir nass waren merkte ich erst, als uns unsere Mutter mit einem Regenschirm besorgt entgegenkam. Später riss der Kontakt zu Gleichaltrigen ab. Mit 14 hatte ich den Anschluss zu den früheren Freunden verloren, mit der Familie reisen war langweilig, und ich wusste nicht, was ich in Finnland verloren hatte. Heimatlos war ich dort. […] Meine Mutter und ich sprechen heute deutsch miteinander. Finnisch zu reden fühlt sich fremd und künstlich an. Aber ich freue mich, wenn sie mir auf Finnisch schreibt. Und manchmal wünsche ich mir, es käme wieder eine Zeit, in der Finnisch für uns beide die nächste, die gemeinsame Sprache ist. Zwei wichtige Dinge habe ich von meiner Mutter mitbekommen. Finnisch und eine Nähe zum Glauben. Es sind zwei Dinge, die auch untereinander verbunden sind. Noch heute ist es eine besondere Art von Heimat, einen zweisprachigen Gottesdienst zu besuchen. Es ist anstrengend, wie ein Pendel an einer langen Schnur von einer Seite zur anderen zu pendeln. Nicht umsonst habe ich lange versucht, mich für eine der Seiten zu entscheiden, mich auf einer Seite festzumachen, damit das Pendeln aufhört. Es ist nichts, was ich mir ausgesucht habe. Und wenn ich die Wahl gehabt hätte, ich hätte es wahrscheinlich nicht gewählt. Als ich mit Anfang zwanzig viel mit Bauernsöhnen zu tun hatte, war ich neidisch, als ich bemerkte, wie fest sie an einem Ort verwurzelt waren. Und traurig, dass es mir nicht so ging und nie so gehen würde. 80 Situation bikultureller Jugendlicher Ich bin genervt, wenn Leute mich für toll halten, weil ich aus zwei Ländern komme. Da, wo Licht ist, ist auch Schatten. Ich habe ein paar Dinge mitgenommen. Ich bin froh, dass wir zweisprachig aufgewachsen sind. Als Kind konnte ich die Brücke meiner Mutter nach Finnland mitbenutzen, aber irgendwann wurde es Zeit, mir meine eigene Brücke zu bauen. Das war durch die Sprache leichter. Und es war gut nicht nur mit meiner Mutter Finnisch zu reden, sondern die Sprache auch mit anderen zu teilen. Das machte Spaß, und das Weiterlernen geschah von selbst. Ich bin aber auch froh darüber, dass meine Mutter die Zweisprachigkeit nicht dogmatisch gesehen hat. Sie hörte irgendwann auf, finnisch mit uns zu reden. Wir wollten es nicht mehr, uns war es zu anstrengend geworden. Und sie hatte Sorge, wir könnten ihr gegenüber verstummen, wenn sie weiterhin darauf bestünde, Finnisch zu sprechen. Für mich ist das Ziel von Sprache, Beziehung zu ermöglichen. Wenn die Beziehung unter dem Festhalten an einer Sprache leidet, verliert die Sprache ihren eigentlichen Sinn. Offene Fragen? Natürlich gibt es die. Wie meine Eltern es am besten gemacht hätten und teilweise auch gemacht haben, weiß ich heute natürlich. Aber wie soll ich diese Ratschläge für mein Leben befolgen? Was ist meine Muttersprache, die ich vielleicht irgendwann einmal mit meinem Kind reden sollte? Meine Muttersprache ist Deutsch. Und Finnisch ist es auch. Vielleicht werde ich viel auf Finnisch singen mit meinem Kind. Und vor allem die Weihnachtslieder, die dürfen nicht fehlen. Soll mein Partner auch noch Finnisch lernen? Die Sprache ist wirklich sehr anders als die Deutsche. Natürlich kann man sie lernen, aber ist es mir wirklich so wichtig, dass ich darauf bestehen soll? Funktioniert das überhaupt, auf etwas bestehen, den Partner zu etwas bringen wollen? Kann ich ihn nicht eigentlich nur bitten und hoffen, dass er versteht, weshalb es mir wichtig ist? Im eigenen Übersetzen der Ratschläge in mein Leben wird mir klar, dass es wohl die einfachen Antworten nicht gibt. Dass es sie für mich nicht gibt, und dass es auch für meine Eltern immer wieder ein NeuAusbalancieren, NeuZusammenfügen der beiden Kulturen war. 81 Situation bikultureller Jugendlicher Und für mich, für mich wird es wohl eine lebenslange Übung bleiben - das Pendeln genießen zu lernen und anzunehmen, dass beide Seiten ein Teil von mir sind. Zwei bleiben und eins werden. Der Ausdruck von Erich Fromm passt nicht nur zu Liebe zwischen zwei Menschen, sondern auch zur Liebe zu zwei Zuhausen. Eigentlich hat Zuhause keinen Plural. Für mich hat es doch einen“ (Oldenburg, Rita zit. nach IAF, 2004: 6-9). Nasima (Alter unbekannt) Mutter und Vater aus Afghanistan „Adoleszenz, wann war denn das? Da war ich in der Neunten, Zehnten, Elften, Zwölften, da war ich immer noch das brave Mädchen. Ich hatte ja Ziele. Ich war auf der Realschule und mein Vater wollte, dass ich dann aufhöre und heirate. Das hat er mir nie direkt gesagt. Er hat es mir über meine Mutter vermittelt und dies auch nicht direkt, so dass ich fühlen musste, was das richtige ist. Ich hatte immer das Gefühl den Traum meiner Mutter zu leben. Meine Mutter hat mich irgendwie, so insgeheim, so indirekt beeinflusst und gesagt, ja, sie wollte ja immer Lehrerin werden, aber sie hatte ja nie die Chance dafür. Das habe ich als Kind immer gehört und fand das ganz spannend. Wenn du hier aufwächst, dann kriegst du ja die deutsche Kultur mit und hast den Wunsch, auch so was zu machen. Ich wollte auch etwas machen, nicht nur Geld verdienen, selbstständig werden, einen Beruf haben, der dich ein bisschen unabhängig macht von dem Mann, wenn du verheiratest bist. Ich habe nie gedacht, dass ich nicht heirate. Es war mir klar, dass die Eltern das irgendwie machen. In der Pubertät habe ich mir deswegen nie Sorgen gemacht, überhaupt hatte ich nicht die Interessen wie so viele andere Mädchen, Kosmetik, Kleidung, Figur, was weiß ich. Ich hatte immer das Gefühl, ich muss was lernen. Das war für mich immer ganz wichtig. Für die Oberstufe hat sich meine Mutter eingesetzt und zu meinem Vater gesagt, ich wolle weiter lernen und keine Lehre machen. Sie hat es durchgesetzt und ich habe das dann gemacht. Und dann, als ich 18 war, hat meine Mutter entschieden, dass ich heirate. Es gibt zwei Arten bei uns: die eine, du bist verheiratet, aber die Tochter wird noch nicht freigegeben, d.h. sie wird noch nicht ins andere Haus geschickt. Die andere, die Tochter wird ganz von zu Hause weggeschickt und verheiratet, d.h. sie gehört dann nicht mehr zu der Familie. Zuerst habe ich halt gedacht, na ja, es wird nur 82 Situation bikultureller Jugendlicher das eine passieren, ich werde verheiratet, aber ich werde noch nicht weggeschickt. Mir war ja noch nicht ganz klar, was das heißt, ich hatte das ja noch nie hier mitbekommen, noch nie bei einem anderen Mädchen erlebt, was das heißt, was das für Erfahrungen sind, keine Ahnung. Noch nie hatte ich mich verliebt. Und dann habe ich dort geheiratet und erst danach kamen meine Probleme. Ich habe Abitur gemacht und wollte Medizin studieren. Das hat nicht gleich geklappt und ich musste mich schnell entscheiden und hab eine Ausbildung als Krankenschwester gemacht. Wenn ich das nicht getan hätte, dann, okay, dann hätte ich zurück nach Afghanistan gemusst. Du kannst ja nicht rumlungern und der wartet dort und schreibt dir irgendwelche Liebesbriefe, die jeder kennt, meine Eltern, seine Eltern. Doch der Wunsch Medizin zu studieren wurde immer stärker, aber es ging halt nicht so, wie ich dachte. Die Eltern machten nicht so mit, das nervte mich. […] Dann war mir klar, ich werde nicht nach Afghanistan gehen, nicht zu diesem Mann, ich will die Scheidung. Es gab ja überhaupt keinen Grund, außer: ich will es nicht mehr, weil ich eine andere Vorstellung von meinem Leben habe. Das war es, ja. Ich habe es meiner Mutter gesagt, und sie hat das dann irgendwie geregelt und plausibel gemacht. Meine Mutter hatte viele Vorstellungen und Träume, doch nach einer gewissen Zeit hat sie sich völlig in die Religion verrannt. Die hat fünfmal am Tag gebetet und den Koran gelesen. Ich glaube, das war ihr einziger Halt. […] Damals ist das so eine Art, du bist ohnmächtig und es fällt alles über dich her und du weißt gar nicht, wo du anfangen sollst. Jetzt wüsste ich einen Ausweg, jetzt habe ich so meine Strategie, jetzt weiß ich, was ich will und wie ich es hinkriege, ich kann mich auch durchsetzten. Es gab auch eine Zeit, da musste ich meine afghanische Kultur verleugnen, ich wollte damit nichts mehr zu tun haben. Ich wollte Urlaub machen und so Sachen. Davor lag noch mein Auszug. Ich habe damals diesen Schritt getan, indem ich einen Tag zuvor gesagt habe, am Freitag ziehe ich aus. Ich habe eine Freundin bestellt, die holt mich ab, eine öffentliche Person, die nichts mit uns zu tun hat und vor der man das Gesicht wahren muss. Meine Angst war, dass sie mich nicht rauslassen. Mein Vater ist an dem Tag nicht zur Arbeit gegangen, er hat gesagt er 83 Situation bikultureller Jugendlicher ist krank, das hat er noch nie gemacht. Meine Mutter war fix und fertig, die hat mich beschimpft. Ich habe geweint, mein Bruder war fix und fertig. Ich bin nicht von meiner Vorstellung abgerückt und am nächsten Tag hat mein Vater gesagt, okay, sag deiner Freundin, sie braucht nicht zu kommen, ich werde dich hinbringen. Das habe ich gemacht. Und anstatt Freitag bin ich dann Sonntag dahin gegangen. Mein Vater hat den Koffer hingestellt und hat gesagt, wenn du was brauchst, sag Bescheid und ist dann gegangen. Und ich stand in diesem Zimmer und wusste gar nicht, was ich da anfangen sollte. Ich war so unglücklich. Da war nichts, ich hatte keine Freundin da, nichts zu essen, gar nichts. Ich habe mich echt allein gelassen gefühlt. Am liebsten wäre ich wieder heimgegangen. Aber das ging ja nicht. Mit der Zeit haben sich auch meine Eltern daran gewöhnt. Sie haben es akzeptiert. Und ich habe immer gedacht, ich brauche mehr Freiheit. Ich wollte ins Kino gehen, abends weggehen, das fand ich toll. Ich glaube aber, es ging um etwas anderes, es ging darum mich selbst zu finden, wer ich bin und was ich will, nicht um diese Kinogänge. Ich bin trotz alledem nicht viel ins Kino oder in Discos gegangen. Wichtig war mir, mich auf meine Sachen zu konzentrieren, meine Ausbildung und später mein Studium, das war Freiheit. Vieles war schön, hat mir gut getan, hat mich aber nicht im Sinne ausgefüllt und glücklich gemacht. Ich hatte alles wie abgehackt. Aber ich wurde dadurch trotzdem nicht deutsch. Es ging darum sich anzupassen, ich wollte einfach mal so sein, dass man nicht mehr überall auffällt. Ist mir nicht gelungen, geht ja auch nicht, das habe ich erst hinterher bemerkt. Verletzt haben mich Bemerkungen wie, du kannst ja deutsch, hast du eine deutsche Mutter? Nein, habe ich immer gesagt, meine Eltern sind beide aus Afghanistan. Das fand ich immer ganz schlimm. Auch wenn ich perfekt gesprochen habe, du wirst immer als Ausländer erkannt. Ich hatte dann immer mehr das Gefühl, mir fehlt irgendwas, das kann es nicht sein, ich fühlte mich nicht glücklich. Man kann einfach nicht eins nehmen und das andere lassen, es ist leider bei uns Migranten so. Wir müssen einfach ein Zwischending suchen. Wir sind beides, das war so schwierig. Ich bin auch nicht nur Afghanin, das kann ich auch nie werden. Du bist immer halb, ich werde nie eine echte Afghanin sein und ich werde auch nie eine echte Deutsche sein. Ich bin immer ein halbes Ding zwischen beidem“ (Nasima zit. nach Schnabel, IAF, 2004: 10-12). 84 Situation bikultureller Jugendlicher 3.5.4 Empirische Untersuchung von Khounani Khounani hat eine Vergleichsuntersuchung zur familiären Erziehungssituation in mono- und bikulturellen Familien im Hinblick auf die multikulturelle Handlungsfähigkeit erstellt. Die Untersuchung wird an 156 Kindern und Jugendlichen und den entsprechenden Elternpaaren durchgeführt. Die Altersspanne der Jugendlichen erstreckt sich von zwölf bis neunzehn Jahren. Khounani unterteilt die Probanden in drei Stichprobengruppen: in eine Hauptgruppe und in zwei Vergleichsgruppen. Die Hauptgruppe besteht aus bikulturellen Familien aus dem islamisch-westlichen Kulturkreis, das heißt ein Elterteil kommt aus Deutschland und das andere aus einem islamischen Kulturkreis. Die anderen beiden Gruppen, sind binationale Familien, in denen die Eltern jeweils aus einem westlich-westlichen Kulturkreis kommen, und monokulturelle Familien, bei denen beide Eltern aus Deutschland kommen (Vgl. Khounani 2000: 11-14). Im Folgenden wird eine Tabelle dargestellt, welche die sozio-demograhpischen Angaben der Jugendstichprobe zeigen. 85 Situation bikultureller Jugendlicher Abbildung 5: (Quelle: Khounani 2000: 138) 86 Situation bikultureller Jugendlicher Im Folgenden wird auf die Ergebnisse des Jugendfragebogens Bezug genommen. An dieser Stelle ist anzumerken, dass die Jugendlichen fast ausschließlich das Gymnasium besuchen, deshalb sind die Ergebnisse nicht auf alle bikulturellen Kinder und Jugendliche übertragbar. Zusammenfassend kommt Khounani auf folgende Ergebnisse (Vgl. Khounani 2000: 137-152): ¾ Jugendliche aus deutsch-islamischen Familien nehmen die Minderheitenproblematik in Deutschland am stärksten wahr, generell sehen sie diese aber als nicht besonders problematisch. Deutscheuropäische Jugendliche beurteilen die Minderheitenproblematik bzw. die gleichen Rechte für Minderheiten wenig problematisch. ¾ Deutsch-europäische Jugendliche sind sozial engagierter und wünschen sich an der Spitze des Landes eine starke Führerpersönlichkeit, die deutsch-islamischen Jugendlichen vertreten diesen Wunsch hingegen nicht. ¾ Jugendliche aus deutsch-islamischen Familien haben stärkere Vorbehalte gegen die Forderung, dass sich Ausländer an die deutschen Lebensverhältnisse anpassen bzw. angleichen sollten. ¾ Nach einer Einschätzung aller Jugendlichen geht es in deutsch-islamischen Familien am strengsten zu, in europäisch-deutschen Familien dagegen weniger streng. ¾ Deutsch-islamische Jugendliche haben eine größere persönliche Änderungsbereitschaft, sind hilfsbereiter und kulturell offener als deutsche Jugendliche. ¾ Das Verhältnis zu den Eltern wird von deutsch-islamischen Jugendlichen tendenziell besser beurteilt als in den anderen beiden Gruppen. ¾ Die Kommunikationssituation bzw. die Gespräche mit den Eltern sind in deutsch-islamischen Familien am stärksten, wobei es signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. An dieser Stelle kann nicht weiter darauf eingegangen werden. ¾ Hinsichtlich der Freundschaften, die Jugendliche knüpfen, ist zu verzeichnen, dass deutsch-deutsche Jugendliche die meisten Freunde haben. Deutsch-islamische Jugendliche im Gegensatz dazu die wenigsten, jedoch den höchsten nationalitätenorientierte Ausländeranteil. Tendenz 87 zur Es besteht Gruppenbildung, aber eine auch Situation bikultureller Jugendlicher Integrationsprozesse sind festzustellen. Bei den deutsch-deutschen Jugendlichen ist jeder sechste Freund ein Ausländer, in der deutscheuropäischen Gruppe jeder fünfte und bei den deutsch-islamischen Jugendlichen jeder zweite. Generell haben binationale Jugendliche sehr viele Freunde aus unterschiedlichen Kulturkreisen. ¾ Deutsch-deutsche Jugendliche urteilen im Gegensatz zu den beiden anderen Gruppen konservativer und sympathisieren mit der CDU und zum Teil mit rechten Parteien. Dies betrifft allerdings eher männliche Jugendliche. Deutsch-europäische Jugendliche sympathisieren mehr mit einer großen Koalition. Deutsch-islamische Jugendliche bevorzugen eher Grüne, SPD und linke Gruppierungen. Khounani fand heraus, „dass Jugendliche aus binationalen Familien deutlich mehr wichtige Impulse für multikulturelle Handlungsfähigkeit bekommen können als Jugendliche aus monokulturellen Familien. In den Bereichen soziale Sensibilität, Konfliktfähigkeit, Durchsetzungsfähigkeit und Selbstvertrauen konnten partielle Vorteile bei Jugendlichen aus bikulturellen Familien belegt werden“ (Khounani 2000: 185). Ursachen dafür sind zu sehen in ¾ den umweltbedingten höheren Anpassungs- und Ausgleichsleistungen dieser Jugendlichen in ihrer täglichen Kommunikation und Kooperation, ¾ der eindeutig intensiver geförderten Ich-Stärke des Kindes sowohl in deutsch-europäischen als auch in deutsch-islamischen Familien, ¾ der Förderung von Offenheit und Flexibilität (vor allem in deutscheuropäischen Familien), ¾ der entwicklungsfördernden dichteren Kommunikation in bikulturellen Familien (vor allem in deutsch-islamischen Familien), ¾ dem höher bewerteten Erziehungsziel „Anpassungsfähigkeit“ in bikulturellen Familien (vor allem in deutsch-islamischen Familien). Die Orientierung wird stärker auf eine Balance zwischen persönlicher und sozialer Identität gelegt. Kinder in bikulturellen Familien werden offensichtlich stärker zu flexiblen normorientierten Anpassungsleistungen 88 Situation bikultureller Jugendlicher an die „anderen Verhältnisse“ im Aufenthaltsland angehalten (Khounani 2000: 185-186). Khounani schlussfolgert: „Diese Vorteile bikultureller Familienkonstellationen werden aber offensichtlich unter verschiedenen Lern-Umwelt-Bedingungen erreicht“ (Khounani 2000: 186). Das wichtigste Ergebnis Khounanis, ist die geringe Andersartigkeit bikultureller Jugendlicher. Bei den drei untersuchten Gruppen überwiegen die Gemeinsamkeiten, nicht die Unterschiede. Khounani vermutet, dass sich das Erziehungsverhalten der drei Gruppen immer mehr angleicht. So zum Beispiel, das sich das deutsch-deutsche Erziehungsverhalten mehr in der Multikulturalität bewegt, während sich das in binationalen Familien mehr den deutschen Bedingungen angleicht (Vgl. Khounani 2000: 186). 3.6 Resümee Zusammenfassend sei festgestellt, dass Jugendliche nicht in eine geschlossene Kategorie zusammen zu fassen sind, weder rein deutsche Jugendliche, noch bikulturelle Jugendliche. Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zeigen, dass Kinder und Jugendliche nicht die gleichen Möglichkeiten bzw. den gleichen Zugang zum gesellschaftlichen Leben haben. Zudem erfordert die Anpassung an Veränderungen der familiären Lebensformen von Kindern und Jugendlichen eine neue Bewältigung im Alltag, sowie in den sozio-emotionalen Beziehungen. „Dadurch entstehen einerseits Chancen für entwicklungs- und Lernprozesse, andererseits können psychosoziale Belastungen aber auch zu entwicklungs- und Lernverzögerungen führen“ (BMFSFJ 2005: 62) Eine weitere wichtige Schlussfolgerung des Bundesministeriums ist die Benachteilung von Migrantenkindern und Jugendlichen, denen angesichts der Globalisierung in der Zukunft eine größere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. 89 Situation bikultureller Jugendlicher Das Bundesministerium betont in diesem Zusammenhang: „Auf jeden Fall ergeben sich Anforderungen an das Erziehungs- und Bildungssystem- vom frühkindlichen Alter bis in die Sekundarschulen hineinunterschiedliche soziale, sprachliche und kulturelle Voraussetzungen von zugewanderten Kindern und Jugendlichen zu berücksichtigen. Dabei müssen sich die Konzepte auf unterschiedliche Typen von Migranten und Migrantinnen, d.h. auf differierende Migrationsmotive, sprachliche Vielfalt, zeitliche Perspektiven hinsichtlich der Bleibeabsichten sowie auf unterschiedliche Einstellungen zur Herkunfts- und Ankunftsregion einstellen“ (BMFSFJ 2005: 72). Den bikulturellen Jugendlichen, die mit zwei unterschiedlichen Elternteilen und Kulturen aufwachsen, sollte mehr Beachtung geschenkt werden. Sie bilden in vielerlei Hinsicht die Hoffnungsträger für einen gelingenden interkulturellen Alltag, da sie wie auch die bikulturellen Migrantenjugendlichen, zwischen den Kulturen vermitteln können. Angesichts der heutigen angespannten Lage der Welt, in der schlechte Nachrichten bezüglich der sich auseinanderklaffenden Welten zwischen Orient und Okzident alltäglich sind, stellt die Beachtung der bikulturellen Jugendlichen eine Notwendigkeit dar. Wer könnte besser die Position des Vermittlers einnehmen, als diejenigen, die mit beiden Kulturen vertraut und aufgewachsen sind? Im Hinblick auf die Identitätsentwicklung bikultureller Jugendlicher sollen zusammenfassend noch einige Aspekte genannt werden: Der Schlüssel zur Bikulturalität stellt die Sprache dar, denn wenn beide Sprachen beherrscht werden, ist es für die Jugendlichen einfacher in beiden Welten Identitäten zu finden. Vergleicht man die Erfahrungsberichte mit den Ergebnissen von Khounani stellt sich heraus, dass die Lebenswelten bikultureller Jugendlicher sehr wohl unterschiedlich sind, je nachdem welchen kulturellen Hintergrund sie haben und aus welchem gesellschaftlichen Milieu die Jugendlichen kommen. Die Untersuchung von Khounani bezieht sich auf Kinder und Jugendliche, die das Gymnasium besuchen. Hier ist von einem höheren Lebensstandard der Eltern auszugehen, als bei Kindern und Jugendlichen anderer Schulformen. 90 Situation bikultureller Jugendlicher Eine Längsschnittstudie, in denen alle Schulformen vertreten sind, wäre notwendig. Der kulturelle Hintergrund der bikulturellen Jugendlichen spielt eine große Rolle, insbesondere unter dem Aspekt, in wieweit die Jugendlichen erkennbar sind als bikulturell oder wie sie sich oft selbst sehen - als Ausländer. Die Deutsch-Finnin Rita hat aufgrund ihres Aussehens in Deutschland keine Probleme, da man ihr, wie sie selbst schreibt, ihre bikulturelle Identität nicht ansieht. Die zwölfjährige Shirin hingegen fällt mit ihrer dunklen Haut ständig auf, obwohl sie in Deutschland aufgewachsen und geboren ist. Zudem erleben Kinder und Jugendliche, denen man die andere kulturelle Herkunft ansieht mehr Diskriminierungserfahrungen als Kinder und Jugendliche, denen man die bikulturelle Identität nicht ansieht. Aufgrund dessen ergeben sich auch unterschiedliche Lebenswelten und Identitäten. Inwieweit die unterschiedlichen Lebenswelten der bikulturellen Jugendlichen, mit denen der deutschen Jugendlichen verbunden werden können, soll im nächsten Kapitel beschrieben werden. 91 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit 4.Handlungsmöglichkeiten der Interkulturellen Sozialen Arbeit Im vierten und letzten Kapitel werden Handlungsansätze der Interkulturellen Sozialen Arbeit aufgezeigt. Zunächst wird der Begriff der Interkulturellen Sozialen Arbeit erklärt, damit die Handlungsfelder verdeutlicht werden (Punkt 4.1). Als nächstes wird auf die Interkulturelle Erziehung und Bildung eingegangen, die in Bezug auf bikulturelle Jugendliche als Grundlage dient, zudem ist sie im Kontext Sozialer Arbeit zu sehen. Anschließend werden die Begriffe des Interkulturellen Lernens mit dem Ziel Interkultureller Kompetenz näher beschrieben, da sie als Basis für diese beiden Arbeitsbereiche gelten (Punkt 4.2). Dann werden einige Handlungsansätze dargestellt, die für bikulturelle Jugendliche von Bedeutung sind (Punkt 4.3). Abschließend wird in einem Resümee der Inhalt des Kapitels zusammengefasst und in einen Gesamtzusammenhang gebracht (Punkt 4.4). 4.1 Was bedeutet Interkulturelle Soziale Arbeit? Staub-Bernasconi hat sich umfassend mit der Sozialen Arbeit in Verbindung mit Kultur beschäftigt. Für sie ist die Interkulturelle Soziale Arbeit eine Suche nach Erklärungen und die Übersetzung von einer Kultur in die andere (Vgl. StaubBernasconi 1995: 311-315). Die Interkulturelle Soziale Arbeit versucht plausibel zu machen, weshalb sich gerade diese Vorstellungen vom menschlichen Zusammenleben und nicht andere kulturell verfestigt und verbreitet haben. „Ihr Ziel ist es, mindestens zwei Kulturen in ein Verhältnis zu setzen, ihre besonderen Entstehungs- und Erhaltungsbedingungen zu klären, Verständnis dafür zu schaffen und schließlich danach zu fragen, ob und aufgrund welcher Vorstellungen und Handlungsspielräume ihrer Mitglieder eine bestimmte Veränderung gewünscht wird“ (Staub-Bernasconi 1995: 311). 92 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Methoden und Verfahren sind zum einen als Situations- und Geschichtswissen zu beschreiben, zum anderen das Erklärungswissen, aufgrund dessen man die eigene und die fremde Gesellschaft und Kultur in Beziehung setzt. Zudem sollten alle Beteiligten die Frage beantworten können, aus welchen Gründen sie sich mit der jeweiligen Kultur bzw. den Kulturelementen identifizieren, welche Elemente sie hinterfragen oder sogar ablehnen. Die damit verbundenen Erklärungen helfen die Lebenszusammenhänge und die daraus entstandenen sozialen Strukturen und kulturellen Vorstellungen zu verstehen. Die Übersetzungsleistung, wie sie von Staub-Bernasconi beschrieben wird, zeigt auf, wo in der eigenen Kultur bestimmte Denk- und Strukturmuster, der jeweilig anderen Kultur wieder zu finden sind und auch umgekehrt. Die Beschäftigung mit unterschiedlichen Wertehaltungen und –vorstellungen stellt eine Notwendigkeit dar, um dementsprechend auf kulturelle Antworten zu stoßen. Interkulturelle Arbeit ermöglicht ohne Bewertungen ein Hinzulernen über die eigene, sowie die fremde Kultur und Geschichte. Natürlich können Kulturvergleiche nicht vermieden werden, aber die eigene Kultur sollte dabei nicht als Maßstab gesetzt werden. Es soll ein gegenseitiges Lernen stattfinden, das über die gemeinsame Wahrnehmung und Erklärung von Differenzen und Konvergenzen erfolgt. Interkulturelle Soziale Arbeit soll als gegenseitige Entscheidungshilfe dienen (Vgl. Staub-Bernasconi 1995: 311-315). Der Begriff der Interkulturellen Sozialen Arbeit wird an verschiedenen deutschen Fachhochschulen der Sozialen Arbeit als ein Studienschwerpunkt beschrieben. Folgendermaßen wird er definiert: „Interkulturelle Arbeit ist problem- und ressourcenorientiert, fördert den Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft, hilft dabei die Tendenzen zur gegenseitigen Abschottung von Mehrheit und Minderheiten abzubauen, wechselseitige Akzeptanz gegenüber kulturellen Besonderheiten weiter zu entwickeln und Probleme, die sich aus der Zuwanderung für die Migrantinnen und Migranten und für die Aufnahmegesellschaft ergeben, auf der Grundlage humanitärer Grundsätze zu bearbeiten. 93 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Neben der Vorbereitung auf inländische Aufgaben und Arbeitsfelder soll der Studienschwerpunkt eine Befähigung zur Übernahme von sozialarbeiterischen und sozialpädagogischen Tätigkeiten innerhalb Europas und weltweit fördern“ (FH Düsseldorf 2006). Freise erörtert den Begriff noch genauer und nimmt folgende Differenzierungen vor, die zum Verständnis des Begriffs Interkulturelle Soziale Arbeit beitragen (Vgl. Freise 2005 19-21): ¾ Interkulturelle Soziale Arbeit stellt eine Querschnittsaufgabe jeglicher Sozialer Arbeit dar. Die kulturelle Dimension wird in den verschiedensten Handlungsfeldern thematisiert. Angesichts der Globalisierung gibt es in der Sozialen Arbeit kein einziges Handlungsfeld, das nicht durch kulturelle Mehrheit gekennzeichnet ist. In Beratungsstellen kommen beispielsweise Menschen unterschiedlicher kultureller Herkunft, von daher sind Verständigungsprobleme ebenso zu beachten wie auch kulturelle Hintergründe. Die Interkulturelle Soziale Arbeit muss alle Bereiche der Sozialen Arbeit auf die Problemstellungen untersuchen, die sich aufgrund des Aufeinandertreffens von Menschen einheimischer und fremdkultureller Herkunft ergeben. Zum Beispiel, ob Personen mit Migrationshintergrund in den interkulturellen Teams, bei den allgemeinen Regeldiensten vertreten sind, ob es in den jeweiligen Behörden Informationen in den gängigen Migrantensprachen gibt, ob Dolmetscherdienste in den Sozialämtern verfügbar sind usw. ¾ Interkulturelle Soziale Arbeit bezieht sich immer auf spezifische Handlungsfelder, in denen aufgrund des Aufeinandertreffens verschiedener Kulturen besondere Problemlagen entstehen. Das gilt z.B. für die Gemeinwesenarbeit, in Stadtteilen mit hohem Migrantenanteil oder für die städtische Jugendberufshilfe usw. Zu beachten ist, dass Interkulturelle Soziale Arbeit nicht mit Migrationssozialarbeit gleichzusetzen ist. Denn Interkulturelle Soziale Arbeit hat sowohl Deutsche, als auch Migranten als Zielgruppe. Die Silbe „inter“ soll die Beziehungen zwischen hervorheben und nicht voneinander abgrenzen. 94 verschiedenen Gruppen Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit ¾ Neben den eben genannten Differenzierungen ist noch eine weitere zu nennen, nämlich Themen des internationalen Austausches. Durch die Globalisierung finden immer mehr Menschen ihre Zukunft im Ausland, gewollt und ungewollt. Insbesondere junge Menschen haben den Wunsch oder sehen es als notwendig an, eine Zeit ihres Lebens im Ausland zu verbringen, z.B. als Freiwillige, Studierende, Weltenbummler usw. In so genannten interkulturellen Trainings können sie sich auf solche Auslandsaufenthalte vorbereiten und interkulturelle Kompetenzen erwerben. Dazu später mehr. Die Soziale Arbeit wird auch verstärkt mit internationalen Aufgaben konfrontiert, so z.B. in der Flüchtlingssozialarbeit, oder bei der Begleitung von Frauen, die in die Prostitution verschleppt wurden usw. ¾ Die letzte Unterscheidung, die Freise vollzieht ist, dass Interkulturelle Soziale Arbeit sowohl sozialpädagogische als auch sozialarbeiterische Handlungsfelder abdeckt. Sozialpädagogische Ansätze sind stärker begegnungsorientiert, sie wollen dabei helfen, Horizonte zu erweitern und Vorurteile abzubauen. Jugendbegegnungen, Dies wie geschieht auf z.B. bei interkulturellen internationalen Stadtteilfesten. Sozialarbeiterische Ansätze hingegen sind stärker auf die Regelung von Konflikten und Problemen ausgereichtet. So z.B. die interkulturelle Mediation im Stadtteil und die Krisenintervention bei Gewalttätigkeiten zwischen ethnisch geprägten Jugend-Peer-Gruppen. Freise merkt an, dass interkulturelle Konflikte auch das politische Geschehen bzw. Auseinandersetzungen beeinflussen. Oft sind die Konfliktursachen nicht kultureller Natur, aber dennoch werden Konflikte ethnisiert und kulturell ausgetragen. 95 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Freise verbindet die beiden letzt genannten Differenzierungen Interkultureller Sozialer Arbeit und fasst sie in einem Schema zusammen: Abbildung 6: Bespiele Interkultureller Arbeit in vier Dimensionen innergesellschaftlich international ____________________________________________________________________ Sozialarbeit Interkulturelle Begleitung von Flüchtlingen Stadtteilarbeit bei freiwilligen Rückehrer- Gemeinwesenbezogene programmen Interkulturelle Mediation Beratung verschleppter Ausländischer Frauen _____________________________________________________________________ Sozialpädagogik Integrationskurse für Internationale Jugend- Neuzuwanderer begegnungen Interkulturelle Jugendarbeit Städtepartnerschaften im Stadtteil Interkulturelle Trainings Antidiskriminierungs-und für Auslandsaufenthalte Zivilcouragetrainings _____________________________________________________________________ (Quelle: Freise 2005: 21) 4.2 Interkulturelle Erziehung und Bildung Ergänzend zu dem Schema von Freise soll etwas genauer auf die Interkulturelle Erziehung und Bildung eingegangen werden. Beide Bereiche sind sozusagen als Grundlage für die Arbeit mit bikulturellen und monokulturellen Kindern und Jugendlichen anzusehen. Laut Nieke lassen sich in Bezug auf die Interkulturelle Erziehung und Bildung verschiedene Richtungen der Akzentuierung differenzieren, mit welcher die Aufmerksamkeit jeweils auf etwas Bestimmtes gelegt werden soll. Im Folgenden sollen einige Schwerpunkte Interkultureller Erziehung und Bildung genannt werden (Vgl. Nieke 1995: 18-30). Alle Konzepte Interkultureller Erziehung sind z.B. eng verbunden mit der Förderung von Zweisprachigkeit. 96 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit In einigen Fällen ist es so, dass sich Interkulturelle Erziehung nur auf die Förderung von Zweisprachigkeit reduziert. Dabei muss man vorsichtig sein, da es sich um zwei verschiedene Zielsetzungen handelt, die keinen notwendigen Zusammenhang haben, d.h. Interkulturelle Erziehung ist grundsätzlich auch ohne Zweisprachigkeit möglich und umgekehrt. Interkulturelle Erziehung ist eine der möglichen pädagogischen Antworten auf eine Zuwanderung über Staats- und Kulturgrenzen hinweg. Es gibt zwei Zielsetzungen in Bezug auf die Förderung von Zweisprachigkeit: Zum einen die Erhaltung der Muttersprache, definiert als Verkehrssprache des Herkunftslandes, zwecks Erhalts der Rückkehrfähigkeit. Zum anderen das Anknüpfen an die tatsächliche Familiensprache zwecks besseren Erlernens des Deutschen als Zweitsprache. Neben diesen beiden Zielsetzungen werden Positionen zum Erhalt der Muttersprache vertreten, die sich mit den Zielsetzungen Interkultureller Erziehung verbinden lassen. Ein anderes Beispiel ist die Interkulturelle Erziehung als community education. Damit sind Vorstellungen einer Öffnung der Schule in ihr soziales Umfeld, in den Stadtteil und in das Gemeinwesen gemeint. Die Rede von der neuen pädagogischen Aufgabenstellung, die sich durch die Zuwanderung von Menschen über Staats- und Kulturgrenzen hinweg ergeben hat, verwendet tendenziell den Begriff der Interkulturellen Erziehung. Es gibt jedoch noch einige anderer Bezeichnungen, wie z.B. die antirassistische oder multikulturelle Erziehung etc., die teilweise synonym verwendet oder den Akzent des jeweils gemeinten etwas anders setzten. An dieser Stelle wird aber nur auf den Begriff der bikulturellen Erziehung im Detail eingegangen. Bikulturelle Erziehung wird stets in Verbindung mit einer bilingualen Erziehung gefordert. Das heißt, dass Zweisprachigkeit erhalten bleiben soll und höchstmöglich entwickelt werden soll. Es scheint so, als ob Kultur nur ein bloßes Phänomen von Sprache ist und die Zielbestimmungen denen der Zweisprachigkeit gleichen. 97 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Fthenakis fordert als Ziel für bikulturelle Erziehung „für die Minorität das erfolgreiche Operieren in zwei Kulturen einschließlich einer bikulturellen Identität und für die Majorität eine partielle Teilhabe an der Kultur der Minorität“ (Vgl. Fthenakis 1985: 339). Zur Realisierung einer bikulturellen Erziehung werden binational zusammengesetzte Lerngruppen vorgeschlagen, wie sie unter anderem auch schon in Bayern im Vorschulbereich erprobt worden sind. Es gibt keine ausdrückliche Zuordnung oder eine Abgrenzung zur Interkulturellen Erziehung. In Auseinandersetzung mit ausgewählter Literatur aus den USA wird lediglich das Verhältnis einer so bestimmten bikulturellen Erziehung diskutiert. Es gibt zwei verschiedene Auffassungen von interkultureller Erziehung. Die eine geht von einem Kontakt oder auch Konflikt zwischen den Kulturen aus. Sie stellt die Forderung nach der Überwindung dieser Barriere, die offenbar als Grenze zwischen Flächen oder Räumen vorgestellt wird. Die andere Auffassung vermutet zwischen den implizit als Flächen oder Räumen gedachten Kulturen einen Zwischenraum, der mit etwas anderem gefüllt ist, als Kulturellem. Dann kann jenseits der Bindungen an eine spezifische Kultur in diesen leeren Zwischenräumen etwas Neues entstehen (Vgl. Nieke 1995: 18-30). 4.2.1 Grundlage Die meisten Ansätze Interkultureller Erziehung haben, bei aller Verschiedenheit der eben genannten Akzentuierungen und ihren unterschiedlichen Orientierungen an verschiedenen Weltanschauungen und Paradigmen für die Konzeptualisierung pädagogischen Handelns, jedoch einen gemeinsamen Kern: „Interkulturelle Erziehung wird verstanden als die notwendige Antwort auf die entstandene und dauerhaft bestehend bleibende Gesellschaft mit Zuwanderern aus anderen Kulturen sowie mit daraus entstehenden oder schon vorher existierenden ethnischen Minoritäten, d.h. als Antwort auf eine als dauerhaft zu akzeptierende multiethnische oder multikulturelle Gesellschaft“ (Nieke 1995: 30). 98 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Hohmann versucht, die gegenwärtig erkennbaren Ansätze im Anschluss an Fase/van den Berg in zwei Grundrichtungen einzuordnen. Auf ein Schema gebracht, differenziert er die Ansätze Interkultureller Erziehung folgendermaßen (Homann, zit. nach Nieke 1995: 31): Pädagogik der Begegnung ¾ Zur Kenntnisnahme der zugewanderten Kulturen, gegenseitige Information ¾ Repräsentation der fremden Kulturen im öffentlichen Leben für die Majorität ¾ Gegenseitige kulturelle Bereicherung Konfliktpädagogik ¾ Bekämpfung von Ausländerfeindlichkeit, Diskriminierung und Rassismus ¾ Beseitigung von Vorurteilen und Ethnozentrismus ¾ Herstellung von Chancengleichheit Diese Einteilung Interkultureller Erziehung in zwei Grundformen ist vergleichbar mit den zwei Grundtypen der Reaktion von Einheimischen auf Zuwanderer, von Majoritäten auf ethnische Minoritäten, nämlich Befremdung und Konkurrenz. Die Erstellung der Konzepte Interkultureller Erziehung greifen also, wenn der vorher genannten Einteilung gefolgt wird, diese Reaktionsformen auf und binden sie in die jeweils vorgeschlagene pädagogische Antwort auf die neue Herausforderung ein. Die Akzente können dabei jeweils unterschiedlich gesetzt und häufig können auch Momente beider Grundformen miteinander verbunden werden (Vgl. Nieke 1995: 32). 4.2.2 Ziele Der Begriff der Interkulturellen Erziehung ist ein Vieldiskutierter, mit vielen unterschiedlichen Ansichten. Deshalb ist die Zielsetzung, die im Folgenden erläutert wird, nicht einfach zu handhaben. 99 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Es ist zum Beispiel geboten, dass jede Konzeption von Interkultureller Erziehung und Bildung, nicht allein auf einen Begriff von Kultur zu fundieren ist, sondern in einen jeweils zu wählenden Kontext von Allgemeinbildung, Sozialem Lernen und Politischer Bildung eingebunden sein sollte. Für diese drei genannten pädagogischen Aufgabenbereiche gibt es, jeweils mehrere konkurrierende Ansätze. Die im Folgenden erläuterten Ziele sind nicht nur allein relevant für den Umgang der Majorität mit den gegebenen kulturellen Minderheiten ausländischer Herkunft, sie gelten grundsätzlich für jeden Umgang der Majorität mit lebensweltlichen Minoritäten und auch für den Umgang der Angehörigen verschiedener Lebenswelten innerhalb der einheimischen Mehrheitskultur miteinander (Vgl. Nieke 1995: 198-199). Interkulturelle Erziehung und Bildung lässt sich im Sinne des oben Ausgeführten nach Nieke in folgenden zehn Zielen konkretisieren (Vgl. Nieke 1995: 198-212): 1. Erkennen des eigenen, unvermeidlichen Ethnozentrismus Ethnozentrismus bedeutet die nicht verhinderbare, also unvermeidliche Eingebundenheit des eigenen Denkens und Wertens in die selbstverständlichen Denkgrundlagen der eigenen Lebenswelt oder Ethnie. Sichtbar wird er nur in der Konfrontation mit anderen Meinungen, Einstellungen und Sichtweisen. Wenn Menschen mit unterschiedlichen Deutungsmusterhorizonten, die mit Lebenswelt oder Kultur beschrieben werden, zusammenleben oder miteinander auskommen müssen, wie zum Beispiel in der Schule, können Verständnisprobleme entstehen. Nicht aufgrund der Sprache, sondern dadurch, dass jemand aus der einen Kultur seine Deutungsmuster für selbstverständlich ansieht und anderen sie auch als bekannt unterstellt. Das Ziel oder die Aufgabe Interkultureller Erziehung und Bildung ist es, solche Verständnisprobleme im gemeinsamen Alltag zu erkennen und sie in ihrer lebensweltlichen, kulturellen Bedingtheit deutlich zu machen, um so die entstandenen Missverständnisse aufzuklären oder ihnen vorzubeugen. Zudem soll ein Bewusstsein dafür geschaffen werden, dass jeder Mensch ohne eine solche Sensibilität für die jeweils andere Kultur unvermeidlich in seinem eigenen Kulturzentrismus bzw. Ethnozentrismus gefangen bleibt. 100 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Diesen Verständnisproblemen auf den Grund zu gehen, ist etwas anderes, als nur über die fremde Kultur zu informieren, wie es häufig von Befürwortern Interkultureller Erziehung gefordert und praktiziert wird. Ausgehend von der sozialpsychologisch inspirierten Annahme, dass Misstrauen und Angst gegenüber Angehörigen kultureller Minderheiten durch Unvertrautheit entsteht, kann durch den Kontakt mit Menschen anderer Kulturen und durch neue Informationen abgebaut werden. Es zeigte sich jedoch, dass solche Informationen ohne weitere Einordnung leicht zur Verstärkung der bestehenden Vorurteile führen können und damit das Gegenteil dessen bewirken, was beabsichtigt wird. Der erklärte Ethnozentrismus ist notwendig für eine rasche und routinisierte Orientierung in der Welt und für die Aufrechterhaltung einer alltäglichen Handlungsfähigkeit - er ist also unvermeidlich. Eine vollständige Überwindung dieser Eingebundenheit in die Denk- und Wertgrundlagen der eigenen Lebenswelt scheint also weder möglich noch sinnvoll zu sein. Ziel Interkultureller Erziehung und Bildung kann demnach also nicht eine völlige Lösung von der kognitiven und emotionalen Eingebundenheit in die eigene Lebenswelt sein. Vielmehr ist ein aufgeklärter Ethnozentrismus, ein Bewusstsein von der Unvermeidlichkeit dieses Eingebundenseins in die Denk- und Wertgrundlagen der eigenen Lebenswelt, sowie auch davon, dass andere in ihren Lebenswelten in gleicher Weise verankert sind, sinnvoll. Dieses kann dann wiederum die Grundlage für Interkulturelle Kompetenz werden. Interkulturelle Kompetenz meint die Fähigkeit beim Umgang mit anderen, diese Verschiedenheiten und Schwierigkeiten in Rechnung zu stellen und sie so zu thematisieren, dass keiner der Beteiligten in seiner Sichtweise der Welt von vornherein als rückständig oder falsch denkend bewertet wird. Ethnozentrismus erlaubt weder, dass die eigenen Positionen immer die richtigen sind, noch kann er zu einer unbegrenzt relativistischen Anerkennung aller anderen Positionen führen. Aufgeklärter Ethnozentrismus ist die, sehr schwierig zu erreichende und auszuhaltende Voraussetzung für die im Folgenden dargelegten weiteren Zielsetzungen Interkultureller Erziehung und Bildung. 101 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit 2. Umgang mit der Befremdung Im spielerischen, unverbindlichen Umgang kann das Andere, Unbekannte und Fremde an einer anderen Kultur interessant sein. In diesem Kontext wirkt es auf viele Menschen exotisch. Im normalen Alltag verunsichert es jedoch die meisten Menschen in ihren Handlungsgewissheiten, Weltsichten und Wertüberzeugungen, weil sich das Fremde auf dieselben Alltagsbereiche richtet, wie die eigenen Deutungen und Orientierungen. In diesem Fall ist das Andere nicht nur fremd, sondern befremdlich und erzeugt meist eine Abwehrreaktion. Aus diesem beschriebenen Abwehrimpuls entsteht die direkte und indirekte Ablehnung, wie sie sich in Deutschland als Ausländerfeindlichkeit und als Rassismus manifestiert und bekannt sind, wie schon in Kapitel 1 dieser Arbeit erläutert. Diese emotionale Reaktion ist nicht nur durch reine Information oder kognitives Lernen modifizierbar. Es bedarf dazu eines Lernarrangements, in dem auch die emotionale Beteiligung des Konfrontationserlebnisses sich ausdrücken bzw. zur Sprache kommen kann, z.B. durch Rollenspiele, dargestelltes Spiel, Pantomime, nonverbale Ausdrucksformen und ähnliches. Die neuere Psychologie der Emotionen legt die Möglichkeit nahe, dass Gefühle nicht unbedingt als psychische Qualität, als unbeeinflussbare Naturgewalt erlebt und erlitten werden müssen, sondern durchaus durch kognitive Beeinflussung zugänglich sind. Nieke bezieht sich auf Montana, der von einer Bildung der Gefühle spricht. Das würde für die Interkulturelle Erziehung bedeuten, dass auch ein Umgang mit dem Gefühl der Befremdung durch gedankliche Aufarbeitung möglich und erfolgreich sein kann. So könnte man sich z.B. vorstellen, dass das Gefühl der Befremdung gegenüber den, als bedrohlich und als Konkurrenz wahrgenommenen Zuwanderern eine Neugier auf das Andere, auf das schon am Anfang angespielte Exotische, umgebildet werden könnte. Viele Versuche interkultureller Verständigung setzen dort an, indem sie Gelegenheiten zum kennen lernen schaffen, wovon ein Abbau der Befremdung erwartet wird. Zugleich werden die positiven Seiten der fremdartigen Kultur präsentiert, in Erwartung, dass dies die Abwehr in Faszination verwandeln könnte. Das ist der Hintergrund für Feste in pädagogischen Kontexten, in denen zugewanderte Minderheiten der einheimischen Kultur etwas aus ihren Heimatländern zeigen. Zum Beispiel wie in den jeweiligen Ländern gekocht, musiziert oder getanzt wird usw. 102 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Jedoch fehlen systematische Untersuchungen über die Effekte solcher Treffen. Die unsystematischen Beobachtungen zeigen Erfolge solcher Begegnungen, aber es ist auch davon zu berichten, dass ohnehin nur die zuwanderfreundlichen bzw. „offenen“ Einheimischen zu einer solchen Veranstaltung kommen. In diesen Fällen existiert keine Befremdung, die abgebaut werden müsste. 3. Grundlegung von Toleranz Toleranz ist ein Hauptbestandteil für gewaltfreies Zusammenleben in einer pluralistischen Demokratie und darüber hinaus in einer Gesellschaft mit Gedanken- und Religionsfreiheit, wie in Deutschland. Deshalb muss Erziehung zur Toleranz eine selbstverständliche Komponente politischer Bildung sein. Im Kontext von Interkultureller Erziehung und Bildung wird die Zielsetzung „Toleranz“ jedoch weitaus anspruchsvoller als im üblichen Verständnis gebraucht. Diesbezüglich wird eine Toleranz gefordert, gegenüber Menschen anderen kulturellen Hintergrundes, selbst wenn Teile dieser fremden Lebenswelt, nicht den eigenen Orientierungen und Wertüberzeugungen entsprechen. Dies erfordert weitaus mehr, als nur ein unbedeutendes bzw. gleichgültiges Akzeptieren der Vielfalt von Lebensformen. Toleranz beginnt dort, wo ein Ausweichen nicht möglich ist, nämlich im öffentlichen Bereich, zu dem im Wesentlichen die Schule zählt. Toleranz ist dann gefordert, wenn das Geltenlassen anderer Lebensformen und ihrer Wertgrundlagen die eigenen Gewissheiten so in Frage stellt, dass starke Abwehrimpulse die Entwertung der anderen Weltorientierungen zur eigenen Entlastung nahe legen. In der Überschrift wird von Grundlegung gesprochen und nicht von Erziehung zur Toleranz. Der Grund liegt in der Einsicht, dass diese höchst voraussetzungsvolle und komplexe Einstellung mit den Mitteln der Erziehung und der Bildungsarrangements nicht zuverlässig hergestellt werden kann, sondern, dass mit diesen Mittel zu ihrem Aufbau nur einige Grundlagen vermittelt werden können. 103 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit 4. Akzeptanz von Ethnizität Ethnizität beschreibt das Bewusstsein und die Präsentation der Zugehörigkeit zu einer Ethnie. In der Öffentlichkeit wird eine solche Präsentation der dementsprechenden Ethnie nicht als selbstverständlich angesehen. Die Meinung, dass Angehörige ethnischer Minderheiten sich möglichst unauffällig anzupassen hätten, überwiegt. Interkulturelle Erziehung und Bildung erfordert jedoch die Akzeptanz von Ethnizität, das heißt der Präsentation vor allem kulturell bedingter Andersartigkeiten durch Angehörige ethnischer Minoritäten. Notwendig ist dabei die Einübung eines reflektierten Umgangs mit dem Fremdheitserlebnis, das durch die Auseinandersetzung mit der anderen befremdenden Kultur ausgelöst wird und das eigene kulturelle Selbstverständnis in Frage stellt. Diesbezüglich wäre der eigene und unvermeidliche Ethno- oder Soziozentrismus ins Bewusstsein zu heben, um letztendlich zu einer Haltung eines aufgeklärten Eurozentrismus zu gelangen. Auf verschiedenen Institutionalisierungsebenen von Erziehung und Bildung kann sich eine solche Akzeptanz von Ethnizität realisieren, zum Beispiel: ¾ in der verständnisvollen Reaktion auf lebensweltliche, d.h. kulturell bedingte Äußerungsformen, Kleidungsgewohnheiten und –Vorschriften oder religiös bestimmten Essensvorschriften im alltäglichen Umgang. Akzeptanz von Ethnizität respektiert die für die Betroffenen wichtigen Äußerungsformen, auch wenn sie für den pädagogischen Alltag oft unbequem sind. ¾ in der Schule, bezogen auf die achtbare Behandlung der Familiensprachen der Schüler aus Zuwanderminoritäten, die von alltäglicher Sichtbarkeit sind, beispielsweise mehrsprachige Beschriftungen und Morgengrüße, bis hin zu Angeboten zum Erlernen dieser Sprachen für die Angehörigen der Minoritäten, aber auch die der Majorität. ¾ in den Kontext der Zielsetzung einer Akzeptanz von Ethnizität gehört auch die Diskussion über die Einführung eines meist islamischen Religionsunterrichts, parallel zu den obligatorischen Religionslehren der beiden großen christlichen Konfessionen. Damit wird offiziell und institutionell das Recht der Minoritäten auf ihre spezifische religiöse Unterweisung im Rahmen der Schule akzeptiert. 104 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Allerdings ergeben sich bei der Realisierung der genannten Zielsetzungen regelmäßig große institutionelle Schwierigkeiten. Die vorgestellte Zielsetzung einer Akzeptanz von Ethnizität ist kein einfaches Patentrezept, sondern eine handlungsregulierende Orientierung, die mit sehr viel Umsicht gehandhabt werden muss. Sie muss insbesondere auch die möglichen Gegenreaktionen einer zu intensivierten Thematisierung von Unterschieden mitbedenken, wobei die Lösung nicht im Verschweigen oder Betonen der Gemeinsamkeiten liegen kann, weil diese Unterschiede weiterhin unterschwellig oder ausdrücklich in den Alltagsdeutungen der Schüler vorhanden und wirksam sind. Die Aufgabe von Bildung bezogen auf den Bestand von Gesellschaft und Kultur ist die Überlieferung dessen, was zu einer gegebenen Zeit Kultur ausmacht, auf die nachfolgenden Generationen. Heutzutage gibt es viel mehr überlieferungsfähige und –würdige Wissensbestände, als in begrenzter Lebenszeit erlernt und angeeignet werden können. Von daher besteht die wesentliche Aufgabe von Bildung auch darin, aus diesen Beständen dasjenige auszuwählen, was gegenwärtig für unbedingt wichtig und tradierenswert gehalten wird. Diese Auswahl wird mit der Wichtigkeit für die Heranwachsenden in ihrer künftigen Existenz als Erwachsene begründet, manchmal auch für ihre gegenwärtige Lebensform. Zur Erfüllung der genannten Aufgaben müssen sich die professionellen Fachkräfte der Bildung, wie z.B. Lehrer jeder historischen Ausprägung von Kultur, jeder Alltagskultur, Lebenswelt und Nationalkultur kritisch prüfend nähern. Im Blick auf die Kulturen der zugewanderten Minoritäten ist diese kritische Auswahl auch Aufgabe Interkultureller Erziehung und Bildung. Ziel ist nicht, die mitgebrachte Kultur als Ganzes zu überliefern, sondern Elemente für den Bildungsprozess auszuwählen, die für die künftige Existenz des Schülers als Erwachsener voraussichtlich wichtig und sinnvoll sein können. Dieses muss für die Zielsetzung Interkultureller Bildung einer jeweils gesonderten Betrachtung für die Betroffenen der Minoritätenkulturen und die Angehörigen der Majoritätskultur unterzogen werden. 105 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Festzuhalten ist, dass diese Auswahl nicht nach den allgemein bewährten Mustern der Pädagogik und der Fachdidaktiken für einzelne Unterrichtsfächer und Lernbereiche getroffen werden darf, sondern die Vertreter und Perspektiven der Minoritätenkulturen hinzugezogen und ihre Argumente berücksichtigt werden müssen. 5. Thematisierung von Rassismus Gegenwärtig wird die Feindseligkeit gegen Zuwanderer und ethnische Minderheiten als Rassismus geäußert. Vor allem sind Angehörige von Minderheiten, die sich in körperlichen Merkmalen, vor allem in ihrer Hautfarbe von den Einheimischen unübersehbar unterscheiden, davon betroffen. Deswegen ist es erforderlich, diese im Alltag verbreitete Haltung in einer pädagogischen Intension zu thematisieren, das Fragwürdige und Unhaltbare, sozusagen deutlich werden zu lassen. Wirksam wird dies allerdings nicht durch eine Boykottierung, sondern muss zunächst das auch bei Kindern weit verbreitete Unbehagen gegenüber rassisch differenten Menschen, aufgreifen. Dadurch werden Hintergründe deutlich. Die Hoffnung einer solchen Wirkung liegt darin, dass ein Bewusstmachen sonst unbewusster Abwertungstendenzen diese blockieren und zum Verschwinden bringen kann. Dadurch wird deutlich, dass die Abwertungstendenzen gesellschaftlich fragwürdig sind und nicht akzeptiert werden. 6. Das Gemeinsame betonen Bei dem Versuch, die Besonderheiten einer Kultur im Sinne von Lebenswelt zu berücksichtigen, besteht unvermeidlich die Gefahr, dass damit auch eine bereits nicht mehr gelebte Kultur künstlich fixiert oder sogar restauriert werden kann. Ein weiterer Aspekt ist, dass Kultur häufig auf Folklore reduziert wird. Das sind aber nicht die Intentionen der Interkulturellen Erziehung und Bildung. Jedoch finden sich in der pädagogischen Praxis nicht wenige Beispiele, in denen gegen die gute Absicht der Initiatoren eben dies geschieht: Reduzierung von Kultur auf Folklore. Ein Hauptfehler der zu nennen ist, ist eine unzulässige Gleichsetzung von Kultur und Nation, etwa als „die türkische Kultur“. 106 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Das bedeutet, wenn ein solches Deutungsmuster zur Basis für Bemühungen von Zuwanderern genommen wird, den Betroffenen damit oft in der Weise Unrecht geschieht, das eine künstliche Vorstellung von Nationalkultur der Zuwanderer entsteht. Um einer solchen Gefahr zu entgehen, so Nieke, kann versucht werden, das auffindbar Gemeinsame zu betonen, statt, wie oft praktiziert nur die Besonderheiten der jeweiligen Zuwandererkulturen im Kontrast zu den Lebenswelten der Einheimischen in den Blick zu rücken. Eine solche Zielsetzung ist nicht einfach zu realisieren. Wo sich Gemeinsamkeiten auffinden lassen, sind sie oft so selbstverständlich, dass die pädagogische Zustimmung solcher Gemeinsamkeiten peinlich wirken kann. Andere gut gemeinte Versuche konstruieren in dieser Perspektive Gemeinsamkeiten, die aus der Perspektive der jeweiligen Kultur keineswegs solche sind. So gibt es zum Beispiel didaktische Vorschläge, in religionskundlichem Zugang, Gemeinsamkeiten zwischen Christentum und Islam aufzuweisen, die von Gläubigen beider Seiten nicht akzeptiert werden könnten. Dennoch ist es wichtig, die beiden Ausgangspunkte für Interkulturelle Erziehung und Bildung, die Wahrnehmungen und Erlebnisse von Befremdung und Konkurrenz, so aufzugreifen, dass über das Sichtbarwerden von Gemeinsamkeiten die Relativität dieser Deutungen herausgestellt wird. Damit kann sich die Hoffnung verbinden, dass Befremdung und eine Deutung illegitimer Konkurrenz abgebaut werden können. 7. Ermunterung zur Solidarität Die Minoritätsangehörigen untereinander sollen zur Solidarität ermuntert werden, damit ihre Identität gestärkt wird und eine politische Kraft gebildet werden kann. Aber auch die Majoritätsangehörigen sollen und können sich mit den Minoritäten solidarisieren, statt sich verachtend abzugrenzen. Die Minoritäten können sich wahrscheinlich kaum aus eigener Kraft, einen wirksamen Minderheitenschutz erstreiten. Dazu kann es nämlich nur kommen, wenn die Majorität bereit ist, den Minoritäten das Recht auf Anderssein einzuräumen. Das kann nur mit tätiger Unterstützung durch Angehörige der Majorität erreicht werden. 107 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit 8. Einüben in Formen vernünftiger Konfliktbewältigung - Umgang mit Kulturkonflikt und Kulturrelativismus Von engagierten Pädagogen, als schwierig bezeichneter Bereich Interkultureller Erziehung ist der Umgang mit Konflikten in Verhaltensorientierungen und Wertüberzeugungen. Genauer gesagt bedeutet das, dass es für ein und dieselbe Handlungssituation sich widersprechende Handlungsvorschriften aus den zwei, beteiligten Kulturen gibt: der deutschen Majoritätskultur, zu der z.B. auch Schule und Lehrer gehören und der jeweils betroffenen Minoritätskultur in diesem Fall des Schülers ausländischer Herkunft. Zum Beispiel, wenn ein Vater seiner Tochter die Teilnahme am Schwimmunterricht verbietet, gerät die Lehrerin unvermeidlich in den Konflikt, auf der einen Seite, die Auffassung des Vaters als Erziehungsberechtigtem aus einer anderen Kultur zu respektieren und auf der anderen Seite, muss die Lehrerin den staatlichen Erziehungsauftrag erfüllen, allen Kindern das Schwimmen beizubringen. An solchen alltäglichen Konflikten wird deutlich, dass Verfahren erforderlich sind, mit denen begründet entschieden werden kann, welcher Anforderung nachzukommen ist und welche zurückgewiesen werden muss. Diejenigen, die von dem Konflikt betroffen sind, müssen dabei nachvollziehen können, von welchen Grundlagen die Entscheidung ausgegangen ist und welche Folgen voraussichtlich alternative Wege haben würden. In realen Situationen ist das nicht immer einfach, da man „nicht nicht“ handeln kann. Die Konflikte müssen also durch eine Entscheidung gelöst werden. Die Position des Kulturrelativismus, die besagt, dass alle Kulturen als gleichwertig anzusehen sind, ist in praktischen Situationen nicht aufrechtzuerhalten. Bei kulturbedingten Konflikten wäre als Lösung denkbar, vernünftige Formen der Beachtung verschiedener Sichtweisen und Wertungen zu verwenden oder sogar gegebenenfalls neu zu erproben. Die gängigen Formen nordwesteuropäischen sind von Majoritätskultur den Selbstverständlichkeiten geprägt und wirken der damit, möglicherweise auf Angehörige anderer Kulturen ungerecht. In dieser Aussage drückt sich eine selbstverständliche und nur schwer in Frage zu stellende Dominanz der Orientierungen von Moderne, aber auch von Urbanität und sozialer Mittelschicht gegenüber allen anderen Möglichkeiten von Weltorientierungen aus. 108 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Diese benannte Dominanz ist jedoch mit guten Gründen gegenwärtig kaum zu rechtfertigen. 9. Aufmerksamwerden auf Möglichkeiten gegenseitiger kultureller Bereicherung In sehr vielen praktischen Ansätzen Interkultureller Erziehung und Bildung steht der Gedanke im Vordergrund, dass durch die Übernahme von Elementen aus anderen Kulturen die eigene bereichert werden kann. Zudem kann Interkulturelle Erziehung und Bildung anregen seinen Horizont zu erweitern. Auch die schon vorher genannten Bemühungen um die Folklore der zugewanderten Minoritäten sind aus diesem Gedanken entstanden. Wichtig dabei ist allerdings, dass die engen Grenzen gesehen werden müssen, die diesem Bemühen gesetzt sind. Zugewanderten Minoritäten werden überwiegend von der Majorität in ihrer nationalen, gesellschaftlichen und kulturellen Herkunft als rückständig angesehen, so dass die allgemeine Bereitschaft grundsätzlich gering ist von diesen als rückständig angesehenen Kulturen etwas in die eigene Lebensgestaltung zu übernehmen. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Übernahmen von Kulturelementen aus Minderheitenkulturen in den Lebensstil von Angehörigen der Majoritätskultur eher selten sind. Die Übernahme von Bereicherungseffekten ist stark asymmetrisch verteilt. Bezogen auf die Funktionalität, Attraktivität und den Prestigewert der Kultur- und Lebensformen sind offenbar für die Angehörigen von Mehrheit und Minderheiten je unterschiedliche Ausprägungen vorhanden. 10. Aufhebung der Wir-Grenze in globaler Verantwortung Auch ein Konzept Interkultureller Erziehung und Bildung muss sich der Herausforderung stellen, gattungsgeschichtlichen die in der Verantwortung Ethik formuliert der planetaren worden ist. Für und die Interkulturelle Erziehung und Bildung bedeutet das eine besonders zentrale Umakzentuierung ihrer Aufgabe. Im Hinblick auf die Probleme des Zusammenlebens von Angehörigen verschiedener Kulturen innerhalb eines Nationalstaates besteht die Aufgabe Interkultureller Erziehung und Bildung in der produktiven Bearbeitung der beiden Grundtendenzen der Abwehr und Abgrenzung, nämlich der wahrgenommenen Befremdung und Konkurrenz. 109 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Die jeweilige Wir-Grenze wird durch diese stark emotional eingebundenen Reaktionen markiert, an der die Solidarität endet und die Ablehnung und Feindseligkeit, mindestens aber die Gleichgültigkeit gegenüber denen, die jenseits dieser Grenze lokalisiert werden, begründet werden kann. Die „Wir–Grenze“ muss neu und anders bestimmt werden. Das Wir dürfen nun nicht mehr Teile der Menschheit sein, sondern es muss alle Menschen einschließen und auch die noch nicht Geborenen zu berücksichtigen versuchen. Daraus ergibt sich die Aufgabe, die Bearbeitung von Befremdung und Konkurrenz auf alle Menschen und Lebenswelten, über die bisher stillschweigend unterstellte Grenze eines Territorialstaates hinweg auszudehnen. Es ist also festzuhalten, dass Interkulturelle Erziehung und Bildung auf eine globale Verantwortung für alle hinarbeiten müssen. Zudem dürfen sie sich nicht auf ein vernünftiges Zusammenleben in Kleinräumen, in der Stadt, in der Nachbarschaft etc. beschränken (Vgl. Nieke 1995: 198-212). 110 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Werden diese Ziele den geläufigen Lerndimensionen kognitiv, affektiv und handlungsbezogen zugeordnet, ergibt sich laut Nieke folgende Matrix Abbildung 7: Zieldimension begegnungsorientiert konfliktorientiert kognitiv (3)Grundlegen von Toleranz (1)Erkennen des eigenen, unvermeidlichen Ethnozentrismus (5)Thematisieren von Rassismus (10)Aufheben der WirGrenze in globaler Verantwortung affektiv (4)Akzeptieren von Ethnizität handlungsbezogen (6)das Gemeinsame betonen (2) Umgehen mit der (=konativ) (7)Ermuntern zur Solidarität Befremdung (9)Aufmerksamwerden auf (8)Einüben in Formen Möglichkeiten gegenseitiger vernünftiger kultureller Bereicherung KonfliktbewältigungUmgang mit Kulturkonflikt und Kulturrelativismus (Quelle: Nieke 1995: 212) 4.2.3 Interkulturelles Lernen mit dem Ziel Interkultureller Kompetenz Rohe definiert Interkulturelles Lernen folgendermaßen: „Als interkulturelles Lernen bezeichnet man, wenn Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen sich im gegenseitigen Miteinander bemühen, andere kulturelle Orientierungssysteme zu begreifen. Die fremdkulturellen Kommunikationspartner agieren nach unterschiedlichen Handlungs- und Denkmustern, Wahrnehmungen und Denkansätzen. 111 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Diese sollte man erkennen und wahrnehmen, um auf ein fremdes kulturelles Verhalten adäquat reagieren zu können. Dies ist unbedingt notwendig, um die im interkulturellen Zusammenleben beziehungsweise Arbeiten entstehenden Konflikte zu erkennen und zu meistern“ (Rohe 2000: 68). Grundprobleme des interkulturellen Lernens Die Wahrnehmung anderer Kulturen wird häufig damit verbunden, nicht fassbare oder widersprüchliche Informationen zu sinnvollen bekannten Mustern zu sortieren, um damit unbewusst das Fremde auszuschalten. Deshalb muss ein vermehrter Kontakt zwischen interkulturellen Gruppen nicht zwangsläufig zu einem interkulturellen Lernprozess führen. Häufige kulturelle Regelverletzungen sind große emotionale Reaktionen wie z.B. Angst, Empörung, Abscheu und Ablehnung, die Idealisierungen eine und Auseinandersetzung Exotisierungen des mit der Fremden Kultur geschehen verhindern. dazu im Umkehrschluss. Zu Anfang erweckt dies den Eindruck einer scheinbaren Offenheit für Fremdkulturen, fremde Verhaltensmuster und Wertmaßstäbe, steht aber einer wirklichen Auseinandersetzung mit der Kultur kontraproduktiv gegenüber. Häufig wird das Fremde ignoriert und vorgegeben, etwas verstanden oder akzeptiert zu haben, wobei das Fremde tatsächlich jedoch nur in vertraute Schemata übersetzt wird. Exotismus ist nicht die Erklärung für das wirkliche Verständnis für andere Kulturen, sondern vielmehr eine Idealisierung alles Fremden. Daraus resultieren wiederum exotische Idealvorstellungen oder Stigmatisierungen. Eine Pseudonähe zu der fremden Kultur und eine Scheinwelt werden aufgebaut, wie sie teilweise in den Reiseprospekten wieder zu finden ist. Exotismus zielt zwar ursprünglich auf Interkulturelles Lernen ab, ein sinnvoller Lernprozess findet jedoch nicht statt (Vgl. Rohe 2000: 68). 112 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Phasen interkulturellen Lernens ¾ Die generelle Kulturgebundenheit menschlichen Verhaltens erkennen und akzeptieren können. ¾ Fremdkulturelle Muster als fremd wahrnehmen können, ohne sie (positiv oder negativ) bewerten zu müssen. ¾ Eigene Kulturstandards identifizieren und ihre Wirkung in der Begegnung mit einer Fremdkultur abschätzen können (own-culture-awareness). ¾ Deutungswissen über bestimmte fremde Kulturen erweitern: relevante Kulturstandards identifizieren und dazu weitergehende Sinnzusammenhänge in der Fremdkultur herstellen können. ¾ Verständnis und Respekt für fremdkulturelle Muster entwickeln können. ¾ Erweiterung der eigenen kulturellen Optionen: Mit kulturellen Regeln flexibel umgehen können; selektiv fremde Kulturstandard übernehmen können; zwischen kulturellen Optionen situationsadäquat und begründet wählen können. ¾ Zu und mit Angehörigen einer fremden Kultur konstruktive und wechselseitig befriedigende Beziehungen aufbauen, mit interkulturellen Konflikten praktisch umgehen können (Rohe 2000: 69). Folgende Aspekte sind z.B. beim Interkulturellen Lernen zu berücksichtigen: ¾ Gibt es Übereinstimmungen bei beiden Kulturen (kulturelle Identitäten), gibt es Abweichungen (kulturelle Differenzen)? Was kann verbunden werden (kulturelle Kompatibilitäten), welche Unterschiede können nebeneinander existieren (kulturelle Tolerierbarkeiten)? ¾ Welche Einstellungen von mir kann ich mit Blick auf das Fremde ändern? Keine Anpassung birgt ein großes Konfliktpotenzial. Eine völlige Adaption des Fremden sollte vermieden werden, da dies eine Verleugnung der eigenen Identität wäre. (Rohe 2000:70) 113 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Interkulturelle Kompetenz Ziel des Interkulturellen Lernens ist die Interkulturelle Kompetenz. Sie zählt als eine Schlüsselqualifikation der heutigen Zeit. Sie wird wie folgt definiert: „Interkulturelle Kompetenz bedeutet, Wahrnehmungs- und Denkmuster, Urteilsfähigkeit, Sensibilität und Handlungsweise bei sich und anderen zu registrieren, respektieren und produktiv anzuwenden. Dies impliziert wechselseitiges interkulturelles Verständnis und eine Anpassung an die vorherrschenden kulturellen Gewohnheiten, so dass daraus eine konstruktive Zusammenarbeit für beide Gruppen erwächst. Die daraus resultierenden Ergebnisse sollten für beide Seiten von nutzen sein. Es sollte eine hohe Toleranzentwicklung gegenüber Inkompatibilitäten sowie die Verständigung auf eine gemeinsame Wert-, Norm- und Weltorientierung stattfinden“ (Rohe 2000: 70). 4.2.4 Interkulturelle Trainings Um den Erwerb der Interkulturellen Kompetenz zu unterstützen und das Interkulturelle Lernen zu fördern, gibt es interkulturelle Trainingsprogramme, die die Möglichkeit bieten, die Teilnehmer für die interkulturelle Problematik zu sensibilisieren (Vgl. Bernhard 2002: 197). Götz und Bieher umschreiben interkulturelle Trainings wie folgt: „Zunächst sollte man den Teilnehmern die Kulturgebundenheit des Denkens und Handelns vermitteln, anschließend dazu beitragen, dass sie die fremden Denkund Erlebnisweisen „durchschauen“ lernen und schließlich Verhaltensweisen und Konfliktlösungsmechanismen erarbeiten, die eine Anpassung an die fremden Verhältnisse ermöglichen“ (Vgl. Götz, Bieher 2000: 34). Verschiedene Trainingsformen, einsetzbar je nach didaktischem Ansatz werden nach Frieshahn folgendermaßen unterteilt (Vgl. Friesenhahn 2001, 68): ¾ Informationsorientierte Trainings zielen auf die Vermittlung von wichtigen Gegebenheiten des Ziellandes ab. Durch Vorträge, Filme und Fallbeispiele wird den Teilnehmern ein Eindruck dessen vermittelt, was die fremde Kultur ausmacht. 114 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit ¾ In kulturorientierten Trainings wird mit Hilfe von Simulationsspielen, Selbsterfahrungsübungen, Rollenspielen und Fallbeispielen den Teilnehmern die Möglichkeit gegeben, ihre eigene Kultur zu erkennen und die Unterschiede zu der fremden Kultur wahrzunehmen. Dabei werden die Teilnehmer für die Besonderheiten der fremden Kultur sensibilisiert und sie werden ermutigt, sich damit auseinander zu setzen. ¾ Interaktionsorientierte Trainings haben zum Ziel, über den direkten Kontakt mit Menschen des Gastlandes die Kultur kennen zu lernen. Durch Rollenspiele und Kommunikationsübungen können kritische Situationen dargestellt und reflektiert werden. ¾ In Cultur Assimilator Trainings sollen sich die Teilnehmer durch ein schriftliches Lernprogramm in die Kultur des Gastlandes hineinversetzen. Es werden verschiedene Episoden geschildert, für die es mehrere Erklärungsmöglichkeiten des Verhaltens zur Auswahl gibt. Es gibt eine, aus der Sicht des Gastlandes, richtige Erklärung 4.3 Handlungsansätze Im Folgenden werden verschiedene Handlungsmöglichkeiten bzw. -ansätze aufgezeigt, in denen interkulturell gelernt, vermittelt und beraten wird und in der sich die Lebenswelten aller Jugendlicher vermischen. 4.3.1 Interkulturelles Lernen in der Schule Jugendliche verbringen in Relation zu der sonstigen Zeit im Leben die meiste Zeit in der Schule. Sie stellt deshalb eine wichtige Funktion dar. „Schule als kulturelle Bildungsinstitution ist durch ihre Form der Wissensvermittlung maßgeblich daran beteiligt, jene Standards zu schaffen, die als allgemein gültige Kulturtechniken angesehen werden. Sie ist deshalb eine der zentralen Institutionen, die mit ihren Inhalten und Interventionen mit dazu beiträgt, eine homogene oder heterogene Kultur herzustellen“ (Schnabel 2004: 14). Deutschlandweit gibt es schon eine Reihe von Projekten und Prinzipien, die Interkulturelles Lernen und die Herkunftssprache von Kindern und Jugendlichen mit in den Alltag einbeziehen. 115 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Im Folgenden soll exemplarisch ein Projekt aufgezeigt werden: KOALA Projekt Das KOALA Projekt wird als ein Prinzip und nicht als ein eigenständiges Projekt verstanden. Es wird bestimmt durch die koordinierte Förderung von Sprachen. Im Jahr 1991 lief das Pilotprojekt, welches von zwei Lehrerinnen entworfen wurde an. KOALA soll zu einem selbstverständlichen Bestandteil der Schulprogramme werden, indem Schulen ihre pädagogischen Konzepte nach den KOALA Prinzipien neu überdenken und reflektieren. KOALA ist „Teil eines umfassenden Lernens in herkunftsheterogenen Klassen und damit auch ein Baustein, der in die bestehenden schulischen förderpädagogischen Maßnahmen eingefügt werden kann. Es ist kein starres Programm, wird schulbezogen weiterentwickelt und ist damit auch veränderbar“ (Nakipoglu-Schimang 2004: 65). In den Ballungsgebieten gibt es einen Großteil türkischer Kinder und Jugendlicher, die über keine ausreichenden Sprachkenntnisse verfügen und die mit diesem Stand eingeschult werden. Häufig sind sie auch in der Herkunftssprache nicht altersgemäß entwickelt. Sie werden vielerorts bis zum vierten Schuljahr nicht angemessen alphabetisiert, um für die Folgeschuljahre gut vorbereitet zu sein. Genau an dieser Stelle setzt KOALA an. Das Prinzip will die Kinder in ihrer Zweisprachigkeit nicht alleine lassen, sondern sie in ihrer Bikulturalität und Zweisprachigkeit fördern. Ihre Sprachen werden mit dem Ziel die Sprachkompetenz insgesamt zu erweitern zueinander in Beziehung gesetzt. Sie sollen dazu befähigt werden, selbstständig mit ihrer Zweisprachigkeit umzugehen und sie weiterzuentwickeln. Aus diesem Prinzip ergeben sich andere Konsequenzen und didaktische Prinzipien, als bei einsprachigen Schülern. Die primäre Voraussetzung für das KOALA Prinzip ist das präventive und gleichberechtigte Miteinanderarbeiten mit Schülern und nicht nur der Einbezug ausländischer Lehrpersonen bei Problemstellungen (Nakipoglu-Schimang 2004: 63-73). 116 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Das KOALA Prinzip, koordiniert auf drei Ebenen, kann schematisch wie folgt dargestellt werden: Abbildung 8: (Quelle: Nakipoglu-Schimang 2004: 73) 117 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit 4.3.2 Außerschulische Angebote Im Folgenden wird exemplarisch ein Bereich der außerschulischen Angebote vorgestellt, der für die Selbstentfaltung von bikulturellen Kindern und Jugendlichen von Bedeutung ist. Neben dem folgenden Bereich gibt es noch weitere, wie beispielsweise der Jugendmigrationsdienst oder verschiedene Angebote zu interkulturellen Themen in Jugendzentren, Interkulturelle Jugendcafes usw. , auf die aber nicht ausführlicher eingegangen wird. Hausaufgabenhilfe Hausaufgabenhilfen als außerschulische Bildungsangebote werden überwiegend von Trägern der freien Jugendhilfe in sozialpädagogischen Einrichtungen, zum Teil aber auch in Räumlichkeiten der Schule angeboten und durchgeführt. Diese Bildungsangebote sind mit keinen oder sehr geringen Kosten für die Eltern verbunden und zählen somit zu den niederschwelligen Bildungsangeboten. Es wird zwischen zwei verschiedene Arten der Hausaufgabenbetreuung unterschieden: zum einen die ausschließliche Hausaufgabenbetreuung und zum anderen das Konzept der Ganztagsbetreuung, in der die Hausaufgabenbetreuung eingebettet ist. Die Kinder und Jugendlichen gehen unmittelbar nach Schulschluss in die Hausaufgabenbetreuung. In dieser Übermittagsbetreuung werden ihnen in der Regel ein Mittagsessen und Freizeitmöglichkeiten geboten. Die Inanspruchnahme einer Hausaufgabenhilfe erfolgt meistens auf Wunsch der Eltern, die ihre Kinder auf freiwilliger Basis anmelden. Zudem wird die Hausaufgabenhilfe zunehmend von Kindern und Jugendlichen in Anspruch genommen, die aufgrund schlechter Schulleistungen eine Unterstützung im Hinblick auf ihre Hausaufgaben benötigen. Bei Migrantenkindern und jugendlichen liegt der Grund dafür oft in den Sprachschwierigkeiten und den damit verbundenen Lernschwierigkeiten. Die Hausaufgabenbetreuung legt den Schwerpunkt auf die schulische Förderung, wohingegen die Ganztagsbetreuung eine ganzheitliche Versorgung und Aufsicht stellt. Weitere Gründe, die für eine Inanspruchnahme von außerschulischen Hausaufgabenhilfen sprechen, sind der Kontakt zu Gleichaltrigen und das soziale Miteinander. 118 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Die Hausaufgabenbetreuungen Schulformen und werden unterschiedlicher von Herkunft Kindern unterschiedlicher wahrgenommen, „diese Heterogenität bietet die Möglichkeit soziale und interkulturelle Kompetenzen zu fördern“ (Husemann: 2005: 247). Die Hausaufgabenhilfe ist als notwendiges Angebot zu verstehen, die einen bedarfdeckenden Charakter hat. Darüber hinaus hat das Angebot der Hausaufgabenbetreuung eine kompensatorische Funktion, da Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund unterstützt werden, ihre Kompetenzen der deutschen Sprache zu erweitern. Hinsichtlich der Chancengleichheit und der Integrationsfähigkeit in der Schule ist dies von besonderer Bedeutung. Das regelmäßige Erledigen der Hausaufgaben wird von den betreuenden Personen dementsprechend positiv honoriert, was das Selbstvertrauen und die Motivation in die Schule zu gehen, verstärkt. Zudem lernen sie Pflichten zu erfüllen, was wiederum ihre Selbstständigkeit fördert. Husemann zählt folgende Punkte als Grundanforderung der Hausaufgabenhilfe auf: ¾ Für eine situationsgerechte Betreuung muss eine ruhige Arbeitsatmosphäre geschaffen werden. Das bedeutet, dass entsprechende Räumlichkeiten vorhanden sein müssen. ¾ Die Hausaufgabenhilfe soll ein regelmäßiges Erledigen der Hausaufgaben gewährleisten. Die Voraussetzung dafür ist Kontinuität, zum einen von Seiten der Angebotsseite und zum anderen von Seiten der Kinder und Jugendlichen. ¾ Ergänzend zu den beiden erstgenannten muss eine angemessener Betreuungsschlüssel gegeben sein, sowie fest angestellte Mitarbeiter mit Fachkompetenzen. Ein zentrales pädagogisches Ziel besteht darin, den Kindern und Jugendlichen Erlebnisse zu ermöglichen, die sich positiv auf die Lernmotivation und das Selbstkonzept auswirken. Im Folgenden sollen einige Handlungsansätze zur Unterstützung von Kindern und Jugendlichen aufgezeigt werden. 119 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Eine Möglichkeit liegt z.B. in der Vermittlung der Fähigkeit des selbstregulierten Lernens. Das bedeutet konkret, die Kinder und Jugendlichen dabei zu unterstützen, ihr eigenes Leben zu regulieren, damit sie eigenständig Lernziele bestimmen und Lernstrategien entwickeln, diese einsetzen und gegebenenfalls verändern. Somit stellt die Förderung der Selbstständigkeit ein wichtiges Ziel dar. Die gegenseitige Unterstützung der Lernenden kann unter Anleitung von Betreuern sehr hilfreich sein. Dieses kann nur ermöglicht werden, wenn genügend Personal vorhanden ist. Für Schüler mit Migrationshintergrund kann die Hausaufgabenhilfe zusätzlich als Sprachförderung genutzt werden. Um die deutsche Sprache zu üben und eine allgemeine Verständigungsbasis zu schaffen, können Regeln aufgestellt werden, wie z.B. in angemessenen Situationen nur auf Deutsch miteinander zu sprechen. Dabei soll ihnen nicht verboten werden, in ihrer Herkunftssprache zu kommunizieren. Wenn z.B. ein türkisches Mädchen mit drei anderen türkischen Mädchen spielt, kann es Türkisch mit ihnen sprechen. Kommt aber ein deutsches Mädchen hinzu, sollte wieder auf Deutsch gesprochen werden, damit eine gemeinsame Verständigungsbasis geschaffen wird. Eine weitere Möglichkeit des gezielten Lernens der deutschen Sprache ist das sinnentnehmende Lesen. „Lesen als Schlüsselqualifikation eröffnet die Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben einer modernen Gesellschaft und bietet die Möglichkeit der zielorientierten und flexiblen Wissensaneignung“ (Husemann 2004: 254). Die Lesekompetenz hat eine wichtige Funktion bei der Vermittlung des selbstregulierten Lernens. Eine weitere Handlungsmöglichkeit liegt in der Stärkung der gesamten Persönlichkeit. Das bedeutet, dass Kinder und Jugendliche auch außerhalb der Hausaufgabenbetreuung, bei anderen Aktivitäten, wie beispielsweise beim Spielen, soziale Anerkennung erzielen können. Die sozialen Komponenten spielen eine große Rolle, denn wird die gesamte Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen gestärkt, wirkt sich das positiv auf deren Selbstbewusstsein und auf die schulische Leistungen aus. Elemente, wie gemeinsames Spiel und andere Freizeitaktivitäten, sollte die Hausaufgabenbetreuung integrieren. 120 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Zusammenarbeit mit Schulen und den Eltern der Kinder und Jugendlichen, der an dieser Stelle jedoch nicht weiter ausgeführt wird. 4.3.3 Angebote der Jugendhilfe Freise hat unterschiedliche Angebote der Jugendhilfe hinterfragt, „inwieweit sie bei auftretenden Problemen eine Unterstützung für die Identitätssuche zugewanderter Jugendlicher bereitstellen“ (Freise 2005 138-143). Er betont, dass es in Bezug auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund eine lückenhafte Statistik gibt, da der Anteil der Nichtdeutschen lediglich bei den Hilfen zur Erziehung, bei der In-Obhutnahme, bei den Erziehungsbeistandschaften und den Adoptionen verzeichnet ist. Bei den Kindertageseinrichtungen, der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit und den allgemeinen Fördermaßnahmen für Familien gibt es hingegen keine statistischen Angaben. Zudem werden in Deutschland bei solchen Statistiken nur diejenigen genannt, die keinen deutschen Pass besitzen. Beispielsweise werden eingebürgerte Migranten oder auch die Gruppe der bikulturellen Jugendlichen mit Elternteilen zwei verschiedener Nationalitäten nicht gesondert erfasst. Im Folgenden werden nun im Hinblick auf Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund die einzelnen Angebote der Jugendhilfe vorgestellt: Erziehungsberatung (§ 28 SGB VIII) Die Erziehungsberatung kann von Kindern und Jugendlichen auf direktem Weg aufgesucht werden, ohne dies vorher mit dem Jugendamt zu klären. Der Ausländeranteil ist mit über 50% unterrepräsentiert. Die Gründe dafür sind z.B.: ¾ Die Existenz von Beratungsstellen ist nicht hinlänglich bekannt oder wird nicht in Anspruch genommen, weil man sich eine Beratung in der Muttersprache wünscht. ¾ Möglicherweise herrschen Befürchtungen vor, dass hier Erziehungsratschläge gegeben werden, die mit dem eigenen kulturellen Verständnis von Erziehung nicht übereinstimmen. 121 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit ¾ Ein Teil der Ratsuchenden Migranten geht in die Ausländersozialberatung und erhält dort Unterstützung auch zu Fragen der Erziehung (Freise 2005: 140). Freise betont in diesem Zusammenhang: „Eigentlich müssten die Erziehungsberatungsstellen von Migrantenfamilien viel stärker in Anspruch genommen werden, wenn man davon ausgeht, dass viele Migrantenfamilien unter besonderen Belastungen leiden“ (Freise 2005:140). Durch die Erziehungsberatung könnten frühzeitig die Identitätsbildungsprozesse von Heranwachsenden mit Migrationshintergrund unterstützt werden. Das erfordert von der Erziehungsberatung, dass sie sich interkulturell öffnet. Sozialpädagogische Familienhilfe (§ 31 SGB VIII) und individuelle Betreuungen (§ 30 SGB VIII) In der sozialpädagogischen Familienhilfe sind Migrantenfamilien etwas mehr vertreten als bei der Erziehungsberatung, sie sind aber dennoch unterrepräsentiert. Die sozialpädagogischen Fachkräfte machen sich auf den Weg in die Familien. Dies erfordert in Bezug auf die Migrantenfamilien von den Fachkräften interkulturelle Kompetenzen. Sie müssen sich mit den Erziehungsstilen, den großfamiliären Lebenskontexten, mit kulturspezifischen Werten und Normen auseinandersetzten und diese kennen, um in den Familien adäquat handeln zu können. Individuelle Betreuungen richten sich an Kinder und Jugendliche, die erheblich auffällig oder straffällig geworden sind. Diese individuelle Betreuung kann durch eine Erziehungsbeistandschaft, durch einen Betreuungshelfer oder durch Maßnahmen der sozialen Gruppenarbeit zugeteilt werden. Untersuchungen haben ergeben, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund bei den individuellen Betreuungen überrepräsentiert sind. Soziale Gruppenarbeit, z.B. Soziale Trainingskurse (§ 29, 32 SGB VIII) Soziale Trainingskurse sind Maßnahmen für Jugendliche die sozial auffällig geworden sind oder die eine richterliche Weisungsauflage erhalten haben. Auch hier sind Migrantenjugendliche überrepräsentiert. 122 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit „Die sozialen Trainingskurse erweisen sich als eine hilfreiche Interventionsform, die zumindest die Chance der Reintegration in das soziale Umfeld beinhaltet“ (Freise 2005: 141). Migrantenjugendliche haben oft Probleme mit den kulturellen Vorstellungen und Sanktionen ihrer Eltern. In sozialen Trainingskursen soll genau auf solche Problematiken eingegangen werden. In einer aktiven Bearbeitung werden Themen wie Fremdenfeindlichkeit, religiöse und kulturelle Vorstellungen, Lebensziele und Wertvorstellungen, Regeln einhalten usw. besprochen. Die Gespräche über solche Themen können die Identitätsbildungsprozesse positiv beeinflussen. Fremdunterbringung (§ 33, 34, 25 SGB VIII) Der Anteil ausländischer Jugendlicher bei der Fremdunterbringung ist prozentual geringer als bei gleichaltrigen deutschen Jugendlichen. Bei den In-Obhutnahmen hingegen, die eine besondere Notsituation voraussetzen, ist ein hoher Anteil Minderjähriger zu verzeichnen. Das sind überwiegend ausländische Mädchen, die sich oft in Eigeninitiative um eine Hilfe bemühen. Bei der Herausnahme von Kindern und Jugendlichen aus Familien ist die kulturelle Sensibilität von Fachkräften besonders wichtig. Eltern sollen schon beim Aufnahmegespräch über kulturelle Gewohnheiten, religiöse Verpflichtungen usw. befragt werden. Es stellte sich heraus, dass der kontinuierliche Kontakt nur sehr selten gelingt. Kinder und Jugendliche, die in ein Heim aufgenommen werden, haben es in mehrfacher Hinsicht schwer. Die Frage, ob es zu einem Bruch in der Familie kommt, befindet sich permanent in ihren Köpfen. Bei solchen Identitätskrisen hat das Personal des Heimes die Aufgabe, die Kinder und Jugendlichen aufzufangen und ihnen einen möglichst angenehmen Rahmen zu bieten (Freise 2005 138-143). 123 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit 4.4 Resümee Nachdem die Interkulturelle Soziale Arbeit einschließlich der Interkulturellen Erziehung und Bildung, die Handlungsfelder und -ansätze beschrieben wurden, werden zusammenfassend noch einige Aspekte genannt. Angesichts des zunehmenden Anteils bikultureller Jugendlicher in der deutschen Gesellschaft, ergibt sich die Notwendigkeit, dass sich die sozialen Institutionen interkulturell öffnen. Dies bestätigt auch das Bundesjugendkuratorium, das davon ausgeht, dass in einigen Jahren der Großteil der Kinder und Jugendlichen in Familien mit Migrationshintergrund aufwachsen wird. Jugendarbeit, Jugendverbände und Jugendpolitik müssen sich mit dieser veränderten gesellschaftlichen Realität auseinandersetzten (Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2005: 160). Den Jugendverbänden ist dieses durchaus präsent, deshalb haben sie die interkulturelle Öffnung als gemeinsames Ziel erklärt. Die beschriebenen Handlungsansätze zeigen, dass diesbezüglich schon Anfänge bestehen, sie jedoch noch unzureichend sind. Das zeigt auch die Untersuchung von Freise, die bestätigt, dass Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund bei den Angeboten der Jugendhilfe nur unterproportional vertreten sind. „Insgesamt ist der Grad der interkulturellen Öffnung der Verbände und Vereine vor Ort bzw. in den einzelnen Landesjugenverbänden sehr unterschiedlich ausgeprägt. Während einige sich gezielt um eine interkulturelle Öffnung bemühen, ist dies in anderen Verbänden bislang kaum oder gar nicht erfolgt“ (Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration. 2005: 162). Als ein weiterer Aspekt ist zu nennen, dass interkulturelle Programme immer noch als Sonderprogramme und nicht als Regelprogramme laufen (Vgl. Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration 2005: 162). Zur Realisierung der interkulturellen Öffnung der Regeldienste ergeben sich viele neue Herausforderungen. 124 Handlungsmöglichkeiten Interkultureller Arbeit Zum Beispiel muss vermehrt Personal mit bikultureller Herkunft eingestellt werden, zum einen aufgrund der Sprachen, zum anderen aufgrund der kulturellen Emphatie. Besonders zu betonen ist hier die Forderung nach Interkultureller Kompetenz. Für die Hochschulen stellt sich die Aufgabe, vermehrt fremdsprachige Studierende mit Migrationshintergrund auszubilden. Zudem müssen in einigen Institutionen Sprachvermittler bzw. Dolmetscher für eine gemeinsame Verständigungsbasis hinzugezogen werden. Die Hauptfrage, die sich stellt, ist, wie mit Diversität umgegangen werden soll ohne zu pauschalisieren und abzugrenzen. Die interkulturelle Öffnung soll zunächst nicht als eine spezifische sozialarbeiterische oder sozialpädagogische Aufgabe verstanden werden, sondern als ein generelles sozialarbeiterisches Arbeitsprinzip. Nur wenn sie nicht als spezielle Arbeitform und Methode für bestimmte Arbeitfelder und Klientengruppen gesehen wird, kann die multikulturelle Gesellschaft verstanden werden (Vgl. Kühne 1999: 47). 125 Fazit Fazit In der vorliegenden Arbeit untersuchte ich die Identitätsentwicklung bikultureller Jugendlicher mit den daraus resultierenden Handlungsansätzen. Eingangs wurde erwähnt, dass sich dies als schwierig erwies, da es kaum verfügbare Literatur zu dieser Thematik gibt. Angesichts der unterschiedlichen kulturellen Hintergründe war es sehr schwierig, allgemeine Probleme und Ressourcen zu formulieren. Die Literatur bezieht sich überwiegend auf Migrantenjugendliche nimmt also keine Differenzierung zwischen bikulturellen Migrantenjugendlichen und bikulturellen Jugendlichen mit Elternteilen aus unterschiedlichen Kulturkreisen vor. Die Ergebnisse, zu denen ich gekommen bin, sollen im Einzelnen noch einmal zusammengefasst werden: Einleitend habe ich grundlegende Aspekte von Kultur näher erläutert, die zum Gesamtverständnis der Arbeit beitragen. Bei der Betrachtung der verschiedenen Aspekte kristallisierte sich für mich als Punkt heraus, dass der Kulturbegriff als ein Dynamischer gesehen werden muss, um Stereotypisierungen, Pauschalisierungen und letztlich Vorurteilen vorzubeugen. Als Konsequenz daraus sollte jeder Mensch versuchen sich in seiner eigenen kulturellen Umgebung zu reflektieren, um wiederum andere kulturelle Hintergründe zu verstehen. Ein weiterer Aspekt, der sichtbar wurde, ist, dass Multikulturelle Gesellschaft als ein Konzept des Zusammenlebens und des Austausches gesehen werden muss und nicht als statische Situation, in der Menschen aneinander vorbei leben. Nur auf diese Weise kann sich ein interkultureller Alltag entwickeln. Im zweiten Kapitel stellte ich den Begriff der Identität und verschiedene Identitätsmodelle vor. Dabei zeigte sich, dass die älteren Modelle der Identitätsentwicklung von Erikson und Marcia nur begrenzt auf bikulturelle Jugendliche anwendbar sind. Dennoch sind sie wesentlicher Bestandteil der Identitätsforschung und haben diese vorangetrieben. Marcia ist zu der wichtigen Erkenntnis gelangt, dass Identität reversibel ist und somit einen lebenslangen Prozess darstellt. 126 Fazit Eines der Hauptergebnisse stellen die Untersuchungen des Autorenteams um Keupp dar. Es hat sich erwiesen, dass das Individuum nicht nur die eine Identität bildet, sondern je nach Gegebenheiten verschiedene Teilidentitäten. Übertragen auf bikulturelle Jugendliche bedeutet dies, dass die bikulturelle Identität sich aus verschiedenen Teilidentitäten heraus bildet. Die Vorsilbe „bi“ setzt dabei den Akzent auf die zwei Kulturen, mit denen die Jugendlichen aufwachsen. Demnach bilden Jugendliche in den zwei unterschiedlichen kulturellen Lebenswelten, in denen sie sich befinden, ihre Teilidentitäten. Damit ist die in der Einleitung formulierte These bestätigt, dass die Identitätsbildung bikultureller Jugendlichen weitaus komplexer ist als bei deutschen Jugendlichen. Aufgrund dieses Resultates wäre es zukünftig wünschenswert, die Jugendlichen in ihrer Identitätsentwicklung dahingehend zu unterstützten, ihnen ein Bewusstsein für die Entwicklung dieser Teilidentitäten zu vermitteln, um ihnen zu verdeutlichen, dass sie sich nicht für eine Kultur entscheiden müssen, da sie in beiden Kulturen ihre Teilidentitäten finden können. Im Hauptteil der Arbeit zeigte ich die Sozialisationsinstanzen bikultureller Jugendlichen und die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen auf. Anschließend legte ich anhand von Erfahrungsberichten und einer Untersuchung von Khounani die Unterschiede bikultureller Jugendlicher dar. Zusammenfassend konnte festgestellt werden, dass Jugendliche, egal welchen Hintergrund sie haben, nicht in eine geschlossene Kategorie zu fassen sind, da dafür zu viele Unterschiede innerhalb der Jugendgruppen bestehen. Des Weiteren ergab sich, dass bei den gegenwärtigen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Aufwachsens nicht alle Jugendlichen den gleichen Zugang bzw. die gleichen Möglichkeiten zum gesellschaftlichen Leben haben. Daraus ergeben sich Anforderungen an das Erziehungs- und Bildungssystem. Unterschiedliche soziale, sprachliche und kulturelle Voraussetzungen müssen beachtet werden, um eine Chancengleichheit sicher herzustellen. Konzepte, die diese beachten sind erforderlich. Im Hinblick auf die Identitätsentwicklung bikultureller Jugendlicher hat sich als zentraler Punkt die Sprache erwiesen. Sie stellt den Schlüssel zur Bikulturalität dar und erleichtert den Jugendlichen, in beiden Welten eine Identität zu finden. 127 Fazit Durch die Erfahrungsberichte und die empirische Untersuchung ist deutlich geworden, dass die Lebenswelten der bikulturellen Jugendlichen sich von denen der deutschen Jugendlichen je nach kulturellem Hintergrund unterscheiden. Nicht alle kulturellen Gruppen genießen das gleiche gesellschaftliche Ansehen. Bikulturelle Jugendliche unterscheiden sich nicht nur von deutschen Jugendlichen, sondern auch untereinander bestehen große Abweichungen in den Erfahrungswerten, beispielsweise aufgrund ihres Aussehens und der unterschiedlichen Wahrnehmung durch das Umfeld. Im letzten Teil dieser Arbeit stellte ich zunächst die Interkulturelle Soziale Arbeit und die damit zusammenhängende Interkulturelle Erziehung und Bildung vor. Begrifflichkeiten wie Interkulturelles Lernen und Interkulturelle Kompetenz bestimmen diese Arbeitsbereiche. Abschließend erörterte ich Beispiele für Handlungsmöglichkeiten der Interkulturellen Sozialen Arbeit. Die Praxisbeispiele zeigen, dass es bereits Anfänge von Interkulturellem Lernen im Alltag gibt. Diese sind jedoch weder ausreichend noch zufrieden stellend. Angesichts der Globalisierung und des zunehmenden Anteils bikultureller Kinder müssen sich die sozialen Institutionen verstärkt interkulturell öffnen. Die interkulturelle Öffnung muss dabei als generelles Prinzip der Sozialarbeit verstanden werden. Zusammenfassend stellte sich heraus, dass wie eingangs schon erwähnt, eine Generalisierung von Problemen und Ressourcen aller bikulturellen Kinder und Jugendlicher nicht möglich ist. Es besteht aber eine hohe Übereinstimmung hinsichtlich einiger Aspekte und eines Themas, das alle Jugendlichen verbindet, nämlich die häufige und intensive Auseinandersetzung mit Kultur und Identität. Die Arbeit zeigte, dass das Interesse an bikulturellen Jugendlichen in der Forschung nicht groß ist, was sehr zu bedauern ist. Das relativ unerforschte Gebiet der bikulturellen Kinder und Jugendlichen erfordert in der Zukunft mehr Beachtung, da sie einen immer größeren Teil in der Gesellschaft ausmachen. 128 Fazit Deshalb sollte in Zukunft mehr darauf aufmerksam gemacht werden. Angesichts der sich wandelnden Lebensverhältnisse und der Globalisierung wäre es wünschenswert, sich mehr mit der Identitätsentwicklung bikultureller Kinder und Jugendlicher auseinander zu setzen und diese zu stärken. Die auseinander klaffenden Welten sind unübersehbar und wer könnte besser eine Vermittlerrolle einnehmen als diejenigen, die in zwei unterschiedlichen Welten aufgewachsen sind und davon profitieren. Damit aus den Ressourcen bikultureller Kinder und Jugendlicher Kompetenzen werden, benötigen sie ein soziales Umfeld, in dem ihnen Interkulturalität als selbstverständlicher Bestandteil des Alltags vorgelebt wird. Die Jugendlichen müssen dabei als „normale“ Jugendliche mit anderem kulturellen Hintergrund gesehen werden. Nur so kann ein interkulturell gelebter Alltag Erfolg haben und Veränderung bewirken. Die intensive Beschäftigung mit der Thematik bewegte mich aufgrund meiner eigenen bikulturellen Identität dazu, meine Jugendzeit noch einmal zu reflektieren. Zu Beginn meiner Pubertät mit ca. zwölf Jahren flog ich mit meiner Familie auf die Philippinen. Dort verdrängte ich meine philippinische Seite in mir und wollte einfach nur so sein, wie die anderen Jugendlichen in meinem Alter - ein deutsches Mädchen. Das Land, mit den dazugehörigen Sitten, Bräuchen und Gewohnheiten war mir fremd und ich mochte meine Zeit dort nicht verbringen. Zudem verstand ich die Menschen um mich herum aufgrund der Sprache nicht. Mir war immer bewusst, dass ich anders bin als meine Freundinnen und, ich eine andere Erziehung als die deutsche genoss. Jedoch konnte ich es damals nie in einen Zusammenhang bringen bzw. in Worte fassen. Meine Jugendzeit verging, ohne, dass ich mir viele Gedanken um meine Identität machte. Mit achtzehn Jahren absolvierte ich einen Europäischen Freiwilligendienst in Rom, der meinen Horizont bezüglich Kultur noch einmal veränderte. Die Wahrnehmung der eigenen Kultur wurde mir, wie im ersten Kapitel beschrieben durch die Grenzüberschreitung bewusst. Aber wer war ich? Zu diesem Zeitpunkt wollte ich keine Deutsche mehr sein, ich war stolz darauf zu sagen, dass meine Mutter von den Philippinen kommt. 129 Fazit Gleichzeitig fühlte ich mich aber heimatlos und identitätslos, da ich keine richtige Filipina, keine richtige Deutsche und auch keine Italienerin war. Irgendwann akzeptierte ich dann für mich, dass ich zwischen den Welten lebe, weder die eine noch die andere Identität besitze, sondern wie sie von Keupp et.al. beschrieben wurde Teilidentitäten gebildet habe. Die Motivation und mein Verlangen, sich mit der Kultur meiner Mutter auseinander zu setzten und meine Familie am anderen Ende der Welt kennen zu lernen, wurde nach dem Italienaufenthalt immer stärker. Die Faszination, Verwandte auf der anderen Seite der Welt zu haben, veranlasste mich während meines Studiums, mein Praxissemester auf den Philippinen zu absolvieren. Ich machte mich auf den Weg, meine Wurzeln zu entdecken und berufliche Erfahrungen zu sammeln. Ich war so überwältigt, meine Oma nach zehn vergangen Jahren in die Arme zu schließen. Der Aufenthalt dort war großartig und ich lernte meine philippinische Seite in mir kennen. Die Herzlichkeit der Menschen dort, mit denen ich arbeitete, meine Großfamilie mit Tanten und Onkeln fünften Grades und die wunderschöne Natur der Philippinen ließen mich rundum wohl fühlen. Wie sich in der Arbeit herausstellte, ist der Schlüssel zur Bikulturalität die Sprache. Während der Arbeit dachte ich oft darüber nach, wie es wohl gewesen wäre, wenn ich die philippinische Sprache sprechen würde. Es wäre für mich wahrscheinlich von Grund auf einfacher gewesen, meine Identitäten zu finden, wenn ich von Kindesalter an beide Sprachen beherrscht hätte. Ein weiterer Punkt, der mich neben der Sprache in meiner Bikulturalität bestärkt hätte, wäre eine frühzeitige Förderung gewesen, wie zum Beispiel ein Aufmerksam machen auf die unterschiedlichen kulturellen Hintergründe in der Schule, z.B. durch ein interkulturelles Training oder ähnliches. Das blieb damals leider aus, so dass ich meine Ressourcen erst während meines Studiums entdecken konnte. Insgesamt hat mir die Arbeit eine differenzierte Sicht in die Thematik geboten und mich um ein fundiertes Wissen bereichert. 130 Literaturliste Literaturliste Ahbe, Thomas. 1998. Ressourcen-Transformation-Identität. In: Keupp, Heiner / Höfer, Renate. Klassische und aktuelle Perspektiven der Identitätsforschung. 2.Auflage. Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag. S.207-222 Auernheimer, Georg. 1988. Der sogenannte Kulturkonflikt. Orientierungsprobleme ausländischer Jugendlicher. Frankfurt/Main: Vampus Verlag GmbH. S.126-129 Barth, Wolfgang. 1998. Multikulturelle Gesellschaft. 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