Interkulturell – ein Begriff macht Karriere Günter Friesenhahn Kultur und Ethnizität - Begriffsbestimmung Mit dem Begriff „interkulturell“ geht einher, dass man es mit Kultur oder besser: mit Kulturen und deren Stellung zueinander zu tun hat. Es geht um die Klärung der Fragen, welche „Grammatik“ oder welche „mentale Landkarte“ Kulturen haben und wie man sie entschlüsselt, welche Auffassungen von Kultur in den einzelnen Kulturen vorhanden sind, von wem und wie Zuordnungen und Ausgrenzungen zu bestimmten Kulturen vorgenommen werden können und ob es so etwas wie transkulturelle, d.h. übergeordnete Strukturelemente von Kulturen gibt. Kultur ist etwas spezifisch Menschliches. Der Mensch schafft Kultur und wird von ihr geprägt. Der Mensch ist ein geschichtliches Wesen, er hat Vergangenheit und Zukunft, er kann planen und hat die Fähigkeit zur Abstraktion. Er kann sich vom konkreten Einzelfall, vom Hier und Jetzt ablösen und schafft sich eine Reihe abstrakter Symbole, z.B. die Sprache, sowie Werte, Regeln etc. (vgl. Maletzke 1996) Es gibt unterschiedliche Kulturbegriffe: weite und enge Begriffe, solche, die Kultur als Idealzustand verstehen, der mit dem Alltag kaum noch was zu tun hat. Definitionen von Kultur sind selbst schon kulturell geprägt. In den Sozialwissenschaften hat sich in der letzten Zeit ein erweiterter Kulturbegriff als Arbeitsgrundlage durchgesetzt. Dieser umfasst neben sichtbaren Dingen/Objektivationen (Kunst, Literatur, Verhalten) vor allem auch die unsichtbaren, aber handlungswirksamen Normen, Einstellungen, Denkweisen, Wahrnehmungsmuster, Ideen etc. Kulturen werden als historisch entstandene und sich stets weiterentwickelnde komplexe Systeme verstanden. Allgemein gesprochen kann man Kultur als Orientierungssystem verstehen, an dem die einzelnen Mitglieder einer kulturellen Gruppe ihr Handeln ausrichten. Als Merkmale kann man nennen: • Kultur wird erlernt, • Kultur ist etwas Gemeinsames und trägt damit zur Identitätsentwicklung bei, • Kultur vermittelt Bedeutungen und erzeugt dadurch Geordnetheit, • Kultur wird durch Sozialisation weitergegeben und verändert sich über die Zeit. (vgl. Zeutschel 1998) Kultur ist ein Orientierungssystem, das unser Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Handeln beeinflusst und handlungsorientierend wirkt. Die Kenntnis dieses Orientierungssystems und seiner Symbole (Sprache, Werte, Regeln, Rituale, Tabus, Lebensstile) schafft eine gewisse Sicherheit, erzeugt Wir-Gefühle und grenzt nach außen ab. Schwierig ist, diesen Kulturbegriff von dem der Ethnizität (Etnicity) abzugrenzen, der im angelsächsischen Sprachraum dem Kulturbegriff vorgezogen wird. Der Begriff „Ethnizität“ wird dann gebraucht, wenn sich Menschen auf kulturelle Gemeinsamkeiten beziehen, historische und aktuelle Erfahrungen und Vorstellungen über eine gemeinsame Herkunft teilen und auf dieser Grundlage ein solidarisches Bewusstsein entwickeln. Wie wichtig Ethnizität für den einzelnen im Alltag ist, hängt vom den strukturellen Bedingungen ab, die sein Leben beeinflussen. Ethnizität kann für bestimmte Zwecke (Gemeinschaftsbildung, Interessenvertretung) mobilisiert werden, sie kann aber auch als Belastung empfunden werden, wenn man immer wieder registrieren muss, dass man als Angehöriger einer Ethnie/Kultur in einer Gesellschaft Nachteile hat. (vgl. Kiesel 1996, S.26) aus: www.dija.de, Modul „Interkulturelles Lernen“ Wichtig ist, dass Ethnizität Elemente sowohl der Selbst- als auch der Fremdzuschreibung enthalten kann. Als ethnische Gruppe definiert man somit eine, die ein spezifisches soziales und kulturelles Erbe teilt, in der Menschen sich selbst dieser spezifischen Gruppe zurechnen und auch von anderen Menschen dieser Gruppe zugerechnet werden. Ethnizität beeinflusst sämtliche Bereiche des Lebens. Sie prägt Denken, Fühlen und Verhalten, sie begründet kulturelle und soziale Handlungsweisen. Das bedeutet für internationale Begegnungen Bei internationalen Begegnungen treffen immer Menschen mit unterschiedlichen Kulturauffassungen aufeinander; unser jeweiliges Kulturverständnis beruht auf spezifischen Lernprozessen. Als komplexes System verleiht jede Kultur Orientierung und Sicherheit. Diese in Frage zu stellen, ist eine große Herausforderung und kann auch als Zumutung verstanden werden. Der Rückzug in eine ethnische Gruppe bzw. die Betonung ethnischer Gemeinsamkeiten kann unter bestimmen Umständen als identitätsstärkend empfunden werden. Ein Kulturmodell Die Menschen sind in der heutigen Zeit kaum mehr nur einer Kultur, einem Lebenskontext zuzuordnen. Früher wurde der Kulturbegriff in der Regel auf ganze Nationen oder ethnische Gruppen bezogen. Mittlerweile ist aber deutlich geworden, dass andere soziale Einheiten wie z.B. Peergroups, Lifestyle-Gruppen sowie berufs- und altersabhängige Gemeinschaften oder städtische oder ländliche Subkulturen sehr stark handlungsleitend wirken können. Und natürlich - das belegt auch die alltagssprachliche Wendung von der Unternehmenskultur haben Institutionen und Organisationen ihre eigene „Kulturen“. Solche Subkulturen wirken quer zum kulturellen Mainstream und können vor allem - so die Hoffnung - in der professionellen internationalen Zusammenarbeit gemeinschaftsfördernd wirken. (vgl. Zeutschel 1998) In internationalen Begegnungen geht es immer auch um Kulturen und deren Stellung zueinander. Kulturen verhalten sich selten neutral zueinander. Das Postulat „Alle Kulturen sind prinzipiell gleichwertig“ ist zwar vielleicht ehrenwert, aber kaum praxistauglich. Gerade in der Arbeitswelt, aber auch beim internationalen Jugendaustausch treffen in der Regel Menschen mit unterschiedlicher Macht und Kompetenzausstattung aufeinander. Bei der interkulturellen Interaktion geht es daher stets auch um gesellschaftliche und politische Macht. In anderen beruflichen Zusammenhängen, z. B in multikulturell zusammengesetzten Teams, geht es für die Beteiligten darum, sich in einer kulturellen Überschneidungssituation möglichst optimal aufeinander abzustimmen. Zwei oder mehr kulturelle Orientierungssysteme müssen kompatibel gemacht werden. Leicht gesagt, aber in der Praxis bedeutet dies die Notwendigkeit zur Infragestellung und zur Flexibilisierung der eigenen kulturellen Gewissheiten. Zur Betrachtung solcher Interaktionen ist ein Modell menschlichen Handelns hilfreich, das neben dem Verhalten auch Denkvorgänge und Emotionen berücksichtigt. (vgl. Zeutschel 1998) Filter ! Wahrnehmung " Muster ! Dispositionen ! Inter" pretation # Stereotype Verhaltens " planung aus: www.dija.de, Modul „Interkulturelles Lernen“ Normen ! Verhaltens- " ausführung # Gewohnheiten Bewertung # Werte Die uns umgebende Wirklichkeit wird von uns nicht einfach in ihrem „So-Sein“, sondern schon in gewisser Weise „vorgefiltert“ wahrgenommen. Wir interpretieren die wahrgenommenen Informationen anhand kulturell vermittelter Muster und Stereotype. So kann z.B. die gewählte Lautstärke in einem Gespräch sehr unterschiedlich interpretiert werden. Wie ich mich dann tatsächlich verhalte, wird neben Dispositionen, d.h. bestimmten Fähigkeiten, auch von speziellen Gewohnheiten beeinflusst (z.B. Begrüßungsrituale). Auch die Bewertung einer Handlung erfolgt durch kulturell gefärbte Normen. Das bedeutet für internationale Begegnungen Wir haben es mit Anforderungen auf verschiedenen Ebenen zu tun. Auf der Mikroebene stehen Lernprozesse an, die verdeutlichen, dass mein Orientierungssystem nicht das einzig mögliche ist. Auf der Mezzoebene müssen konstruktive Formen der Zusammenarbeit gefunden werden. Auf der Makroebene muss verhindert werden, dass politische und gesellschaftliche Prozesse interkulturelle Lernbemühungen ver- oder behindern. Interkulturelles in den Wissenschaften Das Wort „interkulturell“ hat eine gewisse Karriere gemacht. Wurde es vor zwanzig Jahren noch vorwiegend in Fachkreisen verwendet, findet man es heute in vielen gesellschaftlichen Bereichen: vom interkulturellen Kochen über interkulturelle Stadtteilfeste bis hin zu interkulturellen Erziehungskonzepten. Irgendwie scheint klar zu sein, dass all diese Aktivitäten erstens etwas mit Kultur zu tun haben. Das Wortteil „inter“ macht zweitens deutlich, dass es sich um etwas handelt, was sich zwischen den Kulturen abspielt. Festzustellen ist, dass sich seit geraumer Zeit Wissenschaften wie die Pädagogik, die Psychologie, die Soziologie und die Ethnologie mit diesem Begriff beschäftigen und dabei eine Reihe von zum Teil unterschiedlichen Definitionen und Klärungsversuchen vorgelegt haben. Diese Vielfalt und Unterschiede haben damit zu tun, dass sich die einzelnen Wissenschaften um bestimmte Handlungsfelder mehr kümmern als um andere. So konzentriert sich die Pädagogik in erster Linie auf Schule und Stadtteilarbeit sowie auf Jugendbegegnungen. In der Psychologie geht es bei diesem Thema oft um Herausforderungen und Bewältigungsstrategien, die sich beim internationalen Austausch von Fachkräften im Arbeitsleben und bei der Zusammenarbeit in internationalen Teams ergeben. In der Soziologie kommen neben gesellschaftlichen Faktoren, die das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen in einem Land erleichtern oder erschweren (z.B. Macht, Herrschaft, Diskriminierung, Partizipationschancen) die internationalen Migrationsbewegungen in und deren Auswirkungen auf gesellschaftliche Gruppen in den Blick. Und Ethnologen versuchen, das Neben -und Miteinander verschiedenen Ethnien und Kulturen, die Wechselbeziehung zwischen dem Eigenen und Fremden sowie die Grundstrukturen einzelner Kulturen zu entschlüsseln. Trotz einiger Unterschiede in der Betrachtungs- und Herangehensweise der einzelnen Wissenschaften lässt sich doch ein gemeinsames Grundmotiv erkennen. Es geht immer um die Frage, wie man dazu beitragen kann, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen konstruktiv (und gleichberechtigt) zusammenleben und ihren Alltag gemeinsam gestalten können. Das bedeutet für internationale Begegnungen Natürlich macht es einen Unterschied, ob man als Manager/in an einem Geschäftsabschluss im Ausland interessiert ist, ob in einer internationalen Jugendgruppe an aus: www.dija.de, Modul „Interkulturelles Lernen“ einem gemeinsamen Projekt gearbeitet wird, ob man als Freiwillige/r sechs Monate in einem anderen europäischen Land arbeitet oder ob man als Forscher/in eine andere Kultur erkunden will. Die Gemeinsamkeit der unterschiedlichen Handlungsfelder besteht darin, den/die anderen verstehen zu lernen, um gemeinsam besser handeln zu können. Trotz aller Bemühungen wird vollständiges Verstehen nie möglich. Arbeitsfelder und Ziele interkulturellen Lernens Pädagogische Konzepte interkulturellen Lernens gruppieren sich weitgehend um Begriffe und Postulate wie Solidarität mit Benachteiligten, Toleranz, prinzipielle Gleichwertigkeit der Kulturen, gegenseitige Bereicherung, Empathie und Dialog. Interkulturelles Lernen muss sich aber auch - vor allem im Arbeitsbereich - daran messen lassen, ob es zu erfolgreichem und effizientem Handeln beiträgt. So lassen sich je nach Handlungsfeld verschiedene Zielschwerpunkte ausmachen. Während es in der interkulturellen Arbeit im Stadtteil u.a. darum geht, die Lebensbedingungen aller Bewohner/innen – gleich, welcher ethnischen Gruppe sie angehören - zu verbessern und ethnische Spannungen durch politische und pädagogische Maßnahmen zu reduzieren, während in der Schule nach wie vor die Erhaltung der kulturellen Anschlussfähigkeit, Wissenserwerb und soziale Kompetenz Eckpunkte der Curricula darstellen, geht es im internationalen Jugendaustausch oft um die Erschließung neuer, pädagogisch strukturierter Erfahrungsräume, um Selbstfindung und Selbsterprobung in neuen Settings. Und in der Arbeitswelt mag es genügen, neue Denkmuster und Handlungsstrategien zu erlernen und je nach Bedarf einzusetzen, um somit bessere Geschäftsabschlüsse zu erzielen oder um in einem international zusammengesetzten Arbeitsteam bestehen zu können. Diese Unterscheidung gibt es jedoch wohl kaum in Reinform, in der Praxis sind Überschneidungen dieser Idealtypen unvermeidlich. Ziele, die im Zusammenhang mit interkulturellem Lernen immer wieder genannt werden, zeigen, wie weit der Bogen dabei gespannt ist bzw. was alles mit damit erreicht werden soll. Es scheint, als wäre mit interkulturellem Lernen die Zauberformel für die Entwicklung der modernen, offenen Gesellschaft gefunden. Doch vor solchen Vorstellungen sollte man sich im Bereich der internationalen Jugendarbeit hüten. Pädagogische Aktivitäten und Projekte können kein Ersatz sein für politische Maßnahmen oder Unterlassungen. Nach gängigen Zielvorstellungen sollen die an interkulturellen Lernprozessen Beteiligten: • Kenntnisse über andere Kulturen erwerben • Neugier und Offenheit für andere kulturelle Lebensformen entwickeln • erkennen, dass die interkulturelle Begegnung eine Bereicherung darstellt • sich mit anderen Lebensformen auseinandersetzen und dabei entstehende Spannungen aushalten • Vorurteile gegenüber Fremden/m wahr- und ernstnehmen • die Anderen als gleichberechtigt akzeptieren • den eigenen kulturellen Standpunkt analysieren und kritisch reflektieren • bereit sein, sich zu verändern • Konsens über das Zusammenleben in einer Gesellschaft/ einer Organisation finden • Konflikte, die aufgrund unterschiedlicher kultureller, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit der Konfliktpartner/innen entstehen, friedlich austragen • interkulturelle Konflikte von anderen Konflikten unterscheiden können aus: www.dija.de, Modul „Interkulturelles Lernen“ • Entstehung und Funktionsweise des Rassismus erkennen und sich gegen Rassismus engagieren Die Liste der Ziele ließe sich noch fortsetzen. Ich denke, es ist hinreichend deutlich geworden, dass bei den Zielen interkulturellen Lernens nicht nur die individuelle, sondern auch die gesellschaftliche Dimension angesprochen wird. Es geht um Interaktionsprozesse und um Perspektiven gegenwärtiger und zukünftiger Gesellschaftsgestaltung, es geht um Machbares und Erwünschtes. Hier muss man aus wissenschaftlicher Sicht aufpassen: Man darf den Prozess nicht mit dem Ziel verwechseln. Die folgende Formulierung soll helfen, eine tragfähige Basis für interkulturelle Lernprozesse zu entwickeln: Ziel interkulturellen Lernens ist Handlungsfähigkeit in anderskulturellen oder international geprägten Kontexten. Es ist ein Prozess, in dem Menschen, die aus verschiedenen kulturellen Kontexten kommen, Informationen austauschen. Dabei werden sie mit Symbolen, Ritualen, Werten, Denkauffassungen und Sichtweisen konfrontiert, die ihnen so bisher nicht bekannt waren. Dieser Prozess verläuft umso erfolgreicher, je günstiger die (gesellschaftlichen/institutionellen) Rahmenbedingungen sind, je attraktiver der persönliche Lernanreiz ist und je mehr die Möglichkeit besteht, den erlebten Prozess zu reflektieren. Das bedeutet für internationale Begegnungen: Man muss sich über das Format der Veranstaltung Gedanken machen: Was kann ich konkret in einer zweiwöchigen Begegnung erreichen, welche Ziele passen zu welcher Zielgruppe, woran messe ich den Erfolg oder Misserfolg? Lieber kleine Brötchen backen, die gut schmecken, als nach großen Brocken greifen, an denen man sich leicht überheben kann! Forderungen, Überforderungen und ein 10-Punkte-Katalog Politische und wissenschaftliche Programmatik darf nicht übersehen, was der/die Einzelne zu leisten imstande ist. Jugendbegegnungen sollten mit hohen Zielen nicht überfrachtet werden. Deshalb ist es für die Vorbereitung und Durchführung einer internationalen Maßnahme wichtig, die übergeordneten Ziele interkulturellen Lernens transparent zu machen und Hilfen für die Umsetzung bereitzustellen. Nicht alle Ziele, die man aus der Literatur kennt oder die man sich vorher überlegt hat, können dabei in ihrer Gesamtheit umgesetzt werden. Ziele können aber als Orientierungspunkte gelten, die man zwar im Blick behält, die aber nicht alle erreicht werden. Bei der Umsetzung, d.h. bei der Initiierung und Begleitung interkultureller Lernprozesse kann der folgende 10-PunkteKatalog eine hilfreiche Orientierung bieten. 1. Interkulturelles Lernen ist ein Erfordernis unserer Zeit, zu dem es kaum eine Alternative gibt. Die politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und medialen Entwicklungen führen zwar zu einer quantitativen Zunahme von Kontakten von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen, ohne dass dies aber zu einer besseren gegenseitigen Verständigung führte. Es scheint, als seien die Menschen auf diese Entwicklung unzureichend vorbereitet. 2. Interkulturelle Arbeit in den oben angesprochenen Handlungsfeldern wird nicht nur von den handelnden Akteuren/innen geprägt, sondern auch von den politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Das bedeutet, dass interkulturelle Arbeit mehrere Dimensionen umfasst, die aber nicht immer gleichermaßen im Vordergrund des Handelns stehen. aus: www.dija.de, Modul „Interkulturelles Lernen“ 3. Interkulturelles Lernen im oben beschriebenen Verständnis geschieht nicht von selbst, wenn sich Menschen aus unterschiedlichen Herkunftskontexten treffen. Die Beteiligten müssen für interkulturelle Lernprozesse offen und bereit sein. Pädagogisch initiierte und begleitete Lernprozesse können dabei hilfreich sein, denn die Aufgabe besteht darin, etwas Neues in den Erfahrungshorizont der Adressaten/innen zu bringen, authentische Erfahrung und Lernen überhaupt zu ermöglichen. 4. Bei der Initiierung und Unterstützung interkulturellen Lernens hängt der Erfolg und/ oder das Scheitern nicht allein von den didaktischen Fähigkeiten der Pädagogen/innen oder dem Willen und der Bereitschaft der Beteiligten ab. Man muss auch die strukturelle Seite der Handlungskompetenz reflektieren, sich klarmachen, was ein/e einzelne/r innerhalb einer Organisation und innerhalb gegebener gesellschaftlicher Verhältnisse erreichen kann. 5. Interkulturelles Lernen umfasst nicht nur die kognitive Dimension des Lernens, sondern muss die emotionalen Aspekte des Lernprozesses besonders berücksichtigen. Es besteht nicht darin, genügend Wissen über andere Kulturen anzuhäufen, es reicht nicht, die “Grammatik” anderer Kulturen zu entschlüsseln. 6. Es geht beim interkulturellen Lernen stets auch um die eigenen Gefühle, Bewertungen, Akzeptanzschwellen und Selbstreflexion. Die eigenen kulturell beeinflussten Deutungs- und Wahrnehmungsmuster sind eng gekoppelt an emotionale Befindlichkeiten, die eher auf eindeutige Orientierung und Sicherheit ausgerichtet sind als auf ambivalente Deutungen. Und es ist in der Tat nicht einfach zuzugeben, dass kulturelle Werte in unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedliche Bedeutungen haben. Es ist auch nicht selbstverständlich, Verhaltensregeln, Normen und Deutungsmuster anderer Kulturen als prinzipiell richtig oder gleichberechtigt anzusehen, wenn sie dem widersprechen, was wir als vernünftig oder moralisch angemessen betrachten. 7. Die Notwendigkeit interkulturellen Lernens kann nicht nur als positive, neue Entwicklungsmöglichkeit gesehen werden, sondern kann individuell auch als Bedrohung erlebt werden. Denn es geht ja darum, sicher geglaubte kulturelle Orientierungspunkte in Frage zu stellen, gegebenenfalls neue Denk-, Gefühlsund Handlungsschemata zu entwickeln. Das heißt in der Konsequenz, (vermeintliche) Sicherheiten aufzugeben. 8. Gegen den Willen der Adressaten/innen ist interkulturelles Lernen nicht möglich. Das erfordert, auch deren Abwehrhaltungen und Überforderungsängste ernst zu nehmen. Lernprozesse, insbesondere interkulturelle Lernprozesse, die die Ängste und Verunsicherungen der Adressaten/innen übersehen, sie gar als unzeitgemäß oder als nicht “political correct” unter den Tisch fegen, sind kontraproduktiv. Möglicherweise heißt dies auch, denjenigen, die sich mit den Anforderungen interkulturellen Lernens schwer tun, die Chance zu lassen, sich den gutgemeinten Lernhilfen zu entziehen. 9. Interkulturelles Lernen ist ein Prozess, der in Stufen verläuft. Man darf nicht gleich zu Beginn “volle Leistung” erwarten. Am Anfang des Prozesses mag Ethnozentrismus stehen, der sich langsam über die Aneignung von kulturellem Orientierungswissen, das Erfassen kultureller Normen, Werte und Einstellungen bis hin zum akzeptierenden und adäquaten Handeln in interkulturellen Kontexten entwickelt. aus: www.dija.de, Modul „Interkulturelles Lernen“ 10. Interkulturelles Lernen hat immer mit Veränderungen zu tun. Diese Veränderungen betreffen die individuelle und die gesellschaftliche Ebene. Diese Ebenen sind wie zwei Seiten einer Medaille. Vorurteile, Stereotypen sowie ausgrenzende und rassistische Tendenzen in allen europäischen Gesellschaften behindern interkulturelle Lernprozesse und das Erreichen der damit angestrebten Ziele. Nicht alle wollen an solchen Prozessen beteiligt werden, nicht alle, die daran teilnehmen, erreichen das oberste Zielniveau. Interkulturelles Lernen sollte z.B. nicht anstreben, alle Vorurteile der Adressaten/innen zu bekämpfen. Ziel kann aber sein, den Adressaten/innen klar zu machen, woher Vorurteile kommen, welche Funktion sie für den Einzelnen und die Gesellschaft haben. Die Beantwortung solcher Fragen führt dann vielleicht zu einer Bewusstmachung der Zusammenhänge, die wiederum Basis für eine Veränderung sein kann. Die Hoffnung ist, dass wir Neues lernen (wollen), dass wir kreativer und freier im Denken, Fühlen und Handeln werden und Verständnis entwickeln für die feinen Unterschiede - auch in unserer eigenen Kultur. Es gibt kein Patentrezept für den Erfolg interkulturellen Lernens. Auch eine Erfolgsmessung, eine Evaluation ist kaum machbar. Was bleibt, ist durch nachahmenswertes Handeln zukunftsweisende Akzente zu setzen, auf Aufklärungsarbeit nicht zu verzichten, Formen des interkulturellen Zusammenlebens und -arbeitens zu entwickeln und zu erproben und die dabei gewonnenen positiven Erfahrungen weiterzugeben sowie Skeptiker nicht per se auszugrenzen. Merkmale und Profil interkultureller Kompetenz In vielen beruflichen Bereichen ist ein internationales Setting heute normal geworden. Nicht nur Manager international agierender Unternehmen müssen mit Menschen aus unterschiedlichen Kulturen reden und verhandeln, kulturelle Eigenheiten erkennen und adäquat darauf reagieren können, sondern auch auf deutschen Baustellen, in Büros, in Behörden und natürlich auch als Deutsche/r im Ausland erhöht interkulturelle Kompetenz die Erfolgswahrscheinlichkeit des Handelns. Unternehmen entdecken interkulturelle Kompetenz als Marketing-Faktor, Studiengänge aller Fachrichtungen werden zunehmend international ausgerichtet und der Nachweis internationaler Erfahrungen (verbunden mit der Vermutung, dadurch über interkulturelle Kompetenz zu verfügen) steigert die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Es gibt keine eindeutige Definition von interkultureller Kompetenz. Als „Schlüsselqualifikation“ rückt sie allerdings zunehmend an eine zentrale Stelle im Gefüge überfachlicher Berufsanforderungen. Ein Beispiel aus dem sozialen Bereich: Als Kennzeichen interkultureller Kompetenz wird hier die Befähigung verstanden, „in interkulturell geprägten Arbeitssituationen mit Angehörigen verschiedener ethnischer Gruppen und in fremdkultureller Umgebung kommunizieren und effektiv und effizient professionell tätig werden zu können“. Auf der allgemeinen Ebene geht es bei interkultureller Kompetenz um: • Analysekompetenz (Informationen über unterschiedliche Lebenssituationen) • Handlungskompetenz (Sprache, Teamfähigkeit, Konfliktfähigkeit) • Reflexionskompetenz (Perspektivwechsel vornehmen, Selbst- und Fremdbild reflektieren) Im deutschen Sprachraum werden folgende Merkmale bei unterschiedlichen Autoren immer wieder genannt: Empathie, Interaktionsfreudigkeit, Flexibilität, Selbstsicherheit und eigenkulturelle Bewusstheit, Stresstoleranz, Ambiguitätstoleranz, Bereitschaft sich auf neue Umgebung und neue Anforderung einzulassen, Respekt und Interesse für andere Kulturen, Gefühl für angemessenes Handeln, Kenntnisse interaktiver, kulturspezifischer und sprachlicher Spielregeln, Offenheit und Bereitschaft zur Kommunikation. Es geht auch darum, interkultuaus: www.dija.de, Modul „Interkulturelles Lernen“ relle Probleme von anderen Problemzusammenhängen zu unterscheiden sowie unterschiedliche Regeln der Interaktion erkennen zu können, ferner darum, Lösungsstrategien entwickeln und Problemlösungen erproben zu lernen. Es geht aber nicht nur um moralisch hochangesehene Kompetenzen, sondern in der Praxis auch um instrumentelle Kompetenzen, wie sie z. B. Arnold für Mitarbeiter im Entwicklungsdienst aufgelistet hat. Dazu gehören: • die Fähigkeit zum operativen Umgang mit formal-rechtlichen Programmvorgaben • die Fähigkeit zum strategischen Umgang mit den Akzeptanz- und Verhandlungsspielräumen in der Organisation und der Umwelt • die Fähigkeit zur flexiblen Einarbeitung in neue Aufgaben • die Fähigkeit zum kollegialen und kooperativen Umgang mit anderen Personen • die Fähigkeit zur Analyse und Entscheidung in fachlichen Zusammenhängen Das bedeutet für internationale Begegnungen Interkulturelle Kompetenz bündelt verschiedene Komponenten. In einem Prozess mit Menschen aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten werden Informationen ausgetauscht. Dabei werden die teilnehmenden Personen mit Symbolen, Werten, Denkauffassungen und Handlungen konfrontiert, die ihnen so bisher nicht bekannt waren. Interkulturell kompetente Menschen können aufgrund der oben genannten Merkmale in kulturellen Überschneidungssituationen unabhängig, kultursensibel, wirkungsvoll und für die anderen akzeptiert handeln. Wichtig ist, dass Selbstüberzeugtheit ein wesentliches Element der interkulturellen Kompetenz darstellt. Trainings interkultureller Kompetenz Um den Erwerb interkultureller Kompetenz zu unterstützen, bieten sich verschiedene Möglichkeiten an: Simulationen, Übungen Rollenspiele, Trainings. Es gibt spezielle Methoden, die für unterschiedliche Berufsgruppen und Vorhaben mehr oder weniger tauglich sind. Denn es macht einen Unterschied, ob man ein interkulturelles Projekt im Stadtteil leitet, ob man eine internationale Maßnahme plant, ob man im Gesundheitssystem als Inländer mit Ausländern zu tun hat oder ob man als Verantwortlicher einer Organisation transnationale Kooperationsprojekte auf den Weg bringen will. Zum Beispiel sind Gespräche und Diskussion - wie sie in interkulturellen Arbeitszusammenhängen zum Alltag gehören - geprägt von bestimmten Zielen. Abläufe müssen koordiniert werden, Aufgaben entschieden werden. Individualistische Kulturen messen die Effizienz von Entscheidungen vorwiegend an Nutzen, Qualität und Richtigkeit. Wie die Entscheidung zustande gekommen ist, spielt eine untergeordnete Rolle. Der Output entscheidet. Der Gesprächsprozess wird kaum beachtet (wie sind die Ideen der Mitarbeiter einbezogen worden, waren die Beziehungen ungespannt, wurden Minderheitenvoten gehört und berücksichtigt, ist nach der Entscheidung eine produktive Zusammenarbeit aller möglich). In kollektivistischen Kulturen bedeutet Effizienz eher „Angemessenheit“: Einbeziehung möglichst vieler Meinungen, Prozessorientierung, Gesichtsverlust vermeiden. Der Umgang mit Konflikten ist der entscheidende Punkt in der Zusammenarbeit in interkulturellen Gruppen, da es immer wieder zu Konflikten kommt, weil man sich über Präferenzen nicht einig wird, weil mehrere Lösungen existieren, weil es mehrere Entscheidungsvarianten gibt. Je nach ihrem didaktischen Ansatz lassen sich Trainings folgendermaßen unterteilen: • Informationsorientierte Trainings: Durch Vorträge, Filme, Fallbeispiele werden relevante Gegebenheiten des Ziellandes vermittelt. Diese Trainings entsprechen den Bedürfnissen der Teilnehmer/innen nach handfesten Orientierungen. Sie sprechen meist die kognitive Lerndimension an und können Gefahr laufen, dass dargebotene Verhaltensweisen als Rezepte missverstanden werden. aus: www.dija.de, Modul „Interkulturelles Lernen“ • Kulturorientierte Trainings: Mit Hilfe von Simulationsspielen, Selbsterfahrungsübungen, Rollenspielen und Fallbeispielen können die Teilnehmer/innen ihr Bewusstsein für die Besonderheiten der eigenen Kultur schärfen und für die Besonderheiten der „fremden“ Kultur sensibilisiert werden. Die erhöhte Aufmerksamkeit für die eigene Kultur ermutigt sie, mehr über die Gastkultur zu erfahren. Die Teilnehmenden werden aktiviert und zu einer auch emotionalen Auseinandersetzung mit anderen Kulturen ermutigt. • Interaktionsorientierte Trainings: Die Teilnehmer/innen können die fremde Kultur durch den direkten Kontakt mit Menschen des Gastlandes kennenlernen. In Rollenspielen und Kommunikationsübungen mit „resource people“ werden kritische Situationen dargestellt und anschließend analysiert, aufgetretene Missverständnisse und Fehlinterpretationen geklärt. • Cultur Assimilator Trainings: Die Teilnehmer/innen erhalten ein schriftliches Lernprogramm, das aus Episoden interkultureller Interaktionssituationen besteht. Zu jeder Episode werden ca. vier verschiedene Erklärungen für das Verhalten der beteiligten Personen gegeben, von denen eine Interpretation die aus der Sicht des Gastlandes richtige Antwort darstellt. Nach der Entscheidung für eine Antwort erfolgt die Mitteilung darüber, ob und aus welchen Gründen die gewählte Entscheidung richtig oder falsch ist. Solche Programme existieren mittlerweile für verschiedene Zielländer (z.B. USA, Korea, Deutschland). Anbieter/innen solcher Trainings sind oft private (und damit teure) Veranstalter, Consulting-Agenturen, manchmal findet man sie aber auch als preiswertes (nicht billiges) Fortbildungsangebot einschlägiger Träger, vereinzelt auch an Hochschulen. Also Augen auf! Das bedeutet für internationale Begegnungen: In interkulturellen Settings (sozialen Arbeitsfeldern, internationalen Begegnungen, Auslandseinsätzen) brauchen die beteiligten Personen nicht nur Kenntnisse über die anderen Kulturen. Auch der kompetente Umgang mit eigenen Gefühlen, Bewertungen, Akzeptanzschwellen und Flexibilitätspotentialen muss als Bestandteil interkultureller Kompetenz angesehen werden; ferner sind instrumentelle Kompetenzen gefragt. Dies ist gewiss nicht im Schnellgang zu erreichen, sondern macht längere Lernprozesse erforderlich. Literatur: Friesenhahn, G.J.: Kompetenzen. In: Frerichs, M., Friesenhahn, G.J., Müller, W.: Ausbilder/innen Training im internationalen Jugendaustausch, Berlin 1994, S. 69-72 Friesenhahn, G.J.: Interkulturelles Lernen – Zentrales Ziel des europäischen Freiwilligendienstes für Jugendliche. In: Kind, Jugend, Gesellschaft Friesenhahn, G.J.: Management des Interkulturellen. In: Psychosozial 4/99 Kiesel, D.: Das Dilemma der Differenz, Frankfurt 1996 Maletzke, G.: Interkulturelle Kommunikation, Opladen 1996 Schroll-Machl, S.: Interkulturelle Trainings: Grundlagen und Forschungsergebnisse. In: Friesenhahn, G.J. (Red.): Lernen und soziales Engagement für Europa. Interkulturelle Arbeitshilfen, hrsg. vom Dt. Roten Kreuz und INTEREST, Bonn 1998, S.163-170 Schroll Machl, S.: Interkulturelle Trainings. Didaktische Ansätze und Methoden. In Friesenhahn (Red.), a.a.O., S.171-182 Thomas, A., Hagemann, K.: Training interkultureller Kompetenz. In: Bergemann, N., Sourisseaux, A.L.J. (Hrsg.): Interkulturelles Management, Heidelberg 1992 Zeutschel, U.: Kultur als Orientierungssystem. In Friesenhahn, G.J. (Red): Lernen und soziales Engagement für Europa. Interkulturelle Arbeitshilfen, hrsg. vom Dt. Roten Kreuz und INTEREST, Bonn 1998, S.54-50 aus: www.dija.de, Modul „Interkulturelles Lernen“