Interkultureller Dialog – Dialog der Kulturen

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Interkultureller Dialog – Dialog der Kulturen
Kurzfassungen, Klarstellungen, Kontrapunkte
Werner Wintersteiner
1. Kurzfassungen
Kultur und Natur
Jeder Mensch hat Kultur, aber nicht so, wie ihm seine Natur gegeben ist. Selbstverständlich
sind wir von der Kultur oder den Kulturen, in denen wir sozialisiert wurden, geprägt. Doch
wir sind von ihnen nicht so abhängig wie von unserer Natur, der sprichwörtlichen Haut, aus
der wir nicht heraus können. Kultur ist nichts Fertiges. Wir alle wirken an ihr mit und
verändern sie. Diese Offenheit erst ist die Basis für einen inter-kulturellen Dialog.
Angst und Neugier
Angst und Neugier sind unsere wichtigsten Triebfedern im Umgang mit dem Fremden. Wir
können ihnen nicht entkommen, aber wir können sie kultivieren. Kultiviere deine Angst,
damit sie nicht in Aggression umschlägt! Kultiviere deine Neugier, damit sie zu Respekt
wird!
Kultur und Vielfalt – Vielfalt der Kulturen
Die Menschen unterscheiden sich durch die Vielfalt ihrer Kulturen. Sie gleichen einander
dadurch, dass sie alle Kultur haben. Aber Kulturen sind keine Gebilde wie Kugeln,
abgeschlossen nach außen und homogen im Inneren. Kulturen sind eher wie Gärten, vielfältig
in sich selbst und in vielem den anderen Kulturen, den anderen Gärten, verwandt. In dieser
Vielfalt sind sie jeweils einzigartig, durch die unverwechselbare Mischung der Pflanzen, die
in jedem Garten wachsen.
Dialog der Kulturen – Kampf der Kulturen
Dialog der Kulturen ist als Gegenentwurf, als Antwort auf die These vom unausweichlichen
Kampf der Kulturen entwickelt worden. Aber auch der Dialog enthält ein Element des
Kampfes, der Auseinandersetzung. Dialog der Kulturen heißt nicht, dass wir Positionen
akzeptieren müssen, die unvereinbar mit unseren Werten sind. Dialog ist auch Widerstand.
Deswegen ist der Dialog der Kulturen geeignet, eine Alternative zum Zusammenprall der
Kulturen zu bieten. Interkultureller Dialog ist gewaltfreie Konfliktaustragung.
Interkultureller Dialog
Die Voraussetzung für den interkulturellen Dialog ist Aufmerksamkeit, nicht
Sendungsbewusstsein. Die Methode des interkulturellen Dialogs ist weniger das Reden als
das Zuhören. Der Sinn des interkulturellen Dialogs ist nicht, den Anderen, sondern sich selbst
in Frage zu stellen.
Dialog der Menschen
Im Anderen sollten wir nicht nach dem Repräsentanten einer Kultur suchen, sondern die
unverwechselbare Persönlichkeit. Der interkulturelle Dialog ist kein Dialog zwischen
Kulturen, sondern zwischen Menschen.
Das Dritte des Dia-Logs
Jeder echter Dialog erfordert und gebiert ein Drittes – Verständigung. Ein Grundmaß an
Verständigung ist Voraussetzung des Dialogs, ein höheres Maß an Verständigung kann als
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sein Ergebnis erhofft werden, freilich ohne dass die Spannung, die zu neuer Ver-Ständigung
und zu neuem Dia-Log führen wird, genommen ist. Im inter-kulturellen Dialog ist das Dritte
die Kultur des Friedens. Friedensbereitschaft ist Bedingung für den Beginn des Gesprächs, sie
ist sein Ziel und sein erhofftes Resultat. Kultur des Friedens gibt somit die Orientierung des
inter-kulturellen Dialogs an.
2. Klarstellungen
Lob des Unscheinbaren
Es gibt so viel Scheinbares, auf den Effekt Abgestimmtes, Anlässliches, gerne Gewolltes und
gut Gemeintes, nach außen Gestülptes. Natürlich braucht jeder Bildungsprozess, daher auch
der inter-kulturelle Dialog, die Ressource Aufmerksamkeit und damit den Effekt, um breiter
wirken zu können. Doch das Wesentliche spielt sich nicht nach den Spielregeln ab, die die
Medien definiert haben. Das wirklich Bedeutende erfüllt nicht die Kriterien, nach denen das
Prädikat aktuell & wichtig vergeben wird. Das Eigentliche ist unscheinbar, es verändert die
Beteiligten von innen.
Zugrunde gehen
„Ich will nichts mehr für mich, ich will zugrunde gehn. Zugrund, das heißt zum Meer, dort
find ich Böhmen wieder, (…) und ich bin unverloren“, heißt es in Ingeborg Bachmanns
Sehnsuchtsgedicht Böhmen liegt am Meer. Nur wenn man die Sache bis auf den Grund
verfolgt, wird man das Paradoxon und Rätsel, dass das Binnenland Böhmen am Meer liegt,
auflösen können. Nur wenn man im inter-kulturellen Dialog auf den Grund geht, wird man
persönliche Aha-Erlebnisse haben und verändert aus der Begegnung hervorgehen.
Was wären die großen Erfolge ohne die kleinen?
Sich in vielen kleinen Begegnungen für größere Begegnungen öffnen. Sein Leben öffnen.
Wachsen durch Öffnung.
Die Techniken des Dialogs
Die Techniken des interkulturellen Dialogs sind nicht neu, sie sind erprobt. Alle Formen des
Gesprächs, zu zweit oder in der Runde, intentional und einem plötzlichen Impuls oder Anlass
folgend, das Gespräch in einer Sitzrunde, oder bei einem Spaziergang – sie alle brauchen
Einstimmung, Vorbereitung und nachträglich Aufarbeitung, Weiterzählen, Tagebuch oder
stilles Überdenken … Jede Technik ist recht, sofern sie zum offenen Ohr und zur
Gedankenversonnenheit führt.
Entschleunigen
Nur wer Zeit hat, wird in der Zeit etwas erleben. Ohne lange Weile entsteht kein Raum für
Begegnung. Wir brauchen Ruhe, um die Beunruhigungen des interkulturellen Dialogs erleben
zu können.
Interkultureller Dialog mit allen
Interkultureller Dialog in Europa schließt alle Menschen ein, die hier leben, unabhängig
davon, welche Rechte die Staaten ihnen zugestehen. Die, die heute die Fremden, die Anderen,
die Zugereisten sind, sind zugleich diejenigen, die die neue Geschichte Österreichs, die neue
Geschichte Europas schreiben.
Wir sind die anderen
Im Dialog geht es immer um die Anderen. Nur in der Begegnung mit dem Nicht-Gleichen
lernen wir das Andere in uns selbst kennen, lernen wir uns selbst kennen.
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Wir sind, was wir tun
Das Ziel des Dialogs ist Verständigung. Aber der Sinn des Dialogs ergibt sich nicht bloß aus
dem Ziel. Der interkulturelle Dialog ist nicht Mittel zum Zweck, sondern selbst Zweck. Die
Kultur des Dialogs ist ein Wert an sich. Wir sind, was wir tun.
3. Kontrapunkte
Die Vermeidung des Dialogs
Man kann den interkulturellen Dialog auch vermeiden. Dazu die wichtigste Regel: Je stärker
man sein Leben verplant, desto besser ist man vor unerwarteten Begegnungen geschützt. Man
suche sich seine Freunde danach aus, dass sie einem möglichst nie widersprechen, und man
wird sich weitere Dialoge ersparen. Man betrachte alles, was nicht dem ewigen Gleichklang
des Eigenen entspricht, als Störung, auf die nicht zu achten ist, und man wird das trügerische
Gefühl der permanenten Bestätigung empfinden.
Ungleichheiten, Ungerechtigkeiten
Die sechzehnjährige Schülerin, die seit ihrem 2. Lebensjahr in Österreich lebt, ausgezeichnet
Deutsch spricht, die sich überall woanders fremd fühlt und nun erfährt, dass sie eine
unerwünschte Ausländerin ist, die abgeschoben gehört; der erfolgreiche Beislwirt in Wien,
der sich als Illegaler wieder findet; das gemischte Ehepaar mit Baby, bei dem der
österreichische Vater und das Baby in Österreich sein dürfen, während der Aufenthalt der
kirgisischen Mutter prekär ist – geht es dabei tatsächlich um Probleme des Interkulturellen?
Handelt es sich nicht vielmehr um staatlich verordnete Diskriminierung, vielleicht auch im
Namen der Kultur? Doch könnte der interkulturelle Dialog zumindest dazu dienen, diese
Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten bewusst zu machen, um sie zu verändern.
Herrschaftsfreie Kommunikation?
Wir stellen uns interkulturelle Kommunikation immer ideal als Dialog unter Gleichen vor.
Das ist aber nur selten der Fall. Häufig gibt es ein Machtgefälle, entweder eine sichtbare
Hierarchie oder bloß Umstände, unter denen sich ein Partner wohler fühlt als der andere.
Als asymmetrische Kommunikation zielt der interkulturelle Dialog auf das Dezentrieren
derer, die im Zentrum stehen, und auf das Rezentrieren derer, die dezentriert sind.
Unerwartete Kriterien für einen erfolgreichen Dialog
Aus der Fassung bringen, in Frage stellen, verletzen, Zweifel hervorrufen, Gewissheiten ins
Wanken bringen, Unsicherheit erzeugen, Erinnerungen wecken, nervös machen, nachdenklich
stimmen … Wir haben nicht das Recht, diese Folgen bei unserem Gegenüber zu intendieren.
Doch wenn wir sie an uns selbst bemerken, dann ist das ein Zeichen dafür, dass wir uns
geöffnet und verändert haben.
Die Kraft der Schwachen
Betrachtet man nüchtern den Alltag und folgt den Berichten der Medien, wird man viel mehr
Streit und Unverständnis finden als Verständigung, eher Ablehnung und Verweigerung als
Dialogbereitschaft. Man erlebt, wie Ausgrenzung und Verfolgung höchst wirksam als Mittel
der Politik eingesetzt werden, um die eigene Macht zu stärken. Der interkulturelle Dialog
wird im vollen Bewusstsein dieser Schwierigkeiten geführt. Er setzt scheinbar ohnmächtige
Kontrapunkte und hofft allen wohlmeinenden Warnungen zum Trotz auf die
Durchsetzungskraft des Guten. Ohne diese sich stets erneuernde Hoffnung ist alles verloren.
René Char, französischer Dichter und Widerstandskämpfer, hat das einmal so formuliert: Auf
jeden Zusammenbruch von Beweisen antwortet der Poet mit einer Salve Zukunft.
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