SPEECH/07/448 Leonard Orban Für Mehrsprachigkeit zuständiges Mitglied der Europäischen Kommission Sprachen als Brücke interkulturellen Dialog für Intellektuellengruppe für den interkulturellen Dialog Brüssel, 29. Juni 2007 den Guten Morgen, meine lieben Freunde. Vielen Dank, dass Sie meine Einladung, Mitglied dieser Gruppe zu werden und an der heutigen Sitzung teilzunehmen, angenommen haben. Es ist mir eine große Ehre, Sie im Namen der Kommission in Brüssel willkommen zu heißen. Ich weiß, dass Sie Ihr ganzes intellektuelles Gewicht und Ihre Integrität einbringen werden, um zu erkunden, wie sich die Sprachen in den Dienst des interkulturellen Dialogs zwischen den Gemeinschaften in Europa stellen lassen. Durch Sie ist hier in diesem Raum eine reiche Auswahl europäischer Sprachen vertreten – und Sie alle können, dank unseren Dolmetschern, in Ihrer eigenen Sprache sprechen. Ich will mein Bestes tun, um nicht noch eine weitere Sprache in die Diskussion einzuführen – das „Kommissionskauderwelsch“ oder die „Langue de bois“, wie unsere frankophonen Freunde sagen. Bevor ich aber Amin Maalouf, den Vorsitzenden, zu Wort kommen lasse, möchte ich ein paar Minuten in Anspruch nehmen, um die Gründe für die Einsetzung dieser Gruppe darzulegen und die Rolle zu erläutern, die sie im Rahmen dessen spielen soll, was wir für die Sprachen in Europa und mit ihnen zu erreichen hoffen. Als Schriftsteller und Denker wissen Sie besser als ich, dass die Sprachen, die wir sprechen, untrennbar mit unserem Sein verbunden sind. Sie bestimmen, wie wir unsere Kultur formen – unser Schrifttum, unser Denken, unsere Sicht der Welt. Sie definieren uns als Individuen, aber auch als Teil einer Gemeinschaft. In der heutigen Europäischen Union haben wir einen enormen Reichtum an Sprachen. Ich möchte aus dieser sprachlichen Vielfalt, diesem Reichtum etwas schaffen, was uns in Europa als Mitglieder einer großen Gemeinschaft vereinigt, eine Art Abzeichen des Europäertums, wenn Sie so wollen. Sprachen lernen, andere Sprachen verstehen, das baut Brücken zwischen Menschen, zwischen Gemeinschaften und Kulturen. Natürlich lösen wir nicht alle unsere Probleme damit, dass wir die Sprache eines anderen sprechen. Aber es ist ein Fenster, ein Weg, anzuerkennen, dass es auch einen anderen Gesichtspunkt, eine andere Perspektive gibt. Und dies ist ein unerlässlicher erster Schritt, wenn wir einander besser verstehen wollen. Das heutige Europa mit seinen 27 Mitgliedern ist wahrhaft multikulturell und vielfältig – das Ergebnis der Erweiterungen, des häufigeren und ungehinderten Reisens von einem Land zum anderen, der Globalisierung und der Migration. Dieses Europa ist kein Schmelztiegel, in dem die Unterschiede ausgelöscht werden. Wir zelebrieren die Vielfalt. „Einheit in der Vielfalt“, wie das Motto der Union lautet. Diese Vielfalt ist keine Bedrohung – nein, sie ist ein Gegenmittel gegen Stagnation und Apathie. Sie bietet die Gelegenheit, neugierig zu sein, zu lernen, sich auseinanderzusetzen, anderes zu schätzen. Aber sie ist nicht unbedingt für jeden eine bequeme Erfahrung, weder für die „neuen“ Individuen oder Gemeinschaften, die sich in einer neuen Umgebung zurechtfinden müssen, noch für diejenigen, die sich vielleicht in ihren gewohnten Gemeinschaften ein wenig herumgeschoben fühlen, um Platz für alle zu machen. Es ist also dringend notwendig, dass wir unsere interkulturellen Fähigkeiten entwickeln, dass wir den Dialog zwischen Kulturen fördern, dass wir das darunter liegende Fundament aus Solidarität und Respekt ans Tageslicht bringen. 2 Das nächste Jahr ist das Europäische Jahr des interkulturellen Dialogs. Damit wollen wir die Menschen erreichen, insbesondere die jungen Menschen, die in der Union leben, um sie dafür zu sensibilisieren, dass alltägliche Kontakte mit anderen Kulturen eine Möglichkeit sind, sich der Welt zu öffnen, neue Dimensionen in uns selbst zu erschließen. Ich bin überzeugt, dass eine positive Einstellung zu unseren Sprachen und zur Mehrsprachigkeit wirklich dazu beitragen kann, dieses Jahr zu einem Erfolg zu machen. Dass wir die Sprachen als Vehikel zur Umformung unserer multikulturellen Gesellschaften in wahrhaft interkulturelle Gesellschaften nutzen können, die auf Respekt, Offenheit und Toleranz gründen. Zur Verbesserung des interkulturellen Dialogs im Alltag gehört notwendigerweise auch die Dimension des Glaubens und der philosophischen Überzeugungen: Sie haben entscheidenden Anteil daran, wie wir unsere individuelle und kollektive Identität schaffen. Daher ist für uns auch die Frage des interreligiösen Dialogs wichtig. Sie haben in dieser Gruppe freie Hand. Aber die Kommission erhofft sich von Ihnen wertvolle Ratschläge zur Frage, wie sich am besten zeigen lässt, dass Sprachen und die kulturelle Dimension der Sprachen den Zugang zu anderen Kulturen und den Aufbau einer integrativen Gesellschaft in Europa erleichtern können. Ihre Ratschläge werden mir auch Stoff zum Nachdenken über mein langfristiges Ziel bieten, nämlich durch das Sprachenlernen ein Gefühl europäischer Identität, eine Europabürgerschaft zu festigen, neben unseren anderen Identitäten – unserer individuellen, regionalen und nationalen Identität. Und damit komme ich zu meinen allgemeinen Plänen auf dem Gebiet der Mehrsprachigkeit. Ich bereite für das nächste Jahr eine Mehrsprachigkeitsstrategie vor, die auf drei zentrale Ziele ausgerichtet sein wird. Über das erste Ziel habe ich soeben gesprochen, und es ist auch der Grund, weshalb wir heute hier versammelt sind – die Förderung der kulturellen Dimension der Sprachen, um integrative Gesellschaften aufzubauen und den interkulturellen Dialog zu entwickeln. Ich beabsichtige, das Erlernen aller in der Europäischen Union gesprochenen Sprachen zu fördern, auch der Migrantensprachen. Zweitens bringt die Mehrsprachigkeit nicht nur persönliche Vorteile mit sich. Sie verbessert auch die Wettbewerbsfähigkeit Europas, öffnet Märkte, führt zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen und größeren Beschäftigungschancen für die Bürger, denen sie auch die Möglichkeit eröffnet, sich überall in Europa hinzubegeben, sei es, um zu arbeiten, sei es, um zu studieren. Ich werde mit den Unternehmen zusammenarbeiten und ihnen dabei helfen, herauszufinden, wie sie ihre sprachlichen Kompetenzen weiterentwickeln können, um Zugang zu neuen Märkten zu finden und die Arbeitszufriedenheit zu steigern. Drittens werde ich die Sprachen nutzen, um einen europäischen Raum für den Dialog mit den Bürgern zu schaffen und so sicherzustellen, dass jeder und jede mit den Institutionen in der eigenen Sprache kommunizieren kann und dass allen das Gemeinschaftsrecht in der eigenen Sprache zugänglich ist. Wenn wir über eine Sprachenstrategie sprechen, ist es natürlich wichtig, daran zu erinnern, dass in erster Linie die Mitgliedstaaten für Inhalt und Organisation ihrer Bildungssysteme und für ihre kulturelle und sprachliche Vielfalt verantwortlich sind. Doch arbeitet die Europäische Union eng mit den nationalen Behörden zusammen und ermutigt sie, vorwärtszuschreiten und Gedanken und Wissen über die allen gemeinsamen Ziele auszutauschen. Das Sprachenlernen bietet sich für diese Vorgehensweise natürlich an: schon seinem Wesen nach erfordert es Austausch, und man kann viel lernen, wenn man Erfahrungen mit anderen teilt. 3 Wir haben die Mitgliedstaaten aufgefordert, nationale Pläne mit klaren Zielen für das Erlernen von Sprachen auf allen Ebenen des Bildungswesens und für die Aufwertung der sprachlichen Vielfalt auszuarbeiten: dazu könnten Möglichkeiten für Zuwanderer gehören, die Sprache des Gastlandes zu lernen, aber auch das Lehren von Migrantensprachen. Viele Mitgliedstaaten haben uns ihre nationalen Pläne bereits übermittelt. Die Mitgliedstaaten haben außerdem nationale Strategien für das Jahr des interkulturellen Dialogs entwickelt. So wie wir denken auch viele von ihnen, dass vor allem die jungen Menschen angesprochen werden sollten, und sie schlagen mediale oder pädagogische Aktionen vor. Wir arbeiten aber nicht nur mit den nationalen Behörden zusammen, sondern wir haben auch eigene Programme, die sich direkt an die Bürger, die jungen Menschen in Europa wenden. So fördern wir Studienzeiten im Ausland, den Schüler- und Studentenaustausch, Projekte mit Menschen aus anderen Ländern, anderen Kulturen innerhalb und außerhalb Europas (Erasmus, Jugend in Aktion, Europa für Bürgerinnen und Bürger usw.). Im laufenden und im nächsten Jahr werden wir Projekten den Vorzug geben, die in all diesen Programmen interkulturelle Verbindungen herstellen. Lassen Sie mich abschließend auf die Hoffnungen zurückkommen, die ich mit dieser Gruppe verbinde. Ihr Beitrag ist nicht zuletzt darum wertvoll, weil er anders ist! Ihr Blickwinkel ist unabhängig und zweifellos auch unter Ihnen vom einen zum anderen unterschiedlich. Sie verfügen über große persönliche Erfahrung, was das Leben mit unterschiedlichen Kulturen, das Nachdenken über Kultur und Multikulturalität angeht. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Vorschläge und Empfehlungen, wie die Sprachen den interkulturellen Dialog und das wechselseitige Verständnis in der Europäischen Union fördern können. Ich hoffe auch auf Ihren Ratschlag in der Frage, wie ein Handlungsrahmen für die Zeit nach 2008 abzustecken wäre, damit die Integration durch Förderung der mehrsprachigen intellektuellen Debatte in Europa gestärkt werden kann. Noch einmal herzlichen Dank, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind! Vor einer solchen Gruppe renommierter Intellektueller aus ganz Europa kann ich nur voller Zuversicht den Ergebnissen Ihrer Debatten während der drei Brüsseler Sitzungen entgegenblicken. Und jetzt gebe ich mit großer Freude Herrn Amin Maalouf das Wort, dem berühmten Schriftsteller mit libanesischer und französischer Staatsangehörigkeit, Autor eines Dutzends Bücher, die in 40 Sprachen übersetzt wurden. Ich bin ihm sehr dankbar, dass er bereit ist, den Vorsitz in dieser Gruppe zu übernehmen. Bitte sehr, Herr Maalouf, Sie haben das Wort. 4