Untersuchungen zur Bestimmung der Fehlidentifikationsraten von Leptonen im ATLAS-Experiment MASTERARBEIT eingereicht an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät I Humboldt-Universität zu Berlin von Sebastian Beumler geb. am 15.08.1985 in Ebersberg Gutachter: 1. Prof. Dr. Thomas Lohse 2. Dr. Martin zur Nedden eingereicht am: 20.12.2010 Zusammenfassung Elektronen und Myonen stellen eine fundamentale Säule für eine Vielzahl physikalischer Analysen dar, die im Rahmen des ATLAS-Experiments durchgeführt werden. Ein präzises Verständnis von Fehlidentifikationen dieser Leptonen ist für eine Abschätzung systematischer Messunsicherheiten unabdingbar. Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der Bestimmung dieser Fehlidentifikationsraten. Studien simulierter pp-Kollisionen zeigen, dass Pionen, Protonen und Kaonen den dominanten Anteil der Teilchen stellen, die für Fehlidentifikationen von geladenen Leptonen in Frage kommen. Es wird ein Weg aufgezeigt, fehlidentifizierte Leptonen über eine rein datenbasierte Analyse sichtbar zu machen. Hierfür werden durch die Rekonstruktion der Zerfälle K0s → π+ π− sowie Λ → pπ hochreine Samples von Pionen und Protonen bereitgestellt, um die Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten dieser Teilchen in Abhängigkeit von Transversalimpuls, Pseudorapidität und einem Isolationskriterium zu messen. Die Aufnahme der Fehlidentifikationsraten von Elektronen und Myonen gelingt durch die Verwendung von MonteCarlo-Simulationen für die relativen Häufigkeiten der beteiligten Teilchen. Die Fehlidentifikationsraten von Elektronen und Myonen werden bei einer integrierten Luminosität von 2 pb−1 und einer Schwerpunktsenergie von 7 TeV für Transversalimpulse bis 10 GeV gemessen. Für die Zukunft, in der größere Datenmengen bereitstehen werden, scheint die Bestimmung der Raten für Transversalimpulse bis 100 GeV realistisch. Abstract Electrons and muons play a very important role in many ongoing physics analyses at the ATLAS experiment. Therefore, a deep understanding of leptonic fake rates is a crucial aspect in estimating systematic uncertainties. This thesis deals with the determination of the fake rates. Studies of simulated pp-collisions indicate that pions, protons and kaons most probably provide the particles that could be misidentified as charged leptons. A data-driven method is presented on how to select falsely reconstructed leptons. The reconstruction of decays of K0s → π+ π− as well as Λ → pπ provide very pure samples of pions and protons that can be used to measure the misidentification probability dependent on transverse momentum, pseudorapidity and an isolation criterion. The determination of the leptonic fake rate requires the use of Monte Carlo simulations to optain the relative abundances of the particles in question. Fake rates for electrons and muons are measured for an integrated luminosity of 2 pb−1 at a centre-of-mass energy of 7 GeV to an upper limit for the transverse momentum of 10 GeV. Due to the increase in data being collected, determining fake rates for transverse momenta up to 100 GeV seems realistic. Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 1 2. Grundlagen 3 2.1. Prozesse am LHC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. QCD und Hadronisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3. Schwache Zerfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der ATLAS-Detektor am Large Hadron Collider 3.1. Der Large Hadron Collider . . 3.2. Der ATLAS-Detektor . . . . . 3.2.1. Der Innere Detektor . 3.2.2. Das Kalorimetersystem 3.2.3. Das Myonspektrometer 3.2.4. Der ATLAS-Trigger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rekonstruktion von Elektronen und Myonen 4.1. 4.2. 4.3. 4.4. Spurrekonstruktion . . Elektronrekonstruktion Elektronklassifikation . Myonrekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 6 7 9 10 12 14 18 18 21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Generelle Methode zur Bestimmung der Fehlidentifikationsraten 21 23 25 27 31 5.1. Definitionen und Begrifflichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 5.2. Allgemeines Schema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 5.3. Der Kinematische Fit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 6. Produktion von Analyse-Samples 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. Die Rekonstruktion von K0s → π+ π− -Zerfällen . . . . . . Die Rekonstruktion von Λ → pπ-Zerfällen . . . . . . . . Identifikation von Kaonen . . . . . . . . . . . . . . . . Übersicht der aus Daten rekonstruierten Teilchensamples 37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fehlidentifikationsraten von Leptonen aus Monte-Carlo-Studien Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten für Pionen und Protonen Relative Häufigkeiten der beteiligten Teilchen . . . . . . . . . . Fehlidentifikationsraten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ergebnisse 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 38 49 51 56 59 59 66 71 74 v Inhaltsverzeichnis 7.5. Untersuchung zur Leptonqualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 8. Zusammenfassung und Ausblick 83 A. Anhang 85 A.1. Verwendete Datensätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 A.2. Mittlere Anzahl von Spuren am Primärvertex . . . . . . . . . . . . . . 86 Literaturverzeichnis 87 Abbildungsverzeichnis 91 Tabellenverzeichnis 93 vi 1. Einleitung Grundlage der modernen Teilchenphysik ist das Standardmodell der Elementarteilchen. Das Standardmodell gehört zu den relativistischen Quantenfeldtheorien und beschreibt die kleinsten uns bekannten Bestandteile der Natur sowie deren Wechselwirkungen und hält dabei experimentellen Tests mit beeindruckender Genauigkeit stand. So leistungsfähig diese Theorie auch ist, beschreibt sie, wie jede physikalische Theorie, doch nur einen Ausschnitt der in der Natur auftretenden Phänomene. Die Grenzen des Standardmodells liefern somit Ansatzpunkte für die Wissenschaft, das gängige Modell zu erweitern und den Bereich einer befriedigenden Beschreibung der Natur sukzessive auszudehnen. Eine fehlende Beschreibung dunkler Energie und dunkler Materie, die große Anzahl von mindestens 18 freien Parametern, eine fehlende Möglichkeit zur Vereinheitlichung der Grundkräfte bei hohen Energien sowie die Abwesenheit einer Beschreibung der gravitativen Wechselwirkung sollen hier Beispiele für die Unzulänglichkeiten des Standardmodells stellen. Des Weiteren ist ein fundamentaler Kernpunkt des Standardmodells bislang noch unbelegt: Das Higgs-Boson, innerhalb des Standardmodells Grundlage für das Zustandekommen von Teilchenmassen, stellt den letzten verbliebenen Baustein dieser Theorie und entzieht sich bis heute dem experimentellen Nachweis. Mit dem Large Hadron Collider (LHC) am CERN wurde am 10. September 2008 der bisher größte Teilchenbeschleuniger in Betrieb genommen. Der LHC liefert stand heu√ te mit einer Schwerpunktsenergie von s = 7 TeV Proton-Proton-Kollisionen bisher unerreichter Energie und soll mit einer angestrebten Schwerpunktsenergie von 14 TeV eine Brücke bauen zwischen der Physik des Standardmodells und jener, die darüber hinaus geht. Hierbei sollen bereits bekannte Prozesse mit bisher unerreichter Präzision vermessen werden, sowie der Nachweis des Higgs-Bosons und Phänomene jenseits des Standardmodells gelingen, um einen Hinweis auf die Art der Erweiterung der Theorie zu erhalten. Aufgrund der Tatsache, dass es sich beim LHC um einen Hadronenbeschleuniger handelt und Leptonen daher nur über elektromagnetische und schwache Teilchenzerfälle entstehen können, basieren viele physikalische Analysen auf der Existenz von mindestens einem geladenen Lepton im Endzustand. Eine hochreine und effiziente Rekonstruktion geladener Leptonen bildet somit eine fundamentale Grundlage dieser Analysen und eine präzise Vermessung ihrer Rekonstruktionsgüte ist für eine Abschätzung der systematische Fehler unerlässlich. Aus diesem Grund beschäftigt sich diese Arbeit mit der Bestimmung der Fehlidentifikationsraten von Elektronen und Myonen, die am ATLAS-Detektor, einem der vier großen Experimente am LHC, rekonstruiert werden. Die bisherige Bestimmung der Fehlidentifikationsraten von Elektronen und Myonen bei ATLAS basiert im Wesentlichen auf der Auswertung von Monte-Carlo-Simulationen. 1 1. Einleitung Innerhalb dieser Arbeit wird eine Methode vorgestellt, die es erlaubt, als geladene Leptonen fehlidentifizierte Teilchen in gemessenen Daten sichtbar zu machen. Hierbei werden bekannte Teilchenzerfälle wie z.B. K0s → π+ π− mit sehr hoher Reinheit rekonstruiert. Die Identität der auslaufenden Teilchen ist damit bekannt. So lassen sich hochreine Samples von Teilchen erstellen, mit denen anschließend überprüft werden kann, ob sie als Elektronen oder Myonen fehlidentifiziert wurden. Auf diesem Wege lassen sich Stichproben fehlerhaft rekonstruierter Elektronen und Myonen aus Daten erstellen, deren weitergehende Analyse ein tiefergehendes Verständnis für das Zustandekommen von Fehlidentifikationen ermöglichen könnte. Für eine direkte Messung der Fehlidentifikationsraten ist man auf das Häufigkeitsverhältnis der verwendeten Teilchen angewiesen, was im Rahmen dieser Arbeit aus Monte-Carlo-Simulationen ermittelt wurde. Kapitel 2 geht auf die am LHC auftretenden Prozesse ein und gibt einen kurzen Überblick der für diese Arbeit notwendigen physikalischen Grundlagen. Das anschließende Kapitel skizziert den LHC und erläutert den Aufbau und die Funktionsweise des ATLAS-Detektors, dessen gemessene Daten innerhalb dieser Arbeit verwendet wurden. Kapitel 4 erläutert das Prinzip und die Funktionsweise der Rekonstruktionsalgorithmen für die Elektron- und Myonidentifikation, die bei ATLAS verwendet werden und deren Güte innerhalb dieser Arbeit bestimmt wird. Das hierfür notwendige Konzept sowie die verwendeten Hilfsmittel werden in Kap. 5 vorgestellt. Kapitel 6 beschäftigt sich mit der Rekonstruktion der Teilchen, die auf Fehlidentifikationen als Elektronen und Myonen hin untersucht werden. Hierbei wird insbesondere auf die erzielte Reinheit der Rekonstruktion eingegangen. Die auf diesem Wege aus Daten erzeugten hochreinen Teilchensamples bilden nicht nur die Grundlage für die im Rahmen dieser Arbeit vorgestellte Methode, sie eignen sich ebenso für eine Vielzahl anderer Analysen. Kapitel 7 liefert die erzielten Ergebnisse für die Bestimmung der Fehlidentifikationsraten, bevor im letzten Kapitel eine Zusammenfassung und ein Ausblick gegeben wird, inwiefern sich die Ergebnisse dieser Arbeit verwenden lassen und in welche Richtung weiterführende Studien anzustreben sind. 2 2. Grundlagen In diesem Kapitel werden einige für diese Arbeit nötige Grundlagen geliefert. Zuerst wird auf einige Prozesse am LHC eingegangen. Ein spezielles Beispiel soll hierbei die Notwendigkeit der Kenntnis der Fehlidentifikationsraten von Leptonen zeigen. Anschließend wird der Prozess der Hadronisierung erläutert, der die Grundlage für den Produktionsmechanismus für eine Vielzahl von Teilchen darstellt, die in dieser Arbeit behandelt werden. Zuletzt werden die Zerfallsprozesse instabiler Teilchen beschrieben, welche über die schwache Wechselwirkung vonstatten geht. 2.1. Prozesse am LHC Mit dem LHC hat am 10. September 2008 ein neuer Teilchenbeschleuniger seinen Betrieb aufgenommen, mit welchem bisher unerreichte Energien erzeugt werden. Derzeit werden Protonenstrahlen mit einer Schwerpunktsenergie von 7 TeV zur Kollision gebracht. Eine Vielzahl interessanter physikalischer Fragestellungen soll hierbei durch diese Kollisionen untersucht werden. Das Entdeckungspotential für neue Teilchen, wie zum Beispiel das vom Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagte Higgs-Boson, ist durch dN = L·σ (2.1) dt limitiert wobei dN/dt, die Anzahl produzierter Teilchen pro Zeitintervall und σ den Wirkungsquerschnitt des Produktionsprozesses beschreibt. Die Luminosität ist somit ein Maß für die Ereignisrate und steuert hiermit die Anzahl zu erwartender Teilchen des zu untersuchenden Prozesses während der Datennahme. Der LHC wird mit einer geplanten Luminosität von L = 1034 cm−2 s−1 auch hier einen neuen Rekord aufstellen. Des Weiteren sind die Wirkungsquerschnitte in der Regel energieabhängig. Abbildung 2.1 zeigt den Verlauf ausgewählter Wirkungsquerschnitte mit zunehmender Schwerpunktsenergie. Am LHC kollidieren Protonen mit Protonen1 . Das Proton ist ein Bindungszustand aus Quarks und Gluonen, wobei diese Protonbestandteile zusammenfassend auch als Partonen bezeichnet werden. Der Gesamtimpuls des Protons verteilt sich auf die jeweiligen Partonen, und die entsprechende Wahrscheinlichkeit ein Parton i des Protons mit Impulsbruchteil xi = pi /p zu finden, wird über die Partonverteilungsfunktionen (PDFs) beschrieben. Der Produktionswirkungsquerschnitt eines Teilchens X aus einer Protonenkollision faktorisiert demnach in einen langreichweitigen Anteil aus den PDFs und einen harten Anteil σi j→X aus der Parton-Parton-Wechselwirkung. Die Pro1 Es ist auch ein Betrieb mit Ionen möglich 3 2. Grundlagen Abbildung 2.1.: Ausgewählte Wirkungsquerschnitte als Funktion der Schwerpunkts√ energie s für pp̄- und pp-Kollisionen [1]. duktion kann über √ σpp→X ( s) = XZ 1Z i, j 0 0 1 √ dx1 dx2 fi (x1 , µF ) f j (x2 , µF ) · σi j→X ( ŝ, µR ) (2.2) beschrieben werden, wobei über alle Partonen i und j summiert werden muss. Die Partonverteilungsfunktionen fi hängen hierbei von der verwendeten Faktorisierungsskala µF ab. Der harte Prozess σi j→X hängt von der Renormierungsskala µR und der entsprechenden Schwerpunktsenergie der Partonen ab, die sich aus den Impulsbruchteilen der beteiligten Partonen über ŝ = x1 x2 s zusammensetzt. Aufgrund der Tatsache, dass es sich beim LHC um einen Hadronenbeschleuniger handelt, ist die Produktion von geladenen Hadronen dominant. Geladene Leptonen werden hingegen nur über schwache bzw. elektromagnetische Zerfälle produziert, da sie nicht an der starken Wechselwirkung teilnehmen. Deswegen bilden geladene Leptonen eine fundamentale Säule für 4 2.1. Prozesse am LHC die Rekonstruktion von seltenen Prozessen. Es ist offensichtlich, dass hierbei eine Abschätzung der Fehlidentifikationsraten der verwendeten Leptonen als Bestandteil des systematischen Fehlers zwingend notwendig ist, um Präzisionsmessungen oder Neuentdeckungen abzusichern. Ein Beispiel für jene Notwendigkeit soll hier die Rekonstruktion von Top-Quarks darstellen, insbesonderer solche, die nicht paarweise sondern über die Schwache Wechselwirkung einzeln produziert werden (Single-Top), da diese derzeit das hauptsächliche Forschungsthema der ATLAS-Arbeitsgruppe an der Humboldt-Universität zu Berlin darstellt. Die Produktion einzelner Top-Quarks ist vor allem deswegen interessant, da das Betragsquadrat des Wirkungsquerschnittes direkt proportional zum Element Vtb der Quarkmischungsmatrix ist, die in Kap. 2.3 genauer erläutert wird. Eine direkte Messung des Wirkungsquerschnittes erlaubt somit eine experimentelle Bestimmung dieses Matrixelementes. Im Standardmodell der Teilchenphysik wird Vtb ≈ 1 vorausgesagt, sodass merkliche Abweichungen einen direkten Hinweis auf neue Physik liefern würden, wie etwa neue schwere Eichbosonen, oder die Existenz einer weiteren Teilchenfamilie. Aufgrund der hohen Instabilität des Top-Quarks ist dieses nicht in der Lage, Hadronen zu formen. Es zerfällt nach im Mittel τ = 4 · 10−25 s nahezu immer in ein b-Quark und ein W-Boson. Das b-Quark, beziehungsweise der resultierende b-Jet, kann über verschiedene Verfahren, welche unter dem Stichwort b-tagging bekannt sind, rekonstruiert werden [2]. Das W-Boson hingegen kann sowohl hadronisch, als auch leptonisch zerfallen. Da τ-Leptonen in der Regel kompliziert zu rekonstruieren und durch den bei Hadronenbeschleuniger starken Untergrund durch Jets aus QCD-Ereignissen überlagert sind, beschränkt man sich oft auf die Zerfallskanäle W → lν, wobei hier l für Elektronen und Myonen (sowohl Teilchen, als auch Antiteilchen) und ν für das assoziierte Neutrino steht [3]. Dominanter Produktionskanal für einzelne Top-Quarks am LHC ist der t-Kanal. In führender Ordnung lässt sich die Produktion einzelner Top-Quarks im t-Kanal über folgende Feynmandiagramme beschreiben: q0 q q0 q W t W b b t g b̄ Der Endzustand beinhaltet demnach bei leptonisch zerfallendem W-Boson ein einzelnes Lepton, fehlende transversale Energie durch das Neutrino und mindestens zwei Jets. Hauptuntergrund für diesen Prozess ist durch die Produktion von W-Bosonen plus zusätzlicher Jets sowie der paarweisen Top-Quark-Erzeugung gegeben und gestaltet sich durch den kleinen Wirkungsquerschnitt recht schwierig. Durch die Möglichkeit der 5 2. Grundlagen Fehlidentifikation von geladenen Hadronen als Leptonen öffnet sich damit das Fenster für QCD-Ereignisse als Untergrundmöglichkeit. Zwar ist, gerade bei hochenergetischen Leptonen, wie sie im Zerfall des Top-Quarks auftreten, die Fehlidentifikationsrate von Leptonen durch Hadronen relativ gering, jedoch kann dieses durch den enormen Unterschied der Wirkungsquerschnitte von QCD-Ereignissen gegenüber der Produktion einzelner Top-Quarks kompensiert werden. Die Abschätzung der Größe dieses möglichen Untergrundes kann nur durch ein präzises Verständnis der Fehlidentifikationsraten und ihrer Abhängigkeiten erzielt werden. Hierzu soll diese Arbeit einen Beitrag leisten. 2.2. QCD und Hadronisierung Im Rahmen dieser Arbeit sollen Fehlidentifikationsraten von Leptonen durch geladene Hadronen bestimmt werden. Dieses wird, wie in Kap. 5 genauer erläutert wird, über die Rekonstruktion von speziellen Zerfällen realisiert. Der Typus der entstehenden Tochterteilchen ist dann bekannt und ermöglicht damit eine Analyse des Ergebnisses der Leptonrekonstruktion. Bei den speziellen Zerfällen handelt es sich bei den Mutterteilchen um K0s , Λ, φ und D∗ . Diese Teilchen werden vornehmlich über die starke Wechselwirkung im Zuge der Hadronisierung produziert, sodass die Grundlagen hierfür an dieser Stelle kurz skizziert werden sollen. Die Theorie der starken Wechselwirkung innerhalb des Standardmodells der Teilchenphysik ist die Quantenchromodynamik (QCD). Die QCD ist eine SU(3)-Eichtheorie und beschreibt die Wechselwirkung von Teilchen, die Farbladung tragen. Austauschteilchen dieser Wechselwirkung sind die masselosen Gluonen. Eine Besonderheit der QCD ist, dass sie im Gegensatz zur Quantenelektrodynamik bei großen Abständen r ein nahezu linear anwachsendes Potential [4] besitzt V(r) = Ar − κ r (2.3) und ein auf den ersten Blick eher untypisches Laufen der Kopplungskonstante α s zeigt. Eine Parametrisierung dieses „Laufens“, also der Energieabhängigkeit von α s , findet sich in [5] zu #−1 " (33 − 2N f ) α s (µ) = α s (µ0 ) 1 + α s (µ0 ) ln(µ/µ0 ) . (2.4) 6π N f bezeichnet hierbei die Anzahl der Quark-Flavourzustände (u, d, s, ...) und α s (µ0 ) den Wert von α s an einem gegebenen Referenzpunkt µ0 , welcher in der Regel als die Masse des Z-Bosons (MZ ) gewählt wird. Hieraus folgen zwei besondere Eigenschaften der QCD: das Verschwinden von α s bei hohen Energien, welches als asymptotische Freiheit bezeichnet wird und das lineare Anwachsen der Energie zwischen zwei farbgeladenen Objekten mit zunehmendem Abstand. Die QCD fordert weiterhin, dass keine Farbladungen einzeln auftreten. Dieses als Confinement [6] bezeichnete Phänomen sorgt da- 6 2.3. Schwache Zerfälle für, dass sich einzelne Quarks zu farbneutralen Objekten, den Hadronen, zusammenfügen. Entfernen sich nun zwei erzeugte Quarks voneinander, so sorgt der eben erwähnte Verlauf des Potentials für ein stetiges Anwachsen der Energie, bis diese ausreicht, um weitere Quark-Antiquarkpaare zu erzeugen. Auf diesem Wege entstehen aus den ursprünglich asymptotisch freien Quarks unter Einbezug möglicher Gluonenabstrahlung ganze Teilchenbündel, sogenannte Jets. Das Problem einer präzisen Beschreibung des Hadronisierungsprozesses ist durch Gleichung 2.4 gegeben, da α s mit zunehmendem Abstand, und damit geringer werdender Energie, zunimmt, sodass eine störungstheoretische Berechnung, also eine Entwicklung nach α s , ab einer gewissen Energieskala (α s ≈ 1) nicht mehr möglich ist. Aus diesem Grund haben sich phänomenologische Konzepte wie das Lund-String-Modell [7] o.a. zur Beschreibung der Hadronisierung etabliert. 2.3. Schwache Zerfälle Bei einigen der im Rahmen dieser Arbeit analysierten Teilchenzerfälle handelt es sich um sogenannte schwache Zerfälle. Schwache Zerfälle zeichnen sich in der Regel durch ihren kleinen Wirkungsquerschnitt und durch die große Lebensdauer der zerfallenden Teilchen aus. Typische Werte sind σ = 10−38 cm2 und τ = 10−10 s. Dies ist der Grund, warum schwache Zerfälle normalerweise durch starke oder elektromagnetische Zerfälle überdeckt werden. Im Gegensatz zu diesen Zerfällen erlauben schwache Wechselwirkungen jedoch die Änderung der Flavourquantenzahl. Im Standardmodell gelingt eine vereinheitlichte Formulierung der elektroschwachen Theorie über die SU(2)L x U(1)Y -Eichgruppe. Über spontane Symmetriebrechung [8] erhalten die drei Eichfelder W+ , W− und Z ihre Massen. Die Reichweite der schwachen Wechselwirkung ist durch die Tatsache, dass ihre Austauschteilchen massiv sind, stark begrenzt (r < 10−15 cm). Das bereits erwähnte Phänomen der Flavouränderung wird bei schwachen Prozessen durch die geladenen Ströme W± realisiert. Die Umwandlung des Quarkflavours ist hierbei jedoch nicht eindeutig festgelegt. Die Umwandlung eines uQuarks zum Beispiel gelingt über u → d0 W + ; d0 = Vud d + Vus s + Vub b , (2.5) wobei d0 eine Superposition der Quarks d, s und b beschreibt. Diese Superposition, oder auch Quarkmischung, wird über die CKM-Matrix [9] 0 Vud Vus Vub d d 0 (2.6) s = Vcd Vcs Vcb s 0 Vtd Vts Vtb b L b L beschrieben. Die jeweiligen Matrixelemente gehen direkt in die Kopplungskonstante der Quarks an die W-Bosonen ein, steuern somit also die relative Wahrscheinlichkeit der Umwandlung. 7 2. Grundlagen Im Rahmen dieser Arbeit werden insbesondere die Zerfälle K0s → π+ π− Λ → pπ D0 → Kπ (2.7) (2.8) (2.9) behandelt. Λ und K0s sind seltsame Teilchen, d.h. es kommt beim Zerfall zu einer Umwandlung von s → u. Das D0 hingegen besitzt charm, es kommt demnach zu einem Übergang von c → s. Die hierbei entstehenden W-Bosonen formen bei beiden Umwandlungen die Pionen der Zerfallsprodukte. Die Tatsache, dass die Mutterteilchen bei schwachen Zerfällen über eine sehr lange Lebensdauer verfügen, hilft bei der Rekonstruktion. Durch die lange Lebensdauer entfernen sich die in der Regel sehr schnellen Teilchen recht weit vom Kollisionspunkt, bis es zum Zerfall kommt. Da die Zerfallsprodukte in den hier behandelten Fällen geladen sind, entstehen am Zerfallsort zwei neue Spuren mit gemeinsamem Ursprung, dem Sekundärvertex. Die Spurdichte nimmt mit zunehmender Entfernung vom Kollisionspunkt der Protonen rapide ab, sodass bei Teilchenrekonstruktionen an Sekundärvertices der kombinatorische Untergrund deutlich reduziert ist. 8 3. Der ATLAS-Detektor am Large Hadron Collider Die im Rahmen dieser Arbeit untersuchten Datensätze wurden am ATLAS-Detektor aufgenommen, der einer der vier Detektoren am Large Hadron Collider (LHC) ist. Aus diesem Grund soll im folgenden der LHC und insbesondere der ATLAS-Detektor beschrieben werden. Hierbei wird zu Anfang auf den Beschleuniger eingegangen. Im Anschluss wird der Detektor samt seiner einzelnen Subsysteme skizziert. Eine Beschreibung der verwendeten und im Rahmen dieser Arbeit diskutierten Rekonstruktionsalgorithmen findet sich in Kap. 4. 3.1. Der Large Hadron Collider Der Large Hadron Collider ist ein Teilchenbeschleuniger, der bislang unerreichte Energien und Ereignisraten liefert. Dies ermöglicht eine präzisere Vermessung von bekannten Standardmodellprozessen wie die Produktion schwerer Quarks und Eichbosonen gegenüber den bereits existierenden Teilchenbeschleunigern sowie eine gute Möglichkeit, neue Physik, also Physik jenseits des Standardmodells, zu entdecken. Beispiele hierfür sind die Suche nach dem Higgs-Boson, welches eine Erklärung für das Zustandekommen von Teilchenmassen geben könnte, sowie die Entdeckung von supersymmetrischen Teilchen, die einen hervorragende Kandidaten für Dunkle Materie stellen könnten [10]. Der Large Hadron Collider ist ein Ringbeschleuniger am CERN in der Nähe von Genf, bei dem zwei Protonstrahlen gegenläufig beschleunigt und an ausgewählten Punkten zur Kollision gebracht werden. Er befindet sich im Tunnel des früheren LEP-Beschleunigers ca. 80 bis 100 Meter unter der Erde und hat einen Umfang von nahezu 27 km. 34 −2 −1 Ziel ist der Betrieb mit einer √ instantanen Luminosität von L = 10 cm s und einer Schwerpunktsenergie von s = 14 TeV. Hierbei werden die Protonenstrahlen, die aus maximal 2.800 Protonpaketen von jeweils ca. 1011 Protonen bestehen, mit einer Rate von ungefähr 40 MHz zur Kollision gebracht werden. Die Protonpakete werden dabei durch ein System von 9.300 Magneten auf ihren Bahnen gehalten. Um die dafür notwendigen Feldstärken von mehr als 8,3 T aufzubringen, muss es sich um supraleitende Magnete handeln, die mit Hilfe von flüssigem Helium auf 1,9 K gekühlt werden. Da bei der angestrebten Luminosität mehr als 20 Ereignisse pro Strahlkreuzung auftreten werden, ist mit einer Ereignisrate von ca. 1 GHz zu rechnen. Derzeit läuft der LHC bei einer Schwerpunktsenergie von 7 TeV und einer Luminosität von ca. L = 1031 cm−2 s−1 . An 9 3. Der ATLAS-Detektor am Large Hadron Collider Abbildung 3.1.: Der LHC und seine vier großen Experimente ATLAS, CMS, ALICE und LHCb [11]. Weiterhin ist das SPS zu sehen, welches als Vorbeschleuniger für den LHC fungiert. den vier Kollisionspunkten befinden sich die großen Experimente des LHC: ATLAS, CMS, LHCb und ALICE, zu sehen anhand Abb. 3.1. ATLAS und CMS sind als Allroundexperimente sowohl für die präzise Vermessung von Standardmodellprozessen, als auch für die Suche nach neuer Physik konzipiert. LHCb hingegen befasst sich mit der Physik von b-Quarks und CP-Verletzung, während ALICE für die Analyse des Quark-Gluon-Plasmas optimiert ist. Hierfür ist es beim LHC ebenso möglich, Kollisionen mit schweren Ionen statt mit Protonen durchzuführen. Im Rahmen dieser Arbeit werden Daten ausgewertet, die am LHC in der ersten Hälf31 −2 −1 te des Jahres 2010 mit einer √ instantanen Luminosität von ca. 10 cm s bei einer Schwerpunktsenergie von s = 7 TeV produziert und am ATLAS-Detektor aufgenommen wurden. Deswegen soll im folgenden Abschnitt genauer auf den ATLAS-Detektor eingegangen werden. 3.2. Der ATLAS-Detektor Der ATLAS-Detektor [12] hat eine Länge von 44 m, bei einem Durchmesser von 25 m und einer Masse von 7000 t. Abbildung 3.2 zeigt den Aufbau des ATLAS-Detektors, welcher annähernd zylindersymmetrisch entlang der Strahlachse aufgebaut ist. Man definiert die z-Achse entlang der Strahlachse eines der Protonstrahlen und die x-Achse entlang der Verbindung vom Kollisionspunkt zum Mittelpunkt des LHC-Ringes, sodass 10 3.2. Der ATLAS-Detektor Abbildung 3.2.: Der ATLAS-Detektor im Überblick [13]. Zu sehen sind das Strahlrohr, der Innere Detektor, das Kalorimetersystem sowie das Myonspektrometer. ein rechtwinkliges Koordinatensystem entsteht. Wichtig sind auch der Azimutwinkel φ um die Strahlachse sowie der Polarwinkel θ gegenüber der Strahlachse. Zweckmäßig ist die Einführung der Pseudorapidität η, welche sich direkt aus dem Polarwinkel θ über θ (3.1) 2 berechnen lässt. Sie stimmt für masselose Teilchen mit der Rapidität y überein und ist bis auf eine additive Konstante lorentzinvariant. Abstände in der η-φ-Ebene werden bei ATLAS über p ∆R = ∆η2 + ∆φ2 (3.2) η = − ln tan angegeben. Anforderungen an den ATLAS-Detektor sind: • eine gute Raumwinkelabdeckung • eine hohe Energieauflösung des Kalorimetersystems zur präzisen Energiebestimmung von Elektronen, Photonen und Jets sowie der Rekonstruktion von fehlender transversaler Energie E/ t • eine hohe Spurgenauigkeit des Inneren Detektors zur präzisen Impulsvermessung geladener Teilchen, sowie zur Bestimmung des primären Kollisionsvertex und 11 3. Der ATLAS-Detektor am Large Hadron Collider Abbildung 3.3.: Der Innere Detektor beim ATLAS-Experiment [13] bestehend aus dem Pixeldetektor, dem Siliziumstreifendetektor und dem Übergangsstrahlungsdetektor. der Zerfallsvertices instabiler Teilchen • ein präzises Myonspektrometer zur Identifikation von Myonen und der Vermessung ihrer Impulse • ein schnelles Triggersystem zur Datenselektion Die Erfüllung der genannten Anforderungen gelingt durch einen schalenförmigen Aufbau aus Subdetektoren mit zunehmendem Radius zur Strahlachse, deren Funktionsweise im Folgenden genauer erläutert wird. 3.2.1. Der Innere Detektor Der Innere Detektor (Inner Detector, ID ) befindet sich in einem solenoiden Magnetfeld der Stärke 2 T, welches parallel zur Strahlachse verläuft, und ist in Abb. 3.3 gezeigt. Geladene Teilchen, die sich vom Kollisionspunkt wegbewegen, werden über die Lorentzkraft auf Helixbahnen gezwungen, deren Flächenprojektion in der r-φ-Ebene verläuft. Hierbei beschreibt r den transversalen Abstand zur Strahlachse. Eine präzise und effiziente Rekonstruktion von Teilchentrajektorien und damit auch deren Impuls ist von fundamentaler Wichtigkeit für eine Vielzahl von physikalischen Fragestellungen und stellt ebenso die Basis für die im Rahmen dieser Arbeit angefertigte Analyse dar. Der Innere Detektor bildet durch die Messung von Spurpunkten hierfür die Grundlage. 12 3.2. Der ATLAS-Detektor In einem Abstand von ca. 5 cm zur Strahlachse befindet sich die erste Lage des Siliziumpixeldetektors (Pixel). Der Pixeldetektor besteht aus insgesamt drei Lagen und liefert somit im Mittel drei Spurpunkte für die Rekonstruktion der Teilchentrajektorie. Er gliedert sich in einen Zentralbereich in der Region |η| ≤ 1, 7 und einen Endkappenbereich bei 1, 7 < |η| < 2, 5. Mit einer Auflösung im Zentralbereich von 12 µm in der r-φ-Ebene und 12 µm entlang der z-Achse ist der Pixeldetektor der präziseste der drei Subdetektoren des Inneren Detektors. Die sehr hohe Auflösung ist im Wesentlichen durch die geringe Ausdehnung der ca. 140 Mio. 50 × 400 µm2 kleinen Pixel gegeben. Dieses vermeidet das Zustandekommen von Mehrdeutigkeiten, das zum Beispiel bei Vieldrahtproportionalkammern ein erhebliches Problem darstellt, verursacht jedoch einen enormen Ausleseaufwand, der neben den großen Kosten die Menge an verwendbaren Pixeldetektoren begrenzt. Aufgrund der hohen Auflösung und der geringen Entfernung zum Wechselwirkungspunkt wird eine exzellente Bestimmung der Stoßparameter ermöglicht, welche für die Identifikation von b-Mesonen, oder tau-Leptonen notwendig ist. Ab einem radialen Abstand von r = 30 cm beginnt der zweite Halbleiter-Spurdetektor, der Siliziumstreifendetektor (Semiconductor Tracker, SCT ). Im Gegensatz zum Pixeldetektor werden hier nur noch einzelne Streifen ausgelesen, welches den Ausleseaufwand zwar drastisch reduziert, aber ebenso nur noch die Ermittlung einer eindimensionalen Ortsinformation bedeutet. Der SCT besteht aus einem Zentralbereich bei |η| ≤ 1, 4 und einen Endkappenbereich bei 1, 4 < |η| < 2, 5. Er besitzt im Zentralbereich acht Lagen, bei denen die entlang der z-Achse orientierten Siliziumstreifen in einem relativen Abstand von ca. 80 µm angeordnet sind. Somit ist die Messung der z-Koordinate a priori nicht möglich. Um dieses Problem zu umgehen, sind in jeder Lage zwei SCT-Module unter einem kleinen Stereowinkel von 40 mrad zusammengefasst. Der SCT liefert auf diesem Wege für jedes transmittierende, geladene Teilchen im Mittel vier Raumpunkte mit einer Auflösung von rφ × z = 16 µm × 580 µm. Die äußerste Komponente des Inneren Detektors ist der Übergangsstrahlungsdetektor (Transition Radiation Tracker, TRT ). Der Zentralbereich überdeckt die Region |η| ≤ 0, 7 und der Endkappenbereich 0, 7 < |η| < 2, 5. Beim TRT handelt es sich um ein System aus Driftröhren, die parallel zur Strahlachse in einem radialen Abstand von 56 cm bis 103 cm angeordnet sind. Das verwendete Driftgas ist eine Mischung aus 70% Xe, 20% CO2 und 10% CF4 . Bei der Detektion wird die Tatsache ausgenutzt, dass geladene Teilchen beim Passieren unterschiedlicher Dielektrizitäten Übergangsstrahlung aussenden, deren Intensität proportional und deren Strahlungswinkel antiproportional zum Lorentzfaktor γ ist. Elektronen besitzen gegenüber Pionen, den leichtesten Hadronen, eine 270 mal kleinere Masse und demnach bei gleicher Energie einen deutlich größeren Lorentzfaktor, welches sich somit direkt auf die Intensität der ausgesonderten Übergangsstrahlung auswirkt. Der TRT besitzt einen auf 5 keV eingestellten Diskriminator für die in den Driftröhren deponierte Energie. Wird dieser ausgelöst, so bezeichnet man den dazugehörigen Spurpunkt als einen HT-Hit (high-threshold hit). Im Gegensatz 13 3. Der ATLAS-Detektor am Large Hadron Collider Abbildung 3.4.: Anzahl der HT-Hits des TRT für Pionen und Elektronen der Energie 5 GeV entlang ihrer rekonstruierten Spur [14]. Man erkennt deutlich, dass mit einem Schnitt auf diese Anzahl, Elektronen gut von Pionen separiert werden können, dieses jedoch eine deutliche Erniedrigung der Rekonstruktionseffizienz mit sich bringt. zu Pionen ist der Energieverlust in den Driftröhren oberhalb von 5 keV durch Übergangsstrahlung dominiert. Die Erfordernis von mehreren HT-Hits entlang einer Teilchenspur bietet somit eine gute Möglichkeit, Elektronen von geladenen Hadronen zu unterscheiden, wie anhand Abb. 3.4 zu erkennen ist. Der TRT liefert im Zentralbereich im Mittel 36 und damit die meisten Spurpunkte für die Spurrekonstruktion. Die Auflösung ist mit σrφ = 170 µm jedoch deutlich schlechter als bei den Halbleiterdetektoren. Des Weiteren ist die Messung der z-Koordinate beim TRT im Zentralbereich nicht mehr möglich. Der Innere Detektor deckt einen Bereich von |η| ≤ 2, 5 ab, was einem Winkelbereich von ca. 9,4 ◦ zur Strahlachse entspricht. Die von den einzelnen Subdetektoren des Inneren Detektors aufgenommenen Spurpunkte werden anschließend zu Teilchentrajektorien rekonstruiert. Eine genauere Beschreibung sowie Informationen zur Impulsauflösung wird in Abschnitt 4.1 geliefert. 3.2.2. Das Kalorimetersystem Außerhalb des Inneren Detektor befindet sich das ATLAS-Kalorimetersystem, zu sehen anhand Abb. 3.5. Das Kalorimetersystem ist für die Energiebestimmung von Teilchen zuständig und gliedert sich in zwei separate Teile: das elektromagnetische Kalorimeter 14 3.2. Der ATLAS-Detektor (electromagnetic calorimeter, ECAL), gefolgt vom hadronischen Kalorimeter (hadronic calorimeter, HCAL). Elektronen und Photonen verlieren ihre Energie im Wesentlichen unter Aussendung von Bremsstrahlung und deren anschließender Paarerzeugung. Die so entstehenden Sekundärelektronen und -photonen zeigen dieses Verhalten ebenso, sodass auf diesem Wege eine Lawinenausbreitung von Sekundärteilchen entsteht; es bildet sich ein Teilchenschauer. Eine mögliche Beschreibung der Schauerbildung lässt sich realisieren, indem man annimmt, dass die Schauerbildung bis zu einer kritischen Energie fortschreitet, unterhalb der die Teilchen keine Bremsstrahlung mehr erzeugen. Der weitere Energieverlust erfolgt dann nur noch durch Ionisation gemäß Bethe-Bloch. beschreibt hierbei die Energie, bei der Verluste durch Ionisation denen durch Bremsstrahlung entsprechen; es gilt somit (dE/dx)Brems = (dE/dx)Ion . Der Energieverlust des aufschauernden Teilchens verläuft exponentiell, wobei die Strahlungslänge X0 die Länge beschreibt, nach dem die ursprüngliche Energie auf den Anteil 1/e gefallen ist. Eine Abschätzung der Strahlungslänge gelingt über [15] ! 287 1 2 NA = 4αre Z(Z + 1) ln √ , (3.3) X0 A Z wobei α die Feinstrukturkonstante, re den klassischen Elektronenradius, NA die Avogadro-Konstante, A die Atommasse und Z die Kernladungszahl des Detektormaterials beschreiben. Die Strahlungslänge ist eine materialabhängige Konstante und somit eine das Kalorimeter charakterisierende Größe. Abschätzungen von longitudinalen und lateralen Schauerlängen gelingen über xmax = (ln E/ − 1)X0 , xmed = (ln E/ + 0, 4)X0 , RM = 0, 021 GeV · X0 /. (3.4) (3.5) (3.6) Hierbei steht xmax für die Länge, nach der das Schauermaximum und xmed für die Länge, nach der der Schauermedian, also E(xmed ) = 0, 5 · E(0), erreicht ist. Eine Beschreibung der lateralen Schauerlänge geschieht über den Moliere-Radius RM , der per Definition 90% der Schauerenergie enthält. Das elektromagnetische Kalorimeter bei ATLAS ist als ein Sandwichkalorimeter konstruiert, d.h., dass sich Schichten aus Absorbermaterial für die Schauerentwicklung und Schichten mit einem Nachweismedium abwechseln. Das elektromagnetische Kalorimeter besteht im Zentralbereich, der einen Bereich |η| ≤ 1, 475 abdeckt, aus 1,5 mm dünnen Bleiplatten [13] und aus 2,1 mm dünnen Schichten mit flüssigem Argon [12] als Nachweismedium. Die einzelnen Schichten sind so angeordnet, dass sich eine Akkordeonstruktur ergibt, welche ein Verschwinden von Teilchen in Spalten zwischen den Kalorimeterzellen verhindert. Aufgrund der Tatsache, dass neutrale, schwach wechselwirkende Teilchen nur über fehlende transversale Energie nachgewiesen werden können und für die Unterscheidung von Photonen und neutralen Pionen anhand des Schauerprofils, ist eine hohe Granularität von Nöten. 15 3. Der ATLAS-Detektor am Large Hadron Collider Abbildung 3.5.: Das Kalorimetersystem des ATLAS-Detektors [13]. Zu sehen ist das elektromagnetische LAr-Kalorimeter in gelb, sowie das hadronische Kalorimeter in grau. Beide Kalorimeterteile gliedern sich in einen Zentral- und Endkappenbereich. Das elektromagnetische Kalorimeter erreicht eine mittlere Granularität von ∆η × ∆φ = 0, 025 × 0, 025. Mit mehr als 24 Strahlungslängen X0 ist hierbei die totale Absorption von elektromagnetischen Partikeln weitestgehend gewährleistet, wobei Energieverluste durch den Inneren Detektor und passivem Material durch einen Presampler korrigiert werden [16]. Aus den relativen Anteilen von flüssigem Argon und Blei lässt sich durch ein gewichtetes Mittel die Strahlungslänge berechnen. Für den Zentralbereich ergibt sich X0 ≈ 1, 26 cm. Das Elektromagnetische Kalorimeter lässt eine Energiebestimmung im Bereich |η| ≤ 3, 2 zu, deren Energieauflösung sich über r 72, 93 σE = 10−2 · 0, 25 + (3.7) E [GeV] E [GeV] parametrisieren lässt[12]. Hadronen verlieren ihre Energie nicht primär über Bremsstrahlung, sondern über inelastische, starke Wechselwirkung mit den Atomkernen des Absorbermaterials. Im Gegensatz zu elektromagnetischen Schauern, bei denen nahezu die gesamte Energie im Nachweismedium deponiert wird, ist der Nachweis im hadronischen Kalorimeter komplizierter. Ein Teil der zu messenden Energie geht in Prozessen verloren, die vom Kalorimeter nicht erkannt werden können. Beispiele hierfür sind Anregungen der Atomkerne oder deren Spaltung, sowie die Produktion von langsamen Neutronen, Neutrinos und Myonen in bestimmten Reaktionen, die im hadronischen Kalorimeter nicht vermessen 16 3.2. Der ATLAS-Detektor werden können. Im Mittel ist somit die gemessene Energie hadronischer Schauer um ca. 20% kleiner als die elektromagnetischer, welches korrigiert werden muss. Des Weiteren entstehen bei der hadronischen Schauerentwicklung durch die starke Wechselwirkung hauptsächlich Pionen, von denen ca. ein Drittel ungeladen ist. Neutrale Pionen zerfallen bevorzugt über π0 → γγ in zwei Photonen, sodass hadronische Schauer zudem eine nicht zu vernachlässigende elektromagnetische Komponente besitzen. Der Anteil der auf diesem Wege deponierten elektromagnetischen Energie lässt sich über fem ≈ 0, 12 ln E [GeV] (3.8) abschätzen [17]. Der hadronische Energieverlust wird, analog zum elektromagnetischen, über die hadronische Wechselwirkungslänge λ beschrieben, nach der die ursprüngliche Energie auf den Anteil 1/e gefallen ist. Die charakteristischen Schauerlängen lassen sich über xmax = (0, 7 + 0, 2 ln E [GeV]) λ xmed = (0, 82 + 0, 23 ln E [GeV]) λ RM ≈ λ (3.9) (3.10) (3.11) abschätzen [15, 17]. Das hadronische Kalorimeter bei ATLAS ist ebenfalls ein Sandwichkalorimeter und besteht aus drei Teilen: dem Plattenkalorimeter (hadronic tile calorimeter) bis |η| ≤ 1, 7, dem Endkappenkalorimeter (hadronic endcap calorimeter, HEC) zwischen 1, 5 ≤ |η| ≤ 3, 2 und dem Vorwärtskalorimeter (hadronic forward calorimeter FCAL) mit 3, 2 ≤ |η| ≤ 4, 9. Im Zentralbereich besteht das Plattenkalorimeter aus 4–5 mm dünnen Eisenplatten für die Schauerentwicklung und als Auslesemedium wird ein Plastikszintillator mit 3 mm Schichtdicke verwendet. Im Endkappenbereich hingegen kommen Kupferplatten und flüssiges Argon zum Einsatz. Im Zentralbereich hat das hadronische Plattenkalorimeter eine Granularität von ∆η × ∆φ = 0, 1 × 0, 1, eine totale Länge von mehr als 9,2 hadronischen Wechselwirkungslängen λ und eine Energieauflösung [12] von ca. r 4879 3, 24 σE = 10−2 · 10, 89 + + 2 . (3.12) E E E Aufgrund der Tatsache, dass hadronische Wechselwirkungslängen in der Regel deutlich größer als die elektromagnetischen Strahlungslängen sind, zeigen hadronische Schauer größere Ausdehnungen als elektromagnetische. Für das hadronische Kalorimeter ergibt sich eine mittlere Wechselwirkungslänge von ca. λ = 22, 02 cm. Im Rahmen dieser Arbeit sind insbesondere solche Hadronen interessant, die den Großteil ihrer Energie im elektromagnetischen Kalorimeter des ATLAS-Detektors deponieren und somit als Elektronen fehlidentifiziert werden können. Die hadronische Wechselwirkungslänge im elektromagnetischen Kalorimeter beträgt dabei ca. λEM = 31, 70 cm. Des Weiteren bleibt zu bemerken, dass das hadronische Kalorimeter mit 9λ eine deut- 17 3. Der ATLAS-Detektor am Large Hadron Collider lich kürzere relative Länge als das elektromagnetische besitzt (24X0 ). Dies ermöglicht bei hohen Energien das Durchdringen von Hadronen in die Myonkammern. 3.2.3. Das Myonspektrometer Den äußersten und mit Abstand größten Teil des ATLAS-Detektors bildet das Myonspektrometer, welches im Wesentlichen wieder einen Spurdetektor darstellt. Myonen sind minimal ionisierende Teilchen und durchqueren in der Regel das Kalorimetersystem, während alle anderen geladenen Teilchen dort absorbiert werden. So gelingt über das Ausschlussverfahren der Myonnachweis. Das Myonsystem ermöglicht die Impulsbestimmung innerhalb des Bereichs |η| ≤ 2, 7. Das hierfür notwendige Magnetfeld hat eine Stärke von ca. 4 T und verläuft in toroidaler Richtung, sodass die geladenen Myonen auf Helixbahnen gezwungen werden, deren Flächenprojektion einen Kreis in der r-z-Ebene darstellt. Die Impulsmessung gelingt im Zentralbereich über die Monitored Drift Tubes (MDT), ein Driftröhrensystem, das mit einer Driftgaszusammensetzung von 93% Ar und 7% C02 bei einem Druck von 3 bar arbeitet und aus 6-8 Lagen zylinderförmiger Driftröhren mit einem Durchmesser von jeweils 30 mm besteht. Die MDTs erreichen hierbei eine Ortsauflösung pro Draht von ca 80 µm [12]. Bei den MDTs handelt es sich um hochpräzise Detektorkomponenten, deren Drähte und Röhren mit einer Genauigkeit von 20 µm platziert werden. Dementsprechend empfindlich reagieren die MDTs auf Deformierungen, wie sie z.B. durch thermische Schwankungen entstehen. Aus diesem Grund beinhalten die MDTs ein eigenes Alignment-System, mit welchem sich eben genannte Deformierungen online kompensieren lassen. Bei größeren Pseudorapiditäten (2, 0 ≤ |η| ≤ 2, 7) gelingt die Impulsmessung über Vieldrahtproportionalkammern, sogenannte CSCs (Cathode Strip Chambers). Die Vieldrahtproportionalkammern zeigen eine höhere Strahlenhärte und eine bessere Zeitauflösung als Driftröhren, was aufgrund der höheren Teilchenflüsse in Vorwärtsrichtung, also bei großen Pseudorapiditäten, nötig ist. Die CSCs liefern Driftzeiten von weniger als 40 ns und damit eine Zeitauflösung von 4ns pro Drahtebene bei einer Ortsauflösung von ebenfalls 80µm. Nachteil der CSCs ist ihr immenses Gewicht, das bei größeren Aufbauten hohe Anforderungen an die mechanische Trägerkonstruktion stellt. Innerhalb von |η| ≤ 2, 4 befinden sich zudem die Triggerkammern des Myonspektrometers, die Resistive Plate Chambers (RPCs) im Zentralbereich und die Thin Gap Chambers (TGCs) im Endkappenbereich. 3.2.4. Der ATLAS-Trigger Am ATLAS-Detektor sollen höchst seltene physikalische Prozesse untersucht werden, was eine hohe Luminosität erfordert. Aufgrund der Tatsache, dass die meisten stattfindenden Ereignisse physikalisch uninteressant und zudem die Rate, mit der Daten gespeichert werden können, limitiert ist, benötigt der ATLAS-Detektor ein hocheffizientes Triggersystem zur Ereignisselektion. Das ATLAS-Triggersystem setzt sich aus drei Stufen (Levels) zusammen (siehe Abb. 3.6), dem hardwarebasierten Level-1-Trigger 18 3.2. Der ATLAS-Detektor Abbildung 3.6.: Schematische Übersicht des ATLAS-Triggersystems [12]. Zu sehen ist die sukzessive Reduktion der Datenrate anhand des dreistufigen Triggersystems. Eine ursprüngliche Datenrate von ca. 1 GHz wird hierbei auf ca. 100 Hz reduziert. Anschließend werden die verbleibenden Ereignisse innerhalb der vorgesehenen Datenströme gespeichert. (LVL1), dem softwarebasierten Level-2-Trigger (LVL2) und dem Event Filter (EF), wobei die letzten beiden Komponenten zusammenfassend auch als High Level Trigger (HLT) bezeichnet werden. Der LVL-1 Trigger besitzt Komponenten im Kalorimetersystem (L1Calo) und in den Myonkammern (L1Muon). Diese suchen nach Aktivität im Detektor und definieren hierbei sogenannte interessante Regionen (Regions of Interest, RoI). Die so ausgewählten RoIs werden in Auslesespeichern (Readout Buffers, ROBs) zwischengespeichert, bis eine Entscheidung des High Level Triggers vorliegt. Auf diesem Wege ist eine Reduktion der Datenrate von 1 GHz auf 75 kHz möglich, welche von den anschließenden Triggerstufen verarbeitet werden kann. Aufgrund der sehr schnellen Entscheidungsfindung des Level-1-Triggers, kann dieser nicht softwarebasiert sein. Die vom Level-1-Trigger akzeptierte RoI-Information wird anschließend vom Level-2-Trigger auf einfache, schnell zu verarbeitende Muster, wie Grenzen des transversalen Impulses 19 3. Der ATLAS-Detektor am Large Hadron Collider pt oder auf Isolationtionskriterien überprüft, und die Entscheidung für das Weiterleiten der Daten an den EF getroffen. Der Level-2-Trigger schafft eine Reduktion der Datenrate von 75 kHz auf 1 kHz, sodass nun genügend Zeit für die vollständige Rekonstruktion des Ereignisses bleibt. Nach der Rekonstruktion wird anschließend im EF anhand verschiedener Kriterien entschieden, ob das Ereignis verworfen oder dauerhaft auf den hierfür vorgesehenen Festplatten gespeichert und zur Analyse bereitgestellt wird. Bei ATLAS existieren fünf verschiedene Datenströme („Egamma“, „muon“, „minbias“, „B-physics“ und „Jet-Tau“) in denen die Ereignisse, jeh nach verwendetem Trigger, gespeichert werden. Im Rahmen dieser Arbeit wurden Daten der Periode F ausgewertet, die innerhalb des Egamma-Datenstroms, bei dem insbesondere auf Aktivität im Elektromagnetischen Kalorimeter selektiert wird, gespeichert wurden. 20 4. Rekonstruktion von Elektronen und Myonen Ziel dieser Arbeit ist die direkte Bestimmung der Fehlidentifikationsraten von Leptonen über die Rekonstruktion jener Teilchen, die für Fehlidentifikationen in Frage kommen. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle eine kleine Übersicht über die Leptonrekonstruktion beim ATLAS-Experiment gegeben werden. Hierbei stellt die Spurrekonstruktion nicht nur eine fundamentale Säule für die Leptonrekonstruktion dar, sondern ist zudem auch Grundlage für die Rekonstruktion der eben erwähnten Teilchen, da, wie in Kap. 6 genauer beschrieben wird, die gesamte Zerfallsrekonstruktion rein spurbasiert ist. Die Beschreibung der entsprechenden Rekonstruktionsverfahren ist zu großen Teilen [18] entnommen. 4.1. Spurrekonstruktion Sowohl der Innere Detektor als auch das Myonspektrometer befinden sich jeweils in einem Magnetfeld. Die Spurpunkte, die über diese Detektoren aufgenommen werden, bieten damit die Möglichkeit, bei Kenntnis der theoretischen Bahnkurve, die tatsächliche Trajektorie im Rahmen der Messgenauigkeit zu rekonstruieren. ~ werden geladene Teilchen innerhalb des Aufgrund der Lorentzkraft d~p/dt = q~v × B ~ Magnetfeldes B auf eine Helixbahn gezwungen. Die Bewegungsgleichung hierfür ergibt sich zu d2 ~x q d~x ~ = · × B(~x) (4.1) ds2 p ds mit der Nebenbedingung d~x ds !2 = 1, (4.2) wobei s(t) die Parametrisierung der Trajektorie mit v = const. = ds/dt beschreibt. Die Lösung von Glg. 4.1 findet sich in [15] und hat sechs freie Parameter, von denen sich einer über Glg. 4.2 eliminieren lässt. Bei ATLAS lassen sich im Inneren Detektor Spuren mit einem transversalen Impuls von pt ≥ 0, 5 GeV innerhalb von |η| ≤ 2, 5 rekonstruieren. Die Rekonstruktion verläuft hierbei in drei Phasen [19]: 21 4. Rekonstruktion von Elektronen und Myonen Abbildung 4.1.: Schematische Übersicht der Helixparameter rekonstruierter Spuren [23]. Zu sehen sind vier der fünf freien Parameter d0 , z0 , φ0 und θ0 , die sich auf den Referenzpunkt P beziehen. Der verbleibende Parameter ist q/p. 1. In der ersten Phase werden die Rohdaten aus den einzelnen Detektorkomponenten in Spurpunkte umgewandelt. Die Spurpunkte bestimmen sich hierbei aus den Treffern in den Halbleiterdetektoren und aus den Driftradien des TRT [20]. 2. In der zweiten Phase werden aus den Spurpunkten der Halbleiterdetektoren Spursegmente als Ursprung möglicher Spuren gebildet. Anschließend werden auf diese Segmente bestimmte Qualitätsschnitte angewendet. Ein Beispiel hierfür ist die Anzahl der Fehlstellen, die sich aus der Differenz von gemessenen zu erwarteten Spurpunkten ergibt. Ein Spurpunkt wird immer dann erwartet, wenn ein Segment durch eine Detektorkomponente verläuft. Die so gefundenen Segmente werden nun zum TRT verlängert und mit den Spurpunkten des TRT verglichen. Zuletzt wird die so gefundene Spur mit der Information aller Detektorkomponenten neu gefittet. 3. In der letzten Phase werden aus den gefundenen Spuren über eine Vertexrekonstruktionssoftware mögliche Vertices konstruiert [21, 22] und die in Phase 2 gefundenen Spuren mit der Vertexposition als weiterem Spurpunkt neu gefittet. Wie zu Anfang erwähnt, reichen fünf Parameter, um die komplette Spur zu beschreiben. Die in ATLAS rekonstruierten Spuren werden über die folgenden Parameter gespeichert, welche sich auf den Punkt der größten Annäherung (Point of Closest Approach, PCA) gegenüber einem variablen Referenzpunkt beziehen. Letzterer ist für allgemeine Spuren der Koordinatenursprung des ATLAS-Koordinatensystems (0,0,0) und für Spuren mit assoziiertem Vertex die Position des Vertex. Die Parameter sind [24, 25]: 22 4.2. Elektronrekonstruktion • d0 : beschreibt den radialen Abstand des PCA gegenüber der Strahlachse. Dieser ist vorzeichenbehaftet [20] und das Vorzeichen berechnet sich über sign d0 = sign d~ · ( ~p × ~ez ) , wobei sich d~ = ~xRef − ~xPCA aus der Verbindung des variablen Referenzpunkts ~xRef zum PCA ergibt. • z0 : beschreibt die z-Koordinate des PCA. • φ0 : ist der Azimutwinkel des rekonstruierten Impulses am PCA, gemessen in [−π, π]. • θ0 : ist der Polarwinkel des rekonstruierten Impulses am PCA, gemessen in [0, π]. • q/p: die Ladung gegenüber dem Betrag des rekonstruiertem Impulses am PCA. Zu beachten ist, dass bei ATLAS, entgegen der üblichen Konvention, der Betrag des Gesamtimpuls |p| statt des Transversalimpulses |pt | wendet wird. Eine Abschätzung für die Impulsauflösung der in den einzelnen Subdetektoren gemessenen Spursegmenten gelingt über die Glückstern-Formel [17] r σrφ σ pt pt 720 · . (4.3) = pt 0.3 (L · sin Θ)2 N + 4 σrφ steht hierbei für die Ortsauflösung der jeweiligen Detektorkomponente, L für die Länge der gemessenen Spur und N für die Anzahl der Spurpunkte. Anmerkungen zu σrφ und N der einzelnen Detektorkomponenten wurden bereits in Kap. 3 gemacht. Die Spuren des Inneren Detektors zeigen eine Impulsauflösung [13] von s !2 44 GeV 1 0, 34 ; (4.4) σ( ) = 1+ pt TeV pt die Spuren der Myonkammern eine Impulsauflösung [12] von v t 13 GeV 2 1 1 2 . (0, 36) + √ σ( ) = pt TeV pt sin θ (4.5) 4.2. Elektronrekonstruktion Spuren und rekonstruierte Cluster aus dem elektromagnetischen Kalorimeter bilden die fundamentalen Bausteine für die Elektronrekonstruktion. Die Cluster werden über die aufsummierte Energie benachbarter Kalorimeterzellen gebildet. Hierbei wird innerhalb eines Suchfensters Nη × Nφ (Sliding-Window-Algorithmus [26]) variabler Anzahl an Kalorimeterzellen die deponierte Energie aufsummiert (es werden Tower gebildet). In 23 4. Rekonstruktion von Elektronen und Myonen Abbildung 4.2.: Rekonstruktionseffizienz von High-Pt -Elektronen aus Z → e+ e− Zerfällen [27] in Abhängigkeit der Pseudorapidität η und der Transversalenergie Et , bestimmt über die „Tag and Probe“ -Methode [28] und aus der wahren Information in Monte-Carlo-Ereignissen. einem zweiten Schritt wird die Position des Suchfenster leicht variiert, um den Schwerpunkt des Clusters in den Schwerpunkt des Suchfensters zu bringen. Hierbei wird geschaut, ob sich durch Variation der Position des Suchfensters, die im Inneren deponierte Energie erhöhen lässt. Der gefundene Cluster wird behalten, wenn die Towerenergie den vorgegeben Mindestwert von 1 GeV überschreitet. Lässt sich den Clustern ebenfalls eine Spur zuordnen, so bildet diese Kombination einen Elektronkandidaten, bei fehlender Spur einen Photonkandidaten. Bei der ATLAS-Software existieren zwei unterschiedliche Algorithmen zur Elektronrekonstruktion, ein Standardalgorithmus (High-Pt ) für die Rekonstruktion hochenergetischer Elektronen und einer, der für niederenergetische Elektronen optimiert ist (Soft). Der High-Pt -Algorithmus [27], der auch kalorimeterbasierter Rekonstruktionsalgorithmus genannt wird, beginnt bei den Clustern, zu denen dann in einem zweiten Schritt zugehörige Spuren assoziiert werden. Den Startpunkt bilden Cluster mit einer transversalen Energie von Et ≥ 1 GeV aus dem elektromagnetischem Kalorimeter. Diese werden aus der mittleren Lage durch Aufsummieren der deponierten Energie innerhalb von 3×7 Kalorimeterzellen im Zentralbereich gebildet (entspricht ∆η × ∆φ = 0, 075 × 0, 175). Im Endkappenbereich wird hierbei über 5 × 5 Zellen gesammelt. Hierzu werden anschließend passende Spuren gesucht. Akzeptierte Spuren passen nach Extrapolation zum elektromagnetischen Kalorimeter innerhalb eines Fensters in der η-φ-Ebene von ∆η × ∆φ = 0, 05 × 0, 10 zum jeweiligen Cluster. Das Verhältnis von deponierter Energie im Cluster zum rekonstruierten Impuls der Spur darf hierbei den Maximalwert E/p ≤ 10 nicht überschreiten. Die Effizienz für die auf diesem Wege rekonstruierten Elektronen ist, abhängig von pt und η, in Abb. 4.2 gezeigt. 24 4.3. Elektronklassifikation Der Soft-Algorithmus [29], auch spurbasierter Rekonstruktionsalgorithmus genannt, beginnt im Gegensatz zum High-Pt -Algorithmus bei den rekonstruierten Spuren. Diese müssen einen Transversalimpuls von mindestens 0,5 GeV besitzen und sich innerhalb von |η| ≤ 2, 0 befinden. Des Weiteren werden mindestens neun Spurpunkte aus den in Abschnitt 3.2.1 beschriebenen Halbleiterdetektoren verlangt, von denen mindestens zwei aus dem Pixeldetektor kommen müssen. Aufgrund der in Abschnitt 3.2.1 bereits beschriebenen Möglichkeit zur Elektronidentifizierung innerhalb des TRT verlangt der Soft-Algorithmus zudem mehr als 20 Treffer aus dem TRT, von denen mindestens einer ein hochenergetischer Treffer (HT-Hit) sein muss. Spuren, die diese Selektionskriterien erfüllen, werden anschließend zur mittleren Lage des elektromagnetischen Kalorimeters extrapoliert. Hier werden Cluster aus 3 × 5 Zellen (entspricht ∆η × ∆φ = 0, 075 × 0, 125) im Zentralbereich und aus 5 × 5 Zellen (entspricht ∆η × ∆φ = 0, 125 × 0, 125) im Endkappenbereich gebildet. Zugehörige Cluster werden akzeptiert, wenn das Maximum der deponierten Energie innerhalb von ∆η×∆φ = 0, 075×0, 075 zur extrapolierten Spur passt. Um Fehlidentifizierungen durch Jets vorzubeugen, werden noch folgende Anforderungen an die Schauervariablen verlangt: E1 (core)/E > 0, 03, E3 (core)/E < 0, 5 und E/p > 0, 7, wobei hier E1 (core) und E3 (core) die Energie des Schauerkerns in der ersten, bzw. dritten Lage beschreibt. Der Schauerkern ist durch alle Kalorimeterzellen gegeben, die nicht weiter als drei Zellen vom Schauermaximum entfernt sind (siehe hierzu nächsten Abschnitt). E/p meint das Verhältnis von Clusterenergie aus dem Kalorimeter zum gemessenen Impuls der Spur. 4.3. Elektronklassifikation Auf die in Abschnitt 4.2 eingeführte Methode zur Elektronrekonstruktion können nun weitere Schnitte angewendet werden, um ihre Reinheit zu erhöhen [27]. Mit zunehmenden Schnitten verbessert sich die Reinheit, wobei sich die Rekonstruktionseffizienz verschlechtert. Bei ATLAS haben sich im Wesentlichen drei Klassen von Schnitten durchgesetzt. Der Benutzer legt auf diese Weise mit der Wahl der Elektronenklassifizierung fest, welches Verhältnis von Reinheit zu Effizienz für die Analyse verwendet werden soll. Im folgenden sollen die entsprechenden Schnitte erklärt, sowie einige wichtige Parameter erläutert werden, die im späteren Verlauf der Arbeit verwendet werden. Loose-Schnitte: Eine erste Verbesserung der Reinheit gelingt unter anderem über verschiedene Schnitte auf die Schauerform. Aufgrund der Tatsache, dass Hadronen im Mittel deutlich breitere Schauer als elektromagnetische Teilchen auslösen, existieren verschiedene Parameter, die die Schauerbreite beschreiben und auf diesem Wege Schnitte ermöglichen, um den hadronischen Untergrund zu unterdrücken. Der Parameter e237 entspricht der unkalibrierten Energie aus 3 × 7 Kalorimeterzellen; e277 analog aus 7 × 7 25 4. Rekonstruktion von Elektronen und Myonen Kalorimeterzellen. Eine Beschreibung der Schauerbreite gelingt nun über die Variablen e237 , e277 sP !2 P 2 i E i · ηi i E i · ηi P P − . = ( i Ei i Ei Rη37 = (4.6) Wη2 (4.7) Ei und ηi beziehen sich hierbei auf die Kalorimeterzellen und als typische Schnittwerte haben sich im Mittel e277 ≥ 0, Rη37 ≥ 0, 9 und Wη2 ≤ 0, 014 als nützlich erwiesen. Da elektromagnetische Teilchen in der Regel im elektromagnetischen Kalorimeter komplett absorbiert werden, betrachte man zudem den hadronischen Verlust (Hadronic Leakage), der sich aus dem Quotienten der in der ersten Kalorimeterschicht des hadronischen Kalorimeters deponierten Energie Et, had1 und der Elektronenergie ergibt; in der Regel wird ein Verlustanteil kleiner 0,03 verlangt. Des Weiteren müssen für die Elektronrekonstruktion nur Cluster ausgewertet werden, die im Akzeptanzbereich des Inneren Detektors liegen, also wird zudem auf |η| ≤ 2, 47 geschnitten. Medium-Schnitte: Die Medium-Schnitte beinhalten die bereits erwähnten Loose-Schnitte. Eine Aufgabe der Medium-Schnitte ist es unter anderem, den Untergrund durch π0 zu verringern. π0 -Mesonen zerfallen zu ca. 98,8 % in zwei Photonen, die anschließend im elektromagnetischen Kalorimeter absorbiert werden. Daher ist die Strategie, den dem Elektron zugeordneten Cluster auf eine Substruktur mit zwei Maxima zu untersuchen. Zuerst wird die Kalorimeterzelle des Clusters mit der größten Energie innerhalb der ersten Lage des elektromagnetischen Kalorimeters gesucht und überprüft, ob das Verhältnis von Zellenenergie zur Gesamtenergie groß genug ist (∆Emax, s1 ). Innerhalb ∆η × ∆φ = 0, 125 × 0, 2 um das Schauermaximum wird die zweithöchste Zellenenergie in der Variable e2tsts1 gespeichert und die niedrigste Energie der Zellen zwischen erstem und zweitem Maxima in emin, s1 . Die Schnittvariablen ergeben sich dann über ∆E = e2tsts1 − emin, s1 , e2tsts1 , Rmax2 = 1 + 9, 5 · 10−3 Et (4.8) (4.9) wobei Et die Transversalenergie des rekonstruierten Elektrons beschreibt. Allgemeine Schnitte auf die Schauerform und Verschärfungen der Schnitte auf die Schauerbreite gelingen über die Variablen sP 2 i E i · (i − imax ) P , (4.10) Wtot, s1 = i Ei E(±3) − E(±1) fracs1 = , (4.11) E(±1) wobei i die Nummer der Kalorimeterzelle beschreibt, über die in einem Fenster von ∆η × ∆φ = 0, 0625 × 0, 2 innerhalb der ersten Kalorimeterlage um das Schauermaxi- 26 4.4. Myonrekonstruktion mum imax herum summiert wird. Wtot, s1 darf hierbei den Wert 3,4 nicht überschreiten. E(±n) ist die Energie der Zelle, die n Kalorimeterzellen vom Clustermaximum entfernt ist. Die Berechnung der Schauerbreite analog zu Wtot, s1 innerhalb des Schauerkerns, also für |i − imax | ≤ 3, wird in der Variablen (Wη1 ) gespeichert. Ein Schnitt auf die Qualität der Spur wird über den Stoßparamter d0 ≤ 5 mm , sowie auf die η-Differenz zwischen Cluster und Spur über ∆η ≤ 0, 005 realisiert. Die Medium-Schnitte erhöhen das Unterdrückungsverhältnis durch fehlidentifizierte Hadronen um einen Faktor 3–4, wobei sich die Rekonstruktionseffizienz um ca. 10% verschlechtert. Tight-Schnitte: Die Tight-Schnitte verwenden alle bisher erprobten Mechanismen für die Elektronidentifikation und liefern somit die höchstmögliche Rekonstruktionsreinheit. Insbesondere werden Ansprüche auf die Qualität der rekonstruierten Spur, wie etwa auf die Anzahl an Treffern im TRT (NTRT ≥ 15), im Pixeldetektor (NPixel ≥ 1), oder in den Halbleiterdetektoren allgemein (NSi ≥ 7). Weiterhin verschärfen sich die Schnitte auf den Stoßparameter d0 ≤ 1 mm und auf das Energie-Impuls-Verhältnis 0, 8 ≤ E/p ≤ 2, 5. Neben der Forderung nach einem Treffer in der innersten Lage des Pixeldetektors (B-Layer) wird nun ebenfalls auf die φ-Differenz zwischen Cluster und Spur über ∆φ ≤ 0, 02 geschnitten. Ebenso wird nun die volle Information des TRT genutzt, bei der das Verhältnis aus HT-Hits und normalen Treffern im TRT den Wert RTRT ≥ 0, 08 überschreiten muss. 4.4. Myonrekonstruktion Bei ATLAS gibt es eine Vielzahl verschiedener Rekonstruktionsalgorithmen für Myonen. Im Wesentlichen existieren drei verschiedene Rekonstruktionstechniken, Standalone-, Combined- und Spectrometer-Tagged-Myonen. Des Weiteren gibt es zwei verschiedene Rekonstruktionsfamilien, Muid und Staco, in denen die drei Techniken implementiert sind, aber sich im Detail unterscheiden, sodass insgesamt sechs verschiedene Algorithmen zur Myonrekonstruktion existieren [30]. Tabelle 4.1 zeigt eine Auflistung all dieser Rekonstruktionsalgorithmen, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen. Aufgrund der Tatsache, dass Myonen in der Regel die einzigen geladenen Teilchen sind, die das Kalorimetersystem durchdringen können und somit im Myonspektrometer eine Spur zeigen, stellen Spuren des Myonspektrometers somit direkt einen Myonkandidaten und werden Standalone-Myonen genannt. Die drei hintereinander liegenden Myonkammerbereiche sind in Aktivitätsregionen (Regions of Activity, RoA) der Größe ∆η × ∆φ = 0, 4 × 0, 4 eingeteilt [31]. Meldet der Myontrigger in einer solchen Region Aktivität, wird in diesem und an den angrenzenden Bereichen nach Spurpunkten gesucht und diese zu Spursegmenten rekonstruiert. Aus den drei Myonspursegmenten wird anschließen die Spur im gesamten Myonspektrometer bestimmt. Der Rekonstruktionsalgorithmus zur Auffindung von Standalone-Myonen der Staco-Familie heißt Staco:Muonboy, während der aus der Muid-Familie Muid:Moore genannt wird. Bei- 27 4. Rekonstruktion von Elektronen und Myonen Familie Staco Algorithmus Muonboy Staco Staco Staco MuTag Muid Moore Muid Muid Muid MuGirl Art der Rekonstruktion Ausschließliche Verwendung der Myonspektrometerspur (standalone) χ2 -Fit von Spuren des Inneren Detektors und des Myonspektrometers (combined) Verwendung der Spur des Inneren Detektors mit passendem Myonsegment (spectrometer-tag). Ausschließliche Verwendung der Myonspektrometerspur (standalone) χ2 -Fit von Spuren des Inneren Detektors und des Myonspektrometers (combined) Verwendung der Spur des Inneren Detektors mit passendem Myonsegment (spectrometer-tag). Überlapp mit Muid:Muid Tabelle 4.1.: Übersicht der verschiedenen Myonrekonstruktionsalgorithmen in ATLAS, getrennt nach den Algorithmenfamilien Staco und Muid [30] de Algorithmen haben Probleme bei der Rekonstruktion niederenergetischer Myonen bis zu einigen GeV, da diese oft nicht in die äußerste Myonkammer vordringen. Nach der Spurrekonstruktion im Spektrometer wird die Spur anschließend nach innen bis zur Strahlachse extrapoliert, wobei Energieverluste durch Wechselwirkung mit dem Kalorimetermaterial für die Impulsbestimmung korrigiert werden. Im Standalone-Modus wird die Information des Inneren Detektors nicht verwendet und deckt somit den vollen η-Bereich des Myonspektrometers ab (|η| ≤ 2, 7). Verwendet man ausschließlich die Spur des Myonspektrometers, so finden sich unter den Myonkandidaten auch eine große Anzahl an Myonen, die aus hadronischen Zerfällen stammen. Diese sogenannten Inflight-Decays sind streng genommen keine fehlidentifizierten Myonen. Dennoch ist man in der Regel am Teilchentyp nahe des Kollisionspunktes interessiert, sodass man sich der Myonen aus hadronischen Zerfällen entledigen möchte. Hierfür existiert eine Rekonstruktionstechnik, die sowohl Informationen des Myonspektrometers, als auch aus dem Inneren Detektor verwendet. Für die Rekonstruktion kombinierter (Combined) Myonen wird verlangt, dass eine Spur aus den Myonkammern mit einer Spur des Inneren Detektors räumlich und energetisch zusammenpasst. Entscheidungskriterium für das Akzeptieren eines rekonstruierten Combined-Myons ist hierbei das sich aus dem Zusammenfügen der beiden Spuren über (4.12) χ2match = (T MS − T ID )T (CMS + CID )−1 (T MS − T ID ) ergebende χ2match , wobei T den 5-komponentigen Vektor der in Kap. 4.1 eingeführten Helixparameter beschreibt [30]. Hierbei steht MS für Myonspektrometer, ID für Innerer Detektor und C beschreibt die in den Helixparametern ausgedrückten Kovarianzmatrizen des Spurfits. Die kombinierten Rekonstruktionsalgorithmen tragen den Namen 28 4.4. Myonrekonstruktion ihrer Familie, also Muid:Muid und Staco:Staco. Für den Fall, dass eine Myonspur mit mehreren Spuren aus dem Inneren Detektor zusammenpasst wird das Spurpaar mit dem niedrigsten χ2 als bester Kandidat markiert. Die dritte Rekonstruktionstechnik behandelt sogenannte Spectrometer-Tagged, auch spurbasiert genannte Myonen. Diese Rekonstruktionstechnik beginnt bei den Spuren aus dem Inneren Detektor und extrapoliert diese unter Einbeziehung möglicher Energieverluste bis zum Myonspektrometer. Hier wird anschließend nach Myonsegmenten in der Nähe der extrapolierten Spur gesucht. Gelingt dies, so bildet diese Spur einen Myonkandidaten. Diese Rekonstruktionstechnik ist optimiert für das Auffinden von niederenergetischen Myonen. Die Bestimmung der Myonkinematik verläuft hierbei, entgegen den anderen Rekonstruktionstechniken, ausschließlich unter Verwendung der Spur des Inneren Detektors. Der Algorithmus aus der Muid-Familie, Muid:MuGirl, verwendet alle für die Rekonstruktion verfügbaren Spuren und Myonsegmente. Staco:MuTag, der Algorithmus aus der Staco-Familie, betrachtet hingegen ausschließlich Spuren, die nicht bereits von Staco:Staco, dem Algorithmus für kombinierte Myonen, verwendet wurden. Auf diesem Wege ergänzen sich die beiden Staco-Algorithmen, während bei den Muid-Algorithmen ein Überlapp rekonstruierter Myonen vermieden werden muss. Dies gelingt über spezielle Verfahren, in denen Myonen innerhalb eines Abstandes ∆R < 0, 4 zusammengefügt und als ein einziges Myonobjekt gespeichert werden. 29 5. Generelle Methode zur Bestimmung der Fehlidentifikationsraten 5.1. Definitionen und Begrifflichkeiten Bevor die in dieser Arbeit verwendete Methode genauer erläutert werden kann, soll an dieser Stelle kurz auf die verwendeten Begriffe und Abkürzungen eingegangen werden. Im Folgenden werden rekonstruierte Teilchen mit einer Tilde versehen, um sie von „wahren“ Teilchen zu unterscheiden. Dies bedeutet z.B., dass ein rekonstruiertes Elektron die Bezeichung ẽ erhält. Das zugehörige wahre Teilchen, das die für die Signatur benötigten Detektorsignale hervorgerufen hat, wird dann mit e bezeichnet. Teilchenhäufigkeiten sollen im weiteren Verlauf mit einer Raute gekennzeichnet werden, sodass die im Allgemeinen unbekannte Größe der Anzahl von wahren Elektronen mit #(e) bezeichnet wird. Bei der Rekonstruktion der Teilchensamples wird im weiteren Verlauf immer wieder auf die Begriffe Effizienz () und Reinheit (π) eingegangen. Diese berechnen sich mit der nun eingeführten Notation für ein rekonstruiertes Objekt der Sorte a über # (ã & a) , #a # (ã & a) := , # ã a := (5.1) πa (5.2) wobei die Größe # (ã & a) die Anzahl der als a korrekt rekonstruierten Teilchen darstellt. Die Fehlidentifikationsrate (Fake Rate) für Leptonen (l) durch Hadronen (h) ist hierbei durch das Mengenverhältnis von als Leptonen rekonstruierter Hadronen gegenüber der Gesamtanzahl rekonstruierter Leptonen # (l̃ & h) → p(h | l̃) =: FRh (l) # l̃ (5.3) gegeben. Ein möglicher Spezialfall dieser Rate ist die Fehlidentifikation von Elektronen durch geladene Pionen und wird analog mit FRπ (e) := p(π | ẽ) (5.4) 31 5. Generelle Methode zur Bestimmung der Fehlidentifikationsraten Abbildung 5.1.: Schematische Darstellung der Bestimmung von Fehlidentifikationsraten von Leptonen durch geladene Hadronen bezeichnet, wobei auch hier p(π | ẽ) den Grenzfall unendlich hoher Statistik # (ẽ & π) → p(π | ẽ) # ẽ (5.5) bedeutet. 5.2. Allgemeines Schema Das innerhalb dieser Arbeit verwendete Schema gründet sich auf die Analyse von Teilchen, die für eventuelle Fehlidentifikationen von Leptonen in Betracht kommen. Bei den Teilchen, die von der Rekonstruktionssoftware als Leptonen identifiziert werden, handelt es sich im Wesentlichen um Pionen, Kaonen und Protonen. Grundlage dieses Konzeptes ist es, diese Teilchen mit hoher Reinheit zu identifizieren, um damit das Ergebnis der Leptonrekonstruktion zu überprüfen. Eine skizzenhafte Beschreibung lässt sich Abb. 5.1 entnehmen. Die Identifizierung obiger Teilchen soll über die Analyse der 32 5.2. Allgemeines Schema speziellen Zerfälle K0s → π+ π− , Λ/Λ̄ → pπ− / p̄π+ , φ → K+ K− . (5.6) (5.7) (5.8) gelingen. Für diese Zerfälle werden Rekonstruktionsalgorithmen benötigt, die auf eine hohe Reinheit hin optimiert sind; Ziel ist hierbei eine Reinheit von mindestens 95% bei größtmöglicher Effizienz. Die entsprechenden Rekonstruktionsalgorithmen werden anhand von Monte-Carlo-Simulationen getestet, um anschließend die Zerfallsrekonstruktion aus realen Daten zu ermöglichen. Für die Berechnung von Reinheiten und Effizienzen in den Monte-Carlo-Simulationen wird ein sogenanntes hitbasiertes Truth-Matching zum Abgleich von simulierten und rekonstruierten Objekten verwendet [32, 33]. Hierbei werden die simulierten Treffer in den Spurdetektoren mit den später rekonstruierten Treffern verglichen. Auf diesem Wege lässt sich eine Zuordnung zwischen rekonstruierter Spuren und simulierten Teilchen herstellen, anhand der die Hypothese eines rekonstruierten Teilchenzerfalls überprüft werden kann. Gelingt die Rekonstruktion der oben genannten Zerfälle mit hoher Reinheit, so lassen sich über die Zerfallsprodukte Analysesamples der zu untersuchenden Teilchen aus Daten bereitstellen. Das Auffinden der Zerfälle gelingt hierbei unter Verwendung der durch die ATLASSoftware bereits rekonstruierten Spuren und Vertices. In einem ersten Schritt werden die zu einem Vertex assoziierten Spuren kombiniert und die entsprechende Zerfallshypothese überprüft. Dies gelingt unter Verwendung eines kinematischen Fits [34], der innerhalb dieser Arbeitsgruppe im Rahmen einer weiteren Masterarbeit speziell für die Rekonstruktion von Top-Quarks weiterentwickelt [35] wurde und im nächsten Abschnitt genauer erläutert wird. Somit stellt diese Arbeit eine gute Möglichkeit dar, den Kinematischen Fit auf seine Funktionalität hin zu überprüfen. Konvergiert der Kinematische Fit, d.h. erfüllen der betrachtete Vertex und die Spuren die Zerfallshypothese, so wird der rekonstruierte Teilchenzerfall als ein neues Objekt an das analysierte Ereignis angehängt und gespeichert. Der Teilchenzerfall beinhaltet hierbei eine Relation zu den jeweiligen Spuren. In einem zweiten Schritt werden dann die durch die ATLASRekonstruktion gefundenen Leptonen überprüft. Aufgrund der Tatsache, dass die rekonstruierten Leptonen ebenfalls mit den Spuren verbunden sind, ist ein Vergleich dieser von Lepton und Analyseteilchen möglich, um Aussagen über Fehlidentifikationen zu treffen: Teilen beide Objekte dieselbe Spur, ist das Analyseteilchen von der ATLASSoftware fälschlicherweise als ein Lepton rekonstruiert worden. Untersucht man auf diesem Wege alle Leptonen, so lassen sich Aussagen über die Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit der Analyseteilchen treffen. Betrachtet man beispielsweise Elektronen, die aus Fehlidentifikationen von geladenem Pionen hervorgehen, anhand von Pionen 33 5. Generelle Methode zur Bestimmung der Fehlidentifikationsraten aus rekonstruierten K0s -Zerfällen, so erhält man die Größe # (ẽ & π) → p(ẽ | π). #π (5.9) Hierbei wird angenommen, dass die Herkunft des Pions irrelevant für die Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit ist, also durch Einschränkung auf Pionen von K0s -Zerfällen kein systematischer Fehler entsteht. Dies wird dadurch gewährleistet, dass die entsprechenden Größen in Histogrammen aufgenommen werden, die in den relevanten Abhängigkeiten wie pt , η, sowie einem Isolationskriterium eingeteilt („gebinnt“) sind. Im Allgemeinen lässt sich auf diesem Wege die Wahrscheinlichkeit p(l̃ | a) für das Analyseteilchen (a) angeben, als ein Lepton (l̃) fehlidentifiziert zu werden. Dies entspricht allerdings nicht der Fehlidentifikationsrate für Leptonen durch das Analyseteilchen. Diese kann jedoch unter Verwendung des Bayes’schen Theorems [36] p(a | b)p(b) = p(a&b) = p(b | a)p(a) (5.10) erhalten werden. Für das oben genannte Beispiel ergibt sich hiermit für die Fehlidentifikationsrate von Elektronen durch Pionen FRπ (e) = p(ẽ | π) · p(π) . p(ẽ) (5.11) Man benötigt somit einen Faktor, der durch das Häufigkeitsverhältnis von wahren Pionen gegenüber rekonstruierten Elektronen gegeben ist. 5.3. Der Kinematische Fit Herzstück der Zerfallsrekonstruktion ist die Beurteilung der Zerfallshypothese. Wird diese akzeptiert, so wird der rekonstruierte Zerfall im Ereignis gespeichert und steht für weitergehende Analysen bereit. Die im Rahmen dieser Arbeit angefertigte Rekonstruktionssoftware leistet den Hypothesentest durch die Verwendung eines Kinematischen Fits. Das Grundkonzept [37] des Kinematischen Fits beruht auf der Minimierung der kleinsten Quadrate ~ x) , χ2 = (~ξ − ~x)T C −1 (5.12) x (ξ − ~ bei gleichzeitiger Erfüllung von nichtlinearen Nebenbedingungen f~(~ξ) = 0. (5.13) Hierbei steht ~x für die gemessenen Werte, ~ξ für deren Schätzwerte und f~ für die zu erfüllenden Nebenbedingungen. C x beschreibt die zu den Messwerten gehörige Kovarianzmatrix. In unserem Fall handelt es sich bei den Messwerten ~x um die gemessenen Impulse der Analyseteilchen aus dem Spurfit. Die zu erfüllende Zwangsbedingung ist gegeben durch die Erhaltung der Viererimpulse beim Zerfall bzgl. der invarianten Mas- 34 5.3. Der Kinematische Fit se des zerfallenden Teilchens und lautet p f = (p1 + p2 )2 − m = 0 . (5.14) Die Verteilung der invarianten Masse des zerfallenden Teilchens wird hierbei als unendlich schmal angenommen, da die Zerfallsbreiten der zu untersuchenden Teilchen deutlich geringer als die Detektorauflösung sind. Da es sich bei den zu rekonstruierenden Zerfällen jeweils um Zweikörperzerfälle handelt, wird somit die invariante Masse des Mutterteilchens auf die Polmasse m fixiert. Bei der Zwangsbedingung handelt es sich um eine nichtlineare Zwangsbedingung, die über eine Taylorentwicklung linearisiert wird. Auf diesem Wege wird durch Verwenden eines Lagrang’schen Multiplikators λ die zu minimierende Lagrange-Funktion L = χ2 + 2λ f (5.15) erstellt, deren schrittweise Minimierung iterativ einen Schätzer für die Viererimpulse der Analyseteilchen liefert. Das hierbei entstehende χ2 und der damit berechenbare pWert Z ∞ 2 p( χ , NDoF ) = f ( χ̃2 , NDoF ) dχ̃2 (5.16) χ2 stellt zusammen mit den Schätzern für die Viererimpulse und den damit verbundenen neuen Kovarianzmatrizen das Resultat des Fits dar. Bedingt durch die Tatsache, dass die gemessenen Impulse der Teilchen variiert werden, existieren genauso viele freie Parameter wie Messwerte. Zudem existiert eine Zwangsbedingung, sodass sich für die Anzahl an Freitheitsgraden der Wert NDoF = 1 ergibt. Eine ausführlichere Beschreibung des Kinematischen Fits, sowie deren mathematische Details findet sich in [34, 35]. Wie bereits in Abschnitt 4.1 erläutert, werden die gefundenen Spuren durch fünf Helixparameter beschrieben. Die entsprechenden Kovarianzmatrizen befinden sich ebenso in dieser Darstellung. Der verwendete Kinematische Fit benötigt jedoch eine Parametrisierung in (pt , η, φ), sodass eine geeignete Koordinatentransformation durchgeführt werden muss: Sei ~x der Impulsvektor der alten Darstellung und ~y der über ~y = f (~x) transformierte. Führt man nun eine Taylorentwicklung um den Messwert ~x̂ bis zur ersten Ordnung durch, d.h. man linearisiert den funktionellen Zusammenhang yi = fi (~x̂) + T i j (x j − x̂ j ) + O(T 2 ) , (5.17) so ergibt sich für den transformierten Vektor bei Vernachlässigung von Termen zweiter und höherer Ordnung ~y = const + T ~x. (5.18) Für die zu transformierenden Kovarianzmatrizen Cyi j = E (yi − ŷi )(y j − ŷ j ) (5.19) 35 5. Generelle Methode zur Bestimmung der Fehlidentifikationsraten eliminieren sich somit die konstanten Terme aus Glg. 5.18, sodass sich C~y = T C ~x T T (5.20) ergibt. Die entsprechende Transformationsmatrix T ist hierbei über T i j = ∂yi /∂x j gegeben. In unserem Fall lautet die Transformationsmatrix mit π := Q/P als einem der Helixparameter wegen Θ η = − ln(tan( )) , 2 Q pt = sin Θ , π φ = φ, daher Q − π2 sin Θ T = 0 0 Q π cos Θ 0 − sin1 Θ 0 . 0 1 (5.21) (5.22) (5.23) (5.24) Unter Verwendung dieser Matrix lassen sich nun mittels Glg. 5.20 die Kovarianzmatrizen der Spuren aus der Helixdarstellung in die (pt , η, φ)-Parametrisierung überführen, welche vom Kinematischen Fitter gefordert wird. 36 6. Produktion von Analyse-Samples Wie in Kap. 5 erläutert wurde, ist die hochreine Rekonstruktion von Pionen, Protonen und Kaonen Grundlage der im Rahmen dieser Arbeit verwendeten Methode zur Bestimmung der Leptonfehlidentifikationsraten. Die entsprechenden Teilchen sollen hierbei über die Rekonstruktion spezieller Zerfälle erhalten werden, die im Folgenden beschrieben werden. Abbildung 6.1 zeigt exemplarisch eine typische pp-Kollision, in der solch ein Zerfall rekonstruiert wurde. Abbildung 6.1.: Zu sehen ist ein typisches pp-Kollisionsereignis, bei der ein Zweikörperzerfall an einem Sekundärvertex vorliegt, analog zu den Zerfällen, die im Rahmen dieser Arbeit rekonstruiert werden. Die Abb. zeigt hierbei den Querschnitt des Inneren Detektors und des elektromagnetischen Kalorimeters bei ATLAS in der xy-Ebene. Die schwarzen Quadrate stellen hierbei verschiedene Sekundärvertices dar. Das vorliegende Beispiel (schwarz gezeichnet) zeigt einen Λ → pπ− - Zerfall, der im Ereignis 28039055 aus Lauf 162882 rekonstruiert wurde. 37 6. Produktion von Analyse-Samples 6.1. Die Rekonstruktion von K0s → π+ π− -Zerfällen Die Kaonen bilden die leichtesten Teilchen, deren Quarkzusammensetzung ein s-Quark beinhalten, und gehören damit zu den seltsamen Teilchen. Das K0 setzt sich aus (d, s̄) zusammen und hat hierbei eine Masse von m = (497, 614 ± 0, 024) MeV. Durch Li0 nearkombinationen von K0 und seinem Antiteilchen K̄ lassen sich CP-Eigenzustände K1 und K2 mit den entsprechenden CP-Eigenwerten CP(K1 ) = +1 und CP(K2 ) = −1 konstruieren. Aufgrund von CP-Erhaltung kann K1 nur in zwei Pionen und K2 nur in drei Pionen zerfallen. Wegen des größeren Phasenraumes von K2 ist dieses langlebiger. In der Natur sind zwei Mischungszustände von K1 und K2 realisiert, wobei der relative Anteil von K1 und K2 hierbei die Zerfallsmöglichkeiten und die Lebensdauer steuert. Das K0s -Meson ist das kurzlebigere (K-short) der beiden Mischungen und kann über 0 E Ks = 1 (|K1 i + |K2 i) Norm (6.1) beschrieben werden. Das K0s -Meson hat eine mittlere Lebensdauer von τ = (0, 8958 ± 0, 0005)·10−10 s, der analog zu beschreibende langlebigere Zustand K0l (K-long) hat eine mittlere Lebensdauer von τ = (5, 116 ± 0, 020) · 10−8 s. Die hadronischen Zerfallskanäle des K0s sind in Tabelle 6.1 aufgezeigt. K0s -Mesonen werden bei der Hadronisierung in großer Zahl erzeugt und eignen sich aufgrund des großen Verzweigungsverhältnissen von annähernd 70% für den Zerfall K0s → π+ π− sehr gut für die Aufbereitung eines Pionsamples. Das im Folgenden erläuterte Verfahren zur Rekonstruktion von K0s → π+ π− -Zerfällen wird anhand eines tt̄-Monte-Carlo-Samples ohne Abstrahlung von zusätzlichen harten Partonen (Np0) getestet und optimiert. Die Rekonstruktion startet mit allen von der Spurrekonstruktion gefundenen Sekundärvertices. Da es sich bei dem zu rekonstruierenden Prozess um einen Zweikörperzerfall eines neutralen Teilchens handelt, werden nur Sekundärvertices mit zwei auslaufenden, ungleich geladenen Teilchenspuren akzeptiert. Des Weiteren werden schlecht rekonstruierte Vertices und Spuren des Inneren Detektors verworfen, wenn das χ2 /NDoF vom Spur- bzw. Vertexfit einen gewissen Maximalwert überschreitet (siehe hierzu Tab. 6.2). Die entsprechenden Verteilungen für Signal- und Untergrundereignisse sind Abb. 6.2 zu entnehmen. Anschließend werden aus den gemessenen Spurimpulsen unter Verwendung der Pionmasse von mπ = (139.5702 ± 0.0004) MeV die entsprechenden Viererimpulse der Pionkandidaten konstruiert. Nach der in Abschnitt 5.3 beschriebenen Transformation der HelixparaZerfallskanal π0 π0 π+ π− π+ π− π0 Anteil (Γi /Γ) (30, 69 ± 0, 05) % (69, 20 ± 0, 05) % −7 (3, 5+1,1 −0,9 )10 Tabelle 6.1.: Übersicht der verschiedenen hadronischen Zerfallskanäle des K0s [38]. 38 104 MC09 7TeV, tt Np0 K0s→π+πUntergrund Anzahl Eintrge Anzahl Eintrge 6.1. Die Rekonstruktion von K0s → π+ π− -Zerfällen 105 MC09 7TeV, tt Np0 K0s→π+π- 104 Untergrund 3 10 103 102 102 10 0 2 4 6 8 10 (a) χ2 /NDoF des Vertexfits 12 14 χ2 / NDoF 0 1 2 3 4 5 χ2 / NDoF (b) χ2 /NDoF des Spurfits Abbildung 6.2.: Zu sehen ist die χ2 /NDoF -Verteilung des Spur- und Vertexfits getrennt nach Signal- und Untergrundprozessen. Der schwarze Pfeil kennzeichnet den für die Rekonstruktion akzeptierten Bereich. meter in die (pt , η, φ)-Darstellung lässt sich nun mit Hilfe der Viererimpulse der Spuren und den dazugehörigen Kovarianzmatrizen ein Kinematischer Fit durchführen. Im Konvergenzfall ist ein K0s -Kandidat gefunden. Dieser wird an das entsprechende Ereignis angehängt und mit den beiden dazugehörigen Spuren verbunden. Zudem werden die modifizierten Viererimpulse der Spuren nach dem Fit gespeichert. Diese stellen die Impulse der in Abschnitt 7 zu analysierenden Pionen. Die auf diesem Wege erzeugte Stichprobe an Pionen kann für Fehlidentifikationsstudien von Leptonen nur dann verwendet werden, wenn die Irrtumswahrscheinlichkeit der Pionidentifikation vernachlässigbar klein ist. Es ist somit eine hohe Reinheit der K0s -Rekonstruktion vonnöten. Um diese zu erhalten, werden einige Qualitätsschnitte verwendet, die im Folgenden erläutert werden sollen. Ein möglicher Untergrund der K0s -Rekonstruktion ist durch Photonkonversionen gegeben. Während der Hadronisierung des Endzustandes entsteht eine Vielzahl von Teilchen. Der Hauptanteil dieser Teilchen ist durch Pionen gegeben, von denen in guter Näherung ein Drittel ungeladen ist. Neutrale Pionen zerfallen im Mittel nach τ = (8, 4 ± 0, 6) · 10−7 s zu 98,9 % in zwei Photonen, die anschließend in ein e+ e− -Paar konvertieren können. Photonen konvertieren bevorzugt an Orten hoher Dichte und großer Kernladungszahl, also in den Detektorwänden oder den Halbleiterdetektoren, beziehungsweise am Strahlrohr (zu sehen anhand Abb. 6.3(b)). Der Zerfallsort stellt somit ebenfalls einen Sekundärvertex dar, der zwei zugehörige Spuren, das e+ e− -Paar, besitzt. Photonkonversionen und K0s -Zerfälle zeigen einen kinematischen Überlapp, sodass unter der Annahme der Pionmasse für die Elektronen der Photonkonversion die 39 6. Produktion von Analyse-Samples Anzahl Ereignisse beam-pipe, the three cylindrical silicon-pixel layers with individual sensor elements of 50×400 µm2 , the four cylindrical double layers (one axial and one with a stereo angle of 40 mrad) of barrel silicon-microstrip sensors (SCT) of pitch 80 µm, and approximately 36 axial straws of 4 mm 4000 diameter contained in the barrel transition-radiation tracker modules within their support structure. Pixel-Lagen 2008 JINST 3 S08003 (a)Figure Radialer Abstand Komponenten des Inneren Detektors 4.2: Drawing showing theder sensors and structural elements traversed by a charged track of GeV pT in the barrel inner detector (η = 0.3). The track traverses successively the beryllium zur10 Strahlachse. 3500 This chapter describes the construction and early performance of the as-built inner detector. In section 4.2, the basic detector sensor elements are described. Section 4.3 describes the detector 3000 modules. Section 4.4 details the readout electronics of each sub-detector, section 4.5 describes the ATLAS 2010, Periode F detector power and control and section 4.6 describes the ID grounding and shielding. Section 4.7 discusses the mechanical structure for each sub-detector, as well as the integration of the detectors Rek. Photonkonversionen 2500 and their cooling and electrical services. The overall ID environmental conditions and general services are briefly summarised in section 4.8. Finally, section 4.9 indicates some initial results on the 2000 operational performance and section 4.10 catalogues the material budget of the ID, which is significantly larger than that of previous large-scale tracking detectors. 1500 SCT-Lagen 1000 – 55 – 500 0 5 10 15 20 25 30 35 40 45 R [cm] (b) Radialer Abstand der aus rekonstruierten Photonkonversionen stammenden Zerfallsvertices gemessen zur Strahlachse. Abbildung 6.3.: Die Abbildung zeigt, dass Photonkonversionen erwartungsgemäß an Stellen hoher Dichte und damit am Detektormaterial stattfinden und somit die rekonstruierten Vertices auf den Ebenen der Detektorschalen liegen. Die erste Erhöhung in Abb. (b) stammt vermutlich vom Strahlrohr. Die Photonkonversionen wurden im Rahmen einer Studie rekonstruiert, um γ-Untergrund von Teilchenzerfällen wie K0s → π+ π− durch Ausschließen der entsprechenden Sekundärvertices zu reduzieren. 40 6.1. Die Rekonstruktion von K0s → π+ π− -Zerfällen Rekonstruktion einer invarianten Masse in Höhe der K0s -Masse möglich ist. Diese Fehlidentifizierung von Elektronen als Pionen muss beseitigt werden. Einen Ansatz hierfür liefert der für Photonkonversionen charakteristische Zerfallswinkel. Photonkonversionen lassen sich in führender Ordnung über folgende Feynman-Diagramme beschreiben, γ e+ γ e+ γ̂ e− γ̂ e− wobei γ̂ das virtuelle Photon beschreibt, das mit dem Kern ausgetauscht wird. Für die Berechnung des differentiellen Wirkungsquerschnittes lässt sich mit Hilfe der Feynmanregeln [6] das Matrixelement ! i i 2 (s1 ) ∗ ∗ ∗ ∗ −iM = (ie) v̄ (p1 ) /1 /2 + /2 /1 u(s2 ) (p2 ) (6.2) p/1 − k/1 − m p/2 − k/1 − m aufstellen. Photonimpulse werden mit k, Fermionimpulse mit p bezeichnet; m steht für die Masse der beteiligten Fermionen. Die Polarisation der Photonen wird über beschrieben. Das Betragsquadrat des Matrixelementes ist wegen Fermis Goldener Regel [39] dem differentiellen Wirkungsquerschnitt proportional und enthält somit die Winkelabhängigkeit der Photonkonversion. Es ist ebenfalls möglich, das Ergebnis durch Vertauschen von ein- und auslaufenden Teilchen aus dem Ergebnis für die Comptonstreuung zu erhalten. Hierbei nutzt man die Crossing Symmetry [40] M (φ(p) + ... → ...) = M ... → ... + φ̄(k) (6.3) mit k = −p aus. Eine explizite Berechnung findet sich in [40] und liefert das Ergebnis u t (6.4) < |M|2 > = 2e4 + . t u u und t stehen hierbei für die Mandelstam-Variablen [6]. Einsetzen zeigt die direkte Winkelabhängigkeit des differentiellen Wirkungsquerschnittes ! p2 | 1 + cos θ |~p1 | 1 − cos θ 2 4 |~ · · + (6.5) < |M| > = 2e |~p1 | 1 − cos θ |~p2 | 1 + cos θ und lässt eine Divergenz für cos θ = ±1 erkennen. Abbildung 6.4 zeigt hierbei den Verlauf von < |M|2 > für verschiedene Impulsverhältnisse α := |~p1 |/|~p2 |. Bestimmt man den Zerfallswinkel eines Tochterteilchens aus einem K0s -Zerfall, so sollte dieser flach in cos θ verteilt sein, da es sich beim K0s um ein spinloses Teilchen handelt. Im Folgen- 41 |M|2 6. Produktion von Analyse-Samples 200 dN ~ α 1+cos(θ) + α -1 1-cos(θ) dcos(θ) 1-cos(θ) 1+cos(θ) 180 α=1 160 α = 10 or α = 0.1 140 α = 50 or α = 0.05 120 100 80 60 40 20 0 -1 -0.8 -0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 cos(θ) Abbildung 6.4.: Differentieller Wirkungsquerschnitt von Photonkonversionen in führender Ordnung für verschiedene Impulse der Elektronen im Endzustand α := |~|~pp21 || . den wird der Zerfallswinkel zum positiven Tochterteilchen berechnet. Er bestimmt sich aus dem Winkel des Impulsvektors des π+ im Ruhesystem des Mutterteilchens gegenüber der Flugrichtung des K0s im Laborsystem. Da die Zerfallswinkelverteilung beim K0s flach in cos θ ist, zeigt ihre Messung die Winkelverteilung der Detektorakzeptanz A(cos θ). Photonkonversionen hingegen zeigen ausgeprägte Maxima bei cos θ = ±1. Dies eröffnet mit einem Schnitt auf den Zerfallswinkel eine gute Möglichkeit, wahre K0s -Zerfälle vom Untergrund durch Photonkonversionen zu trennen. Im Rahmen der Analyse hat sich gezeigt, dass der Schnitt auf den Zerfallswinkel effizienter ist, als ein alternativer Schnitt auf den Radius der Konversion. Die Analyse des Zerfallswinkels von Pionen im Ruhesystem des K0s -Mesons erlaubt, neben der Unterdrückung von Photonkonversionen, die Unterdrückung eines weiteren Untergrundes: den Zerfall des Λ-Baryons über Λ → pπ, der im nächsten Abschnitt noch genauer beschrieben wird. Beim Λ handelt es sich im Gegensatz zum K0s um ein spinbehaftetes Teilchen, weswegen a priori keine flache Zerfallswinkelverteilung erwartet werden kann. Dennoch lässt sich zeigen [41], dass die erwartete Winkelverteilung für Λ-Zerfälle im Ruhesystem folgenden Verlauf annimmt: dN ∼ A(cos θ x )(1 + αΛ PΛ cos θ x ) , d cos θ x dN ∼ A(cos θy ) , d cos θy dN ∼ A(cos θz ) . d cos θz 42 (6.6) (6.7) (6.8) Anzahl Ereignisse 6.1. Die Rekonstruktion von K0s → π+ π− -Zerfällen 1800 MC09 7TeV, tt Np0 1600 K s→ π+π0 Kombinatorischer Untergrund 1400 Λ → pπ 1200 γ → e+e- 1000 800 600 400 200 0 -1 -0.8 -0.6 -0.4 -0.2 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 Zerfallswinkel cos(θ*) Abbildung 6.5.: Zerfallswinkel rekonstruierter K0s -Kandidaten, getrennt nach Signal und Untergrund. Der Zerfallswinkel ist über den Winkel zwischen Bewegungsrichtung des positiven Tochterteilchens im Ruhesystem des K0s und der Bewegungsrichtung des K0s im Laborsystem gemessen. Die gestrichelten Linien markieren den akzeptierten Bereich | cos θ| ≤ 0, 6. ~nz verläuft entlang des Boostvektors, der den Übergang vom Laborsystem zum Ruhesystem des Λ vollzieht. Bezeichnet man den Verlauf der Strahlachse mit ~nbeam , so steht ~n x senkrecht auf der Produktionsebene, welche über das Kreuzprodukt von (~nbeam × ~nz ) definiert ist. ~ny erhält man über ~ny = (~nz ×~n x ). A(cos θi ) beschreibt dagegen die jeweilige Winkelabhängigkeit der Detektorakzeptanz, αΛ eine nicht näher bestimmte Konstante und PΛ die Polarisation. Da der im Rahmen dieser Arbeit gemessene Zerfallswinkel sich auf die Flugrichtung des Mutterteilchens im Laborsystem (~nz ) bezieht, ist, abgesehen von der Detektorakzeptanz, eine flache Winkelverteilung zu erwarten. Werden nun Λ-Zerfälle fälschlicherweise als K0s -Kandidaten rekonstruiert, so wird der Spur des ursprünglichen Protons für die Viererimpulsrekonstruktion die Pionmasse zugeordnet. Dies äußert sich in einer zu gering rekonstruierten Energie. Die Größe des Boostvektors β, der für den Systemübergang benötigt wird, hängt zudem von der Teilchenhypothese des Mutterteilchens ab, |~p| , (6.9) β= q 2 2 mi + |~p| und ist damit für Λ-Untergrund in K0s -Kandidaten zu klein. Diese beiden Effekte sorgen dafür, dass die ursprünglich flache Zerfallswinkelverteilung für Pionen aus ΛUntergrund zu kleineren cos θ und die für Protonen aus Λ-Untergrund zu größeren cos θ 43 Anzahl Ereignisse 6. Produktion von Analyse-Samples 3000 MC09 7TeV, tt Np0 2500 Ks→π+π0 Untergrund 2000 1500 1000 500 0 0 2 4 6 8 10 12 14 16 s [cm] Abbildung 6.6.: Transversale Zerfallslänge der im Zuge der K0s -Rekonstruktion gefundenen Kandidaten. Mit dem schwarzen Pfeil und der dazugehörigen Markierung ist der Schnittwert von s⊥ = 2cm angedeutet, der sich für ein optimales Verhältnis von Reinheit und Effizienz ergeben hat. verschoben ist. Dieses Verhalten konnte in Monte-Carlo-Simulationen nachgewiesen werden und ermöglicht somit die Unterdrückung von Λ-Zerfällen durch einen Schnitt auf den Zerfallswinkel mit | cos θ| ≤ 0.6. Dieser Schnitt schließt die Unterdrückung von Photonkonversionen mit ein und ist in Abb. 6.5 gezeigt. Eine Alternative zum verwendeten Schnitt auf den Zerfallswinkel ist die explizite Rekonstruktion möglicher Λ-Zerfälle und Photonkonversionen. Hierbei werden analog zur K0s - Rekonstruktion die beiden Zerfälle identifiziert und der zugehörige Sekundärvertex markiert. Die Rekonstruktion verläuft dabei ohne weitere Qualitätsschnitte, also mit niedriger Reinheit, dafür mit hoher Effizienz. Im zweiten Schritt werden anschließend bei der K0s - Rekonstruktion alle Zerfallskandidaten verworfen, bei denen der assoziierte Sekundärvertex mit einer Λ- oder Photonkonversionshypothese verträglich ist. Beide Verfahren, der Schnitt auf den Zerfallswinkel und das Verwerfen von Sekundärvertices, die mit mehreren Zerfallshypothesen verträglich sind (Veto), haben einen starken Überlapp. Da die Erhöhung der Reinheit im Vordergrund steht und die Rekonstruktion an sich relativ wenig Zeit in Anspruch nimmt, wurde sowohl der Schnitt auf den Zerfallswinkel, als auch das Λ- und γ-Veto implementiert. Dennoch bleibt festzuhalten, dass der Gewinn an Reinheit sowie der Verlust an Effizienz durch eine Implementierung der jeweiligen Vetos nach einem Schnitt auf den Zerfallswinkel nur marginal ist, wie sich anhand Tab. 6.2 belegen lässt. 44 Anzahl Ereignisse 6.1. Die Rekonstruktion von K0s → π+ π− -Zerfällen 106 105 MC09 7TeV, tt Np0 K0s→π+πUntergrund 104 103 102 10 1 0.8 0.82 0.84 0.86 0.88 0.9 0.92 0.94 0.96 0.98 1 Pointingwinkel cos(δ) Abbildung 6.7.: Über Glg. 6.10 bestimmter Pointingwinkel für rekonstruierte K0s Kandidaten getrennt nach Signal und Untergrund. Eine weitere Möglichkeit zur Unterdrückung von Untergrundprozessen ist durch einen Schnitt auf die transversale Zerfallslänge gegeben. Verlangt man einen gewissen Mindestabstand zur Strahlachse, so lassen sich auf diesem Wege starke und elektromagnetische Zerfälle, die verstärkt am Primärvertex stattfinden, reduzieren. Dies hat nur bedingt Auswirkungen auf die Effizienz der K0s -Rekonstruktion, da, gegeben durch die verhältnismäßig große Lebensdauer von K0s -Mesonen, viele Signalzerfälle eine transversale Zerfallslänge von mehr als 2 cm besitzen. Eine genaue Untersuchung von Signal- und Untergrundprozessen in Abhängigkeit der Zerfallslänge ist in Abb. 6.6 gezeigt. Durch den Kinematischen Fit wird auch der Impulsvektor des K0s rekonstruiert. Seine Verlängerung in Rückwärtsrichtung sollte in der Regel für wahre Zerfälle wieder auf den Primärvertex zeigen. Berechnet man nun den sogenannten Pointingwinkel (Pointing Angle) über cos δ := ~pK0s · (~rPrimVtx − ~rSecVtx ) , (6.10) so lässt sich mit einem Schnitt auf diesem Winkel über cos δ ≤ 0, 9999 ebenfalls Untergrund von K0s -Zerfällen weiter unterdrücken. Die Verteilungen, getrennt nach Untergrund und Signal, sind Abb. 6.7 zu entnehmen. Wie in Abschnitt 5.3 bereits beschrieben, liefert der Kinematische Fit den Rückgabewert p( χ2 , NDoF ), im Folgenden als p-Wert bezeichnet, um die Zerfallshypothese beur- 45 Anzahl Ereignisse 6. Produktion von Analyse-Samples MC09 7TeV, tt Np0 104 K0s→π+πUntergrund 103 102 10 1 0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 χ2 / NDoF Anzahl Ereignisse (a) χ2 /NDoF des Kinematischen Fits 4000 MC09 7TeV, tt Np0 3500 K0s→π+π- 3000 Untergrund 2500 2000 1500 1000 500 0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 P( χ2, N DoF 1 ) (b) p-Wert p( χ2 , NDoF ) des Kinematischen Fits Abbildung 6.8.: Die Abbildungen zeigen χ2 /NDoF (a) und den daraus berechenbaren p-Wert (b) des Kinematischen Fits für rekonstruierte K0s -Zerfälle getrennt nach Signal und Untergrund. Für das Signal zeigen die p-Werte in guter Näherung die zu erwartende Gleichverteilung, während die Signalhypothese für den Untergrund deutlich abgelehnt wird, wie in der Häufung bei Null zu sehen ist. Zur Abtrennung des Untergrundes wird ein p-Wert von mindestens 0,2 verlangt. 46 0.45 1 0.4 0.95 0.35 Effizienz ∈ Reinheit π 6.1. Die Rekonstruktion von K0s → π+ π− -Zerfällen 0.9 0.3 0.85 MC09 7TeV, tt Np0 π, mit Schnitten ∈, mit Schnitten π, ohne Schnitte ∈, ohne Schnitte 0.8 0.75 0.25 0.2 0.15 0.7 0.1 0.65 0.05 0.6 0 0.1 0.2 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0 0.9 1 P( χ2, NDoF ) Abbildung 6.9.: Reinheit (blau) und Effizienz (rot) in Abhängigkeit von p( χ2 , NDoF ) für die Rekonstruktion von K0s -Zerfällen mit Hilfe des Kinematischen Fits. Zu sehen ist das Ergebnis sowohl für die rudimentäre Rekonstruktion, welche ausschließlich über die Massenzwangsbedingung gegeben ist, als auch für eine Analyse unter Verwendung sämtlicher in Tab. 6.2 aufgezeigten Qualitätsschnitte. Es wurde eine Reinheit von mehr als 99 % bei einer Effizienz von 16 % erreicht. teilen zu können. Für Untergrundprozesse, die nicht K0s → π+ π− entsprechen, müssen die Impulsvektoren im Allgemeinen stark verändert werden, um die Massenzwangsbedingung zu erfüllen. Diese Abweichung von den gemessenen Impulsen äußert sich somit in einem erhöhten χ2 /NDoF -Wert, was einen niedrigeren p-Wert zur Folge hat. Ein Schnitt auf diesen p-Wert über P( χ2 , NDoF ) ≥ 0.2 ist daher eine gute Möglichkeit, Signal und Untergrund voneinander zu separieren. Die entsprechenden Verteilungen für Signal und Untergrundereignisse sind in Abbildung 6.8 zu sehen. Im Rahmen dieser Analyse wurden Reinheit und Effizienz in Abhängigkeit von p( χ2 , NDoF ) berechnet und sind in Abb. 6.9 gezeigt. Die Grafik zeigt hierbei nicht den Momentanwert der Reinheit zu jedem p-Wert, sondern die Reinheit, die mit einem Schnitt auf den entsprechenden p-Wert erzielt wird. Es wird demnach π = π p(χ2 ) ≥ pcut (6.11) dargestellt, wobei π die Reinheit und pcut den in Abb. 6.9 dargestellten Schnittwert beschreibt. Die Berechnung der Effizienz in Abhängigkeit von p(χ2 , NDoF ) erfolgt auf ana- 47 Anzahl Ereignisse 6. Produktion von Analyse-Samples ×103 350 ATLAS 2010, Periode F Rekonstruierte K 0s-Mesonen 300 250 200 150 100 50 Sek .-Vt Lad χ2 ( χ2 ( Tra Kon Poi p-W (Λ + Vtx Trk u nsv ntin Zerfall ert ver -Fit -Fit swi . Ze gwi x. + (Kin γ )-Veto ng gen ) ) n r n z (K 2S Fit) falls kel k e l pur inF l. (s en it) ) Abbildung 6.10.: Anzahl der verbleibenden K0s -Kandidaten, die durch den Kinematischen Fit gefundenen wurden, nach Anwendung der im Text diskutierten Qualitätsschnitte zur Erhöhung der Rekonstruktionsreinheit. logem Wege. Hierbei bleibt zu beachten, dass für die Bestimmung einer Effizienz nach Gleichung 5.1 die Normierungsgröße der wahren K0s -Zerfälle bekannt sein muss. Da im Rahmen dieser Arbeit insbesondere die Änderung der Rekonstruktionseffizienz bei OpSchnitttyp Ohne zusätzliche Schnitte χ2 /NDoF vom Vertexfit Transversale Zerfallslänge χ2 /NDoF vom Spurfit Pointingwinkel Zerfallswinkel (cos) (Λ+γ)-Veto (p-Wert) Öffnungswinkel Schnittwert — ≤ 3, 0 ≥ 2 cm ≤ 1, 5 ≤ 0, 9999 ≤ 0, 6 ≥ 0, 1 ≤ 0, 024 Reinheit (in %) 81,2 85,5 88,5 88,7 94,7 98,5 98,6 99,2 Effizienz (in %) 26,2 24,5 22,0 21,9 20,9 16,3 16,3 16,0 Tabelle 6.2.: Übersicht der für die K0s -Rekonstruktion verwendeten Schnitte. Reinheit und Effizienz beziehen sich jeweils auf einen Wert von P( χ2 , NDoF ) ≥ 0.2 des Kinematischen Fits. Die Tabelle ist so zu lesen, dass jeder Eintrag sämtliche Schnitte mit einschließt, die oberhalb des Eintrages in der Tabelle stehen. 48 6.2. Die Rekonstruktion von Λ → pπ-Zerfällen timierung der Reinheit von K0s -Zerfällen interessiert, geht in die Normierungsgröße nur die Anzahl wahrer Zerfälle ein, die überhaupt rekonstruierbar sind. Das bedeutet, dass die Zerfälle der Monte-Carlo-Studien in den kinematisch zugänglichen Regionen liegen und dabei einen bereits rekonstruierten Sekundärvertex besitzen müssen. Abbildung 6.9 zeigt zudem Reinheit und Effizienz für zwei verschiedene Analysen: Eine rudimentäre Rekonstruktion von K0s -Zerfällen, bei der ausschließlich der Kinematische Fit mit der Massenzwangsbedingung verwendet wurde, und eine Analyse, bei der die innerhalb dieses Abschnitts diskutierten Qualitätsschnitte verwendet wurden, um die Reinheit der Rekonstruktion sukzessive zu erhöhen. Tabelle 6.2 zeigt eine Übersicht aller Schnitte und deren damit verbundenen Reinheitsgewinn bzw. Effizienzverlust. Das aus Daten über K0s -Zerfälle rekonstruierte Pionsample, welches in Kap. 7 analysiert wird, wurde über die in Tabelle 6.2 aufgeführten Schnitte mit einem zusätzlichen Schnitt auf den pWert von pcut = 0, 2 erhalten. Abb. 6.10 zeigt hierbei die Selektion der K0s -Kandidaten durch die eben diskutierten Schnitte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich K0s -Zerfälle mit einer Reinheit von 99, 2 % bei einer Effizienz von 16 % rekonstruieren lassen. Die Rekonstruktion wurde für die von ATLAS in Periode F genommenen Daten durchgeführt und lieferte Pionen in einem Impulsbereich bis 20 GeV. 6.2. Die Rekonstruktion von Λ → pπ-Zerfällen Beim Λ-Baryon (u,d,s) handelt es sich um das leichteste Baryon, das ein s-Quark enthält und zählt somit, wie das K0s -Meson, zu den seltsamen Teilchen. Das Λ-Baryon hat eine Masse von mΛ = (1115, 683 ± 0, 006) MeV und verfügt über eine mittlere Lebensdauer von τ = (2, 631 ± 0, 020)10−10 s. Produziert wird es in der Regel im Zuge der Hadronisierung am Primärvertex. Durch seine große mittlere Lebensdauer zerfällt das Λ an einem Sekundärvertex. Das Λ-Baryon zerfällt schwach, eine Auflistung der wichtigsten Zerfallskanäle und der dazugehörigen Verzweigungsverhältnisse ist in Tab. 6.3 gegeben. Man erkennt, dass der dominante Zerfallskanal eine gute Möglichkeit bietet, ein Sample von Pionen und Protonen zu generieren. Die Rekonstruktion dieser Zerfälle wurde von Thomas Kintscher im Rahmen einer Bachelor-Arbeit entwickelt [42]. Hier Zerfallskanal pπ− nπ0 nγ pπ− γ pe− ν̄e pµ− ν̄µ Anteil (Γi /Γ) (63, 9 ± 0, 5) % (35, 8 ± 0, 5) % (1, 75 ± 0, 15) · 10−3 (8, 4 ± 1, 4) · 10−4 (8, 32 ± 0, 14) · 10−4 (1, 57 ± 0, 35) · 10−4 Tabelle 6.3.: Zerfallskanäle mit dazugehörigen Verzweigungsverhältnissen des ΛBaryons [38]. 49 6. Produktion von Analyse-Samples Schnitttyp Ohne zusätzliche Schnitte χ2 /NDoF des Vertex- und Spurfits Pointingwinkel K0s -Veto (p-Wert) γ-Veto (me+ e− ) Lebensdauer Öffnungswinkel Schnittwert — ≤ 1, 8 ≤ 0, 01 ≥ 0, 3 ≥ 60 MeV ≥ 9 ps ≥ 0, 025 Reinheit (in %) 73,4 81,6 88,0 94,6 98,3 98,6 98,9 Effizienz (in %) 33,1 26,0 23,9 18,3 18,0 17,9 17,0 Tabelle 6.4.: Übersicht der für die Λ-Rekonstruktion verwendeten Schnitte. Reinheit und Effizienz beziehen sich jeweils auf einen Wert von P( χ2 , NDoF ) ≥ 0, 3 des Kinematischen Fits. Die Tabelle ist so zu lesen, dass jeder Eintrag sämtliche Schnitte mit einschließt, die oberhalb des Eintrages in der Tabelle stehen. sollen die Ergebnisse kurz skizziert und die Analyse vorstellt werden, mit welcher anschließend Pionen und Protonen aus ATLAS-Daten extrahiert werden können. Die Rekonstruktion von Λ → pπ Zerfällen gestaltet sich analog zu der Rekonstruktion von K0s -Zerfällen und wurde ebenso anhand eines tt̄-Monte-Carlo-Samples getestet. Ausgehend von allen Sekundärvertices werden nur solche berücksichtigt, die über zwei zugeordnete, unterschiedlich geladene Spuren verfügen. Eine Spur stellt den Protonkandidaten, die andere den Pionkandidaten dar. Unter Verwendung der Pion- und Protonmasse werden aus den gemessenen Impulsen der Spuren die entsprechenden Vierervektoren erstellt, mit denen ein Kinematischer Fit durchgeführt wird. Anschließend wird das Schema wiederum bei vertauschter Pion- bzw. Protonhypothese der jeweiligen Spur angewandt, da a priori nicht bekannt ist, welche Spur dem Proton bzw. Pion zuzuordnen ist. Man führt für jeden Λ-Kandidaten demnach zwei Kinematische Fits durch, wobei das Ergebnis mit dem schlechteren χ2 des Fits verworfen wird. Dem Kinematischen Fit folgen einige weitere Qualitätsschnitte, um die Reinheit der Rekonstruktion zu erhöhen. Tabelle 6.4 zeigt die verwendeten Schnitte. Insbesondere wurden Anforderungen an die Qualität des Vertex- und des Spurfits gestellt. Das χ2 darf hierbei jeweils einen Wert von 1,5 nicht überschreiten. Zudem wurde ein Schnitt auf den in Kap. 6.1 eingeführten Pointingwinkel durchgeführt. Der entsprechende Schnittwert beträgt 0, 01 rad. Um Untergrund durch K0s -Zerfälle und Photonkonversionen zu unterdrücken, wurde analog zu der K0s -Rekonstruktion ein K0s - und γ-Veto implementiert. Als eine weitere Möglichkeit zur Unterdrückung von Untergrundprozessen hat sich ein Schnitt auf die Lebenszeit des rekonstruierten Λ-Kandidaten als günstig herausgestellt. Die Forderung nach einer Lebensdauer von mindestens τ = 9 ps hilft hierbei, kombinatorischen Untergrund zu unterdrücken. Abschließend wird auf den entsprechenden Öffnungswinkel der Tochterteilchen des Λ-Kandidaten geschnitten. Hierbei hat sich die Forderung nach einem Winkels von mindestens 0, 025 rad als günstig erwiesen. 50 6.3. Identifikation von Kaonen Abbildung 6.11.: Reinheit (blau) und Effizienz (rot) in Abhängigkeit von p( χ2 /NDoF ) für die Rekonstruktion von Λ-Zerfällen mit Hilfe des Kinematischen Fits. Zu sehen ist das Ergebnis sowohl mit als auch ohne die in Tab. 6.4 aufgelisteten Qualitätsschnitte. Abbildung 6.11 zeigt den Verlauf von Reinheit und Effizienz in Abhängigkeit des verwendeten Schnittwertes für die vom Kinematischen Fit erhaltene χ2 -Wahrscheinlichkeit p(χ2 , NDoF ). Durch Verwendung der oben genannten Schnitte ist es mit einem Schnitt auf p(χ2 , NDoF ) ≥ 0, 3 möglich, Λ-Zerfälle mit einer Reinheit von mehr als 98,9 % bei einer Effizienz von 17 % aus Daten zu extrahieren. Die auf diesem Wege bereitgestellten Pionen und Protonen können nun für Fehlidentifikationsbestimmungen von Leptonen verwendet werden. 6.3. Identifikation von Kaonen Dieser Abschnitt beschäftigt sich mit der Identifikation von Kaonen, die für Fehlidentifikationsbestimmungen von Leptonen verwendet werden sollen. Sophia Schade hat sich im Rahmen ihrer Bachelorarbeit [43] mit der Rekonstruktion von Kaonen aus speziellen Teilchenzerfällen beschäftigt und die Ergebnisse sollen im Folgenden kurz zusammengefasst werden. 51 6. Produktion von Analyse-Samples Zerfallskanal K+ K− K0l K0s ρπ + π+ π− π0 ηγ π0 γ Verhältnis (Γi /Γ) (49.2 ± 0.6) % (34.0 ± 0.5) % (15.25 ± 0.35) % (1.304 ± 0.025) % (1.26 ± 0, 06) · 10−3 Tabelle 6.5.: Zerfallskanäle mit dazugehörigen Verzweigungsverhältnissen des φMesons [38]. Das φ-Meson (ss̄) ist ein Vektormeson, hat demnach also ungerade Parität bei einem Spin von 1. Bei einer Masse von mφ = (1019, 455 ± 0, 020) MeV besitzt das φ eine Breite Γ = 4, 26 ± 0, 04 MeV und zerfällt somit in direkter Umgebung des Primärvertex. Bei den Zerfallsprodukten handelt es sich in der Regel um Kaonen. Tabelle 6.5 zeigt eine Auflistung der wichtigsten Zerfallskanäle des φ-Mesons. Insbesondere der Kanal φ → K+ K− ist mit einem Verzweigungsverhältnis von rund 50 % interessant, da so geladene Kaonen entstehen, die für Fehlidentifikationen von Leptonen verwendet werden sollen. Durch die sehr geringe mittlere Lebensdauer des φ-Mesons ist man im Gegensatz zur Λ- bzw. K0s -Rekonstruktion darauf angewiesen, die Spuren des Primärvertex zu verwenden. √Bei einer Luminosität von ca. L = 1031 cm−2 s−1 und einer Schwerpunktenergie von s = 7 TeV werden im Mittel über 60 Spuren am Primärvertex rekonstruiert, welches Abb. A.1 im Anhang entnommen werden kann. Dies bedeutet für den zu rekonstruierenden Zweikörperzerfall wegen ! 60 N= = 1500 (6.12) 2 einen großen kombinatorischen Untergrund. Start der Zerfallsrekonstruktion sind alle möglichen Paare entgegengesetzter Ladung am Primärvertex. Es wird immer für zwei Spuren die Kaonhypothese aufgestellt und dann mit Hilfe des Kinematischen Fits die invariante Masse auf die Polmasse des φMesons gezwungen. Um nicht für alle möglichen Zweierkombinationen einen Kinematischen Fit durchzuführen, lässt sich eine Optimierung der Laufzeit durch eine Vorselektion auf die invariante Masse realisieren. Die Forderung nach einem Massenfenster von (1, 015 ≤ mφ ≤ 1, 025) GeV sorgt für einen deutlich verringerten Zeitaufwand der Analyse bei gleichzeitig vernachlässigbaren Effizienzeinbußen. Im Gegensatz zu den bisher durchgeführten Teilchenrekonstruktionen ist der Untergrund durch spezielle Zerfälle eher gering. Größte Schwierigkeit ist die Unterdrückung des kombinatorischen Untergrundes. Daher ist die Einführung von Veto-Schnitten, wie z.B. für die Unterdrückung von Photonkonversionen, nicht effektiv. Die effizienteste Möglichkeit, die Rekonstruktionsreinheit zu erhöhen, ist die Verwendung des mittleren Energieverlustes dE/dx nach Bethe-Bloch, der in den Pixeldetektoren gemessen wird. Dieser ergibt sich aus der gesamten im Pixeldetektor deponierten Ladung, die dem Energieverlust proportional ist. 52 6.3. Identifikation von Kaonen Abbildung 6.12.: Zu sehen ist der im Pixeldetektor gemessene mittlere Energieverlust der rekonstruierten Spuren. Die aufgrund der unterschiedlichen Massen von Pionen, Protonen und Kaonen auftretenden Energiebänder sind gut zu sehen und wurden über Glg. 6.13 gefittet. Abbildung 6.12 zeigt den mittleren Energieverlust für verschiedene Teilchensorten. Da der Energieverlust nur vom Lorentz-Boost βγ des betroffenen Teilchens abhängt, ergeben sich aufgrund der Relation βγ = p/m mehrere parallel verschobene dE/dx-Kurven für die verschiedenen Teilchensorten mit Masse m und Impuls p. Dies ermöglicht bei festem Impuls, der aus der Spurrekonstruktion direkt gemessen wird, auf die Teilchenmasse und damit auf den Teilchentyp zu schließen. Hierbei wurden die einzelnen Bänder in Monte-Carlo-Simulationen für Pionen, Kaonen und Protonen mit ! p !) ( p2 p1 1 5 dE 2 (βγ) = 2 p2 · p3 − β (6.13) − ln p4 + dx βγ β gefittet, wobei p1 bis p5 variable Parameter darstellen. Die verwendete Fitfunktion [44] hängt damit von (βγ) ab und ist massenunabhängig. Auf diesem Weg kann später für eine beliebige Spur über den gemessenen Impuls unter Verwendung der Kaonmasse der erwartete Energieverlust berechnet werden. Dieser wird anschließend mit der Messgröße im Pixeldetektor verglichen, um die Kaonhypothese zu überprüfen. Großer Nachteil dieser Methode ist, dass sich die entsprechenden Bänder nur in einem relativ schmalen Impulsfenster hinreichend gut unterscheiden lassen. Oberhalb von 1 GeV wird der Schnitt auf den Energieverlust ineffektiv, oberhalb von 3 GeV lässt er sich überhaupt nicht mehr realisieren. Diese Einschränkung der Kinematik ist für Fehliden- 53 Reinheit π 6. Produktion von Analyse-Samples 7 TeV MC alle Schnitte kein η-Schnitt kein Impulsschnitt kein dE/dx Schnitt 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0 0.3 0.4 0.5 0.6 0.7 0.8 0.9 1 p(χ2, NDoF) Abbildung 6.13.: Reinheit der φ-Rekonstruktion in Abhängigkeit von p( χ2 /NDoF ) für verschiedene Schnitte. Zu sehen ist, dass selbst unter Anwendung aller verfügbarer Schnitte nur eine maximale Reinheit von ca. 60 % zu erhalten ist. tifikationsbestimmungen von Leptonen unerwünscht, da die Leptonrekonstruktion erst ab ca. 1 GeV startet. Abbildung 6.13 zeigt die Reinheit der φ-Rekonstruktion in Abhängigkeit des p-Wertes des Kinematischen Fits. Zu bemerken bleibt, dass obwohl die Reinheit der Zerfallsrekonstruktion recht gering ist, die Identifikation der Kaonen über den dE/dx Schnitt mit einer Reinheit von über 99 % erfolgte, sodass diese prinzipiell für weitergehende Studien verwendet werden könnten. Um das Problem des eingeschränkten Impulsbereiches zu umgehen, wurden weitere Teilchenzerfälle betrachtet, über die sich ohne einen Schnitt auf den mittleren Energieverlust Kaonen identifizieren lassen. Hierbei wurde zuerst der Zerfall von K∗ → Kπ betrachtet. Bei diesem konnte jedoch keine zufriedenstellende Reinheit erhalten werden. Als vielversprechendster Kandidat hat sich der Kaskadenzerfall D∗ → D0 π → Kππ herausgestellt. Das D∗± -Meson zerfällt zu (67, 7 ± 0, 5) % über D∗± → D0 π± meist schon am Primärvertex. Das D0 hat eine mittlere Lebensdauer von τ = (410, 1 ± 1, 5)10−15 s und zerfällt zu (3, 89 ± 0, 05) % über D0 → K− π+ häufig an einem Sekundärvertex. Aufgrund der Tatsache, dass bei der Rekonstruktion des D0 nur Spuren von Sekundärvertices betrachtet werden müssen, ist hier deutlich weniger kombinatorischer Untergrund zu erwarten. Für die Rekonstruktion wird ein kombinierter Kinematischer Fit mit 54 Reinheit π 6.3. Identifikation von Kaonen 0.9 MC09 7TeV D* ±→D0π± 0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 p(χ2, NDoF) Abbildung 6.14.: Reinheit der D∗± -Rekonstruktion in Abhängigkeit von p( χ2 /NDoF ) des Kinematischen Fits. Es lässt sich eine maximale Reinheit von ca. 77 % erzielen. Zu beachten ist, dass für die Rekonstruktion nur Spuren des Primärvertex verwendet wurden. Die Verwendung von Sekundärvertexspuren für die integrierte D0 -Rekonstruktion könnte die Reinheit weiter steigern. zwei Zwangsbedingungen durchgeführt. Die erste Zwangsbedingung ist hierbei durch die invariante Masse des D0 und die zweite durch die invariante Masse des D∗± -Mesons gegeben. Des Weiteren lässt sich hierbei ausnutzen, dass die Ladung des Pions aus dem D0 -Zerfall und dem primären Pion korreliert sind. Diese Eigenschaften des D∗± -Zerfalls sorgen dafür, dass eine höhere Reinheit gegenüber dem φ-Zerfall erwartet wird. Abbildung 6.14 zeigt die ermittelte Rekonstruktionsreinheit in Abhängigkeit des p-Wertes aus dem kinematischen Fit. Zu erkennen ist, dass sich eine Reinheit von ca. 77 % bei einem p-Wert von 0,85 erreichen lässt. Hierbei ist zu beachten, dass für die Rekonstruktion nur Spuren des Primärvertex betrachtet wurden und somit eine hilfreiche Eigenschaft des D∗± -Zerfalls nicht berücksichtigt wurde. Eine entsprechende Berücksichtigung war nicht möglich, da die innerhalb der verwendeten Monte-Carlo-Samples rekonstruierten Sekundärvertices oft fehlerhaft gewesen sind. Es lässt sich häufig der Fall beobachten, dass neben dem Kaon aus dem D0 -Zerfall ein Pion vom Primärvertex fälschlicherweise dem Sekundärvertex zugeordnet wird. Das aus dem Zerfall stammende Pion wird hierbei hingegen nicht berücksichtigt. Dies wirkt sich entsprechend auf die Berechnung der Reinheit aus. Für die Zukunft könnte die Rekonstruktion der Sekundärvertices in die Zerfallsrekonstruktion übernommen werden, um die genannten Fehlzuordnungen zu vermeiden. Des Weiteren sollte untersucht werden, mit welcher 55 6. Produktion von Analyse-Samples Reinheit die Kaonidentifikation gelingt, da das hauptsächliche Ziel der Zerfallsrekonstruktion die Aufbereitung eines Kaonsamples ist. 6.4. Übersicht der aus Daten rekonstruierten Teilchensamples Sowohl die Rekonstruktion des K0s - als auch des Λ-Zerfalls ist mit einer Reinheit von nahezu 99 % über die in Tab. 6.2 und Tab. 6.4 erläuterten Schnitte möglich. Für die K0s -Rekonstruktion wurde dafür auf die χ2 -Wahrscheinlichkeit des kinematischen Fits p( χ2 , NDoF ) ≥ 0, 2 und bei der Λ-Rekonstruktion auf p( χ2 , NDoF ) ≥ 0, 3 geschnitten. Ausgewertet wurden die ATLAS Daten der Periode F, in denen 2.597.193 K0s - und 648.266 Λ-Zerfälle rekonstruiert werden konnten. Abbildung 6.15 zeigt die Verteilungen der auf diesem Wege rekonstruierten Pionen und Protonen in Abhängigkeit von pt , η und φ. Abbildung 6.15(a) zeigt hierbei die Transversalimpulsverteilung der Pionen und Protonen getrennt nach ihrer Ladung. Es lässt sich erkennen, dass sich das Spektrum für Pionen aus K0s - und Protonen aus Λ-Zerfällen bis zu einem Transversalimpuls von ca. 30 GeV erstreckt. Rekonstruierte Pionen aus ΛZerfällen zeigen hingegen einen deutlich steileren Abfall in pt und einen maximalen Transversalimpuls von nur 5 GeV. Weiterhin erkennt man, dass die jeweiligen Spektren unabhängig von der Ladung des Teilchens sind. Daher wird in den folgenden Abbildungen nicht mehr nach Ladung getrennt. Abbildung 6.15(b) zeigt hierbei die Abhängigkeit der Anzahl rekonstruierter Pionen und Protonen von der Pseudorapidität. Man erkennt, dass sich die Kurven für die Zerfallsprodukte des Λ ähneln, auch wenn die Pionen einen flacheren Abfall bei großen Pseudorapiditäten zeigen. Abbildung 6.15(c) zeigt die Häufigkeit der behandelten Teilchen in Bezug zum Azimutwinkel φ. Aufgrund der Symmetrie des ATLAS-Detektors ist hier keine Abhängigkeit zu erwarten, sodass sich in φ flache Verteilungen ergeben sollten. Dies lässt sich gut beobachten. Weiterhin erkennt man, dass die Häufigkeiten von Pionen und Protonen aus Λ-Zerfällen identisch sind, da jeder Zerfall sowohl ein Pion, als auch ein Proton liefert. Die Anzahl an Pionen aus dem K0s -Zerfall ist wie oben erwähnt deutlich größer. Abbildung 6.16 zeigt eine zweidimensionale Verteilung der Pion- und Protonidentifikation in (pt , η). Die Kaonidentifikation über den mittleren Energieverlust nach Bethe-Bloch gelingt mit hoher Reinheit lediglich bis zu einem Transversalimpuls von pt ≤ 1, 5 GeV. Da die Leptonrekonstruktion bei ATLAS erst ab einem Transversalimpuls von 1 GeV startet, wurde auf die Identifizierung von Kaonen über den dE/dx-Schnitt verzichtet. Die Rekonstruktion des D∗± erscheint vielversprechend, bedarf jedoch noch weiterer Studien. Zudem ist durch das geringe Verzweigungsverhältnis für den D0 → Kπ-Zerfall bei der bisher gesammelten Datenmenge von ca. 2 pb−1 zu wenig Statistik zu erwarten. Aus diesen Gründen muss auf eine Rekonstruktion von Kaonen aus Daten zum gegenwärtigen Zeitpunkt verzichtet werden. 56 Anzahl 6.4. Übersicht der aus Daten rekonstruierten Teilchensamples ATLAS 2010, Periode F p (Λ) 106 p (Λ ) 105 π + (Λ ) 104 π - (Λ ) π+ (Ks) 0 103 π- (Ks) 0 2 10 10 1 0 5 10 15 20 25 30 Pt [GeV] (a) pt -Abhängigkeit 100 ×10 Anzahl 3 90 80 70 60 ATLAS 2010, Periode F Protonen (Λ) 50 Pionen (Λ) 40 0 Pionen (K s) 30 20 10 -2 -1 0 1 2 η Anzahl (b) η-Abhängigkeit ATLAS 2010, Periode F 28000 Protonen (Λ) 26000 Pionen (Λ) 0 24000 Pionen (K s) 22000 20000 18000 16000 14000 12000 10000 -3 -2 -1 0 1 2 3 φ (c) φ-Abhängigkeit Abbildung 6.15.: Zu sehen ist die Häufigkeit rekonstruierter Pionen und Protonen in Abhängigkeit vom Transversalimpuls pt , der Pseudorapidität η und des Azimutwinkels φ. Λ- und K0s -Zerfälle wurden hierbei getrennt behandelt. Für die Rekonstruktion wurden die ATLAS-Daten der Periode F verwendet. 57 6. Produktion von Analyse-Samples Anzahl 104 104 10 10 Anzahl Anzahl 3 3 102 102 10 1 1 10 P [ t G eV] 10 -3 -2 -1 0 3 2 1 η 1 (a) (pt , η) rekonstruierter Protonen aus Λ-Zerfällen Anzahl 10 10 3 Anzahl Anzahl 3 102 102 10 1 10 1 2 P [ t G eV] 3 4 5 -2 6 -1 0 2 1 η 1 (b) (pt , η) rekonstruierter Pionen aus Λ-Zerfällen Anzahl 10 10 5 Anzahl Anzahl 104 5 104 10 10 3 3 102 102 10 1 1 P [ t G eV] 10 -3 -2 -1 0 1 2 η 3 10 1 (c) (pt , η) rekonstruierter Pionen aus K0s -Zerfällen Abbildung 6.16.: Zu sehen ist das (pt , η)-Spektrum der über die rekonstruierten Λ- und K0s -Zerfälle erhaltenen Pionen und Protonen, die im weiteren Verlauf der Arbeit auf Fehlidentifikationen hin untersucht werden. Für die Rekonstruktion wurden die ATLAS-Daten der Periode F verwendet. 58 7. Ergebnisse Nachdem nun Stichproben von K0s - und Λ-Zerfällen mit hoher Reinheit verfügbar sind, können diese dazu verwendet werden, das Ergebnis der ATLAS-Leptonrekonstruktion zu überprüfen. Wie in Kap. 5 bereits erläutert, verläuft die Bestimmung der Fehlidentifikationsraten von Leptonen durch geladene Hadronen in verschiedenen Schritten: Zuerst werden die Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten der zu untersuchenden Hadronen, also den Pionen und Protonen, aufgenommen. Diese Analyse kann auf echte Daten angewendet werden. Anschließend folgt die Bestimmung der relativen Häufigkeiten der beteiligten Teilchen. Da in die Häufigkeiten das Verhältnis von wahren Hadronen zu rekonstruierten Leptonen eingeht, ist man hierbei auf Monte-Carlo-Simulationen angewiesen. Dies wird in Abschnitt 7.3 behandelt. Zuletzt können aus den Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten der Hadronen und den relativen Häufigkeiten die gesuchten Fehlidentifikationsraten für Leptonen bestimmt werden, welches in Abschnitt 7.4 durchgeführt wird. Abschnitt 7.5 behandelt abschließend den Untergrund der Elektronrekonstruktion durch geladene Hadronen. Hierbei wird analysiert, inwieweit sich als Elektronen fehlrekonstruierte Pionen von wahren Elektronen unterscheiden, indem die in Kap. 4 eingeführten Qualitätsschnitte untersucht werden. 7.1. Fehlidentifikationsraten von Leptonen aus Monte-Carlo-Studien Bevor eine Auswertung der datenbasierten Methode erfolgt, soll an dieser Stelle zuerst eine Abschätzung der Fehlidentifikationsraten von Elektronen und Myonen aus MonteCarlo-Simulationen erfolgen. Hierbei werden alle rekonstruierten Elektronen und Myonen wie folgt analysiert: Zu jedem rekonstruierten Lepton wird die zugehörige Spur mit den Spuren der erzeugten Monte-Carlo-Teilchen verglichen. Grundlage hierfür ist das in Kap. 6 eingeführte, auf Treffern des Inneren Detektors basierende Konzept zur Abgleichung von simulierten und rekonstruierten Spuren (Truth Matching). Die Anzahl fehlidentifizierter Leptonen wird in jedem einzelnen Bin der zu untersuchenden Abhängigkeiten anschließend auf die Anzahl rekonstruierter Leptonen normiert. Dies geschieht separat für jeden Rekonstruktionsalgorithmus und getrennt nach Qualitätsklassifikation (Tight, Medium, Loose). Die im Rahmen dieser Arbeit gezeigten Raten beziehen sich auf die Standardrekonstruktionsalgorithmen; High-Pt für Elektronen und Combined-Staco für Myonen. 59 Anzahl der Eintr age 7. Ergebnisse MC09 7TeV, Z→ e+e Np0 - e- Kandidaten 105 e+ Kandidaten 104 103 102 10 1 e- π- p- K - e+ e+ π+ p+ K+ e- Abbildung 7.1.: Die Abbildung zeigt die Häufigkeiten der Teilchen, die als Elektronen fehlidentifiziert wurden. Betrachtet wurden hierbei High-Pt -MediumElektronen aus simulierten Z → e+ e− -Ereignissen. Abbildung 7.1 zeigt für simulierte Z → e+ e− -Zerfälle den Wahrheitsgehalt der rekonstruierten Elektronen. Man erkennt, dass die überwiegende Anzahl an Elektronen korrekt rekonstruiert wurde. Dennoch wurden in einigen Fällen ebenfalls andere Teilchen als Elektronen rekonstruiert. Hierbei handelt es sich überwiegend um Pionen, jedoch ist die Rate durch Protonen und Kaonen ebenfalls nicht zu vernachlässigen. Dies ist der Grund, warum das datenbasierte Konzept spezielle Zerfälle wie den Λ- und K0s Zerfall verwendet, um hochreine, zu analysierende, Pionen und Protonen aus Daten zu extrahieren. Die Analyse von Kaonen kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgeführt werden, da wie in Kap. 6 beschrieben, noch keine ausreichende Statistik an Kaonen zur Verfügung steht. Fehlrekonstruktionen der Ladung, also das Verwechseln von Elektronen und Positronen, ist aufgrund der mit zunehmenden Transversalimpuls linear schlechter werdenden Impulsauflösung zwar denkbar, spielt im betrachteten Impulsspektrum bis 100 GeV jedoch keine ernstzunehmende Rolle. Die entsprechenden Fehlidentifikationsraten von Leptonen durch geladene Hadronen zeigen deutliche Abhängigkeiten vom Transversalimpuls pt , der Pseudorapidität η und dem Grad der Isolation des rekonstruierten Leptons, welches Abb. 7.2 zu entnehmen ist. Die Isolation wird in der Variablen EtCone20 gespeichert, wobei deren Messung wie folgt funktioniert: Zuerst wird die in einem η-φ-Kegel von R = 0, 2 um den Schwerpunkt des dem Lepton zugehörigen Kalorimeterclusters die gesamte dort deponierte Energie aufsummiert. Anschließend wird davon die dem Elektron zugeordnete Energie subtrahiert, sodass für isolierte Elektronen ein EtCone20 nahe null zu erwarten ist. Die größte Ab- 60 7.1. Fehlidentifikationsraten von Leptonen aus Monte-Carlo-Studien Fehlidentifikationsrate MC09 7TeV, Z→ e+e- Np0 Pionen Protonen -1 10 Kaonen -2 10 10-3 10-4 10-5 1 102 Pt [GeV] 10 (a) pt -Abhängigkeit Fehlidentifikationsrate Fehlidentifikationsrate MC09 7TeV, Z→ e+e- Np0 0.007 Pionen Protonen 0.006 Kaonen 0.005 0.004 0.035 MC09 7TeV, Z→ e+e- Np0 Pionen 0.03 Protonen 0.025 Kaonen 0.02 0.003 0.015 0.002 0.01 0.001 0.005 0 0 -2.5 -2 -1.5 -1 -0.5 0 0.5 (b) η-Abhängigkeit 1 1.5 2 2.5 η -2 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 ECone20 [GeV] t (c) EtCone20 -Abhängigkeit Abbildung 7.2.: Fehlidentifikationsrate für High-Pt -Medium-Elektronen aus simulierten Z → e+ e− -Ereinissen ohne weitere harte Partonenabstrahlung. Zu sehen sind die binweise normierten Abhängigkeiten in pt , η und EtCone20 für fehlidentifizierte Pionen, Protonen und Kaonen, wobei jeweils sowohl Teilchen als auch Antiteilchen gemeint sind. hängigkeit der Fehlidentifikationsrate von Elektronen liegt im Transversalimpuls. Betrachtet man Abb 7.2(a), so zeigt sich, dass die Rate mit zunehmenden pt um viele Größenordnungen fällt. Dies lässt sich durch das zugrunde liegende Häufigkeitsverhältnis von Elektronen gegenüber geladenen Hadronen erklären. Da in Z → e+ e− -Ereignissen hochenergetische Elektronen erzeugt werden und die Hadronen nur aus den weichen Sekundärprozessen (z.B. Underlying Event), die nicht zum harten Subprozess gehören, entstehen, nimmt die Hadronenanzahl mit zunehmendem Transversalimpuls stark ab. Das resultierende Häufigkeitsverhältnis der jeweiligen Hadronen gegenüber Elektronen wird in Abschnitt 7.3 noch genauer erläutert und kann Abb. 7.10 entnommen werden. Des Weiteren sinkt mit zunehmendem Transversalimpuls die Wahrscheinlichkeit da- 61 7. Ergebnisse für, dass geladene Hadronen ihre gesamte Energie im elektromagnetischen Kalorimeter deponieren und dort absorbiert werden. Für die Elektronrekonstruktion wird darauf geachtet, dass das Verhältnis von deponierter Energie im hadronischen Kalorimeter zur Gesamtenergie des Elektronclusters einen Maximalwert nicht überschreitet (Hadronic Leakage). Die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Hadron das elektromagnetischen Kalorimeter nicht durchdringen kann und somit den Schnitt auf das Hadronic Leakage erfüllt, sollte mit zunehmendem Transversalimpuls fallen, sodass prinzipiell ebenfalls eine fallende Fehlidentifikationsrate zu erwarten ist. Über die Materialkonstanten des ATLAS-Kalorimeters lässt sich abschätzen [42, 43], dass bereits im elektromagnetischen Kalorimeter absorbierte Hadronen im Mittel bis zu einem Transversalimpuls von ca. 5 GeV zu erwarten sind. Die Fehlidentifikationsrate von Elektronen ist jedoch nicht nur durch im elektromagnetischen Kalorimeter steckenbleibenden Hadronen gegeben. Es ist auch möglich, dass ein Elektronsignal durch eine falsche Zuordnung eines elektromagnetischen Clusters, der z.B. von einem Photon verursacht wird, und einer davon unabhängigen Spur entsteht, sobald beide energetisch und räumlich zueinander passen. Die Wahrscheinlichkeit für so eine Fehlzuordnung steigt je weniger isoliert das Teilchen ist, d.h. mit steigenden EtCone20 -Werten, und liefert ihren Beitrag zur Fehlidentifikationsrate. Insbesondere Pionen sollten diesen Effekt zeigen, da sie den Großteil, der im Inneren Detektor rekonstruierten Spuren stellen. Über den Zerfall π0 → γγ neutraler Pionen existieren daher auch viele Photonen, die diesen Effekt induzieren können. Abbildung 7.2(c) zeigt die entsprechende Fehlidentifikationsrate von Medium-Elektronen durch Pionen, Kaonen und Protonen in Abhängigkeit von EtCone20 für simulierte Z → e+ e− Ereignisse und lässt die eben vermutete Korrelation erkennen. Weiterhin bleibt zu bemerken, dass die Auflösung und Länge des im ATLAS-Experiment verwendeten Kalorimeters räumlich nicht konstant ist (siehe Kap. 3). Kalorimeterbasierte Schnitte der Elektronrekonstruktion, wie sie in Kap. 4 erläutert wurden, zeigen damit unterschiedliche Effekte. Zudem ist die mittlere Anzahl der im Ereignis produzierten Hadronen in der Regel nicht räumlich gleichverteilt. Dies zusammen sorgt dafür, dass ebenso die Fehlidentifikationsrate von Leptonen räumlichen Schwankungen unterliegen kann und ihre Abhängigkeit von der Pseudorapidität η untersucht werden sollte. Der entsprechende Verlauf für simulierte Z → e+ e− -Ereignisse kann Abb. 7.2(b) entnommen werden. Die Sachlage ändert sich enorm, wenn man statt Z → e+ e− -Zerfällen, bei denen hochenergetische und isolierte Elektronen produziert werden, QCD-Multijet-Ereignisse betrachtet. Das verwendete QCDj2Np4-Sample enthält simulierte QCD-Prozesse, bei denen vier harte Jets entstehen; j2 charakterisiert hierbei den Energiebereich der Jets. Hier können Leptonen nur aus schwachen und elektromagnetischen Teilchenzerfällen entstehen. Hadronen hingegen stammen sowohl aus dem Underlying Event als auch aus den hart produzierten Jets. Ein typisches Multijet-Ereignis zeigt demnach im Mittel eine wesentlich höhere Anzahl geladener Hadronen als ein Z → e+ e− -Ereignis. Abbildung 7.3 zeigt die zuvor beschriebenen Abhängigkeiten der Fehlidentifikationsraten von Medium-Elektronen für simulierte Multijet-Ereignisse. Zu erkennen ist, dass die Fehlidentifikationsrate von Elektronen durch geladene Hadronen in QCD-Ereignissen, bedingt durch die im Mittel deutliche höhere Anzahl an Hadronen, grundsätzlich we- 62 7.1. Fehlidentifikationsraten von Leptonen aus Monte-Carlo-Studien Fehlidentifikationsrate MC09 7TeV, QCDj2Np4 0.9 Pionen 0.8 Protonen 0.7 Kaonen 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 0 1 102 Pt [GeV] 10 Fehlidentifikationsrate Fehlidentifikationsrate (a) pt -Abhängigkeit 0.6 0.5 MC09 7TeV, QCDj2Np4 0.4 Pionen 0.3 0.6 0.5 MC09 7TeV, QCDj2Np4 0.4 Pionen Protonen 0.3 Protonen Kaonen Kaonen 0.2 0.2 0.1 0.1 -2.5 -2 -1.5 -1 -0.5 0 0.5 1 (b) η-Abhängigkeit 1.5 2 2.5 η 0 5 10 15 20 ECone20 [GeV] t (c) EtCone20 -Abhängigkeit Abbildung 7.3.: Fehlidentifikationsrate für High-Pt -Medium-Elektronen aus simulierten QCD-Ereignissen mit vier harten Jets. Zu sehen sind die binweise normierten Abhängigkeiten in pt , η und EtCone20 für fehlidentifizierte Pionen, Protonen und Kaonen (Teilchen und Antiteilchen). sentlich größer ist, als bei Z → e+ e− -Ereignissen. Abbildung 7.3(a) zeigt die Abhängigkeit der Fehlidentifikationsrate vom Transversalimpuls. Prinzipiell ist zu erwarten, dass die Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit von Elektronen durch geladene Hadronen mit zunehmendem Transversalimpuls fällt, da, wie zuvor erwähnt, der bei der Elektronrekonstruktion notwendige Schnitt auf das Hadronic Leakage seltener gewährleistet wird. Höchstwahrscheinlich wird dieser Effekt jedoch stark mit dem Häufigkeitsverhältnis von Hadronen gegenüber Elektronen überlagert, welches für die Anhäufung bei etwas 5 GeV sorgt. Betrachtet man Abb. 7.3(b), so erkennt man, dass die Fehlidentifikationsrate in Multijet-Ereignissen gegenüber Z → e+ e− -Ereignissen zwar um einen Faktor 100 erhöht, der prinzipielle Verlauf aber nicht verändert ist. Die Abhängigkeit von der Isolation (EtCone20 ) zeigt jedoch ein deutlich anderes Verhalten. Anhand Abb. 7.3(c) lässt 63 MC09 7TeV, Z→ µ+µ- Np0 1 Pionen Protonen 10-1 Kaonen 10-2 MC09 7TeV, QCDj2Np4 Fehlidentifikationsrate Fehlidentifikationsrate 7. Ergebnisse Pionen 0.3 0.2 10-4 0.1 10 (a) Z → µ+ µ− Ereignisse Pt [GeV] Kaonen 0.4 10-3 1 Protonen 0.5 0 1 10 102 Pt [GeV] (b) QCD j2Np4 Ereignisse Abbildung 7.4.: Fehlidentifikationsrate für kombinierte Myonen. Betrachtet wird die Abhängigkeit der Rate vom Transversalimpuls für mit dem StacoAlgorithmus rekonstruierte Myonen aus Z → µ+ µ− -Ereignissen ohne weitere harte Partonenabstrahlung (a), sowie aus QCD-Ereignissen mit vier Jets (b). sich ein nahezu konstanter Verlauf erkennen. Die Fehlidentifikationsrate von Elektronen scheint also für Ereignisse mit hoher Teilchendichte und großer Hadronenanzahl unabhängig von der Isolation der Elektronen zu werden. Die Fehlidentifikationsrate für rekonstruierte Myonen in Abhängigkeit des Transversalimpulses kann Abb. 7.4 entnommen werden. Diese wurde sowohl für simulierte Z → µ+ µ− Ereignisse als auch für simulierte QCD-Multijet-Ereignisse aufgenommen und bezieht sich auf kombinierte Myonen des Staco-Algorithmusses. Der Verlauf ähnelt dem für rekonstruierte Elektronen. Für den Fall, dass sich in den betrachteten Ereignissen das Verhältnis von Hadronen zu Myonen mit zunehmendem Transversalimpuls deutlich verringert, wie es in Z → µ+ µ− Zerfällen der Fall ist, nimmt die Fehlidentifikationsrate mit zunehmendem Transversalimpuls sehr stark ab, wie anhand Abb. 7.4(a) erkennbar ist. In den QCD-Multijet-Ereignissen, bei denen im Mittel viel mehr Hadronen produziert werden und das Verhältnis von Hadronen zu Myonen mit zunehmendem pt näherungsweise konstant bleibt, ist die Fehlidentifikationsrate wesentlich größer. Betrachtet man Abb. 7.4(b), so erkennt man wiederum, dass Pionen aufgrund ihrer großen Häufigkeit den dominanten Anteil der Fehlidentifikationsrate von Myonen tragen. Zu erwarten ist grundsätzlich eine mit zunehmendem Impuls ansteigende Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit, da im Flug zu Myonen zerfallende Hadronen (inflight decays) möglich sind. Der Knick in der rekonstruierten globalen Teilchenspur, der durch den Zerfall entsteht, wird mit größer werdendem Transversalimpuls geringer, sodass Verwechslungen mit echten Myonen wahrscheinlicher werden. Dieser Effekt ist insbesondere bei den fehlidentifizierten Kaonen zu sehen, die zu ca. 64 % über K → µν 64 Fehlidentifikationsrate 7.1. Fehlidentifikationsraten von Leptonen aus Monte-Carlo-Studien MC09 7TeV, QCDj2Np4 Pionen (Loose) Pionen (Medium) Pionen (Tight) Protonen (Loose) Protonen (Medium) Protonen (Tight) 0.8 0.7 0.6 0.5 0.4 0.3 0.2 0.1 1 10 102 Pt [GeV] Abbildung 7.5.: Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit für Elektronen aus simulierten QCD-Ereignissen mit vier Jets. Zu sehen ist die Abhängigkeit vom Transversalimpuls für als Elektronen fehlidentifizierte Pionen und Protonen. Die Auswertung erfolgte getrennt nach dem Satz Qualitätsschnitte (Loose, Medium und Tight), die die rekonstruierten Elektronen erfüllen. zerfallen. Das Abfallen der Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit von Myonen durch Pionen könnte eventuell durch die kompensatorische Wirkung der Abnahme von Pionen aus dem Underlying Event begründet sein. Sowohl bei Pionen, Kaonen als auch Protonen erkennt man das Anwachsen der Fehlidentifikationsrate ab einem Impuls von ca. 20 GeV. Hier scheinen Punch-Throughs möglich zu werden, also Hadronen, die das hadronische Kalorimeter durchdringen und eine Spur in den Myonkammern zeigen. Es lässt sich festhalten, dass Pionen aufgrund ihrer großen Anzahl der dominierende Faktor für Leptonfehlidentifikationen sind. Die absolute Größe der jeweiligen Rate ist hierbei sehr stark ereignisabhängig. Qualitätsschnitte, die bei der Elektronrekonstruktion durchgeführt werden, und die damit verbundene Einteilung in Loose-, Mediumund Tight-Elektronen hilft hierbei, Fehlrekonstruktionen zu vermeiden. Abbildung 7.5 zeigt die Fehlidentifikationsrate von Elektronen durch Pionen sowie durch Protonen, getrennt nach Elektronklassifikation. Man erkennt, dass sowohl für Pionen als auch für Protonen, Loose-Elektronen die höchste und Tight-Elektronen die niedrigste Rate zeigen. 65 7. Ergebnisse 7.2. Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten für Pionen und Protonen Für die Aufnahme der Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten wurden die in Daten rekonstruierten K0s - und Λ-Zerfälle an das jeweilige Ereignis hinzugefügt. Zudem wurden sämtliche Ereignisse, in denen solch ein Zerfall gefunden wurde, extrahiert und dauerhaft gespeichert. Für die durchgeführte Analyse müssen somit nur solche Ereignisse untersucht werden, in denen mindestens ein gefundener Zerfall und ein rekonstruiertes Elektron, bzw. Myon existiert. Innerhalb dieser Ereignisse wird nun überprüft, ob die geladenen Hadronen aus den Zerfällen die gleiche Spur wie das rekonstruierte Lepton besitzen. Die auf diesen Weg ermittelten Fehlidentifikationen wurden binweise in den entsprechenden Abhängigkeiten auf die Anzahl der geladenen Hadronen normiert. Abbildung 7.6 zeigt die Wahrscheinlichkeit, dass Pionen, bzw. Protonen, als Elektronen fehlidentifiziert werden. Analysiert wurden hierbei Elektronen, die über den Standardalgorithmus High-Pt rekonstruiert wurden und mittlere Qualitätsschnitte erfüllen. Zwar werden in den meisten physikalischen Analysen Tight-Elektronen verwendet, die Messung der entsprechenden Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten gestaltete sich aufgrund mangelnder Statistik jedoch schwierig, sodass an dieser Stelle Medium-Elektronen ausgewertet werden. Die Auswertung erfolgte in Abhängigkeit von pt , η, EtCone20 und φ sowie getrennt nach Ladung. Betrachtet man die Abhängigkeit vom Transversalimpuls anhand Abb. 7.6(a), so fällt auf, dass diese mit zunehmendem pt steigt. Dieses Verhalten wurde nicht vollständig verstanden. Sowohl die Häufigkeitsverteilung der Elektronen in pt als auch die Tatsache, dass Hadronen mit zunehmendem Transversalimpuls mehr Hadronic Leakage zeigen, deuten auf eine eher abnehmende Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit hin, die per Konstruktion unabhängig von der Häufigkeitsverteilung der Hadronen ist. Die mit zunehmendem Transversalimpuls schwieriger werdende Elektronen-HadronenSeparation aufgrund der im TRT erzeugten HT-Hits kann das Verhalten nicht erklären, da die HT-Hit-Information nicht für die Rekonstruktion von Medium-Elektronen verwendet wird. Betrachtet man die Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit für Pionen aus K0s -Zerfällen, so lässt sich kein Unterschied zwischen π− und π+ erkennen. Die Analyse von fehlidentifizierten Pionen aus Λ-Zerfällen ist aufgrund zu geringer Statistik zum gegenwertigen Zeitpunkt leider nicht möglich. Das Ergebnis für die vereinzelt aufgetretenen fehlidentifizierten π− -Mesonen aus Λ-Zerfällen (bei ca. 2 GeV) deckt sich jedoch mit dem Ergebnis jener aus K0s -Zerfällen. Bei einer weiteren Betrachtung von Abb. 7.6(a) fällt auf, dass die Fehlidentfikationswahrscheinlichkeit für Protonen deutlich unterhalb der von Pionen liegt. Die Ladung bei Protonen scheint, im Gegensatz zu Pionen, einen enormen Einfluss auf das Ergebnis zu haben. Antiprotonen zeigen bei gleichem Transversalimpuls eine deutlich höhere Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit als Protonen. Dies liegt daran, dass Antiprotonen mit den Protonen der Atomkerne des 66 7.2. Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten für Pionen und Protonen p (Λ) p(e|i) p(e|i) ATLAS 2010, Periode F 10-2 p (Λ) π- (Ks) 0 π+ (K0s) π- ( Λ) π+ ( Λ) 10-3 ATLAS 2010, Periode F p (Λ) p (Λ) -4 10-3 π- (K0s) 10 π+ (Ks) 0 π- ( Λ) π+ ( Λ) -5 10 1 10 Pt [GeV] -2.5 -2 -1.5 0 0.5 1 1.5 2 2.5 η ATLAS 2010, Periode F p(e|i) p(e|i) ATLAS 2010, Periode F p (Λ) p (Λ) 0 π- (Ks ) 0 π+ (Ks ) π (Λ) π+ ( Λ) 10 -0.5 (b) η-Abhängigkeit (a) pt -Abhängigkeit -3 -1 p (Λ) p (Λ ) π- (Ks) 0 10-2 π+ (Ks) 0 π- (Λ) π+ (Λ) 10-4 10-3 10-5 -10 0 10 20 30 (c) EtCone20 -Abhängigkeit 40 50 ECone20 [GeV] t -3 -2 -1 0 1 2 3 φ (d) φ-Abhängigkeit Abbildung 7.6.: Zu sehen ist die Wahrscheinlichkeit, dass Pionen und Protonen als High-Pt -Medium-Elektronen fehlidentifiziert werden. Betrachtet werden hierbei Pionen aus K0s - und Λ-Zerfällen sowie Protonen aus ΛZerfällen. Die Auswertung erfolgte in Abhängigkeit von pt , η, EtCone20 und φ sowie getrennt nach Ladung der verwendeten Analyseteilchen. Die verwendeten Zerfälle wurden aus den ATLAS-Daten der Periode F rekonstruiert. Detektormaterials annihilieren können. Die auf diesem Wege entstehenden Photonen erzeugen einen Schauer im elektromagnetischen Kalorimeter, der in der Regel total absorbiert wird. Abbildung 7.6(b) zeigt die Abhängigkeit von der Pseudorapidität η. Hierbei muss beachtet werden, dass die entsprechende Verteilung unter Ausnutzung des gesamten zur Verfügung stehenden Impulspektrums erhalten wurde und somit der Vergleich absoluter Werte zwischen Pionen und Protonen aufgrund ihrer verschiedenen mittleren Trans- 67 7. Ergebnisse ×10 Anzahl der e-Kandidaten 3 1200 ATLAS 2010, Periode F 1000 Rekonstruierte Elektronen 800 600 400 200 0 0 5 10 15 20 25 30 35 ECone20 t 40 [GeV] Abbildung 7.7.: EtCone20 -Verteilung der über den High-Pt -Algorithmus rekonstruierten Elektronen. Verwendet wurden Elektronen, die aus ATLAS-Daten der Periode F rekonstruiert und im Rahmen dieser Arbeit auf Fehlidentifikationen durch Pionen und Protonen hin analysiert wurden. versalimpulse nicht geschehen kann. Dennoch lässt sich gut erkennen, dass auch hier Antiprotonen deutlich häufiger fehlidentifiziert werden als Protonen, wobei Pionen unterschiedlicher Ladung keine Abweichung zeigen. Des Weiteren ist zu erkennen, dass die in den Monte-Carlo-Simulationen (Abschnitt 7.1) beobachtete Struktur der Verteilungen erhalten bleibt. In den Monte-Carlo-Simulationen wurde keine separate Auswertung für Protonen und Antiprotonen gemacht, sodass sich das Verhalten in η über den gewichteten Mittelwert aus der Protonen- und Antiprotonenverteilung ergibt. Abbildung 7.6(c) zeigt den Einfluss von der Isolation. Der beobachtete Verlauf widerspricht auf den ersten Blick den Erwartungen. Fehlzuordnungen von Clustern und Spuren, die eine Ursache falsch rekonstruierter Elektronen darstellen, sollten mit zunehmendem EtCone20 wahrscheinlicher werden, sodass man einen stetig steigenden Verlauf erwarten würde. Dieser Effekt ist jedoch überlagert mit der Häufigkeitsverteilung rekonstruierter Elektronen in Abhängigkeit des zugehörigen EtCone20 . Anhand Abb. 7.7 lässt sich erkennen, dass die Häufigkeit rekonstruierter Elektronen näherungsweise exponentiell mit zunehmendem EtCone20 fällt. Dies kompensiert den zuvor beschriebenen Effekt und sorgt für den in Abb. 7.6(c) beobachteten Verlauf. Weiterhin erkennt man, dass ebenso Einträge zu einem negativen EtCone20 -Wert existieren. Da sich der EtCone20 Wert aus der Differenz der in einem vorgegebenen Kegel deponierten Energie und der Clusterenergie des rekonstruierten Elektrons ergibt, sind negative Werte möglich, so- 68 7.2. Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten für Pionen und Protonen p(µ|i) ATLAS 2010, Periode F p ( Λ) p ( Λ) π- (K 0) s 0 10-2 π+ (K s) π - ( Λ) π + ( Λ) 10-3 10-4 10-5 1 10 Pt [GeV] Abbildung 7.8.: Wahrscheinlichkeit für die Fehlidentifikation von Pionen und Protonen als Myonen. Die Abhängigkeit vom Transversalimpuls wurde für kombinierte Myonen des Staco-Algorithmus’ aufgenommen. bald der Schauer eine größere Ausdehnung als der Kegel besitzt. Zudem können für niederenergetische Elektronen negative EtCone20 -Werte durch Rauschen im Kalorimeter entstehen. Die große Abweichung zwischen Pionen aus Λ-Zerfällen und Pionen aus K0s -Zerfällen konnte nicht abschließend geklärt werden. Es ist jedoch zu vermuten, dass diese aus der Überlagerung mit der Transversalimpulsverteilung entsteht, da aufgrund der geringen Statistik nur Pionen bei ca. 2 GeV verwendet werden konnten, während die Pionen aus K0s -Zerfällen den Bereich 1 GeV < pt < 20 GeV abdecken. Abbildung 7.6(d) zeigt die entsprechende Abhängigkeit vom Azimutwinkel φ. Aufgrund der Zylindergeometrie des ATLAS-Detektors ist hier keine Abhängigkeit zu erwarten und man kann erkennen, dass die Abbildung im Rahmen der statistischen Messunsicherheiten flache Verteilungen zeigt. Die Wahrscheinlichkeit für die Fehlidentifikation von geladenen Hadronen als Myonen kann abhängig vom Transversalimpuls Abb. 7.8 entnommen werden. Ausgewertet wurden kombinierte Myonen des Staco-Algorithmusses. Eine mit zunehmendem Transversalimpulses ansteigende Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit ist, wie bereits in Abschnitt 7.1 erläutert, zu erwarten. Des Weiteren erkennt man, dass die Wahrscheinlichkeiten für Pionen im Rahmen der Fehler unabhängig von der Ladung sind. Im Gegensatz zur Elektronrekonstruktion gibt es jedoch keinen nennenswerten Unterschied zwischen Protonen und Antiprotonen bei falsch rekonstruierten Myonen. Dies ist dadurch begründet, dass bei der Myonrekonstruktion Fehlzuordnungen von Kalorimeter- 69 7. Ergebnisse p(e|π) 10-1 p(e|π) p(e|π) 10-1 10-2 10-2 10 -3 10 10-4 -3 2 1 η 0 eV] -2 10 Pt [G -1 1 (a) Fehlidentifizierte Pionen p(e|p) p(e|p) p(e|p) 10-1 10 -2 10 -3 10-2 10 -3 10-4 2 1 η 0 eV] Pt [G -1 -2 10 10-4 1 (b) Fehlidentifizierte Antiprotonen p(e|p) 10-2 p(e|p) p(e|p) 10-2 10 10 -3 -3 10-4 10-4 2 1 η 0 eV] Pt [G -1 -2 10 1 (c) Fehlidentifizierte Protonen Abbildung 7.9.: Wahrscheinlichkeit für die Fehlidentifikation von Pionen, Protonen und Antiprotonen als Elektronen in Abhängigkeit von η und pt . Verwendet wurden High-Pt -Medium-Elektronen aus den ATLAS Daten der Periode F. 70 7.3. Relative Häufigkeiten der beteiligten Teilchen clustern und Spuren des Inneren Detektors keine Rolle spielen. Antiprotonen, die mit dem Detektormaterial annihilieren, erreichen das Myonspektrometer nicht und können somit auch nicht fehlidentifiziert werden. Insofern müsste im Zweifel eher noch eine etwas geringere Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit erwartet werden, da Antiprotonen nicht in gleich hohem Anteil das Myonspektrometer erreichen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Wahrscheinlichkeit der Fehlidentifikation von geladenen Hadronen als Elektronen oder Myonen ihre stärkste Abhängigkeit im Transversalimpuls und im Teilchentyp (π, p, p̄) besitzt. Aufgrund der geringen Statistik kann eine dreidimensionale Abhängigkeit in (pt , η, EtCone20 ) derzeit nicht analysiert werden. Stattdessen wird die zweidimensionale Abhängigkeit in (pt , η) und (pt , EtCone20 ) gemessen. Aufgrund der Tatsache, dass sich die Raten für π+ und π− nicht unterscheiden, es aber einen erheblichen Unterschied für Protonen und Antiprotonen gibt, erfolgt die Messung der Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten für Pionen, Protonen und Antiprotonen separat. Die Ergebnisse der Messung in (pt , η) finden sich in Abb. 7.9. Zu erkennen ist sowohl die bereits diskutierte Struktur in η als auch das stetige Anwachsen der Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit mit zunehmendem Transversalimpuls. Des Weiteren erkennt man, dass Pionen die größte Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit zeigen und die der Antiprotonen stets oberhalb der der Protonen liegt. 7.3. Relative Häufigkeiten der beteiligten Teilchen Die Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit p (l̃ | h) wurde im vorigen Abschnitt für Pionen und Protonen bestimmt ( h = { π, p } ), wobei sowohl fehlerhaft rekonstruierte Elektronen als auch Myonen betrachtet wurden ( l = { e, µ } ). Um hieraus die jeweilige leptonische Fehlidentifikationsrate nach Glg. 5.11 zu erhalten, muss das dazugehörige Verhältnis p(h)/p(l̃) bestimmt werden. Dieses kann nicht aus Daten ermittelt werden, sodass man auf eine Bestimmung über simulierte Ereignisse angewiesen ist. Prinzipiell muss hierbei unter Verwendung verschiedener Monte-Carlo-Samples durch gewichtete Summation ein möglichst getreues Abbild der wahren Daten erstellt werden. Diese Pseudodaten müssten in einem zweiten Schritt den bei der Datennahme verwendeten Trigger durchlaufen, ehe das mittlere Verhältnis p(h)/p(l̃) bestimmt werden kann. Alternativ kann das genannte Verhältnis ebenso zu jedem Monte-Carlo-Sample einzeln bestimmt werden, wobei wiederum nur die Ereignisse verwendet werden, die den gewünschten Trigger durchlaufen. Anschließend werden die Ergebnisse der einzelnen Samples über ! X σi p(h) p(h) P · >= (7.1) < σ p(l̃) p( l̃) j j i i gewichtet gemittelt, wobei σi den Wirkungsquerschnitt für den jeweils simulierten Prozess angibt. Hierbei ist zu beachten, dass die zu jedem Monte-Carlo-Sample bestimm- 71 p(i) / p(e) 7. Ergebnisse Monte-Carlo-Samples QCD j2Np4 QCD j3np3 b b Np0 j1 b b Np1 j1 Z → e+e- Np0 W → eν Np0 Gewichtetes Mittel 105 104 103 102 10 1 10-1 10-2 10-3 1 10 102 Pt [GeV] Abbildung 7.10.: Die Abb. zeigt das Häufigkeitsverhältnis wahrer Pionen gegenüber rekonstruierter Medium-Elektronen für ausgewählte Monte-CarloSimulationen. Das Häufigkeitsverhältnis wurde aus Monte-CarloSimulationen erhalten und differiert stark, je nach simuliertem Ereignistyp. In Schwarz ist das gewichtete Mittel gezeichnet, welches sich aus den acht betrachteten Ereignistypen mit den größten Gewichten ergibt. ten Häufigkeitsverhältnisse schon ereignisgemittelten Größen entsprechen, sodass die in Gleichung 7.1 verwendeten Gewichte allein durch die Wirkungsquerschnitte der jeweiligen Samples gegeben sind. Die im Rahmen dieser Arbeit ausgewerteten ATLASDaten der Periode F stammen aus dem in Kap. 3 eingeführten Egamma-Datenstrom. Die Information, ob ein Ereignis aus den Monte-Carlo-Samples diese Triggerabfrage durchlaufen kann, stand bei der Erstellung dieser Arbeit noch nicht zur Verfügung. Zudem finden sich in den Monte-Carlo-Ereignissen nur solche, die mindestens ein hochenergetisches Objekt (Jet, Elektron etc.) beinhalten, welches bei der Datennahme nicht zwingend der Fall sein muss. Aus diesem Grund soll die Aufnahme der relativen Häufigkeiten der Monte-Carlo-Ereignisse eine erste Abschätzung sein. Weitergehende Studien könnten die entsprechenden Häufigkeiten unter Verwendung von weiteren Monte-Carlo-Samples und unter Einbringung der Triggerabfrage präziser vermessen. Die Bestimmung der Häufigkeitsverhältnisse in dieser Arbeit wurde durch eine Mittelung der vorhandenen Monte-Carlo-Samples erstellt, wobei nur jene verwendet wurden, deren Wirkungsquerschnitt mindestens 100 nb beträgt. Aufgrund dieser Näherung 72 7.3. Relative Häufigkeiten der beteiligten Teilchen p(π) / p(e) 10 10 3 3 p(π) / p(e) p(π) / p(e) 102 102 10 10 1 1 Pt [Ge V] 10 -2 -1 0 1 2 η 1 (a) Häufigkeitsverhältnis für Pionen 102 p(p) / p(e) p(p) / p(e) p(p) / p(e) 102 10 10 1 1 1 Pt [Ge V] 10 -2 -1 0 1 2 η (b) Häufigkeitsverhältnis für Antiprotonen p(p) / p(e) 102 p(p) / p(e) p(p) / p(e) 102 10 10 1 1 10-1 1 Pt [Ge V] 10 -2 -1 0 1 2 η (c) Häufigkeitsverhältnis für Protonen Abbildung 7.11.: Binweise normiertes Häufigkeitsverhältnis von wahren Pionen, Protonen und Antiprotonen gegenüber rekonstruierten High-Pt -MediumElektronen in (pt , η). Das Häufigkeitsverhältnis wurde über einem gewichteten Mittelwert aller Monte-Carlo-Samples mit einem Wirkungsquerschnitt von σ ≥ 100 nb erzeugt. 73 7. Ergebnisse wurden Ereignisse wie Z → e+ e− , in denen Elektronen und Myonen direkt produziert werden, durch ihren verhältnismäßig kleinen Wirkungsquerschnitt1 vernachlässigt. Abbildung 7.10 zeigt das Verhältnis wahrer Pionen gegenüber rekonstruierter Elektronen mit mittleren Qualitätsschnitten für verschiedene Monte-Carlo-Ereignisse. Zu erkennen ist, dass sich die Häufigkeiten aus den verschiedenen QCD-Multijet-Ereignissen stark von den Ereignissen, in denen Elektronen direkt produziert werden, unterscheiden. In Schwarz ist hierbei das Ergebnis der nach Gleichung 7.1 gewichteten Mittlung gezeigt, das für die Bestimmung der leptonischen Fehlidentifikationsrate verwendet wird. Gut zu erkennen ist ebenfalls das für die Z → e+ e− und W → eν Ereignisse auftretende Minimum des Pion-Elektron-Verhältnisses. Dieses befindet sich in der Nähe der halben Vektorbosonmasse, bei der die Häufigkeitsverteilung der Elektronen ihr Maximum erreicht. Die Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten aus Abschnitt 7.2 wurden zweidimensional in (pt , η) und (pt , EtCone20 ) aufgenommen, sodass an dieser Stelle nun ebenfalls eine Aufnahme des Häufigkeitsverhältnisses in den genannten Abhängigkeiten vollzogen wird. Hierbei ist zu beachten, dass die Größe EtCone20 für Hadronen der Monte-CarloSimulation nicht definiert ist. Die Bestimmung von p(h)/p(ẽ) abhängig von EtCone20 wurde realisiert, indem die Gesamtanzahl wahrer Pionen auf die Anzahl rekonstruierter Elektronen in dem zu betrachtenden EtCone20 -Bereich abgebildet wird. Für zweidimensionale Abhängigkeiten des Häufigkeitsverhältnisses wurde auf analogem Wege verfahren. Abbildung 7.11 zeigt die aus der oben erwähnten Mittlung erhaltenen Häufigkeitsverhältnisse von wahren Pionen, Protonen und Antiprotonen gegenüber rekonstruierten Elektronen mit mittleren Qualitätsschnitten in Abhängigkeit von (pt , EtCone20 ). Zu erkennen ist das gegenüber Protonen und Antiprotonen deutlich erhöhte Häufigkeitsverhältnis für Pionen, welches der Grund für ihren dominanten Anteil an leptonischen Fehlidentifikationsraten ist. Unterschiede zwischen Protonen und Antiprotonen sind dagegen nur marginal, sodass die unterschiedlichen Fehlidentifikationsraten primär durch die bereits beschriebene erhöhte Annihilationswahrscheinlichkeit der Antiprotonen begründet sind. 7.4. Fehlidentifikationsraten Innerhalb dieses Abschnittes werden die Fehlidentifikationsraten für Elektronen FRi (e) und Myonen FRi (µ), die sich über Gleichung 5.11 aus der Kombination bereits gemessener Fehlidentifikationswahrscheinlichkeiten von Hadronen und den im letzten Abschnitt erhaltenen mittleren Häufigkeitsverhältnissen, bestimmt. Für Elektronen z.B. ist die Gesamtfehlidentifikationsrate dann über FR(e) = FRπ (e) + FRp (e) + FRRest (e) 1 74 Beispiel: Verhältnis der Wirkungsquerschnitte σ(bb̄, Np0, j1) σ(Z→e+ e− , Np0) (7.2) ≈ 2577 FRi (e) 7.4. Fehlidentifikationsraten 1 Pionen Antiprotonen Protonen 10-1 10-2 1 Pt [GeV] 10 FRπ(e) Pionen Antiprotonen FRπ(e) (a) Fehlidentifikationsrate in Abhängigkeit von pt Pionen 1 Antiprotonen Protonen 1 Protonen 10-1 10-1 10-2 10-2 -2.5 10-3 -2 -1.5 -1 -0.5 0 0.5 1 1.5 (b) η-Abh. bei pt = 4 − 6 GeV 2 2.5 η -10 -5 0 5 10 15 20 25 30 ECone20 [GeV] t (c) EtCone20 -Abh. bei pt = 4 − 6 GeV Abbildung 7.12.: Fehlidentifikationsrate (FR) von High-Pt -Medium-Elektronen in pt , η und EtCone20 . Zu sehen ist sowohl der Pion-, Proton- als auch Antiprotonanteil der Rate. Zugrunde liegt ein gewichtetes Mittel der MonteCarlo-Samples mit σ ≥ 100 nb für das Häufigkeitsverhältnis sowie ATLAS-Daten der Periode F für die Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit der Hadronen. Abbildung (b) und (c) beziehen sich hierbei auf Elektronen mit einem Transversalimpuls von 4–6 GeV. gegeben. Der Pion- und Protonanteil konnte vermessen werden. FRRest (e) setzt sich hierbei aus dem Kaonanteil, der aufgrund der in Kap. 6 erwähnten Probleme bei der Rekonstruktion nicht vermessen werden konnte, und weiteren als Elektronen fehlidentifizierbaren Teilchen zusammen, deren Beiträge aufgrund Abb. 7.1 als gering einzustufen sind. Beispiele hierfür sind Photonen oder eine falsche Bestimmung der Elektronenladung. 75 7. Ergebnisse Abbildung 7.12(a) zeigt die Messung von FRi (l) sowohl für Pionen als auch für Protonen und Antiprotonen in Abhängigkeit des Transversalimpulses. Wie erwartet, ist die Rate für Pionen deutlich höher als für Protonen. Zudem lässt sich der bereits diskutierte Unterschied für Protonen und Antiprotonen gut erkennen. Ein tendenziell fallender Verlauf der Rate mit zunehmendem pt deckt sich ebenso mit den Erwartungen aus dem vorangegangenen Abschnitt, da dieser insbesondere durch das bereits diskutierte fallende Verhältnis zwischen Hadronen und Elektronen begründet ist. Die Abhängigkeiten der Fehlidentifikationsrate von η und EtCone20 kann Abb. 7.12 entnommen werden. Der mittlere Transversalimpuls ist für die jeweiligen Hadronen und Elektronen verschieden. Eine naive Aufnahme der Rate in η, b.z.w. EtCone20 würde, wie bereits in Abschnitt 7.2 erläutert, zu einer Überlagerung mit den Impulsverteilungen und somit zu falschen Raten führen. Aus diesem Grund wurde die Bestimmung der genannten Abhängigkeiten in einem Bereich des Transversalimpulses von pt = 4 − 6 GeV durchgeführt. Zu erkennen ist, dass die entsprechenden Raten den selben Verlauf zeigen und die bereits beschrieben Unterschiede in ihrer Höhe auch in η, bzw. EtCone20 erhalten bleiben. Das Abfallen der Rate in EtCone20 widerspricht jedoch den Erwartungen und konnte zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verstanden werden. Die Fehlidentifikationsrate von High-Pt -Medium-Elektronen wurde in Abhängigkeit von (pt , η) und (pt , EtCone20 ) gemessen. Exemplarisch ist die Rate in (pt , η) getrennt nach Fehlidentifikationen von Pionen, Protonen und Antiprotonen anhand Abb. 7.13 zu sehen. Die Fehlidentifikationsraten, die aus Monte-Carlo-Studien gewonnen wurden, müssen nicht im Detail stimmen, dienen jedoch als gute Orientierungshilfe für die Raten aus dem datenbasiertem Konzept. Wie in Abschnitt 7.1 gezeigt wurde, sind die Fehlidentifikationsraten sehr stark ereignisabhängig. Um einen Vergleich mit Daten realisieren zu können, sollten die betrachteten Monte-Carlo-Ereignisse denen der Daten im Mittel ziemlich ähnlich sein. Da die Korrektheit der Monte-Carlo-Simulationen jedoch im Detail bezweifelt werden kann und der Vergleich nur als Kontrolle der Größenordnung dienen soll, wird an dieser Stelle auf einen gewichteten Mittelwert verzichtet und das Monte-Carlo-Sample mit dem größten Wirkungsquerschnitt für einen Vergleich herangezogen. Abbildung 7.14 zeigt hierbei die über das datenbasierte Konzept gewonnene Fehlidentifikationsrate der als Medium-Elektronen rekonstruierten Pionen im Vergleich zu den Ergebnissen aus einer Studie von bb̄-Ereignissen ohne Abstrahlung weiterer harter Partonen. Zu erkennen ist, dass ab einem Transversalimpuls von ca. 3 GeV beide Raten sehr gut übereinstimmen. Hierbei muss beachtet werden, dass die ermittelten Raten aus dem datenbasierten Konzept unter Verzicht der Triggerabfrage bei den relativen Häufigkeiten aufgenommen wurden und somit noch verbesserungsfähig sind. Betrachtet man Abb. 7.14, so lässt die niedrige Fehlidentifikationsrate in den ersten beiden Bins vermuten, dass das Hadronen-Elektronen-Verhältnis bei niedrigem pt fehlerhaft ist. Weitere Vergleiche für den Protonen- und Antiprotonenanteil konnten nicht durchgeführt werden, da das verwendete Monte-Carlo-Sample nur 10.000 Ereignisse umfasst und Protonen aufgrund ihrer geringen Fehlidentifikationsrate somit zu wenig Statistik liefern. 76 7.4. Fehlidentifikationsraten FRπ(e) FRπ(e) FRπ(e) 1 1 10 10-1 -1 10-2 -3 10 1 10-2 2 P [ t G e 1 V] 0 10 -1 -2 η (a) Fehlidentifikationsrate von Elektronen durch Pionen FRp(e) 10-1 FRp(e) FRp(e) 10-1 10-2 10-2 10 -3 10-4 1 10 -3 2 P [ t G eV 1 ] 0 10 -1 -2 η (b) Fehlidentifikationsrate von Elektronen durch Antiprotonen FRp(e) FRp(e) FRp(e) 10-1 10 -2 10 -3 10-2 10 10-4 -3 1 2 P [ t G e 1 V] 0 10 -1 -2 η 10-4 (c) Fehlidentifikationsrate von Elektronen durch Protonen Abbildung 7.13.: Fehlidentifikationsrate von High-Pt -Medium-Elektronen getrennt für Fehlidentifikationen von Pionen (a), Antiprotonen(b) und Protonen(c) in (pt , η). Die Rate ergibt sich aus der Kombination der in Daten (Periode F) gemessenen Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit der jeweiligen Hadronen und aus dem entsprechenden Häufigkeitsverhältnis von Hadronen gegenüber Elektronen, welches aus einem gewichteten Mittel verschiedener Monte-Carlo-Samples hervorgeht. 77 FRπ(e) 7. Ergebnisse 1 Datenbasiert MC09 7TeV, bb Np0j1 10-1 1 10 Pt [GeV] Abbildung 7.14.: Fehlidentifikationsrate von High-Pt -Medium-Elektronen in pt über das datenbasierte Konzept im Vergleich zu Ergebnissen aus MonteCarlo-Simulationen. Zu sehen ist der Pionanteil der Fehlidentifikationsrate aus der im Rahmen dieser Arbeit durchgeführten Messung im Vergleich mit Ergebnissen für bb̄-Ereignisse ohne weitere harte Partonenabstrahlung. Für kombinierte Myonen des Staco-Algorithmusses wurden ebenfalls die Pion-, Protonund Antiprotonanteile der Fehlidentifikationsrate sowohl in (pt , η) als auch in (pt , EtCone20 ) gemessen. Abbildung 7.15 zeigt exemplarisch die Abhängigkeit vom Transversalimpuls, sowie analog zur Elektronanalyse einen Vergleich mit Ergebnissen aus MonteCarlo-Simulationen. Wie erwartet, lässt sich erkennen, dass Pionen den größten Anteil an fehlidentifizierten Myonen tragen. Des Weiteren stimmen die Ergebnisse der MonteCarlo-Studie größtenteils mit den Ergebnissen des datenbasierten Konzeptes überein. Die Fehlidentifikationsrate von Myonen liegt im Mittel eine Größenordnung unterhalb der von Elektronen und es existiert, wie erwartet, kein nennenswerter Unterschied zwischen Protonen und Antiprotonen. 7.5. Untersuchung zur Leptonqualität Anhand Kap. 6 konnte gezeigt werden, dass sich Samples von hochreinen Pionen und Protonen über die Rekonstruktion von K0s → π+ π− und Λ → pπ Zerfällen erhalten lassen. Diese wurden dazu verwendet, die Fehlidentifikationsraten von Elektronen und Myonen zu bestimmen. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit dieser Samples liegt 78 7.5. Untersuchung zur Leptonqualität FRπ(µ) Pionen Antiprotonen 10-1 Protonen 10-2 -3 10 1 Pt [GeV] 10 FRπ(µ) (a) Fehlidentifikationsrate von Myonen 1 Datenbasiert MC09 7TeV, bb Np0j1 10-1 10-2 -3 10 1 10 Pt [GeV] (b) Vergleich mit MC-Ergebnissen Abbildung 7.15.: Zu sehen ist die über das datenbasierte Konzept gemessene Fehlidentifikationsrate für kombinierte Staco-Myonen, getrennt nach Pion-, Proton- und Antiprotonanteil (a). Weiterhin ist ein Vergleich des Pionanteiles mit Ergebnissen einer Monte-Carlo-Studie aus bb̄Ereignissen gezeigt (b). in der Analyse der für die Leptonrekonstruktion verwendeten Qualitätsschnitte. Dieser Abschnitt soll einen Überblick darüber verschaffen, wie sich die für die Loose-, Medium- und Tight-Klassifikation verwendeten Schnitte auf den Untergrund rekonstruierter Elektronen auswirkt. Dies gelingt, da im Zuge der Minimierung des K0s - bzw. Λ-Untergrundes für die Zerfallsrekonstruktionen eine Analysesoftware zum Auffinden von Photonkonversionen erstellt wurde, die somit die Bereitstellung eines hochreinen2 Elektronensamples ermöglicht. Auf diesem Wege können durch Pionen bzw. Protonen fehlidentifizierte Elektronen direkt mit korrekt rekonstruierten verglichen werden. Abbildung 7.16 zeigt den relativen Anteil aller rekonstruierten Elektronen, die die entsprechenden Qualitätsschnitte durchlaufen haben. Hierbei zeigt Abb. 7.16(a) die spur2 Hochrein meint in dieser Arbeit eine Rekonstruktionsreinheit von π ≥ 95 %. 79 Anteil 7. Ergebnisse ATLAS 2010, Periode F e aus γ → e+eπ aus K0s→ π+π1 0.9 0.8 0.7 0.6 0.5 E/p NPixel NSi d0 B-Layer ∆η ∆φ NTRT R90 TRT RTRT Anteil (a) Spurbasierte Schnitte ATLAS 2010, Periode F e aus γ → e+eπ aus K0s→ π+π- 1.05 1 0.95 0.9 0.85 0.8 0.75 0.7 0.65 η Leakage e277 Rη37 W η2 Rmax2 ∆E W tot,s1 fracs1 W η1c ∆ Emax,s1 (b) Kalorimeterbasierte Schnitte Abbildung 7.16.: Gemessen wurde der Anteil an Elektronen, der die jeweils gezeigten Schnitte passiert. Die Schnitte entsprechen den Schnitten, aus denen sich die Klassifikation Loose, Medium und Tight ergibt (Kap. 4). Die Auswertung erfolgte separat für Elektronsignale, die von wahren Elektronen stammen, und für Signale, die von Pionen stammen und somit einem fehlidentifizierten Elektronen entsprechen. 80 7.5. Untersuchung zur Leptonqualität basierten und Abb. 7.16(b) die kalorimeterbasierten Schnitte. Die Auswertung wurde getrennt für wahre Elektronen, die sich aus Photonkonversionen ergeben, und als Elektronen fehlidentifizierte Pionen, die über K0s -Zerfälle erhalten wurden, gemacht. Die Definition der Schnittvariablen wurde in Kap. 4 gegeben. Betrachtet man Abb. 7.16(a), so erkennt man, dass die fehlidentifizierten Elektronen den E/p-Schnitt in geringerem Maße durchlaufen, als korrekt rekonstruierte. Dies lässt sich unter anderem durch die im Mittel größere Restenergie erklären, die bei Pionen im hadronischen Kalorimeter deponiert wird (Hadronic Leakage). Weiterhin liegt die Pionmasse ebenfalls deutlich oberhalb der Elektronenmasse, welches insbesondere auf niederenergetische Elektronen einen Einfluss hat. Die betrachteten Pionen zeigen im Mittel mehr Spurtreffer in den Subdetektoren des Inneren Detektors. Dies ist wahrscheinlich durch die Rekonstruktionsmethode bedingt, da für die Pionrekonstruktion Schnitte auf die Qualität der Spuren durchgeführt wurden. Die größte Abweichung zu wahren Elektronen lässt sich am TRT-Verhältnis RTRT erkennen. Pionen lösen im Mittel deutlich weniger HT-Hits im TRT aus als wahre Elektronen und passieren daher den Schnitt in höherem Maße. R90 TRT beinhaltet hierbei einen zusätzlichen Schnitt auf die Isolation des Elektronkandidaten. Abbildung 7.16(b) zeigt dieselbe Auswertung für die kalorimeterbasierten Schnitte. Hier erfüllt sich die Erwartung, dass Pionen im Mittel mehr Restenergie im hadronischen Kalorimeter aufweisen (Leakage). Zudem zeigen sie im Mittel deutlich größere laterale Schauerbreiten, welches sich an den Schauervariablen Rη37 , Wη2 und Wtot, s1 erkennen lässt, die die entsprechenden Schauerbreiten in η, bzw. in Anzahl an Kalorimeterzellen, beschreiben. Variablen wie Rmax2 und ∆E haben ihre Aufgabe in der Unterdrückung von π0 -Untergrund, der durch den Zerfall von π0 → γγ für eine Substruktur im assoziierten Cluster sorgt. Hierbei wird im Wesentlichen auf den Energieunterschied von erstem und zweitem Maximum des Schauers geschnitten und zeigt folgerichtig für geladene Pionen keine Wirkung. Die ATLAS-Arbeitsgruppe „Egamma“ hat für die entsprechenden Spur- und Schauervariablen Wahrscheinlichkeitstabellen angefertigt, getrennt für wahre Elektronen aus Z → e+ e− und für Jets aus QCD-Dijet-Ereignissen. Die aus diesen Monte-Carlo-Simulationen erhaltenen Ereignishistogramme wurden flächennormiert, um die entsprechenden Wahrscheinlichkeitstabellen zu generieren. Für als wahr angenommene Elektronen aus Z → e+ e− Ereignissen ergibt sich dann die Gesamtwahrscheinlichkeit (Likelihood) einen bestimmten Satz an Variablenwerten x zu erhalten über PSig (x) = Πi P(i x ). (7.3) Analog berechnet sich somit für die Dijet-Ereignisse die Gesamtwahrscheinlichkeit PBkg (x). Eine mögliche Variable zur Diskriminierung zwischen Elektronen und Jets ergibt sich über das das Verhältnis der Likelihoods [45] L(x) = PSig (x) . PBkg (x) (7.4) 81 0.1 Anteil Anteil 7. Ergebnisse ATLAS 2010, Periode F 0.06 ATLAS 2010, Periode F 0.05 π aus Ks → ππ e aus γ → ee π aus 0.08 0 Ks → ππ e aus γ → ee 0 0.04 0.06 0.03 0.04 0.02 0.02 0.01 0 -30 -20 -10 0 10 log ( P (x) / P 10 (a) Likelihood-Verhältnis sig 20 (x) ) bkg 0 -100 -80 -60 -40 -20 0 log ( P (x) * P (x) ) 10 sig bkg (b) Likelihood-Produkt Abbildung 7.17.: Wahrscheinlichkeitsverhältnis und -produkt für wahre Elektronen und als Elektronen fehlidentifizierte Pionen. Man beachte den unphysikalischen Eintrag für log10 PSig (x) · PBkg (x) > 0 in Abb. (b), der wahrscheinlich einer softwareinternen Fehlerkodierung entspricht. Der Schnitt auf L(x) ist kein Bestandteil der Elektronenrekonstruktion und bleibt dem Benutzer überlassen (Standardschnittwert: L=0). Abbildung 7.17 zeigt das über Gleichung 7.4 definierte Wahrscheinlichkeitsverhältnis sowie das Likelihood-Produkt LP = PSig (x) · PBkg (x) getrennt für wahre Elektronen und als Elektronen identifizierte Pionen. Zu erkennen ist, dass mit einem Schnitt auf L(x) ein Gewinn in der Reinheit der Elektronrekonstruktion nur über einen sehr hohen Effizienzverlust realisierbar ist. Dies ist zu erwarten, da es sich einerseits nur um solche Pionen handelt, die von der Rekonstruktionssoftware bereits als Elektronen fehlidentifiziert wurden, und andererseits die Berechnung von L(x) nur durch Verwenden der Wahrscheinlichkeitstabellen von Jets geschieht. Betrachtet man zudem LP (x) anhand Abb. 7.17(b), so erkennt man, dass einige Einträge bei LP (x) > 0 gefüllt sind. Per Definition ergeben diese Einträge keinen Sinn. Aufgrund der Tatsache, dass die Werte der Spur- und Schauervariablen nicht zur Verfügung standen, konnte die genaue Ursache hierfür nicht gefunden werden. Es bleibt jedoch zu vermuten, dass sich es hierbei um einen softwaretechnischen Fehlercode handelt, der sich ergibt, falls PSig (x), oder PBkg (x) nicht berechenbar sind. Dennoch bleibt zu vermerken, dass dieser Fall bei Pionen deutlich häufiger auftritt, als bei wahren Elektronen. Für weitergehende Studien könnten bei entsprechender Auswertung von ESD-Dateien, die den Zugriff auf die entsprechenden Variablen enthalten, analog zu den Jets, Wahrscheinlichkeitstabellen für Pionen und Protonen angefertigt werden, um ein besseres Unterscheidungsmaß zu erhalten und damit Schnitte der Elektronrekonstruktionen zu verbessern und Untergrund durch geladene Hadronen zu vermeiden. 82 8. Zusammenfassung und Ausblick Innerhalb dieser Arbeit wurde eine Methode vorgestellt, die es erlaubt, fehlidentifizierte Leptonen direkt in realen Daten zu ermitteln. Hierbei müssen Datensamples für die Teilchen, die für Fehlidentifikationen von Leptonen in Frage kommen, mit hoher Reinheit produziert werden. Eine durchgeführte auf Monte-Carlo-Simulationen basierende Vorstudie lässt erkennen, dass der dominante Anteil der leptonischen Fehlidentifikationsrate durch Pionen, Protonen und Kaonen verursacht wird. Aufgrund dieser Erkenntnis wurde im Rahmen der Arbeit versucht, spezielle Teilchenzerfälle mit hoher Reinheit zu rekonstruieren, bei denen Pionen, Protonen und Kaonen die entsprechenden Zerfallsprodukte stellen. Protonen lassen sich hierbei durch die Rekonstruktion des Λ → pπ Zerfalls aufbereiten. Der Zerfall lässt sich mit einer Reinheit von über 98, 9 % bei einer Effizienz von 17 % rekonstruieren. Die Aufbereitung eines Pionsamples gelingt sowohl über diesen als auch über den K0s → π+ π− Zerfall. Der K0s -Zerfall lässt sich mit einer Reinheit von 99, 2 % bei einer Effizienz von 16 % rekonstruieren. Es wurde versucht, Kaonen über den Zerfall φ → K+ K− zu identifizieren. Um eine ausreichende Rekonstruktionsreinheit zu erhalten, muss jedoch ein Schnitt auf den mittleren Energieverlust nach Bethe-Bloch erfolgen, der das Impulsspektrum der Kaonen für Fehlidentifikationsstudien zu stark einschränkt. Untersuchungen von alternativen Kaonquellen haben aber gezeigt, dass der goldene Zerfallskanal D∗ → Kππ einen vielversprechenden Ansatz liefert, hochreine Kaonen ohne Begrenzung des Transversalimpulses zu rekonstruieren. Aufgrund der wenigen bisher bei ATLAS genommenen Daten konnte zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Analyse von als Leptonen fehlidentifizierten Kaonen durchgeführt werden. Für die Zukunft, in der deutlich größere Datenmengen als die bisher ausgewerteten 2 pb−1 bereitstehen werden, wird dieses jedoch möglich sein. Es bleibt festzuhalten, dass innerhalb dieser Arbeit hochreine Samples von Pionen und Protonen erstellt wurden, die für eine Vielzahl weiterer Analysen verwendet werden können. Das Impulsspektrum dieser Teilchen erstreckt sich auf pt ≤ 30 GeV. Die hochreinen Pionen- und Protonensamples konnten dazu verwendet werden, die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlidentifikation dieser Teilchen als Elektronen oder Myonen zu bestimmen. Die Bestimmung gelingt hierbei ohne Verwendung von Monte-CarloInformationen und ist somit rein datenbasiert. Hierbei zeigten sich deutliche Abhängigkeiten im Transversalimpuls, der Pseudorapidität und in der Isolation des Teilchens. Eine hierfür notwendige dreidimensionale Histogrammierung konnte auf Grund mangelnder Statistik derzeit noch nicht durchgeführt werden, sodass die Histogrammierung zweidimensional in (pt , η) und (pt , EtCone20 ) erfolgte. Es lässt sich erkennen, dass im 83 8. Zusammenfassung und Ausblick Mittel Pionen die größte und Protonen die geringste Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit zeigen. Antiprotonen zeigen aufgrund der Annihilationsmöglichkeit mit Protonen aus dem Detektor eine gegenüber Protonen erhöhte Fehlidentifikationswahrscheinlichkeit. Aufgrund der Tatsache, dass fehlidentifizierte Elektronen und Myonen über das in dieser Arbeit entworfene datenbasierte Konzept sichtbar gemacht werden können, bieten sich für die Zukunft weitere Studien an, um diese Fehlidentifikationen genauer zu analysieren und ihr Zustandekommen besser zu verstehen. Ergebnisse dieser Studien könnten langfristig dazu verwendet werden, die Leptonrekonstruktionsalgorithmen bei ATLAS zu verbessern. Für die Messung der Fehlidentifikationsraten von Elektronen und Myonen wurde das dafür benötigte Häufigkeitsverhältnis der jeweiligen Hadronen und Leptonen aus Monte-Carlo-Simulationen gewonnen. Hierbei wurde ein gewichtetes Mittel aller verfügbaren Monte-Carlo-Samples mit einem Reaktionsquerschnitt größer als 100 nb realisiert. Leider konnte zum gegenwärtigen Zeitpunkt für die verwendeten Monte-CarloEreignisse der bei der Datennahme verwendete Trigger nicht berücksichtigt werden, sodass diese Ergebnisse als eine erste Abschätzung verstanden werden müssen. Für die Zukunft können bei entsprechender Implementierung auch Higher-Level-Trigger verwendet werden, um die Messung der Fehlidentifikationsraten von Elektronen und Myonen besser an die verwendeten Ereignistypen der jeweiligen Analyse des Benutzers anzupassen. Die Fehlidentifikationsraten konnten mit den vorläufigen relativen Häufigkeiten bestimmt werden. Ein Vergleich mit Ergebnissen aus Monte-Carlo-Simulationen zeigt eine gute Übereinstimmung und verdeutlicht die Konsistenz der Methode. In weiterführenden Studien sollte die Abhängigkeit der Fehlidentifikationsrate vom Häufigkeitsverhältnis untersucht werden, um zu klären, inwieweit das in dieser Arbeit eingeführte teilweise datenbasierte Konzept eine Verbesserung gegenüber einer Bestimmung nur aus Monte-Carlo-Simulationen darstellt. 84 A. Anhang A.1. Verwendete Datensätze Datenstrom Egamma Egamma Egamma Egamma Egamma Egamma Egamma Egamma Egamma Egamma Lint [nb−1 ] 300.29 328.77 106.03 350.69 245.8 72.15 6.42 50.9 273.44 228.3 √ Tabelle A.1.: Verwendete ATLAS-Daten der Periode F bei s = 7 TeV Ereignis BB+Jets, 0Jets, J1x BB+Jets, 1Jet, J1x BB+Jets, 1Jet, J2 QCD+Jets, 2Jets, J1 QCD+Jets, 4Jets, J2 QCD+Jets, 3Jets, J3 QCD+Jets, 4Jets, J3 QCD+Jets, 3Jets, J2 tt̄, semileptonisch Z → e+ e− , 0Jets Z → µ+ µ− , 0Jets W → eνe , 0Jets W → µνµ , 0Jets Lauf 162882 162843 162764 162690 162623 162620 162577 162576 162526 162347 Lumi-Block 122 - 448 114 - 517 138 - 237 264 - 642 002 - 338 166 - 237 002 - 012 002 - 065 118 - 501 119 - 546 Matrixelement Alpgen Alpgen Alpgen Alpgen Alpgen Alpgen Alpgen Alpgen Powheg Alpgen Alpgen Alpgen Alpgen Partonschauer WQ [pb] Herwig/Jimmy 1703410,0 Herwig/Jimmy 304739,0 Herwig/Jimmy 205757,0 Herwig/Jimmy 105263.6 Herwig/Jimmy 256204.9 Herwig/Jimmy 110727.1 Herwig/Jimmy 167584.0 Herwig/Jimmy 166792.3 Herwig 79,118 Herwig/Jimmy 611,9 Herwig/Jimmy 657,7 Herwig/Jimmy 6913,3 Herwig/Jimmy 6935,4 √ Tabelle A.2.: Verwendete MC-Samples bei s = 7 TeV 85 A. Anhang A.2. Mittlere Anzahl von Spuren am Primärvertex Anzahl Im Gegensatz zu Λ- und K0s -Zerfällen, für deren Rekonstruktion Spuren aus Sekundärvertices verwendet werden können, ist man im Zuge der Rekonstruktion von φ → K+ K− -Zerfällen aufgrund der geringen Lebensdauer des φ-Mesons auf Primärvertexspuren angewiesen. Während Sekundärvertices im Mittel zwei assozierte Spuren besitzen, sind es am Primärvertex ca. 60. Dies hat große Konsequenzen für den kombinatorischen Untergrund der Zerfallsrekonstruktion. Anzahl Spuren am Primärvertex 220 Entries 12971 200 Mean 59.99 RMS 26.18 180 160 140 120 100 80 60 40 20 0 0 50 100 150 200 250 NIDTrks Abbildung A.1.: Die Abb. zeigt für jedes betrachtete Ereignis die Anzahl an Spuren, die dem rekonstruierten Primärvertex zugeordnet wurden. Die Auswertung erfolgte für am ATLAS-Detektor rekonstruierte Daten der Periode F. 86 Literaturverzeichnis [1] S Catani. Aspects of QCD, from the Tevatron to the LHC. Technical Report hep-ph/0005233. 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Schematische Übersicht des ATLAS-Triggersystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 10 11 12 14 16 19 4.1. Schematische Übersicht der Helixparameter rekonstruierter Spuren . . . 22 4.2. Rekonstruktionseffizienz von High-Pt -Elektronen . . . . . . . . . . . . 24 5.1. Konzept für die Bestimmung der leptonischen Fehlidentifikationsraten . 32 6.1. Kollisionsereignis am LHC bei der ein Λ-Baryon erzeugt wird . . . . . 6.2. χ2 /NDoF des Spur- und Vertexfits . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3. Radialer Abstand rekonstruierter Photonkonversionen zur Strahlachse . 6.4. Differentieller Wirkungsquerschnitt von Photonkonversionen . . . . . . 6.5. Zerfallswinkel rekonstruierter K0s -Kandidaten . . . . . . . . . . . . . . 6.6. Transversale Zerfallslänge rekonstruierter K0s -Kandidaten . . . . . . . . 6.7. Pointingwinkel rekonstruierter K0s -Kandidaten . . . . . . . . . . . . . . 6.8. χ2 /NDoF und p( χ2 , NDoF ) des Kinematischen Fits für K0s -Zerfälle . . . . 6.9. Reinheit und Effizienz der K0s -Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . 6.10. Auswirkung der Schnitte auf die Anzahl rekonstruierter K0s -Kandidaten 6.11. Reinheit und Effizienz der Λ-Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . 6.12. Energieverlust nach Bethe und Bloch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.13. Reinheit der φ-Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.14. Reinheit der D∗± -Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.15. pt , η und φ rekonstruierter Protonen und Pionen . . . . . . . . . . . . . 6.16. (pt , η) rekonstruierter Protonen und Pionen . . . . . . . . . . . . . . . 37 39 40 42 43 44 45 46 47 48 51 53 54 55 57 58 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5. 7.6. 60 61 63 64 65 67 Häufigkeiten fehlidentifizierter Teilchen . . . . . . . . . . . . . . . Fehlidentifikationsrate für Elektronen aus Z → e+ e− -Ereinissen . . . Fehlidentifikationsrate für Elektronen aus QCDj2Np4 Ereignissen . Fehlidentifikationsrate von kombinierten Myonen . . . . . . . . . . Fehlidentifikationsw. von Elektronen unterschiedlicher Qualität . . . Abhängigkeiten der Fehlidentifikationsw. von Pionen und Protonen . . . . . . . . . . . . . 91 Abbildungsverzeichnis 7.7. EtCone20 -Verteilung rekonstruierter Elektronen . . . . . . . . . . . . . . 7.8. pt -Abh. der Fehlidentifikationsw. von Pionen und Protonen als Myonen 7.9. (pt , η)-Abh. der Fehlidentifikationsw. für Pionen, Protonen und Antiprotonen als Elektronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.10. Abhängigkeit relativer Häufigkeiten vom Simulationsereignis . . . . . . 7.11. Häufigkeitsverhältnis für Pionen, Protonen und Antiprotonen gegenüber Elektronen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.12. Fehlidentifikationsrate von High-Pt -Medium-Elektronen in pt , η und EtCone20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.13. Fehlidentifikationsrate von High-Pt -Medium-Elektronen in (Pt, η) . . . 7.14. Vergleich FRπ (e) aus Daten und Monte-Carlo-Simulationen . . . . . . . 7.15. Fehlidentifikationsraten von Staco-Myonen in pt . . . . . . . . . . . . . 7.16. Schnitte der Elektronenrekonstruktion und ihre Auswirkungen . . . . . 7.17. Unterscheidung von wahren Elektronen und fehlidentifizierten Pionen anhand von Spur- und Schauervariablen . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 69 70 72 73 75 77 78 79 80 82 A.1. Mittlere Anzahl von Spuren am Primärvertex . . . . . . . . . . . . . . 86 92 Tabellenverzeichnis 4.1. Übersicht der verschiedenen Myonrekonstruktionsalgorithmen . . . . . 28 6.1. 6.2. 6.3. 6.4. 6.5. Hadronische Zerfallskanäle des K0s . . . . . . . Verwendete Schnitte für die K0s -Rekonstruktion Zerfallskanäle des Λ-Baryons . . . . . . . . . . Verwendete Schnitte für die Λ-Rekonstruktion . Zerfallskanäle des φ-Mesons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 48 49 50 52 A.1. Verwendete ATLAS-Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 A.2. Verwendete MC-Samples . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 93 Tabellenverzeichnis 94 Danksagung An dieser Stelle möchte ich allen danken, die durch ihre Unterstützung zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. An allererster Stelle bedanke ich mich bei meinen Betreuern Thomas Lohse, Martin zur Nedden und Oliver Maria Kind, die mir diese Arbeit überhaupt erst ermöglicht haben. Insbesondere bei Oliver möchte ich mich für die umfangreichen Tipps und Tricks bei der Programmierung, sowie für die lockere und angenehme Zusammenarbeit bedanken. Des Weiteren bedanke ich mich bei den beiden Arbeitsgruppen der Experimentellen Elementarteilchenphysik an der Humboldt-Universität zu Berlin allgemein. Das zu jeder Zeit über die Arbeitsgruppen hinweg geholfen wurde ist nicht selbstverständlich, ebenso wenig wie das durchweg gute Arbeitsklima. Da sich durch die Abgabe dieser Arbeit auch das Physikstudium dem Ende neigt, möchte ich hier meiner Familie danken, die mir dieses ermöglicht hat. Weiterhin danke ich an dieser Stelle meinen Kommilitonen und Freunden Nicolas, Matthias, Bernard und Stephan für die gemeinsam durchlebte Zeit. Sebastian Beumler Berlin, 20.12.2010 95 Selbständigkeitserklärung Ich erkläre, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig und nur unter Verwendung der angegebenen Literatur und Hilfsmittel angefertigt habe. Berlin, den 20.12.2010 Sebastian Beumler 97