Aus den Spitälern 10 Hospital Tribune 1. Jahrgang · Nr. 7 · 30. September 2010 Angeborene Herzfehler Zentrum am Inselspital ermöglicht Betreuung ein Leben lang In der Schweiz leben etwa 15 000 bis 20 000 Patienten mit angeborenem Herzfehler. Viele dieser Adoleszenten und erwachsenen Patienten sind trotz Korrektur auf eine jährliche Kontrolle in einer Grown-UpCongenital-Heart (GUCH)-Sprechstunde angewiesen (siehe Kasten). Dazu zählen auch Patienten mit Aortenisthmusstenose, Ebstein Anomalie, Fallot-Tetralogie, AV-Septumdefekt, Transposition der grossen Gefässe, Trikuspidalatresie, etc. Bei Patienten mit einfachem Herzfehler (korrigierter VSD, ASD, etc.) genügt eine periodische Nachkontrolle alle zwei bis vier Jahre am Zentrum mit zwischenzeitlichen Kontrollen beim niedergelassenen Kardiologen. Der Wunsch nach einheitlicher Organisation, nach definitiven Ansprechpartnern, Qualitätssicherung, nach Spezialisten im interdisziplinären Team, nach fächerübergreifender Ausbildung sowie nach verbesserter Patientenbindung und -rekrutierung, führte am Inselspital zur Gründung eines Zentrums für angeborene Herzfehler mit Einbindung aller Spezialitäten (Neonatologie, Kinderkardiologie, Herzanästhesie, Intensivmedizin, GUCHSprechstunde, Transplantationskardiologie, Herzchirurgie und Kardiotechnik) auf dem gleichen Campus. Das interdisziplinäre Team gewährleistet an einem Ort die lebenslange ambulante und stationäre kardiologische Betreuung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler und die Betreuung von Schwangeren mit Kardiopathien (meistens aufgrund angeborener Herzfehler). Mittels pränataler Ultraschalluntersuchung können Herzfehler des Kindes bereits im Mutterleib erkannt und stabilisierende oder lebensrettende Massnahmen unmittelbar nach der Geburt ergriffen werden. Natürlich Fotos: zVg Bern – Nicht immer sind es kleine Patienten, die Hilfe brauchen, wenn es um angeborene Herzfehler geht. Warum ein interdisziplinäres Zentrum wichtig ist, zeigen einige Beispiele aus dem Inselspital. möchten auch Frauen mit angeborenem Herzfehler Kinder haben. Sie benötigen eine ganz besondere Betreuung während ihrer Schwangerschaft, die ebenfalls interdisziplinär im Perinatalzentrum des Inselspitals erfolgt. Ligatur des Ductus arteriosus Bei Extrem-Frühgeborenen können postnatal verschiedene lebensgefährliche Probleme auftreten. Eines davon ist das Offenbleiben des Ductus Botalli, was innerhalb kurzer Zeit zu Herzinsuffizienz, Lungenödem, Nierenversagen und Darmischämie führen kann. Der Ductus arteriosus Botalli muss ligiert werden. Da der herzchirurgische Eingriff ohne Herz-Lungen-Maschine durchgeführt werden kann und das Frühgeborene mit einer hochspezialisierten Beatmungsmaschine unterstützt wird, erweist sich der Eingriff auf der Intensivstation als vorteilhaft. So wurden in den letzten Jahren zahlreiche Frühgeborene mit einem Körpergewicht zwischen 550 und 1 000 g erfolgreich behandelt. Transposition der grossen Gefässe Bei der Transposition handelt es sich um eine schwere Missbildung, die ohne Behandlung nur einige Tage oder Wochen mit dem Leben vereinbar ist. Beide Gefässe entspringen aus der falschen Kammer; damit bestehen zwei parallel geschaltete Kreisläufe, die nur über ein offenes Foramen ovale oder den Ductus Botalli verbunden sind. Die Neugeborenen fallen durch Zyanose auf. In Extremfällen kann das Foramen ovale auf der Intensivstation unter Ultraschallkontrolle mittels Ballonkatheter vergrössert werden. Einige Tage danach folgt die sog. arterielle Switch-Operation, bei welcher die Das Einzugsgebiet der Kinderkardiologie und Kinderherzchirurgie am Inselspital Bern umfasst die Kantone Bern, Fribourg, Neuenburg, Solothurn, Wallis und Teile der Kantone Basel-Land und Luzern mit einer Bevölkerungszahl von etwa 2 bis 2,5 Millionen Einwohnern. Man rechnet in diesem Gebiet mit etwa 17 000 lebendgeborenen Kindern pro Jahr, ein Prozent dieser Kinder weist einen Herzfehler auf. Für das Einzugsgebiet des Inselspitals resultieren daraus jährlich ca. 200 bis 220 neu auftretende Herzfehler, schweizweit sind es ca. 700 pro Jahr. Dabei wird die Anzahl Neugeborener mit einem Herzfehler durch bessere pränatale Prävention und Diagnostik in den nächsten Jahren abnehmen, die Gruppe der immer älter werdenden Erwachsenen mit angeborenem Herzfehler, die sogenannten Grown-Up-Congenital-Heart-Patienten, kurz GUCH-Patienten, aber stark anwachsen. In den letzten Jahren wurde am Inselspital eine wesentliche Steigerung der GUCH-Patientenzahl beobachtet. In den nächsten Jahren darf ein Erreichen von ca. 1 000 Patienten pro Jahr angenommen werden. Ein Teil dieser Patienten wird mittelfristig ein Herzersatzverfahren benötigen. Dieses Mädchen hat kurz nach ihrem zweiten Geburtstag ein Spenderherz erhalten. Sie litt an einer angeborenen dilatativen Kardiomyopathie. Wegen der zunehmenden Herzschwäche war die Entscheidung für eine Herztransplantation gefällt worden. Während der Wartezeit auf ein Spenderherz erhielt das Mädchen ein linksventrikuläres Unterstützungssystem (Abb. rechts). Kurz vor der Transplantation erlitt das Kind einen Hirninfarkt mit linksseitiger armbetoner Hemiparese. Einen Monat später erfolgte die Herztransplantation. Der Verlauf im ersten Jahr war sehr erfreulich, es traten keine schweren Abstossungsreaktionen auf. grossen Gefässe am Ausgang des Herzens durchtrennt und mit der anatomisch und physiologisch richtigen Kammer verbunden werden. Dabei müssen auch die Koronargefässe umgepflanzt werden. Wesentliche Schritte der arteriellen Switch-Operation Das Überleben nach solchen Eingriffen ist sehr gut. Leistungsfähigkeit und Lebenserwartung dürfen als fast normal angenommen werden. Bei den letzten 40 Eingriffen am Inselspital betrug das postoperative Überleben 100 %. Rescue-ECMO bei Beinahe-Ertrinken Ein 5-jähriger Junge wird nach einem Ertrinkungsunfall mit kardiopulmonaler Reanimation versorgt, durch den eintreffenden Notarzt intubiert und mit schwerster pulmonaler Insuffizienz auf der Intensivstation des Kinderspitals aufgenommen. Die neurologische Situation bei prolongierter Hypoxie und Reanimati- on ist unklar. Bei Verschlechterung der Sauerstoffsättigung mit Werten bis unter 20 % und gleichzeitiger stetiger Erhöhung der Beatmungsdrücke wird die Indikation zur Versorgung mittels veno-venöser extrakorporeller Membranoxygenation (ECMO) gestellt. Kurz nach Aufnahme der Perfusion zeigt sich ein Anstieg der Sättigungswerte auf 60 bis 70 %. Nach fünf Tagen kann das System dank kontinuierlicher Verbesserung der Lungenfunktion explantiert werden. Nach Extubation zeigen sich keinerlei neurologische Auffälligkeiten oder Schäden. Das Kind besuchte zwei Wochen später wieder den Kindergarten. Dieser Fall illustriert, dass herausragende Ergebnisse in Extremsituationen erreicht werden können, wenn schnellstmöglich interdisziplinär agiert wird. Aortenklappenersatz mittels Autograft Bei einem 45-jährigen Polizisten wurde per Zufall die Diagnose einer bikuspiden Aortenklappe mit schwerer Insuffizienz und Dilatation der Aorta ascendens gestellt. Der Patient erhielt einen Aortenwurzelersatz (Operation nach Donald Ross) bei welcher die autologe Pulmonalklappe samt Pulmonalarterie in die Aortenposition verpflanzt wird und die Pulmonalklappe durch eine Leichenklappe (Homograft) ersetzt wird. Somit benötigt der Patient kein künstliches Implantat, keine Blutverdünnung und hat seine eigene Klappe in Aortenklappenposition, was eine möglichst lange Lebensdauer der neu eingesetzten Klappe verspricht. Leider kam es aber zwei Jahre später aus unerklärlichen Gründen zu einer verfrühten Verengung der rechtsseitigen Homograftklappe. Dieses Problem wurde mit dem Einsatz einer Transkatheterklappe über die Leiste ohne chirurgischen Zugang gelöst. Die Nachfolge-Untersuchungen ergaben, dass die perkutan eingesetzte Klappe gut funktioniert und somit im rechten Kreislauf wieder normale hämodynamische Verhältnisse herrschen. Auf der linken Seite (pulmonaler Autograft als Aortenklappe) ist das Operationsergebnis hervorragend. Der Patient ist weiterhin voll in seinem Beruf als Polizist tätig. Fazit Die Operation eines angeborenen Herzfehlers unmittelbar nach der Geburt des Kindes rettet zwar dessen Leben. Sie beseitigt aber nicht bei allen Patienten das Risiko späterer Herzprobleme. Wichtig ist daher eine lebenslange, vernetzte medizinische Betreuung. Deshalb braucht es medizinische Fachleute, die über die Fachgebiets- und Klinikgrenzen möglichst eng (ideal auf dem gleichen Campus) zusammenarbeiten. Das Zentrum für angeborene Herzfehler am Inselspital stellt diesen interdisziplinären Expertenverbund, unterstützt durch Patientenorganisationen, wie Cuore matto. Davon profitieren insbesondere GUCH-Patienten, die Patientengruppe, die in den nächsten Jahren stetig wachsen wird. Dr. Paul Libera, PD Dr. Alex Kadner, PD Dr. Markus Schwerzmann, Prof. Dr. Jean-Pierre Pfammatter, PD Dr. Bendicht Wagner, PD Dr. Mathias Nelle, Prof. Dr. Paul Mohacsi, Prof. Dr. Thierry Carrel