Porträt Frank Wedekind 24. Juli 1864 - 24. Juli 2014 Am 24. Juli 2014 jährt sich zum 150. Mal der Geburtstag des großen Dramatikers, Prosaisten und Lyrikers Frank Wedekind (1864-1918). Neben Gerhart Hauptmann, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler zählt er zu den bedeutendsten deutschen Theaterautoren des frühen 20. Jahrhunderts. Geboren in Hannover, verbrachte Wedekind seine Kinder- und Jugendjahre auf Schloss Lenzburg in der Schweiz. Nach abgebrochenem Jura-Studium und während seines kurzen Intermezzos als Chef des Reklamebüros (1886/1887) des aufstrebenden Lebensmittelunternehmens Julius Maggi in Kempttal (Schweiz) stand er in engem Kontakt mit dem Zürcher Literatenkreis um Karl Henckell, Carl und Gerhart Hauptmann (1888). Anschließend hielt er sich als freier Schriftsteller in Berlin und München (18891890) auf, vergeblich erfolgreichen Anschluss an die engen Zirkel der deutschen Naturalisten suchend. Mit der gerade veröffentlichten Kindertragödie „Frühlings Erwachen“ im Reisegepäck siedelte er in die Hauptstadt des 19. Jahrhundert, nach Paris um. Er war der erste deutsche Dramatiker der Kinder als Hauptpersonen auf die Bühne brachte. Zuvor hatte er bereits eine Komödie verfasst und im Selbstverlag veröffentlicht, Kinder und Narren (1889), deren Handlung das Thema Frauenemanzipation aufgriff. In Paris lernte er die vielfältigen neuen künstlerischen Bewegungen und Richtungen der Literarischen Moderne kennen und den jungen Verleger Albert Langen, der Werke August Strindbergs, Knut Hamsuns und französischer Autoren in deutscher Übersetzung publizierte. In Langens Verlag erschien auch Wedekinds „Erdgeist“, der Lulu-Tragödie erster Teil (1895). Aus Paris zurückkehrend, war Wedekind geistiger Mitgründer der satirischen Wochenschrift „Simplicissimus“ (1896) und des Kabaretts „Die Elf Scharfrichter“ in München (1901). Wegen der Veröffentlichung zweier Gedichte, Politsatiren auf die Palästina-Reise Kaisers Wilhelm II., wurde er wegen Majestätsbeleidigung angeklagt und zu mehreren Monaten Festungshaft (1899/1900) auf der Feste Königstein bei Dresden verurteilt. Von nun an stand er unter besonders strenger und ständiger Beobachtung durch die staatliche Zensur. Seinen späten Durchbruch als Dramatiker erzielte Wedekind 1903 mit der Inszenierung des „Erdgeists“ am Berliner Kleinen Theater Max Reinhardts. Lulu, die weibliche Hauptrolle des Stücks, spielte Gertrud Eysoldt. Zu einem überwältigenden Erfolg geriet die Uraufführung von „Frühlings Erwachen“, am Deutschen Schauspielhaus Berlin, 1906. Seitdem war Wedekind der meistgespielte deutsche Dramatiker der Vorkriegszeit. Mit dem Sittengemälde „Musik“ (1908) schrieb er das erste deutsche Stück gegen den $ 218, mit „Franziska“ (1912) griff er wieder das Thema Frauenemanzipation auf und mit „Bismarck“ (1915), dem ersten deutschen Dokumentardrama, und mit dem dramatischen Gedicht „Herakles“ (1917) bezog er zu Anfang und Ende des Ersten Weltkriegs Position zum Kriegsgeschehen. Das „Bismarck“-Drama, ein Exemplum imperialer Politik, richtet sich gegen den Hexentanz der Diplomatie, der zur Entstehung von Kriegen führt, und im „Herakles“ wird der Verlust der Menschlichkeit auf den Schlachtfeldern Europas beklagt. Die antinaturalistischen hochstilisierten Stücke Wedekinds galten als modernistisch und provokativ, zumal durch sie gesellschaftlich umstrittene Themen wie Familie, Ehe, Prostitution, Sexualität und Erziehung zur Diskussion gestellt wurden. Viele öffentlich geplante Aufführungen konnten daher nur in privaten Veranstaltungen realisiert werden. Um seinen mit der Tradition der klassischen Dramatik brechenden Stücken zum Erfolg zu verhelfen, stand er oft in einer der Hauptrollen seiner Dramen auf der Bühne. Förderer seiner Werke waren u.a. Maximilian Harden, Alfred Kerr und Karl Kraus. Karl Kraus war es, der Wedekinds verbotener „Büchse der Pandora“, der Lulu-Tragödie 2. Teil, 1905 in Wien in geschlossener Vorstellung zu einem sensationellen Erfolg verhalf. Auch zu Walther Rathenau stand Wedekind in enger Beziehung. Rathenau führte Wedekind während des Ersten Weltkriegs in den Berliner „Deutschen Klub“ ein, in dem sich Wirtschaftsgrößen, Politiker und Intellektuelle trafen, Anhänger und Gegner der kaiserlichen Kriegspolitik. Von vielen Schriftstellern seiner Epoche hoch geschätzt – allen voran Bertolt Brecht, Heinrich Mann, Erich Mühsam, Georg Kaiser und Carl Sternheim –, erlebten Wedekinds Stücke in den 20er Jahren eine glänzende Renaissance. Nach der Aufhebung der Zensur in der Weimarer Republik wurden sie auf den deutschen Bühnen häufig und erfolgreich gespielt, auch diejenigen Werke, die zu seinen Lebzeiten öffentlich nicht aufgeführt werden durften oder konnten wie z.B. „Tod und Teufel“, „Die Büchse der Pandora“, „Schloss Wetterstein“, „Simson“ oder „Bismarck“ und „Herakles“. Damit war es aber 1933 unter der Herrschaft des Nationalsozialismus jäh zu Ende. Seine Werke galten auf deutschen Bühnen nun als unerwünscht. Die Restauflage seiner „Lautenlieder“ wurde auf Geheiß der NS-Justiz eingestampft. Gefördert durch das kulturelle Engagement von Künstlern und Literaturwissenschaftlern in den USA, die während des Dritten Reichs sich zur Emigration gezwungen sahen, blieb aber für die englischsprachige Theaterszene wie auch für die amerikanische scientific community während und nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Wedekinds Werk relevant. Auch nahm sich das europäische Nachkriegstheater wieder Wedekinds Werk an und verhalf ihm zu erneuter Anerkennung. Sträflich vernachlässigt jedoch wurde sein Werk von der wissenschaftlichen Forschung in Deutschland. So blieben immer noch die „Gesammelten Werke“ Wedekinds (1912-1921) sowie die zweibändige Briefausgabe (1924) Fritz Strichs und die einzige umfassende dreibändige Werkbiografie Artur Kutschers aus den Jahren (1922-1931) maßgeblich.für ein theater- und literaturwissenschaftliches Studium. Erst 1969 erschien eine dreibändige Werkauswahl mit wertvollen Erläuterungen. In den 80er Jahren begann eine Wedekind-Renaissance, begleitet von überraschenden Bühnenerfolgen und eindrucksvollen Verfilmungen seiner Stücke. Zur besten Inszenierung des Jahres 1988 wurde die Uraufführung der „Büchse der Pandora“ durch Peter Zadek nach der Urfassung der „Monstretragödie“ am Hamburger Schauspielhaus gekürt. Wichtige, die Rezeption Wedekinds fördernde Publikationen entstanden: Günter Seehaus: Frank Wedekind und das Theater (1964/1973), Hans-Jochen Irmer. Der Theaterdichter Frank Wedekind (1975/1979), Hartmut Vinçon: Frank Wedekind (1987), Rolf Kieser: Benjamin Franklin Wedekind. Biographie einer Jugend (1990), Robert A. Jones/ Leroy R. Shaw: Frank Wedekind. A Bibliographical Handbook. 2 Bände (1996). Frank Wedekind: Kritische Studienausgabe der Werke Frank Wedekinds, hrsg. v. Elke Austermühl, Rolf Kieser und Hartmut Vinçon (1994-2013), Anatol Regnier. Frank Wedekind (2010), http://frankwedekind-gesellschaft.de (2011ff.), Hartmut Vinçon: „Am Ende war ich doch ein Poet …“ Frank Wedekind. Ein Klassiker der Literarischen Moderne. Werk und Person (2014). Hartmut Vinçon