SWR2 ZEITWORT 27.07.2012, 6.45 Uhr 27.07.1976: Ein

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SWR2 ZEITWORT
27.07.2012, 6.45 Uhr
27.07.1976: Ein verheerendes Erdbeben in China kündigt Maos Tod an
Von Mathias Bölinger©
In der Nacht fügten sich die Zeichen zusammen. In einem Dorf nahe der
Industriestadt Tangshan in Nordchina erinnerten sich Bewohner später, dass das
Wasser in ihrem Brunnen am 27.7.1976 dreimal gestiegen und wieder gefallen sei.
Andere Bauern der Umgebung erinnerten sich daran, dass das Vieh erstaunlich
nervös gewesen sei, und einige Bewohner der Stadt meinten später, seltsame
Lichtspiele am Abendhimmel gesehen zu haben. In der Nacht dann bebte die Erde
mit einer Stärke von 7,8 auf der Richterskala. Am nächsten morgen waren mehr als
90 Prozent der Stadt Tangshan zerstört. In Berichten aus der Zeit heißt es:
O-Ton Radiomeldung
Es war ein Erdbeben der Stärke 7,8, vergleichbar einer Explosion im Boden, 16
Kilometer in der Erdkruste, die vierhundert Mal so stark ist wie die Atombombe von
Hiroshima. Ein gewaltiger Blitz über der Stadt zerriss die Dunkelheit vor
Tagesanbruch. Ein Zittern rollte heran, ein Sturm heulte, die Erde bebte gewaltig.
Tangshan, diese nordchinesische Stadt mit einer Million Einwohnern wurde dem
Erdbeben gleichgemacht.
Es hatte keine Erdbebenwarnung gegeben. Das Beben sei nicht vorhersehbar
gewesen, erklärten die Behörden. Erst später stellte sich heraus, dass Geologen
sehr wohl ein Erdbeben in der Region vorausgesagt hatten. Doch die nationale
seismologische Behörde hatte auf diese Warnungen nicht reagiert. Keine
Vorkehrungen waren getroffen worden, der chinesische Katastrophenschutz war
nicht in Alarmbereitschaft versetzt worden. Hilfe aus dem Ausland aber lehnte China
ab. Man sei stark genug, um die Folgen selbst zu bewältigen.
O-Ton Radiomeldung
Die Volksbefreiungsarmee ist unter großem Risiko zur Rettung aufgebrochen. Auf
allen Straßen sieht man Armeefahrzeuge in Richtung Tangshan fahren.
Tatsächlich dauerte es Tage, bis Helfer in die Stadt kamen. Mit bloßen Händen
gruben die Bewohner der Stadt nach ihren Angehörigen. Am Ende bezifferte Peking
die Zahl der Toten auf 240.000. Kein anderes Erdbeben im 20. Jahrhundert forderte
so viele Opfer – Opfer nicht nur der Naturgewalten, die hier freigesetzt wurden,
sondern auch des desolaten Zustands, in dem sich der chinesische Staat am Ende
der Mao Ära befand. Offiziell befand sich China noch immer in der Kulturrevolution.
Noch immer galt die richtige ideologische Färbung mehr als Professionalität, die als
kleinbürgerliches "Spezialistentum" verunglimpft wurde. Mao selbst lag damals schon
im Sterben. Keine zwei Monate später, am 9. September 1976 verkündete Hua
Guofeng, Maos designierter Nachfolger:
O-Ton Hua
Genossen, Freunde! heute haben sich die Vertreter von Partei, Regierung und
Armee, die Vertreter der Arbeiter , Bauern, Soldaten und anderen gesellschaftlichen
Gruppen hier in der Hauptstadt auf dem Tiananmen-Platz versammelt, um eine
feierliche Gedenkstunde abzuhalten und gemeinsam mit den Menschen aller
Volksgruppen im Land tief bewegt den Tod unseres geliebten Führers, des großen
Lehrers des internationalen Proletariats und der unterdrückten Völker, Mao Tse-tung
zu betrauern"
Für viele Chinesen fügten sich da die Ereignisse zu einem Bild zusammen.
Traditionell glaubt man in China, dass Naturkatastrophen das Ende von Epochen
ankündigen. Wenn die Erde bebt, hat der Herrscher das Mandat des Himmels
verloren. Das Erdbeben von Tangshan war das Fanal für das Ende der Mao-Ära.
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