©Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Entomologen, Wien, download unter www.biologiezentrum.at Zeitschrift der Arbeitsgemeinschaft Österr. Entomologen, 26. Jg., 1, 1974 (1975) HÖHENVERBREITUNG UND DICHTE VON CHRYSOPA PERLA (L.) AM SÜDOSTRAND DER ALPEN (NEUROPT., PLANIPENNIA, CHRYS.) Von Johann GEPP, Graz Ludwig Boltzmann-Institut für Umweltwissenschaften und Naturschutz.jGraz Leiter: Doz. Dr. F. Wolkinger Problemstellung Die Flugzeit der Chrysopiden, sowie das Auftreten der Larven hängt mit dem Entwicklungsstadium zur Zeit ihrer Überwinterung zusammen. Bei Anisochrysa carnea (STEPHENS, 1836) überwintern die Imagines;beiAnisochrysa ßivifrons (BRAUER, 1851) und Anisochrysa ventralis (CURTIS, 1834) überwintern nach KILLINGTON (1937) die Larven im 2. oder 3. Larvenstadium; bei Chrysopa perla, Chrysopa phyllochroma WESMAEL (1841), Anisochrysa albolineata (KILLINGTON, 1935), Chrysotropia aliata (WESMAEL, 1841), Nineta flava (SCOPOLI, 1763) und Nineta vinata (WESMAEL, 1841) überwintern die Larven als Präpupp'en im 3. Stadium. Da bei Chrysopa perla bei einer Überwinterung als Präpuppe bis zum Beginn der Überwinterung die Nahrungsaufnahme abgeschlossen und die Entwicklung entsprechend weit fortgeschritten sein müßte, in verschiedenen Höhenlagen und Biotopen die Umweltfaktoren jedoch variieren, ergeben sich Fragenkomplexe, die interessant erscheinen, näher untersucht zu werden. Höhenverbreitung und Dichte 1000 Die Imagines können unter Nichtberücksichtigung der Abundanzunterschiede (oft auf Initialdichten fußend) als extrem eurytop (schwach allaxotrop) bezeichnet werden. Die Larven hingegen sind ebenfalls in vielen verschiedenartigen Biotopen anzutreffen, die Günstigkeit einzelner Biotope ist aber sehr verschieden (Larven eher schwach euryözisch). Die in den Jahren 1962 bis 1972 durchgeführten Dichtebestimmungen am Südostrand der Alpen umfaßten Biotope in den Höhenlagen von 220 bis 1000 m. Die Dichten wurden durch gefangene Tiere je Sammelzeit bestimmt. Diese Art der relativen Dichtebestimmung erschien auf Grund Abb.l: Relative Dichte der Imagines von Chrysopa perla je Seehöhe (Abszisse in Stück je 50 Stunden Sammelzeit) im Untersuchungsgebiet in den Jahren 1962 bis 1972. Summe der Sammelzeit: 1800 Stunden. 24 ©Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Entomologen, Wien, download unter www.biologiezentrum.at der großen Anzahl der Einzelaufsammlungen als geeignet, zumal sie alle von derselben Person, nämlich vom Autor, durchgeführt wurden. Die Sammelzeiten wurden so gewählt, daß vor allem während der Hauptflugperioden gesammelt wurde. Die Vielfalt der Sammeldaten und Sammelorte ergibt nach Meinung des Autors einen für die hier angeschnittenen Fragestellungen repräsentativen Querschnitt. Demnach ergibt sich ein in Abb.l dargestelltes Bild der Dichteverhältnisse. Die maximalen Dichten lagen in den Gebieten unter 500 m Seehöhe, auch dann, wenn die erste und die zweite Generation getrennt dargestellt werden. Ein weiteres Dichtemaximum gab es in etwa 750 m. Von 800 m an nahm die Dichte mit steigender Höhe ab. Zwischen den beiden Maxima liegt bei etwa 500 m das deutliche Minimum aller durchschnittlichen Dichten unter 1000 m Seehöhe. • Larvalentwicklung - Überwinterung Es ist zu erwarten, daß eine Vielfalt von Faktoren die Dichteverhältnisse dieser euryöken Art beeinflußt. Ein diesbezüglich entscheidender Faktor dürfte die höhenbedingte Temperaturdifferenz sein, die entscheidend für die Ausbildung und das Heranwachsen einer zweiten Generation im Sommer und Herbst ist. Die Temperatursummen (Summe der Durchschnittstemperaturen pro Tag), die für die Entwicklung der Larvenstadien 1 bis 3 (ohne 1 11 I I I präpupale Phase) notwendig sind, 1 II II 1 1 II 1 1 betrugen auf Grund der festgestellten Phänologie und nach 2 III 1 1 II II Temperaturangaben von den Biotopen naheliegenden Wetterstationen für die einzelnen Populatio- 3 •III Uli II 1 III II II II 1 1 II 1 1 III 1 1 nen zwischen 727 und 740° C (Durchschnitt: 734,7°). Im LaI 1 1 11 1 T bor lagen die Werte je Aufzucht- 4a I 6 1 1 1 I temperatur (14-22° C) zwischen 452 und 617°. Das bedeutet eine c 1 1 von Lufttemperaturen abhängige Entwicklungsdauer der, Larven. Im langjährigen Durchschnitt be- Abb.2: Phänologie von Chrysopa perla in verschiedenen Biodeutet dies auch eine Abhängig- topen und Seehöhen. 1 bis 4a Imaginalflugzeiten; 4b'3.Larve; 4c 2.Larve. Abszisse: Monate. keit von der zeitlichen Stellung 1: Murau S Graz, 340 m, 1965; 2: Hohe Rannach N Graz, der Larvalentwicklung im Jahres- 750 - 1000 m (Kahlschlag), 1971, 1972; 3: Murau S Graz, 340 m, 1964, 1966 - 1972 (Gebüsch); 4: Wundschuh SW lauf. 1 Graz, 330 m (Erlenbruch), 1972. Interessant ist, dafr es zu großen Die Pfeile deuten auf den Beginn der für die LarvalentwickUnterschieden in der Larvalent- lung ungünstigen Periode. wicklungsdauer zwischen im Jahreslauf früh und spät schlüpfenden Larven kommt, da vor allem in der zweiten LarvalGeneration die Durchschnittstemperaturen gegen den Winter zu beträchtlich absinken. In der Grazer Bucht (Murauen, 340 m), wo für die erste Larval-Generation im Frühjahr und Sommer eine Temperatursumme von 740 Tagesgraden nach der oben beschriebenen Methode errechnet werden konnte, dauerte die Larvalentwicklung durchschnittlich etwa 25 ©Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Entomologen, Wien, download unter www.biologiezentrum.at 40 Tage, wobei zwischen früh abgelegten und spät abgelegten Eiern und den daraus schlüpfenden Larven durchschnittlich kein berücksichtigenswerter Unterschied in der Entwicklungsdauer bestand. Betrachtet man hingegen die Verhältnisse der zweiten Larvalgeneration, so zeigt sich bei den Larven früh abgelegter Eier eine durchschnittliche Entwicklungsdauer von 46,6 Tagen, bei den spät abgelegten Eiern hingegen eine im Freiland nur mehr theoretische Larvalentwicklungsdauer von 114 Tagen 350 50% 100 Abb.3: Larvalentwicklung und Durchschnittstemperatuien der Monate 3 bis 10 und Abhängigkeit von der Seehöhe. Die Abszisse gibt an, in welchem Prozentsatz der durchschnittlichen Eiablageperiode Larven hervorgebracht werden, die sich noch im selben Jahr verpuppen. Die Ergebnisse der Freilandbeobachtungen über den Verlauf der Larvalentwicklung bestätigen die erwartete Verlangsamung der Entwicklungsgeschwindigkeit der Larven der zweiten Larvalgeneration weitgehend. Allerdings hat es sich gezeigt, daß die nach den Temperatursummen errechnete Entwicklungsdauer bei den spät schlüpfenden Larven doch nicht so extrem verlängert ist. Dies ist vermutlich darauf zurückzuführen, daß die Temperaturtagessummen nach meteorologischen Werten erstellt wurden, die Tiere jedoch in Bereichen von Mikroklimaten leben und außerdem bei ungünstigen Verhältnissen doch temperaturmäßig günstige Zonen aufsuchen können. Mortalitätsfaktoren Als wesentliche Erkenntnis kann angeführt werden, daß temperaturbedingt nicht alle Nachkommen der zweiten Imaginalgeneration ihre Entwicklung vor Winterbeginn bis zur Präpuppe abschließen können und dann schon zu Winterbeginn oder während der Überwinterung zu einem hohen Prozentsatz zugrunde gehen, außerdem der Umwelt als frei bewegliche Larven überdurchschnittlich lange ausgesetzt sind. Im wesentlichen waren dies alle jene Larven, die als Eier nach Anfang September abgelegt wurden. Dieser Zeitraum, in dem Eier abgelegt wurden, deren Larven sich nicht bis zum präpupalen Stadium entwickeln konnten, umfaßte etwa 1/4 (23%) der durchschnittlichen Eiablageperiode der Imagines der zweiten Generation. Bei ungünstiger, kühler Herbstwitterung kann dieser Prozentsatz auf 41 % steigen. 1965 lagen die Temperaturen der Monate 8 + 9 + 10 um 1,4° C unter dem langjährigen Durchschnitt, die relative Populationsdichte der Imagines war nach den ungünstigen Bedingungen im Herbst 1965 in den Murauen (südlich von Graz) im Jahr 1966 sechsmal kleiner als 1965. Für die darüberliegende Höhenzone von 450 bis 650 m, wo nach Abb.l die geringsten relativen Imaginaldichten vorliegen, dauert auch die Entwicklungszeit der Larven der früh abgelegten Eier der zweiten Imaginalgeneration im Herbst durchschnittlich nach Tagesgraden berechnet etwas mehr als 70 Tage, sodaß hier nahezu die ganze Larvalpopulation nicht mehr die Möglichkeit hätte, sich vor Winterbeginn bis zu Präpuppen zu entwickeln. Und tatsächlich konnten in einzelnen Biotopen dieser Höhenzone noch bis zum 26 ©Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Entomologen, Wien, download unter www.biologiezentrum.at Winterbeginn Larven im 2. Larvalstadium gefunden werden. Die Schlüpffolgen der Imagines im Frühjahr zeigten jedoch keine Staffelung, die eine derartige Überwinterungsmöglichkeit ergeben könnte. Die Höhenzone von 450 bis 650 m am Südostrand der Alpen ist für Chrysopa perla von Faktoren charakterisiert, die wohl die Ausbildung einer 2. Generation pro Jahr für einen differenzierenden Prozentsatz der Population ermöglichen, nicht aber immer und nicht für alle abgelegten Eier die Entwicklung bis zu Präpuppen gestatten. Durch die verlängerte Larvalentwicklung ergeben sich hohe Sterblichkeitsraten der überwinternden Larven. Der Autor nimmt nun an, daß dieses Verhältnis von Generationsfolge und verhinderter Larvalentwicklung der Hauptgrund für die geringen relativen Populationsdichten in der Höhenzone um etwa 550 m ist. Vorzugsbiotope in Abhängigkeit von der Seehöhe Das Spektrum der bewohnten Biotope ist bei dieser Art groß. Hohe Dichten wurden in Tieflagen besonders in kühlfeuchten, dichten Auwäldern mit einer Generation, in gemäßigten, eher trockenen und aufgelockerten Flußauen in zwei vollen Generationen beobachtet. In Höhen zwischen 800 und 1000 m waren maximale Dichten in wärmebegünstigt exponierten Fichtenjungforsten und Kahlschlägen zu finden. Wenig und selten besiedelt sind landwirtschaftliche Reinkulturen und ältere dicht geschlossene Fichtenmonokulturen. Eine differenzierte Klassifizierung dieser Biotope war wegen ihrer Vielfalt nicht möglich, sodaß nur eine Einteilung in nach ihrer Gesamtstruktur feuchtkühle Biotope (Auwälder, Bachläufe, Teichgebiete), weiters in eher warm-trockene Biotope (mäßig warme bis leicht xerotherme Hänge, Kahlschläge, Fichtenjungkulturen in wärmebegünstigter Lage) und in diesbezüglich „mittlere" Biotope (Waldränder, Buschgruppen, Wiesen) getroffen werden konnte. In diese Klassifizierung konnten 95% aller beobachteten Individuen einbezogen werden. Die in.Tab.1 gezeigte Zusammenstellung der bewohnten Biotope zeigt im wesentlichen mit steigender Höhe ab etwa 500 m die Bevorzugung wärmebegünstigter Biotope. Unter 500 m werden vor allem wärmebegünstigte und mittlere Biotope von Populationen mit zwei Generationen besiedelt, eine Generation findet man in kühlen und auch in mittleren Biotopen. 1000 10 , 350 Abb.4: Prozentanteil der Eiablagezeit, deren Larven auf Grund der Temperaturbedingungen (Monatsdurchschnitt 3 bis 10, nach meteorologischen Daten, 350 m = 13,25° C) sich nicht im selben Jahr bis zur Präpuppe entwickeln. Die leeren Kreise und die gepunkteten Linien stellen errechnete Werte dar. 27 ©Arbeitsgemeinschaft Österreichischer Entomologen, Wien, download unter www.biologiezentrum.at Tabelle 1 : Von Chrysopa perla besiedelte Biotope. Angegeben sind Höhenzonen und die Anzahl der deutlichen Generationen je Jahr in den Biotopen. Die Klassifizierung der Biotope ist im Text näher erläutert. Die Prozentsätze geben an, welche Anteile die Biotopklassen in der Gesamtheit der besiedelten Biotope ausmachen. Seehöhe warm-trocken mittel feucht-kühl mit einer Generation 17% 44% 39% 220-500 m mit zwei Generationen 46% 42% 12% 100% 500-1000 m mit einer Generation 85% 15% 0% 100% 220 - 500 m Generationenanzahl im Biotop 100% Eine Zusammenfassung der Daten bestätigt die Annahme, daß nur dort hohe beständige Populationsdichten auftreten, wo entweder die Tagesgradsummen für eine ganze Generation oder für 2 ganze Generationen pro Jahr ausreichen. In Gebieten, wo eine partielle zweite Generation möglich ist, gibt es Korrelationen mit geringen Dichten. Der Autor vermutet daher, daß die Dichte in bestimmten Biotopen — neben anderen Faktoren - wesentlich von der kleinklimatisch bedingten Möglichkeit, die Larvalentwicklung vor Winterbeginn abzuschließen, abhängt. Zusammenfassung Bei Untersuchung der relativen Dichten von Chrysopa perla am Südostrand der Alpen zeigte es sich, daß durchschnittlich in den Höhen von 450 bis 650 m über der Seehöhe die geringsten Dichten unter 1000 m vorliegen. Es ist dies die Zone, in deren Biotopen durchschnittlich eine partielle zweite Generation möglich ist. In den verschiedenen Höhenzonen sind vor allem jene Biotope dicht besiedelt, in denen entweder eine deutliche zweite Generation auftritt oder sich nur eine Generation ohne partielle zweite Generation ausbildet. Summary Upon examination of the relative densities of Chrysopa perla at the southeastern border of the Alps, it appeared that on the average the least densities under 1000 m exist in the altitudes, from 450 to 650 m above sea level. This is the zone, where on the average partial second generations are possible. In the various altitude levels, especially those biotops are densly populated, in which a distinct second generation appears, or where only one generation without a partial second generation forms itself. LITERATUR KILLINGTON, F. J., 1937: A monograph of the British Neuroptera, II. - Ray Society, London. SCHWERDTFEGER, F., 1963: Ökologie der Tiere, Autökologie. Verlag Paul Parey, Hamburg und Berlin. Anschrift des Autors: Dr. Johann GEPP, Ludwig Boltzmann-Institut für Umweltwissenschaften und Naturschutz, Heinrichstraße 5, A-8010Graz. 28