Suhrkamp Theater Magazin 2015 INHALT Editorial / Rückblick /Ausblick 3 Thomas Brasch 6 Heiko Buhr 8 Tankred Dorst 10 Werner Fritsch 12 Nikolaus Günter 14 Noah Haidle 16 Peter Handke 18 Martin Heckmanns 22 Wolfram Höll 26 Henrik Ibsen 30 Jörn Klare 32 Thomas Köck 34 Konstantin Küspert 36 Christoph Nußbaumeder 38 Georg Ringsgwandl 42 Gesine Schmidt 44 Akin E. Şipal 46 Rafael Spregelburd 50 Junges Programm: Jagoda Marinić 52 Judith und Werner Fritsch 56 Schwerpunkt: Transit Europa 58 Schwerpunkt: Beziehungsweisen 60 Schwerpunkt: Komödien 62 Starke Prosa für die Bühne 64 Jahrestage68 suhrkamp spectaculum Impressum 70 2 EDITORIAL Während sich neue Werke szenischer Literatur mehr und mehr auch auf mittleren und größeren Bühnen durchsetzen, läuft eine Debatte über den Stellenwert neuer Dramatik, in der die Wirksamkeit von Fördermechanismen vehement befragt wird. Aus der Überzeugung heraus, dass zeitgemäßes Theater starke, sprachlich konzentrierte Stücke als produktiven Widerpart unbedingt benötigt, setzen wir weiterhin auf eine behutsame Erweiterung unseres Programms um außergewöhnliche literarische Theaterschreibweisen. Im vorliegenden »Magazin 2015« verschaffen wir Ihnen eine Übersicht über neue Werke unseres Programms. Wir begrüßen Thomas Köck sehr herzlich als neuen Verlagsautor. In unseren Schwerpunktbeiträgen »Beziehungsweisen« und »Transit Europa« stellen wir Ihnen eine Auswahl von Stücken vor, in denen große gesellschaftliche Themen verhandelt werden: die Veränderungen traditioneller Formen des Zusammenlebens und die Migrationsbewegungen unserer Zeit. Um der allseits wahrgenommenen Schnelllebigkeit des Theatergeschehens entgegenzuwirken, beginnen wir unsere Vorschau in diesem Jahr mit einem Rückblick auf die Spielzeit 2013/2014, in der sich nicht nur für unsere Autorinnen und Autoren der jüngeren Generation viel Erfreuliches getan hat. Viel Vergnügen beim Lesen und Entdecken! Im Juni 2014 wurde Wolfram Höll mit seinem Stück Und dann beim Mülheimer Stücke-Festival zum »Dramatiker des Jahres« gewählt. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch, dass bereits wenige Tage nach der Uraufführungsinszenierung des Schauspiel Leipzig in der Regie von Claudia Bauer eine ganz anders geartete, kraftvolle Neuinszenierung des Stückes in Weimar erfolgte (Regie: Nina Mattenklotz). Wolfram Höll schreibt gerade an einem Stück für das Theater Basel. Auch mensch maschine, das im Magazin 2013 vorgestellte Debütstück von Konstantin Küspert, erlebte in der vergangenen Spielzeit seine Uraufführung (Theater Regensburg, Regie: Sahar Amini). Der Uraufführung werden Neuinszenierungen in Dresden und Lüneburg folgen. Küsperts neues Stück pest stellen wir in diesem Magazin vor (s. Seite 37). Georg Ringsgwandls sehr komische zeitkritische Stubenoper Der verreckte Hof wird nach Inszenierungen in Telfs und Eggenfelden in der Spielzeit 2014/15 am Landestheater Linz produziert und am Zürcher Theater Winkelwiese seine Schweizer Erstaufführung erleben (Regie: Stephan Roppel). Auch hier zeigt sich, dass ein starkes Stück verschiedenste Regiezugriffe »aushält«. Die psychologisch abgründigen und poetischen Stücke des jungen US-amerikanischen Autors Noah Haidle erleben eine immer stärkere deutschsprachige Rezeption. Aktuelle Inszenierungen u.a. in Essen, Nürnberg, Kassel und Hannover machen nachdrücklich auf diesen Ausnahmeautor aufmerksam. Übersetzungen seiner neuesten Stücke sind beauftragt, zwei davon stellen wir in diesem Magazin vor. (s. Seite 16/17). Mit mehr als 20 Premieren zählt Ingrid Lausund zu den meistgespielten Autorinnen der letzten Spielzeit. Darunter Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner, u.a. aufgeführt am Städtischen Theater Chemnitz (Regie: Kathrin Brune), am Theater Lüneburg (Regie: Andreas Mach) sowie am Landestheater Tübingen (Regie: 4 Ralf Siebelt). Viel gespielt werden weiterhin auch Hysterikon z.B. am Kleinen Theater Landshut (Regie: Konstantin Moreth) und am Theaterhaus Jena (Regie: Maria Ursprung) sowie Tür auf, Tür zu am Landestheater Tübingen (Regie: Marion Schneider-Bast). Auch die Stücke von Martin Heckmanns waren in der Spielzeit 2013/14 an zahlreichen Häusern zu sehen, darunter die Uraufführung von Es wird einmal am Schauspielhaus Bochum in der Regie von Anselm Weber. Weiterhin: Einer und Eine am Theater Augsburg (Regie: Thomas Hill), Wir sind viele und reiten ohne Pferd an der Schaubühne in Graz (Regie: Christian M. Müller) und am Stadttheater Gießen (Regie: Andrea Thiesen) sowie Vater Mutter Geisterbahn mit einer Schweizer Erstaufführung am Kellertheater Winterthur (Regie: Udo van Ooyen). Vielfach gespielt werden die Stücke von Christoph Nußbaumeder, allen voran Eisenstein, das mit seiner mittlerweile achten Inszenierung erfolgreich an der Württembergischen Landesbühne Esslingen (Regie: Manuel Soubeyrand) aufgeführt wurde. Die Konzertdirektion Landgraf gastiert derzeit deutschlandweit mit einer Tourneeproduktion dieses Stückes. Christoph Nußbaumeder hat für das Schauspielhaus Bochum ein Stück mit dem Titel Das Fleischwerk geschrieben, das wir auf den Seiten 38 ff. vorstellen. Gesine Schmidt lieferte mit ihrem Dokumentarstück Bier, Blut und Bundesbrüder die Vorlage für eine spektakuläre Inszenierung von Volker Lösch am Schauspiel Bonn (Premiere: 9. Mai 2014). Das Stück verdichtet Recherchen in der hermetischen Welt der schlagenden Studentenverbindungen und historische Dokumente zu einer brisanten Szenenfolge. Gesine Schmidts neues Stück Pfirsichblütenglück, das deutsch-chinesische Liebesbeziehungen verhandelt, wird seine Uraufführung am Theater Heidelberg erleben (s. Seite 44 ff.). Nicht unerwähnt bleiben soll die breite und vielfältige Bühnenrezeption der Werke unserer »modernen RÜCKBLICK /AUSBLICK Klassiker« Bertolt Brecht, Thomas Bernhard und Max Frisch. Fegefeuer in Ingolstadt von Marieluise Fleißer war in der aufsehenerregenden Inszenierung der Münchner Kammerspiele (Regie: Susanne Kennedy) im Mai 2014 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Last but not least: Peter Handke hat mit dem International Ibsen Award den wichtigsten Theaterpreis erhalten. Die Verleihung fand im September 2014 in Olso statt, eine ausführliche Auseinandersetzung damit finden Sie auch auf www.suhrkamp.de unter »Peter Handke und der Internationale Ibsen Preis — Stellungsnahmen«. Handkes Stücke erleben derzeit wieder eine verstärkte Rezeption auf deutschsprachigen Bühnen. Besonders hervorzuheben sind die zahlreichen Inszenierungen von Immer noch Sturm, zuletzt in Graz (Regie: Michael Simon), Lübeck (Regie: Andreas Nathusius) und Osnabrück (Regie: Alexander Charim), sowie seines Sommerdialoges Die schönen Tage von Aranjuez, der nach Wien, Berlin und München in dieser Spielzeit auch in Bonn (Regie: Christoph Pfeiffer), Darmstadt (Regie: Martin Ratzinger) und Salzburg (Regie: Michael Bleiziffer) zu sehen war. Ur- und Erstaufführungen der Spielzeit 2014/15 (Auswahl) Noah Haidle Willkommen zu Hause Originaltitel: Smokefall Deutsch von Brigitte Landes / Nina Peters DSE: 3. Oktober 2014 Staatstheater Kassel Regie: Thomas Bockelmann Georg Ringsgwandl Der verreckte Hof SEA: 4. Oktober 2014 Theater an der Winkelwiese Zürich Regie: Stephan Roppel Peter Turrini Aus Liebe DEA: 25. Oktober 2014 Staatstheater Nürnberg Regie: Markus Heinzelmann Friederike Mayröcker Lesch Schmidt Requiem für Ernst Jandl UA: 19. Dezember 2014 Burgtheater Wien Regie: Hermann Beil Heiko Buhr Minettis Blut UA: 30. Dezember 2014 Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz Regie: Dietrich Kunze Lily Brett Chuzpe Bühnenfassung: Dieter Berner DEA: 25. Januar 2015 Hamburger Kammerspiele Regie: Henning Bock Jörn Klare Du sollst den Wald nicht vor dem Hasen loben UA: 28. Januar 2015 Staatstheater Karlsruhe Regie: Katrin Plötner Akin E. Şipal Santa Monica UA: 1. März 2015 Nationaltheater Mannheim Regie: Tarik Goetzke Jörn Klare Der frühe Hase fängt die Axt UA: 10. April 2015 Staatstheater Nürnberg Regie: N.N. Rafael Spregelburd Luzid Originaltitel: Lúcido Deutsch von Sonja und Patrick Wengenroth DEA: Geplant für 2014/15 Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin Regie: Marius von Mayenburg Noah Haidle The Homemaker Deutsch von Brigitte Landes UA: 16. Mai 2015 Niedersächsisches Staatstheater Hannover Regie: Anna Bergmann Christoph Nußbaumeder Von Affen und Engeln UA: Mai 2015 Ruhrfestspiele Recklinghausen in Koproduktion mit den Sophiensaelen Berlin Regie: Bernarda Horres Wolfram Höll Ein neues Stück UA: Mai 2015 Theater Basel Regie: N.N. Martin Heckmanns Die Bergwanderung oder Sexualität heute UA: Juni 2015 Staatsschauspiel Dresden Regie: N.N. Ruth Johanna Benrath Klassenkämpfe UA: 12. Juni 2015 Landestheater Coburg Regie: Judith Kunert Gerlind Reinshagen Die Frau und die Stadt UA: 16. Juni 2015 bbt bewegtbildtheater trier Grand Théâtre Luxembourg/ Stadttheater Fürth Regie: Johannes Conen Jagoda Marinić Mehrsprachig (AT) UA: 4. Juli 2015 Nationaltheater Mannheim Schnawwl Regie: Marcelo Días Christoph Nußbaumeder Margarete Maultasch UA: Juli 2015 Tiroler Volksschauspiele Telfs Regie: N.N. 5 Thomas Brasch 70. Geburtstag am 19. Februar 2015 Das Übersetzen von Theaterstücken bedeutet immer auch, Stücke neu zu schreiben, zumal wenn sie von Autoren übersetzt werden. Das war das Credo von Thomas Brasch und das ist sicher auch der Grund, warum seine Tschechow- (über 150 Inszenierungen) und seine Shakespeare-Übersetzungen (weit über 200 Inszenierungen) derart bestimmend im deutschsprachigen Theater sind. Hier sollen einige seiner wichtigsten Theaterstücke ins Zentrum des Interesses gestellt werden, die bis heute jeweils mehr als 100-mal inszeniert wurden. Rotter Der Rotter ist immer interpretiert worden als so ein Mitläufer … er hat auch Angst vor einem Leben allein in dieser Kleinstadt und vor seiner Einsamkeit. Er ist auch ein verhinderter Homosexueller. Alles ist verhindert bei ihm. Dann schließt er sich so an und geht mit. Eine Figur, der ich viel Sympathie entgegenbringe. Und Sympathie heißt natürlich auch Mitleid. – Kein Stück über Geschichte, aber eins über meinen Blick auf Geschichte. (8 D, 24 H) Lovely Rita Da tritt ein Publikum auf und wünscht sich eine Frau zur Heldin, dann tritt die Heldin auf und wünscht sich eine Biografie, und das Theater stellt sie ihr zur Verfügung. Sie will homosexuell und heterosexuell sein, sie möchte mit Frauen schlafen und mit einem Mann. Sie möchte subversiv und erfolgreich sein, und das Publikum führt sie gegen sich selbst. (7 D, 7 H) Mercedes Brasch versucht eine Dramaturgie, die sich aus dem Prozess ableitet, eine Dramaturgie des Versuchs. Sakko, der Arbeitslose, und Oi, die Gelegenheitsnutte, sind in diesem Stück ebenso Versuchspersonen wie der Typ im Mercedes, der Unternehmer. Alle zappeln auf ihre Rotter beginnt zu gehen. Kommt. Wir fangen neu an. Da. Er beginnt zu laufen. Los. Wir fangen neu an. Reißt alles ein. Es muß ein Anfang her. Schreit. Von Vorn. 6 Weise im Netz gesellschaftlicher Zwänge. Aber eigentlich ist das Stück eine Romeo und Julia-Geschichte oder hat etwas mit Leonce und Lena zu tun. (1 D, 2 H) chen nach unterschiedlichen Möglichkeiten, die Wahrheit herauszufinden. »Was Du da erzählst, ist aus den Tagebüchern unserer Großmutter.« (2 D, 7 H) Frauen. Krieg. Lustspiel »Drama als lyrischer Monolog, Zeitkritik als episches Theater, die Geschichte eines Lebens als Nachdenken über die Möglichkeiten des Theaterspiels? Thomas Brasch wagt den Schritt in noch kaum erkundetes Gelände.« Rosa und Klara, beide hatten ein Verhältnis zu Johannes, der 1916 vor Verdun gefallen war, vorher aber Rosa geheiratet hatte. Beide melden sich als Krankenschwestern an die Front, gehen verschiedene Wege, su- Rolf Michaelis, Die Zeit »Mein Beruf ist, Dinge zu beschreiben, nicht Dinge zu wünschen, nicht Dinge zu verfluchen, nicht Dinge zu beweisen, nicht Dinge zu verdammen.« Thomas Brasch Thomas Brasch, Lyriker, Dramatiker, Drehbuchautor, Regisseur und Übersetzer, eine der markantesten Figuren der deutschen Literatur, wurde 1945 in Westow/Yorkshire (England) als Sohn jüdischer Emigranten geboren. Bis 1976, als er die DDR verließ, lebte er in Ostberlin; er ist am 3. November 2001 in Berlin gestorben. 7 Foto: Isolde Ohlbaum 8 Foto: Martina Dahm INGRID L AUSUND Heiko Buhr Die Schattenlosen Ein älteres Paar wartet in einem Auffanglager an der Küste auf die Ankunft der Kinder und Enkelkinder. Seit Wochen ist kein Flüchtlingsschiff aus dem Norden mehr angekommen. Sie hatten sich aufteilen müssen, nun wächst mit jedem Tag die Sorge, einander für immer verloren zu haben. Die Vorwürfe werden härter, die Verzweiflung wächst. Auf der anderen Seite des Meeres hält sich die junge Familie versteckt und wartet auf einen geeigneten Moment zur Überfahrt. Sie haben Demütigungen erlitten und Massaker erlebt. Wie sollen die Eltern den Kindern erklären, dass sie ihre Heimat für immer verlassen? Wie lassen sich ohne Aussicht auf eine glücklichere Zukunft die Strapazen der Flucht rechtfertigen? Hätten sie als verfolgte Minderheit in ihrer Heimat noch eine Chance gehabt? Dann: der plötzliche Entschluss, die Flucht doch nicht zu wagen und zurückzukehren. Eine junge Widerständlerin hat ihren Peiniger, dem sie jahrelang ausgeliefert war, in ihre Gewalt gebracht und droht, ihn umzubringen. Er, ein hohes Tier des Systems, liegt nun gefesselt zu ihren Füßen und unternimmt letzte, fruchtlose Selbstrettungsversuche. Zwei Brüder, Söhne eines Fischers, der als Schleuser verhaftet wurde, warten auf eine Familie, die sie an die südliche Küste bringen sollen. Vom Lohn für die Fluchthilfe soll ihr Vater freigekauft werden. Jede Sekunde könnten sie von Soldaten aufgegriffen werden. Lohnt der Einsatz angesichts der allgegenwärtigen Gefahr, entdeckt zu werden? Die letzte Szene des Stückes zeigt zwei Wachmatrosen auf einem Schiff, das gerade ein Flüchtlingsboot aufgebracht hat. Schüsse fallen ... Heiko Buhr, 1964 in Neumünster geboren. Nach der Lehre zum Bankkaufmann Studium der Germanistik und Philosophie in Kiel mit Abschluss Promotion. 1999 erhält Heiko Buhr für sein Werk Ausstand. Ein Schaustück den Heinz-DürrDramatikerpreis. Heiko Buhr lebt als freier Schriftsteller und Publizist in Kiel. Stücke – eine Auswahl Ausstand 2 D, 8 H, Nebenrollen UA: 10.12.2000 Deutsches Theater Berlin Regie: Bruno Klimek Abfall 2H UA: 3.3.2012 Kellertheater Winterthur Regie: Doris Strütt Lebemänner 8 D, 7 H Frei zur Uraufführung Minettis Blut 2D UA: 30.12.2014 Eduard-von-Winterstein-Theater Annaberg-Buchholz Regie: Dietrich Kunze Heiko Buhrs Stück liest sich als aktueller dramatischer Reflex auf welthistorische Konflikte, bei denen Menschen in die Flucht und in extreme Entscheidungssituationen getrieben werden. Indem der Autor die Himmelsrichtungen um 180 Grad dreht, gelingt ihm das verstörende Kunststück, uns zu Betroffenen zu machen. Das Stück schafft exemplarische Situationen und verschränkt geschickt verschiedene Zeitebenen, bis sich ein Mosaik der Geschehnisse zusammensetzt. (Besetzung variabel) 9 10 Foto: Isolde Ohlbaum Tankred Dorst 90. Geburtstag am 19. Dezember 2015 Das dramatische Werk im Suhrkamp Verlag Eiszeit (Uraufführung 1973) Die Schattenlinie (1995) Auf dem Chimborazo (1975) Die Geschichte der Pfeile (1996) Die Villa (1980) Die Legende vom armen Heinrich (1997) Merlin oder Das wüste Land (1981) Harrys Kopf (1997) Heinrich oder Die Schmerzen der Phantasie (1985) Was sollen wir tun (1997) Ich, Feuerbach (1986) Wegen Reichtum geschlossen (1998) Der verbotene Garten (1987) Große Szene am Fluß (1999) Grindkopf (1988) Kupsch (2001) Korbes (1988) Die Freude am Leben (2002) Karlos (1990) Othoon (2002) Parzival (1990) Purcells Traum von König Artus (2004) Fernando Krapp hat mir diesen Brief Die Wüste (2005) geschrieben (1992) Künstler (2008) Herr Paul (1994) Ich soll den eingebildet Kranken spielen (2009) Nach Jerusalem (1994) Prosperos Insel (Frei zur Uraufführung) »Über das Portal meines Theaters würde ich schreiben: Wir sind nicht die Ärzte, wir sind der Schmerz.« Tankred Dorst 11 12 Foto: Uta Ackermann Werner Fritsch Nofretete Mehr als drei Jahrtausende greift Werner Fritsch in seinem neuen Stück zurück und gibt der legendären ägyptischen Königin klangvolle Stimme und tragische Gestalt. In der Grabkammer ihres jüngst verstorbenen Königsgemahls Echnaton erinnert sie ein bewegtes, gefährdetes Leben im Bannkreis der Macht. Echnaton, ein Dichterfürst und Religionsgründer, hatte mit Gewalt den Monotheismus in Ägypten eingeführt. Nun, nach seinem Tode, drohen die Verhältnisse zu kippen und die alte, mafiöse Priesterkaste wieder Oberhand zu gewinnen. Die Pest wütet im Land. Nofretetes Lebensbilanz könnte bitter sein. Sie hat den Tod ihrer Töchter erleben müssen, ihre Zurücksetzung, nachdem Echnaton sich eine andere Frau gesucht hatte, die ihm den ersehnten Sohn gebar. Und doch hat sie die Zuversicht nie verloren, dass der Kampf für Gerechtigkeit und gegen Habgier sinnvoll war. Und so besingt sie die Sonne und kehrt zu uralten Ritualen zurück. Durch einen letzten Liebesakt will sie ihren Gemahl wiedererwecken. Im Bildhauer Thutmosis, der Nofretete in der Grabkammer aufsucht, um ein idealisiertes Bildnis von ihr zu schaffen, findet sie einen pragmatischen Widerpart, der sie aus ihrer Isolation und von ihren Illusionen befreien will, um sie für sich und für ein Leben jenseits der Macht zu gewinnen. Werner Fritsch wurde 1960 in Waldsassen/Oberpfalz geboren und lebt in Hendelmühle und Berlin. 1987 erscheint sein vielbeachteter Roman Cherubim. Zu seinen zahlreichen Stücken gehören Chroma, Hydra Krieg, Bach und Wondreber Totentanz oder auch die Monologe Sense, Jenseits, Nico – Sphinx aus Eis, Das Rad des Glücks oder Magma, die auf der Bühne, für den Rundfunk oder fürs Kino realisiert wurden. Außerdem veröffentlichte er Prosa wie zum Beispiel Steinbruch und Stechapfel und drehte u.a. die Filme Das sind die Gewitter in der Natur, Ich wie ein Vogel, Faust Sonnengesang. Seine Arbeiten wurden u.a. mit dem Robert-Walser-Preis, dem Hörspielpreis der Kriegsblinden, dem Else-Lasker-Schüler-Preis ausgezeichnet. Für sein Hörspiel Enigma Emmy Göring erhielt er die Auszeichnungen Hörspiel des Jahres 2006 und den ARD-Hörspielpreis 2007. Für sein Hörgedicht FAUST SONNENGESANG I erhielt er den Grand Prix Marulic 2013. Sein Nofretete-Stück, so Werner Fritsch, »soll zwischen den Zeiten pendeln, aus der Gegenwart zurück in die Vergangenheit, die immer mehr zur Metapher der Gegenwart wird«. Fritschs Nofretete ist eine große Schwärmerin und Kämpferin, eine Lichtgestalt, deren Unbedingtheit bis in die Gegenwart strahlt. (1 D, 1 H) Frei zur Uraufführung Werner Fritschs Filme Faust Sonnengesang und Das sind die Gewitter in der Natur sind in der filmedition suhrkamp erschienen. fes 33. 64 Seiten. € 29,90 (978-3-518-13533-4) 13 14 Foto: Susanne Schleyer INGRID L AUSUND Nikolaus Günter Mauermörtelgesichter Sie könnten ein Haus bauen, sich einrichten im Leben, einen anständigen Beruf finden im Vorort einer Stadt an der deutsch-deutschen Grenze, die geprägt ist von der Präsenz der Bundeswehr, dem Stolz der Bürger auf die ordentlichen Blumenrabatten und den Träumern und Flüchtlingen, die aus der Zone rübergekommen sind. Aber die Jugendlichen hadern mit dem Lebensplan, der ihnen vorgegeben scheint. Jahre später sitzt Tommi vor einer Ruine, die ein Haus hätte werden sollen, und versucht, sich die Geschichte und die Vergangenheit seiner Freunde zu vergegenwärtigen: Den Moment zu gehen haben sie irgendwann verpasst, nun suchen sie nach Fluchträumen und Selbstbestimmung und definieren in mehr oder weniger spektakulären Aktionen und Provokationen ihren Begriff von Freiheit: Das Moonbeam, ein Club im Industriegebiet, wo sie den Drogendeal mit der Russengang vermasseln, ist legendär. Als sich die Wirklichkeit immer noch nicht geschlagen geben will, wird ein »Bankraub« initiiert. Filmreif ist allein das Scheitern, und einer wandert für alle in den Knast. (2 D, 3 H, 1 Chor) Nikolaus Günter wurde 1976 in Kassel geboren. 1992 Umsiedlung mit seinen Eltern nach Pitschen/ Byczyna (Polen). 2001 tritt er der Berliner Off-Theater-Gruppe Vereinstheater Deutschland als Fahrer, Beleuchter und Bühnengestalter bei. Enge Arbeitsbeziehung zum Regisseur Jörg Reimer (u.a. am Düsseldorfer Schauspielhaus). Nach Günters Debüt Wild ist der Wind oder Quadrophenia II (2012) ist Mauermörtelgesichter das zweite Bühnenstück des Dramatikers. Frei zur Uraufführung 15 Noah Haidle Willkommen zu Hause Originaltitel: Smokefall I Deutsch von Brigitte Landes und Nina Peters Nichtigkeit des Lebens. Samuel wird seinen Schluss daraus ziehen, Johnny den Vortritt lassen und sich an der Nabelschnur erdrosseln. Noah Haidle entwirft die Geschichte einer Familie über drei Generationen, die von einer Figur mit Namen »Fußnote« vorangetrieben und kommentiert wird. Haidle reist durch die Zeit, erzählt voller Humor ein berührendes Märchen von Liebe und ihren Grenzen und spielt wieder einmal souverän mit den erzählerischen Mitteln des Theaters. (2 D, 3 H) Uraufführung: 5. April 2013, South Coast Repertory Theatre, Kalifornien; 20. Oktober 2013, Goodman Theatre Chicago, Regie: Anne Kauffman Deutschsprachige Erstaufführung: 3. Oktober 2014 Staatstheater Kassel, Regie: Thomas Bockelmann Foto: Susanne Schleyer Die Zwillinge sind noch nicht geboren, da erklärt ihnen Mutter Violet bereits die Welt: »Wisst ihr, was eine Familie ist? Bald wisst ihr es. Bald gehört ihr dazu.« Die Familie, das sind: Vater Daniel, den Samuel und Johnny nie kennenlernen; am Morgen der Geburt wird er ins Auto steigen, Tausende Kilometer Richtung Westen fahren und nie wieder nach Hause zurückkehren. Die Familie, das sind des Weiteren: Violets dementer Vater, der sich immer wieder schmerzhaft daran erinnern muss, dass Leonore, die Mutter seiner Tochter und die Liebe seines Lebens, bereits seit Jahren tot ist. Schließlich Schwester Beauty, die angesichts der Streitigkeiten ihrer Eltern einst beschloss zu schweigen und sich von Wandfarbe, Rinde und Zeitung zu ernähren. Die Zwillinge sind ein Versehen und wissen das auch: eloquent, philosophisch beschlagen und ziemlich frühreif, diskutieren sie im Mutterleib die Vor- und Nachteile und die Noah Haidle, geboren 1978 in Michigan, ist Dramatiker und Drehbuchautor und lebt in Detroit. Haidle studierte an der Princeton University und der Juilliard School und lehrte in Princeton, Uganda und Kenia. Zu seinen erfolgreichsten Stücken zählt Mr. Marmalade, für das er in den USA mehrfach ausgezeichnet wurde. Haidle schrieb das Drehbuch zum Hollywood-Film Stand Up Guys mit Christopher Walken, Al Pacino und Alan Arkin (Regie: Fisher Stevens, USA 2013). 16 The Homemaker Deutsch von Brigitte Landes Es ist das Ende der Welt: Während vor dem Küchenfenster die Sintflut steigt, spielt das Wunschradio die Hits von gestern, und Rebecca stöckelt auf High Heels durch ihre Küche, um ein Dinner vorzubereiten, das für eine ganze Familie reicht. Nur gibt es diese Familie, von der Rebecca träumt, nicht mehr: Ihre Tochter Rachel ist ein Teenager und wird bald ausziehen. Ein Jahr ist es her, da hat Rebeccas Mann die Familie verlassen, um das Glück zu suchen. Sohn Michael, ein junger Mann mit Psychiatrieerfahrung, ist ihm gefolgt, um ihn nach Hause zurückzubringen. Rebeccas ungebrochener Optimismus sagt ihr, dass beide zurückkehren werden. Sie glaubt an das Versprechen ihres Mannes. Zunächst kehren andere in Rebeccas gute Stube ein: die befreundete Nachbarin, die im Gäste-WC Selbstmord begehen wird; Gabriel, ein grimmiger Zeuge Jehovas, oder Mr. Chalmers, der unbeliebte Lateinlehrer der Kinder, der auch schon Rebecca unterrichtete und der nun die Frauen der Umgebung vergewaltigt. Rebeccas Welt und ihre Vorstellung vom Guten und Schönen im Menschen erhalten hässliche Kratzer, doch stoisch und mit Würde begegnet sie den Widrigkeiten und dem Ende der Welt. Schließlich spült die Sintflut ihren Sohn ins Wohnzimmer, im Bauch eines Wals ist er zurückgekehrt. Die schönste Überraschung steht noch aus. Haidle, ein Meister der komischen Dialoge, hat ein umwerfendes Kammerspiel geschrieben, ein Traumspiel, das die großen Fragen der Menschheit mit Leichtigkeit stellt. (3 D, 3 H) Uraufführung: 16. Mai 2015, Schauspiel Hannover Regie: Anna Bergmann Stücke – eine Auswahl Mr. Marmalade Deutsch von Brigitte Landes 2 D, 4 H DSE: 4.4.2009, Badisches Staatstheater Karlsruhe Regie: Thomas Krupa Neuinszenierung: 12.9.2013, Hessisches Staatstheater Wiesbaden Regie: Isabel Osthues Saturn kehrt zurück Originaltitel: Saturn Returns Deutsch von Brigitte Landes 1 D, 3 H DSE: 19.10.2010, Staatstheater Nürnberg Regie: Jean-Claude Berutti Neuinszenierung: 27.3.2015 Landestheater Schwaben Regie: Peter Kesten Skin Deep Song Deutsch von Thomas Krupa 3 D, 2 H UA: 1.2.2013, Schauspiel Essen Regie: Thomas Krupa Lucky Happiness Golden Express Deutsch von Brigitte Landes 3 D, 2 H UA: 20.9.2013 Staatstheater Kassel Regie: Thomas Bockelmann Neuinszenierungen: 22.6.2014, Schauspiel Essen Regie: Tom Gerber 29.1.2015, Theater Ingolstadt Regie: Kathrin Mädler Ada und ihre Töchter Originaltitel: What is the Cause of Thunder Deutsch von Brigitte Landes Frei zur DSE 17 18 Foto: Donata Wenders INGRID L AUSUND International Ibsen Award 2014 an Peter Handke »Wenn Ibsen der vielleicht mustergültige Dramatiker des bürgerlichen Zeitalters war, und dieses ist nicht vorbei, so ist Peter Handke auf den Bühnen gewiss ihr bedeutendster Epiker. Es gelingt ihm in all seinen Stücken, die Realität des Theaters sichtbar zu machen, und zwar als eine Realität, die keine Illusion erzeugen will, die also nicht die Welt nachbildet, sondern selber eine ist. Und in ihr kann der Dramatiker Handke wie einst Nestroy oder Calderon eine ganz eigene Mischung schaffen aus Zaubertheater und Thesenstück, Familiendrama und Tragödie. Er hat in den fünfzig Jahren seines Schreibens die dramatische Literatur so oft, überraschend und radikal neu definiert wie kein anderer lebender Dichter. Dabei ist sein Schreiben von einer offensichtlichen Kontinuität geprägt: Die Selbstverständlichkeiten des Theatermilieus, aber auch unserer sprachlichen Konventionen und Herrschaftsstrukturen, wurden ihm nie selbstverständlich, sondern ein Gegenstand der Analyse. So entstand die vielleicht wichtigste epische Literatur des Theaters nach Brecht: Über seine Sprechstücke im Rhythmus des Beat führt sie zu neuen, parabelhaften Theaterformen wie Kaspar oder bewegten tableaux vivants wie Die Stunde da wir nichts voneinander wußten, in dem Peter Handke Hunderte von Figuren auftreten lässt. Ein klassisch gut gebautes Stück über Kapitalisten von heute wie Die Unvernünftigen sterben aus steht neben Spielarten eines modernen Welttheaters wie Die Fahrt im Einbaum oder dem Spiel vom Fragen. Seit Jahrzehnten erforscht Peter Handke eine slowenisch-kärntnerische und somit auch autobiografisch grundierte Familienkonstellation, als könne es nur der Literatur gelingen, den Figuren jenen Frieden zurückzuerstatten, den ihnen die Geschichte raubte – davon handeln die Stücke von Über die Dörfer über Zurüstungen für die Unsterblichkeit bis hin zu einem Meisterwerk wie Immer noch Sturm. Der Ibsen Award ehrt in diesem Jahr ein an formaler Schönheit und brillanter Reflexion beispiellos reiches Bühnenwerk.« (Aus der Jurybegründung) »Peter Handke hat in den fünfzig Jahren seines Schreibens die dramatische Literatur so oft, überraschend und radikal neu definiert wie kein anderer lebender Dichter.« Uraufführungen der Theaterstücke von Peter Handke: Publikumsbeschimpfung (UA 1966) Selbstbezichtigung (UA 1966) Weissagung (UA 1966) Hilferufe (UA 1967) Kaspar (UA 1968) Das Mündel will Vormund sein (UA 1969) Quodlibet (UA 1970) Der Ritt über den Bodensee (UA 1971) Die Unvernünftigen sterben aus (UA 1974) Über die Dörfer (UA 1982) Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land (UA 1990) Die Stunde da wir nichts voneinander wußten (UA 1992) Zurüstungen für die Unsterblichkeit (UA 1997) Die Fahrt im Einbaum oder Das Stück zum Film vom Krieg (UA 1999) La cuisine (UA 2001) Untertagblues (UA 2004) Spuren der Verirrten (UA 2007) Jusqu'à ce que le jour vous sépare ou Une question de lumière (UA 2008) Bis daß der Tag euch scheidet oder Eine Frage des Lichts (DEA 2009) Immer noch Sturm (UA 2011) Die schönen Tage von Aranjuez (UA 2012) Uraufführungen der von Peter Handke übersetzten Theaterstücke: Aischylos, Prometheus, gefesselt (UA 1986) William Shakespeare, Das Wintermärchen (UA 1990) Jean Genet, Splendid's (UA 1994) Sophokles, Ödipus in Kolonos (UA 2003) Euripides, Helena (UA 2010) 19 »Henrik Ibsen hat in seinen Dramen Gerichtstag gehalten über sich selbst. Das trifft jetzt auch auf mich zu.« Eine Dankesrede, gehalten am 22. September 2014 in Skien. Von Peter Handke Vor bald einem halben Jahrhundert hat mich einmal eine Art Gedicht angeflogen, und in dem Anflug eine Zeile: »Am Rand der Erschöpfung reden wir alle in Hauptsätzen.« Henrik Ibsen hat schon nach einem Vierteljahrhundert des Schreibens und Veröffentlichens so etwas wie ein Berufsjubiläum gefeiert. Wieder fast ein Vierteljahrhundert später, 1902, zu seinem siebzigsten Geburtstag, haben die Studenten von Kristiania, Oslo, ihm zu Ehren einen Fackelzug veranstaltet, und schon lange vorher war Henrik Ibsen der Vertreter Norwegens bei der Eröffnung des Suezkanals, wahrscheinlich wegen seines einen Akt lang in Ägypten spielenden episch-lyrischen Schauspiels vom Peer Gynt. Und ich, jetzt, 2014, bald zweiundsiebzig Jahre alt, hier in Skien, Ibsens Geburts- und Kindheitsort, beschert vom norwegischen Staat, gegen den Willen nicht weniger seiner Bürger, mit dem nach Henrik Ibsen benannten ungeheuren Theaterpreis? Entsprechend ungeheuer wohl auch ich den vielen hierzulande mit meiner Arbeit und, insbesondere, deren Wortlaut, Rhythmus und vor allem Grundgefühl nicht Vertrauten, und entsprechend nicht geheuer ich so außerdem mir selber. Kein Fackelzug droht mir, weder in Kristiania — was für ein schöner Hauptstadtname, mir ein Leben lang nachklingend aus den ersten Sätzen des »Hunger« von Knut Hamsun — noch gar im österreichischen Wien alias Vindobona oder in meinem nun schon langjährigen französischen Wohnort Chaville, von mir insgeheim umgetauft in Schorbylia alias Sevilla, den Geburtsort des arabischen Sufi-Dichterdenkers/Denkerdichters Ibn 'Arabî. Und der Staat Österreich hat seinen Schriftsteller P. H. wohlweislich nicht zur Turnusrede im Gesamteuropäischen Parlament werweißwo eingeladen. Statt eines studentischen Fackelzugs ist mir im Sinn eher jener von mir vor vielen Jahren beschworene Glühwürmchenzug, das Dahinfliegen und -schwärmen, himmelauf, erd-ab, in der tiefdunkeln Nacht der friulanischen Ebene von Norditalien, der Kindheits- und Jugendgegend Pier Paolo Pasolinis. Schon lange habe ich diesen nächtlichen Flug, den lautlosen der Glühwürmchen oder Leuchtkäfer, nicht mehr gesehen. Höchstens hockt im Sommer da ein »luciole« mitternächtlich im Gras, und dort, weit weg, ein zweiter, und in der nächsten Nacht wieder die zwei, unbeweglich, fast an denselben Stellen. Können die Glühwürmer nicht mehr fliegen? Sind sie am Aussterben? Oder sind die vereinzelten Bodenhocker eine mutierte, eine andere Gattung? »Am Rand der Erschöpfung reden wir alle in Hauptsätzen.« Solch einige Hauptsätze, wie bisher weiter, hier bei Henrik Ibsen in Skien nach den Fjorden, den Orten der meisten seiner Dramen. Auch ich habe vor kurzem etwas wie ein Berufsjubiläum gefeiert. Nur habe ich gefeiert im stillen, für mich allein. Und gefeiert, ohne besondere Feier, vielleicht mit dem Essen eines Apfels oder dem einmal sorgsam Zuschnüren meiner fünfundzwanzig Jahre mir treuen John-Lobb-Schuhe, hier!, habe ich das halbe Jahrhundert seit jenem Tag im Juni 1963. Da nämlich, mit der Niederschrift eines ersten Satzes, hatte ich erstmals im Leben (fast) eine Gewißheit, die Gewißheit: Ja, das Schreiben, Aufschreiben, Verknüpfen, Unverknüpftlassen, ist mein möglicher Beruf. Anders als bei Henrik Ibsen ergriff ich den Beruf, ergriff mich der Beruf aber nicht mit einem Dramen-Dialog-Satz, sondern mit dem Anfang, dem, wieder schönes Wort, Anheben einer Erzählung, in der ungenauen Erinnerung: »Am Boden eines ehemaligen Bunkers erblickte ein Junge, der dort seinen Ball suchte, einen Mann …« Genaue Erinnerung dagegen: Als mir jener Satz zukam, war das der Sterbetag Johannes’ des Dreiundzwanzigsten, ein Halbsatz in der Geschichte: Im Radio »lag der Papst in Rom im Sterben». Dreimal »im« … Kein Vergleich mit meinem über fünfzigjährigen Tun und Lassen bringt mir das Unternehmen Henrik Ibsen, das »Unternehmen Ibsen« näher, und andererseits sehe ich seltsamerweise auch keine wesentlichen Unterschiede, jedenfalls nichts Grundsätzliches, oder wieder »im Grundgefühl« Entgegengesetztes, oder gar Trennendes. Schon mehr: Alles war für Ibsen Thema, insbesondere das Menschliche, das dramatische Allzu-Menschliche, und ich meinerseits, schon seinerzeit in meinen Anfängen nie ausdrücklich »unserseits« oder gar INTERNATIONAL 20 PETER HANDKE »eurerseits«, in der Erklärung »Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturms« jemand ohne Thema, es sei denn, dem schreibend »Klarwerden über mich selber«, und solche entschiedene Themenlosigkeit ist auch bis zum heutigen Tage mein Fall geblieben, oder der Fall bin weiterhin ich, freilich inzwischen stärker geleitet eher von einem bestimmten Unklarwerden, einem satz- und absatzweise gezielten Verunklaren, einem Weit- und Weiterwerden, als einer anderen Klarheit, einer un-, wenn nicht antidramatischen, einer epischen. »Am Rand der Erschöpfung reden wir alle in Hauptsätzen.« Ja, und wieder wahr: Henrik Ibsen hat in seinen Dramen, so sein eigenes Wort, Gerichtstag gehalten über sich selbst. Und das trifft jetzt auch auf mich zu. Denn das epische Sichweitermachen wird von Schreibtag zu Schreibtag immer wieder notwendig dramatisch, und die Romankapitel, eher erzählerischen Läufe und Mäander springen dann um in Akte, ungezählte freilich, unzählbare, anders als die drei, vier, selten fünf Akte der Ibsen-Stücke. Und Ibsens Gerichtstage über sich selbst sind in der Regel Todesurteile, ob er den Fall des Baumeister Solneß verhandelt, oder den des gescheiterten Bankiers John Gabriel Borkman, oder den des Künstlers (vor allem den) wie in seinem letzten Stück, »Wenn wir Toten erwachen«. Und meine Gerichtstage über meine episch-dramatischen, rhythmisch verunklarten anderen Ich oder freiphantasierten, erweiterten Fassungen: Bis jetzt noch jedesmal, zuletzt im »Großen Fall« und dem »Versuch über den Pilznarren«, am Ende der Geschichte ein Freisprechen. Gehören demnach Ausweiten, Freiphantasieren und Freisprechen notwendig, ja, notwendig, zusammen? Andererseits: Es ist noch nicht aller Freisprech- und Schreibtage Abend. Das letzte Epos steht noch, so oder so, aufgeschrieben oder ungeschrieben, bevor. »Morgen ist ein anderer Tag«: Kann das nicht auch eine Drohung sein? »Am Rand der Erschöpfung reden wir alle in Hauptsätzen.« Zuguterletzt zurück zum Hauptsatz-Dramatiker Henrik Ibsen, zu ihm allein. Wer ist dabei der Erschöpfte? Nicht eher der Leser, Hörer, Zuschauer? Aber auch der Schöpfer selber der Sätze, deren Akteur, Aktivist? Seltsam wieder, oder auch nicht: Die klassischen europäischen Tragödien, etwa die eines Pierre Corneille oder eines Jean Racine, brauchen jeweils geschlagene fünf Akte bis zum Heldentod-Ende. Bei Henrik Ibsen ist es, im großen ganzen, eher umgekehrt. Das Todesurteil über seine Helden wird in der Regel, in Ibsens Regel, oft schon nach drei rasanten Akten, höchstens vieren, vollstreckt, und Vorhang. Einmal endet das Drama ausnahmswei- se sozusagen gut, wie bei der »Frau vom Meer«. Und dafür, und fast nur dafür, braucht der Dramatiker Ibsen, statt seiner üblichen drei oder vier, ganze fünf Akte, einer langwieriger als der andere, ein rechter Gegensatz zu seinen Vorfahren, den klassischen Tragödiendichtern. Andere Frage: Sind die Stücke Henrik Ibsens Tragödien, im klassischen oder in sonst einem Sinn? Keine Antwort, jedenfalls nicht von mir hier. Allein schon mein nach all dem lebenslangen Lesen und In-Betracht-Nehmen (vordringlich durch Lektüre) des lebenslang das Leben Dramatisierenden — Reagieren in Hauptsätzen ist ein Hindernis, vielleicht auch zum Glück. Wie auch immer: Andererseits sind die Dramen Ibsens sicher nicht die Ahnherren der heutigen Fernsehspiele. (So habe ich einmal, in einer Zwischenzeit, gedacht-nicht gedacht: »Henrik Ibsen, der Vater des Fernsehspiels.«) Dazu sind seine Dialoge, vor allem die zwischen Mann und Frau, viel zu wüst, auch geheimnisvoll, im befreienden Sinn unklar und gerade so erweckend. Kein Fernsehspiel, in dem Frau und Mann über ihr ertrunkenes Kind so reden könnten, dürften wie im »Lille Eyolf«, in den Sinn etwa: Wir zwei, wir Eltern, haben also mit einem armen kleinen Fremdling gelebt. »Am Rand der Erschöpfung reden wir alle in Hauptsätzen.« Nein, diese Hauptsätze sind nicht die Hauptsätze eines heutigen Schreibens, als einer Art und Abart des Journalismus und des Expertentums. (Zum Teufel mit den Experten — nicht nur denen gegen den Balkan …) Als etwas Planbares, Machbares, nach Plan Herstellbares. Es gibt schon bei Henrik Ibsen, geboren am 20. März 1828 in Skien, keinerlei nach Rezept (trotz Apothekerlehre) oder Schreibschule hergestellten Sätze. Es sind vielmehr geatmete, geseufzte, gestöhnte, gestammelte, wirr-klare (frei nach Paul Valéry) Gliederungen, ungeplante, eines Ausrufs, oder gar Aufschreis (oh, Edvard Munch!), und so — »dichterische«. So, genau, mit diesem Wort, grenzt sich Henrik Ibsen ja selber in einem Brief ab gegen die täglichen Haupt- und Staatssätze. Da, ohne mich noch vergleichen oder gar von Henrik Ibsen unterscheiden zu wollen, treffe ich mich endlich mit ihm, zumindest in der Einbildung. (Ah, erstmals hier Haupt- und Nebensatz.) Und in einer anderen Einbildung war Henrik Ibsen seinerzeit mit mir im Internat, ein paar Klassen über mir; unsere Wäschenummer aber ziemlich ähnlich, meine, wie schon vor dreiundvierzig Jahren im »Kurzen Brief zum langen Abschied« erzählt, 248, ZweiVier-Acht, und die seine — ? An dieser Stelle: Schluß mit der Einbildung; Tagtraum verflogen. Schön wortlos, wortlos frei. IBSEN AWARD 2014 21 22 Foto: Andrej Glusgold INGRID L AUSUND Martin Heckmanns Die Bergwanderung oder Sexualität heute Drei Elternpaare treffen sich zu einem Problemgespräch. Ihre Kinder sind zum zweiten Mal gemeinsam unterwegs auf einer Bergwanderung. Das ist nicht das Problem. Aber der Gesamtschullehrer Michael Küster und seine Frau Hanne haben auf dem Computer ihrer Tochter einen Film entdeckt, der die Jugendlichen am Ende der ersten Wanderung bei sexuellen Aktivitäten in der Berghütte zeigt. Im Gespräch der betroffenen Eltern soll nun eine gemeinsame Strategie entwickelt werden, wie die Kinder bei ihrer Rückkehr empfangen und über Sexualität und Internet aufgeklärt werden können. Dabei zeigt sich vor allem, wie die Beziehungsmodelle der Eltern alternieren und konkurrieren und wie schnell das Unverständnis für abweichendes Verhalten in Verachtung und Verbote umschlägt. Das Gastgeberehepaar ist in Therapie, die Sängerin und der Musiktherapeut führen eine offene Beziehung und erzählen einander von ihren Seitensprüngen, und der Unternehmensberater tauscht seine Partnerin regelmäßig gegen eine jüngere aus. Als am Ende die Tochter des Hauses vom Ausflug zurückkehrt, ist die Mutter betrunken, die Wohnung in Unordnung, und der Unternehmensberater sucht seine Hose. Die Bergwanderung ist eine Komödie über die Unordnung des Begehrens, konkurrierende Sexualmoral und die Schwierigkeit, die Freiheit auszuhalten. (3 D, 3 H) Uraufführung: Juni 2015, Staatsschauspiel Dresden Regie: N.N. Martin Heckmanns, 1971 in Mönchengladbach geboren, Studium der Komparatistik, Geschichte und Philosophie, lebt als freier Autor in Berlin. Stücke – eine Auswahl Schieß doch, Kaufhaus! Frankfurter Fassung 5 Personen UA: 9.5.2002, TiF/Staatsschauspiel Dresden in Koproduktion mit Theaterhaus Jena, Sophiensaele Berlin und Thalia Theater Hamburg Regie: Simone Blattner Das wundervolle Zwischending 1 D, 2 H UA: 10.2.2005, Niedersächsisches Staatstheater Hannover Regie: Charlotte Roos Wörter und Körper 4 D, 7 H UA: 10.2.2007 Staatstheater Stuttgart Regie: Hasko Weber Kommt ein Mann zur Welt Mindestens 2 D, 3 H UA: 24.3.2007 Düsseldorfer Schauspielhaus Regie: Rafael Sanchez Vater Mutter Geisterbahn 1 D, 2 H UA: 6.5.2011 Staatsschauspiel Dresden Regie: Christoph Frick Einer und Eine 2 D, 2 H UA: 15.11.2012 Nationaltheater Mannheim Regie: Dominic Friedel Neuinszenierung: 14.2.2014 Theater DER KELLER, Köln Regie: Martin Schulze 151 Seiten. Broschur. € 14,– (978-3-518-42379-0) 23 Die Bergwanderung oder Sexualität heute Michael Findest du das wirklich eine gute Idee? Hanne Bitte, Michael, wir hatten uns entschieden. Michael Du hattest entschieden. Hanne Weil es unsere Pflicht ist. Michael Müssen wir das denn gleich in der großen Gruppe besprechen? Wir hätten doch telefonieren können. Hanne Ich finde, alle Eltern haben ein Recht darauf, zeitgleich informiert zu werden. Und ich würde gerne gemeinsam klären, wie wir damit umgehen. Michael Wir machen uns lächerlich. Wegen eines 3-Minuten-Films. Hanne Diesen 3-Minuten-Film hat die Tochter der Braumeisters ins Internet gestellt. Und da frage ich mich, warum macht die so was. Michael Ihre Gesichter kann man nicht erkennen. Das ist doch die Hauptsache. Hanne Es geht doch nicht nur um den Film. Deine Tochter war Teil einer Orgie. Michael Unter fünf Personen spricht man sicher nicht von einer Orgie. Hanne Da kennst du dich aus. Michael Und so genau ist da doch überhaupt nicht zu sehen, was passiert. 24 Hanne Ich sag mal: ausreichend. Absolut aus reichend. Mir hat’s gereicht. Den Rest kann ich mir denken. Michael Das sind Kinder. Hanne Das ist es ja. Michael Die probieren sich aus. Hanne Und wir sind die Erziehungsberechtigten. Und wir sind nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet, die Grenzen dieses Auspro bierens festzulegen. Da brauchen wir eine einheitliche Linie. Wir schauen uns das ge meinsam an und entscheiden dann, wie wei ter vorzugehen ist. Michael Bei dir klingt das, als würden wir eine Regie rungserklärung vorbereiten. Hanne Während es dich wie immer null interessiert, was deine Tochter mitmachen muss. Michael Im Film sieht es nicht aus, als wäre sie zur Teilnahme gezwungen worden. Hanne Das weißt du doch gar nicht. Das ist der Gruppendruck. Den kann man nicht sehen. Michael Das wird auf uns zurückfallen. Der Bote und die Botschaft. Das wird immer ver, ver, ver ... HanneVerwechselt? Michael Verdreht. Die Bote und das Botschaft. Das kennt man doch. INTER MARTIN HECKMANNS Hanne Und deshalb sagen wir besser nichts? Sind wir Memmen oder Menschen? Michael? Mäuschen oder Mann? Feigling oder, ich sag mal, du weißt, was ich meine. Michael Bitte, Hanne, ich will gemeinsam mit den Braumeisters keinen Sexfilm sehen. Mit un seren Kindern in den Hauptrollen. Ich will überhaupt keine Sexfilme mit denen sehen. Gar keine Filme will ich mit denen sehen. Hanne Denkst du, mir macht das Freude? Michael Den Wolfgang hab ich seit Jahren nicht mehr gesprochen. Und jetzt lad ich ihn ein zum Pornogucken. Hanne Das tut mir sehr leid für dein Verhältnis zum Wolfgang. Du hättest ihn gerne früher einmal zu uns einladen können. Ich mag den Wolfgang. Michael Das ist neu. Hanne Ich kenn ihn kaum. Michael Wahrscheinlich magst du ihn deshalb. Der Wolfgang kann ziemlich ausfallend werden. Früher hat der sogar unsere Lehrer angepö belt. Ich sehe schwarz, wenn der auf die Susanne trifft. Das kenn ich noch von früher. Da haben die sich auch schon ständig gefetzt. Hanne Michael Hanne Michael Hast du nicht gesagt, dass die mal ein Paar waren in eurer Jugend. So was kann ganz schnell ausarten. Da sind Emotionen im Spiel. Ja. Wenn es um Sex geht, sind Emotionen im Spiel. Das lässt sich wahrscheinlich nur schwer verhindern. Und jetzt zieh dir bitte ein frisches Hemd an. Wir bekommen Gäste. Wir können immer noch sagen, wir machen uns einfach nur einen schönen Abend. Die Urszene ... ... hat Sigmund Freud die Konstellation genannt, in der ein Kind seine Eltern beim Geschlechtsverkehr beobachtet. Freud vermutet, dass diese Szene als Fantasie oder erlebte Begebenheit in der Analyse bei allen Menschenkindern aufzufinden und von pathogener Wirkung sei. Das Kind wohne nachträglich dem reinszenierten Akt seiner Entstehung bei. Der eigene Ursprung werde dem Kind unheimlich. Martin Heckmanns’ neues Stück beschreibt die umgekehrte Perspektive. Die Urszene ... VIEW ... hat Sigmund Freud die Konstellation genannt, in der ein Kind seine Eltern beim Geschlechtsverkehr beobachtet. Freud vermutet, dass diese Szene als Fantasie oder erlebte Begebenheit in der Analyse bei allen Menschenkindern aufzufinden und von pathogener Wirkung sei. Das Kind wohne nachträglich dem reinszenierten Akt seiner Entstehung bei. Der eigene Ursprung werde dem Kind unheimlich. Martin Heckmanns’ neues Stück beschreibt die umgekehrte Perspektive. 25 26 Foto: Affolter/Savolainen INGRID L AUSUND Wolfram Höll Und dann Laudatio von Wolfram Lotz anlässlich der Verleihung des Mülheimer Dramatikerpreises 2014 an Wolfram Höll »Das Glück, das ich empfand, als ich im Sommer 2012 zum ersten Mal Wolfram Hölls Stück Und dann las, ja, das Glück, das ich schon beim Lesen der ersten Seite empfand, hatte auch viel damit zu tun, eben eine solche Sprache dort vorzufinden. Die Sprache in Und dann meint sich auch immer selbst, das macht sie so literarisch, sie entsteht auch und besonders aus sich heraus, aus ihrer Materialität, aus ihren Wiederholungen, aus ihrem Rhythmus und ihrem Klang. Die Sprache von Und dann kann durch kein Sprechen ganz naturalisiert werden. Sie bleibt immer auch vor dem Körper des Schauspielers, sie bleibt künstlich und für sich greifbar, als wäre sie eine Maske. Aber ganz so, wie die Maske eine komplexe und enge Beziehung zum Körper unterhält, so meint auch Wolfram Hölls Sprache in diesem Stück ganz besonders den Körper der Darstellenden, und zwar aufgrund der ihr eigenen Musikalität. Von der Kritik wurde des Öfteren darauf hingewiesen, dass Und dann sehr viel von einem großen Gedicht habe, also sehr lyrisch sei. Das ist vor allem insofern richtig, als dass die Sprache sehr nahe am Gesang zu sein scheint, eine Eigenschaft, die von Claudia Bauer in ihrer Inszenierung ja sehr genau begriffen wurde, denn dort schlingert jegliches Äußern von Sprache immer durch das Grenzgebiet von Sprechen und Singen. Das Verhältnis von Sprache und Körper in Und dann kann, denke ich, also am besten über das Singen erklärt werden: Das Singen ist einerseits künstlicher als das Sprechen, es kann schlechter naturalisiert und also nicht gänzlich einverleibt werden, und zugleich meint es den Körper aber auf eine vollständigere Weise, ja, der Gesang meint den Körper der singenden Person stärker und tiefer, als das Sprechen den Körper der sprechenden Person meint. Deshalb ist die Sprache Wolfram Hölls so theatral, sie bleibt vor den Körpern, aber sie meint die Körper so sehr in ihrer Anwesenheit, und also ganz besonders das Theater. In der Kritik wurde über die letzten zwei Jahre hinweg immer wieder angezweifelt, ob Und dann wirklich ein Theaterstück sei, ob es überhaupt auf eine Bühne gehöre, oder nicht eher ins Radio oder in einen Gedichtband. Wolfram Höll, 1986 in Leipzig geboren, ist Autor, Theater- und Hörspielregisseur und lebt in Biel. Nach dem Bachelor in Literarischem Schreiben am Schweizerischen Literaturinstitut Biel schloss er einen Master in Theater an der Hochschule der Künste Bern ab. Und dann war 2012 eingeladen zum Heidelberger Stückemarkt sowie zum Berliner Stückemarkt. Höll erhielt für das Stück zahlreiche Preise, u.a. den Literaturpreis des Kantons Bern 2013 sowie den Mülheimer Dramatikerpreis 2014. Im Januar 2015 wird ihm der Lessing-Förderpreis des Freistaates Sachsen verliehen. Und dann Uraufführung: 4. Oktober 2013 Schauspiel Leipzig Regie: Claudia Bauer Neuinszenierung: 24. Oktober 2013 Deutsches Nationaltheater Weimar Regie: Nina Mattenklotz 27 Mich hat das immer irgendwie wütend gemacht, solche Aussagen zu lesen, 1. weil ich grundsätzlich etwas cholerisch veranlagt bin und 2. weil ich schon im ersten Moment des Lesens von Und dann das Gefühl hatte, dass dieser Text für die Bühne bestimmt ist, ganz unbedingt und viel mehr als die allermeisten anderen gegenwärtigen Theatertexte. Die Bühnentauglichkeit von Und dann wurde von der Kritik auch dadurch angezweifelt, dass gesagt wurde, dass das Stück keine konventionelle dramatische Erzählung mehr biete bzw. nur noch Spuren, Fragmente davon. Ja, es wurde gesagt, dass der Text deshalb nicht dramatisch sei. Aber dieser Schluss ist ganz falsch. Zwar ist in Wolfram Hölls Und dann die dramatische Struktur kaum noch auf der Handlungsebene vorzufinden – der Trick ist allerdings, dass Wolfram Höll die dramatischen Strukturen auf eine andere Ebene verschiebt, und zwar auf die ja, ist der Text in jedem Augenblick viel mehr mit dramatischer Energie geladen, als es eine ausgebreitete dramatische Handlung leisten könnte. Wolfram Hölls Sprachdramatik ist präsentisch gemeint, ist im Augenblick und vor Ort, und also ganz besonders auf einer Theaterbühne. Und bei allen Unterschieden: In der Verlagerung der Dramatik von der Handlungs- auf die Sprachebene ist Und dann den sprach-vor-sich-hinspielenden Texten Elfriede Jelineks nicht unähnlich. Wo aber Jelineks Textflächen in ihrem Sprachwirbel kleinste Referenzteilchen herumsausen lassen, schafft Wolfram Höll dennoch eine Form von Erzählung. Denn das sprechende Kind in Und dann setzt noch immer Ereignisse hintereinander, oder sagen wir besser: Bilder von Ereignissen. Aber nicht diese hintereinandergesetzten Ereignisse ergeben die Erzählung. Die eigentliche Handlung ist das Hintereinandersetzen selbst, denn ja, die eigentliche »Das Erzählen in Wolfram Hölls Text ist, im Gegensatz zum Erzählen in konventionelleren dramatischen Texten, kein Umherwandern mehr in einer intakten Wirklichkeit, sondern es ist das Herstellen von Orientierung und Ordnung in einer im Text spürbar zerbrochenen Wirklichkeit.« Sprachebene. Die Sprache baut ununterbrochen über ihre Bewegungen, ihre Wiederholungen winzige Spannungsladungen auf. Dieses Aufbauen, dieses Halten und das Lösen in der Sprache ist die eigentliche dramatische Struktur. Mit diesem großartigen Trick muss Wolfram Höll keine große geschlossene dramatische Struktur mehr gewährleisten, ohne aber zugleich auf das Dramatische verzichten zu müssen. Ja, Und dann ist dadurch ein deutlich dramatischerer Text als die konventionelleren Theatertexte heutzutage. Denn über seine Mikrostrukturen ist die Dramatik immer ganz augenblicklich gemeint, ist immer das, was gerade da ist – die Sprache in ihrer Beschaffenheit –, dramatisch, Handlung des Stücks ist das Erinnern – das Erinnern als Erschaffen einer Geschichte. Alles, was in dem Stück vorkommt, ist nicht einfach so da, sondern es wird durch das Erinnern des Kindes erst hergestellt. Alles kann erscheinen, und es erscheint auch, aber es bleibt zugleich immer auch fraglich. Besonders das immer wiederkehrende, titelgebende »Und dann« weist auf diesen Prozess der Herstellung hin: Es verknüpft die Dinge, aber es ist spürbar, dass diese Verknüpfungen nicht einfach vorhanden sind, sondern durch die Sprache, die ja das Erinnern ist, immer gerade hergestellt werden. Das Erzählen in Wolfram Hölls Text ist also, im Gegen- LAUDATIO MÜLHEIMER 28 WOLFRAM HÖLL satz zum Erzählen in konventionelleren dramatischen Texten, kein Umherwandern mehr in einer intakten Wirklichkeit, sondern es ist das Herstellen von Orientierung und Ordnung in einer im Text spürbar zerbrochenen Wirklichkeit. Sprechend, im Text und auf der Bühne, sucht das Kind Zeugen für das Erinnerte, den Leser und Zuschauer. Die Welt, die in diesem Stück spürbar wird, durch die das stetige »Und dann« seinen Pfad tritt, ist weit und zerfallen, sie ist nicht mehr kausal-linear, sondern zirkulierend und verstrickt. Das Wiederkehren der Sprachmuster, der einzelnen Motive auf eine manchmal fast refrainartige Weise, manchmal nur als flirrende klangliche Assoziation – dieses Wiederkehren schafft einen Text, in dem das Erzählte nicht einfach kausal aus dem bereits Erzählten hervorgeht, sondern in dem die Dinge einerseits vereinzelt stehen und doch miteinander vernetzt sind auf vielfältigste Weise. Es kann in so einer Rede nicht gelingen, Wolfram Hölls großartigem Stück insgesamt gerecht zu werden. Es müsste noch einiges gesagt werden, ja, es müsste noch etwas gesagt werden • zu dem fast schon magischen Gebrauch mancher Wörter, • zur Schreibmaschine als Schreibinstrument und dem damit verbundenen Wunsch, jedes Wort und jeden Buchstaben unbedingt so zu meinen im Augenblick des Schreibens selbst, • und dazu, wie die Form dieses Textes vom Theater die Auseinandersetzung verlangt, und die Auseinandersetzung ist doch für das Theater so elementar, • und zur Sehnsucht, von der dieses Stück erfüllt ist und was sie für unsere Gegenwart bedeutet. Und diese Dinge sind hier nun wenigstens erwähnt, aber sie sollen auch ein Hinweis sein auf all das, was hier nicht vorkommen konnte. Denn es ging mir hier vor allem darum, deutlich zu machen, warum Wolfram Hölls Text aus einer allgemeineren Perspektive so besonders, ja, so wichtig ist: Und dann ist tatsächlich ein Drama nach dem Drama. Ein Text, dessen Motivwelt eine ganz vergangene ist, der aber mehr als fast alle anderen heutigen Theatertexte einen Zugriff auf unsere Gegenwart erhält. Denn es sind nicht die Motive, nicht die Themen, und schon gar nicht die Aussagen – nein, es ist die gesamte Verfasstheit eines Textes, die den Bezug zu unserer Gegenwart bildet. Der gesamte Entwurf von Wolfram Hölls Und dann reagiert radikal auf die Anforderungen einer veränderten Wirklichkeit. Der Text zieht sich darin aber nicht zurück und verkleinert sich in seinen dramatischen Möglichkeiten, sondern er nimmt sich dieser unglaublich schwierigen Aufgabe an, er leistet ein dramatisches Erzählen, aber eines, das sich von den Erzählungen der konventionellen Dramatik strukturell unterscheidet: ein Erzählen, das es für mein Empfinden schafft, unserer Gegenwart gerecht zu werden. Und das ist für mich mehr als ein kleines Wunder! Und es macht mir eine so große Hoffnung – für das Theater, für die literarische Sprache im Theater, auf die nicht verzichtet werden kann, und für eine neue Dramatik! Und ich möchte Dir hier, lieber Wolfram, natürlich auch zu diesem Dramatikerpreis gratulieren, aber vor allem möchte ich Dir zu diesem wunderbaren Stück gratulieren, für das Du diesen Preis völlig zu Recht erhältst!« Mülheim, den 22. Juni 2014 Wolfram Lotz, 1981 in Hamburg geboren, ist Lyriker, Dramatiker, Erzähler und Hörspielautor. Seine Theaterstücke werden vom S. Fischer Verlag vertreten. DRAMATIKERPREIS 2014 29 Henrik Ibsen John Gabriel Borkman Neu übersetzt von Angelika Gundlach Ibsens Stück über einen ehemals erfolgreichen Bankier, der hohe Beträge verspekuliert hat und der sich nach seiner Verurteilung wegen Betrugs in eine häusliche Isolation zurückzieht, wirkt nicht erst seit der jüngsten Bankenkrise aktuell und brisant. Das 1897 in Finnland uraufgeführte Stück über bittere Kassenstürze, kaltes Kalkulieren und die Einsamkeit der Macht erlebt auf deutschsprachigen Bühnen seit Jahren eine breite Rezeption – sei es in drastischer Aneignung (wie z.B. unlängst bei Vegard Vinge), sei es in psychologisch genauer Auffaltung der Motivationen. Angelika Gundlach setzt mit ihrer zeitgemäßen Neuübersetzung dieses modernen Klassikers ihre Beschäftigung mit dem großen norwegischen Dramatiker fort. (5 D, 3 H) Aktuelle Ibsen-Inszenierungen in den Übersetzungen von Angelika Gundlach: u.a. am Wiener Burgtheater, am Bayerischen Staatsschauspiel in München, am Münchner Volkstheater, am Düsseldorfer Schauspielhaus, am Schauspiel Leipzig, am Schlosstheater in Moers, am Theater St. Gallen ... 30 Ella Rentheim tritt vor die Bank: Siehst du ihn dir nicht an, Gunhild? Frau Borkman abwehrend: Nein, nein, nein. Senkt die Stimme. Er war ein Bergmannssohn – der Herr Bankdirektor. Konnte den fri schen Luftzug nicht vertragen. Ella Rentheim Eher hat ihn wohl die Kälte getötet. Frau Borkman schüttelt den Kopf: Die Kälte, sagst du? Die Kälte – die hatte ihn schon lange getötet. Ella Rentheim nickt ihr zu: Und uns beide zu Schatten gemacht. Frau Borkman Da hast du Recht. Ella Rentheim mit einem schmerzlichen Lächeln: Ein Toter und zwei Schatten – das ist ein Werk der Kälte. Frau Borkman Ja, der Kälte des Herzens. – Dann können wir beide uns wohl die Hand reichen, Ella. Ella Rentheim Ich denke, jetzt können wir es. Ibsens Stücke bei Suhrkamp in den vielgespielten Übersetzungen von Angelika Gundlach Baumeister Solneß Byggemester Solness Die Wildente Vildanden Nora – ein Puppenheim Et dukkehjem Ein Volksfeind En Folkefiende Gespenster Gengangere Hedda Gabler Hedda Gabler Peer Gynt Peer Gynt John Gabriel Borkman John Gabriel Borkman »Angelika Gundlach bleibt beim Reim und findet einen Rhythmus, der dreieinhalb Stunden lang trägt und nicht langweilig wird. Ihre Umgangssprachlichkeit wirkt gegenwartsbezogen, ohne plump und anbiedernd zu klingen. (…) Gundlachs Deutsch ist direkt, aber wo sie vulgäre Worte wählt, sind diese auch an ihrem Platz.« Wiebke Hüster in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung über Peer Gynt im Düsseldorfer Schauspielhaus 2013 31 32 Foto: Joachim Zimmermann INGRID L AUSUND Jörn Klare Der frühe Hase fängt die Axt Der erwachsene Sohn hatte sich schon eine Weile nicht mehr zu Hause blicken lassen, und nun ist die Mutter gestorben. Vater und Sohn haben die Trauerfeier überstanden, jetzt sind sie allein. Zwei ungleiche Männer und scheinbar typische Vertreter ihrer Generation. Der Vater, Jahrgang 1939, dessen politisch linkes Sendungs- und Selbstbewusstsein in den Theorien von Weber und Adorno verankert ist und der als Kapitalismuskritiker Karriere gemacht hat. Der Sohn, ein Kind der späten 1970er, der gegen den Willen des Vaters BWL studierte und dessen Lebensplan gerade ins Wanken gerät. Ihren Konflikten sind die beiden der Ehefrau und Mutter zuliebe jahrzehntelang ausgewichen, nun müssen sie sich einer längst überfälligen Auseinandersetzung stellen. Vater und Sohn ringen um das beträchtliche Erbe der Verstorbenen, den »richtigen« Lebensweg, vor allem aber um Anerkennung und Nähe. Ihr Kampf wird immer stärker von einer neuen, wahrlich existentiellen Herausforderung bestimmt: Der Vater hat eine Demenz, die selbst die letzten Gewissheiten zerstört, damit aber auch Raum für eine andere Art der Begegnung schafft. (2 H) Jörn Klare, geboren 1965, schreibt Features und Reportagen (u.a. für den Deutschlandfunk und Die Zeit) und erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Der Dokumentarfilm Was bin ich wert? (Regie: Peter Scharf) zu seinem viel diskutierten, gleichnamigen Sachbuch Als meine Mutter ihre Küche nicht mehr fand. Vom Wert des Lebens mit Demenz (Suhrkamp, 2011) kam im Herbst 2014 in die Kinos. Aus der Auseinandersetzung mit dem Thema Demenz folgten zwei Theaterstücke: Du sollst den Wald nicht vor dem Hasen loben, das Porträt einer Mutter-Tochter-Beziehung sowie Der frühe Hase fängt die Axt. Du sollst den Wald nicht vor dem Hasen loben UA: 28.1. 2015 Badisches Staatstheater Karlsruhe Regie: Katrin Plötner Uraufführung: 10. April 2015, Staatstheater Nürnberg, Regie: N.N. Vater Kannst du deiner Mutter sagen, dass ich Hunger habe. Ein Brot mit Käse … Sohn Mama ist tot. Vater Ja. Sag es ihr trotzdem. Ein Brot mit Käse. Ein Käsebrot. (aus: Der frühe Hase fängt die Axt) 33 34 INGRID L AUSUND Thomas Köck jenseits von fukuyama Thomas Köck, geboren 1986 in Steyr (Oberösterreich). Sozialisiert durch Musik, studierte er zunächst in Wien und Berlin Philosophie und Literaturwissenschaft, seit 2012 Studium des Szenischen Schreibens an der Universität der Künste in Berlin mit Aufenthalt am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. Mit jenseits von fukuyama gewann Köck den Osnabrücker Dramatikerpreis. Für Isabelle Huppert (geopfert wird immer) erhielt Köck den »ElseLasker-Schüler-Stückepreis 2014«, das Stück wird am Pfalztheater Kaiserslautern uraufgeführt. Im Institut für Glücks- und Zukunftsforschung ist das Team um Dr. Phekta vermeintlich auf der Suche nach dem Sinn menschlicher Existenz. In Wirklichkeit wird hier die Summe der Gewohnheiten, Onlineprofile etc. der Menschen gesammelt, gespeichert, analysiert, organisiert und an Entscheidungsträger weiterverkauft. Ziel ist die reibungslose Kontrolle der Gesellschaft. Natürlich dürfen die Daten nicht in die Öffentlichkeit gelangen – wo sie selbstverständlich landen. Während im »Draußen« der »Chor der enttäuschten Erwartungen« schon den Widerstand probt und gegen die Ausmessungen und Auswertungen seiner Biografien protestiert, tobt zwischen den Mitarbeitern des Instituts ein tödlicher Konkurrenzkampf. Schlagfertig, die Absurditäten der Jetztzeit konsequent weiterdenkend, sprachlich verspielt und ungemein komisch, fragt Thomas Köck in seinem SuhrkampDebüt nach den Utopien, die das Leben nach dem »Ende der Geschichte« noch für uns bereit hält. (3 D, 2 H) Paradies Fluten (AT) Libretto UA: 11.9.2015, Theater Osnabrück Choreografie: Mauro de Candia Uraufführung: 17. Mai 2014, Theater Osnabrück, Regie: Gustav Rueb »Köck zeigt nicht das Ende der Geschichte, wie es Fukuyama vorschwebte, sondern den Anfang vom Ende der Welt, wie wir sie kennen. Sein Stück ist eine gelungene Satire auf eine kriselnde Gesellschaft, auf Fortschrittsversessenheit und Arbeitswahn, auf fehlende Generationengerechtigkeit und die Realitätsferne der Universität.« Tobias Becker, Theater heute Fr. Dr. Phekta Dieser Raum ist einzigartig in seiner Art. Es ist der deutsche Durchschnittsraum. Berechnet aus hochsensiblen Daten in jahrelanger Kleinstarbeit. Kafka, Sarrazin, Schirrmacher, Marx, Harry Potter und Schiller. Das ist die groteske Weltanschauung des Schnitts. Was ist denn daran jetzt privat? Hochsensible Daten?! Frei zugängliche Verhaltensmuster, die man nur auswerten muss. Dieser Raum ist eigentlich ein einziger ideologischer Alptraum, aber! es ist der durchschnittliche ideologische Alptraum. Das ist das Zimmer der stimmenstärksten Wählerschicht. Es ist das Zimmer, in dem diese Nation zu sich kommt. (aus: jenseits von fukuyama) 35 36 Foto: Susanne Schleyer INGRID L AUSUND Konstantin Küspert pest »Was ist das, was in uns lügt, hurt, stiehlt und mordet?«, fragt Georg Büchner in Dantons Tod. pest folgt derselben zerstörerischen Kraft und den Spuren ihrer Verwüstung. Der Text führt uns in zwei Paralleluniversen, die jeweils mit der gleichen Ausgangssituation beginnen: Auf einem Fußballfeld in einer deutschen Stadt drillt ein Vater seinen Sohn zu Höchstleistungen. Der Junge, Georgios, soll Fußballer werden, nicht Naturwissenschaftler, wie das der Sohn gerne möchte. Das Stück erkundet das Prinzip paralleler Welten, das die Hauptfigur Georgios, inzwischen erwachsen und alkoholabhängig, so skizziert: »jede einzelne entscheidung schafft ein neues universum im schaumbad der multiversen. alles, was theoretisch passieren kann, passiert, irgendwo.« So schlägt Georgios in der einen Welt zunächst eine Karriere als Fußballer ein, in der anderen die eines Naturwissenschaftlers. Die Scheidewege führen keineswegs zu besseren Welten, sondern allenfalls zu anderen Zerstörungsverläufen, in eine Welt eines globalen Krieges und in eine Welt einer nuklearen Katastrophe. Ein Text wie ein Stress-Test für die Restmoral in unseren Köpfen und Körpern. (Besetzung variabel) Frei zur Uraufführung Konstantin Küspert, Autor und Dramaturg, wurde 1982 in Regensburg geboren. Seit dem Studium der Germanistik, Philosophie, Politikwissenschaft und Theaterwissenschaft in Regensburg und Wien Theaterprojekte mit Claudia Bosse und Produktionen u.a. am Germanistentheater an der Uni Regensburg, am Staatstheater Karlsruhe und am HAU Berlin. Küspert studierte an der Berliner Universität der Künste Szenisches Schreiben. mensch maschine UA: 22.9.2013, Theater Regensburg Regie: Sahar Amini Neuinszenierungen: 5.12.2014, theater junge generation Dresden Regie: Roscha A. Saidow 6.2.2015, Theater Lüneburg Regie: Martin Pfaff »Was sich nun entspinnt, ist ein handfester Bewusstseins-Krimi mit feiner philosophischer Unterfütterung. Küspert erzählt sein – im wahrsten Sinne des Wortes – Gedankenexperiment mit Tempo, direkter Prosa und großer Lockerheit.« (Christian Rakow, nachtkritik, über mensch maschine) »wie ein schaumbad ist die gesamtheit der schöpfung. mit universen wie blasen, die entstehen, sich ausdehnen und wieder zerplatzen. jedes universum ein klein bisschen anders, keine zwei identisch. jede möglichkeit existiert. also schafft jede entscheidung neue welten. jede geworfene münze spaltet ein universum ab, nämlich das, in dem die münze anders landet. und das, in dem die münze auf die kante fällt. und das, in dem die münze in der luft hängen bleibt. und das, in dem der münzwurf einen atomkrieg auslöst.« (aus: pest) 37 Christoph Nußbaumeder Das Fleischwerk sich auf schicksalhafte Weise. Eines Nachts fährt Rabanta eine junge Frau auf der Landstraße an und nimmt sie zu sich nach Hause. Susanna ist Andreis Frau. Das Fleischwerk ist ein düsteres, sprachlich dichtes Theaterstück über die zynischen Mechanismen und Hierarchien eines Schlachtbetriebes, in dem der Wert von Menschen- und Tierleben nach ökonomischen Gesichtspunkten bemessen wird. Eine moderne Tragödie, die unterschiedliche Erzählstränge und Zeitebenen raffiniert miteinander verwebt und doch diese eine Geschichte erzählt: die der Lohnsklaverei im 21. Jahrhundert. Uraufführung: 12. September 2015, Schauspielhaus Bochum, Regie: Robert Schuster Auftragswerk für das Schauspielhaus Bochum Foto: Susanne Schleyer Sie kommen in Arbeitskolonnen aus Rumänien oder Bulgarien, schlachten Schweine, zerteilen die Tierkörper oder säubern die Räume, in denen das Vieh vor der Schlachtung betäubt wird. Für diese Knochenarbeit werden die »Wanderarbeiter« schlecht bezahlt, die Unterkünfte sind dürftig. So wird Fleisch zu Billigpreisen produziert. Andrei ist in diesem deutschen Schlachtbetrieb ein »Störfaktor«, der Anhänger für den Kampf um bessere Arbeitsbedingungen mobilisiert. »Bist du Fleischzerleger oder Erbsenzähler?«, provoziert ihn sein Vorgesetzter Akif, als Andrei ihm seine nichtvergüteten Überstunden vorrechnet. Akif hat auch Daniel Rabanta einen Job besorgt: Der ehemalige Fernfahrer arbeitet heute als Viehfahrer, nachdem er ein paar Jahre für eine Tat einsaß, deren Details erst nach und nach zutage treten. Die Lebenswege von Andrei und Rabanta kreuzen Christoph Nußbaumeder wurde 1978 im niederbayerischen Eggenfelden geboren und lebt in Berlin. Studium der Rechtswissenschaft, Germanistik und Geschichte in Berlin. Nußbaumeders Stücke wurden u.a. an der Berliner Schaubühne, am Nationaltheater Mannheim und am Schauspiel Köln uraufgeführt. Vielfach neu inszeniert wurde Eisenstein, das 2010 am Schauspielhaus Bochum uraufgeführt wurde. Im Mai 2013 folgte die Uraufführung von Mutter Kramers Fahrt zur Gnade als Koproduktion mit dem Schauspielhaus Bochum bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen. 38 »Das überzüchtete Mastschwein und der ausgezehrte Werkarbeiter stehen sich gegenüber und glotzen sich unverwandt an.« Christoph Nußbaumeder im Gespräch Nina Peters: Zur Vorbereitung auf den Schreibprozess von ›Das Fleischwerk‹ hast du recherchiert, wie bist du vorgegangen? Christoph Nußbaumeder: In Ostwestfalen habe ich mir eine Großschlachterei angeschaut, wobei ich Schlachthöfe ja seit klein auf kenne. Man sieht da erst einmal nur Vorgänge, die sich in den letzten 25 Jahren kaum geändert haben, die meisten Arbeitsschritte, wie Ausweiden oder Zerlegen, sind zwar Fließbandarbeit, aber sie muss manuell gemacht werden, das kann keine Maschine übernehmen. Das leisten größtenteils Männer und Frauen aus Osteuropa, weil die wesentlich günstiger und umgänglicher sind, sie klagen einfach nicht so viel über die Arbeitsverhältnisse wie einheimische Beschäftigte. Ich hab mich dann noch im Bochumer Rotlichtviertel rumgetrieben, weil die ganze Wanderarbeiterstreuung diesen Arbeitsmarkt schließlich nicht auslässt ... Gab es eindrückliche Begegnungen? Da gab’s jetzt keine Überraschungsreflexe, das sind manchmal nur Blicke oder Wortfetzen, sinnliche Eindrücke. Einmal war ich in einem Wettbüro, bei dem Anbieter, der mit dem Spruch »Ihre Wette in sicheren Händen« wirbt ... Das ist schon eine ziemlich traurige Veranstaltung, da sitzen viele von den Schlachthofarbeitern in einem trostlosen Raum, stieren auf Monitore und versuchen halt, ihr schmales Gehalt aufzubessern, was natürlich meistens nach hinten losgeht. Aber Feldforschung ist das eine, sie ist eine Art Absicherung gegen die reine Spekulation, auch ein Realitätsabgleich zu dem, was man an Berichten in Zeitungen oder im Netz findet. Gleichzeitig war ich auf der Suche nach ökonomischen Zusammenhängen, die an der Fleischindustrie angekoppelt sind: Welche Industrien sind eingebunden, wer profitiert davon, welche politischen Interessen stecken dahinter? Dann kann man das ganze Thema natürlich auch kulturhistorisch betrachten: In welcher Gesellschaft leben wir eigentlich, in der die Erzeugung und Herstellung von Lebensmitteln derart aus dem Alltag verbannt ist wie in unserer? Warum gleicht der Herstellungsort oft einem Hochsicherheitstrakt, weshalb findet das alles im Verborgenen statt? Aus ökologischer Sicht ist der Billigfleischkonsum sowieso katastrophal. Jedenfalls stehen sich am Ende der Verteilungskette das überzüchtete Mastschwein und der ausgezehrte Werkarbeiter gegenüber und glotzen sich unverwandt an. Dein Stück erzählt, wie bereits ›Eisenstein‹, ebenfalls ein Auftrag für das Schauspielhaus Bochum, auch von strukturellen Veränderungen einer ländlich-agrarischen Gesellschaft. Weitere Uraufführungen in 2014/15: Von Affen und Engeln UA: Mai 2015, Ruhrfestspiele Recklinghausen in Koproduktion mit den Sophiensaelen Berlin Regie: Bernarda Horres Cold Heart Libretto nach dem Märchen »Das kalte Herz« von Wilhelm Hauff UA: November 2015 Regie: Donald Berkenhoff Musik: The Tiger Lillies Margarete Maultasch UA: Juli 2015, Tiroler Volksschauspiele Telfs, Regie: N.N. 253 Seiten. Broschur. € 20,– (978-3-518-42378-3) 39 In erster Linie ging es mir jeweils um die Darstellung einer Umbruchzeit. Das Neue kündigt sich an, ist in seiner ersten Gestalt auch schon da, und das Alte ist noch nicht vorüber. Darüber gibt es ein Bewusstsein, die Zeiten werden wie tektonische Platten gegeneinandergeschoben, es knirscht. Und da das Neue auch das Unbekannte ist, beunruhigt es; es ängstigt, selbst wenn das Alte selbstverständlich nicht immer gut war. Und Beunruhigung kennt jeder. Ich glaube, Theater ist auch dazu da, Angst gemeinsam zu meistern, nachdem man sich ihr ausgesetzt hat. Im Fleischwerk sagt Weidenfeller einmal: »Noch nicht so lange her, und die Felder waren kleiner und die Schweine weit weniger, und es hat gereicht für sechs Leute am Tisch. Heute produzier ich das Sechsfache, unterm Strich bleibt mir aber nicht mehr. Man hängt da drin, für mich gibts kein Zurück.« Die technologischen Machbarkeiten und das Preistreiben am Markt überfordern ihn, er zweifelt an der Sinnhaftigkeit seines Tuns. Weidenfeller ist Teil des Systems, er will eigentlich aussteigen, weiß aber nicht, wie er das bewerkstelligen soll, ohne arbeitslos zu werden. Meiner Erfahrung nach geht es vielen Menschen so wie ihm. Wie oft in deinen Stücken spielt der Verlust eine Rolle. Berührt dich dieses Thema? Ja, mich interessieren Menschen, die aus Verlust Energie ziehen, vielleicht auch Glück. Das Stück endet mit der Härte einer antiken Tragödie. Susanna zerstückelt Akifs Leiche und wirft sie den Hunden zum Fraß vor. Stand dieses drastische Ende zu Beginn für dich fest? Nein. Dramaturgisch stand von vornherein gar nichts bis wenig fest, ich wusste nur, dass sich rüdester Realismus und literarisch hochgestelltes Pathos auf einer 40 rein sprachlichen Ebene kreuzen sollten. Aber wahrscheinlich war aufgrund dessen die Drastik des Schlusses schon vorgepflastert, ohne dass ich es wusste. Die Antike spielt als Referenz in der Figurenrede, aber auch in Prosatexten, die das Stück rhythmisieren, eine Rolle, in der Erzählung ›Der Spartakuskrieg‹ etwa. Warum? Zunächst mal wollte ich damit die Perspektive weiten und die Geschichte der organisierten Ausbeutung, die auch Teil der europäischen Kulturgeschichte ist, in einen größeren Kontext setzen. Mir ist schon klar, dass man Sklaverei im Römischen Reich nicht mit Lohndumping im 21. Jahrhundert gleichsetzen kann. Man darf aber auch nicht außer Acht lassen, dass in den meisten Fällen die Sklaverei im klassischen Sinne nur abgeschafft wurde, weil Billiglohnarbeit letztlich profitabler für das Unternehmen war. Der Sklavenhalter hat sich einfach die Kosten für Unterkunft und Verpflegung gespart. Die ehemaligen Sklaven, die jetzt zwar frei, aber nach wie vor bitterarm waren, waren nun auf sich alleine gestellt, sie mussten sich selbständig irgendwelche Hilfsarbeiten suchen. So bekam beispielsweise die Verslumung in den Großstädten einen enormen Schub. Auf der anderen Seite ist die Spartakusgeschichte auch eine Geschichte der Auflehnung. Spartakus hat es gewagt, sich gegen das römische Imperium zu stellen, er hat dafür mit seinem Leben bezahlt. Deshalb galt er auch als Galionsfigur der proletarischen Revolution, und nicht von ungefähr haben Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ihre Vereinigung »Spartakusbund« genannt, die aus einer oppositionellen Gruppe der SPD hervorging. Der historische Spartakus gehörte dem Stamm der Thraker an, die damals weitgehend auf dem Gebiet des heutigen Bulgarien lebten. Und da Andrei, der den Aufstand der Schlachthofarbeiter organisiert, Bulgare ist, gibt es da- INTER CHRISTOPH NUSSBAUMEDER hingehend eine Art Entsprechung in der heutigen Zeit. Er hat den Mut aufzubegehren, und auch er kommt deshalb ums Leben. Welche Figur stand zuerst? Ganz am Anfang stand der Viehfahrer Rabanta, als einsamer Kerl, der schon einen Großteil seines Lebens gelebt hat und jetzt versucht, seinen Job so anständig wie möglich zu machen. Er will sich einrichten, doch das Leben lässt ihn nicht zur Ruhe kommen. Erst kriegt er die Krebsdiagnose, kurz darauf läuft ihm diese bulgarische Frau vors Auto. Und auf einmal wird sein Leben neu verhandelt, er muss sich verhalten, weil er mit Dingen konfrontiert wird, die ihn unausweichlich treffen. Du knüpfst mit diesem Stück an ›Mit dem Gurkenflieger in die Südsee‹ an. Bereits 2005 hattest du Menschen als Arbeitsmigranten aus Osteuropa porträtiert. Hast du reflektiert, wie sich eine Geschichte der »Sklaven des 21. Jahrhunderts« noch einmal erzählen lässt? Beim Fleischwerk ist der Fokus größer gezogen. Es geht natürlich um Arbeit und Ausbeutung, aber auch um das Produkt. Wofür werden hier Menschen aus Tausenden von Kilometern Entfernung angeworben, was helfen die eigentlich herzustellen? Es ist billiges Discounterfleisch, das sich die Industrieländer in die Pfanne hauen. Ich bin selbst kein Vegetarier, aber ich finde es pervers, wenn das Kilo Grillkotelett im Werksverkauf bei Tönnies für 3,49 Euro angeboten wird. Wenn im Konsumverhalten in absehbarer Zeit kein Umdenken stattfindet, hat das üble ökologische Konsequenzen zur Folge, die man natürlich jetzt schon spürt. Die Masttiere brauchen Trinkwasser und Kraftfutter, das hauptsächlich aus brasilianischem Soja besteht, wofür dort der Regenwald abgeholzt wird. Die Güllemassen verunreinigen das Grundwasser, und der Antibiotikaeinsatz bei Intensivtierhaltungen ist enorm ... Man weiß das alles, aber den Konsumenten interessiert das flächendeckend nicht die Bohne. Aber vielleicht kann ein fiktionaler Stoff ein klein wenig mehr Problembewusstsein schaffen, als reine Faktenanhäufung es vermag. ›Mit dem Gurkenflieger in die Südsee‹ war Martin Sperr gewidmet. Wenige Monate vor dessen Tod im April 2002 hast du einen berührenden Film über Sperr realisiert, »Nach der Jagd. Szenen«. Was hast du ihm zu verdanken? Zunächst mal war Martin für mich wichtig, weil er mir gezeigt hat, dass Schrift möglich ist. Als ich als Jugendlicher seine Jagdszenen aus Niederbayern gelesen habe, kamen darin Orte vor, die in unserer unmittelbaren Umgebung lagen. Mir war nicht bewusst, dass die eigene Provinz literarisierbar ist beziehungsweise Gegenstand von Literatur sein kann. Ich dachte bis dahin immer, man müsse von der weiten Welt berichten, man müsse eine Sprache der Metropole bedienen, um Gehör zu finden. Ich dachte, alles was in meiner Umgebung passiert, interessiert kein Schwein, weil es viel zu irrelevant ist. Heute weiß ich, dass genau das Gegenteil der Fall ist: Man kann nur über das schreiben, was man kennt. Als ich Martin dann später persönlich begegnete, fand ich ihn ziemlich lässig, vor allem, wie er auf Konventionen pfiff. Ich hab ihn ja zwei Jahre vor seinem Tod kennengelernt, und sein Leben war, von außen betrachtet, eine ziemliche Achterbahnfahrt. Er kam mir aber nie frustriert oder gar verbittert vor. Ich glaube, der hatte eine tiefe Einsicht: Man ist ins Leben geworfen, und es gibt keine alternative Geschichte dazu. Alles Hadern wäre sinnlos. Je älter ich werde, umso mehr begreife und schätze ich seine feine, lebenszugewandte Art. VIEW 41 42 Foto: Kerstin Groh INGRID L AUSUND Georg Ringsgwandl Die Donauprinzessin Georg Ringsgwandl arbeitete bis zu seinem 44. Lebensjahr als Arzt und steht seit über dreißig Jahren auf der Bühne. Er veröffentlichte zehn Studioalben, schreibt Musiktheaterstücke, Bücher und Beiträge für Magazine und Zeitungen. Ein Abend für eine Schauspielerin und zwei, drei Musiker Stücke bei Suhrkamp Eigentlich wollte sie nie auf einem Kreuzfahrtschiff arbeiten. Sie war eine Nachwuchshoffnung an einem großen deutschen Stadttheater, trat bei Avantgardefestivals auf, sie kennt die Off-Szene, hatte Rollen bei Film und Fernsehen. Doch der Beruf hat seine Durchhänger, Strom, Gas und Miete und Essen wollen bezahlt werden, und so landet sie auf einem Donaudampfer. Die Musiker an ihrer Seite sind Jazzprofis, auch sie haben mit den Besten zusammengearbeitet, nun covern sie bekannte Songs. Die Tage auf dem Schiff verlaufen nach einem bestimmten Rhythmus. Bei schlechtem Wetter gibt sie morgens eine Lesung im Salon, bei Sonne erklärt sie auf dem Oberdeck die Geschichte vorbeiziehender Klöster und Burgen. Nachmittags spielt sie mit der Band zum Tee, abends zum Dinner, anschließend auch zum Tanz. Sie begegnet Menschen mit ungewöhnlichen Schicksalen und Geschichten. Eines Nachts setzt sich ein Amerikaner zu ihr und den Musikern, der meint, diese anregende Situation, wie er sie, mit Musik und Gesprächen, gerade an dieser Bar erlebt hat, gehöre eigentlich auf die Bühne. Als richtiges Theaterstück. Georg Ringsgwandls komischer, lebenskluger Monolog ist die bittersüße Lebensbilanz einer »verkannten« Schauspielerin: Während sie im Abgleich mit den Geschichten der »Reichen, Schönen und Erfolgreichen« ihr Lebenswerk bemisst, lässt sie tief in die sozialen und seelischen Abgründe einer Künstlerbiografie blicken. (1 D, 2 oder 3 Musiker) Der varreckte Hof (Bayerische Fassung) Stubenoper. Gesänge in einer sterbenden Sprache 3 D, 2 H UA: 4.8.2012, Tiroler Volksschauspiele Telfs Regie: Susn Weber DEA: 4.10.2013, Theater an der Rott, Eggenfelden Regie: Susn Weber Der verreckte Hof (Hochdeutsche Fassung) SEA: 4.10.2014, Theater an der Winkelwiese, Zürich Regie: Stephan Roppel Neuinszenierung: 30.1.2015 Landestheater Linz Regie: Ingo Putz Frei zur Uraufführung »Es gab Zeiten, da saß ich daheim am Küchentisch und schrieb die beziehungsmäßigen Grundkonstellationen auf einen Zeitungsrand, um mir darüber klar zu werden, was am Schlimmsten ist: 1) Viel Geld, aber kein Typ 2) Kein Geld und kein Typ 2a) Wenig Geld und ein windiger Typ 3) Kein Geld, aber ein netter Typ 3a) Bisschen Geld und ein passabler Typ 4) Mehrere Typen, aber immer noch kein Geld.« (aus: Die Donauprinzessin) 43 44 Foto: Susanne Schleyer INGRID L AUSUND Gesine Schmidt Pfirsichblütenglück Gesine Schmidt montiert in ihrem neuen dokumentarischen Stück widersprüchliche Erfahrungsmomente ungleicher deutsch-chinesischer Paare in China. Es geht um die grenzüberschreitende Kraft der Liebe, genauso aber um die ganz materiellen Konflikte, die durch die kulturellen Unterschiede der Akteure eine dramatische Verschärfung erfahren. Der 87-jährige Xu, der einmal der Deutsch-Dolmetscher von Mao Tse-Tung war, hat mehr als zwanzig Jahre seines Lebens in chinesischen Gefängnissen verbracht. Eine Frau zu finden ist unter diesen Voraussetzungen in China unmöglich. Eine Gastprofessur in Deutschland führt zu einer Begegnung mit der um etliche Jahre jüngeren Gerda. Und das ist der Beginn einer langjährigen, in jeder Hinsicht außergewöhnlichen Beziehung. Brit, 40, ficht als deutsche Mutter in Shanghai Erziehungskämpfe um ihren Sohn mit ihrer Verwandtschaft aus. Und ihre Beziehung zu ihrem chinesischen Mann ist auch nicht mehr das, was sie mal war, damals in New York, als die beiden sich ineinander verliebten – auf neutralem Boden. Holger, 51, hatte nach einem unbefriedigenden deutschen Berufseinstieg für sich die Entscheidung getroffen, als Arzt in die weite Welt zu ziehen. Nach unzähligen Auslandseinsätzen weltweit trifft er auf die 13 Jahre jüngere Ling, verliebt sich und heiratet sie, obwohl die Verständigung mit ihr in mehrfacher Hinsicht eingeschränkt ist. Zuallererst soll der Weltenbummler ausgerechnet eine Immobilie beschaffen. Jan und Huang haben sich an der Berliner Uni kennen und lieben gelernt. Der nicht besonders fleißige Jan bemüht sich erfolgreich um ein China-Stipendium, um seiner Liebe in ihre Heimat zu folgen. Dort schlägt der »unrealistische Träumer«, als der er sich selbst bezeichnet, hart auf. Es kommt zu Konflikten mit der zielstrebigen Huang und ihrer Familie. Erst die Schwangerschaft Huangs und der Tod von Jans Mutter führen zu einer überraschenden Wende. (3 D, 3 H) Gesine Schmidt, 1966 in Köln geboren, arbeitete nach dem Studium der Komparatistik, Neugermanistik und Theaterwissenschaft als Dramaturgin an verschiedenen Theatern, u.a. am Berliner Ensemble, am Maxim Gorki Theater und am Deutschen Theater Berlin. Seit 2009 arbeitet sie als freie Autorin in Berlin. Weitere Stücke bei Suhrkamp — eine Auswahl liebesrap 1 D, 1 H Frei zur Uraufführung Expats Besetzung variabel UA: 16.3.2013, Theater Basel Regie: Antje Schupp Die Russen kommen Besetzung variabel UA: 24.10.2010, Staatstheater Nürnberg Regie: Patrick Schimanski Oops, wrong planet! 2 D, 3 H UA: 15.4.2011, Theater Basel Regie: Christian Zehnder Bier, Blut und Bundesbrüder Besetzung variabel (Grundlage der Inszenierung von Volker Lösch am Schauspiel Bonn Premiere: 9.5.2014) Frei zur Uraufführung Gesine Schmidt liebesrap / Oops, wrong planet! / Expats / Bier, Blut und Bundesbrüder suhrkamp spectaculum Uraufführung: Theater Heidelberg, Herbst 2015 240 Seiten. Broschur. € 20,(978-3-518-42462-9) 45 46 INGRID L AUSUND Akin E. Şipal Santa Monica Akin E. Şipal, 1991 in Essen geboren, aufgewachsen in Gelsenkirchen und Istanbul, studiert Film an der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Für sein erstes Theaterstück Vor Wien gewann er den bundesweit ausgeschriebenen Wettbewerb »In Zukunft«, für Santa Monica erhielt er den Förderpreis Literatur der Kulturbehörde Hamburg. In Santa Monica begleiten wir eine Familie geographisch von Essen über die Türkei und Brasilien nach Santa Monica, Kalifornien. Vater, Mutter, junger Bruder, älterer Bruder, ihre Geschichte, die erzählt wird, ist eine tragische Geschichte und auch die Geschichte eines Glücksfalls. Es dauert eine Weile, bis die Ärzte herausfinden, was es mit den roten Punkten, die den ganzen Körper des jungen Bruders bedecken, auf sich hat; er hat Leukämie, Blutkrebs. Was nun folgt, ist der Verlauf einer tödlichen Krankheit begleitet von Ängsten, Schmerzen und Hoffnungen, der Verzweiflung und den unterschiedlichen Formen, wie die einzelnen Familienmitglieder mit diesem Schicksal umgehen. Das wird im Stück bei aller Tragik, nicht zuletzt durch eine poetische Sprachstruktur, immer wieder auch durch humorvolle Momente durchbrochen. (2 D, 2 H) Vor Wien 2D, 3 H Frei zur Uraufführung Uraufführung: März 2015, Nationaltheater Mannheim Regie: Tarik Goetzke Mutter Die Ärzte sagen Ihr Sohn ist auf der Warteliste / ganz oben Ihr Sohn hat Priorität / Niemand mit Priorität ist auf einer Warteliste / Auf der Warteliste stehen nur Leute / die nicht genug Kleingeld haben / sich in das Präsens einzukaufen / Ich rauche auf und stürme das Chefarztbüro / Ich habe drei Fragen sage ich / Erstens / Warum dauert das so lange einen Spender zu finden? / Zweitens / Warum steht mein Sohn auf einer Warteliste? / Drittens / Wie viel muss ich zahlen dass er/ auf den ersten Platz der Warteliste rutscht? (aus: Santa Monica) 47 »Hauptsache kein Mitleid« Akin E. Şipal im Gespräch Manfred Ortmann: Zusammengefasst kann man sagen, ein Stück über eine Familie und ein Stück über eine Krankheit; ich wüsste gerne von Ihnen, ob mit dieser medizinisch definierten »Krankheit« vielleicht doch noch mehr, anderes gemeint sein kann? Akin E. Şipal: In Santa Monica geht es mehr um die Kommunikation am Abgrund als um die Krankheit selbst. Bei der Diagnose Blutkrebs tut sich natürlich ein großer Abgrund auf, so groß, dass die Familie auf einmal viel mehr kommunizieren muss, weil sie bemerkt, dass es wichtig ist, sich in einer »höheren Frequenz« zur Gemeinschaft »Familie« zu bekennen. Die Situation ist viel zu belastend, als dass eine Person allein die Verantwortung tragen könnte. Das Stück ist eine Art emotionaler Staffellauf, jeder trägt mal die Verantwortung, die Bürde, den anderen Mut zu machen, Hoffnung auszustrahlen, um sie dann aber rechtzeitig weiterzugeben, bevor sie oder er einen Zusammenbruch erleidet. Es ist also ein Stück über innerfamiliäres Katastrophenmanagement, die Kommunikation bekommt auf Basis der Krankheit eine existenzielle Dimension, und alle Figuren sind schneller an ihren Grenzen, und vielleicht dringt man so auch schneller zu ihrem Kern vor. Wie gehen Menschen damit um, dass sie sich auf einmal im unliebsamen Club der Kranken wiederfinden und die Mitgliedschaft im Club der Gesunden bis auf weiteres aufgekündigt ist? Es geht natürlich auch um Krankheit, aber eben unter dem Aspekt, dass krank zu sein bedeutet, nicht mehr gesund zu sein. Wer gehört dazu, wer nicht. Das interessiert mich. Und die Unterscheidung zwischen gesund und krank ist eben die existenziellste, die ge- 48 troffen werden kann. Außerdem bedeutet Krankheit direkte Nachbarschaft zum Tod, und bei Krankheit öffnet sich auch der ganze Kosmos an interessanten Bildern: Amputationen, Transplantationen, da wird gesägt, geschnitten, genäht usw. Das ist dankbar. Ein Freiraum also; Krankheiten haben schönes buntes Gefieder, das sich vielfältig beschreiben lässt. Klingt morbid, aber eben darum ging es mir auch. Es wird nach meinem Geschmack zu häufig der Betroffenheitsaspekt an Krebs bedient, vor allem in Filmen, die in den letzten Jahren gemacht wurden. Es ist schade, wenn Krankheit als bloßer Anlass genommen wird, Mitleid zu generieren, ich schätze, das will eigentlich niemand. Das wird den Menschen nicht gerecht, die sich mit Krankheit auseinandersetzen, und den Krankheiten auch nicht, die ja Teil unserer Welt sind. Es geht mir auch um den transzendentalen Aspekt an Krankheit, die Suche nach einem Sinn, die Frage nach höheren Mächten, die sich sofort stellt, wenn sich eine Situation derart der Kontrolle entzieht. Bei der Familie handelt es sich um Deutsche mit türkischen Wurzeln, das Stück spielt auf mehreren Kontinenten, Sie haben einmal auf den Aspekt der »Interkontinentalität« hingewiesen, was haben Sie damit gemeint? Ich würde nicht sagen: Löst alle Grenzen auf, alles obsolet, alle Menschen sind gleich usw. Das glaube ich nicht. Unterscheiden und Benennen, das ist unser Ding, Menschen unterscheiden sich, und wenn das nicht der Fall wäre, wäre es schade um die Diversität. Es gibt aber bestimmte Umstände, die es einfach erfordern, dass man Grenzen überschreitet oder auflöst. Die INTER AKIN E. ŞIPAL Familie findet keine Lösung für das Problem Blutkrebs und holt sich eben Hilfe, wo es nur geht, von anderen Kontinenten, aber auch vertikal, also Spiritualität, Natur usw. Das finde ich interessant, diese Öffnung in alle Richtungen, diese Neugier, die es vorher vielleicht nicht gegeben hat, und es ist ja wirklich eine Gier nach Neuem, weil es um Leben und Tod geht. Es gibt eine Dringlichkeit, sich zu öffnen. Also wenn man der Familie ein Raumschiff zur Verfügung stellen würde, dann würde eben das Attribut »intergalaktisch« hinzukommen, einer würde reingesetzt werden, und alle würden hoffen, dass die Marsmission den erhofften Knochenmarkspender ermittelt. So ist gegenwärtig die internationale Knochenmarkspenderkartei, die ja nur so gut funktioniert, weil da alle Daten eingespeist werden, aus allen Ländern ein schönes Beispiel für den Begriff der Interkontinentalität. Es gibt einen Realismus, Ort und Handlung, in Ihrer Geschichte; aber die »Sprache« hat dagegen eine »Autonomie«, die jeweils, was passiert, erzählt und sich dann wieder davon befreit, eine zusätzliche Ebene behauptet, vielleicht die des Kommentars? deren Blick. Der Kommentar, wenn es denn einer ist, ist eher amoralisch, denn er will ja etwas sehen, er ist an Bildern interessiert, nicht an einem schnellen Frieden oder einer Lösung des Problems. In meinen Augen sucht die Sprache die Situationen, die interessant sind, die Tiefe versprechen. Die Sprache funktioniert vielleicht wie ein Treibstoff und Taktgeber, sie beschleunigt oder entschleunigt, intensiviert alles, sie funktioniert aber auch wie ein Spotlight, das dahin scheint, wo es interessant werden könnte. Wobei die Sprache ja auch die Kommunikation zwischen den Familienmitgliedern abbildet, also gleichzeitig die Lösung für das Problem Blutkrebs birgt, da die Sprache im Stück auch den Zusammenhalt schafft, den die Familie braucht, um die Katastrophe zu überstehen. Das soll ja auch keine Anleitung sein, wie verhalte ich mich im Falle einer Krebserkrankung. In meinem Stück gibt es immer diese Brechungen zwischen Realismus und, sagen wir, ästhetisierendem Raum. Natürlich soll am Ende etwas hängen bleiben, was auch immer, Hauptsache kein Mitleid. In gewisser Weise ja. Die Sprache ist ja die Form der Beobachtung, die ich gewählt habe, um die Geschichte zu erzählen. Realität ist natürlich zu undramatisch bzw. unästhetisch. Das bedarf erst einmal einer Aufbereitung, daher – ein Kommentar, ja. Mir ist aber wichtig, dass die Ebene des Kommentars nicht der Moral verpflichtet ist, sondern der Sprache an sich, den Bildern, die entstehen, und damit auch der Geschichte. Die Sprache bricht die Realität und gewährt einen an- VIEW 49 50 Foto: Marcos López FIBA_FAV INGRID L AUSUND Rafael Spregelburd Spam Eine Sprechoper I Monolog für einen Schauspieler mit Musik Deutsch von Klaus Laabs Spams sind die klanglosen Echos der Konsumkultur, eine absurde Mutation menschlicher Kommunikation im World Wide Web. Für Mario Monti, der eines Tages ohne Erinnerung auf Malta erwacht, ist das Netz eine der ersten Quellen auf der Suche nach seiner Identität. Er ist nicht der gleichnamige italienische Politiker, der im World Wide Web einen enormen virtuellen Fußabdruck hinterlassen hat, sondern Professor für ausgestorbene Sprachen, der einst die Abschlussarbeit einer attraktiven Studentin plagiiert hat. Seitdem Monti auf eine Spam-Mail reagiert hat, mit der ein Mädchen aus Malaysia in kryptischem Google-Übersetzungsdeutsch fast fünf Millionen Dollar verschenkte, liegt dieses Geld auf Montis PayPal-Konto. Allerdings will eine malaiische Mafia sich genau dieses Geld wieder holen. Stück für Stück, Szene für Szene, deren Reihenfolge per Losverfahren bestimmt werden kann, entwirft Rafael Spregelburd eine Welt des Zerfalls. Die Wirklichkeit, gesehen aus der Perspektive des irrfahrenden Linguistik-Professors, zeigt sich in den Schlaglichtern von Google-Übersetzungsprogrammen, in SpamMails, Botschaften per Skype oder Fernsehdokumentationen über degenerierte Puppen aus China. Spregelburd packt seine düstere Zeitdiagnose in einen fulminanten Monolog für einen Schauspieler. (1 H) Uraufführung: 10. Oktober 2013, FIBA Festival Internacional de Teatro de Buenos Aires, CETC Centro Experimental del Teatro Colón, INT Instituto Nacional del Teatro, Teatro El Extranjero, eine Koproduktion von Spregelburd/Zypce Regie: Rafael Spregelburd Rafael Spregelburd gastiert mit seiner Produktion beim FIND Festival der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin im April 2015 Frei zur deutschsprachigen Erstaufführung »Spregelburd zeigt, dass die Zeit nicht linear ist. Er fordert die Kausalität immer wieder heraus, weil die Realität weder logisch noch erklärbar ist, aber trotz allem bestehen die Vernunft und die Zufallsdaten, die als wahr verstanden werden können, fort.« Rafael Spregelburd, geboren 1970 in Buenos Aires, ist Dramatiker, Regisseur, Übersetzer und einer der wichtigsten Vertreter des zeitgenössischen argentinischen Theaters. 1994 gründete Spregelburd seine eigene Theaterkompanie »El Patrón Vázquez«, mit der er vorwiegend eigene Stücke inszeniert und diese international zeigt. Er erhielt über 40 argentinische und internationale Preise, zuletzt 2011 den Argentinischen Nationalpreis für sein Stück La terquedad (Die Sturheit). Spregelburds Stücke wurden im deutschsprachigen Raum u.a. am Deutschen Schauspielhaus Hamburg, an der Schaubühne am Lehniner Platz in Berlin, an den Münchner Kammerspielen, am Theater Basel, am Staatstheater Stuttgart sowie am Badischen Staatstheater Karlsruhe deutschsprachig aufgeführt. Call me God, eine Gemeinschaftsarbeit mit Marius von Mayenburg, Albert Ostermaier und Gian Maria Cervo, wurde im Herbst 2012 am Residenztheater in München uraufgeführt. Luzid, das in Argentinien, Frankreich, Peru, Spanien und Italien erfolgreich inszeniert wurde, wird 2015 als deutsche Erstaufführung an der Schaubühne Berlin produziert werden (Regie: Marius von Mayenburg). Luzid Originaltitel: Lucidó 2 D, 2 H Deutsch von Sonja und Patrick Wengenroth ÖEA: 17.1.2014, Kosmos Theater Regie: Esther Muschol DEA: Geplant für 2014/15, Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin Regie: Marius von Mayenburg »Komik und Tragik halten sich bis zum überraschenden Ende die Waage, man erfährt von angeblichen Traumata, Organtransplantationen, unbeantworteten Briefen und Geldforderungen.« Die starken Schauspieler machten »aus einer anspruchsvollen, nicht ganz unkomplizierten Geschichte einen sehr unterhaltsamen Abend.« (Andrea Heinz in Der Standard anlässlich der österreichischen Erstaufführung von Luzid) Pressestimme zur Uraufführung von Spam in Buenos Aires 51 JUNGES Jagoda Marinić »Sprache als Pass zu einer anderen Welt« Jagoda Marinić im Gespräch über Mehrsprachigkeit, den alltäglichen Rassismus in Deutschland und wilde Träume als Vorbereitung zu ihrem ersten Kindertheaterstück Nina Peters: »Mehrsprache« heißt der Projekttitel eines Stückauftrages, den Sie vom Schnawwl in Mannheim erhalten haben. Sie schreiben gerade daran, wie gehen Sie dabei vor? Jagoda Marinić: Ich träume wild. Ich versuche mir ein Rauschen vorzustellen, eine Stadt vor mir zu sehen, an die ich ein Ohr legen, und plötzlich in all die Häuser und Zimmer hören kann. Ich frage mich, wie es wäre, nachts auf einem Hochhaus zu sitzen und hören zu können, wie viele Sprachen jetzt gerade, in dieser Nacht, gesprochen werden, in wie vielen Sprachen ein Kind gute Nacht gesagt bekommt, bevor das Licht ausgeht. Bisher schwebe ich also über dieser Stadt und belausche sie. Dabei hab ich mehr Fragen als Antworten, aber das ist ein Zustand, den ich mag. In Mannheimer Familien werden mehr als 100 Sprachen gesprochen. Geht es im Stück auch darum, die Besonderheiten einer Kindheit in Mannheim aufzuspüren? Nein, das wollen wir nicht. Wir wollen eine Stadt schaffen, die für alle Städte stehen könnte. Die Tatsache, dass in Deutschland und weltweit das Rauschen der Städte mehrsprachig ist, steht im Mittelpunkt. Aber natürlich sitze ich im Kopf oft auf einem Mannheimer Hochhaus, gleich um die Ecke vom Schnawwl. 52 Das Schnawwl hat als Teil der Recherche zu dem Projekt theaterpädagogisch begleitete Workshops mit Kindern veranstaltet. Welche Erkenntnis zogen Sie daraus? Dass Kinder Rätsel sind, in allen Sprachen, man könnte auch sagen: Wunder. Wie eigen sie dreinblicken und agieren und dann gleichzeitig so formbar sind. Das macht gerade den Umgang mit Sprache so wichtig. Die Workshops waren sehr unterschiedlich bisher, alle reich an Impulsen. Man merkt, dass auch diese Kinder die Sprachen in sich von der Welt draußen trennen, wie ich damals: Der öffentliche Raum gehört dem Deutschen. In den Workshops spielt auf einmal die Sprache der Eltern eine große Rolle. Das verunsichert sie fast. Bis sie spüren, dass sie einen Platz hat. Gewollt ist. Das Deutsche wird von den Kindern gesprochen, aber zu wenig mit dem Herzen gefühlt. Schon früh hören sie, ihr Erfolg sei ans Deutsche geknüpft, und so wird das Deutsche eine Leistungssprache, fast eine Bewährungssprache. Was weiß denn ein Kind überhaupt, was Erfolg ist, es weiß vielleicht noch nicht einmal, was überübermorgen ist. Es spürt nur Druck. Wir müssen an die Herzen ran, wir dürfen das Deutsche nicht abverlangen, sondern schenken. PROGRAMM Welchen Reiz hat das Schreiben für Kinder? Sie sind ein Rätsel für mich. Und irgendwo muss es so ein Rätsel auch noch in mir geben. Das Stück ist eine Chance, nochmal zurück in eine ganz andere, abgelegte Sprache, Gefühls- und Bildwelt zu finden. Ich träume auch von einem Stück, in dem die Mannheimer Kinder denken: Meine Welt ist stark. Ich gehöre dazu. Helden des Alltags eben … Denn das sind diese Kinder. auf Deutsch gepocht, statt auch auf andere Sprachen. Selbst bei Englisch rümpfen viele noch die Nase und behaupten, es sei elitär! In Deutschland herrscht der Gedanke »Deutschland spricht deutsch«, was ja nicht stimmt, Deutschland spricht viele Sprachen, die Amtssprache ist Deutsch. Mehrsprache wird dann gleich wieder ein Kulturkampf, zeugt von der Angst des eigenen Verschwindens. Wenn die Idee der Mehrsprachigkeit aller herrschen würde, wären eben auch mehr Deutsche noch fließend in so manch anderen Sprachen – auch in Istrien kann man das sehen, da spricht fast jeder Eisverkäufer drei Sprachen spielend. Auf der Nürnberger Integrationskonferenz 2013 hielten Sie den Hauptvortrag mit dem Titel »Was ist deutsch in Deutschland? Von Weltbürgern, Gästen und Nachbarn« und attestierten den Deutschen eine gewisse Furcht vor »Mehrsprachigkeit«. War das die Erfahrung, die Sie in Ihrer Kindheit und Jugend in der schwäbischen Provinz gemacht haben? Wie sind Sie mit dem Deutschen und Kroatischen aufgewachsen? Haben diese Sprachen unterschiedliche Funktionen? Im Gegenteil, es waren eher die Erfahrungen, die ich in meinem Erwachsenenleben in Berlin gemacht habe. Zumindest hab ich sie da erst bewusst wahrgenommen, als der indische Autor Altaf Tyrewala, der ein Stipendium in Berlin hatte, mich darauf aufmerksam machte. Er fragte ziemlich irritiert: Viele in Indien wechseln fünf Mal täglich die Sprache - was ist da bei euch los? Warum spricht hier nicht jeder fünf europäische Sprachen, genug Minderheiten gibt es ja? In Deutschland wird nur Zunächst einmal waren sie Grenzen. Die Sprache war der Pass, der einem Zutritt zu einer anderen Welt verschaffte. Ich könnte die Stadtkarte meines Geburtsortes und meiner Kindheit mit zwei Farben ausmalen: Institutionen, öffentliche Räume waren deutsch. Das Private war kroatisch. Ich glaube, dass eine derartige Aufteilung in Deutschland üblich ist und merkwürdige Folgen hat. Vor allem glaube ich, dass wir uns da auch einiges verschenken. »Kinder sind ein Rätsel für mich. Und irgendwo muss es so ein Rätsel auch noch in mir geben. Das Stück ist eine Chance, nochmal zurück in eine ganz andere, abgelegte Sprache, Gefühls- und Bildwelt zu finden. Ich träume auch von einem Stück, in dem die Mannheimer Kinder denken: Meine Welt ist stark. Ich gehöre dazu.« Jagoda Marinić 53 Sie wehren sich in Ihren Texten und Auftritten vor allem dagegen, von Deutschen ohne Migrationserfahrung beschrieben, benannt, kategorisiert, mit Maßstäben belegt zu werden. »Ich bin die deutsche Autorin oder Journalistin mit Migrationserfahrung. Dabei bin ich nie migriert.« Dennoch haben Sie Migrationserfahrungen gemacht. Migrationserfahrung, Migrationsgeschichte, Migrationshinter- und -vordergrund … Das ist alles ziemlich knöchern … Ich misstraue Begriffen, die sich aus dem Amtsdeutsch in den Alltag schleichen. Warum gerade bei diesem Thema, das so mitten in der Gesellschaft sitzt, diese trockenen, bezuglosen Bezeichnungen? Hier haben wir uns beschreiben lassen, als gäbe es keine gelebte Sprache, aus der das wächst. Auf einer anderen Ebene stören mich diese Begriffe, weil sie benutzt werden, um die Erfahrung meiner Elterngeneration in diesem Land zu verwässern, etwas anderes an diese Stelle der deutschen Geschichte zu setzen, ohne je nach der eigenen Einwanderung gefragt zu haben. Gleichzeitig dividiert dieser Vorgang uns Hiergeborene heraus. Da ist diese Spannung in meiner Generation, weil wir einerseits einen Anspruch auf Normalität erheben und uns dennoch der Vereinheitlichung verweigern müssen, wenn wir auch nur irgendeinen Bezug zu unserer Lebensgeschichte erhalten wollen. Diese Spannung gibt dieser Begriff nicht her. Und macht es gleichzeitig möglich, mit den integrierten Nachfahren nett über Dinge zu reden, die sie nie am eigenen Leib erlebt haben. Welche Erfahrungen haben dazu geführt, dass Sie sich als Publizistin und Rednerin in eine öffentliche Debatte um Integration eingemischt haben? Das Politische war immer da. Mein erster Artikel war politisch, mein Studium war es. Doch es gab einen klar auszumachenden Moment, in dem ich mir das Politische auch als Schriftstellerin zur Aufgabe gemacht habe. Die Entdeckung des Nationalsozialistischen Un- 54 tergrunds. Ich habe an der Uni unterrichtet, kam aus meinem Kurs und musste mir, schon ein paar Wochen nach der Aufdeckung der Terrorserie, wieder anhören, wie alle selbstsicher sagten, Ausländer hätten es in Deutschland so gut wie in kaum einem anderen Land der Welt; es gäbe hier kaum Diskriminierung etc. Das Selbstbild der eigenen Toleranz ist wirklich werbetauglich unerschütterlich, schließlich steht ja jeden Tag irgendwas über die Aufarbeitung des Nationalsozialismus in der Zeitung. Die kritische Betrachtung der Gegenwart hinkt dem aber hinterher. Ganz einfach also: Der Tag, an dem der NSU sich in die Luft gesprengt hat. Die Berichte über die Tochter des ermordeten Enver Şimşek, die nach den Erkenntnissen in die Türkei auswandert. Ein Klartext-Buschkowsky, der noch während der Trauerfeier, während die Familien in der Kirche sitzen, davon doziert, wie es um Berlin-Neukölln steht und warum Ausländer sich integrieren müssen. Ich habe mich gefragt, weshalb nur solche »Vollpfosten« wie er zu diesen Themen öffentlich reden. Und wollte auch einer sein. Zumindest bin ich das jetzt natürlich für jene, die andere Ansichten vertreten, dieser ganze Bereich ist extrem polarisiert. Es ist natürlich ein Kampf um Grundwerte. Als wir uns das erste Mal trafen, unterstrichen Sie, wie wichtig es für Sie sei, Ihrem literarischen Schreiben eine theoretische Grundlage zu geben. Warum? Sie werden das bei den meisten Autoren bemerken, die in Gesellschaften publizieren, die ihre Lebenswirklichkeit und damit die in ihrem Schreiben repräsentierte Welt für marginal halten. Naja, man könnte auch einfach »die Teil einer Minderheit sind« sagen. Ich kann diese Haltung gegenüber »meiner Welt« akzeptieren oder gegen diese Dominanz und Wertung anarbeiten. Für Letzteres muss ich es wagen, mich ins Gespräch zu begeben, am gesellschaftlichen Bewusstsein zu nagen, in der Hoffnung, etwas ins Rollen zu bringen. INTER Gibt es einen deutschsprachigen literaturtheoretischen Kontext, in den Sie sich einordnen, oder ist der vielmehr international? Definitiv eher international. Das ist ja das Dilemma: Die deutsche Literatur(geschichte) behauptet ja die gesellschaftlichen Themen, die mir wichtig sind, nicht als zentral. Das Private, in das alle nach dem Krieg geflohen waren, ja. Ich würde sagen, ich trage Ingeborg Bachmanns »Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar« unbeirrt mit mir herum. Mehr noch Junot Diaz, einer meiner Lieblingsautoren, der sagte, und das als Träger des Pulitzer-Preises: Früher wäre ein Buch mit meinem Personal sofort im Mülleimer des Lektors gelandet. Das Leben der Menschen aus der Dominikanischen Republik interessierte nicht. Wenn wir davon ausgehen, dass die USA Deutschland in solchen Dingen zwanzig Jahre voraus sind, können Sie sich ausrechnen, wo wir derzeit stehen. Ohne Toni Morrison hätten so viele US-Amerikaner nie damit angefangen, die Welt mit ihren eigenen Augen zu sehen statt mit der Perspektive jener, deren Anerkennung sie suchten. Wie im politischen Diskurs hat die deutsche Öffentlichkeit auch im literarischen dahingehend zu wenig zu bieten. Das ausführliche Interview finden Sie auf: www.suhrkamptheater.de Jagoda Marinić Mehrsprache (Projekttitel) Uraufführung: 4. Juli 2015 Nationaltheater Mannheim, Schnawwl Regie: Marcelo Diaz Foto: Cristina Beltrán JAGODA MARINIĆ Jagoda Marinić wurde als Tochter kroatischer Einwanderer im schwäbischen Waiblingen geboren. Sie ist deutsche Autorin, Kolumnistin, mischt sich als Publizistin und Rednerin auch politisch ein, u.a. erschien 2012 im Auftrag von Pro Asyl die Publikation Rassismus sichtbar machen. Als Schriftstellerin landete sie, 23-jährig, mit ihrem Erstling Eigentlich ein Heiratsantrag (Suhrkamp, 2001) einen literarischen Erfolg. Für den Erzählungsband Russische Bücher (Suhrkamp, 2005) erhielt sie den Grimmelshausen-Förderpreis. Ihr erster Roman Die Namenlosen war für den Ingeborg-Bachmann-Preis nominiert und wurde vom Spiegel zu den wichtigsten Neuerscheinungen des Jahres 2007 gezählt. Nach Aufenthalten in Zagreb, Split, New York und Berlin lebt und arbeitet Marinić in Heidelberg, wo sie seit 2012 Leiterin des »Interkulturellen Zentrums in Gründung« ist. 2013 erschien ihr Roman Restaurant Dalmatien, in dem sie über Identität schreibt, über die eigenen Wurzeln. Marinić schrieb einige Theaterstücke; Therapie. Ein Spiel (Suhrkamp Verlag) war 2005 eingeladen zum Heidelberger Stückemarkt. Nun hat auch das Kindertheater die Ausnahmeschriftstellerin entdeckt: Für das Schnawwl Mannheim schreibt Marinić derzeit ein Kinderstück zum Thema Mehrsprachigkeit. VIEW 55 Judith und Werner Fritsch Der singende Draht Im Elfenreich gehen die Vorräte an »Stille« zur Neige, der Radiosender hat nahezu keine Reserven dieses kostbaren Sendegutes mehr. Verantwortlich dafür ist der Oberon Oberton, »Elfen-König und zugleich der größte Komponist und Beherrscher aller Stile der Stille«, der das Elfenreich nach einem Streit mit seiner Gattin Titania Harmonia im Zorn verlassen hat. Und so machen sich seine drei Töchter Seraphina, Libelljana und Sabiene auf die Suche nach der Stille und nach ihrem Vater. Zwar hat die Mutter ihnen verboten, das Elfenreich zu verlassen, die Elfen halten sich allerdings an das elfte Gebot: »Tu, was dir gefällt, aber laß dich nicht erwischen von der Welt.« Damit beginnt ein vergnügliches, turbulentes Abenteuer, ein musikalisches Traumspiel, das sich zwischen Feen-, Menschen- und Tierwelt bewegt, ein Sommernachtstraum, den Judith und Werner Fritsch sprachlich verspielt und mitreißend erzählen, in dem Adam und Eva, der Wind und die Stille ebenso eine Rolle spielen wie drei Menschenkinder: die Geigerin Maya, die Dichterin Johanna und die Sängerin Julia. (Besetzung variabel) Ein Theaterstück für Kinder ab 6 Jahren Frei zur Uraufführung »Tu, was dir gefällt, aber laß dich nicht erwischen von der Welt.« Mit Der singende Draht legen Judith Fritsch (Jg. 2001) und ihr Vater Werner Fritsch (siehe auch S. 12) ihr gemeinsam verfasstes Verlagsdebüt vor. 56 JUNGES PROGRAMM Stücke für ein junges Publikum – eine Auswahl Etel Adnan Wessen Ehre? Originaltitel: Crime of Honor Deutsch von Brigitte Landes 3 D, 1 H, Besetzung variabel ab 12 Jahren Frei zur deutschsprachigen Erstaufführung François Bégaudeau Die Klasse Originaltitel: Entre les murs Deutsch von Katja Buchholz und Brigitte Große Besetzung variabel UA: 20.12.2013, Junges Theater Basel in Koproduktion mit dem Schauspielhaus Basel Regie: Sebastian Nübling Ruth Johanna Benrath Klassenkämpfe 2 D, 3 H Preis des Coburger Forums für Junge Autoren UA: 12.6.2015, Landestheater Coburg Regie: Judith Kunerth Edward Bond Der Balanceakt Originaltitel: The Balancing Act Deutsch von Brigitte Landes 4 D, 3 H, Besetzung variabel ab 14 Jahren Frei zur deutschsprachigen Erstaufführung Dietmar Dath Die Abschaffung der Arten Anna Maria Jokl Die Perlmutterfarbe Zahlreiche Inszenierungen der Bühnenfassung (Deutsches Theater Berlin, Staatstheater Mainz Schauspiel Leipzig, Theater an der Parkaue, Berlin) Ein Kinderroman für fast alle Leute Für die Bühne bearbeitet von Christoph Nußbaumeder UA: 7.11.2013, Junges Schauspielhaus Düsseldorf, Regie: Annette Kuß Dirk Dobbrow Bomber Konstantin Küspert mensch maschine 1 H, ab 16 Jahren UA: 2.12.2005, Landesbühnen Sachsen, Radebeul Regie: Daniela Deinhammer Per Olov Enquist In der Stunde des Luchses Originaltitel: I Lodjurets Timma Deutsch von Angelika Gundlach 2 D, 2 H, ab 16 Jahren DSE: 9.5.1992, Stadttheater Ingolstadt Regie: Werner Schnitzer Zahlreiche Neuinszenierungen Martin Heckmanns Konstantin im Wörterwald Frei zur Bühnenbearbeitung Hermann Hesse Demian Die Geschichte von Emil Sinclairs Jugend Bühnenfassung von Daniela Löffner 2 D, 4 H, ab 14 Jahren UA: 6.5.2010 Junges Schauspielhaus Düsseldorf Regie: Daniela Löffner Zahlreiche Neuinszenierungen 3 H, 2 D, Besetzung variabel UA: 22.9.2013, Theater Regensburg Regie: Sahar Amini Neuinszenierung (u.a.): 5.12.2014 theater junge generation, Dresden Regie: Roscha A. Saidow Raymond Queneau Zazie in der Metro Originaltitel: Zazie dans le Métro Deutsch von Eugen Helmlé Besetzung variabel, ab 8 Jahren UA: 23.9.2010, Dschungel Wien Regie und Bühnenfassung: Corinne Eckenstein Dianne Warren Im Zeichen der Schlange Originaltitel: Serpant in the Night Sky Deutsch von Heide Liebmann 3 D, 3 H, ab 14 Jahren Frei zur deutschsprachigen Erstaufführung Weitere Titel finden Sie unter www.suhrkamptheater.de 57 »Transit Europa« - Stücke für eine Täglich berichten die Randspalten der Zeitungen von hunderten von Flüchtlingen, die ihr Leben riskieren, um Europa zu erreichen. Tausende kommen dabei jedes Jahr zu Tode. Die Überlebenden werden notdürftig versorgt, erkennungsdienstlich behandelt, in bürokratische Abläufe gezwungen und müssen ohne konkrete Lebensperspektive um ihren weiteren Aufenthalt bangen. Freizügigkeit gilt als universelles Menschenrecht. Weltweit befinden sich laut UNO-Angaben derzeit mehr als 51 Millionen Menschen auf der Flucht. Europa betreibt »Migrationsmanagement« mittels einer Agentur (»Frontex«), die den militärischen Schutz der Außengrenzen koordiniert. Die populistischen Parteien in Europa propagieren derweil Abschottung und erreichen damit immer breitere Gesellschaftsschichten. Europa ist in Bewegung. Längst leben in den reichen mitteleuropäischen Ländern Millionen Menschen aus allen Weltregionen und sorgen u.a. dafür, dass demographische Probleme ausgeglichen werden und ganze Wirtschaftsbereiche weiter funktionieren. Und eine europäische Kultur, die nie homogen und starr gewesen ist, entwickelt sich weiter und wird belebt. Die folgende Auswahl von Stücken zeigt, dass die vielfältigen individuellen und gesellschaftlichen Konflikte, die mit der Veränderung Europas einhergehen, längst auch zum Thema dramatischer Auseinandersetzungen geworden sind. Juri Andruchowytsch Orpheus illegal »Vor unseren Augen vollzieht sich eine neue Teilung der Welt, und das Traurige ist – dies geschieht mitten in Europa«, klagt der ukrainische Dichter Stanislaw Perfetzki, selbst ernannter »Orpheus unserer Tage« und folkloristischer Aktionskünstler. Aus Protest gegen den geplanten Bau eines »Cordon sanitaire«, der die EU vor Illegalen schützen und sein Land zum Türhüter machen soll, setzt er vom Lemberger Schlossberg zum Sprung in den Westen an, bereit zum Attentat gegen den obersten Brüsseler Zaunbeauftragen. Perfetzkis Vorhaben entwickelt sich zu einer irrwitzigen Odyssee durch den Hades der westlichen Zivilisation. (5 D, 8 H) Uraufführung: 16. September 2005, Düsseldorfer Schauspielhaus, Regie: Anna Badora Heiko Buhr Die Schattenlosen Eine Mutter Und weil wir anders sind als sie. Unsere Häu ser sind nicht eingerichtet wie die ihren, un sere Gräber sehen anders aus und wir essen nicht, was sie essen. Wir glauben anders, wir denken anders, wir leben anders, wir fühlen anders. Und am Ende, am Ende sterben wir auch anders. Und das verzeihen sie uns nicht. Frei zur Uraufführung. Ausführliche Informationen zum Stück siehe Seite 8 Ingrid Lausund Badezimmer »Dream of Africa« heißt die Badekugel, die sich eine Frau in Erwartung einiger entspannter Minuten in die Badewanne ihres frisch renovierten Badezimmers wirft. Doch dann kippt die Situation unvermittelt und eine Gruppe Afrikaner steht im Raum. Der Rückzugsversuch der Frau hinters Schaumgebirge wird zum Auslöser eines sehr re- 58 SCHWERPUNKT Gesellschaft im Wandel alen Alptraums: Plötzlich findet sie sich im offenen Meer wieder, wo sie zu ertrinken droht. Sie sucht ihren Bruder, der gerade noch mit ihr auf dem Flüchtlingsboot war ... (1 D) Lausunds Stück aus dem Monologzyklus Zuhause wird vielfach inszeniert – auch in Kombination mit anderen Monologen der Autorin. Christoph Nußbaumeder Mit dem Gurkenflieger in die Südsee Ein Theaterstück über Menschen aus osteuropäischen Ländern, die im »goldenen Westen« zu Billigstlöhnen arbeiten. Da ist Minka mit ihrem taubstummen Sohn, die sich nach Feierabend verkauft und ganz heimlich eine gemeinsame Zukunft mit dem Vorarbeiter Grosch plant; da ist die junge Marlies, die von den Männern begehrt und mißbraucht wird; da ist Herod, der unsterblich in Minka verliebt ist und selbst vor einem Mord nicht zurückscheut; da sind die jungen Polen Minik und Alex mit ihren Träumen von der eigenen Selbständigkeit. Und da sind auf der anderen Seite der Fabrikant, sein Assistent, Polizisten, Beamte, denen daran gelegen ist, schnell und billig Geschäfte zu machen. (4 D, 9 H) Uraufführung: 3. Juni 2005, Landestheater Linz/Ruhrfestspiele Recklinghausen, Regie: Bernarda Horres Georg Ringsgwandl Der verreckte Hof Mutter Weichsenrieder wird wunderlich, oder vielleicht tut sie nur so. Aber eine Pflegerin muss her, denn ihre überforderten Kinder können die Alte nicht betreuen. So kommt Swetlana aus Moldawien auf den Hof, der schon seit Jahren stetig verfällt. Georg Ringsgwandls »Stubenoper« spielt auf einem Bauernhof und verhandelt die große Welt. Uraufführung: 4. August 2012, Tiroler Volksschauspiele Telfs, Regie: Susn Weber; weitere Inszenierungen in Eggenfelden und Zürich Gesine Schmidt Die Russen kommen! Vor langer Zeit zogen sie in das »gelobte Land« nach Osten, später kamen sie zurück in das alte »Paradies« des Westens. Wie kaum eine andere Bevölkerungsgruppe war ihr Schicksal seit Jahrhunderten immer abhängig von dem außenpolitischen Verhältnis zwischen Deutschland und Russland. Sie haben unter den Folgen von Krieg, Vertreibung und Diktatur besonders leiden müssen und sind ein Teil unserer Geschichte. Russlanddeutsche leben bis heute in einer Situation von doppelter Fremdheit. (Besetzung variabel) »So stimmig in seiner Live-Wirkung, wie das kein Film und kein noch so langer Vortrag schaffen könnte.« Die Deutsche Bühne Uraufführung: 24.10.2010, Staatstheater Nürnberg, Regie: Patrick Schimanski Lukas B. Suter Tanz auf dem Vulkan Der erfolgreiche jüdische Rechtanwalt Timon Silberband ist im Zürich der 30er Jahre eine schillernde Figur. Während in ganz Europa Krisenherde entstehen, trifft sich regelmäßig eine schillernde, bunte Gesellschaft im Hause Silberbands und dessen kapriziöser Gattin und versucht die drohende Katastrophe mit Amüsement zu verdrängen. Als Silberband denunziert wird, er ist in illegale Waffengeschäfte verwickelt, bricht eine scheinbar heile Welt zusammen. Plötzlich sind Antisemitismus und politische Neutralität ein Thema, das diese Züricher Gesellschaft bis dahin erfolgreich ausgeblendet hatte. Timon Silberband wird der Prozess gemacht. - Ein »Casablanca an der Limmat«. (2 D, 9 H) Uraufführung: 27. September 1997, Schauspielhaus Zürich, Regie: Jasmina Hoch 59 STÜCKE Beziehungsweisen Es gibt die unterschiedlichsten Beziehungen. — Beziehungen zu Familienangehörigen, zu Freunden und Bekannten. Es gibt solche, die eher durch gegenseitige Ablehnung statt von Sympathie geprägt sind. Vor allem denken wir aber an Paarbeziehungen, an Liebesziehungen, romantisch oder sogar leidenschaftlich … Die Art und Weise, wie Beziehungen gelebt, erlebt und reflektiert werden, unterliegt – wie so vieles – gesellschaftlichen Veränderungsprozessen. Gerade die Wahrnehmung von Liebesbeziehungen und das Erleben von Familienstrukturen haben in der letzten Zeit einen starken Wandel erfahren. Bei der Wahl des Partners stehen wir heute einer schier grenzenlos scheinenden Fülle von Möglichkeiten gegenüber. Emotion und Intimität sollen die Grundlage unserer Beziehungen sein, bei Problemen wird nach Konsens zwischen den Partnern gesucht. Doch wird inzwischen die statistische Dauer von Liebesbeziehungen immer kürzer: Während in unseren Köpfen noch der Traum von der einen großen Liebe fürs Leben herumgeistert, leben wir in einer Gesellschaft von Lebensabschnittsgefährten, Singles und Patchworkfamilien. – Die ausgewählten Stücke auf dieser Doppelseite spüren unterschiedlichen Beziehungsformen und -motiven nach, machen deren Wandel erfahrbar und zeigen in Leidenschaft oder Ablehnung verbundene Liebespaare und Familien. Eben: Beziehungsweisen. Benedict Andrews Jeder Atemzug Originaltitel: Every Breath I Deutsch von Maja Zade Ein Spiel um Liebe, Sex und Sehnsüchte. Und um Geschlechterrollen. – Der junge Security-Mitarbeiter Chris wird zum schillernden Mittelpunkt einer Familie und zum Objekt der Begierde sämtlicher Familienmitglieder. Alle nutzen sie seine Anwesenheit und 60 verwickeln ihn mehr und mehr in ihre persönlichsten Ansprüche. Chris lässt sich bereitwillig darauf ein, bis ein Unglück passiert und der bewaffnete Schutzengel unerwartete Seiten zeigt. (2 D, 3 H) Uraufführung: 28.3.2012, Belvoir Street Theatre, Sydney Regie: Benedict Andrews Frei zur deutschsprachigen Erstaufführung François Bégaudeau Das Problem Originaltitel: Le Problème Deutsch von Nathalie Mälzer-Semlinger Eine auseinanderbrechende Familie und ihre unterschiedlichen Erwartungen und Lebensentwürfe. – »Ich gehe dorthin, wo ich begehrt werde«, schreibt Annie ihrem langjährigen Ehepartner Alban und verlässt ihn und ihre Familie. Hiermit konfrontiert, treffen die Familienmitglieder schließlich zusammen. Sie sprechen über ihre Ängste und Träume und ob sich diese mit der Familie oder dem Partner noch vereinbaren lassen. Und über allem schwebt die Frage: Gehen? Oder doch lieber bleiben? (2 D, 2 H) Frei zur deutschsprachigen Erstaufführung Marguerite Duras Agatha Originaltitel: Agatha I Deutsch von Simon Werle Über die Wiederherstellung von Fremdheit nach fast grenzenloser Vertrautheit. – Eine junge Frau und ein junger Mann treffen sich in einer Villa am Meer. Sie stehen sich gegenüber. Sie schweigen. Sie schauen sich nicht an. Sie ist gekommen, um sich für immer von ihm zu verabschieden. Ihre Beziehung ist eine Vergangenheit, eine Erinnerung, vielleicht ein Traum. Hier am Meer haben sie einst die unbeschwerten Ferien ihrer Kindheit verbracht. Der Mann ist ihr Bruder und er ist ihr Geliebter. Der Dialog der beiden ist vom Willen geprägt, sich von der »schrecklichen Kraft« dieser Liebe zu lösen und gleichzeitig etwas von ihr zu bewahren. Ein Schmerz. Und eine Hoffnung. (1 D, 1 H) Uraufführung: 22.4.1982, Montpellier SCHWERPUNKT Véronique Olmi Der Riß Originaltitel: Point à la ligne Deutsch von Katharina von Bismarck und Rudolf Rach Die Beziehung der Eltern als unheilvoller Schatten auf ihren Kindern. – Erbarmungslos scheinen sich das Leiden und die emotionale Kälte in der Beziehung ihrer Eltern in Lilis Leben fortzusetzen. Die Beziehung zu ihrer erwachsenen Tochter Cécile ist schon vor Jahren zerbrochen. Und auch ihre Enkelin Zoé scheint sich zurückzuziehen. Nun will sich auch noch Marco aus ihrem Leben schleichen, nachdem sie eine Nacht lang miteinander gestritten haben: Lili sind zufällig Marcos Aufzeichnungen seiner erotischen Fantasien beim Anblick einer jungen Frau in die Hände gefallen. Was sie in Wahrheit aber wirklich verletzt, ist Marcos Randnotiz »Wenn ich doch wenigstens verliebt wäre«. (3 D, 1 H) Frei zur deutschen Erstaufführung Albert Ostermaier Heartcore Theater Momentaufnahmen der Unwägbarkeiten der Liebe. – Bei diesem Spiel gibt es keinen Sieger, keinen Verlierer. Und dennoch lassen sie sich erneut darauf ein. Sie, das sind ER und SIE. Das, was SIE und IHN antreibt, ist der allgegenwärtige Beat des Herzens. Die Zeit, in der sich ihre Geschichte abspielt, ist jene Unendlichkeit zwischen Blick und Blick, die Minuten der letzten Zigarette und die Ewigkeit eines Sonnenaufgangs. Gleich, ob Blicke gewechselt oder Botschaften über Handy und Internet verschickt werden. Basierend auf seinem gleichnamigen Gedichtband, entwickelt Albert Ostermaier hier leidenschaftliche Beziehungsstücke »en miniature«. (1 D, 1 H) Uraufführung: 11.1.2000, Bayerisches Staatsschauspiel, Regie: Christoph Biermeier Wolfgang Palka Love is real Das Erforschen sexueller Grenzen und die Macht der Sehnsucht. – Das Spiel heißt Vergewaltigung. Erlaubt ist, was den Partner demütigt, verletzt oder erniedrigt. Tagsüber gehen Kora und Benedikt einer geregelten Tätigkeit nach. In nächtlichen Exzessen begeben sie sich in die Abgründe ihrer sexuellen Phantasien in der Hoffnung, ihre Beziehung zu retten. Benedikt weiß, was sein »Opfer« will: Sie liebt ihn. Sie braucht ihn. Sie will ihm gehören. Was Kora aber nicht weiß, ist, dass Benedikt seit gut einem Jahr Thekla begehrt, die sich ihm aber entgegen ihrer eigentlichen Sehnsüchte verweigert … Zu sehen sind in Palkas fesselndem Spiel Figuren, die unfähig sind, sich zu lieben, und die die Sehnsucht nach Liebe dennoch nicht aufgeben können. (2 D, 1 H) Frei zur Uraufführung Manuel Puig Der Kuß der Spinnenfrau Originaltitel: El beso de la mujer araña Deutsch von Anneliese Botond Über die Ideale von Männlichkeit und den Wunsch nach Weiblichkeit. – Zwei Häftlinge in einer Zelle in einem südamerikanischen Gefängnis: Molina, der als Frau akzeptiert werden möchte, und Valentin, der politische Aktivist. Die Tage sind lang, und Molina beginnt zu erzählen. Zunächst spinnt er Filmhandlungen weiter. Bald spricht er aber auch von seinen Träumen und Sehnsüchten. Beide Männer verfangen sich immer mehr in einem Netz von Begehren, Fantasien und zunehmender gegenseitiger Abhängigkeit. Sie ahnen dabei nicht, dass ihre Beziehung von der Gefängnisleitung auf unterschiedliche Weise beobachtet und ausgenutzt wird … (2 H) Uraufführung: 1.5.1981, Teatro Mertin Madrid Regie: Luis García Sánchez 61 Komödien, neu entdeckt Thomas Bernhard Über allen Gipfeln ist Ruh Jörg Graser Jailhouse Blues Der größte Verleger besucht seinen größten Autor Moritz Meister, um dessen größten Roman, eine Tetralogie, abzuholen. Dabei wird die von allen Beteiligten behauptete Größe als lächerlicher Schein entlarvt. (3 D, 4 H) Uraufführung: 25. Juni 1982, Ludwigsburger Festspiele Regie: Alfred Kirchner Zwei Stunden vor der Hinrichtung. Der Pfarrer möchte dem Todeskandidaten unbedingt noch eine Religion andienen, die Anwältin möchte ihm die Filmrechte abluchsen, dem Gefängniswärter geht es darum, eine Henkersmahlzeit abzustauben. Eine grotesk-komische Komödie im Todestrakt eines texanischen Gefängnisses, tiefschwarzer Humor. (3 D, 4 H) Uraufführung: 24. April 2009, Staatstheater Wiesbaden Regie: André Rößler Hermann Broch Aus der Luft gegriffen oder Die Geschäfte des Baron Laborde … führt in die Welt der Großfinanz, zu den Abenteurern, Bankrotteuren und Hochstaplern. (2 D, 6 H) Uraufführung: 6. Oktober 1981, Stadttheater Osnabrück Regie: Peter Lüdi Daniel Doppler Die Wachtel Eine deutsche Screwball-Comedy, bei der ein Schriftsteller und ein Esskritiker schließlich auf der Strecke bleiben. Uraufführung: 10. November 1985, Städtische Bühnen Osnabrück. (4 D, 5 H) Regie: Peter Ries Tankred Dorst Wegen Reichtum geschlossen Eine metaphysische Komödie Mitarbeit Ursula Ehler Max und Rosa haben 11 Millionen im Lotto gewonnen. Mit gewaltigem Furor geben sie das Geld aus. Her mit allem, was sich kaufen lässt. Eine anarchische Komödie endet katastrophal, mit Gelächter. (6 D, 8 H) Uraufführung: 14. März 1998, Bayerisches Staatsschauspiel, Residenztheater München Regie: Alexander Lang 62 Jörg Graser Te absolvo »Ich poche nicht auf den grandiosen Liebhaber, aber eine Tortur sollte es auch nicht sein«, beklagt sich Gisela, die der Tristesse ihrer Ehe entrinnen wollte, nach ihren ersten Erfahrungen als Belle de jour beim Betreiber des Freudenhauses. Der, ein ehemaliger Pfarrer, hat seine Tätigkeit als Eheberater dazu benutzt, ein Hausfrauenbordell auf die Beine zu stellen. Bald schon interessiert sich sein Vorgesetzter, der Monsignore, für das ungewöhnliche Geschäftsmodell. (2 D, 4 H) Frei zur Uraufführung Volker Heymann Dinner for One – wie alles begann Theaterstück mit und um den legendären Sketch. Zunächst geraten die Proben der Schauspieler, im Privatleben ein zänkisches Paar, zu einer Katastrophe, doch am Ende raufen sich alle zusammen und bringen Dinner for One über die Bühne; allerdings kann der Regisseur nicht ganz verhindern, dass die beiden Neurotiker dabei sind durchzudrehen. (1 D, 2 H) Uraufführung: 8. November 2002, Schatzkistl – Das Musikkabarett im Mannheimer Hof Regie: Volker Heymann SCHWERPUNKT Ronald Kosturi Zwei grüne Paprika Peter Turrini Mein Nestroy Der Mann jenseits der vierzig hat es nicht leicht. Die Haare fallen langsam aus, die Muskeln verlieren an Spannkraft, das Rauchen, das Trinken, das Lachen, das Fernsehen muss man aufgeben, und viele Rollen muss man spielen, den Liebhaber, den Beschützer, den Radikalen, vor allem muss man sanft und einfühlsam sein, aber bitte niemals eine Memme. Ronald Kosturi hat in einem grotesk-komischen Spiel den Mann für das Theater neu entdeckt. (1 D, 1 H) Uraufführung: 15. Oktober 2000, Schauspiel Köln Regie: Uwe Hergenröder Marie Weiler und Johann Nestroy, erfolgreiche Schauspieler und Stückeschreiber. Tagsüber proben sie, abends stehen sie gemeinsam auf der Bühne. Wie sieht eine Beziehung von zwei Theatermenschen aus, die von Hass und Liebe geprägt war, unter den Bedingungen des gemeinsamen Arbeitens? Mit Witz und Tempo wird eine Komödie erzählt, die klassischer nicht sein könnte. (4 D, 8 H) Uraufführung: 14. September 2006, Theater in der Josefstadt, Wien Regie: Herbert Föttinger Hans Meyer-Hörstgen Der König von Wien Nachdem sie zwei Jahre einen rein wissenschaftlichen Briefverkehr gepflegt haben, kommt nun der zwanzig Jahre ältere Sigmund Freud nach Zürich, um seinen begabtesten Schüler C.G. Jung zu besuchen. Diese berühmte Konstellation ist Ausgangspunkt für eine Komödie der Eitelkeiten, in der, so scheint es, die Wahrheit sich daran entscheidet, wer besser manipuliert. (2 D, 3 H) Uraufführung: 29. Juni 1989, Zimmertheater Heidelberg Regie: Ute Richter Hans Meyer-Hörstgen Kaiserwetter Der Thronfolger Franz Ferdinand wurde soeben in Serbien ermordet. Wilhelm, der Kaiser von Preußen, veranstaltet eine Séance mit bedeutenden Gästen; die Geister sollen politischen Rat geben. Er lässt den toten Franz Ferdinand in Gestalt des Kammerdieners auftreten. Doch der hat seinen Text schlecht gelernt, er will Rache. An diesem Abend fällt die Entscheidung, Deutschland zieht in den Ersten Weltkrieg, und zwar mit einer ausgelassenen Polonaise. Die Geburt des Krieges aus dem Geist der Komödie. (1 D, 4 H) Frei zur Uraufführung Martin Walser Das Sofa Rudi, der Ingenieur, Carlchen, ein Architekt, Albert, ein Kunsthistoriker, das schreit direkt nach einer GmbH: Renovieren, Restaurieren, Wiederaufbau, Abbruch. Nur Albert, gewissermaßen der Kopf des Unternehmens, verweigert sich, liegt auf dem Sofa, seit Jahren schon. Sein Motto: »Der Mensch erträgt siebenmal so viel, wenn er liegt.« In Martin Walsers Farce ist ein Sofa natürlich mehr als nur ein Sofa. Es ist das Fundament für höchst phantastische Ideen und Phantasiewelten. (5 D, 5 H) Uraufführung: 16. April 1994, Staatstheater Braunschweig Regie: Jörg Hube Robert Wolf Im Club der einsamen Herzen Die Grundsituation ist einfach: Varianten von Beziehungen zwischen zwei Männern und einer Frau werden durchgespielt. Die weitere Zuspitzung aber verläuft eigentümlich und grotesk. Eine Frau um die 50 erlebt die letzte Nacht vor ihrer Hinrichtung, eine staatlich verordnete Gnade, in einem Club der einsamen Herzen. Ein Schauspieler und ein Barkeeper bilden ihr letztes Geleit. (1 D, 2 H) Uraufführung: 21. Februar 2001, forum stadtparktheater Graz (Koproduktion mit Theater Phönix Linz) Regie: Steffen Höld 63 Starke Prosa für die Bühne Ausgewählte Romanvorlagen aus dem Suhrkamp-Programm und aktuelle Theatralisierungen Isabel Allende Das Geisterhaus Originaltitel: La casa de los espíritus Deutsch von Anneliese Botond Ein fulminanter Roman, der zum Weltbesteller wurde: die Geschichte der Familie Trueba – erzählt über drei Generationen hinweg, untrennbar verbunden mit der Geschichte Chiles. Mit diesem Roman begründet Isabel Allende ihren Aufstieg zur Romanautorin von Weltrang. In einer von Geistern bewohnten Welt voller Geheimnisse und dunkler Ahnungen lässt die Autorin Figuren aus Fleisch und Blut auftreten, die von ihren Überzeugungen und Leidenschaften getrieben sind. Als es zu radikalen Umbrüchen im Land kommt, stehen sich der Familienpatriarch Esteban und seine geliebte Enkelin Alba auf einmal als Feinde gegenüber. Doch letztlich sind die familiären Bande stärker als die politischen Verstrickungen, die sie trennen. – Ein faszinierendes Meisterwerk, das auf einzigartige Weise spürbar macht, wie pure Menschlichkeit alle gesellschaftlichen Schranken einreißen kann. Premiere der Bühnenfassung von Antú Romero Nunes und Florian Hirsch: 30. Januar 2014, Burgtheater Wien – Akademietheater, Regie: Antú Romero Nunes ▯ Premiere der Bühnenfassung von Johanna Wehner und Adrian Herrmann: 26. September 2014 Stadttheater Konstanz, Regie: Johanna Wehner ▯ Josef Bierbichler Mittelreich Im Ersten Weltkrieg zerschlägt eine feindliche Kugel zuerst den Stahlhelm und dann den Schädel des ältesten Sohnes vom Seewirt. Also muss sein jüngerer Bruder Pankraz das väterliche Erbe antreten. Der überlebt zwar den zweiten großen Krieg, wäre aber trotzdem lieber Künstler als Bauer und Gastwirt geworden. Da braucht es schon einen Jahrhundertsturm, der droht, Haus und Hof in den See zu blasen, damit aus Pankraz doch noch ein brauchbarer Unternehmer und Familienvater wird. Aber als der eigene Sohn ihn später anfleht, ihm die Erziehung im katholischen Internat zu ersparen, versteht er ihn nicht. Zu sehr ist man in diesen Zeiten mit anderem beschäftigt: das Vergangene vergangen sein zu lassen und die Geschäftsbedingungen der neuen Gegenwart zu studieren. Eine Seewirtschaft in Bayern, bizarre Gäste und eine Familie über drei Generationen, heillos verstrickt ins ungeliebte Erbe. Josef Bierbichler, der große Menschendarsteller des deutschen Theaters und Films, erzählt hundert Jahre Deutschland. Ein Epos über Krieg und Zerstörung, alte Macht und neuen Wohlstand, über die vermeintlich fetten Jahre. Premiere der Bühnenfassung geplant an den Münchner Kammerspielen, Spielzeit 2015/16 Josef Bierbichler MITTELREICH Suhrkamp 64 883 S. Geb. € 10,– (978-3-518-46385-7) 392 S. Broschur. € 9,99 (978-3-518-46408-3) Lily Brett Chuzpe Christoph Hein Frau Paula Trousseau Originaltitel: You Gotta Have Balls Deutsch von Melanie Walz In der Bühnenfassung von Dieter Berner Ruth führt ein wohlgeordnetes und vielleicht etwas zu kontrolliertes Leben in New York. Sie kann nicht begreifen, dass ihr Vater Edek, vor wenigen Wochen erst von Melbourne zu ihr nach New York gezogen, weit davon entfernt ist, einen ruhigen Lebensabend zu verbringen. Und dass Lebensabend überhaupt der falsche Begriff ist für den munteren 87-Jährigen, der sich erst in Ruths Büro nützlich zu machen versucht und wenig später ein Verhältnis beginnt mit der – viel zu jungen, wie Ruth findet – Polin Zofia (69). Und damit nicht genug: Zusammen mit Zofia will Edek zum Entsetzen seiner Tochter ein »Klopse-Restaurant« eröffnen. Chuzpe ist Lily Bretts sprühender Roman über Väter und Töchter, polnische Küche und New Yorker Neurosen; eine Geschichte ernster Irrungen und komischer Wirrungen, erzählt mit genau der Mischung aus Witz, Wärme und Verstand, die Lily Bretts Stimme so unverwechselbar macht. Gegen den Willen ihrer Eltern und ihres Verlobten fährt die 19-jährige Paula zur Aufnahmeprüfung der Kunsthochschule nach Berlin. Sie wird Malerin, um den Preis der Verhärtung gegen alle und alles. Sämtliche Beziehungen zu Männern scheitern, die zu Frauen gehören zu den beständigeren, vertreiben jedoch nicht die dominierenden Grautöne aus ihren Bildern. Woher kommt diese Gleichgültigkeit gegenüber den anderen und am Ende gegen sich selbst? Wie werden wir, was wir sind? Christoph Hein erzählt von einer Frau, die in ihrem Leben das Abenteuer der Selbstbehauptung eingeht: »Die Geschichte einer gelungenen Emanzipation … Ein reiches Buch. Das schönste, das Christoph Hein bislang geschrieben hat.« Frankfurter Rundschau Premiere der Bühnenfassung von Enrico Stolzenburg und Beate Seidel: 28. März 2015, Deutsches Nationaltheater Weimar, Regie: Enrico Stolzenburg Inszenierungen ▯ 22. November 2012, Theater in der Josefstadt, Wien Regie: Dieter Berner ▯ 25. Januar 2015, Hamburger Kammerspiele Regie: Henning Bock Lily Brett Chuzpe Suhrkamp Roman 334 S. Broschur. € 9,99 (978-3-518-45922-5) Suhrkamp Christoph Hein Frau Paula Trousseau Roman 536 S. Broschur. € 12,– (978-3-518-46004-7) 65 Uwe Johnson Ingrid Babendererde – Reifeprüfung 1953 Stanislaw Lem Der futurologische Kongreß – Aus Ijon Tichys Erinnerungen Eine Reifeprüfung besonderer Art haben die beiden Hauptprotagonisten in Uwe Johnsons erstem Roman, der erst nach seinem Tode veröffentlicht wurde, abzulegen: Klaus Niebuhr und Ingrid Babendererde müssen sich nicht nur auf die schulische Reifeprüfung vorbereiten, sondern sich auch zu der Kampagne der staatlichen Institutionen der DDR gegen die evangelische »Junge Gemeinde« verhalten. Ingrid Babendererde soll auf einer Schulversammlung die Mitglieder der »Jungen Gemeinde« denunzieren. Sie nutzt ihre Rede jedoch dazu, die »Junge Gemeinde« unter Hinweis auf die Verfassung der DDR zu verteidigen und den Direktor der Schule wegen seines Vorgehens zu kritisieren. Sie wird aus der Schule ausgeschlossen. Daraufhin entschließt sich das »Paar«, in den Westen zu gehen, in eine »Lebensweise«, die sie »für die falsche erachten« … Originaltitel: Kongres futurologiczny Deutsch von Irmtraud Zimmermann-Göllheim Eine Geschichte aus der Zukunft, die in der Gegenwart spielen könnte. – Im 106-stöckigen Hilton der Hauptstadt Nounas des Staates Costricana ist Ijon Tichy Gast beim Kongress der Futurologen. Thema: die wachsende Überbevölkerung. Es kommt zu Aufständen. Polizei und Militär reagieren mit Waffengewalt. Tichy und andere Kongressteilnehmer fliehen in die Kanalisation. Nach schweren Verletzungen in Kühlschlaf versetzt, erwacht Tichy im Jahre 2039. Trotz weiter wachsender Bevölkerung herrschen nun Frieden, Glückseligkeit und allgemeiner Wohlstand. Tichy befindet sich im Zeitalter der Psychemie, der Beeinflussung aller Sinneswahrnehmungen durch Psychopharmaka – die die ganze menschliche Existenz durchdringen. Deren regelmäßige Einnahme gehört zum neuen Alltag. Es gibt keine Wirklichkeit mehr, die nicht chemisch manipuliert wäre. Die Einnahme eines Gegenmittels zeigt Tichy jedoch die wahre Wirklichkeit. Schließlich findet er sich wieder in der Kanalisation unter seinem Hotel. – 1970 geschrieben, zählt Stanislaw Lems Kurzroman zu seinen bekanntesten Büchern. Voll grotesker Ideen und absurder Details erzählt er von der Illusion von Wirklichkeit. Premiere der Bühnenfassung von Holger Teschke 20. September 2014, Volkstheater Rostock Regie: Sewan Latchinian Premiere der Bühnenfassung des Theater der Jungen Welt Leipzig von Christian Georg Fuchs: 23. Oktober 2014, Theater der Jungen Welt Leipzig – Moritzbastei, Regie: Christian Georg Fuchs Seite 1 ISBN ISBN 3-518-37034-0 3-518-37034-0 Stanislaw ´ Lem Der futurologische Kongreß 9 783518 370346 € 6,50 [D] 66 264 S. Leinen. € 19,80 (978-3-518-03218-3) st 144 S. Broschur. € 7,– (978-3-518-37034-6) Suhrkamp 14:45 Uhr Stanislaw ´ Lem Der futurologische Kongreß 18.04.2006 Hier gibts was zu lesen, Leute; hier gibts was zu denken, hier kann jeder Wesen, Dinge und Verhältnisse in so unerhörtem und beziehungsreichem Sprachgewand erleben, daß er den Eindruck hat, mitunter einer Ausbesserung der Weltgeschichte beizuwohnen oder sogar einer Neufassung dieser Welt. Siegfried Lenz 534 37034st534_Lem_Kongr_CTP STARKE PROSA FÜR DIE BÜHNE Lutz Seiler Kruso Clemens J. Setz Indigo »Es geht um die Flucht auf eine Insel, es geht um eine zärtliche, schwierige Freundschaft, es geht um einen toten Fuchs, der spricht und Ratschläge erteilt, es geht um die Literatur, um Robinson Crusoe, es geht um eine sexuelle Initiation, es geht um die ganz und gar phantastische Szene der Saisonarbeiter, der Aussteiger und der Ausgestoßenen auf der Insel Hiddensee im Sommer 1989, und es geht um die Geschichte Krusos, der verspricht, jeden Schiffbrüchigen des Lebens in drei Nächten zurückzuführen zu den Wurzeln der Freiheit, kurz gesagt, worum es eigentlich geht, wäre noch herauszufinden.« Lutz Seiler Im Norden der Steiermark liegt die Helianau, eine Internatsschule für Kinder, die an einer rätselhaften Störung leiden, dem Indigo-Syndrom. Jeden, der ihnen zu nahe kommt, befallen Übelkeit, Schwindel und heftige Kopfschmerzen. Der junge Mathematiklehrer Clemens Setz unterrichtet an dieser Schule und wird auf seltsame Vorgänge aufmerksam: Immer wieder werden Kinder in eigenartigen Maskierungen in einem Auto mit unbekanntem Ziel davongefahren. Setz beginnt, Nachforschungen anzustellen, doch er kommt nicht weit; er wird aus dem Schuldienst entlassen. Fünfzehn Jahre später berichten die Zeitungen von einem aufsehenerregenden Strafprozess: Ein ehemaliger Mathematiklehrer wird vom Vorwurf freigesprochen, einen Tierquäler brutal ermordet zu haben. Frei zur Dramatisierung Deutscher Buchpreis 2014 »Lutz Seilers erster Roman überzeugt durch seine vollkommen eigenständige poetische Sprache, seine sinnliche Intensität und Welthaltigkeit.« Aus der Jury-Begründung zur Das »radikale Gegenprogramm zur hübsch verkasteten Literaturwerkstättenliteratur« Die Welt Frei zur Dramatisierung Verleihung des Deutschen Buchpreises an Lutz Seiler Clemens J. Setz Lutz Seiler INDIGO roman Roman Suhrkamp Suhrkamp 484 S. Gebunden. € 22,95 (978-3-518-42447-6) 475 S. Broschur. € 10,99 (978-3-518-46477-9) 67 2015 2016 90. Geburtstag 110. Geburtstag 24. Februar 1925 13. April 1906 – 22. Dezember 1989 70. Geburtstag 85. Geburtstag 19. Februar 1945 – 3. November 2001 9. Februar 1931 – 12. Februar 1989 90. Geburtstag 15. Todestag 19. Dezember 1925 19. Februar 1945 – 3. November 2001 65. Todestag 60. Todestag 26. Juli 1856 – 2. November 1950 10. Februar 1898 – 14. August 1956 Etel Adnan Thomas Brasch Tankred Dorst Bernard Shaw Samuel Beckett Thomas Bernhard Thomas Brasch Bertolt Brecht 20. Todestag Marguerite Duras 4. April 1914 – 3. März 1996 115. Geburtstag Marieluise Fleißer 23. November 1901 – 2. Februar 1974 68 JAHRESTAGE 105. Geburtstag und 25. Todestag 160. Geburtstag 15. Mai 1911 – 4. April 1991 26. Juli 1856 – 2. November 1950 80. Todestag 100. Geburtstag 28. März 1868 – 18. Juni 1936 8. November 1916 – 10. Mai 1982 Max Frisch Maxim Gorki Bernard Shaw Peter Weiss 110. Todestag Henrik Ibsen 20. März 1828 – 23. Mai 1906 2017 10. Todestag 90. Geburtstag Gerlind Reinshagen Ulrich Plenzdorf 26. Oktober 1934– 9. August 2007 4. Mai 1926 90. Geburtstag 15. Todestag Einar Schleef Martin Walser 24. März 1927 17. Januar 1944 – 21. Juli 2001 400. Todestag William Shakespeare 1564 – 1616 69 suhrkamp spectaculum Bereits erschienen Volker Braun Dmitri / Die Übergangsgesellschaft / Nibelungen / Transit Europa / Limes. Mark Aurel / Was wollt ihr denn suhrkamp spectaculum 253 Seiten. Broschur. € 20,– (978-3-518-42378-3) 303 Seiten. Broschur. € 24,(978-3-518-42438-4) Noah Haidle Gesine Schmidt Mr. Marmalade / Lucky Happiness Golden Express / Ada und ihre Töchter suhrkamp spectaculum liebesrap / Oops, wrong planet! / Expats / Bier, Blut und Bundesbrüder suhrkamp spectaculum 205 Seiten. Broschur. € 18,– (978-3-518-42412-4) 70 151 Seiten. Broschur. € 14,– (978-3-518-42379-0) 217 Seiten. Broschur. € 18,– (978-3-518-42413-1) 240 Seiten. Broschur. € 20,(978-3-518-42462-9) Erscheint im Mai 2015 Peter Handke Thomas Oberender Nebeneingang oder Haupteingang? Gespräche über 50 Jahre Schreiben fürs Theater suhrkamp spectaculum Erscheint im Mai 2015 Stephan Kaluza Einar Schleef Atlantic Zero / 3D / Sand suhrkamp spectaculum Die Schauspieler / Mütter / Wezel / Berlin – ein Meer des Friedens suhrkamp spectaculum 199 Seiten. Broschur. € 20,(978-3-518-42437-7) Etwa 200 Seiten. Broschur. Ca. € 18,(978-3-518-42484-1) Etwa 180 Seiten. Broschur. Ca. € 18,(978-3-518-42463-6) In vier Gesprächen zeichnen Peter Handke und Thomas Oberender Handkes imposante Werkgeschichte im Theater nach. Ein Dialog über Handkes literarische Prägungen, über Entwicklungen und Kontinuitäten dieses großen Epikers des zeitgenössischen Theaters. Es gibt Autoren, die mit ihren Stücken Fragen stellen. Zu diesen gehört Stephan Kaluza nicht. Seine Stücke versuchen, Antworten zu geben. In Atlantic Zero auf die Frage, wie das Prinzip einer durch und durch ökonomisierten Welt zu durchbrechen ist. In dem Kammerspiel 3D ob man ein Schuldiggewordensein bis an sein Lebensende verdrängen kann. Und in Sand wird die Antwort auf die Frage gesucht, wie in einer zukünftigen Gesellschaft Virtualität an die Stelle wirklicher Gefühle tritt. Einar Schleef war Autor, Maler, Fotograf, Darsteller und Regisseur. Am bekanntesten wurde er als Regisseur – auch eigener Stücke (darunter Mütter und Die Schauspieler). Diese Stücke haben ihre eigene Wucht, ihren eigenen Witz. Sie pochen auf Wiederentdeckung. »Die besten Momente entstehen, wenn die Rollen ›Frager‹ und ›Antworter‹ aufgehen in ein beiderseitiges Suchen und Finden. Nebeneingang oder Haupteingang? dürfte ein ähnliches Standardwerk der Handke-Forschung werden wie Herbert Gampers Aber ich lebe nur von den Zwischenräumen von 1987. Unverzichtbar für nahezu jeden. Den Experten, den gelegentlichen Theaterbesucher, da auch Grundsätzliches verhandelt wird, und den Verwirrten, der sich ein bisschen Orientierung verschaffen möchte.« Lothar Struck, Die Schauspieler formuliert eine bissig witzige Entgegnung auf Gorkis Nachtasyl. Mütter verdichtet die Neuübersetzung zweier antiker Stücke zu einer Kriegstragödie. Wezel erteilt einer ungebärdigen Außenseiterfigur der deutschen Klassik das Wort. Und lustvoll satirisch antizipiert und überbietet Berlin – ein Meer des Friedens (aus dem Jahr 1974) die deutsche Vereinigung mithilfe einer großen Flut, die sich aus dem Fernseher einer Ostberliner Plattenbauwohnung ergießt. Glanz & Elend Literatur und Zeitkritik 71 IMPRESSUM / KONTAKT Impressum / Kontakt Suhrkamp Verlag GmbH & Co. KG Suhrkamp Theater & Medien Pappelallee 78-79 10437 Berlin E-Mail: [email protected] (oder: [email protected]) Telefon: +49 (0)30 / 740 744 395 Telefax: +49 (0)30/740 744 399 www.suhrkamptheater.de Leitung: Frank Kroll (Lektorat, Theater, Film/TV) Nicola Ahr / Nora Huberty (Assistenz) Dramaturgie: Nina Peters (Lektorat Theater) Manfred Ortmann (Lektorat Hörspiel, Theater) Michael Sauter (Lektorat Theater, Musiktheater) Lizenzen: Britta Davis (professionelle Theater, internationale Lizenzen) Alexandra Murphy (Amateure, Lesungen, TV-Ausschnitte, Vertonungen) Textbuchbestellungen:über www.suhrkamptheater.de, www.theatertexte.de oder [email protected] Das Gesamtverzeichnis von Suhrkamp Theater & Medien finden Sie auf www.suhrkamptheater.de Dramaturgie 2. Oktober 2014 Jutta Schneider, Frankfurt a. M. Redaktion: Redaktionsschluss: Gestaltung: © Suhrkamp Verlag Berlin 2014 Alle Rechte vorbehalten. Änderungen vorbehalten. Alle Angaben zu geplanten Uraufführungen ohne Gewähr. Bildnachweis Umschlag: Uta Ackermann (Werner Fritsch), Affolter/Savolainen (Wolfram Höll), Jerry Bauer (Marguerite Duras), Oliver Bokern (Ingrid Lausund), Martina Dahm (Heiko Buhr), Andrej Glusgold (Martin Heckmanns), Kerstin Groh (Georg Ringsgwandl), Martin Lengemann (Albert Ostermaier), Marcos López FIBA_FAV (Rafael Spregelburd), Isolde Ohlbaum (Thomas Brasch, Tankred Dorst), Susanne Schleyer (Nikolaus Günter, Noah Haidle, Konstantin Küspert, Christoph Nußbaumeder, Gesine Schmidt), Bettina Strauss (Lily Brett), Donata Wenders (Peter Handke), Joachim Zimmermann (Jörn Klare); weitere Nachweise über das Bildarchiv des Suhrkamp Verlags. 72 Thomas Brasch, Lily Brett, Heiko Buhr, Tankred Dorst Marguerite Duras, Werner Fritsch, Nikolaus Günter, Noah Haidle Peter Handke, Martin Heckmanns, Wolfram Höll, Jörn Klare, Thomas Köck Konstantin Küspert, Ingrid Lausund, Jagoda Marinić Christoph Nußbaumeder, Albert Ostermaier, Georg Ringsgwandl Gesine Schmidt Akin E.Şipal, Rafael Spregelburd