0 Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades „Doktor(in) der Zahnheilkunde“, lat. „Doctor medicine dentalis“, abgekürzt Dr. med. dent. Angst – und Stressreduktion in der zahnärztlichen Behandlung unter Berücksichtigung genderorientierter Ansätze Psychologische Differentialdiagnosen und differentielle Therapiemöglichkeiten Eingereicht bei Univ. – Prof. Dr. Walter Pieringer Universitätsklinik für Medizinische Psychologie und Psychotherapie Medizinische Universität Graz Auenbruggerplatz 12, A – 8053 Graz Claudia Krainz Billrothgasse 45 b / 15 A - 8047 Graz Tel.: 0650 – 9030777 1 Claudia Krainz Billrothgasse 45 b / 15 A - 8047 Graz Tel.: 0650 – 9030777 Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre ehrenwörtlich, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbständig und ohne fremde Hilfe verfasst habe. Ich habe sämtliche Autoren und Verlagsrechte der verwendeten Literaturquellen beachtet, nur die angegebenen Quellen benützt und die den benutzten Quellen wörtlich oder inhaltlich entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht. ____________________ Graz, am ______________________________ Krainz Claudia 2 Danksagung Mein besonderer Dank gilt Herrn Univ. – Prof. Dr. Walter Pieringer für die Ermöglichung der Bearbeitung dieses interessanten, mir sehr wichtigen Themenbereiches in der Zahnheilkunde, sowie für seine ideenreiche und tatkräftige Unterstützung bzw. die fachlich konstruktive Diskussion zur Realisierung dieser Diplomarbeit. Mein größter Dank gilt meinen Eltern, Ingrid und Gottfried Krainz, ohne deren mentale und finanzielle Unterstützung, ich mein Studium in diesem Jahr nicht hätte abschließen können. Danken möchte ich auch meinem engsten Freundeskreis für die unermüdlichen Hilfestellungen jeglicher Art vor allem in der Endphase meines Studiums und Christian für die Zeit auf „Luki“. …stolz bin ich jedoch besonders auf mich, selbst in schwierigsten Zeiten mein Ziel dieses Studium zu beenden mit aller Kraft verfolgt zu haben. 3 Inhaltsverzeichnis Angst – und Stressreduktion in der zahnärztlichen Behandlung unter Berücksichtigung genderorientierter Ansätze ..............................................................................................................0 1 Zusammenfassung...................................................................................................................5 2 Abstract ...................................................................................................................................6 3 Einleitung ................................................................................................................................7 4 Ziel der Arbeit .........................................................................................................................9 5 Allgemeiner Teil ...................................................................................................................10 5.1 Theoretische Grundlagen und Definitionen...............................................................10 5.1.1 Das Modell der „State - Trait – Angst“ zur Erfassung der persönlichkeits – und situationsspezifischen Angst nach Spielberger et al. (1966).................................................14 5.1.2 Differenzierung zwischen Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie bzw. diagnostische Kriterien .................................................................................................15 6 5.1.3 psychopathologische Differentialdiagnosen der Angst...........................................16 5.1.4 Ätiologische Modelle der Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie...17 5.2 Grundformen der Angst nach Riemann.....................................................................23 5.3 Die orale Zone als sensibler Bereich und Ausdrucksorgan für alle Affekte ...........26 Spezieller Teil .......................................................................................................................29 6.1 Ausdrucksverhalten und Angsterleben der Patienten während einer Zahnbehandlung......................................................................................................................29 6.1.1 Erfassung der Zahnbehandlungsangst und der Zahnbehandlungsphobie unter Berücksichtigung genderorientierter Aspekte.......................................................................30 6.1.2 Psychologische Untersuchungsinstrumente zur Diagnostik einer Oralophobie .....37 6.1.3 Angst und Compliance in der zahnärztlichen Behandlungssituation......................40 6.2 Zusammenhänge zwischen Angst und Schmerz ........................................................42 6.2.1 Definition und physiologische Grundlagen des Schmerzes....................................44 6.2.2 Messung und diagnostische Kriterien des Schmerzempfindens in Zusammenhang mit Zahnbehandlungsangst....................................................................................................46 6.2.3 Genderorientierte Aspekte von subjektivem Schmerzempfinden bei zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen in Verbindung mit Zahnbehandlungsangst ..................................47 4 6.2.4 6.3 Möglichkeiten der Schmerzreduktion .....................................................................47 Arzt – Patienten - Kommunikation im Sinne des „ ärztlichen Gespräches“ ..........55 6.3.1 Der Stellenwert der Kommunikation und Interaktion in der zahnärztlichen Versorgung ............................................................................................................................55 6.4 Grundprinzipien der Gesprächsführung ...................................................................57 6.5 Das Unbehagen von Zahnärzten bei der Konfrontation mit einem schwierigen Patienten – emotionale, kognitive und körperliche Belastungsfaktoren............................61 6.6 Darstellung von individuellen, genderorientierten Therapiemöglichkeiten ...........63 6.6.1 Grundlagen des Angstabbaus in der zahnärztlichen Behandlungssituation............64 6.6.2 Therapeutisches Konzept nach Jöhren und Sartory ................................................71 6.6.3 Psychotherapeutische Verfahren .............................................................................74 6.6.4 Ziele der anxiolytischen Behandlung nach Kreyer .................................................79 6.6.5 Weitere Strategien zur Angstbewältigung bzw. Entspannungs – und Ablenkungsverfahren zur Beeinflussung von Zahnbehandlungsangst und – ängstlichkeit..86 7 Diskussion .............................................................................................................................88 8 Konklusion ............................................................................................................................93 9 Literaturverzeichnis...............................................................................................................95 10 Internetquellen.......................................................................................................................99 11 Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................102 12 Tabellenverzeichnis.............................................................................................................103 13 Curriculum vitae..................................................................................................................104 5 1 Zusammenfassung Ziel meiner Diplomarbeit war es, nach Voraussetzungen, Methoden und psychologischen Hilfsmitteln für eine angst-, schmerz- und stressarme zahnärztliche Behandlungssituation unter Berücksichtigung genderorientierter Ansätze, zu suchen. Es sollte dabei der hohe Stellenwert der Thematik „Angst und Stress“ als bedeutendste psychologische Problemstellung in der zahnärztlichen Praxis zum Ausdruck kommen. Meine Arbeit gliedert sich in einen allgemeinen Teil, der die theoretischen Grundlagen wie Definitionen, Entstehung und Grundformen der Angst enthält, und einen speziellen Teil, der neben der Darstellung des Ausdrucksverhalten und Angsterleben des Patienten während einer Zahnbehandlung, den Umgang mit der Angst des Patienten, den Stellenwert der Kommunikation und Gesprächsführung, die Darstellung der individuellen Therapiemöglichkeiten als auch die emotionalen, kognitiven und körperlichen Belastungsfaktoren des Zahnarztes in der Konfrontation mit einem schwierigen Patienten beinhaltet. Die von mir gewählte Methodik in meiner Diplomarbeit beschränkte sich nach reiflicher Überlegung ausschließlich auf Literatur – und Internetrecherchen, den Besuch und Unterlagen von Fachvorträgen, das Miteinbeziehen der Vorlesung aus „Psychologie für Zahnmediziner“ bzw. das Einfließen lassen eigener Erfahrungen und Beobachtung anderer in der zahnärztlichen Behandlungssituation am LKH – Graz während meiner Ausbildung. Für diese Methodik entschied ich mich deshalb, weil mir das eingeschränkte Patientengut mit der fachlich gestellten Diagnose „Zahnbehandlungsphobie“ für eine wissenschaftliche Studie fehlte und die Annahme bestand, in kritischem Literaturstudium eine adäquate Klärung meiner Frage zu erhalten. 6 2 Abstract Dental anxiety and related avoidance of dental treatment are ever present in the routine of a dental practice. The aim of this dissertation is to research the prerequisites, methods and psychological aids available for a dental treatment which is both less painful and less frightening and which therefore reduces the amount of stress experienced by the patient. I will also elaborate on the role of the gender in dental phobia and focus on the importance of stress and anxiety as a chief concern in dental treatment. The dissertation is structured into two main parts: The introductory part deals with general definitions and explains the development and different types of anxieties. The main part discusses how patients deal with their anxieties and highlights the importance of communication in the treatment process. It also aims to provide suggestions for potential therapies and talks also about the emotional, cognitive and physical endurance required by dentists when dealing with challenging patients. The methodologies applied are based on secondary research as well as observations made during my work-based learning period at the LKH Graz. 7 3 Einleitung Die zahnärztliche Behandlung wird trotz der heute weitgehend schmerzfreien Therapie unter Lokalanästhesie von den meisten Patienten als unangenehme und bedrohliche Situation wahrgenommen. Bei manchen Menschen ist die Angst vor einer Zahnbehandlung so groß, dass sie den Zahnarzt 1 nie oder nur bei großen Schmerzen aufsuchen, was einen sich zunehmend verschlechternden Zustand des Gebisses nach sich zieht, der immer mehr die Kaufunktion bzw. die Ästhetik des Patienten einschränkt. Ein desolater Zustand des Kauorgans kann wiederum zu weitreichenden gesundheitlichen Schäden führen. Nicht zu unterschätzen ist auch die Tatsache, dass Personen mit schlechtem Gebiss auch soziale Beeinträchtigungen drohen. Man bedenke hierbei Hänseleien und abfällige Bemerkungen nicht nur in der Kindheit, Schwierigkeiten bei der Nahrungsaufnahme bzw. gänzliche Vermeidung bestimmter Nahrungsmittel, geringeres Selbstvertrauen in Verbindung mit negativer Zahnerscheinung und damit oft verbundener geringerer Berufserfolg. Nicht nur für Angstpatienten gilt die zahnärztliche Therapie als besondere Belastung, auch die Zahnärzte empfinden die Behandlung erwachsener und besonders kindlicher Angstpatienten neben der Therapie von behinderten Personen und multimorbiden Patienten oft als sehr mühsam und meist unökonomisch. Dies hat zur Folge, dass viele Patienten oft verfrüht als nicht kooperativ eingestuft werden und unter Allgemeinanästhesie behandelt werden, da individuelle Therapiemöglichkeiten meist aus Zeitgründen außer Acht gelassen werden. Der Berufsstand des Zahnarztes stellt für mich persönlich nicht nur eine arbeitsmedizinische (Ergonomie beim Arbeiten, Konfrontation mit toxischen Substanzen etc.), eine allgemeinmedizinische (Infektionsgefahr, Interaktion von Medikamenten etc.), sondern auch eine bedeutsame psychologische Herausforderung dar. Angst vor der Zahnbehandlung ist im zahnärztlichen Alltag omnipräsent, und die Suche nach Wegen zur Linderung von Schmerzen und Zahnbehandlungsängsten zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte dieses Berufsstandes. „Angst und Stress“ stellen die wohl bedeutendste psychologische Problemstellung in der zahnärztlichen Praxis dar, der es vor allem durch eine vertrauensvolle Arzt – Patienten – Beziehung zu begegnen gilt. Angst vor der zahnärztlichen Behandlung gilt als Folge spezifischer persönlicher Erfahrungen des Patienten und deren komplexer Verarbeitung im Laufe des Lebens. Das Verständnis der Entstehung des Phänomens „Zahnarztangst“, sowie Techniken der Gesprächsführung sollten als Basis für die Anwendung verschiedenster Methoden zum Angstabbau dienen. Für eine „entsprechende“ Zahnmedizin gilt es, den Patienten als Ganzes wahrzunehmen und nicht nur sein „Kauorgan“ im Rahmen einer „Körper – Reparatur – Technik“ zu sehen. 1 Ich bitte um Verständnis, dass ich keine geschlechtsspezifische Differenzierung vornehme und möchte an dieser Stelle betonen, dass bei allen Ausführungen immer beide Geschlechter gemeint sind. 8 Die Grundlage unseres Handelns als Zahnärzte sollte neben der vorausgesetzten technischen Fähigkeiten, das Interesse am Menschen und seinen Reaktionen bzw. Einfühlungsvermögen und psychologische Kompetenz sein. Um wieviel angenehmer könnte die Behandlungssituation für den Patienten und den Arzt sein, wenn sich der Patient ruhig und gelassen seiner zahnärztlichen Behandlung entspannt anvertrauen könnte und somit bereit für die nötige Kooperation wäre? Um das zu verwirklichen, wäre es meiner Meinung nach wünschenswert, das Wissen um psychologische, psychiatrische und psychosomatische Zusammenhänge in die zahnärztliche Aus – und Weiterbildung zu integrieren. – Im Interesse des Patienten und im Interesse des behandelnden Zahnarztes. Meine Diplomarbeit soll das „Problemfeld“ der zahnärztlichen Behandlungssituation aus der Sicht des Patienten und des Arztes, sowie den Umgang unter Berücksichtigung genderorientierter Unterschiede mit dieser stress – und angstbehafteten Situation darstellen, wobei zu sagen gilt, dass alle meine Ausführungen jedoch nur den Charakter einer Literaturrecherche und eines Überblicks haben können. 9 4 Ziel der Arbeit Ziel meiner Arbeit war, nach Voraussetzungen für eine schmerz -, stress – und angstarme Behandlung in der zahnärztlichen Praxis unter Berücksichtigung genderorientierter Unterschiede zu suchen. Außerdem galt es, die unterschiedlichen Methoden bzw. psychologischen Hilfsmittel zur Angstbewältigung und Stressreduktion während einer zahnärztlichen Behandlung darzustellen. Zitat von Heinrich: „Gerade der Kampf gegen die Angst ist eine unserer dankbarsten Aufgaben. Er gibt uns die einzigartige Gelegenheit, in persönliche Fühlung mit dem Patienten zu kommen, seine Dankbarkeit zu erwerben und das Band des Vertrauens fest zu knüpfen. Die Angst verliert das manchmal Unbegreifliche, wenn sie als natürliche Folge einer besonderen menschlichen Haltung erkannt wird, die wir zwar nicht ändern, wohl aber erträglich machen können.“ Abbildung 1 10 5 5.1 Allgemeiner Teil Theoretische Grundlagen und Definitionen Im Allgemeinen ist es vielfach üblich, dass die Begriffe Zahnbehandlungsangst, Zahnbehandlungsphobie, Zahnarztangst, Oralphobie, dental anxiety, dental fear etc. synonym verwendet werden. Die Thematik stellt sich nach genauerer Betrachtung allerdings als weitaus komplexer dar und bedarf einer genauen Abgrenzung der einzelnen Begriffe, da Phobie, Furcht, Stress, Angst bzw. Ängstlichkeit auch in der speziellen Situation der zahnärztlichen Behandlung Verschiedenes meinen. Angst ist primär ein psychisches Phänomen und wird definiert als eine angespannte Erwartung eines bedrohlichen, aber unbestimmten Ereignisses, ein Gefühl der Beunruhigung, ein Zustand erhöhter Aufmerksamkeit und Reaktionsbereitschaft. Sie vermittelt die Bereitschaft zu Flucht, Abwehr oder aktiver Auseinandersetzung. In ihrer reinsten Form verbindet man mit dem Gefühl der Angst eine Art Ausnahmesituation, die durch eine Reihe von somatischen Veränderungen geprägt ist, wobei diese körperlichen Äußerungen jedoch auf autonomen Vorgängen beruhen und sich weitgehend der Bewusstseinskontrolle entziehen. Es handelt sich um ein primär biologisch sinnvolles Phänomen, das jedoch pathologisch werden kann, nämlich dann, wenn die Angst im Vergleich zum angstauslösenden Stimulus unangemessen stark wird und somit leistungsbeeinträchtigend wirkt und zu Kontrollverlust und unangebrachten Reaktionen führen kann. Angst ist diffus, grundlos, unangenehm, tritt reflexartig auf und stellt ein anhaltendes, mehr oder weniger starkes, aber nicht krankhaftes Gefühl dar. Sie ist demnach nicht an eine bestimmte Situation oder einen bestimmten Reiz gebunden und Anfang und Ende dieses Gefühls sind für den Betroffenen nicht klar abzugrenzen. Abwehr –, Schutz – und Vermeidungsmaßnahmen sind die natürliche Konsequenz des Phänomens Angst. Angst ist so eng mit der Furcht verwandt, dass die beiden Begriffe häufig synonym verwendet werden. In der Psychologie ist der in der Umgangssprache mit Angst bezeichnete Sachverhalt jedoch in der Regel mit dem Begriff Furcht zu definieren. Beide zeichnen sich durch eine erhöhte Anspannung, eine subjektive und / oder physiologische Erregung und dem Gefühl einer unangenehmen Erwartung aus, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Ursachen, Dauer und Aufrechterhaltung. Ist das Gefühl nicht Furcht, sondern Angst, kann der Betreffende nicht ohne weiteres angeben, wo der Grund für seine unangenehme Anspannung liegt oder mit welchem gefährlichen Ereignis er rechnet. „Weiterhin wird in der Psychologie unterschieden zwischen der Angst als einem zeitlich variablen momentanen Zustand und der Ängstlichkeit oder Angstneigung als relativ überdauerndes Persönlichkeitsmerkmal.“ 2 2 Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989; S.17 11 Furcht stellt eine emotionale Reaktion auf eine spezifische, wahrgenommene Gefahr dar – auf eine Bedrohung des Individuums, die eindeutig benannt werden kann. Dieses Gefühl ist demnach zeitlich und räumlich begrenzt und beinhaltet das Motiv der Vermeidung und der Flucht. Furchtreaktionen sind meist kurz, sehr intensiv und stellen einen gewissen psychischen Ausnahmezustand dar, der mit einem deutlichen Erregungsanstieg verbunden ist, hervorgerufen durch einen konkreten Auslöser. In der Regel tritt die Furcht phasenweise auf und geht zurück, sobald die Gefahr nicht mehr besteht. Somit steht das Gefühl Furcht unter der Kontrolle wahrnehmbarer Ereignisse oder Stimuli, wobei die wahrgenommene Gefahrenquelle richtig oder falsch bewertet worden sein kann. Furcht kann in diesem Sinne rational oder irrational sein – wobei sehr intensive irrationale Formen der Furcht als „Phobie“ oder „Angststörungen“ bezeichnet werden. Die Phobie stellt eine äußerst intensive, für Außenstehende der Situation unangemessene und persistierende Furchtreaktion dar, die durch spezifische Situationen oder Gegenstände ausgelöst wird. Typisch für diese Störung ist der Wunsch des Patienten, diese Situationen und Objekte zu vermeiden. Meist zeigt der Phobiker Einsicht in der Irrationalität dieser bizarren Furchtreaktion, doch kann er sie nicht willentlich kontrollieren. In der Praxis allerdings ist es nicht immer möglich, eine klare Grenze zwischen Furcht und Angst zu ziehen, da deren Zusammenhang oft sehr komplex sein kann und der Übergang zwischen Angst und Angsterkrankung fließend ist. Panik stellt zwar die reinste Erscheinungsform der Furcht dar, nicht immer ist aber unmittelbar zu erkennen, wodurch eine Panikattacke ausgelöst wurde. „Angst folgt häufig auf Furcht (wie bei der Angst, erneut in Panik zu geraten und die Kontrolle zu verlieren), andererseits kann das Erleben von Angst die Furcht entstehen lassen, die Angst könne zurückkommen“ 3 3 Rachman S., Angst: Diagnose, Klassifikation und Therapie; Verlag Hans Huber, 2000; S.11 12 Gemeinsamkeiten Erwartung einer gefährlichen / unangenehmen Situation angespannte Besorgnis Erregungsanstieg (arousal) negative Emotion Unruhe auf Kommendes gerichtet mit körperlichen Begleiterscheinungen verbunden Unterschiede Furcht Konkrete Gefahr nachvollziehbare Beziehung zwischen Gefahr und Furcht zeitlich begrenzt umschriebene Anspannung identifizierbarer Stimulus ausgelöst durch Gefahrensignal geht zurück, wenn Bedrohung nicht mehr vorliegt Abklingen deutlich bestimmbar umschriebener Gefahrenbereich Gefahr unmittelbar bevorstehend Ausnahmereaktion körperliche Empfindungen einer Alarmreaktion eher rational Angst Quelle der Bedrohung ist unbestimmt unklare Beziehung zwischen Angst und Gefahr anhaltend alles durchdringende Unruhe kann ohne Objekt auftreten schleichender Beginn persistiert schleichendes Abklingen ohne klare Grenzen Gefahr selten unmittelbar bevorstehend erhöhte Vigilanz körperliche Empfindungen einer erhöhten Reaktionsbereitschaft eher irrational Tabelle 1: Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Furcht und Angst Wie nahe verwandt die Begriffe Angst und Stress sind, erkennt man, wenn man die Herkunft beider Wörter betrachtet: Angst ist verwandt mit lateinisch „angustus“ (eng, schmal, knapp, gedrängt, enherzig, kleinlich), „anxietas“ (Ängstlichkeit, Sorgfalt), „angustiae“ (Enge, Mangel, Not, Verlegenheit, Schwierigkeit) und „angor“ (das Würgen). – Ein eindeutig negativer Gefühlszustand, dessen ursprünglich einzige positive Komponente (Sorgfalt) verlorengegangen ist. Stress leitet sich vom lateinischen „stringere“ (anspannen) ab. Beide Begriffe stehen also für ein Gefühl des sich „zusammenziehen“ bzw. „verengen“. Der Ursprung des Wortes Angst macht also deutlich, dass neben der psychischen Komponente auch physische Phänomene davon ableitbar sind. Angst gilt als intensiver emotionaler Zustand und die körperlichen Parameter, die von Patienten in Angst – und Stresssituationen vielfach beschrieben werden, sind Herzklopfen, Herzjagen, Enge in der Brust, Atemnot, Erstickungsgefühl, Beklemmungsgefühle, weiche Knie, Übelkeit, 13 Brustschmerzen, Kurzatmigkeit, Zittern, Kribbeln, Schweißausbrüche, Schwindel, Ohnmacht, kalte Hände, Harndrang, abdominelle Beschwerden wie Bauchschmerzen und Durchfall, Harndrang, bis zum Gefühl der Todesangst bzw. der Angst vor dem Verrücktwerden. Angst setzt im menschlichen Körper verschiedene emotionale und organische Abläufe in Gang, die durch Botenstoffe unterschiedliche Reaktionen hervorrufen. Adrenalin und Noradrenalin, die zur Stoffklasse der Hormone gehören, stellen die wichtigsten Botenstoffe in diesem Zusammenhang dar. Sie zählen chemisch gesehen zu den Katecholaminen, werden im Nebennierenmark synthetisiert und über die Ausschüttung in den Blutkreislauf gelangen Adrenalin und Noradrenalin an ihre Wirkungsorte. Die „normale“ Angst gilt als eine Art „Alarmfunktion“ und soll Aktivitäten des Individuums zur Beseitigung einer Gefahr auslösen, wohingegen „pathologische Angst“ als „nicht benötigte Angst“ die körperlichen u. geistigen Funktionen lähmt und somit ihren ursprünglichen Sinn dadurch verliert. Es gibt keinen Angstzustand, der ohne physiologische Erregungsveränderung auftritt. Gleichzeitig gibt es jedoch auch keinen Angstzustand, der ohne die Beteiligung von Bewertungen, also von kognitiven Faktoren zustande kommt. Die Angst stellt nach Sergl (1989) einen psycho – physischen Erregungszustand dar, der unter ganz bestimmten Auslösebedingungen reflexartig auftritt. sinnvoller Schutzmechanismus kann pathologische Formen annehmen keine Krankheit unvermeidlich / unerlässlich Erkennen von Gefahr / Mensch somit überlebensfähig Induziert eine Vielzahl von somatischen Veränderungen / beeinflusst auch Mimik und Verhalten eines Individuums / Angst und Verhalten stehen in Abhängigkeit zueinander Komplexes Phänomen mit unterschiedlicher Ausprägung Eine gute phänomenologische Beschreibung der Angst liefert v. Gebsattel, wonach es das Kennzeichen der Angst sei, „dass man fliehen möchte, aber weder weiß, wovor, noch wohin, das macht die lähmende, lauernde Zweideutigkeit der Angst aus (…)“ 4 4 Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989; S.46 14 Krohne (1996) beschreibt die aktuelle Angstemotion (state) als einen mit bestimmten Situationsveränderungen intraindividuell variierenden affektiven Zustand des Organismus, der durch erhöhte Aktivität des autonomen NS sowie durch die Selbstwahrnehmung von Erregung, das Gefühl des Angespanntseins, ein Erlebnis des Bedrohtwerdens und verstärkter Besorgnis gekennzeichnet ist. Das Persönlichkeitsmerkmal Ängstlichkeit (trait) bezeichnet nach Krohne die intraindividuelle relativ stabile, aber interindividuell variierende Tendenz, Situationen als bedrohlich wahrzunehmen und hierauf mit erhöhtem Angstzustand zu reagieren. 5.1.1 Das Modell der „State - Trait – Angst“ zur Erfassung der persönlichkeits – und situationsspezifischen Angst nach Spielberger et al. (1966) „Spielberger (1972) differenzierte zwischen einer kurzfristigen Zustandsangst (state anxiety) und einer überdauernden Eigenschaftsangst (trait anxiety), die als relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft definiert ist.“ 5 Die Eigenschaftsangst geht mit der Disposition einher, eine Vielzahl von Situationen als bedrohlich wahrzunehmen, wohingegen die Zustandsangst als emotionaler, bewusst wahrgenommener Zustand definiert wird, der gekennzeichnet ist durch Unruhe, Besorgtheit, Nervosität und der Furcht vor zukünftigen Ereignissen. State anxiety wird als „momentaner emotionaler Zustand einer Person bei der Konfrontation mit einer als bedrohlich eingeschätzten Situation“ 6 beschrieben, der sich in seiner Intensität über Zeit und Situation hinweg verändert. Trait anxiety hingegen bezeichnet die „interindividuellen Differenzen in der Disposition, Situationen als gefährlich bzw. bedrohlich wahrzunehmen und angesichts dieser Bedrohung mit State – Angst zu reagieren“ 7 . In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich auch die Begriffe Spannung und Anspannung zu erwähnen. Der Begriff Spannung beschreibt das Vorhandensein von Angst unterhalb der Bewusstseinsebene bzw. gleichzeitig das Vorhandensein von Anspannung (zB. der Muskulatur). 5 Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; S.16 6 Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989; S.58 7 Sergl, Müller – Fahlbusch (1989); S.58 15 Diese beiden Begriffe stellen ein Synonym für die Beschreibung eines physiolog. und psycholog. Akutzustandes einer Person dar. Die Körperhaltung eines Menschen dient vielen Psychotherapeuten als visualisierte Form der Anspannung (hierauf beruhen auch erste Entspannungstherapien in den 20er Jahren durch den Psychotherapeuten J.H. Schultz (1991). 5.1.2 Differenzierung zwischen Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie bzw. diagnostische Kriterien Der Begriff „Zahnbehandlungsangst“ steht für alle physiologischen und psychologischen Ausprägungen eines mehr oder weniger starken, aber nicht pathologischen Gefühls der Angst, das sich in Verbindung mit einer Zahnbehandlung oder mit ihr verbundenen Stimuli zeigt. Zu beachten gilt hierbei, dass „Zahnbehandlungsangst“ fälschlicherweise oft „Zahnarztangst“ genannt wird, der Zahnarzt selbst jedoch nur einer von vielen Stimuli, die zur Entstehung von Zahnbehandlungsangst beitragen können, ist. „Die Zahnbehandlungsphobie, auch Dentophobie genannt, ist nach dem diagnostischen und statistischen Manual psychischer Störungen (Diagnostic and Statistical Manual IV, American Psychiatric Association, APA, 1994) eine Angsterkrankung, die zu den spezifischen Phobien zu rechnen ist. Sie ist zu unterscheiden von der normalen, nicht krankhaften Angst vor der Zahnbehandlung.“ 8 Zu bedenken gilt, dass wie bei anderen Ängsten auch, der Übergang zwischen Angst und Phobie fließend ist. Spezifische Phobien haben nach dem DSM IV folgende Kriterien gemeinsam: 9 es besteht eine anhaltende Erwartungsangst vor dem umschriebenen Stimulus 9 irgendwann im Verlauf der Störung ruft eine Konfrontation mit dem spezifischen Stimulus fast unvermeidlich eine sofortige Angstreaktion hervor 9 der angstauslösende Stimulus wird vermieden 9 der alltägliche Tagesablauf wird durch die Angst bzw. das Vermeidungsverhalten stark beeinträchtigt 9 die erkrankte Person erkennt, dass die Angst übertrieben oder unvernünftig ist 8 Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; S.15 16 Nach der International Classification of Diseases (ICD-10, F. 40.2) müssen bei der Diagnosestellung darüber hinaus folgende Leitlinien beachtet werden: 9 die psychischen oder vegetativen Symptome müssen primäre Manifestationen der Angst sein und dürfen nicht auf anderen Symptomen, wie Wahn oder Zwangsgedanken beruhen 9 die Angst muss auf die Anwesenheit eines bestimmten phobischen Objektes oder eine spezifische Situation begrenzt sein 9 die phobische Situation wird – wann immer möglich – vermieden Die Differenzierung zwischen normaler und krankhafter Angst ist ein entscheidender Aspekt, da nur so ein langfristiger Therapieerfolg gewährleistet werden kann. In diesem Zusammenhang sei aber erwähnt, dass die Zahnbehandlungsphobie im Gegensatz zu anderen Phobien häufig unerkannt bleibt, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass Angst vor einer Zahnbehandlung wegen ihrer weiten Verbreitung gesellschaftsfähig ist. 5.1.3 psychopathologische Differentialdiagnosen der Angst Es gilt zu bedenken, dass hinter dem Vermeidungsverhalten einiger Patienten was den Zahnarztbesuch angeht, jedoch auch andere psychische Störungen stecken können. Die wichtigsten Differentialdiagnosen bzw. Unterteilungen von Angststörungen seien hier erwähnt: • Soziale Phobie: soziale Ängste mit phobischen Verhaltensweisen und Vermeidungsverhalten (öffentliche Toiletten etc.) • Spezifische Phobie: Angst vor einer konkreten Situation (Spinnen, Tunnel, Fahrstühle, Dunkelheit etc.) mit der noch nicht geklärten Fragestellung der Vererbbarkeit • Agoraphobie • Angst – und Panikstörungen • generalisierte Angststörung: allgemeine Angststörung als irreale Angst (Krankheit, Arbeit…) über einen Zeitraum von mindestens einem halben Jahr • angstrelevante Zwangsstörungen: Gedanken und Handlungen betreffend, oft ritualisierte Form (Ansteckung – Händewaschen…) • Posttraumatische Belastungsstörung: Reaktionen auf traumatische Ereignisse (Vergewaltigung, schwere OP, Unfälle…); Angst vor Wiederholung (Objekte mit Angst besetzt); Gefühle in das Unterbewusstsein gedrängt ; Entfremdung (Gesellschaft) 17 In Zusammenhang mit der differentialdiagnostischen Sicht der Angst weist Müller – Fahlbusch auf folgende Problematik hin, nämlich dass „gestörte Entwicklungen, die das vierte Lebensjahrzehnt durchschritten haben, prognostisch ungünstig sind“ 9 und deshalb damit zu rechnen sei, dass Patienten mit einer gestörten Entwicklung des Gesundheitsempfindens mit Angst nicht nur vor dem Zahnarzt, sondern auch vor der Zahnbürste, nicht zu einer konsequenten Mitarbeit motiviert werden können. Weiters beschreibt Müller – Fahlbusch die einfachen Erlebnisreaktionen, bei denen es oft genügt, die biographische Situation des Patienten aufzuklären und die Behandlungsschritte bzw. die Terminplanung der jeweiligen Situation anzupassen (zum Beispiel eine umfangreiche restaurative Versorgung nach Studienabschlussprüfungen zu planen). Was Angst zum Beispiel bei Patienten, die an phasischen oder chronifizierten Depressionen leiden bedeutet aufzuzeigen, erscheint wesentlich schwieriger. Oft überwiesen wegen Prothesenunverträglichkeit oder Myoarthropathien, hat die Angst, die von solchen Patienten oft verbal geäußert wird, nichts mit der sogenannten Zahnbehandlungsangst zu tun. Diese Patienten verbinden oftmals ihren Verlust von Zukunftsperspektiven mit dem stomatognathen System. Pauleikhoff hat darauf hingewiesen, dass Patienten mit sogenannter monopolarer phasischer Depression häufig das Gefühl haben, die Zeit scheint stillzustehen und dieses Gefühl ruft in ihnen Angst hervor. 10 Die vom Patienten geäußerte oder die für uns als Behandler sichtbaren Zeichen der Angst können also durchaus mit anderen seelischen und psychosomatischen Phänomenen verbunden werden. Müller – Fahlbusch weist darauf hin, dass es also stets gilt Person und Zeit zu berücksichtigen, um dem Patienten in jener Störung des Erlebens helfen zu können. 5.1.4 Ätiologische Modelle der Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie Theorien zur Angstentstehung Bezüglich der Hintergründe der Entstehung von Zahnbehandlungsangst finden sich in der Literatur immer wiederkehrend drei wichtige, plausibel klingende Postulate: Angst entsteht durch traumatische Erfahrungen, weil vom Zahnarzt schmerzhafte Maßnahmen vorgenommen werden und somit der Zahnarztbesuch mit Schmerzempfindung im Zusammenhang gebracht wird Angst vor der Zahnbehandlung beim Erwachsenen resultiert aus schlechten Erfahrungen in der Kindheit 9 Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989; S.47 10 vgl. Sergl, Müller – Fahlbusch (1989) 18 Zahnbehandlungsangst tritt besonders bei generell ängstlichen Personen auf Diese Postulate berücksichtigen jedoch nicht alle Faktoren der Angstentstehung und müssen demnach weitreichend ergänzt werden, da sie keine Erklärung darüber enthalten, wie sich die psychologische Verbindung zwischen Entstehungsfaktoren und Zahnbehandlungsangst darstellt. Im Laufe der Entwicklung ist das Kind mit einer Vielzahl von Unbehagen – bzw. Angst – auslösenden Situationen konfrontiert. Angst und die darauf folgenden Reaktionen stellen für den kindlichen Organismus eine Art biologischen Schutzmechanismus dar, der das Kind vor drohenden Gefahren bewahren soll. Erfährt das Kind Schmerzen, so versucht es in Zukunft die Quelle dieser Empfindung zu meiden. Unter lernpsychologischer Betrachtungsweise kann in Zukunft schon allein das Erkennen bzw. Nähern an die schmerzauslösende Quelle Angstreaktionen auslösen. Man spricht hier vom Prinzip der klassischen Konditionierung, wobei Reize, die in raum – zeitlicher Nähe zum Schmerz auftreten zu konditionalen Stimuli für Angst werden. Das Kind braucht also nur einen weißen Kittel, eine Spritze etc. zu sehen, um Vermeidungsverhalten zu zeigen – die Reaktion auf Schmerz (Schreien, Flucht) wird demnach bereits durch die konditionalen Stimuli ausgelöst. Zu beachten gilt, dass die Häufigkeit dieses Vermeidungsverhaltens durch seine angenehmen Konsequenzen (Ausbleiben von Schmerz) nachhaltig verändert wird (operante Konditionierung). Jöhren und Sartory erklären das Prinzip der klassischen Konditionierung anhand des Experiments mit dem Kleinkind „little Albert“ von Watson und Raynor (1920): Das Kleinkind Albert spielte über Wochen hinweg mit großer Zuneigung mit einer weißen Ratte. Die Leiter des Experiments ließen im Verlauf der Untersuchung ein abschreckendes, lautes Geräusch erklingen, sobald Albert mit der Ratte spielen wollte. Das hatte zur Folge, dass das Kleinkind sehr bald bereits Angst zeigte, wenn es sich auch ohne dem Geräusch der Ratte näherte. Letztendlich übertrug es seine Angst sogar auf andere weiße, pelzige Objekte wie Watte etc. Diese Betrachtungsweise der Entstehung von Zahnbehandlungsangst klingt plausibel. Vor allem weil Schmerz hier eine wichtige Rolle spielt und in der Literatur als häufigste Ursache einer Zahnbehandlungsangst bzw. – phobie immer wieder ein einzelnes traumatisches, schmerzhaftes Erlebnis der Patienten während der Behandlung beschrieben wird 11 . Folgende Fragen bleiben aber immer noch offen: Warum zeigen Kinder Behandlungsangst, ohne jemals Schmerzen beim Zahnarzt erfahren zu haben, und wie ist es zu erklären, Schmerz bewusst auszuhalten ohne die Flucht zu ergreifen? Eine weitere Betrachtungsweise inkludiert den Aspekt, mit welchen Gedanken Menschen diese Erlebnisse verbinden. Wird der Mensch mit den konditionalen Stimuli (Spritze, Zahnarzt…) 11 vgl. Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag 19 ohne der gleichzeitigen Erwartung, dass diese in kurzer Zeit Schmerz auslösen werden, konfrontiert, scheint dies wenig ausschlaggebend für die Entstehung von Angst. Es wird in der Regel kein Gefühl der Angst aufkommen, zum Beispiel eine Spritze nach der eigenen Behandlung zu sehen. „Insofern scheint es unabdingbar für das Entstehen von Angst, dass der Betroffene zwischen Hinweisen (konditionale Stimuli) und dem erwarteten schmerzhaften Erleben eine direkte Verbindung herstellt. Dies wird als die Wahrnehmung von Kontingenzen bezeichnet.“ 12 „So haben McNeil et al. (1989) zeigen können, dass die Angst vor Schmerzen und das Ausmaß der Zahnbehandlungsangst positiv korreliert sind.“ 13 Die Überlegung die aus dieser Betrachtungsweise zur Entstehung von Zahnbehandlungsangst resultiert ist die, dass es aber durchaus vorkommen kann, dass eine Angstreaktion durch eine wahrgenommene Kontingenz ausgelöst wird, was „objektiv“ absurd erscheint. So ist ein Kind beispielsweise davon überzeugt, dass es bei einer bevorstehenden Behandlung zu Schmerzen kommen wird, obwohl der Zahnarzt erklärt keine schmerzhaften Eingriffe vorzunehmen. Diese subjektive Erwartungshaltung resultiert allein aus der Tatsache, dass das Kind Schmerz und Zahnarzt als kontingent erlebt hat und ist meist so stark, dass sie selbst bei Erwachsenen nur schwer aufzulösen ist. Eine weitere wichtige Ergänzung zu den oben genannten Postulaten sind die kongnitiven Funktionen der Erwartung und Bewertung der unangenehmen Erfahrungen durch die Person selbst. Margraf – Stiksrud spricht vom sogenannten „unkonditionalen Stimulus“, der Rolle des Schmerzes. Hierbei ist festzuhalten, dass auf ein Schmerzerleben nicht unweigerlich eine Fluchtreaktion folgen muss, sondern dass Schmerz vor allem bei älteren Kindern und erwachsenen Personen bis zu einem gewissen Grad ertragen werden kann, ohne eine Angstreaktion auszulösen. Erwartung und Bewertung der Behandlungssituation hängen eng mit den persönlichen Erfahrungen des Betroffenen zusammen, die in einem lebenslangen Lernprozess, an dem viele Faktoren beteiligt sind, gespeichert, ergänzt und in ähnlichen Situationen abgerufen werden, um sein Handeln darauf abzustimmen. Ein wesentlicher beteiligter Faktor stellt das Modelllernen dar, aversives Verhalten in bezug auf eine Zahnbehandlung, das durch Nachahmung der Eltern durch das Kind entsteht. Das bedeutet also, dass nicht die Zahnbehandlung an sich, sondern bereits Erzählungen aus dem sozialen Umfeld zu unterschiedlich stark ausgeprägter Zahnbehandlungsangst führen kann. Aus der Literatur geht vielfach hervor, dass die Angst der Eltern und die mit ihr verbundene verbale Suggestion ein nicht zu unterschätzender Kofaktor für die übersteigerte Angst der Kinder beim Zahnarztbesuch darstellt. Bei kindlichen Patienten gilt allerdings zu bedenken, dass das Phänomen der Behandlungsverweigerung nicht immer zwangsläufig mit gesteigerter Angst des Kindes zu tun 12 Margraf – Stiksrud J., Angst und Angstabbau, in: Sergl, H.G. (Hrsg.): Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde; Urban & Schwarzenberg, München 1996 13 Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; S.21 20 haben muss. Vielmehr muss das Kind im Kontext des Entwicklungsstadiums, in dem es sich gerade befindet, gesehen werden. Eine Behandlungsunwilligkeit des kindlichen Patienten kann somit also auch als völlig normales, reaktives Phänomen oder als Ausdruck einer kritischen Phase in der Entwicklung (Trotzverhalten der 2 – bis 3 – Jährigen etc.) gewertet werden. Es gilt demnach zwischen diesen alterstypischen Phänomenen und Phobien eindeutig zu differenzieren. Die Oralophobie, bei der es sich um die Abwehr vor jedwedem Eindringen in das Mundorgan handelt, stellt eine psychische Störung dar, die erworben wird durch: • Traumatische Erlebnisse im Mundorgan • Übernommene traumatische Erlebnisse (Erzählungen eines Zahnarztbesuches eines Familienmitgliedes) • Übernommene negative Einstellung zum Mundorgan • Als Folge von sexuellem Missbrauch, körperlichem Trauma, Gewaltanwendungen, Unfällen und Operationen bzw. posttraumatischen Belastungsstörungen Sie kann jedoch auch Ausdruck einer Symptommanifestation einer psychischen Erkrankung sein. Die Oralophobie ist eine Krankheit und erfüllt nach ICD-10-GM-2004 die Kriterien einer phobischen Störung ( F40.2 ) und damit einer psychischen Erkrankung wenn: 1. Die psychischen oder vegetativen Symptome müssen primäre Manifestationen der Angst sein und nicht auf anderen Symptomen wie Wahn oder Zwangsgedanken beruhen. 2. Die Angst muss auf die Anwesenheit eines bestimmten phobischen Objektes oder eine spezifische Situation begrenzt sein. 3. Die phobische Situation wird, wann immer möglich, vermieden. (vgl. dazu S.15) Hauptsymptom der Oralophobie ist das Vermeidungsverhalten traumaassoziierter Stimuli, auch wenn bereits gesundheitlicher Schaden entstanden ist. „Ein weiteres Indiz für die Erkrankung ist die Anzahl der bereits entfernten oder zu entfernenden Zähne, die signifikant mit der Phobie korreliert. Eine weitere Phobie ist in 45% der Fälle assoziiert.“ 14 Im Zusammenhang mit Angstentstehung haben nach Margraf – Stiksrud außerdem folgende 14 vgl.: http://www.oralophobie.de/cgi-bin/macher_pub_fachinfo.pl?rubrik=4 21 Faktoren große Bedeutung: 1. Kognitive Kapazität, Entwicklungsstand 2. Generelle Angstneigung, „Ängstlichkeit“ 3. Einstellungen und Motive 4. Emotionale Labilität, Neurotizismus ad 1. Margraf – Stiksrud weist auf die mangelnde Fähigkeit von Personen hin, bedrohliche Reize genau einzuschätzen. Zeichen hierfür ist die Tatsache, dass das Individuum seine Angst in unangemessener Intensität zeigt oder die Angsthemmung nicht moduliert ist. Zu bedenken gilt, dass sich erst bis zum Schulalter die Gedächtnisspanne und die Zeitvorstellung entwickeln und somit erst dann die Voraussetzungen gegeben sind, differenzierte Hinweise auf unterschiedlich starke Gefährdung zu identifizieren und dementsprechend zu reagieren. Erst Schulkinder sind in der Lage, Ereignisabläufe zu überblicken, als eine Verbindung zwischen bedrohlichem Stimulus, den eigenen Reaktionsmöglichkeiten und den daraus resultierenden Konsequenzen abzuschätzen. ad 2. Die Neigung, auf sämtliche Situationen im Leben mit Angst zu reagieren, inkludiert zwei Ebenen: Ängstlichkeit einerseits in bezug auf physische Gefahren und andererseits hinsichtlich der Bedrohung des Selbstwerts. Margraf – Stiksrud geht davon aus, dass die zahnärztliche Behandlungssituation eine Kombination aus beiden Ebenen der Angstauslösung darstellt und ängstliche Menschen besonders aufmerksam auf die selbstwertbedrohlichen Anteile reagieren. Somit könne auch die Tatsache erklärt werden, dass Zahnarztbesuche auch ohne Erfahrung von Schmerz für viele Menschen als belastend empfunden werden. ad 3. Margraf – Stiksrud weist darauf hin, dass Patienten, die der Mundgesundheit grundsätzlich Bedeutung zumessen, auch mehr Energie in die Überwindung ihrer Ängste investieren. Die Einstellung der Patienten zu sich selbst, ihre eigene Überzeugung, Schwierigkeiten zu meistern und die Einstellung zum Zahnarzt als Person scheinen die zahnärztliche Behandlungssituation grundlegend zu beeinflussen. ad 4. Die generelle Ängstlichkeit einer Person lässt sich nach Margraf – Stiksrud eng in Zusammenhang mit der Neigung, emotional intensiv, aber auch schwankend auf äußere Eindrücke zu reagieren, bringen. Neurotizismus (abgeleitet von Neurose) ist ein Persönlichkeitsmerkmal in der Persönlichkeitspsychologie und umfasst Eigenarten wie Nervosität, Reizbarkeit, Ängstlichkeit, Empfindlichkeit, Feindseligkeit, Impulsivität, Verletzbarkeit bzw. 22 Deprimiertheit. 15 Diese Persönlichkeitseigenschaft darf jedoch keinesfalls mit der „neurotischen Störung“, also der neurotisch begründeten Angst eines Patienten, die im psychoanalytischen Kontext zu betrachten ist und krankheitswertige Reaktionen des Patienten beschreiben, verwechselt werden. Abschließend ist in diesem Kontext zu bemerken, dass es dann problematisch werden kann, wenn Patienten mit starker Angst bei der zahnärztlichen Behandlung reagieren, bei denen Angst Teil einer psychischen Erkrankung darstellt. Grundlage für das Verständnis der Angstsymptome des Patienten ist die genaue Kenntnis der verschiedenen Krankheitsbilder (generalisierte Angstsyndrome, Panikattacken, ausgeprägte Behandlungsphobie, Angstreaktionen in Verbindung mit Depression und psychischen Störungen). Hierbei empfiehlt sich die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Psychologen oder Psychiatern. Abbildung 2 15 vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Neurotizismus 23 5.2 Grundformen der Angst nach Riemann An dieser Stelle möchte ich einer weiteren Sichtweise der Angstentstehung, der tiefenpsychologischen Studie von Riemann, besondere Beachtung schenken, wobei für dieses Grundkonzept die Unterscheidung zwischen Furcht und Angst unwichtig erschien. Angst wird als ganz normaler Gefühlszustand eingestuft, der zu unserem Leben dazu gehört, meist zwar als unangenehm empfunden wird, aber als Schutz des betroffenen Individuums vor neuen Situationen und somit als eine Art Anpassungsmechanismus vor unbekannten Gegebenheiten dient. Riemann geht davon aus, dass alle Menschen einerseits ganz individuelle Ängste haben, die abhängig von genetischer Anlage, Umwelteinflüssen, körperlicher und seelisch – geistiger Konstitution sowie persönlicher Biographie sind. Gleichzeitig existieren aber auch Ängste, die allen Menschen gemeinsam sind. Hierzu zählen typische alters – und entwicklungsgemäße Ängste, deren Bewältigung für die individuelle Entwicklung wichtig sind. Aus der Tatsache heraus, dass die Ängste eines jeden Menschen durch bestimmte Lebensbedingungen und Umwelteinflüsse ab der Geburt eine persönliche Prägung und individuelle Abwandlung erfahren, differenziert Riemann vier Grundformen der Angst, die den 4 kosmischen Impulsen der Erde entsprechen: Die Drehung der Erde um die eigene Achse. 9 Das Kreisen der Erde um die Sonne. 9 Die Schwerkraft, oder Zentripetalkraft die in die Mitte strebt. 9 Die Fliehkraft, oder Zentrifugalkraft die nach außen strebt. 9 Unter Berücksichtigung des „Doppelaspektes“ der Angst, die den Menschen einerseits zu lähmen vermag, andererseits die Chance der direkten Auseinandersetzung bietet, um sie zu überwinden und so Entwicklungsschritte im Leben des Einzelnen zu ermöglichen, beschreibt Riemann die Grundforderungen zur Gestaltung des Lebens: 1. Forderung: „dass wir ein einmaliges Individuum werden sollen“ (fordert Eigenständigkeit und eine gewisse Abgrenzung von der Umwelt bzw. Selbstwerdung) 2. Forderung: „dass wir uns der Welt, dem Leben und den Mitmenschen vertrauend öffnen sollen“ (fordert die Seite der Selbsthingabe, die uns Teil eines größeren Ganzen werden lässt) 24 3. Forderung: „dass wir die Dauer anstreben sollen“ (entspricht dem Impuls, der uns zum Handeln treibt und ermöglicht Sicherheit und Orientierung) 4. Forderung: „dass wir immer bereit sein sollen, uns zu wandlen“ (Aufgeben von Vertrautem und Gewohntem zur evolutionären Anpassung und Weiterentwicklung) Äquivalent zu diesen Forderungen gibt es demnach vier Grundängste, wobei sämtliche Ängste die wir empfinden können, sich auf eine Mischung aus diesen vier Grundängsten zurückführen lassen. Angst vor Selbsthingabe und Nähe, die als Bedrohung der Individualität erlebt wird. 9 Angst vor Selbstwerdung, die als Isolation empfunden wird. 9 Angst vor Veränderung, die als Vergänglichkeit und Unsicherheit empfunden wird. 9 Angst vor Notwendigkeit, die als Endgültigkeit und Unfreiheit erlebt wird. 9 Jedes Individuum trägt diese kosmischen Triebkräfte in unterschiedlicher Ausprägung und abhängig vom jeweiligen Lebensabschnitt in sich. Nach Riemann stellt es ein Zeichen seelischer Gesundheit dar, nach Auseinandersetzung mit den 4 Grundformen der Angst, ein Gleichgewicht zwischen diesen antinomischen Impulsen geschaffen zu haben: einerseits gleichzeitig die Angst vor der Ich – Aufgabe, wie die Angst vor der Ich – Werdung, anderseits sowohl die Angst vor der nicht aufzuhaltenden Vergänglichkeit, als auch die Angst vor der unausweichlichen Notwendigkeit sich wandeln zu müssen, überwunden zu haben. „Eine Antinomie (griechisch ἄντι „gegen“, νόμος „Gesetz“; sinngemäß „Unvereinbarkeit von Gesetzen“) ist eine spezielle Art des logischen Widerspruchs, bei der die zueinander in Widerspruch stehenden Aussagen gleichermaßen gut begründet oder (im Fall formaler Systeme) bewiesen sind.“ 16 Die sich daraus ergebenden Persönlichkeitsstrukturen beschreibt Riemann mit den 4 großen in der Tiefenpsychologie vorkommenden Neuroseformen. Schizoidie Depression Zwangsneurose Hysterie 16 vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Antinom 25 „Diese neurotischen Persönlichkeiten spiegeln (…) in zugespitzer oder extremer Form allgemeinmenschliche Daseinsformen, die wir alle kennen.“ 17 Der depressive Mensch Wunsch nach Zuneigung und menschlicher Nähe "Ich will nicht alleine sein!" Der schizoide Mensch Der zwanghafte Mensch starker Drang nach Angst vor Risiko und Unabhängigkeit Veränderung "Ich bin das Maß aller Dinge!" Vermeidung von Konflikten "Ich hasse Streit!" vermeidet Emotionen liebt präzise Planung und menschliche Nähe Vogel-Straußsachlich, kühl und Vorurteile, Mentalität objektiv Dogmatismus selbstlos und geduldig aggressiv und arrogant Perfektionist und konsequent korrekt denkt erst an andere, fehlender Entschlußunfähigkeit dann an sich Enthusiasmus verhält sich kindlich- gleichgültig gegenüber Detailfetischismus hilflos Kritik "Nur ich weiß, was richtig ist!" wenig Selbstwertgefühl starkes Ein "Nein" bleibt ein Selbstwertgefühl "Nein" einfühlsam und vertritt seine ordentlich und fleissig hilfsbereit Überzugung klar und kompromißlos schlicht und unsentimental, beständig und anspruchslos ironisch-sarkastisch zuverlässig relativ wenig Egoismus scharfe verantwortungsbewußt Beobachtungsgabe Tabelle 2 17 Riemann F., Grundformen der Angst – Eine tiefenpsychologische Studie; Ernst Reinhardt Verlag München Basel, 2003; S.18 Der hysterische Mensch liebt die ständige Abwechslung "Ich will Freiheit und Risiko, Traditionen und Konzepte engen mich ein." steht gerne im Mittelpunkt "Ich möchte bewundert und anerkannt werden." Veränderung der Veränderung willen gibt Versprechungen, die er nicht einhält "Rösselsprünge" im Denken Imponiergehabe und Starallüren oberflächlich und leicht zu beeinflussen will sofortige Bedürfnisbefriedigung nur das Hier und jetzt zählt lebhaft, spontan und charmant 26 5.3 Die orale Zone als sensibler Bereich und Ausdrucksorgan für alle Affekte Das zentrale Betätigungsfeld des Zahnarztes, das Cavum oris, stellt eine besonders persönlichkeitsnahe Schlüsselzone des menschlichen Körpers dar, weshalb der Mund keinesfalls bloß nur als anatomische Region zu verstehen ist, in welchem sich die Zähne als Objekte unserer zahnärztlichen Tätigkeit befinden. Abbildung 3 „Bisweilen stellt sich das Kauorgan geradezu als Bühne einer komplexen allgemeinmedizinisch psychosomatischen Problematik dar“ 18 Einerseits umfasst die Rolle des Kauorgans die Funktion der Nahrungsaufnahme und der Mastikation, andrerseits bedenke man, dass der Mund ein besonders hoch entwickeltes „Sinnesorgan“ mit mannigfaltigen Funktionen, wie Tast – und Drucksinn, Temperatursinn, sowie Geschmacks – und Geruchssinn ist. Besonders anschaulich wird dies aus neuroanatomischer Sicht, wenn man sich die corticale Repräsentation der Orofazialregion im Bereich des Gyrus prae – und post – centralis (Motorik, Sensorik) verdeutlicht: sie stellt die bei weitem ausgedehnteste Körperregion am „Penfield´schen Homunculus“ dar. 18 Slavicek (2000) in Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag, 2004; S.11 27 Abbildung 4: Penfield´scher Homunculus „Aus tiefenpsychologischer Sicht kommt der Oralregion ganz besondere Bedeutung zu. Der Zahn wird hier verstanden in seiner Symbolik als Sinnbild von Vitalität, Aggressivität, Kraft und Potenz. Zahnverlust wird dementsprechend gleichgesetzt mit Potenzverlust bzw. Verlust sexueller Attraktivität. (…) Der frühkindlichen „oralen Phase“ kommt für Stellenwert und Funktionsweise des Kauorgans doppelte Bedeutung zu. Einerseits als sensible Schlüsselphase der Persönlichkeitsentwicklung, andererseits als Zeitabschnitt, in welchem wesentliche enorale Reflexabläufe erlernt und gebahnt werden.“ 19 Es ist demnach festzuhalten, dass der Aspekt des besonderen Stellenwertes des Arbeitsgebietes des Zahnarztes, stets zu beachten ist. Wie bereits erwähnt, ist die Mundhöhle seit der frühen Kindheit die Körperregion für Intimitäts – und Kommunikationserfahrung. Im Laufe der Entwicklung der Theorien Sigmund Freuds wird Angst als psychologisches Phänomen eingeordnet, wobei er in seiner ersten Angsttheorie noch von einem physiologischen Geschehen ausging und der Angst die zentrale Position in der Persönlichkeitsentwicklung und der Entstehung seelischer Leiden zuschreibt. Freud nennt als erste Stufe der Sexualität die orale Phase, wobei Zahnverlust mit Kastrationsangst in Verbindung gebracht wird. „Bereits mit seinen ersten Arbeiten (1893, 1895, zitiert nach Krohne, 1996) legte er die Basis für die Trennung zwischen der Emotion Angst und dem Persönlichkeitsmerkmal Ängstlichkeit, 19 Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag, 2004; S.14 und S.16 28 sowie die mögliche Beziehung zwischen den beiden Bereichen“ 20 Aufbauend auf Freuds Theorien finden wir das bereits erwähnte „Trait – State – Angstmodell“ von Spielberger (vgl. S.14). Zu bedenken gilt auch die Verankerung der oralen Region im Sprachgebrauch bei der Äußerung von Gefühlen („die Zähne zusammenbeißen“, „zähneknirschend frustriert sein“ etc.). Wir als Zahnärzte dringen in diesen persönlichen Bereich des Patienten ein und können somit Abwehr – und Angstreaktionen hervorrufen. Kreyer beschreibt im Sinne eines bio – psycho – sozialen Krankheits – und Gesundheitsbegriffes folgende Funktionsdeterminanten des Kauorgans: 1. Kaufunktion 2. Digestionsfunktion 3. Sprache und verbale Kommunikation 4. Haltung und nonverbale Kommunikation 5. Ästhetik, Außenpräsentation und Selbstwahrnehmung 6. Pluripolares „Sinnesorgan“ 7. Stressverarbeitung bzw. Aggressionsabfuhr Zu bedenken gilt, dass die Grenzen zwischen physiologisch und pathologisch fließend sind und das Orofacialsystem darüber hinaus das Manifestationsorgan einer Reihe funktioneller Störungen bzw. psychosomatischer Krankheitsbilder darstellt. 20 Schmitz-Hüser P.M., „Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Zahnbehandlungsangst und kardiovaskulären Parametern bei Betrachtung des affektiven, kognitiven und somatischen Angsterlebens“, Dissertation an der Medizinischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, 2006; S.11; 29 6 6.1 Spezieller Teil Ausdrucksverhalten und Angsterleben der Patienten während einer Zahnbehandlung Die Patienten in der zahnärztlichen Praxis stehen in der Regel unter einer starken emotionalen Belastung. Angst und Nervosität werden neben dem eigentlichen Stress während der Behandlung, durch olfaktorische Stimuli, unbekannte Behandlungsmaßnahmen, spitze Instrumente und die Notwendigkeit, eine fremde Person im Intimbereich des Gesichtes zuzulassen, also eine Einschränkung der Privatsphäre gefördert. Als weiterer Belastungsfaktor, den der Patient je nach Persönlichkeitsdisposition in unterschiedlicher Intensität als bedrohlich empfindet, gilt das Gefühl des „Ausgeliefertsein“ und der scheinbaren Verurteilung zur absoluten Passivität, insbesondere bei Behandlungen im Oberkiefer. Abbildung 5 30 Nicht zu vernachlässigen sind Verhaltensweisen und Eigenschaften des behandelnden Zahnarztes, die zur Entstehung oder Vermeidung von Angstgefühlen beim Patienten beitragen können. Erwünschte Eigenschaften: Unerwünschte Eigenschaften: Klinische Erfahrung, manuelles Geschick Unsanfte Behandlung Zuhören können, sich Zeit für den Patienten nehmen und letztendlich Verständnis für die Situation des Patienten zeigen Sich keine Zeit nehmen Freundlichkeit, Wärme, Ruhe und ein fürsorgliches Verhalten Schmerzen des Patienten nicht ernst nehmen und Vorwürfe erheben, empfindlich zu sein Aufklärung über die anstehende Therapie und damit Aufbau von Vertrauen Gefühlskälte, Arroganz und Überlegenheit Lange Wartezeiten Tabelle 3 In einer Untersuchung von Wöller, Alberti, Bachmann und Birkhoff 21 wurde darauf hingewiesen, dass es ohne Zweifel ganz spezifische angstauslösende Situationen in der zahnärztlichen Praxis gibt. Die Konfrontation mit Nadeln bzw. das Geräusch und die Empfindung des Bohrers gelten in den verschiedensten Untersuchungen stets als die am meisten angstauslösende Stimuli. Gale et al. wiesen zusätzlich darauf hin, dass „die als vorwurfsvoll erlebte Äußerung des Zahnarztes, der Patient „habe schlechte Zähne“ vielfach als noch ängstigender empfunden wurde als der Gedanke an den Schmerz durch eine Spritze“ 22 . 6.1.1 Erfassung der Zahnbehandlungsangst und der Zahnbehandlungsphobie unter Berücksichtigung genderorientierter Aspekte Nach Lang (1985) stellen sich die zu beobachtenden Auswirkungen auf einen angstauslösenden Stimulus in drei Reaktionsebenen dar, die ein „assoziatives, im Gedächtnis verankertes, neuronales Netzwerk bilden.“ 23 21 vgl.: Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989 22 23 Sergl, Müller – Fahlbusch (1989); S.61 Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; S.36 31 Seine Beschreibung der Zahnbehandlungsangst beinhaltet die Information über den angstauslösenden Reiz, die emotionale Beurteilung desselben und die daraus resultierenden motorischen und physiologischen Reaktionen des Patienten: Objektivierbar: Verhalten: - Vermeidung des Stimulus, Flucht - Übererregbarkeit - Gereiztheit - Unruhe - Schreckhaftigkeit - Veränderung der Körperhaltung und des Gesichtsausdrucks Physiologische Veränderungen: - Tachykardie - Atemnot - Schwitzen (Oberlippe, Stirn, Handinnenflächen) - Übelkeit, Diarrhöe - Parästhesien - Zittern - Schlafstörungen Subjektiv: Denken, Fühlen: - Angst, verrückt zu werden - Angst, zu sterben - Konzentrationsschwäche - Unbehagen Tabelle 4 Zur Beurteilung und genauen Messung der Angst bereits vor der zahnärztlichen Behandlung, wurden 1989 von Glanzmann sogenannte Angstindikatoren beschrieben. Zu bedenken gilt, wie Glanzmann auch im Artikel „Methoden zur Messung von Angst und Ängstlichkeit“ in der 1. Jahrestagung des Arbeitskreises Psychologie und Psychosomatik in der Zahn -, Mund – und Kieferheilkunde der DGZMK beschreibt, dass „sich die meisten Indikatoren zwar zur Erfassung der Angst als Organismuszustand (…), nicht aber zur Erfassung des Persönlichkeitsmerkmals 32 Ängstlichkeit, das die latente individuelle Angstbereitschaft refklektiert“ 24 eignen. Die sogenannten Angstindikatoren lassen sich nach der jeweiligen Messebene in 5 Kategorien unterteilen: Biochemische Messung von: Zentralnervöse Erfassung von: Peripher, physiologische Parameter: Motorische Parameter: Verbaler Bereich: Serotonin Frequenz Amplituden – EEG (Alpha -, Beta – Aktivität) Kardiovaskuläre Parameter (Herzrate, Puls, systolischer und diastolischer Blutdruck, periphere Gefäßdurchblutung) Ausdrucksverhalten (Mimik, Gestik, Körperhaltung, Sprach -, Schreibmotorik, Lidschlagfrequenz) Projektive Verfahren Katecholamine Evozierten Potentialen Elektrodermale Parameter (Hautleitfähigkeit, Hautwiderstand) Leistungsverhalten (Reaktionszeit, Lernen, Problemlösen) Fremd beschreibung Lactat Zerebraler Durchblutung (CBF) Respiratorische Parameter (Atemvolumen, Atemfrequenz, CO2 – Verbrauch) Selbst beschreibung Elektromyographische Parameter (Frontalis -, Masseter -, Temporalisaktivität) Pupillengröße Tabelle 5: Angstindikatoren Vor allem im Rahmen von wissenschaftlichen Untersuchungen werden objektivierbare Verfahren zur Erkennung von Angstreaktionen eingesetzt, wobei hier besonders die Bestimmung von biochemischen und physiologischen Indikatoren hervorzuheben ist. Zu bedenken gilt jedoch, dass derartige Erfassungen von Zahnbehandlungsangst wenig praxistauglich sind, da sie sehr unspezifisch sind (z.B. fehlt die zur Beurteilung nötige Ausgangsgröße), der Erfassungsaufwand für den Praxisalltag viel zu groß ist und erst in der direkten Konfrontation mit dem angstauslösenden Stimulus die entsprechenden Werte ermittelt werden können. 24 Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989 33 Daher stellt, neben subjektiv – verbalen Verfahren, eine häufig eingesetzte objektivierbare Methode zur Angsteinschätzung des Patienten die Verhaltensbeurteilung nach Frankl et al. (1962) dar. Besonders bei der Einschätzung von Zahnbehandlungsangst kindlicher oder geistig behinderter Patienten kann die Verhaltensbeurteilung mittels standardisierter Klassifikationen von Nutzen sein. Stark negativ: Geringfügig negativ: Geringfügig positiv: Stark positiv: Verweigerung der Behandlung nach eigenen Aussagen extreme Angst, sehr nervös, Inspektion der Mundhöhle lässt der Patient nur ungern über sich ergehen Geringe Ablehnung, geringe bzw. mittlere Angst, nervös, Inspektion ohne Probleme möglich Vorsichtige Akzeptanz der Behandlung, Fragen oder Verzögerungstaktik, mittlere Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit dem Zahnarzt Gutes Verhältnis zum Zahnarzt, keine Zeichen von Angst, Interesse an der Behandlung und angemessener, verbaler Kontakt Tabelle 6: Verhaltensbeurteilung nach Frankl et al. Zu bedenken gilt, dass auch Vermeidungsverhalten, also eine hohe Anzahl nicht eingehaltener Zahnbehandlungstermine, ein Hinweis für das Vorliegen einer Angststörung sein kann. Dies ist oft von entscheidender Bedeutung was die diagnostische Differenzierung zwischen normaler Angst und Angsterkrankung betrifft, da viele Patienten sich ihre Angsterkrankung nicht anmerken lassen. In einer Verhaltensuntersuchung von Kleinknecht und Bernstein (1978) konnte nachgewiesen werden, dass sich das Verhalten hochängstlicher von dem weniger ängstlicher Patienten im Behandlungsstuhl nicht unterscheidet. Im Wartezimmer allerdings, dort also, wo sich die Patienten unbeobachtet fühlten, ergaben sich aber sehr wohl Unterschiede im Verhalten, wobei ängstliche Patienten mehr Bewegungen und Aktivität zeigten. Oft führt es demnach zu einer Fehleinschätzung der wirklich vorhandenen Angst, da der Patient sein eigenes Verhalten dahingehend steuert, im Zahnbehandlungsstuhl sozial erwünscht zu agieren. 25 In der Literatur besteht Einigkeit darüber, dass subjektive Verfahren zur Erfassung über das Ausmaß einer Zahnbehandlungsangst mittels Selbstbeurteilungsverfahren durch Angstfragebögen von Vorteil sind. Jedoch existieren für zwei im amerikanischen Bereich eingesetzte Verfahren („Dental Anxiety Scale“, „Dental Fear Survey“) einerseits keine 25 vgl.: http://www.oralophobie.de/artikel2.htm 34 deutschsprachigen Äquivalente, andererseits entsprechen sie nicht mehr den heutigen Standards und Anforderungen an Selbstbeurteilungsverfahren. 26 In diesem Zusammenhang möchte ich auf, durch verschiedene Untersuchungen belegte, genderorientierte Unterschiede hinweisen, die die Ehrlichkeit der Beantwortung der Selbstbeurteilungsfragebögen betrifft. Männer neigen häufiger dazu, sich ihrer Angst zu schämen und von der Gesellschaft erwünschte Antworten wie „Männer kennen keine Angst“ zu geben. Das kann zur Folge haben, dass der behandelnde Zahnarzt die Angst des Patienten unterschätzt. 27 (siehe auch „Verfälschungstendenzen bei Angstfragebögen“, Kapitel 6.1.2) Im Laufe der Entwicklung nehmen nicht nur biologische Faktoren, sondern auch Faktoren der Sozialisation, während der von beiden Geschlechtern ein unterschiedliches Rollenverhalten erwartet wird, Einfluss auf die Ausprägung des Merkmals Angst. Buben werden der Rollenerwartung eher gerecht, wenn sie der Erwartung „Ein Junge weint nicht!“ entsprechen, während von Mädchen ein stärkeres emotionales Agieren akzeptiert wird. Durch meine Internetrecherchen lassen sich beispielsweise auch Untersuchungen erwähnen, auf deren Skalen der allgemeinen Angst, aber auch Test – und Schulangst Jungen niedrigere Werte und bei Tests zur Angstleugnung eindeutig höhere Werte als Mädchen zeigen. 28 Weiters finden sich in einem Interview mit Bielstein (seit 1997 selbstständig in einer Praxis für Psychoanalyse und Psychotherapie in Göttingen) im Februar 2003 interessante Ausführungen bezüglich ihrer psychoanalytischen Tätigkeit mit dem Schwerpunkt Angst und Aggression und deren geschlechtsspezifschen Komponenten und Häufigkeitsverteilung. Trotz nicht immer ganz einheitlichen Angaben in verschiedenen Veröffentlichungen spricht Bielstein von einem Verhältnis von 3 : 1, was die Häufigkeit von Angsterkrankungen bei Frauen betrifft. Außerdem betont sie die eindeutigen Zusammenhänge zwischen weiblicher Sozialisation und Angst. Ängstlich – vermeidendes Verhalten und ängstliche Gefühle von Mädchen werden besonders gefördert, wenn auch die Mutter ein solches Verhalten zeigt. Bielstein spricht auch vom „typisch weiblichen“ Umgang mit Angst und Aggression insofern, dass es für Frauen schwerer sei mit Ärger umzugehen, sie dieses negative Gefühl in ihrem Inneren behalten, ihn in 26 vgl.: Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989 27 vgl. Glanzmann (1989) in Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag 28 Castaneda (1956), Sarason (19609, Philips (1962), Hill (1963); vgl. Artikel „Hat Angst eine Geschlechtsspezfik?“: http://www.ortelius.de/tauchen_angst/exam_web-Hat.html 35 das Unbewusste verdrängen und somit mit der Tatsache konfrontiert sind, dass der Ärger ihnen Angst macht. 29 Im Zusammenhang mit der Fragestellung der geschlechtsspezifischen Einflüsse auf die Zahnarztangst sei an dieser Stelle wiederum die Untersuchung von Wöller, Alberti, Bachmann und Birkhoff erwähnt (siehe S.30): Sie führten eine schriftliche Befragung an 206 erwachsenen Patienten vor und nach der Behandlung durch, wobei zusätzlich auch die Zahnärzte selbst gebeten wurden, einen Fragebogen auszufüllen. Auch diese Untersuchung bestätigte eindeutige genderorientierte Unterschiede. Die Frauen gaben vor der Behandlung eine deutlich höhere situationsspezifische Angst an als die Männer, die Angstabnahme vor gegenüber nach der zahnärztlichen Behandlung war bei den weiblichen Patienten größer. Einerseits erwies sich die Beziehung zwischen Geschlecht und Angstabnahme als signifikant, anderseits konnte festgestellt werden, dass ältere Patienten (über 40) sich als deutlich weniger ängstlich als jüngere Patienten erwiesen. Was die Trait – Angst (nach Spielberger, vgl. S.14) betrifft konnten laut dieser Untersuchung erwartungsgemäß keine geschlechtsspezifischen Unterschiede festgestellt werden, betrachtet man allerdings nur die Gruppe der auf Zahnbehandlungsangst bezogenen hochängstlichen Patienten, so lag nur bei den Männern die Trait – Angst über dem Durchschnittswert aller Patienten, nicht hingegen bei den Frauen. Im Rahmen dieser Untersuchung bestätigte sich abermals die Tatsache, dass weibliche Patienten ihre Angst vor einer Zahnbehandlung deutlich häufiger äußerten als männliche Patienten, was wiederum mit „einer an die geschlechtsspezifische Rollenerwartung geknüpfte größere Zulässigkeit, Angst äußern zu dürfen“ 30 , erklärt wurde. Interessanterweise waren die befragten Zahnärzte selbst mehrheitlich der Überzeugung, Männer hätten mehr Angst, was mit der Tatsache in Verbindung gebracht wurde, dass sie die Patienten vor allem hinsichtlich ihrer nonverbalen Ausdrucksweise beurteilten. Weiters ließ die Untersuchung den Schluss zu, dass für Frauen die situationsspezifischen Einflüsse ein größeres Gewicht haben als die persönlichkeitsspezifische Angstdisposition, wobei bemerkt wurde, dass dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch für Männer gelten würde, wenn man die allgemein gültige Ansicht, Männer würden ihre Angst nur bedingt zugeben, beachte. Dass die Geschlechtsvariable erheblichen Einfluss auf die Bereitschaft Angst einzugestehen ausübt, wurde ebenfalls deutlich durch eine von Nippert durchgeführte Befragung einer Stichprobe der Bevölkerung der Stadt Münster 31 . Auch in dieser Untersuchung kam man einerseits zum Ergebnis, dass Frauen signifikant häufiger zugaben, Angst zu haben, andererseits der Anteil derer, die einen erhöhten Angstscore haben, stark erhöht ist. Aus dieser Studie geht außerdem hervor, dass mit längerer Ausbildung und damit eher 29 http://www.angstportal.de/EX09---Interview-mit-Frau-Dr.-Bielstein.html 30 Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989; S.60 31 vgl.: Sergl, Müller – Fahlbusch (1989) 36 gehobenen sozialen Positionen, eine größere Flexibilität was die Rollenverteilung betrifft verbunden ist. Bestätigt wurde durch Nippert auch die oft erwähnte Hypothese, dass vorangegangene schmerzhafte Behandlungserlebnisse die Quelle von Zahnbehandlungsangst darstellen können. In einem Artikel der deutschen Ärztezeitung mit dem Titel „Frauen geben Angst vorm Zahnarzt zu“ vom 23.06.2005 wird auf eine Studie an der Universität Toronto (Kanada) verwiesen, die ergab, dass Frauen eigenen Aussagen zufolge zwar deutlich ängstlicher als Männer sind, dass das vermeintlich starke Geschlecht allerdings sich in einer Art und Weise ängstlich auf dem Zahnarztstuhl verhält, die den meisten Frauen fremd ist. Haas, Locker und Chanpong befragten zu diesem Zwecke 1100 Patienten, wobei 5,5 % angaben, vor einer Zahnbehandlung sehr ängstlich zu sein, und fast die Hälfte der Befragten gab an, aufgrund dessen bereits einmal einen vereinbarten Termin wieder abgesagt zu haben. Weibliche Patienten berichteten zweieinhalb Mal so häufig von Ängsten wie Männer, wobei laut Wissenschaftlern dies mit der Tatsache, dass die männlichen Patienten einfach seltener über ihre Ängste reden wollen, begründeten. „Haas setzt aufgrund seiner Erfahrungen sogar noch einen drauf: "Es sind gerade die jungen, gesunden Männer, die in der Zahnarzt-Praxis oft ohnmächtig werden." (Smi)“ 32 In Rahmen einer Dissertation mit dem Titel „Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Zahnbehandlungsangst und kardiovaskulären Parametern bei Betrachtung des affektiven, kognitiven und somatischen Angsterlebens“ überprüfte Schmitz – Hüser (2006) in Köln unter anderem den Geschlechtereffekt bei Zahnbehandlungsangst. Untersucht wurde hierfür einerseits, ob sich Männer und Frauen in der Zahnbehandlungsangst generell unterscheiden, weitergehend ob sie sich in der Zahnbehandlungsangst über den Verlauf einzelner Situationen betrachtet unterscheiden und ob das Angstempfinden von Männer und Frauen auf der affektiven, kognitiven und somatischen Reaktionsebene differieren. Hierbei ergaben alle Untersuchungen, dass es keinen signifikanten genderorientierten Unterschied in den einzelnen Fragestellungen gibt. 32 vgl.: http://www.aerztezeitung.de/panorama/auch_das_noch/default.aspx?sid=362709 37 6.1.2 Psychologische Untersuchungsinstrumente zur Diagnostik einer Oralophobie Zur Untersuchung, ob eine phobische Störung vorliegt, sind in der Literatur unter anderem folgende, speziell für den zahnärztlichen Bereich entwickelte Fragebögen zu finden: I. II. State – Trait – Anxiety – Inventory (STAI), nach Spielberger et al. (1972) Dental Anxiety Scale (DAS), nach Corah (1969) III. Dental Fear Survey (DFS), nach Kleinnecht et al. (1973) IV. Dental Cognitions Questionnaire (DCQ) nach De Jongh et al. (1995) V. Hierarchischer Angstfragebogen (HAF) nach Jöhren (1999; Universität WittenHerdecke) VI. Kombinierter Fragebogen des Deutschen Institutes für Psychosomatische Zahnmedizin, Psychologie in der Zahnheilkunde und zahnärztliche Psychotherapie mit integrierter visueller Analogskala zur Selbsteinschätzung (VAS) VII. Fragebogen zu Feststellung einer Posttraumatischen Belastungsstörung (Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim) VIII. Fragebogen zur Angsthierarchie (Deutsches Institut für Psychosomatische Zahnmedizin, Psychologie in der Zahnheilkunde und zahnärztliche Psychotherapie, Achern) Wie in der Dissertation von Lehnartz (2003) beschrieben, fehlt es jedoch bisher an einem standardisierten deutschsprachigen Fragebogen zur Erfassung von Zahnbehandlungsängstlichkeit bei Erwachsenen. Deshalb wurde von de Bruin und Neuser das AZI (Aachener Zahnbehandlungsinventar) entwickelt. Weitere existierende Instrumente kommen aus den Niederlanden bzw. aus Amerika: Bei dem DAS (Dental Anxiety Scale) von Corah, Gale und Illing (1978) handelt es sich um einen Erfassungsbogen mit vier vorgegebenen Fragen bzw. Antwortmöglichkeiten („Items“) Hier wird der Patient gebeten, sich in Situationen zu versetzen und anzugeben, wie ängstlich er sich bei der Vorstellung der Situation fühlt, wobei für jede Frage auf einer fünfstufigen Skala die Angstausprägung differenziert werden kann. Dieser Fragebogen enthält jedoch keinerlei Information, wovor sich der Patient am meisten fürchtet, was für die Therapieplanung jedoch von großer Bedeutung wäre bzw. existieren über diese übersetzte Angstscala auch keine Untersuchungen zur Reliabilität und Validität. 38 Der (hierarchische Angstfragebogen HAF) besteht aus 11 Fragen, die jeweils mit fünf unterschiedlichen Angstausprägungen beantwortet werden können. Daraus ergeben sich 3 Gruppen: niedrig Ängstliche – mittelmäßig Ängstliche – hoch Ängstliche. Beim State – Trait – Anxiety – Inventory (STAI / Spielberger, 1972) werden die gleiche Anzahl von Fragen in Richtung Angst oder Anspannung wie in Richtung Wohlbefinden und Entspannung gestellt, da Befragte stets dazu neigen, auf unterschiedliche Fragen grundsätzlich zustimmend zu antworten. Dieser Fragebogen ist einer der wenigen Angstfragebögen, die auch in deutscher Version standardisiert und überprüft wurde, wobei er zur Erfassung von zwei unterschiedlich definierten Angstformen eingesetzt wird: der Zustandsangst (state anxiety) und der überdauernden Eigenschaftsangst (Trait anxiety), die als relativ stabile Persönlichkeitseigenschaft definiert ist. In der Zahnmedizin wird vor allem vom State anxiety – Fragebogen Gebrauch gemacht, da auf diese Weise die Zustandsangst in einer bestimmten Situation und auch die Veränderung des Angstausmaßes im Laufe der Situation erfasst werden können. Das DFS (Dental Fear Survery) von Kleinknecht, Klepac und Alexander (1973) umfass 20 Items, wobei dieser Erfassungsbogen 1993 von Stouthard et al. wegen der ungenügenden Berücksichtigung der verschiedenen Facetten der Zahnbehandlungsangst abgelehnt wurde. Schließlich entwickelten Stouthard et al. den DAI (Dental Anxiety Inventory), wobei hier vier Zeitabschnitte, drei Situationen und drei Reaktionsmodi erfasst werden. Das AZI misst sowohl die situationsspezifische Zustandsangst (state anxiety) als auch die situationsüberdauernde Zahnbehandlungsangst (trait anxiety), unter besonderer Berücksichtigung der Komponente der individuellen Stressbewältigung (Coping). Ziel der Dissertation von Lehnartz, die sich mit der detaillierten Untersuchung von Angst und Angstbewältigung im zahnärztlichen Notdienst beschäftigte, war es, relevante Parameter zu erarbeiten, durch die die Angst eines Patienten rechtzeitig erkannt werden kann. Hierfür wurde ein Fragebogen für die Ermittlung von Zahnbehandlungsängstlichkeit und Zahnbehandlungsangst in der „Trait –“ und „State – Version“ entwickelt, wobei die Messungen an 2 Orten und zu 3 Zeitpunkten erfolgte: im Wartezimmer und im Behandlungszimmer unmittelbar vor und nach der Behandlung. Im Behandlungsraum erhob man den Zahnstatus und es wurden zusätzlich physiologische Werte gemessen, wobei überprüft wurde, inwieweit sich die Zustandsangst im Verlauf der Behandlungssituation veränderte. Schließlich verglich man die Variablen (physiologische Parameter, Alter und Geschlecht) mit der Zustandsangst, wobei sich signifikante Zusammenhänge nur in Verbindung mit dem physiologischen Parameter „systolischer Blutdruck“ ergaben. 39 In bezug auf die Fragestellung meiner Diplomarbeit als sehr bedeutend erwies sich die Tatsache, dass bei der Berechnung der Zustandsangst in der Dissertation von Lehnartz, Frauen in allen Antworttypen (es wurden somatische, kognitive und affektive Komponenten unterschieden) ein höheres Ausmaß an Zustandsangst angaben als männliche Patienten und das sowohl vor der Behandlung im Zahnarztstuhl als auch unmittelbar nach der Behandlung. Die Zustandsangst an sich nahm im Laufe der Behandlung bei allen Patienten ab, wobei der Angstrückgang bei weiblichen Patienten wesentlich größer ausfiel. Hingewiesen wurde abschließend noch auf den gesicherten Zusammenhang zwischen der Mundgesundheit, der Zustandsangst und der Zahnbehandlungsängstlichkeit, wobei die Mundgesundheit wiederum in hohem Maße mit dem Bildungsstand korrelierte. 33 Die Auffälligkeit, dass weibliche Patienten einen durchwegs höheren Grad an Zustandsangst angaben, begründete Lehnartz mit den möglichen Unterschieden in der Erziehung, die es „männlichen Patienten nicht erlaubt, emotionelle Äußerungen erkennen zu lassen“ und der „geringeren Bereitschaft der Männer, über eine Angst zu berichten“ 34 Verfälschungstendenzen bei Angstfragebögen: Generell ist zu beachten, dass bei der Beantwortung von Fragebögen mit zwei Beantwortungsstilen gerechnet werden muss, die zur Verfälschung des Ergebnisses beitragen können. Dies ist einerseits die individuell unterschiedlich ausgeprägte Neigung, auf Fragen gleichwelcher Art grundsätzlich zustimmend zu antworten, wobei diese Quelle der Verfälschung bereits bei der Konstruktion des Fragebogens kontrolliert werden kann, indem etwa gleich viele Fragen in Richtung Angst wie in Richtung Angstfreiheit gestellt werden. Andrerseits bezieht sich eine weitere wichtige Verfälschungstendenz auf die individuellen Unterschiede hinsichtlich der Neigung, sozial erwünschte Antworten zu geben. Dies bezieht sich auf die Bereitschaft, Schwächen zuzugeben bzw. den Wunsch den herrschenden gesellschaftlichen Idealen zu entsprechen, „(…) sie muss über den korrelativen Zusammenhang zwischen dem jeweiligen Verfahren zur Angstmessung und einem Verfahren zur Messung der sozialen Erwünschtheit erschlossen werden“ 35 33 vgl.: Lehnartz C.A.: Inaugural – Dissertation: Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsängstlichkeit unter Berücksichtigung der Angstbewältigung im zahnärztlichen Notdienst, 2003 34 35 Lehnartz (2003); S.45 Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989; S.22 40 6.1.3 Angst und Compliance in der zahnärztlichen Behandlungssituation Abbildung 6 Die Mitarbeit und das kooperative Verhalten des Patienten im Rahmen der zahnärztlichen Therapie ist für den Behandler von großem praktischen Interesse. Unter dem Begriff Compliance wird dieses Verhalten, einschließlich dem konsequenten Befolgen der ärztlichen Ratschläge, zusammengefasst. „Eine gute Arzt – Patienten – Beziehung spiegelt sich in einer guten Compliance als Messgröße für die Effektivität der bestehenden Kommunikation. Als Compliance wird die Bereitschaft des Patienten zur aktiven Mitwirkung an den vom Arzt vorgeschlagenen Maßnahmen bezeichnet.“ 36 Einerseits wird laut Krupka und Steiner die Bindung zum Zahnarzt durch die Zufriedenheit des Patienten gefördert, andererseits wird darüberhinaus auch die ärztliche Leistung höher eingeschätzt, wenn der Patient selbst in die Behandlungsplanung mit einbezogen wird. Das Nichteinhalten von ärztlichen Ratschlägen bzw. die Nichterfüllung von therapeutisch notwendigen Pflichten wird dementsprechend als Non-Compliance bezeichnet. An eine gute Arzt – Patienten – Beziehung sind unweigerlich gewisse Erwartung von beiden Seiten verknüpft, die an dieser Stelle stichwortartig erwähnt sein sollen: 36 Curriculum „Hypnose und Kommunikation“ 07 / Wien 18 / A2; 17. bis 18. 2. 2008; Ausbildungskurs 2 / Grundlagen der ärztlichen Hypnose II; Referenten: Dr. Allan Krupka, Dr. Nick Steiner; S.2 41 Erwartung des Patienten: Erwartung des Zahnarztes gegenüber Patienten: - Im Mittelpunkt stehen - Ausreichend Zeit beanspruchen können - Ungeteilte Aufmerksamkeit - Individuelle Betreuung - Als Mensch wichtig genommen werden - Möglichkeiten, sich am Gespräch aktiv zu beteiligen - Aufklärung über Behandlung, erwartetes Verhalten, erwartete Schmerzen - Kontrolle der Situation - Echtheit, Stimmigkeit, Umgangston wichtig - Aufklärung über Schwierigkeiten oder Nachteile - Angstreduzierende Maßnahmen während der Behandlung - Behandlung (serfolg) liegt in Verantwortlichkeit des Zahnarztes - Positive Einstellung zur Mundgesundheit - Realistische Erwartungshaltung - Psychisch ausgeglichen - „Angstfrei“ - Gute Compliance Tabelle 7 In diesem Zusammenhang ist es unerlässlich, sich die Frage zu stellen, inwieweit Zahnbehandlungsangst die Compliance bzw. Non – Compliance beeinflusst? Im Rahmen einer Repräsentativerhebung Mitte der 70er Jahre in den Vereinigten Staaten wurden 7787 Personen mittels eines persönlichen Interviews zum Thema, inwiefern Angst das Aufsuchen des Zahnarztes beeinflusst, befragt. Dabei gaben 18,1 % der Erwachsenen an, Angst sei ein Hindernis für den Zahnarztbesuch. Interessant hierbei war die Tatsache, dass dabei der Anteil der Frauen (21,1 %) gegenüber dem der Männer (13,8 %) deutlich überwog. Bei der gleichen Fragestellung während derselben Erhebung für 1895 Kinder bis zu 13 Jahren gaben deren Eltern in 5,1 % der Fälle an, dass Angst sie an einem zahnärztlichen Besuch hindere. Hier waren jedoch eindeutig die Jungen (7,1 %) im Verhältnis zu den Mädchen (3,2 %) überrepräsentativ. 37 Laut ähnlicher Studienergebnisse im Rahmen meiner Literaturrecherche (Schuurs et al., Gatchel et al., Hällström und Halling, Todd et al., Keinknecht) bestätigte sich einerseits die Tatsache, dass hohe Zahnarztangst die Patienten von einem regelmäßigen Zahnarztbesuch abhalte bzw. sie zumindest dazu bringt, Termine aus Angst hinauszuschieben, andererseits belegten diese 37 vgl.: Becker, Huppmann u. Wilker in Sergl u. Müller – Fahlbusch, „Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin“, Quintessenz 1989; S.40f 42 Untersuchungen, dass Frauen viel häufiger Zahnarztangst angaben. Besonders bei Befragungen im Wartezimmer berichtete Laux von einer Studie von Margraf – Stiksrud, nach der 37 % der Frauen, aber nur 8 % der Männer in dieser Situation Angst angaben Berichtet wurde jedoch auch vom Widerspruch, dass sich bei Frauen, trotz hoher Zahnbehandlungsangst, in größerer Zahl eine gute Compliance hinsichtlich des präventiven Zahnarztbesuches findet, wobei dies damit erklärt wurde, dass weibliche Patienten ihre Ängste leichter eingestehen und größere Ansprüche hinsichtlich ihrer dentofacialen Ästhetik stellen. Der Zusammenhang zwischen Behandlungsangst und störendem Patientenverhalten in der Behandlungssituation hinsichtlich der Therapiekooperativität gilt als gesichert. Ingersoll berichtete von einer vergleichbaren geschlechtsspezifischen Situation wie bei den Erwachsenen. Mädchen beschreiben sich im Vergleich zu Jungen zwar als ängstlicher, sie sind während der zahnärztlichen Behandlung jedoch keineswegs unkooperativer. 38 6.2 Zusammenhänge zwischen Angst und Schmerz Laut einer Untersuchung von Klepac (1980), in der bis zu 77% der Patienten angaben, während der Zahnbehandlung unter Schmerzen gelitten zu haben, wird angenommen, dass ängstliche Patienten schmerzempfindlicher sind als wenig ängstliche Patienten. Bestätigt wird dies auch durch eine Laborstudie von Hill (1952), in der gezeigt wurde, dass hoch ängstliche Patienten Strahlungshitze und elektrische Reize als schmerzvoller empfanden als weniger Ängstliche und durch Lautch (1971), der belegte, dass sich die Schmerzreizschwelle in Abhängigkeit von der Angst der Probanden veränderte. 39 . Es erscheint plausibel, dass sich Schmerzerleben und Angst auf Grund ihrer subjektiv emotionalen Komponenten gegenseitig beeinflussen. Diese Verbindung und gegenseitige Beeinflussung wurde von Müller – Fahlbusch (1991) auch als „Angst – Schmerz – Spannungs – Syndrom“ bezeichnet. Sogar medizinische Bildgebungsverfahren (funktionelle Magnetresonanztomografien = fMRT) verdeutlichen den Zusammenhang zwischen Angst und Schmerz, indem sie quasi verbildlichen, dass Angst und Furcht vor Schmerzen das Schmerzerleben stark beeinflussen können. Aus folgender Untersuchung ging hervor, dass Schmerzen in Abhängigkeit von der Stärke der Angst und Furcht unterschiedlich wahrgenommen und bewertet werden. 38 vgl.: Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989 39 vgl.: Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag 43 In einer Studie aus den USA wurden mithilfe der fMRT die neurologischen Grundlagen dieser Zusammenhänge und die dabei aktiven Hirnregionen identifiziert. Während der fMRT wurden Probanden jeweils einem schmerzhaften und einem nicht – schmerzhaften thermischen Reiz ausgesetzt, wobei anschließend die Gehirnaktivität bei beiden Stimuli miteinander verglichen wurde. Zusätzlich wurde anhand von Fragebögen bei den Patienten der Grad ihrer Angst und Furcht vor Schmerzen bestimmt. Als Ergebnis dieser Studie war der Grad ihrer Furcht vor Schmerzen eindeutig verknüpft mit Aktivität im anterioren und posterioren cingulären Cortex. Diese Regionen des Gehirns korrelieren mit der Bewertung von emotionalen und externen Stimuli, wobei diese Tatsache von den Autoren damit erklärt wurde, dass Menschen mit großer Furcht vor schmerzhaften Erlebnissen den Schmerzreizen eine erhöhte Aufmerksamkeit schenkten. Eine verstärkte Aktivität im Gehirn abhängig von der Furcht vor Schmerzen konnte im rechten lateralen orbitalen präfrontalen Cortex, wo mögliche affektive Reaktionen auf den Schmerzreiz bewertet und gesteuert werden, gefunden werden. Anhand der Untersuchung bestätigte sich außerdem, dass mit der Ängstlichkeit der Patienten bei Schmerzen die Aktivität im medialen präfrontalen Cortex verknüpft war. Diese Region des Gehirns wird in Zusammenhang mit der auf sich selbst bezogenen Aufmerksamkeit gesehen, woraus der Schluss folgt, ängstliche Personen scheinen ihren inneren Zustand stärker zu überwachen. 40 Abbildung 7 40 Quelle der amerikanischen Studie mithilfe der fMRT: Ochsner K N, Ludlow D H, Knierim K, Hanelin J, Ramachandran T, Glover G C, Mackey S C: Neural correlates of individual differences in pain-related fear and anxiety. Pain 120 (2006) 69-77 http://www.problemkreis-sad.de/1931_DEU_HTML.asp http://www.dr-rgmueck.de/Wissenschaftsinfos/SAD/Bildgebung-Schmerz-Angst.htm 44 6.2.1 Definition und physiologische Grundlagen des Schmerzes Bradley hat 1995 versucht, den Begriff „Schmerz“ zu definieren (International Association for the study of pain 1979): Bei Schmerzen handelt es sich immer um eine unangenehme Empfindung oder emotional gefärbte Erfahrung, die mit einer Gewebezerstörung verbunden ist oder mit Eigenschaften einer möglichen Zerstörung umschrieben wird, wenn es sich um einen chronischen Schmerz handelt. Schmerz ist stets subjektiv, eine ganz persönliche Erfahrung und der Maßstab für die subjektive Schmerzbewertung wird von der Schmerzerfahrung der Person in der Vergangenheit bestimmt. Da der Schmerz eine ausgeprägte emotionale Komponente beinhaltet, ist es unmöglich zwischen dem Schmerz durch akute Gewebszerstörung und dem, der nicht auf eine Verletzung (chronischer Schmerz) beruht, zu differenzieren. Schmerz kann man als Ergebnis der Reizung eines Schmerzrezeptors verstehen, doch ist der rein physiologische Vorgang der Schmerzentstehung als Aktivität in den Nozizeptoren und Schmerzbahnen (Schmerzrezeption) nicht mit dem empfundenen Schmerz (Schmerzperzeption) gleichzusetzen. 41 Aus der Literatur geht hervor, dass die Existenz von spezifischen Schmerzrezeptoren lange Zeit angezweifelt wurde. Die rein physiologische Betrachtungsweise reichte nicht aus, um die oben erwähnte subjektiv – perzeptive Komponente des Schmerzes im Gegensatz zu unseren anderen Sinnesmodalitäten zu erklären. Erst die sogenannte „Gate – Control – Theorie“ von Wall und Melzack (1965) machte es möglich, beide Ansätze des Schmerzverständnisses in eine Theorie zu integrieren, die berücksichtigt, dass es verschiedene psychologische Einflüsse gibt, die das individuelle Schmerzerleben beeinflussen können. Zu diesen Einflüssen zählen zum Beispiel Erfahrungswerte aus der Vergangenheit, kulturelle Faktoren, das Prinzip des Modelllernens etc. 41 vgl.: Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; 2002 45 Abbildung 8: Gate – Control - Mechanismus S = spinale Afferenzen SG = spinales Tor T = Transmissionszellen Die „Gate – Control – Theorie“ besagt, dass in den Hinterhörnern des Rückenmarks die Aktionspotentiale afferenter spinaler Neurone (S) durch einen Gate – Mechanismus moduliert werden können, das Tor durch langsam leitende Fasern von Nozizeptoren geöffnet wird und durch schnell leitende Fasern, die mechanische, schmerzlose Reize übertragen, geschlossen werden kann (Antagonismus der „dünnen“ und der „dicken“ Fasern). Der Gating – Mechanismus (SG) kann darüber hinaus durch absteigende Nervenimpulse vom Cerebrum moduliert werden. …alle sensorischen Afferenzen projizieren, der Theorie zufolge, teils direkt (C-Fasern), teils mit Kollateralen der Hinterstrangaxone (A-Fasern) auf die hypothetischen Transmissionszellen (T). Deren Entladungsrate stellt dann das Ergebnis der bahnenden und hemmenden Entladungsrate der beiden antagonistischen Fasern dar und führt zu einer schmerzhaften oder einer anderen Sensation. Diese Theorie vermag zu erklären, warum taktile Reize helfen können, einen akut empfundenen Schmerz zu lindern…. „Die „Gate – Control – Theorie“ nach Melzack und Wall (1965) weist darauf hin, dass der subjektiv empfundene Schmerz keine objektiv messbare Größe darstellt, sondern verschiedenen Modifikationsmöglichkeiten, vor allem im Bereich der Substantia gelatinosa des Hinterhorns, unterliegt.“ 42 42 Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag, 2004; S.74 46 Die Schmerzwahrnehmung setzt sich nach dieser Theorie demnach zusammen aus dem auslösenden Reiz und psychologischen Aspekten der Schmerzverarbeitung, deren Qualität und Intensität von der individuellen Vorerfahrung und dem aktuellen psychophysischen Zustand des Patienten abhängig ist. 6.2.2 Messung und diagnostische Kriterien des Schmerzempfindens in Zusammenhang mit Zahnbehandlungsangst Obwohl der technische Fortschritt uns Zahnärzten es heutzutage ermöglicht, den Patienten weitgehend schmerzfrei zu therapieren, finden sich in der Literatur immer wieder gegenteilige Angaben der Patienten. „Dabei wird in der Regel angenommen, dass ängstliche Patienten schmerzempfindlicher sind (…), weil sich Schmerzerleben und Angst auf Grund ihrer subjektiv emotionalen Komponenten beeinflussen können.“ 43 Der Zusammenhang von Angst und Schmerzempfinden ist bis heute nicht eindeutig geklärt. 1998 erforschte Jöhren in einer eigenen experimentellen, algesimetrischen Untersuchung an 102 Probanden mittels eines elektrischen Pulpareizgerätes die sogenannte Empfindungsreizschwelle bei einer sich langsam steigernden Stromstärke an gesunden, oberen Inzisivi. Diese erste Empfindung unterschied sich deutlich von der darüber liegenden Schmerzreizschwelle, die bei den Probanden erst bei höheren Stromstärken provoziert werden konnte. Neben dieser Erfassung der Empfindungsreizschwelle wurde nun als zusätzlicher Parameter die Zahnbehandlungsangst nach Corah (1969) über einen Fragebogen erfasst, der die Einteilung von wenig über mittelmäßig bis hoch ängstlich ermöglichte. Die Ergebnisse dieses Vorgehens bestätigten, dass ängstliche Patienten den gleichen Schmerzreiz als schmerzhafter empfinden als nicht ängstliche Patienten, wobei sich die Empfindungsreizschwelle bei stärkerer Angst aber nicht verschiebt.44 43 Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; 2002; S.25 44 vgl.: Jöhren, Sartory (2002) 47 6.2.3 Genderorientierte Aspekte von subjektivem Schmerzempfinden bei zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen in Verbindung mit Zahnbehandlungsangst Laut einer Studie nach Gleissner zufolge am Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz wurden neben der Verstärkung des subjektiven Schmerzempfindens durch Zahnarztangst, eindeutige geschlechtsspezifische Unterschiede in der Prävalenz und dem Ausmaß von Zahnbehandlungsangst und der Angst vor zahnärztlichen Maßnahmen bestätigt. Für diese Untersuchung füllten 398 Patienten aus der Zahnarztpraxis (156 m/242 w, 39,9 ± 12,8 Jahre alt) einen dreiseitigen Fragebogen aus (demographische Variablen, Regelmäßigkeit des Zahnarztbesuches, Schmerzmittelkonsum, Angst vor der zahnärztlichen Behandlung und Bewertung der Schmerzintensität zahnärztlicher Behandlungsmaßnahmen auf einer Likert-Skala (ein nach Likert benanntes Skalierungsverfahren in der empirischen Sozialforschung zur Messung von persönlichen Einstellungen: 1 = überhaupt nicht schmerzhaft bis 5 = nicht zu ertragen). Die Zahnarztangst wurde mithilfe der Dental Anxiety Scale (DAS) und des Dental Fear Survey (DFS) gemessen. Die Ergebnisse der Studie zeigten signifikant höhere Mittelwerte von DAS und DFS bei Frauen als bei Männern. Bei beiden Geschlechtern waren DAS und DFS eindeutig korreliert mit dem Schmerz, der bestimmten Behandlungsmaßnahmen zugeschrieben wurde, wobei die wahrgenommene Schmerzintensität zahnärztlicher Maßnahmen bei Patienten, die angaben, sehr ängstlich zu sein oder den Zahnarzt nur selten aufsuchten signifikant höher war. Aus der Untersuchung ging auch hervor, dass das männliche Geschlecht die zahnärztliche Behandlung tendenziell schmerzhafter bewerteten als Frauen. 45 6.2.4 Möglichkeiten der Schmerzreduktion Jöhren und Sartory unterscheiden im Rahmen ihres therapeutischen Behandlungskonzeptes der Zahnbehandlungsangst und der Zahnbehandlungsphobie primär anxiolytische Verfahren (siehe dazu Kapitel 6.6.2) und primär schmerzreduzierende Verfahren. 46 Zu den primär schmerzreduzierenden Methoden zählen einerseits medikamentöse Verfahren wie Lokalanästhesie und Narkose, andererseits nicht medikamentöse Verfahren wie Audioanalgesie, TENS, Akupunktur, Hypnose etc. Diese Methoden kommen hauptsächlich bei normal ängstlichen Patienten zum Einsatz, wobei ihre Anwendung durch den Umfang der zahnärztlichen Therapie und somit durch das Ausmaß der zu erwartenden Schmerzen bestimmt wird. 45 vgl.: Studie: „Geschlechtsspezifische Aspekte von Zahnarztangst und subjektivem Schmerzempfinden bei zahnärztlichen Behandlungsmaßnahmen“ am Klinikum der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (Zahnerhaltung, Priv. Doz. Dr. Dr. Christiane Gleissner) http://www.dgz-online.de/dgz_tagung_2008.pdf69 46 vgl.: http://www.oralophobia.de/artikel3.htm 48 Medikamentöse Verfahren: Zur Schmerzausschaltung stehen in der Zahnheilkunde die Leitungs – und Infiltrationsanästhesie zur Verfügung, wobei vor allem bei Kindern und Patienten, die vor der Injektion Angst haben, eine Oberflächenanästhesie vor dem Einstich empfehlenswert hilfreich ist. Zu diesem Zweck können Benzocainsalben (20%ig) in verschiedenen Geschmacksrichtungen oder flüssige Anästhesiesprays verwendet werden. Sie sollte jedoch nicht direkt auf die Schleimhaut gespritzt werden, sondern auf einen Watteträger, der dann auf die Schleimhaut gelegt wird, wobei vor der Injektion mindestens 1 Minute gewartet werden sollte. Eine geringere Schmerzperzeption während des Einstichs wird auch durch Ausübung von Druck mit dem Mundspiegel an der prospektiven Einstichstelle unmittelbar vor der Injektion erreicht. Durch den Druck direkt vor der Anästhesie wird der Patient von dem Einstichschmerz kurz abgelenkt und die Reizung der Mechanorezeptoren in der Umschlagfalte vermindert zentral die Schmerzperzeption verursacht durch den Einstich, wobei als Erklärung für diesen Mechanismus die Gate – Control – Theorie herangezogen werden kann (siehe S.44). In der Literatur wird vielfach erwähnt, dass sich viele Patienten oft nicht vor dem Einstich, sondern aufgrund ihrer Erfahrung vor dem tauben Gefühl in der Zunge oder Lippe, häufig verbunden mit Schluckproblemen nach einer Leitungsanästhesie fürchten. Daher sollte bei guter Mundhygiene auch die Möglichkeit einer intraligamentären Anästhesie in Betracht gezogen werden. In diesem Zusammenhang wird der Einsatz von Injektionsgeräten (z.B. „CitoJect“ der Firma Heraeus-Kulzer, siehe Abb. 7; „UltraJect“ der Firma Aventis), die wenig Ähnlichkeit mit der herkömmlichen Spritze haben, häufig als sehr nützlich angeführt. Abbildung 9 Diese Injektionsgeräte haben den Vorteil, dass die Druckkraft auf 100 N begrenzt ist und somit eine Traumatisierung des umliegenden Gewebes und ein Zerspringen der Lokalanästhesieampullen bei dem hohen Druck während der Injektion verhindert wird. Die Dosierung ist auf 0,2 ml Lokalanästhetikum pro Hub eingestellt, außerdem eignen sich diese Geräte auch zur herkömmlichen Infiltrationsanästhesie. 47 Eine Behandlung von Patienten mit Zahnbehandlungsphobie unter Allgemeinanästhesie setzt ein 47 vgl.: Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; 2002 49 ausführliches Informationsgespräch bezüglich Ätiologie der Angst bzw. aller zur Verfügung stehenden anxiolytischen Verfahren (siehe S.77: Anxiolysekonzept nach Kreyer) voraus, denn es gilt zu bedenken, dass der Angstpatient durch eine Behandlung in Narkose in seinem Vermeidungsverhalten unterstützt wird. – Eine Behandlung in Allgemeinanästhesie, während der im Gegensatz zur Prämedikation und Analgosedierung das Bewusstsein und die Schmerzempfindung vollständig ausgeschaltet und die vegetativen Reflexe gedämpft werden, sollte dem Patienten bei einem Misserfolg der alternativen Therapien als ultima ratio zur Verfügung stehen. Die ambulante Durchführung einer zahnärztlichen Therapie unter Allgemeinanästhesie umfasst folgende strenge Indikationsliste: 9 Angststörungen in Verbindung mit einer erforderlichen Notfallbehandlung 9 Angststörungen in Verbindung mit multiplen Extraktionen oder Osteotomien 9 Behandlungsunwilligkeit trotz versuchter psychologisch unterstützter Führung des Patienten 9 Ablehnung einer Behandlung unter Analgosedierung 9 Altersbedingte Trotzphase von Kleinkindern 9 Versorgung zerebral Behinderter mit eingeschränkter oder fehlender Kooperation 9 Abnormer Würgereiz 9 Keine Eignung des geplanten operativen Eingriffes für ein Lokalanästhesieverfahren: - Kontraindikationen aufgrund von systemischen Erkrankungen - entzündliche Prozesse mit zu erwartender unzureichender Schmerzausschaltung - ausgedehnte Sanierungen etc. Kontraindikationen liegen vor, wenn: 50 9 der Patient, bzw. sein Betreuer, nicht in eine Narkose einwilligt 9 eine postnarkotische Betreuung nicht gewährleistet ist 9 der Patient die Nahrungskarenz (Erwachsene 6 Stunden, Kleinkinder 4 Stunden) nicht eingehalten hat 9 das Narkoserisiko beurteilt durch den Anästhesisten aufgrund internistischer Begleiterkrankungen zu hoch ist 9 bei Wahleingriffen eine akute, fiebrige Infektion vorliegt 9 eine Intubation nicht möglich ist 9 Immobilität vorliegt (z.B. Tetraplegiker). Weiters gelten folgende Richtlinien: Anästhesiologische Kriterien für ambulante Operationen: 9 OP-Dauer maximal 60-90 Minuten 9 minimales Blutungsrisiko (die Wahrscheinlichkeit einer transfusionspflichtigen Blutung sollte unter 1% liegen) 9 keine Laparotomie (außer Herniotomie), keine intrathorakalen und intrakraniellen Eingriffe 9 keine Eingriffe mit voraussehbarer Beeinträchtigung der Vitalfunktionen 9 Beschränkung auf etablierte OP-Techniken 9 Operationen mit erhöhtem Blutungsrisiko sowie Eingriffe, die eine postoperative parenterale Ernährung (z.B. abdominalchirurgische Eingriffe) erfordern, werden aufgrund der damit verbundenen Risiken nicht ambulant durchgeführt. 9 Chirurgische Eingriffe mit einer Operationsdauer von mehr als zwei Stunden und einem vorhersehbaren starken Analgetikabedarf sind als grenzwertig einzustufen. 9 Die Voruntersuchungen werden von Hausarzt, Operateur und Anästhesisten in Zusammenarbeit veranlasst bzw. durchgeführt. 51 9 Die Beurteilung der Narkosefähigkeit, die Freigabe für die Narkose und die Wahl des für den Eingriff angemessenen Anaesthesieverfahrens fallen grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des Anästhesisten. 9 Die „Deutsche Gesellschaft für Mund-, Kiefer und Gesichtschirurgie“ stellt weiter fest, dass eine Allgemeinanästhesie nur indiziert ist, wenn eine andere Art der Schmerzausschaltung nicht möglich ist und dass es psychische Erkrankungen und Behinderungen gibt, die eine Narkosebehandlung erfordern. Was muss der zahnärztliche Behandler tun? Besteht die Vermutung, dass ein Patient unter Oralophobie leidet, so sollte dies unbedingt durch den Einsatz der spezifischen Fragebögen verifiziert und dokumentiert werden. Liegt dann eine Narkoseindikation nach ICD10-GM-F40.2 (Oralophobie) vor, so sollte der Behandler zu seiner Sicherheit diese Diagnose durch einen Facharzt für Psychotherapeutische Medizin oder einen klinischen Psychologen bestätigen lassen. Ist der Patient nach den Indikationskriterien (s.o.) nicht zu behandeln, so ist eine Narkose indiziert. 48 Dem Wunsch eines Patienten mit Zahnbehandlungsangst bzw. Zahnbehandlungsphobie nach einer Behandlung unter Allgemeinanästhesie sollte also ausschließlich bei Vorliegen der richtigen oben genannten Indikationen folge geleistet werden, da nicht zuletzt im Hinblick auf juristische Anforderungen der Entscheidung strenge Maßstäbe zugrunde liegen müssen. 48 vgl.: http://www.oralophobie.de/cgi-bin/macher_pub_fachinfo.pl?rubrik=4 52 Nicht medikamentöse Verfahren: Vor allem Patienten mit einer isolierten Spritzenphobie fordern eine Alternative zur lokalen Anästhesie, da bei diesen Menschen die Angst vor dem Einstich der Spritze eine wesentliche Rolle spielt. In der Literatur wird vielfach der Einsatz von Audioanalgesie, Akupunktur und die transkutane Elektronervenstimulation (TENS) hinsichtlich ihres analgetischen Effektes untersucht. Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) stellt eine nicht invasive Methode zur Schmerzbeeinflussung dar, wobei die elektrische Stimulation hierbei unspezifisch mittels zweier oder mehrerer Plattenelektroden erfolgt. Diese werden nach festgelegtem Muster auf die Haut aufgebracht, die benötigten Ströme werden durch kleine batteriebetriebene Geräte generiert und sind je nach Art der Schmerzen nieder – oder hochfrequent. 49 Abbildung 10 „Erhöhungen der Empfindungsreizschwelle nach pulpaler elektrischer Reize an Zähnen konnten unter TENS (Wilder – Smith 1990, Jöhren 1998), Akupunktur (Mumford 1973, Kampik 1991) und Audioanalgesie (Weißenborn 1985, Standley 1986, Klages 1998) beobachtet werden.“ 50 Trotz dieser Beobachtungen besteht bis heute keine Einigkeit darüber, ob es sich bei der Dämpfung der Schmerperzeption durch die oben angeführten Verfahren um einen Ablenkungseffekt von den Umgebungsgeräuschen und Schmerzen der Behandlung, um einen Placeboeffekt oder um eine Art der Hypnose oder Entspannungstechnik handelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die wenigsten Studien den komplizierten Aufbau des schmerzverarbeitenden Systems berücksichtigen und ein unsicherer Umgang mit den eindeutig definierten Begriffen wie Analgesie, Anxiolyse, Schmerzrezeption und Schmerzperzeption herrscht. Nahezu alle Studien belegen, dass bei Betrachtung der einzelnen Probanden die Wirksamkeit von TENS interindividuell schwankt. 49 vgl.: Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; 2002 50 vgl.: http://www.oralophobia.de/artikel3.htm 53 Jöhren und Sartory (2002) empfehlen die Verwendung intraoraler Elektroden, da diese in verschiedenen Untersuchungen (Buddenberg 1994, Rahn et al 1996, Jöhren 1998) eine bessere Wirksamkeit der TENS zur Beeinflussung akuter Schmerzen während der Zahnbehandlung im Gegensatz zu den extraoralen Klebeelektroden zeigen. Als Grund hierfür werden die geringeren erforderlichen Spannungsamplituden, um die gleiche intraorale Empfindung zu produzieren, genannt. „Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) in Verbindung mit der intraoralen Ringelektrode erhöht bei akuten elektrischen Schmerzreizen die Vorschmerzreizschwelle um 30 %. Diese eher moderate Erhöhung der Empfindungsreizschwelle spricht lediglich für einen hypalgetischen Effekt der TENS. Eine vollständige Analgesie (…) kann mit TENS nicht erreicht werden.“ 51 Generell gilt die oben genannte Methode zur Schmerzreduktion als unterstützende Behandlung von ängstlichen Patienten als empfehlenswert, stellen jedoch keine Alternative zur Lokalanästhesie dar und sind als alleinige Verfahren bei Patienten mit Zahnbehandlungsphobie, die eine sichere Schmerzausschaltung fordern, abzulehnen. Die TENS stellt nach Kreyer eine Technik seines Konzeptes der „Integrativen Anxiolyse“ (siehe S.77) dar, mit der es in vielen Fällen gelinge, das subjektive Schmerzempfinden auf nichtinvasive Weise zu reduzieren. Unter Audioanalgesie wird die Beeinflussung der Schmerzperzeption durch die Besetzung der Hörbahn verstanden (Weißenborn 1985), wobei Gardner und Licklider 1959 als erster diesen Begriff verwendeten. Allererste Hinweise auf die Verwendung von Musik im Rahmen einer Narkoseeinleitung gibt es bereits durch Kronfeld im Jahre 1901. Im deutschsprachigen Raum kam es durch Herrmann in den 60er Jahren zum Einsatz der Audioanalgesie bei kleineren zahnärztlichen Eingriffen wie Füllungstherapie und Zahnsteinentfernung, der hierbei eine Verlängerung der Reaktionszeiten nach einem optischen Reiz bemerkte und somit den Schluss zog, dass Audioanalgesie über Ablenkung wirken müsse. Auch Barlett (1967) teilte diese Meinung, dass diese Methode über Suggestion und Ablenkung zu erklären sei. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die in der Literatur beschriebenen Meinungen über die Effektivität der Methode der Audioanalgesie mittels Musik oder Geräuschen zum Verdecken des Turbinengeräusches und ihren Wirkmechanismen weit auseinander gehen. Darüberhinaus finden sich auch unterschiedliche Hinweise bezüglich der zu verwendenden Lautstärke. Obwohl bis heute keine Einigkeit darüber herrscht, ob es sich bei dieser Methode der Dämpfung der Schmerzperzeption unter Musik um einen Placeboeffekt, um einen Ablenkungseffekt von den Umgebungsgeräuschen oder um eine Spielart der Hypnose und Entspannung handelt, stellt die Audioanalgesie dennoch eine praxisrelevante Methode dar, die sich mit einfachen Mitteln umsetzen lässt. Audioanalgesie wird zur unterstützenden Behandlung von ängstlichen Patienten 51 Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; 2002; S.86 54 empfohlen, ihr alleiniger Einsatz bei Patienten mit Zahnbehandlungsphobie ist jedoch abzulehnen. 52 Kreyer beschreibt die Audio – Analgesie gleich wie die TENS als eine der Stufen in seinem Schema der „Integrativen Anxiolyse“ (siehe S.77) folgendermaßen: „Das Prinzip der Audio – Analgesie beruht (…) einerseits auf der Blockade und Defokussierung negativer Sinneseindrücke durch dominierende, bewusst herbeigeführte positive Eindrücke sowie andererseits auf der Kupierung emotional negativ besetzter akustischer Reize.“ 53 Bereits 1954 konnten durch Ellis und Brighouse der Nachweis gebracht werden, dass insbesondere rhythmische Musik respirationsfördernd wirke und vor allem melodische Musik zu einer Abnahme der Atemfrequenz und zu psychophysischen Entspannung im Sinne eines Biofeedbacks führe. Die Akupunktur ist ein Behandlungskonzept der traditionellen chinesischen Medizin, die auf der Lehre von Yin und Yang basiert. Erst später wurde diese durch die Fünf-Elemente-Lehre und der Lehre von den Meridianen ergänzt. Die Akupunktur kennt drei Verfahren: 1. Einstechen von Nadeln in die Akupunkturpunkte 2. Erwärmen der Punkte (Moxibustion) 3. Massage der Punkte (Akupressur) In der Akupunktur, einer Umsteuerungs – und Regulationstherapie, werden rund 400 Akupunkturpunkte benutzt, die auf den so genannten Meridianen angeordnet sind. Man kennt heute das vereinfachte Modell von zwölf Hauptmeridianen, die jeweils spiegelbildlich auf beiden Körperseiten paarig angelegt sind. Ergänzt wird dieses Modell durch acht Extrameridiane und eine Reihe von sogenannten Extrapunkten. Laut dem Glauben vieler Vertreter der traditionellen chinesischen Medizin wird durch das Einstechen der Nadeln der Fluss des Qi (Lebensenergie) beeinflusst, was jedoch nicht wissenschaftlich bewiesen ist. 54 Die Akupunktur konnte sich allerdings trotz erfolgreicher Fallberichte in Europa aufgrund fehlender klinisch kontrollierter Studien bis heute nicht als Methode zur Lokalanästhesie oder zur Allgemeinanästhesie durchsetzen. Auch in der Zahnheilkunde sind bisher keine kontrollierten Studien bekannt, die den Einsatz der Akupunktur als Alternative zur Lokalanästhesie empfehlen. Jöhren und Sartory (2002) untersuchten in einer experimentellen, algesimetrischen Studie an 24 Probanden, ob die pulpale Empfindungsreizschwelle an gesunden 52 vgl.: Jöhren, Sartory (2002) 53 Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag, 2004; S.96 54 vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Akupunktur 55 Frontzähnen mittels Körperakupunktur erhöht werden kann. Aufgrund der Ergebnisse ihrer Untersuchung empfehlen sie, dass die Akupunktur, trotz nachweislich deutlicher Erhöhung der Empfindungsreizschwelle, die offensichtlich nicht nur auf einem Placeboeffekt beruht, keine Alternative zur Lokalanästhesie darstellen kann. Jöhren und Sartory (2002) geben hierfür 3 Begründungen an: ¾ Es ist eine verhältnismäßig lange Latenz bis zum Wirkungseintritt erforderlich. ¾ Der Therapeut muss in der Technik der Akupunktur erfahren sein. ¾ Die schmerzbeeinflussende Wirkung der Akupunktur fällt unterschiedlich stark aus und ist bei Non – Respondern nicht vorhanden. 6.3 Arzt – Patienten - Kommunikation im Sinne des „ ärztlichen Gespräches“ Eine befriedigende Patient-Arzt-Beziehung sollte von gegenseitigem Vertrauen und ausreichendem gegenseitigem Informationsfluss gekennzeichnet sein. Zu bedenken gilt, dass hierbei die fachliche Beziehung in jedem Fall asymmetrisch bleibt, obwohl rechtlich gesehen der Patient jedoch jederzeit vom Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen kann. Der behandelnde Arzt sollte sich stets der Tatsache bewusst sein, dass die Qualität der Anamnese und der Therapie deutlich steigen, wenn sich der Patient nicht ausgeliefert, sondern verstanden fühlt und somit auch Therapievorschläge besser akzeptieren werden. Zu bedenken gilt auch, dass nicht selten vorhandene Angst des Zahnarztes vor seinem schwierigen Patienten im Sinne der Übertragung ein konstruktives Arzt – Patienten – Verhältnis bzw. eine entspannte Behandlungssituation verhindern kann. 6.3.1 Der Stellenwert der Kommunikation und Interaktion in der zahnärztlichen Versorgung Allein durch eine offene und umfassende Kommunikation bei allen Behandlungsschritten kann der Zahnarzt einen großen Teil dazu besteuern, dass die Patienten ohne Vorbehalte in die Praxis kommen. „"90 Prozent der Zahnarzt-Ängste können durch einen guten Umgang des Zahnarztes mit dem Patienten abgebaut werden", sagt der Psychologe Prior.“ (Deutsche Ärzte Zeitung vom 20.12.2005; „Wenn die Angst vor dem Zahnarzt zur Krankheit wird“, von Gerullis) 56 Laut Patientenbefragungen bezogen auf ihre Zufriedenheit mit bestimmten Verhaltensweisen ihres zahnärztlichen Behandlers wurde deutlich, dass „ein wichtiger Faktor für die Zufriedenheit der Patienten eine Kommunikation des Zahnarztes ist, die einen akzeptierenden und sorgenden Charakter hat, obwohl auch dadurch die Angst noch nicht maßgeblich reduziert wurde“. 55 Enkling et al. beschrieb anhand einer aktuellen Umfrage in Bochum durch ein unabhängiges Institut, das mittels eines semistrukturierten Interviews feststellte, dass 70 Prozent der 300 Befragten Angst vor der Zahnbehandlung empfinden, die geforderten Verhaltensweisen des Zahnarztes zum Abbau von Anspannung und Angst: 69 % der Patienten forderten genaueste Information über Länge, Art und Dauer der Behandlung, für 62% der Befragten war es wichtig, dass der Behandler menschliche Wärme ausstrahlt, 58 % forderten eine schmerzfreie Behandlung, 53 % gaben an, dass sie vom Zahnarzt Hilfestellung zur Beruhigung und Entspannung erwarten und 45 % der Patienten wollen mit dem Arzt über ihre Angst reden. Diese Zahlen bestätigen erneut die Dringlichkeit der Kommunikation neben kompetenter Information, Zuwendung und Wertschätzung des anderen. 56 Weiters geben viele Autoren die Empfehlung ab, den Patienten, lässt sich ein Schmerz nicht vermeiden, unbedingt über die Intensität und Dauer der zu erwartenden Schmerzen aufzuklären, wobei es ganz entscheidend ist, sich der Sprache des Patienten anzupassen und verständlich zu erklären. Unwahrheit bezüglich der bevorstehenden Therapie oder ein Überraschungsangriff wird von den meisten Angstpatienten und Kindern als Vertrauensbruch gewertet und beeinflusst nachhaltig die Arzt – Patienten – Beziehung und somit den weiteren therapeutischen Erfolg. Im zahnärztlichen Gespräch mit dem Patienten gilt zu bedenken, dass dies ein komplexes Geschehen darstellt, das einerseits mehrere Aufgaben (Anamneseerhebung, Mitteilung von allgemeinen und spezifischen Informationen, Aufklärung hinsichtlich geplanter Eingriffe und Behandlungsprozeduren etc.) erfüllen soll und andererseits auf verschiedenen Ebenen (verbale und nonverbale Kommunikationsebene) abläuft. Untersuchungen bestätigen, dass Behandler mit sicherem Auftreten, die Information klar, aber mit emotionalem Einfühlungsvermögen vermitteln, die besseren Behandlungserfolge erzielen. Insbesondere bei komplexen Beschwerdebildern und bei der Führung von Patienten mit starken Ängsten ist eine gelungene zahnärztliche Gesprächsführung besonders hilfreich. 57 55 Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989; S.71 56 vgl.: http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/12_05/pages2/zmed1.htm 57 vgl.: http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/22_06/pages2/zmed4.htm 57 Kreyer (2004) stellt das ärztliche Gespräch als primären Schwerpunkt seines „Anxiolysekonzeptes“, auf das ich noch zu einem späteren Zeitpunkt näher eingehen werde, vor (siehe S.: 77). Obwohl in einer unter Zeitdruck stehenden Zahnarztpraxis es sich hierbei meist um kurze Konversationen handelt, sollte sie auf der Form der passiven Gesprächstherapie, dem „lenkenden Zuhören“ beruhen, um unter anderem sogenannte „Angsttrigger“ aufzudecken und „die zunächst unbewusste, unkontrollierte Angst des Patienten allmählich in Furcht umzuwandeln, mit der der Patient in der Lage ist, sehr viel besser umzugehen und die er vor allem auch selbst bekämpfen kann“. 58 Außerdem gilt es zu bedenken, dass eine ungenügende Arzt – Patienten – Kommunikation ganz gravierenden Einfluss auf die Compliance bis hin zu forensischen Konsequenzen hat. 6.4 Grundprinzipien der Gesprächsführung Das zahnärztliche Gespräch ist ein zentrales Element in der Begegnung zwischen Patient und Zahnarzt und trägt ganz wesentlich zur Art der Beziehung zwischen beiden bei. Durch den Zahnarzt erfolgt mittels Kommunikation mit dem Patienten unter anderem die Anamnese, Diagnostik und Therapie durch Informationsübermittlung. Dabei zeigt der Arzt in jeder Phase seine Verantwortung durch die aktive Gestaltung des Gespräches. Im Zusammenhang mit der Fragestellung der Zahnbehandlungsangst in meiner Diplomarbeit ist hierbei das Erfassen negativer Vorerfahrungen bei zahnärztlichen Eingriffen und einer erhöhten Ängstlichkeit von besonderer Bedeutung. Weitere wichtige Informationen wie „psychosomatische Vorgeschichte“ und das Erfassen des Vorliegens einer psychischen Komorbidität helfen, spätere Gespräche zu strukturieren und auch zu verkürzen, da somit rascher auf Fragen des Patienten eingegangen werden kann. Ein Gespräch integriert stets die Sach – und Beziehungsebene bzw. beinhaltet verbale und nonverbale Kommunikation. Das Zahnarzt – Patienten – Gespräch ist ein eher hierarchisch geordnetes, asymmetrisches Gespräch, in dem es eine untergeordnete und eine dominierende Person gibt, wohingegen bei einer symmetrischen, gleichberechtigten Kommunikation die Gesprächspartner Rollen einnehmen, die auf Gleichheit beruhen. Diese Rahmenbedingung legt Verantwortlichkeiten und wechselseitige Erwartungen fest, noch bevor beide Gesprächspartner in direkten Kontakt treten. Im Verlauf der Kommunikation sollte allerdings eine mehr symmetrische Gesprächssituation angestrebt werden, um den Patienten sukzessive in die Verantwortung einzubinden, was wiederum den zahnärztlichen 58 Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag, 2004; S.83 58 Behandlungserfolg erhöht. Besonders hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang die „klientenzentrierte Gesprächsführung“, die Kreyer (2004) in seinem „Anxiolysekonzept“ als Baustein der angstlösenden Gesprächsführung nennt. Diese Art des zuhörenden Gesprächs geht zurück auf den amerikanischen Psychotherapeuten Carl Rogers (1902 - 1987). „Die Klientenzentrierte Psychotherapie ist eine Therapieform der Humanistischen Psychologie und wird auch Gesprächspsychotherapie, non-direktive oder Personzentrierte Psychotherapie genannt. Für die humanistische Kommunikation findet die nondirektive Gesprächsführung auch außerhalb der Psychotherapie Anwendung.“ 59 Die Voraussetzungen für eine effektive Kommunikation basieren auf folgenden Grundprinzipien: ¾ Positive Wertschätzung: Hier geht es darum, emotionale Wärme zu vermitteln, die Wertschätzung des Patienten nicht an Bedingungen zu knüpfen und die Person als Ganzes uneingeschränkt anzunehmen. Dadurch gelingt es dem Patienten, sich selbst zu verstehen, sich mit all seinen Fehlern und Schwächen zu akzeptieren und in weiterer Folge seine Emotionen zu verbalisieren. „Eine positive Wertschätzung ergibt sich aus dem Bewusstsein, dass der andere Recht hat.“ 60 Zuwendung und Sorge für den anderen und seine Probleme werden größtenteils nonverbal durch Blickkontakt, Kopfnicken und einen aufmerksamen Gesichtsausdruck vermittelt. ¾ Einfühlendes Verstehen, Empathie: „Sich – in – jemanden – hineinfühlen – Können“, weg vom Bewerten, stellt eine weitere Verhaltensweise des Arztes dar, von der ganz wesentlich der Therapieerfolg abhängt. Dem Patienten muss mit Einfühlungsvermögen, Verständnis und Empathie gegenübergetreten werden, um eine vertrauensvolle Arzt – Patienten – Beziehung zu ermöglichen. ¾ Echtheit: Die Echtheit und Aufrichtigkeit des Arztes bewirkt, dass der Patient sich positiv erleben kann – selbst die Seiten, die er vorher abgelehnt oder bekämpft hat. Somit wird es 59 vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Klientenzentrierte_Psychotherapie 60 Curriculum „Hypnose und Kommunikation“ 07 / Wien 18 / A2; 17. bis 18. 2. 2008; Ausbildungskurs 2 / Grundlagen der ärztlichen Hypnose II; Krupka u. Steiner; S.3 59 möglich, aus tieferem Verständnis heraus Verhaltensweisen zu ändern und alte, belastende Denkmuster aufzugeben. 61 In diesem Sinne ist es unerlässlich, den Patienten in einem „bio-psycho-sozialen Gefüge“ zu sehen, in welchem es zu Wechselbeziehungen zwischen biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren kommt. Dieses mehrdimensionale Ätiologiemodell (Thure von Uexküll) beschreibt das bio-psycho-soziale Krankheitsbild als Zusammenspiel von Krankheit als somatische Störung, als Störung des Erlebens und Verhaltens bzw. als Ergebnis einer pathologischen „Mensch – Umwelt – Passform“. Jeder Mensch steht mit der Umgebung in ständiger Interaktion, wobei der Grundsatz gilt „in dem Maße ich mich kreativ behaupten kann, bin ich auch gesund“. Das bedeutet, dass ich die Fähigkeit zum Aufbau einer Situation in der Probleme gelöst werden können habe. Die Störung dieser Fähigkeit führt zur Krankheit. Das Modell des Situationskreises nach Uexküll stellt eines der 5 psychosomatischen Modelle dar, wobei Uexküll Krankheit als „maladaptive Problemsituation“ beschreibt. Die biopsychosoziale Auseinandersetzung mit einer Problemsituation in der Umgebung beinhaltet die Stufen der „Bedeutungsunterstellung“ (Vermutung), „Bedeutungserprobung“ (Phantasie, Probehandeln) und „Bedeutungserteilung“ (Verantwortung, „so ist es“, „so ist es gut“). Das Modell des Situationskreises von Uexküll macht also deutlich, dass der Mensch die Fähigkeit zur persönlichen Interpretation seiner Umgebung, der Phantasiebildung und Bedeutungszuschreibung hat. 62 Das psychotherapeutische Grundwissen eines Zahnarztes beinhaltet unter anderem die Themenbereiche „Angstabbau“ und „Umgang mit Stressreaktionen“, wobei stets die Prozesse der Übertragung und Gegenübertragung zwischen Arzt und Patient berücksichtigt werden müssen. Abschließend zum Themenbereich „ärztliche Gesprächsführung“ möchte ich noch darauf hinweisen, dass es dem Zahnarzt deutlich leichter fällt, sich empathisch auf Patienten einzustellen, die ihre Angst und Unsicherheit ansprechen oder durch Anspannung, vermehrtes Schwitzen und eine verkrampfte Körperhaltung zeigen. Diese Patienten sind im Gespräch noch vergleichsweise leicht zu lenken, da für den Arzt hier verbale („Ich hatte solche Angst vor dem Termin heute“) und nonverbale (feuchte Hände bei der Begrüßung, verkrampfte Körperhaltung) Information übereinstimmen und sich für ihn ein gut erkennbares Bild des „ängstlichen Patienten“ bietet. 61 vgl.:http://www.drsedlacek.at/behandlungsschwerpunkte/klientenzentriertegespraechsfuehrungnachrogers/klienten zentriertegespraechsfuehrungnachrogers.html 62 vgl.: Pieringer, „Vorlesung aus Psychologie für Zahnmediziner“; SS 2003 60 Schwieriger wird es in Gesprächssituationen, in denen der ängstliche Patient als aggressiver, fordernder oder arroganter Mensch imponieren kann. Wenn der Zahnarzt dieses Verhalten auf sich bezieht, sich misstrauisch kontrolliert, ungerecht behandelt oder abgelehnt fühlt, kommt es in der Regel zu Distanzierung, Ärger und Gefährdung des Interaktion zwischen Arzt und Patient. Nur eine gelungene zahnärztliche Gesprächsführung trägt letztendlich zu einer höheren Behandlungszufriedenheit beim Patienten bei und sichert die Arbeitszufriedenheit beim Zahnarzt. Hinweisen möchte ich an dieser Stelle auf die besonderen Anforderungen in der Kommunikation mit Kindern in der zahnärztlichen Behandlungssituation: „Wir können (…) etwas negativ erklären, positiv erklären oder befehlen. Dementsprechend fällt die Compliance (…) des Kindes / Patienten aus.“ 63 Es kommt also ganz darauf an, wie man etwas sagt. Einem Kind sollte im Rahmen der elterlichen Erziehung positive Formulierungen und nützliche Informationen mitgegeben werden, wodurch ihnen nach Verinnerlichung ein Gerüst für das spätere Leben verliehen wird, das durch Sicherheit, positives Denken und Zuversicht geprägt ist. Im Laufe der Entwicklung lernen Kinder, sich selbst innerlich zu führen und zu ordnen, und zwar genau auf diese Weise, wie wir Erwachsenen es ihnen vorleben. 64 Als Beispiel für positives – negatives Formulieren möchte ich den aufmunternd und stärkend gemeinte typischen Satz in der zahnärztlichen Praxis bringen: „Du brauchst keine Angst haben, es tut nicht weh!“ bewirkt beim Kind zu Recht ein gewisses Misstrauen der Situation gegenüber. Die Aufmerksamkeit wird durch diese Art der Formulierung zielsicher auf die Begriffe „Angst“ und „weh“ gelenkt. Außerdem gilt zu bedenken, dass das, was wir denken, automatisch mit Bildern und Gefühlen belegt wird. In der zahnärztlichen Gesprächsführung gilt demnach, bei Kindern wie Erwachsenen angstauslösende Wörter und Bezeichnungen (Spritze, Zange, Bohrer, Schmerz, Nadel, Stich, Skalpell etc.) zu unterlassen und sie durch neutrale Wörter zu ersetzen, um den Gegenständen oder Tätigkeiten unseres Arbeitsalltages die Schärfe wie auch die mit ihnen verbundenen negativen Assoziationen zu nehmen. „So kann zum Beispiel die Spritze / Nadel zum Zielfernrohr für die Schlafkügelchen (Anästhesie) werden. Die Zange wird zum Zahnheber, der Bohrer zum Zahnglattmachgerät. Der Sauger wird zum Schlürfi und die Multifunktionsspritze wird zur Zahndusche. Statt vom Schmerz kann man 63 Curriculum „Hypnose und Kommunikation“ 07 / Wien 18 / A2; 17. bis 18. 2. 2008; Ausbildungskurs 2 / Grundlagen der ärztlichen Hypnose II; Krupka u. Steiner; S.29 64 Biddulph S., Das Geheimnis glücklicher Kinder; Wilhelm Heyne Verlag München; 2001 61 von einem starken Gefühl sprechen, genauso wie man dem Zahn heraushelfen kann, anstatt ihn zu reißen und den Zahn schlafen legen kann, anstatt ihn zu betäuben.“ 65 6.5 Das Unbehagen von Zahnärzten bei der Konfrontation mit einem schwierigen Patienten – emotionale, kognitive und körperliche Belastungsfaktoren Bislang wurde in wissenschaftlichen Untersuchungen der Thematik Zahnbehandlungsangst als Belastungsfaktor nicht nur für den Patienten, sondern auch für den Behandelnden nur wenig Bedeutung beigemessen. Psychologischen und sozialen Stressfaktoren wurde nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet, da in wissenschaftlichen Fragestellungen meist nur die physiologische Belastung des Berufes zur Sprache kommt. Zu den wenigen Arbeiten im deutschsprachigen Raum zählt eine Untersuchung von Micheelis, wohingegen in den USA seit mehreren Jahren diesem Themenbereich mehr Beachtung geschenkt wurde, wobei sich die psychosozialen Aspekte in diversen Fragestellungen unter dem Begriff „behavioral dentistry“ auf den Umgang des Zahnarztes mit Angstpatienten bezogen. 66 Anführen möchte ich in diesem Zusammenhang eine Untersuchung von Tönnies und Heering – Sick, für die ein eigens entwickelter 12 – seitiger Fragebogen an alle Hamburger Zahnärzte ausgegeben wurde, kam es zu folgenden Ergebnissen: 52 % der Befragten gaben an, dass Zahnbehandlungsangst für sie ein wichtiges Thema sei, lediglich 4 % hielten sie für unwichtig. Interessant war der Aspekt, dass nur 29 % angaben, dass dies in Kollegengesprächen ein ernsthaftes Thema sei, was den Schluss zuließ, dass Zahnärzte die Patientenangst weitgehend als individuelles Problem erleben. 71 % fühlten sich während der Behandlung ängstlicher Patienten häufig starken Einschränkungen und Belastungen ausgesetzt. „Dieser hohe Prozentsatz wird um so bedeutsamer, wenn man den Anteil ängstlicher Patienten heranzieht: Durchschnittlich jeder dritte Patient (34 %) wird als ängstlich eingeschätzt (…)“67 Die Reaktionen und Empfindungen infolge einer Behandlung eines ängstlichen Patienten reichten von Übervorsichtigkeit, Abgespanntheit bzw. Müdigkeit und Nervosität (ca. 50 %), Beschleunigung des eigenen Pulses (über ein Drittel der Befragten) über Gereiztheit, Nacken – oder Schulterschmerzen, ungenaueres Arbeiten (etwa ein Viertel) bis hin zum Abbruch einer 65 66 Curriculum „Hypnose und Kommunikation“ (2008); Krupka u. Steiner; S.30 vgl.: Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989 67 Sergl, Müller – Fahlbusch (1989); S.72 62 Behandlung (17 %), die jedoch als Schutz des Patienten vor möglichen Beeinträchtigungen hinsichtlich des ungenaueren Arbeitens, gewertet wurde. Rund drei Viertel der befragten Zahnärzte in dieser Studie hielten die Reduktion der Patientenangst jedoch aufgrund der „Verbesserung der Vorsorge“ sowie der „Verbesserung der Arzt – Patienten – Beziehung“ als sehr wichtig, gefolgt von Gründen wie „leichtere Behandlung“ und „weniger Stress für den Zahnarzt“. 82 % der Befragten nannten „mehr aufklärende und beratende Gespräche“ als geeignetes und erfolgsversprechendes Mittel, die Angst der Patienten zu vermindern. Interessant war außerdem, dass fast alle befragten Zahnärzte (94 %) die Minderung der Patientenangst als ihre persönliche Aufgabe sahen und das Hinzuziehen eines Psychotherapeuten 81 % für kaum oder gar nicht geeignet hielten. Nicht unerwähnt bleiben sollte die Tatsache, dass 45 % der befragten Zahnärzte in der Anwendung von mehr Lokalanästhetika zur Angstminderung eine geeignete Möglichkeit der Zahnbehandlungsangst entgegenzuwirken sahen. Was die Verarbeitung von Belastung und Stress bei Zahnärzten und den individuellen Umgang damit betrifft, konnten Rogers sowie Tausch und Tausch in einer Untersuchung drei Persönlichkeitshaltungen, die sich als notwendig für ein positives zwischenmenschliches Verhältnis erwiesen, nachweisen. Personenzentrierte Zahnärzte mit den Persönlichkeitshaltungen „Wertschätzung“, „Einfühlendes Verstehen“ und „Echtheit“ fühlten sich durch ängstliche Patienten weniger eingeschränkt und belastet. Geschlecht und Alter des Behandelnden spielten hingegen beim Erleben und Verarbeiten des Belastungsfaktors Patientenangst keine Rolle. Hiermit konnte demnach bestätigt werden, dass die Persönlichkeit des Zahnarztes einen nicht zu verachtenden Beitrag zur Minderung von Angst und Stress bei Patienten mit Zahnbehandlungsangst leisten kann. 68 Eine Studie des Instituts Deutscher Zahnärzte an 275 Zahnärzten im Jahre 1983 verdeutlicht ebenfalls, dass die Behandlung schwieriger Patienten für viele Behandler den größten Stressfaktor in der Praxisroutine darstellt. 32 % der Befragten fühlten sich von der Angst des Patienten sehr stark, 32 % mittelstark beeinträchtigt. Lediglich 11 % meinten, dass ihnen die Angst des Patienten nichts ausmache. Auffällig scheint, dass Zahnärzte mit zunehmendem Alter gegen die Angst ihrer Patienten abzustumpfen scheinen, da sich 40 % der Ärzte unter 40 Jahren stark belastet fühlten, jedoch nur 23 % der Kollegen über 60 Jahren. 69 Zusammenfassend lässt sich entsprechend der Erwartung sagen, dass sich ein Großteil der Zahnärzte bei der Behandlung durch Angstreaktionen des Patienten belastet und eingeschränkt fühlt. Zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen werden demnach häufig unter psychischen Belastungen durchgeführt, was sich wiederum, zusätzlich zum häufig erwähnten Zeitdruck, 68 vgl.: Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989 69 vgl.: Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; 2002 63 Verwaltungsarbeit und berufsbedingten physischen Belastungen, negativ auf den Behandelnden auswirkt. Erwähnt sei an dieser Stelle eine schwedische Studie von Arnetz et al., bei der bei schwedischen Zahnärzten im Vergleich zu anderen Akademikern die höchste Suizidrate aufgrund psychosozialem Stress nachgewiesen werden konnte. 70 Demgegenüber stehen die Ergebnisse der oben erwähnten Untersuchung von Tönnies und Heering – Sick, im Rahmen der die befragten Zahnärzte angaben, mit ihrer Tätigkeit zufrieden zu sein. Rund 85 % der hier Befragten würde diesen Beruf ein zweites Mal wählen. Anhand der Literaturrecherche lässt sich verdeutlichen, dass Zahnärzte dem psychologischen Aspekt der Zahnbehandlungsangst eine große Bedeutung beimessen. Hinweisen möchte ich auch darauf, dass in der Untersuchung von Tönnies und Heering – Sick 29 % der befragten Zahnärzte angaben, selbst Angst vor einer zahnärztlichen Behandlung zu haben. 6.6 Darstellung von individuellen, genderorientierten Therapiemöglichkeiten Grundsätzlich will ich an dieser Stelle auf das große Dilemma in der Behandlung von Patienten mit einer Angsterkrankung hinweisen. Wie ich bereits selbst in meiner Behandlungstätigkeit als Studentin an der Zahnklinik am LKH – Graz feststellen konnte, gehen Patienten mit einer Angsterkrankung erst dann zum Zahnarzt, wenn der Leidensdruck bereits so stark ist, dass eine Behandlung unumgänglich erscheint. Als Auslöser hierfür können entweder Schmerzen, aber auch Veränderungen im sozialen Gefüge (neuer Arbeitsplatz, neuer Lebenspartner, Hochzeit etc.) sein. „"Einige Betroffene ertragen jahrelange Zahnschmerzen, nur um nicht in die Praxis zu müssen", erzählt Zahnarzt Mats Mehrstedt aus Hamburg. "Weil gegen die kaputten Zähne nicht behandelt wird, fallen sie irgendwann aus. Wenn der Sichtbereich betroffen ist, ziehen sich viele Menschen aus Scham auch aus dem sozialen Leben zurück", sagt Mehrstedt, der sich auf die Behandlung von Patienten mit Ängsten und Phobien spezialisiert hat.“ 71 Zu bedenken gilt jedoch, dass beim Vorliegen einer Entzündung eine vollständige Schmerzausschaltung mittels Lokalanästhesie nicht gewährleistet werden kann und der Patient 70 vgl.: Sergl, Müller – Fahlbusch (1989) 71 Deutsche Ärzte Zeitung vom 20.12.2005; Gerullis, „Wenn die Angst vor dem Zahnarzt zur Krankheit wird“; http://www.aerztezeitung.de/suchen/default.aspx?query=zahnbehandlungsphobie&sid=386247 64 somit im Rahmen dieser Notfallbehandlung Schmerzen erlebt, sich somit wiederum in seiner negativen Einstellung einer Zahnbehandlung bestätigt fühlt und demzufolge wird die Fortführung der Therapie meist vermieden. In der Literatur findet man Empfehlungen vieler Autoren, wie die ersten Behandlungsschritte bei ängstlichen Patienten aufgebaut werden sollten, wobei hier in der Regel zwischen normaler und krankhafter Angst nicht unterschieden wird. Oberste Priorität stellt hierbei das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient dar, das keinesfalls durch einen Überraschungsangriff oder durch Unwahrheit bezüglich der anstehenden Therapie nachhaltig gestört werden darf (siehe dazu auch Kapitel 6.3: Arzt – Patienten – Kommunikation). Hilfsmittel wie Ablenkung, auf die ich noch genauer eingehen werde, oder die Möglichkeit, die Behandlung jederzeit zu unterbrechen, unterstützen den ängstlichen Patienten dabei, sich auf die Zahnbehandlung einzulassen. Diese Empfehlungen reichen bei einem Patienten mit einer Zahnbehandlungsphobie jedoch keinesfalls aus, um seine Angststörung zu beseitigen und eine Behandlung durchzuführen. Viele dieser Patienten suchen die Möglichkeit, unter Narkose behandelt zu werden, was z.B. für eine anstehende Notfalltherapie durchaus hilfreich sein kann. Zu bedenken gilt, dass der Phobiker aber durch diese Art der Behandlung, die nicht angstabbauend wirkt, in seinem Vermeidungsverhalten unterstützt wird. 6.6.1 Grundlagen des Angstabbaus in der zahnärztlichen Behandlungssituation Durch die Erläuterung der Theorien der Angstentstehung in Kapitel 5.1.4 („Ätiologische Modelle der Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie“) wird nun nachvollziehbar, an welchen Stellen der Prozesse der Angstentstehung Interventionen zum Angstabbau eingebracht werden können. Zu bedenken gilt, dass stets der Entwicklungsstand des Patienten berücksichtigt werden muss, um die richtigen, optimal altersangemessenen Maßnahmen zum Angstabbau gezielt einsetzen zu können. Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle einen Überblick über die möglichen Interventionen zum Angstabbau bei Kindern und Erwachsenen geben: Um geeignete Maßnahmen zur Verringerung von Angstreaktionen bei Kindern ausfindig zu machen, ist es unumgänglich, sich folgende Informationen durch Beobachtung oder Befragung zu verschaffen: • Welche Erfahrungen hat das Kind bisher mit zahnärztlicher Behandlung gemacht? • Wird die Angst des Kindes durch spezielle Instrumente, eine speziellen Behandlungsabschnitt, die Person des Zahnarztes, das Behandlungszimmer etc. ausgelöst? Klären, ob die Angst auf falschen oder fehlenden Informationen beruht! 65 • Reagiert das Kind verbal, motorisch, physiologisch bzw. sofort, verzögert etc. auf diesen Angstauslöser? • Sind beim Kind irgendwelche Verhaltensweisen, wie zum Beispiel Starre, viel Reden etc. erkennbar, mit denen es seine Angstreaktionen zu hemmen versucht? Margraf – Stiksrud beschreibt zwei generelle Maßnahmen, um dem Kind zu helfen, derartige für ihn bedrohliche Reize, zu ertragen. Eine Intervention stellt die Veränderung der Bedrohlichkeit der Reize dar – also im einfachsten Fall die Vermeidung des primär angstauslösenden Reizes, des Schmerzes. Die nächste Möglichkeit wäre, auf die Angstauslöser zu verzichten, als zum Beispiel keine Spritze zu verwenden, den weißen Kittel auszuziehen usw. Da jedoch nicht immer alle Auslöser von Angst vollkommen vermieden werden können, stellt der Versuch, die Angstauslöser zu verändern eine weitere Methode zum Angstabbau in der zahnärztlichen Praxis dar. 72 Ziel unserer Maßnahmen sollte allerdings nicht die Veränderung der Behandlungssituation und ihrer Anforderungen an den Patienten sein, sondern vielmehr die günstige Beeinflussung der Angstempfindungen des Kindes, um seine Annahme, dass bestimmte Aspekte der Zahnbehandlung es bedrohen, langfristig zu verändern. Dazu ist es notwendig, in kleinen Schritten und kindesgemäßer Sprache zu erklären, was in der Behandlung gemacht wird. Eine wirksame Veränderung der Annahme, wie bedrohlich etwas wirklich ist, ist nur möglich, wenn Patienten auf direktem Wege erfahren haben, dass auf bestimmte Reize tatsächlich keine negative Konsequenz erfolgt. Erst dann besteht eine Kontingenz zwischen Konsequenz („es tat nicht weh“) und vorhergehendem Reiz (Verwendung des Bohrers). Die „systematische Desensibilisierung“ als angstabbauende Intervention beginnt mit der Präsentation von Stimuli, die keine oder nur fast keine Angst auslösen. Wichtig ist hierbei die Konfrontation des Patienten mit den Reizen in einem Kontext, der keine Angst auslöst – beispielsweise das Zeigen von zahnärztlichen Instrumenten, wenn sich das Kind nicht im Behandlungsstuhl befindet und somit sicher sein kann, dass in der Situation keine negative Konsequenzen erfolgen können. Die Intensität der Reize kann somit allmählich gesteigert werden, wobei nach den Regeln der operanten Konditionierung, also dem Erlernen von 72 Margraf – Stiksrud J., Angst und Angstabbau, in: Sergl, H.G. (Hrsg.): Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde; Urban & Schwarzenberg, München 1996 66 bestimmten Reiz – Reaktions – Mustern aus ursprünglich spontanem Verhalten, die Mitarbeit des Patienten nach jedem neuen Schritt positiv hervorgehoben wird. Nach diesem Prinzip wird also die Häufigkeit eines Verhaltens durch seine angenehme Konsequenz (Lob, verbale Bestätigung) nachhaltig verändert. 73 Ein weiterer Aspekt stellt die Veränderung der Bewältigungskompetenz des Kindes im Zusammenhang mit dem Umgang mit Widerständen aus der Umwelt dar. Kinder erlernen im Laufe der Entwicklung schrittweise, dass sie selbst Einfluss auf ihre Umgebung nehmen können und erleben somit, dass ihre eigenen Handlungen wirksam sind und positive Konsequenzen haben können. Diese Kompetenz, Bedrohungen selbständig erfolgreich zu bewältigen, resultiert einerseits aus dem Ausprobieren eigener Möglichkeiten, andererseits aber auch aus dem Nutzen von Informationen durch wichtige Bezugspersonen. Dieses Prinzip des „Nachahmungslernen“ bzw. „Modelllernen“ kann in der zahnärztlichen Behandlungssituation als Mittel zur Angstreduktion insofern genutzt werden, dem Kind im Film oder in der realen Behandlungssituation eines Dritten vorzuführen, wie andere mit der Bedrohung „Spritze, Bohrer etc.“ umgehen. Bemerken will ich an dieser Stelle, dass im Zusammenhang mit diesem schnellen und effektiven Lernprozesses der Fähigkeit zur Nachahmung von bestimmtem Verhalten, auch genderorientierte Aspekte zu beachten sind: „Ob das Modell nachgeahmt wird, hängt vor allem davon ab, wie ähnlich es dem Kind ist – ist es von einem anderen Geschlecht oder Alter kann es sein, dass das beobachtende Kind meint, nur Jungen könnten das (wenn es selbst ein Mädchen ist) oder nur große Kinder könnten das (wenn es selber jung ist).“ 74 Bei etwas älteren Kindern hat sich im Gegensatz zum Modelllernen bei jungen Patienten bewährt, ihnen Mittel, die ihre Angst „kontrollieren“, direkt vorzustellen und diese mit ihnen zu üben. Die Fähigkeit solche Techniken einzusetzen hängt sehr stark vom Alter des Kindes und somit von der Kompetenz zur Selbstkontrolle ab, da diese sogenannten „intrapsychischen Techniken“ ganz bewusst die Fähigkeit des freiwilligen Verzichts auf spontane Vermeidungsreaktionen voraussetzen. Margraf – Stiksrud spricht hierbei vom sogenannten „Coping – Modell“, das Methoden wie Ablenkung (Imagination, Musik hören, Bilder anschauen etc.), Anspannung (z.B. Fäuste ballen, mit den Füßen trampeln), Entspannung (tief durchatmen, autogenes Training etc.) und kognitive 73 vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Operante_Konditionierung und Margraf – Stiksrud J., Angst und Angstabbau, in: Sergl, H.G. (Hrsg.): Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde; Urban & Schwarzenberg, München 1996 74 Margraf – Stiksrud J., Angst und Angstabbau, in: Sergl, H.G. (Hrsg.): Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde; Urban & Schwarzenberg, München 1996; S.106 67 Techniken (Rechenaufgaben lösen, Zählen, motivierende Selbstinstruktion etc.) beinhaltet. Das Kind erlernt demnach schrittweise die Kompetenz, mit seinen Angstgefühlen umzugehen und durch dementsprechende verbale Rückmeldungen (Lob) von Zahnarzt und Eltern stabilisiert sich diese Fähigkeit, wodurch das Kind eine Art „Kontrollüberzeugung“ gewinnt. Vorteil der kognitiven Kontrolle ist die Tatsache, dass das Kind die Ereignisse aufgrund eigener Kompetenzen kontrolliert. Im Gegensatz zum beschriebenen Verfahren der kognitiven Kontrolle reduziert die sogenannte „Verhaltenskontrolle“ vor allem die Angst bei kleineren Patienten, wobei hier die Beeinflussung einer Bedrohung durch das Verhalten des Kindes selbst gemeint ist (z.B. „Stoppzeichen“ wie Hand heben als Unterbrechung beim Bohren). Verglichen mit der kognitiven Kontrolle hat sie den Nachteil, dass sie unter Umständen die Arbeit des Behandlers behindern kann und beim Nicht – Beachten des Stoppzeichens bricht jede Kontrollüberzeugung durch das Kind zusammen, was wiederum eine Steigerung der Angst zur Folge haben kann. Abschließend muss zur Thematik „Angstabbau in der zahnärztlichen Behandlung von Kindern“ noch erwähnt werden, dass es stets problematisch wird, wenn beim Patienten akuter Behandlungsbedarf besteht und ein Aufschieben angstbesetzter Maßnahmen unmöglich ist. In dieser Situation ist es empfehlenswert durch Prämedikation die Kinder zu beruhigen, hypnotische Maßnahmen zu ergreifen oder im „Notfall“ unter Narkose zu arbeiten. (vgl. S.70: „Therapeutisches Konzept nach Jöhren und Sartory“) Nach Margraf – Stiksrud fehlen, was die Behandlung von erwachsenen Patienten betrifft, einerseits gewisse Schwierigkeiten, die sich bei Kinderbehandlungen ergeben: Erwachsene sind erfahrener im Umgang mit Bedrohung und Schmerz, die Bandbreite der Reaktionsmöglichkeiten ist meist größer und sie haben erlernt, spontane Impulse zu kontrollieren. Andererseits existieren in der Behandlung Erwachsener auch Besonderheiten, die den Angstabbau erschweren: beim erwachsenen Patienten bestehen bereits länger andauernde Angstgefühle, manchmal mangelnde Bereitschaft, gegen diese Gefühle was zu unternehmen und eine Art größere Vorsicht, sich einer anderen Person anzuvertrauen, die ihnen neue Reaktionsmöglichkeiten näherbringen will, da sie sich an die eigenen Handlungsentscheidungen gewöhnt haben. Am häufigsten hat man in der Praxis mit Erwachsenen mit milden Angstgefühlen zu tun, die sich zeigen, wenn der Patient eine Bedrohung wahrnimmt. Durch die Routine und seine Erfahrungen mit der zahnärztlichen Behandlungssituation, durch die er die gesamte Situation gut einschätzen kann, weiß er jedoch, dass er dieses unangenehme Gefühl aushalten wird und seine Angstkontrolle somit weitgehend optimieren kann. „Geschieht etwas Unerwartetes, kann er 68 plötzlich stärkere Angstsymptome zeigen.“ 75 Der Zahnarzt kann dieser Gefahr allerdings relativ leicht gegensteuern, indem er dem Patienten laufend Informationen über die geplanten Behandlungsschritte gibt. Die Gewissheit des Patienten, dass der Behandler nichts Nachteiliges tun wird und nachvollziehbare Handlungen vornimmt, führen beim Patienten zu einer Form des Vertrauens, was ebenfalls eine Art der kognitiven Kontrolle darstellt. Der Patient bleibt durch die Methode der genauen Information über die weiteren Behandlungsmaßnahmen entspannter, Vertrauen und Handlungsfreiheit des Zahnarztes werden erhöht, wodurch wiederum eine Anspannung des Behandlers vermieden wird, da nicht mit plötzlichen Angstausbrüchen gerechnet werden muss. 76 Aufgrund meiner Literaturrecherche liegt die Feststellung vor, dass Erwachsene mit stärkeren Angstzeichen, die die Situation nicht unter Kontrolle haben, sich während der zahnärztlichen Behandlung weitgehend hilflos und ausgeliefert fühlen. Vergleichbar mit der Angst von Kindern können Instrumente und Eingriffe eine unangemessene Bedrohlichkeit für den Patienten darstellen, nicht zuletzt oft durch mangelnde oder ungenaue Information durch den Behandler. Erläuterungen über die Behandlungsschritte, Demonstrationen, Behandlungspausen und die bereits oben angeführten Coping – Techniken können hier Abhilfe schaffen. Die erwachsenen Patienten sind hierbei schneller und sicherer in deren Anwendung als Kinder, jedoch nur, wenn sie bereit sind, mit dem Behandler über ihre Angst zu sprechen und davon überzeugt werden können, dass diese Techniken auch nutzen. Schwieriger erweist sich die Behandlung von Patienten mit fehlender Überzeugung, dass Coping – Maßnahmen wirksam sind. Diese geben oft an, einfach besonders „empfindlich“ zu sein oder sie führen andere Gründe an, weshalb sie eine Behandlung nicht tolerieren. – Die Wirksamkeit der Interventionen sind somit unsicher, da die individuellen Angstauslöser nicht bekannt sind. „Bei solchen Patienten spielen häufig bestimmte Persönlichkeitseigenschaften oder Einstellungen, vielleicht Vorurteile gegenüber Zahnärzten, eine Rolle, die ihnen ein offenes Gespräch erschweren.“ 77 Zu den extrem ängstlichen erwachsenen Patienten lässt sich sagen, dass diese in gewisser Weise den kindlichen Patienten ähneln, da sie auf die zahnärztliche Behandlungssituation oft völlig unangemessene Reaktionen zeigen. Zum Angstabbau sind hier bereits oben erwähnte Interventionen geeignet, die auch bei kindlichen Patienten angewandt werden. Hierzu zählt u.a. die systematische Desensibilisierung, wobei sich die Ermittlung einer Hierarchie ansteigend angstauslösender Stimuli im Gespräch mit Erwachsenen als einfacher erweist. Die schrittweise Konfrontation mit den Angststimuli bzw. die Anwendung von Entspannungsverfahren und 75 Margraf – Stiksrud J., Angst und Angstabbau, in: Sergl, H.G. (Hrsg.): Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde; Urban & Schwarzenberg, München 1996; S.108 76 vgl.: Margraf – Stiksrud in: Sergl (1996) Margraf – Stiksrud J., Angst und Angstabbau, in: Sergl, H.G. (Hrsg.): Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde; Urban & Schwarzenberg, München 1996; S.110 77 69 anderer intrapsychischer Bewältigungstechniken führt schließlich dazu, dass der Patient seine Angst zu kontrollieren lernt. Nicht zu vergessen gilt auch hier, Fortschritte stets positiv zu betonen und bei stärker werdenden Angstsymptomen in der Reizhierarchie einen Schritt zurückzugehen. Um die neu erworbene Kompetenz des Patienten, die Situation bewältigen zu können, zu verfestigen, empfiehlt Margraf – Stiksrud, längere Zeit hindurch Zahnarzttermine zu vereinbaren. Als eine Art Weiterentwicklung der systematischen Desensibilisierung beschreibt Margraf – Stiksrud die sogenannte Reizkonfrontationsmethode, deren Kernpunkt darin besteht, die Patienten zum Erleben der Bedrohung zu führen, ohne dass sie dabei ihre ursprüngliche Angst erleben. Diese Technik wird bei folgenden Patienten angewandt: ¾ Patienten, die ihre Angstgefühle selbst als der Situation unangemessen erleben ¾ Patienten, die durch die rationale Erklärung von ihren Ängsten nicht befreit werden können ¾ Patienten, die ihre Ängste als außerhalb ihrer willentlichen Kontrollmöglichkeiten erleben ¾ Patienten, die die gefürchtete Situation zunehmend meiden Epstein beschreibt die Konfrontationstherapie als eine Art Versuch, aus in ihrer Angstkontrolle gestörten Patienten, erfahrene und angemessen Reagierende zu machen, wobei diese bei der Annäherung an die Situation begleitet und dazu gebracht werden, ihr System der Angsthemmung neu zu erlernen oder zu verbessern. Eine weitere Intervention zum Angstabbau stellen die intrapsychischen Bewältigungstechniken dar, wobei in diesem Zusammenhang mit sogenannten Selbstinstruktionen gute Erfahrungen gemacht wurden. 70 Die einzelnen Schritte eines sogenannten „Angstimpfungstrainings“ nach Meichenbaum 78 umfassen folgende Phasen: In Phase II können weiters folgende Stufen differenziert werden: 1. Situation genauer beurteilen 2. negative Gedanken kontrollieren 3. Erregung registrieren, zulassen, evtl. uminterpretieren 4. sich „psychisch“ aufrüsten, der Situation stellen 5. intensive Furcht bewältigen 6. sich für Bewältigung verstärken 78 Margraf – Stiksrud J., Angst und Angstabbau, in: Sergl, H.G. (Hrsg.): Psychologie und Psychosomatik in der Zahnheilkunde; Urban & Schwarzenberg, München 1996; S.111 71 Folgende Selbstinstruktionen werden für die Phase II vorgeschlagen: „Ich überlege mir genau, was ich jetzt machen kann.“ „Ich denke nicht an den Schmerz, sondern daran, was ich tun will.“ „Ich versuche nicht, den Schmerz auszuschalten, ich behalte ihn nur im Griff.“ 6.6.2 Therapeutisches Konzept nach Jöhren und Sartory Da nicht alle Methoden gleichermaßen angstreduzierend wirken, unterscheiden Jöhren und Sartory in einem therapeutischen Konzept der Zahnbehandlungsangst und Zahnbehandlungsphobie zwischen 2 Verfahren 79 : 1. Primär anxiolytische Verfahren - medikamentös: Prämedikation, Sedierung, Analgosedierung - nicht medikamentös: psychotherapeutische Interventionen 2. Primär schmerzreduzierende Verfahren - medikamentös: Lokalanästhesie, Narkose - nicht medikamentös: Audioanalgesie, TENS, Akupunktur etc. Auf die primär schmerzreduzierenden Verfahren wurde bereits im Kapitel 6.2.4 näher eingegangen, daher möchte ich mich nun den primär anxiolytischen Methoden zuwenden, die dann erforderlich sind, wenn sich der ängstliche Patient unter Lokalanästhesie nicht behandeln lässt. Medikamentöse Verfahren: Da es bei krankhaft ängstlichen Patienten meist unmöglich ist, einen Notfalleingriff trotz der Möglichkeit der Schmerzausschaltung durch Lokalanästhesie durchzuführen, greift man bei Patienten mit Zahnbehandlungsphobie meist zu ergänzenden Maßnahmen. Diese anxiolytischen 79 vgl.: http://www.oralophobie.de/artikel3.htm 72 medikamentösen Maßnahmen sollen gleichzeitig auch die nicht zu unterschätzenden Komplikationen, die durch übermäßigen Stress dieser Patienten während einer Zahnbehandlung auftreten können, vermeiden helfen. Prämedikation: Nach Schwenzer und Grimm (1988) ist damit die Vorbehandlung (wobei die orale Gabe der Medikamente im Vordergrund steht) gemeint, die Angst und Erregung reduziert, die Schmerzschwelle der Patienten nach oben setzt und vegetative Funktionen dämpft. Sedierung: Die Einnahme sogenannter Benzodiazepine hat eine Sedierung des Patienten zur Folge, was ebenfalls zur Prämedikation im Rahmen anxiolytischer medikamentöser Verfahren zu zählen ist. Eine weitere Form der Prämedikation stellt auch die postoperative Schmerzlinderung durch die präoperative Einnahme von Analgetika dar. Analgosedierung: Dieses Verfahren beinhaltet die intravenöse Gabe eines Analgetikums und eines Sedativums in Verbindung mit einer Lokalanästhesie, wobei hier die Gefahr der Bewusstlosigkeit des Patienten gegeben ist und somit die Möglichkeit zur Intubation gewährleistet sein muss, was wiederum die Kooperation mit einem Anästhesisten voraussetzt. Benzodiazepine sind heute die Medikamente der Wahl zur Pämedikation bzw. Analgosedierung, wobei wichtig ist festzuhalten, dass Benzodiazepine per se nicht analgetisch wirken, demnach auf ein Lokalanästhetikum bei schmerzhaften Eingriffen niemals verzichtet werden kann. Weiters helfen sie keinesfalls, Phobien und Panikstörungen der Patienten langfristig abzubauen. Ihre Wirkung besteht in einer dosisabhängigen anxiolytischen (angstlösenden), sedativ – hypnotischen (beruhigenden und schlaffördernden), muskelrelaxierenden, antikonvulsiven (krampflösenden) und amnestischen (Erinnerung für die Zeit der Wirkdauer fehlenden) Art. Auf der Zahnklinik im LKH – Graz wird bei hochängstlichen Kindern beispielsweise das Midazolam (Handelsname: Dormicum®), das eine sehr kurze Halbwertszeit von 1 – 3 Stunden hat, in der ambulanten oralen Prämedikation unter kontinuierlichem Monitoring der Kinder wegen seiner Wirkung der anterograden Amnesie (reduzierten Merkfähigkeit) und der Anxiolyse (Angstverminderung) verwendet. 80 In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine klinisch kontrollierte prospektive Behandlungsstudie hinweisen, die bereits im Jahre 1984 den zahnärztlichen Eingriff unter Allgemeinanästhesie einem Eingriff in Kombination mit einer psychologischen Verhaltenstherapie gegenüberstellte. Die Ergebnisse dieser Studie machten deutlich, dass eine Zahnbehandlung unter Allgemeinanästhesie die Behandlung von phobischen Patienten zwar 80 vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Midazolam und http://www.oralophobie.de/artikel3.htm 73 ermöglichte, in keiner Weise jedoch deren Angst abbaute. Die Behandlung unter Allgemeinanästhesie unterstützte die Patienten in ihrer Vermeidung derart, dass im weiteren Verlauf eine regelmäßige Behandlung unter Lokalanästhesie die Ausnahme blieb. Im Vergleich zwischen einer Prämedikation über Midazolam, vorausgegangener psychologischer Therapie und einer Kontrollgruppe konnte in dieser Studie ebenfalls verdeutlicht werden, dass die psychologische Vorbehandlung erfolgreicher als das primär analgetische und anxiolytische Verfahren ist. In der Kontrollgruppe und in der Midazolamgruppe blieb die Angst beinahe unverändert hoch, wohingegen die psychologische Therapie zu einer deutlichen Verminderung der Angst vor der Zahnbehandlung beitragen konnte. 81 Auch nach Sartory (1983) ist es erwiesen, dass Benzodiazepine nicht helfen, Phobien und Panikstörungen abzubauen, da nach Absetzen der Medikation ein Wiederauftreten der Angststörung beobachtet werden kann. Benzodiazepine haben nach Wardle (1990) auch keinerlei Effekt in der Unterstützung des Angstabbaus durch psychotherapeutische Interventionen. Durch Gray (1987) konnte sogar nachgewiesen werden, dass bei gleichzeitiger Anwendung von Tranquilizern und psychotherapeutischen Interventionen, es zu einer mangelhaften Entwicklung der erwünschten Stresstoleranz und somit zum Ausbleiben des therapeutischen Erfolgs kommt. 82 Nicht medikamentöse Verfahren: Aus der Literatur geht hervor, dass Anfang der 70er Jahre erstmals nachgewiesen werden konnte, dass verhaltenstherapeutische Interventionen zu einem andauernden Abbau der Zahnbehandlungsangst führen können (Gale 1969, Klepac 1975, Gatchel 1980, Mathews 1977). Auf ihre Wirksamkeit untersucht wurden im Laufe der Jahre u.a. kognitive Ansätze (Ellis 1974, Corah 1979, Beck 1981), Modelllernen (Melamed 1975) und Entspannungsverfahren (Öst 1987). Durch die allgemeine Forderung, eine Therapie zeitlich so kurz wie nötig und langfristig so effektiv wie möglich zu gestalten, entwickelten sich sogenannte Kurzinterventionen (one – session – treatment). De Jongh et al wandten diese 1995 erstmals erfolgreich zur Behandlung von Patienten mit Zahnbehandlungsphobien an. Es gilt zu beachten, dass die Anwendung psychotherapeutischer Methoden nur in enger Zusammenarbeit des Zahnarztes mit Psychologen und Psychotherapeuten unter Kontaktaufnahme zu entsprechenden Instituten in Praxisnähe sinnvoll ist, um ein gemeinsames Therapiekonzept festzulegen und somit den Therapieerfolg der Patienten zu gewährleisten. 83 81 vgl.: http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/12_05/pages2/zmed1.htm 82 vgl.: Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; 2002 83 vgl.: http://www.oralophobie.de/artikel3.htm 74 Den nicht medikamentösen, primär anxiolytischen Verfahren möchte ich demnach ein eigenes Kapitel im Anschluss widmen, um die Notwendigkeit der psychotherapeutischen Intervention und somit auch der oben genannten interdisziplinäre Zusammenarbeit hervorzuheben. 6.6.3 Psychotherapeutische Verfahren An dieser Stelle möchte ich einen Überblick über die grundlegenden psychotherapeutischen Verfahren geben, wobei hier angemerkt werden muss, dass diese Therapieverfahren ein erhebliches Maß an Kooperationsbereitschaft beim Patienten voraussetzen. Übende Verfahren (systematische Selbstbeobachtung, autogenes Training, progressive Muskelrelaxation, Biofeedback) Hypnotherapeutische Verfahren Körperorientierte Verfahren Gesprächstherapie Tiefenpsychologische Verfahren Verhaltenstherapie Während suggestiv eingreifende Techniken, wie z. B. die Hypnose, für die Routineanwendung in der zahnärztlichen Praxis aufgrund mangelnder Kompetenz nicht vorbehaltlos empfohlen werden, gelten für Entspannungstechniken, wie z. B. das autogene Training („ (…) unter ärztlicher Anleitung erlernbare Methode der konzentrativen Selbstentspannung“ 84 ) oder der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson, das Gegenteil. Die Heilung bzw. Verbesserung der Zahnbehandlungsphobie besteht in einer speziellen psychotherapeutischen Behandlung, wobei hier unterschiedliche Therapiekonzepte und Methoden durch spezialisierte Zahnärzte und / oder Psychotherapeuten und Psychologen zur Anwendung kommen. 84 Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag, 2004; S.103 75 Den psychotherapeutischen Interventionen liegen ganz allgemein folgende Prinzipien zugrunde oder stellen zumeist eine Kombination dieser dar 85 : 85 - Konfrontationsverfahren: Der Patient wird schrittweise an die angsterregende Situation herangeführt, bis er gelernt hat, dass er sie, ohne Schaden zu nehmen, durchstehen kann. Hierbei spielt auch das Modelllernen eine große Rolle, denn ebenso wie Phobien durch Beobachtung angstvoller Reaktionen durch eine Bezugsperson ausgelöst werden können, können diese auch durch Lernen am Modell wieder abgebaut werden. - Stressmanagementtraining: Der Patient erlernt angstlindernde Coping – Strategien, also Methoden, die er einsetzen kann, um angstauslösende Situationen zu bewältigen. Durch Stressmanagementtraining lernt der Betroffene, dass er auf seine Schmerzempfindung Einfluss nehmen kann. Neben dem Erlernen von Entspannungstechniken werden die Patienten angeleitet, die ersten Anzeichen ihrer Angst zu erkennen und die erlernten Bewältigungsstrategien anzuwenden. - Kognitiver Ansatz: Durch die psychotherapeutische Therapie erkennt der Patient die irrationalen und angstfördernden Vorstellungen und Gedanken, auf denen seine Angststörung beruht. Durch kognitive Strategien werden diese irrationalen Haltungen und Überzeugungen aufgedeckt und zu entkräften versucht, indem der Patient lernen soll, seine irrationale Einstellungen zum angstauslösenden Ereignis zu ändern (kognitive Modifikation). - Konfrontationsverfahren – systematische Desensibilisierung: Diesem Verfahren liegt die Überlegung zugrunde, dass die durch Konditionierung entstandene Angst durch Gegenkonditionierung eliminiert werden kann. Dazu werden bei hierarchischer Vorstellung der Stimuli Entspannungsverfahren wie die progressive Muskelentspannung nach Jacobson eingesetzt. Durch die Verbindung zwischen dem angstauslösendem Stimulus und der Entspannung, der Gegenkonditionierung, verliert der Reiz schrittweise seine angstauslösende Wirkung für den Patienten. Nach Sartory stellt diese Methode ein hoch effektives Verfahren mit 70 – 95 % Erfolgsrate dar. vgl.: Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; 2002 76 Das deutsche Institut für „Psychosomatische Zahnmedizin, Psychologie in der Zahnheilkunde und zahnärztliche Psychotherapie“ 86 beschreibt für die Behandlung von Patienten mit Zahnbehandlungsangst oder – phobie folgende Vorgehensweisen und betont, dass die verschiedenen Therapieansätze bisher zwar nicht wissenschaftlich in ihrer Effektivität verglichen wurden, die unterschiedlichen Methoden jedoch einen hohen Effektivitätsgrad vorweisen: 1. Behandlung des Patienten durch einen psychologisch geschulten Zahnarzt bzw. Verhaltenstherapie. 2. Psychologische Vorbereitung des Patienten ( 1-3 Stunden) durch Psychotherapeuten oder Psychologen und anschließende Behandlung durch den Zahnarzt. 3. Vorbereitung und Behandlungseinstieg des Patienten durch einen psychologisch geschulten Zahnarzt ( 1-3 Sitzungen) und anschließend Weiterbehandlung durch Hauszahnarzt. Diesen Methoden der gezielten psychologischen Führung gegenüber steht die Behandlung in Narkose, wobei schon 1984 von Berggren Studien veröffentlicht wurden, die nachweisen, „dass nur 30% der in Narkose behandelten Patienten sich im weiteren Verlauf einer regelmäßigen Zahnbehandlung unterzogen, d.h. eine dauerhafte Angstfreiheit in 2/3 der Fälle nicht erreicht werden konnte. Folgestudien bestätigten diese Ergebnisse.“ 87 Im Therapiezentrum für Zahnbehandlungsangst Bochum in Kooperation mit der Abteilung für Psychologie und Klinische Psychotherapie der Universität Wuppertal und der Fakultät für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde der Universität Witten / Herdecke werden die Patienten ganz speziell auf die zahnärztliche Behandlungssituation vorbereitet. - Eine psychologische Kurzintervention, eine Kombination von verhaltenstherapeutischen und kognitiven Elementen, von dreimal einer Stunde im wöchentlichen Abstand umfasst hierbei insgesamt vier Komponenten, nach deren Durchführung die Patienten behutsam an die zahnmedizinische Therapie herangeführt werden. Die Inhalte der Kurzintervention nach Thom, Sartory und Jöhren (2000) umfassen 5 Stufen: 86 vgl.: http://www.oralophobie.de/cgi-bin/macher_pub_fachinfo.pl?rubrik=4 87 http://www.oralophobie.de/cgi-bin/macher_pub_fachinfo.pl?rubrik=4 77 1. Informationsvermittlung bezüglich Angsterkrankung, Diagnostik und Aufzeigen der therapeutischen Möglichkeiten 2. Entspannungstraining mittels progressiver Muskelentspannung nach Jacobson und Aushändigung einer ÜbungsCD 3. Angewandte Entspannung und Desensibilisierung durch den Einsatz der Entspannungstechniken bei der Vorstellung hierarchisch angeordneter Behandlungssituationen (Stressimpfungstraining) 4. Erarbeiten förderlicher Selbstverbalisation und Überprüfung der Compliance 5. Schriftliche Zusammenfassung, Hausaufgabe ad 1.: Psychoedukation, Information: (nimmt etwa 20 Minuten in Anspruch) Der Patient erhält Information zu seiner Angsterkrankung, wobei die 3 Komponenten der Angst (physiologische, kognitive und verhaltensmäßige Komponente) vorgestellt und am Beispiel individueller Symptome des Patienten erläutert werden. Es gilt dem Patienten zu vermitteln, wie sich diese Komponenten gegenseitig beeinflussen. ad 2.: Entspannungstraining: (dauert ca. 15 Minuten) Die Entspannungsanleitung mittels CD wurden dem Patienten bei Eintritt in die psychologische Behandlung mit der Aufforderung, die Entspannung täglich zu üben, bereits ausgehändigt. In der Regel hat der Patient also bereits 1 Woche lang geübt, bevor er sich in die Behandlungssitzung, in der dieselben Instruktionen zur Anwendung kommen, begab. ad 3.: Stressimpfungstraining: (dauert etwa 15 Minuten) Der Patient wird mit den für ihn spezifischen Angstauslösern konfrontiert, und es wird ihm die Entspannung als Kontrollmöglichkeit zur Angstreduktion in der konkreten Zahnbehandlungssituation vermittelt. Dabei wird das Augenmerk auf ruhige Bauchatmung gelegt und besonders die Muskelgruppen entspannt, die auf dem Behandlungsstuhl leicht zu entspannen sind (z.B. die Beine). 78 ad 4.: Selbstverbalisation: (nimmt ca. 20 – 30 Minuten in Anspruch) Mit dem Patienten werden einige dysfunktionalen Kognitionen („mein Zahn wird bestimmt frakturieren“ etc.) aufgedeckt und förderliche Selbstverbalisation entwickelt und trainiert, wobei der Patient die für ihn überzeugendsten Selbstverbalisationen notiert, um sie daheim nachvollziehen zu können. ad 5.: schriftliche Kurzzusammenfassung: Am Ende der Sitzung erhält der Patient eine schriftliche Zusammenfassung der bearbeiteten Inhalte, wird gebeten, die Entspannung weiter zu üben und bei aufkommender Angst in bezug auf die zahnärztliche Behandlungssituation die Selbstverbalisationen einzusetzen. Zusätzlich erhält der Patient einen Comic, der eine Figur beim Zahnarztbesuch zeigt. In anschaulicher Weise werden hier dysfunktionale und funktionale Gedanken formuliert und der Einsatz von Entspannung gezeigt. Der Comic erleichtert dem Patienten, Teilschritte des zu überstehenden Zahnarztbesuches (vom Wartezimmer bis zum Behandlungsende) zu durchdenken und die Anwendung der Bewältigungstechniken zu trainieren. Ziele der anschließenden zahnmedizinischen Behandlungen, die anfangs eine für den Patienten überschaubare Länge von ca. 15 Minuten haben sollten, sind: 9 kein erneutes Trauma zu setzen 9 Vertrauen zu sich selbst und dem Zahnarzt zu entwickeln 9 Kontrollgefühl über die Behandlung aufzubauen Die schrittweise „Desensibilisierung“ ist Teil der verhaltenstherapeutischen Betreuung durch den Zahnarzt, wobei die zunehmende Invasivität der zahnärztlichen Behandlung über die Zeit vom Patienten nicht zuletzt aufgrund des wachsenden Selbstbewusstseins gut verkraftet wird. Über diesen Therapieansatz wird in Bochum der Erfolg, Angstpatienten einer erfolgreichen systematischen Behandlung zuzuführen, mit ca. 70 % angegeben. 88 „Die Phobie sollte nach Möglichkeit immer psychotherapeutisch behandelt werden, da ein langfristiger anxiolytischer Erfolg durch die Prämedikation mit Midazolam oder durch eine Behandlung unter Allgemeinanästhesie die Ausnahme darstellt.“ 89 88 vgl.: http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/12_05/pages2/zmed1.htm und Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; 2002 89 Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag; 2002; S.72 79 Entscheidend für den Erfolg der Psychotherapie ist allerdings, wie gut der Patient mit dem Therapeuten und dem Zahnarzt kooperiert, da andernfalls der langfristige Angstabbau unwahrscheinlich ist. Die psychotherapeutische Vorbehandlung soll dem Patienten den Einstieg in die regelmäßige zahnärztliche Versorgung ermöglichen. 6.6.4 Ziele der anxiolytischen Behandlung nach Kreyer Aus den vielen grundlegenden Überlegungen zum Thema „Angstabbau in der Zahnmedizin“ sind ganz besonders die Richtlinien im Sinne einer Angstprävention bzw. Angstprophylaxe nach Kreyer (2004) hervorzuheben, die folgende Leitsätze beinhalten90 : 9 Fügen sie nur wirklich unvermeidbaren Schmerz zu. 9 Behandlungsbedingter Schmerz sollte auf den kürzest möglichen Zeitraum beschränkt werden. 9 Auch bei nur geringer Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Schmerzen – warnen sie ihre Patienten davor. 9 Falls keine Schmerzen zu erwarten sind, vermeiden sie den Gebrauch diesbezüglich emotionsbesetzter Wörter wie „Angst“, „Schmerz“, „Verletzung“ etc. Wählen sie stattdessen möglichst neutrale Formulierungen. 9 Sagen sie ihrem Patienten in Bezug auf ihr weiteres Vorgehen stets die Wahrheit. Seien sie berechenbar. 9 Vereinbaren sie mit dem Patienten eine Möglichkeit, sie jederzeit in ihrer Arbeit unterbrechen zu können (Handzeichen, Schmerzalarmknopf). 9 Führen sie ihre Patienten behutsam an neue, für ihn unbekannte Dinge heran (Desensibilisierung, „Tell – Show – Do – Methode“). 9 Verstärken sie erwünschte Verhaltensweisen (operantes Konditionieren), halten sie sich mit Kritik unerwünschter Verhaltensweisen zurück. 9 Sorgen sie für ein angstreizarmes Ambiente der Behandlungsräumlichkeiten: Vermeiden sie Hektik, Lärm, aversive Gerüche („Es riecht nach Zahnarzt“). Das Personal sollte eine Atmosphäre von Freundlichkeit, Ruhe und Kompetenz ausstrahlen, die Räumlichkeiten den Eindruck von angenehmer, sauberer Geborgenheit vermitteln: freundliche Farben, 90 Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag, 2004; S.74 80 wo immer möglich, Fenster mit Grünblick (Tageslicht), evtl. Musik, Aquarien etc. Die „Integrative Anxiolyse“ (Kreyer, 1991) verbindet in stufenweisem Vorgehen verschiedenste angstlösende Techniken, mit dem primären Ziel einer psychologisch orientierten Zahn -, Mund – und Kieferheilkunde. Jede Stufe hat in Abhängigkeit von den Bedürfnissen des Patienten unterschiedlich starkes anxiolytisches Potential und bedarf weiters individueller Modifikationen und Schwerpunktsetzungen. Um das Gesamtspektrum diese Konzeptes zu erfassen, möchte ich nun diese stufenweise, standardisierte Vorgangsweise kurz beschreiben: Das Schema der „Integrativen Anxiolyse“ 91 beinhaltet folgende Aspekte: 1. Ambientegestaltung 2. Psychokonkordante Terminwahl 3. Anxiolytische Gesprächsführung 4. Verhaltenstherapie 5. „Positive Reiztherapie“ 6. Entspannende Therapieverfahren 7. Hypnose – Hypnotherapie 8. Milieutherapie 9. Pharmakotherapie 10. Vollnarkose Ambientegestaltung: Der Phase des Erstkontaktes zwischen Zahnarzt und Patient kommt besondere Bedeutung zu, wobei neben der verbalen und non – verbalen behutsamen Kontaktaufnahme, die eine freundliche, sichere und fachlich kompetente Atmosphäre vermitteln soll, auch der Primärkontakt mit den Praxisräumlichkeiten selbst eine große Rolle spielt. Das Ambiente sollte möglichst alle Sinneskanäle ansprechen, mit dem Ziel, die Aufmerksamkeit des Patienten weg von seinen Ängsten und Schmerzen zu lenken. Dazu bieten sich farbpsychologisch optimierte Raumgestaltung mit der Bevorzugung von 91 Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag, 2004; S.76 81 Tageslicht und warmen Farben, sowie der Einsatz von optischen Defokusierungsmöglichkeiten wie Aquarien, Bilder oder auch Bildschirme an, wobei die Präferenzen des gesamten Praxisteams zu berücksichtigen gilt, um ein angenehmes atmosphärisches Ambiente zu schaffen. Der akustische Sinneskanal kann durch Hintergrundmusik angesprochen werden, der olfaktorische durch Duftstoffe bzw. ätherische Öle, wobei der Einsatz geruchsintensiver Pharmaka restriktiv zu handhaben ist. Psychokonkordante Terminwahl: Das Psychokonkordanzprinzip nach Kreyer (1982) besagt, dass besonders bei phasen – und schubweise verlaufenden psychischen Störungen die günstigen und ungünstigen Perioden für eine zahnärztliche Behandlung zu berücksichtigen gilt, wonach die Behandlungsschritte also in beschwerdearme bzw. – freie Intervalle verlegt werden sollten. Nach Kreyer sollten für die optimale Planung sensibler Behandlungsschritte außerdem der individuelle Tagesrhythmus jedes Einzelnen (Biorhythmus), relevante vegetative Funktionsgrößen, die ihr Minimum in den frühen Nachmittagsstunden haben (z.B. ausgeprägter Würgereflex bei Alkoholikern und manchen Neurotikern), Wetterfühligkeit bzw. Migräneneigung mancher Patienten, hormonelle Besonderheiten (Gravidität, Klimakterium etc.) usw. berücksichtigt werden. In bezug auf Angstpatienten gilt grundsätzlich, dass die Wartezeit so minimal wie nur möglich gehalten werden muss und bei Schmerzfreiheit gegebenenfalls ein Termin in einer gesonderten, stressfreien Angstsprechstunde vereinbart werden sollte. Das Nichteinhalten von Terminen stellt ein diagnostisches Kriterium der Angst bzw. möglichen Phobie des Patienten dar. Jöhren und Sartory (2002) empfehlen das Fernbleiben des Patienten dementsprechend als PNEMN (Patient nicht erschienen mit Nachricht) oder PNEON (Patient nicht erschienen ohne Nachricht) zu notieren und ihm klarzumachen, das sie das Nichtwahrnehmen eines Termins als Zeichen seiner Angst werten. Solange man den Patienten noch nicht einschätzen kann empfiehlt es sich kurze Termine zu vereinbaren, um nicht zu große Ausfallzeiten zu haben. Anxiolytische Gesprächsführung: Da die ärztliche Gesprächsführung ein primärer Schwerpunkt des Anxiolysekonzeptes nach Kreyer ist und nur ein vertrauensbasiertes Arzt – Patienten – Verhältnis zu einer entspannten Behandlungssituation führen kann, ist diesem wichtigen Aspekt ein eigenes Kapitel gewidmet (6.3 Arzt – Patienten - Kommunikation / „Das ärztliche Gespräch“ ) Kommunikation, Ehrlichkeit und Empathie des Zahnarztes gegenüber seinen Patienten bilden den Grundstein einer vertrauensvollen Zahnarzt – Patienten – Beziehung und erhöhen gleichzeitig den therapeutischen Erfolg. 82 Verhaltenstherapie: Mit der sogenannten „Tell – Show – Do“ – Methode und mit Begriffen, die nicht negativ belegt sind empfiehlt es sich, den Patienten entsprechend der Angsthierarchie langsam an die notwendige Behandlung heranzuführen (vgl. Jöhren und Sartory, 2002). (vgl. dazu Kapitel 6.4: Grundprinzipien der Gesprächsführung) In den ersten Sitzungen sollte man sich sicher sein, dass der Patient keine Schmerzen erleidet, man sollte seine Versprechen halten, nichts tun, was der Patient nicht möchte und die Behandlung öfters unterbrechen, um Pausen einzulegen und somit behutsam ein Vertrauensverhältnis zum Patienten aufbauen. Ist ein Schmerzerlebnis nicht zu vermeiden, sollte der Patient vor Behandlungsbeginn darüber aufgeklärt werden und ihm durch Vereinbarung eines Zeichens (z.B. Heben einer Hand) die Möglichkeit geboten werden, die Behandlung zu unterbrechen. Bei ersten kleinen Therapieerfolgen sollte der Patient in seinem Verhalten durch Lob bestärkt werden, wobei der Zahnarzt stets versuchen soll, auf individuelle Besonderheiten kommunikativ kompetent zu reagieren. Zu bedenken gilt, dass das gesamte Praxisteam auf die gleiche Strategie eingeschworen sein muss. Hinweisen möchte ich an dieser Stelle auf die bereits erwähnten Maßnahmen zur Angstreduktion von Margraf – Stiksrud (Kapitel 6.6.1), die zwischen Interventionen beim Kind und Erwachsenen differenziert und zusätzlich noch die Gruppierung von Erwachsenen mit milden Angstgefühlen, stärkeren Angstzeichen und extrem ängstlichen erwachsenen Patienten vornimmt. „Positive Reiztherapie“: Der Wirkmechanismus der positiven Reiztherapie auf den Patienten beschreibt Kreyer als Abschwächung bzw. Blockierung von negativen Sinnesreizen durch gezielt eingesetzte positive Sinnesreize, wobei grundsätzlich alle Sinnesmodalitäten als therapeutisches Adjuvans zur Verfügung stehen. Kurz erwähnen möchte ich an dieser Stelle die Möglichkeit, bei psychisch behinderten Patienten die Veränderung von Sprachrhythmus und Sprachmelodie oder haptisch – taktile beruhigende Maßnahmen als positive Reiztherapie einzusetzen. Ein angstreizarmes Ambiente, auf das bereits oben näher eingegangen wurde, ist unter anderem durch ein wohltemperiertes Raumklima, die Berücksichtigung der Blickrichtung des Patienten auf die als bedrohend empfundene Instrumentierung, das Vermeiden des Blendens durch die OP – Lampe, sowie ein Personal, das den Eindruck von Kompetenz, Freundlichkeit und Ruhe vermittelt, gewährleistet. 83 „Einen wesentlichen Schwerpunkt bei der positiven Reiztherapie bildet die Anwendung der Musik zur psychophysischen Stabilisierung der Patienten.“ 92 Auf die sogenannte „Audio – Analgesie“ als mögliche nicht – medikamentöse Intervention zur Schmerzreduktion (Jöhren, Sartory) wurde bereits im Kapitel 6.2.4 näher eingegangen. Die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) als eine weitere effektive Technik im Konzept der positiven Reiztherapie wurde ebenfalls im Kapitel 6.2.4 bereits näher erläutert. Über den Einsatz von Videobrillen zur Defokussierung von Angstpatienten und Ausblenden negativer optischer und akustischer Sinnesreize in der zahnärztlichen Praxis bzw. sogenannter Mind – Machines ist im Kapitel 6.6.5 genaueres zu entnehmen. Entspannende Therapieverfahren: Die Beschreibung dieser psychotherapeutischen Verfahren zum Angstabbau in der zahnärztlichen Behandlungssituation erfolgte bereits im Kapitel 6.6.3. Hypnose – Hypnotherapie: „Erickson (1956) definierte die Hypnose als einen Zustand intensiver Aufmerksamkeit und Aufnahmefähigkeit mit einer erhöhten Reaktionsfähigkeit gegenüber einer Vorstellung oder einem Bündel von Vorstellungen.“ 93 Die Kunst, tranceähnliche Zustände durch hypnotische Induktionen herbeizuführen, hat jahrtausendealte Tradition, wobei der amerikanische Psychotherapeut Milton H. Erickson (1901 – 1980) als Wegbereiter der modernen Hypnose gilt. Kreyer definiert die Hypnose im Rahmen seines Konzeptes der Integrativen Anxiolyse als ein „ (…) durch Suggestion bewirkter Zustand erhöhter innengerichteter Aufmerksamkeit und herabgesetzter Willensbildung“, also weit entfernt von alten Definitionen der Hypnose als „ (…) schlafähnlichen Zustand mit eingeschränkter Willensbildung“ 94 92 Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag, 2004; S.95 93 Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag, 2002; S.95 94 Kreyer (2004); S.106 84 Die American Society of Clinical Hypnosis erstellte folgendes Indikationsspektrum für die Anwendung der Hypnose, wobei der wissenschaftliche Nachweis der Wirksamkeit allerdings bis heute aussteht: ¾ Nervöse, ängstliche Patienten ¾ Menschen, die sich bei der Bewältigung von gestellten Aufgaben immer wieder inkonsequent verhalten ¾ Würgereflex ¾ Daumenlutschen ¾ Bruxismus ¾ Spritzenphobie ¾ Prothesenintoleranz ¾ Angstpatienten ¾ zur Kontrolle von Blut – und Speichelfluss ¾ zur Verstärkung von Mundhygieneanweisungen Laut Kreyer kommen für den erfolgreichen Einsatz der Hypnose im Rahmen der Zahnmedizin noch weitere Faktoren in Frage: ¾ dringende Akutintervention ¾ Allergie gegen Anästhetika ¾ Patienten mit unzureichender Compliance ¾ orofaciale Parafunktionen ¾ myofunktionale Störungen ¾ Schmerzbehandlung ¾ Kollapsneigung Trotz mitunter sehr beeindruckenden Berichten über die Hypnose als erfolgreiche Methode der Schmerzausschaltung mangelt es an wissenschaftlichen, experimentellen 85 und klinisch kontrollierten Studien, die der Hypnose einen klar definierten Stellenwert im Rahmen der Schmerztherapie und der anxiolytischen Therapien einräumen. Weiters besteht heute Einigkeit hinsichtlich der Tatsache, dass Verhaltenstherapie für den langfristigen Angstabbau der Hypnose, die lediglich als Unterstützung in der Behandlung von Patienten mit Zahnbehandlungsangst, klar vorzuziehen ist. 95 Kreyer definiert die Anwendungsbereiche der Hypnose als Einleitungstechnik (die u.a. das teilweise Ausblenden von Reizen aus der Umwelt bedingt), als Entspannungstechnik (die vegetative Paramater zu beeinflussen in der Lage ist) und als Behandlungsform im Rahmen einer Psychotherapie. Milieuterapie: Das umfassende Anxiolysekonzept von Kreyer zielt darauf ab, möglichst viele Faktoren mit einzubeziehen, wobei dem allerdings in einer zahnärztlichen Praxis enge Grenzen gesetzt sind. In diesem Zusammenhang seien nur einige Faktoren erwähnt: soziale Struktur, Einbeziehen der „Außenwelt“, Berücksichtigen des Verhaltens anderer (Praxispersonal etc.), Verbindung zum Alltag bzw. das Einbeziehen der entwicklungspsychologischen, kulturellen und sozioökonomischen Faktoren. Pharmakotherapie: In der Literatur wird vielfach darauf hingewiesen, dass gelegentlich vor allem in der Anfangsphase einer Therapie eine milde Pharmakotherapie als Einstiegshilfe von Vorteil ist. Die Indikation hierfür besteht vorwiegend bei unaufschiebbaren Akutinterventionen und Kindern. „ In der Zahnmedizin kann es sinnvoll sein, im Rahmen der zahnärztlichen Anxiolyse ein relativ kurz wirksames Benzodiazepin einzusetzen.“ 96 Dabei empfiehlt es sich, ein geeignetes Monitoring der wichtigsten kardiopulmonalen Kreislaufkomplikationen oder allergischen Reaktionen, um gegebenenfalls als Benzodiazepin – Antagonist das Antidot Flumazenil (Anexte®) einsetzen zu können. Zu bedenken gilt, dass der verabreichende Arzt eine Notfallausbildung haben sollte und einen sicheren venösen Zugang legen können muss. Über die primär medikamentösen anxiolytischen Verfahren (Jöhren, Sartory) wurde bereits im Kapitel 6.6.2 näher eingegangen. 95 vgl.: Jöhren H.P., Sartory G.: Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie: Ätiologie, Diagnose, Therapie; Schlütersche GmbH & Co. KG – Verlag, 2002 96 Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag, 2004; S.124 86 Vollnarkose: Die Vollnarkose wird auch von Kreyer als Ultima Ratio angesehen und definiert vorwiegend seinen Einsatzbereich bei geistig behinderten Menschen. Vergleiche hierzu auch S.50ff (primär medikamentöse Verfahren zur Schmerzreaktion). „In der psychologisch orientierten Zahnmedizin sollte die Indikation zur Vollnarkose außerordentlich eng gestellt werden, da sie der angestrebten Persönlichkeitsmodifikation entgegenwirkt, weitere Vermeidungsreaktionen zur Folge hat und auch nicht jederzeit verfügbar bzw. beliebig oft wiederholbar ist.“ 97 6.6.5 Weitere Strategien zur Angstbewältigung bzw. Entspannungs – und Ablenkungsverfahren zur Beeinflussung von Zahnbehandlungsangst und – ängstlichkeit Kreyer beschreibt in seinem Konzept der „Integrativen Anxiolyse“ (siehe Kapitel 6.6.4 / S.79) neben der Audio – Analgesie, der transkutanen elektrischen Nervenstimulation unter anderem auch den Einsatz von Videobrillen und sogenannten Mind – Machines als Einsatzmöglichkeiten der positiven Reiztherapie. „Ein Vorteil der positiven Reiztherapie mit Videobrillen besteht darin, dass optischer und akustischer Sinneskanal gleichzeitig aktiviert werden.“ 98 Thema „Methoden zur Patientenentspannung bei Zahnbehandlungsangst“ findet sich im Artikel „Privatkino gegen die Behandlungsangst“ von Matscheck (16.03.2001) die Vorstellung eines klinischen Tests einer Videobrille. Seit November 1999 existiert das Eye – Trek – System, wobei von Olympus und Philips ein aufeinander abgestimmtes Geräteset für die Zahnmedizin erstellt und getestet wurde. Wichtig hierbei war, dass das Gerät die Behandlung nicht stört, der Patient durch gute Übertragungsqualität auch längere Filme betrachten kann und das trotz der Ablenkung der Patient ansprechbar und kontrollierbar bleibt. Der Effekt dieser Videobrille liegt nicht nur in der akustischen, sondern eben auch in der optischen Ablenkung von der Behandlungssituation. Der Betrachter hat das Gefühl, als säße er in 97 Kreyer G., Grundlagen der klinischen Dentalpsychologie; Facultas Universitätsverlag 2004; S.126 98 Kreyer (2004); S.99 87 zwei Meter Entfernung von einem Großbildschirm, Behandlungsgeräusche werden durch den satten Stereosound über integrierte Kopfhörer kaum wahrgenommen und nach Aussage von Dr. Schneller, Dentalpsychologe der Universität Hannover, sind das Schmerz – und Angstempfinden der Patienten durch diese Ablenkung reduziert, da ähnlich wie bei der Hypnose eine Reizumleitung im Limbischen System stattfindet. Durch dieses Phänomen der Ablenkung und Reizumlenkung war auch die Mundöffnung während der zahnärztlichen Behandlung häufig nicht so verspannt, der Würgereiz mancher Patienten war fast vollständig verschwunden und nicht unerheblich war auch der entspannte Effekt für den Behandler und sein Team. Den Vorteilen dieser Möglichkeit der positiven Reiztherapie nach Kreyer stehen Nachteile wie unerwünschte Störungen des therapeutischen Settings durch behandlungsbedingte Änderung der Kopfneigung und Reparaturnotwendigkeiten aufgrund von Korrosionsphänomenen der elektrischen Kontakte der Anlage gegenüber. Der Einsatz sogenannter „Mind – Machines“ im Kontext der positiven Reiztherapie nach Kreyer stellt eine relativ neue Entwicklung auf dem Gebiet der elektronisch unterstützten Entspannung dar, auf die ich hier aber nicht näher eingehen möchte. Mind – Machines stellen eine effektive Methode zur Erzielung eines mittleren Entspannungszustandes dar, wobei jedoch die damit verbundenen Risiken und Gefahren (z.B. die Provokation eines epileptischen Anfalles) vom Routineeinsatz in der zahnärztlichen Praxis abzuraten ist. 99 Abbildung 11 99 vgl.: http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/6_01/pages2/zmed1.htm 88 7 Diskussion Die abschließende Reflexion meiner Diplomarbeit soll nun nach kritischer Literatur – und Internetrecherche bzw. den Besuch von Fachvorträgen und Vorlesungen, sowie das Einfließen lassen eigener Erfahrungen und Beobachtung anderer in der zahnärztlichen Behandlungssituation am LKH – Graz während meiner Ausbildung folgende Aspekte beinhalten: Wurden meine eigenen Vermutungen und Überlegungen zum Thema „Angst – und Stressreduktion in der zahnärztlichen Behandlung“ vor Beginn dieser Arbeit bestätigt? Waren in der differentialdiagnostischen Abklärung von Angstphänomenen geschlechtsabhängige Unterschiede zu finden? Inwiefern bewahrheitete sich die besondere Bedeutung des ärztlichen Gespräches in Zusammenhang mit Patienten mit Zahnbehandlungsangst? Welche krankheitsspezifischen Interventionen und Techniken erleichtern die zahnärztliche Behandlung von Patienten mit Zahnbehandlungsangst? Grundsätzlich wurden meine eigenen Annahmen bezüglich der starken emotionalen Belastung von Patienten mit Zahnbehandlungsangst während eines zahnärztlichen Eingriffes unter anderem durch Beobachtungen deren Ausdrucksverhaltens nach genauerer Auseinandersetzung mit diesem Thema nur bestätigt. Im Rahmen des Literaturstudiums fanden sich Beweise für meine Annahme der Bedeutung der persönlichen Eigenschaften und Verhaltensweisen während der Behandlung gegenüber dem Patienten bezüglich der Entstehung und Vermeidung von Angstgefühlen. 100 Winnberg et al. (1973) und Jöhren und Sartory (2002) bestätigten diese Annahme in einer Untersuchung, in der die Patienten als erwünschte Eigenschaften eines Zahnarztes neben 100 vgl.: Uexküll Th. & Wesiack W., Theorie der Humanmedizin; Urban & Schwarzenberg, München 1988; NA: 1998 89 manuellem Geschick und kurzen Wartezeiten vor allem das Zuhören, das sich Zeit nehmen, Freundlichkeit, Wärme, Ruhe, Aufklärung, sowie das Verständnis für die stress – und angstbehaftete Situation angaben. Fehleinschätzung der wirklich vorhandenen Angst des Patienten ist oftmals Resultat der Tatsache, dass der Patient sein Verhalten dahingehend steuert, im Zahnbehandlungsstuhl sozial erwünscht zu agieren. Meine Erfahrung auf diesem Gebiet beschränkt sich auf mehrmalige Beobachtung des verbalen Austausches des Patienten mit der Assistentin hinsichtlich seiner Angstgefühle während der Abwesenheit des Behandlers. Als schwierig bestätigte sich die Annahme des hohen Erfassungsaufwandes von Zahnbehandlungsangst für den Praxisalltag, wobei sich hier subjektiv – verbale Verfahren von objektivierbaren Methoden zur Angsteinschätzung des Patienten unterscheiden lassen. Besonders zu beachten gilt hierbei, dass auch das „Vermeidungsverhalten“ des Patienten bzw. die Tatsache, dass der Patient als aggressiver, fordernder oder arroganter Mensch imponieren kann, ein möglicher Hinweis für das Vorliegen einer Angststörung sein kann. Durch eigenes Auftretens von Unbehagen in der Behandlungssituation mit schwierigen Patienten besonders zu Beginn meiner Ausbildung konnte ich eine Art „Übertragung“ von Unruhe auf den Patienten wahrnehmen. Die Literaturrecherche (Tönnies und Heering – Sick, Sergl, Müller – Fahlbusch; 1989) im Zusammenhang mit emotionalen, kognitiven und körperlichen Belastungsfaktoren von Zahnärzten bei Behandlung von Patienten mit Zahnbehandlungsangst ergab, dass der Großteil der Behandler die Minderung von Patientenangst als ihre Aufgabe sehen und sich dadurch stark eingeschränkt und belastet fühlen. Auffällig hierbei war, dass personenzentrierte Zahnärzte mit den Persönlichkeitshaltungen „Wertschätzung“, „einfühlendes Verstehen“ und „Echtheit“ sich deutlich weniger eingeschränkt fühlen und mit zunehmendem Alter ein „Abstumpfen“ diesen Situationen gegenüber auftritt. Was die genderorientierten Unterschiede in der differentialdiagnostischen Abklärung von Angstphänomenen betrifft sind folgende relevante Aspekte zu erwähnen: Wie eine Studie von Glanzmann (1989) bestätigt, liegt der Hauptaspekt der geschlechtsspezifischen Unterscheidung in Bezug auf Zahnbehandlungsangst in der Ehrlichkeit der Beantwortung der Selbstbeurteilungsfragebögen. Männer schämen sich häufiger ihrer Angst, leugnen diese also und geben somit oft von der Gesellschaft erwünschte Antworten. In der Literatur werden hierfür als Begründung einerseits biologische Faktoren im Laufe der Entwicklung, andererseits Faktoren der Sozialisation, während der von beiden Geschlechtern unterschiedliches Rollenverhalten erwartet wird, erwähnt. Laut Untersuchungen von Wöller, Alberti, Bachmann und Birkhoff (vgl. Sergl, Müller – Fahlbusch, 1989) werden eindeutig genderorientierte Unterschiede bestätigt, was die deutlich höhere situationsspezifische Angst von Frauen vor der Behandlung bzw. deren größere Angstabnahme vor gegenüber nach der zahnärztlichen Behandlung betrifft. 90 Für Frauen haben laut Literatur situationsspezifische Einflüsse größeres Gewicht, außerdem äußern sie ihre Angst deutlich häufiger als Männer. Auffällig im Rahmen meiner Recherchen war, dass mit längerer Ausbildung und damit eher gehobenen sozialen Positionen eine größere Flexibilität was die Rollenverteilung betrifft verbunden ist, was unter anderem eine Studie von Nippert (vgl. Sergl, Müller – Fahlbusch, 1989) bestätigte. Einzig und allein eine Untersuchung von Schmitz – Hüser (2006) zeigte im Rahmen meiner Literaturrecherchen keine signifikanten genderorientierten Unterschiede in den Fragestellungen, ob Zahnbehandlungsangst generelle geschlechterbezogene Aspekte aufweist, ob sie sich über den Verlauf einzelner Situationen unterscheidet oder ob das Angstempfinden bei Frauen und Männern auf der affektiven, kognitiven oder somatischen Reaktionsebene differiert. Lehnartz (2003) beschreibt bei Frauen ebenfalls ein höheres Ausmaß an Zustandsangst sowohl vor als auch nach der Behandlung, sowie einen wesentlich höheren Angstrückgang der Zustandsangst als bei Männern. Auch Lehnartz verweist hierbei auf mögliche Unterschiede in der Erziehung, die es dem männlichen Geschlecht nicht erlaubt, emotionelle Äußerungen erkennen zu lassen und somit die Bereitschaft der Männer, über Angst zu berichten, sinken lässt. Zu den genderorientierten Aspekten in Bezug auf das subjektive Schmerzempfinden bei zahnärztlichen Maßnahmen in Verbindung mit Zahnbehandlungsangst möchte ich außerdem auf die Studie von Gleissner (2008) verweisen, deren Ergebnisse neben der Verstärkung des subjektiven Schmerzempfindens durch Zahnarztangst, auf eindeutige geschlechtsspezifische Unterschiede in der Prävalenz und dem Ausmaß von Zahnbehandlungsangst und der Angst vor zahnärztlichen Maßnahmen schließen lässt. Was die genderorientierten Unterschiede im Rahmen der Bewältigungstechniken von Zahnbehandlungsangst bei Kindern betrifft, liegt laut Literatur die Feststellung vor, dass beim Prinzip des „Nachahmungslernen“ bzw. „Modelllernen“ folgende Annahme besteht: Ob das Modell nachgeahmt wird, hängt prinzipiell davon ab, wie ähnlich es dem Kind ist, was bedeutet, dass das beobachtende Kind meinen kann, nur Jungen (wenn es selbst ein Mädchen ist) oder Mädchen (wenn es selbst ein Junge ist) können das. Die besondere Bedeutung des ärztlichen Gesprächs in Zusammenhang mit Patienten mit Zahnbehandlungsangst bewahrheitete sich insofern, dass in der Literatur vielfach darauf hingewiesen wird, wie sehr die Arzt – Patienten – Kommunikation“ die Qualität der Anamnese und der Therapie beeinflusst. Gefordert wird vom Patienten eine offene und umfassende 91 Kommunikation bei allen zahnärztlichen Behandlungsschritten, insbesondere über Dauer und Intensität des zu erwartenden Schmerzes. Kreyer (2004) macht das ärztliche Gespräch zum Schwerpunkt seines Anxiolysekonzeptes, das auf sogenanntem „lenkenden Zuhören“ beruht, um Angsttrigger aufzudecken und die zunächst unbewusste, unkontrollierbare Angst des Patienten allmählich in Furcht umzuwandeln, mit der der Patient in der Lage ist, umzugehen und die er auch selbst bekämpfen lernen kann. Zu bedenken gilt auch, dass eine ungenügende Arzt – Patienten – Kommunikation nicht nur Einfluss auf die Compliance nimmt, sondern auch gravierende forensische Konsequenzen haben kann. Im Zusammenhang mit den krankheitsspezifischen Interventionen und Techniken, die die zahnärztliche Behandlung von Patienten mit Zahnbehandlungsangst erleichtern sollen, muss der Tatsache Beachtung geschenkt werden, dass – unter anderem durch Untersuchungen von Klepac (1980), Hill (1952), Lautch (1971) und Müller – Fahlbusch (1991) bestätigt – ängstliche Patienten schmerzempfindlicher sind. Schmerz und Angst beeinflussen sich aufgrund ihrer subjektiv emotionalen Komponente gegenseitig, was im Rahmen meiner Recherchen auch durch medizinische Bildgebungsverfahren (fMRT) in einer amerikanischen Studie (Ochsner, Ludlow, Knierim, Hanelin, Ramachandran, Glover, Mackey; 2006) bestätigt wurde. Jöhren und Sartory (2002) beschreiben im Rahmen ihres Behandlungskonzeptes wie in meiner Arbeit beschrieben folgende Methoden: 1. Primär anxiolytische Verfahren - medikamentös: Prämedikation, Sedierung, Analgosedierung - nicht medikamentös: psychotherapeutische Interventionen 2. Primär schmerzreduzierende Verfahren - medikamentös: Lokalanästhesie, Narkose - nicht medikamentös: Audioanalgesie, TENS, Akupunktur etc. Hierbei ist festzuhalten, dass für eine Allgemeinanästhesie, die nicht angstabbauend wirkt und den Phobiker in seinem Vermeidungsverhalten unterstützt, eine strenge Indikationsliste bzw. Kontraindikationsliste existiert. Besteht für den zahnärztlichen Behandler die Vermutung, dass sein Patient unter einer Oralophobie leidet, so muss dies unbedingt durch den Einsatz der spezifischen Fragebögen verifiziert und dokumentiert werden. Liegt dann eine Narkoseindikation nach ICD10-GM-F40.2 (Oralophobie) vor, so sollte der Behandler zu seiner Sicherheit diese Diagnose durch einen Facharzt für Psychotherapeutische Medizin oder einen klinischen Psychologen bestätigen lassen, um weitere Behandlungsschritte einleiten zu können. Durch die Ausführungen der Maßnahmen zum Angstabbau von Margraf – Stiksrud wird nachvollziehbar, dass die Theorien der Angstentstehung beachtet werden müssen, um an den richtigen Stellen der Prozesse der Angstentstehung Interventionen zum Angstabbau einbringen zu können. Margraf – Stiksrud unterscheidet zwischen Maßnahmen zur Verringerung der 92 Angstreaktion bei Kindern – durch die Veränderung der Bedrohlichkeit der Reize im Sinne einer systematischen Desensibilisierung und operanten Konditionierung, die Veränderung der Bewältigungskompetenz des Kindes durch Nachahmungslernen bzw. Modelllernen, sowie durch das sogenannte Coping – Modell (Ablenkung, Anspannung, Entspannung und kognitive Techniken) – und bei Erwachsenen, die sie in Gruppen mit milden Angstgefühlen, stärkeren Angstzeichen und extrem ängstliche Patienten unterteilt. Auch Margraf – Stiksrud empfiehlt Kinder durch Prämedikation zu beruhigen, hypnotische Maßnahmen zu ergreifen oder im „Notfall“ unter Narkose zu arbeiten, wenn akuter Behandlungsbedarf besteht und ein Aufschieben angstbesetzter Maßnahmen unmöglich ist. Als eine Art Weiterentwicklung der systematischen Desensibilisierung beschreibt Margraf – Stiksrud die sogenannte „Reizkonfrontationstherapie“, die nach Meichenbaum auch als „Angstimpfungstraining“ Erwähnung findet und nach Epstein eine Art Versuch darstellt, aus in ihrer Angstkontrolle gestörte Patienten, erfahrene und angemessen Reagierende zu machen, wobei diese bei der Annäherung an die Situation begleitet und dazu motiviert werden, ihr System der Angsthemmung z.B. unter Anwendung von Selbstinstruktionen neu zu erlernen oder zu verbessern. Die psychotherapeutischen Verfahren, die ein erhebliches Maß an Kooperationsbereitschaft beim Patienten voraussetzen inkludieren Interventionen wie übende Verfahren (systematische Selbstbeobachtung, autogenes Training, progressive Muskelrelaxation, Biofeedback), hypnotherapteutische Maßnahmen, körperorientierte Verfahren, Gesprächstherapie, tiefenpsychologische Interventionen und Verhaltenstherapie. Diese Verfahren stellen meist eine Kombination aus Konfrontationsverfahren im Sinne der systematischen Desensibilisierung, Stressmanagementtraining und kognitiven Ansätzen dar. Kreyer (2004) beschreibt in seinem Schema der „Integrativen Anxiolyse“ ein stufenweises, standardisiertes Vorgehen bei Patienten mit Zahnbehandlungsangst, das die Aspekte, zusätzlich zu den bereits erwähnten Interventionen wie adäquate Gesprächsführung, Verhaltenstherapie, entspannende Therapieverfahren, Hypnose, Pharmakotherapie und Vollnarkose, auch eine sogenannte psychokonkordante Terminwahl, anxiolytische Ambientegestaltung im Sinne einer positiven Reiztherapie und die Milieutherapie beinhaltet. 93 8 Konklusion Gleich anfangs möchte ich auf das große Dilemma in der Behandlung von Patienten mit Zahnbehandlungsangst hinweisen. – Diese Patienten gehen meist erst dann zum Zahnarzt, wenn der Leidensdruck bereits so stark ist, dass eine Behandlung unumgänglich erscheint. Zu bedenken gilt hierbei, dass beim Vorliegen einer Entzündung eine Schmerzausschaltung mittels Lokalanästhesie nicht gewährleistet werden kann, der Patient somit im Rahmen der Notfallbehandlung Schmerzen erlebt, sich damit erneut in seiner negativen Einstellung einer Zahnbehandlung bestätigt fühlt und die Weiterführung der Therapie infolge meist vermieden wird. Demnach ist es ratsam, bei krankhaft ängstlichen Patienten im Rahmen von Notfalleingriffen zu ergänzenden Maßnahmen wie Prämedikation, Sedierung und Analgosedierung zu greifen, wobei zu beachten gilt, dass die intravenöse Gabe eines Analgetikums und eines Sedativums im Verbindung mit einer Lokalanästhesie die Gefahr der Bewusstlosigkeit des Patienten birgt und somit die Möglichkeiten des kardiopulmonalen Monitoring und der Intubation gewährleistet werden muss, was eventuell die Kooperation mit einem Anästhesisten voraussetzt. Der diese Medikamente verabreichende Zahnarzt sollte eine Notfallausbildung haben und einen sicheren venösen Zugang legen können. Anhand von Literaturrecherchen im Rahmen meiner Diplomarbeit mit dem Ziel, Voraussetzungen, Methoden und psychologische Hilfsmittel für eine angst –, schmerz – und stressarme zahnärztliche Behandlungssituation näher zu betrachten, stieß ich neben kompetenter Information, manuellem Geschick, Zuwendung und Wertschätzung des Patienten immer wieder auf die absolute Dringlichkeit der Kommunikation. Das psychotherapeutische Grundwissen des Zahnarztes sollte die Themenbereiche „Angstabbau“ und „ Umgang mit Stressreaktionen“ umfassen, um den Anforderungen des ärztlichen Gespräches und insbesondere der Kommunikation mit Kindern gewachsen zu sein. Die Anwendung psychotherapeutischer Methoden ist nur in enger Zusammenarbeit des Zahnarztes mit Psychologen und Psychotherapeuten unter Kontaktaufnahme zu entsprechenden Instituten in Praxisnähe sinnvoll, um ein gemeinsames Therapiekonzept festzulegen. Zu bedenken gilt, dass es oft schon mit recht einfachen Mitteln wie zum Beispiel genaue Information über die Art und Dauer einer Behandlungsmaßnahme möglich ist, die Bedrohlichkeitserwartung des Patienten während eines zahnärztlichen Eingriff so einzudämmen, dass die mit der Angst gekoppelten Vermeidungstendenzen überwunden werden können bzw. sogar der Schmerz eher ertragen werden kann. Hierbei ganz entscheidend ist, sich der Sprache des Patienten anzupassen, verständlich zu erklären und während der Behandlung auf das Ausdrucksverhalten des Patienten zu achten, um dementsprechend rechtzeitig darauf reagieren zu können. 94 Die Compliance stellt quasi die Messgröße für die Effektivität der bestehenden Kommunikation, also einer guten Arzt – Patienten – Beziehung und somit einer entspannten Behandlungssituation dar. Die Mitarbeit und das kooperative Verhalten des Patienten im Rahmen der zahnärztlichen Behandlung sind von großem praktischem Interesse, da nicht zuletzt der Zeitfaktor im Praxisalltag eine wesentliche Rolle spielt. Der behandelnde Arzt sollte sich stets der Tatsache bewusst sein, dass die Qualität der Anamnese und der Therapie deutlich steigen, wenn sich der Patient nicht ausgeliefert, sondern verstanden fühlt, was zur Folge hat, dass er somit auch Therapievorschläge besser akzeptiert wird. Unwahrheiten bezüglich der bevorstehenden Therapie oder Überraschungsangriffe werden von den meisten Angstpatienten und vor allem von Kindern als Vertrauensbruch gewertet und beeinflusst nachhaltig die Arzt – Patienten – Beziehung. In diesem Sinne ist es unerlässlich, das zentrale Betätigungsfeld des Zahnarztes, das Cavum oris, als persönlichkeitsnahe Schlüsselzone des Menschen zu achten und nicht nur als anatomische Region zu verstehen, in welchem sich die Zähne als Objekte unserer Tätigkeit befinden. Abbildung 12 95 9 Literaturverzeichnis 1. Adler A., Heilen und Bilden; Fischer Verlag, Frankfurt 1914; NA: 1986 2. ÄK – Diplomfortbildung: Curriculum „Hypnose und Kommunikation“ (ÖGZH / „Österreichische Gesellschaft für ärztliche und zahnärztliche Hypnose“), Kursunterlagen vom Dezember 2007 – November 2008 3. Balint M., Arzt – Patient – Krankheit; Klett Verlag, Stuttgart 1960; NA: 1986 4. Biddulph S., Das Geheimnis glücklicher Kinder; Wilhelm Heyne Verlag, München; 2001 5. 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Rachman S., Angst: Diagnose, Klassifikation und Therapie; Verlag Hans Huber, 2000 23. Riemann F., Grundformen der Angst – Eine tiefenpsychologische Studie; Ernst Reinhardt Verlag München Basel, 2003 24. Schmierer A., Schütz G., Entspannt zum Zahnarzt / So überwinden sie ihre Angst; Carl – Auer Verlag, 2008 25. Schmitz-Hüser P.M., „Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Zahnbehandlungsangst und kardiovaskulären Parametern bei Betrachtung des affektiven, kognitiven und somatischen Angsterlebens“, Dissertation an der Medizinischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen, 2006 26. Sergl H.G., Müller – Fahlbusch H., Angst und Angstabbau in der Zahnmedizin; Quintessenz Verlags – GmbH, 1989 27. Simma I., „Komplementäre Zahnmedizin – Ganzheitliche Funktionstherapien“; SS 2008 28. Uexküll Th. & Wesiack W., Theorie der Humanmedizin; Urban & Schwarzenberg, München 1988; NA: 1998 29. Wass A., Diplomarbeit „Angstabbau und Stressreduktion in zahnärztlichen Praxis unter Einsatz hypnotherapeutischer Methoden“, Naturwissenschaftliche Fakultät der Universität Salzburg, 2001 30. Weizsäcker V., Der Gestaltkreis; Thieme Verlag, Leipzig 1940, in G.S.: Bd. 4., Surkamp Verlag, Frankfurt 1988 31. Wetzel W. – E., Die Angst des Kindes vor dem Zahnarzt; Carl Hanser Verlag München Wien; 1982 98 32. Winnberg G., Forberger E., Psychologie in der Zahnarztpraxis, 2. überarbeitete Auflage; Hüthig Buch Verlag GmbH, 1992 33. Wyss D., Erkranktes Leben – Kranker Leib; Vandenhoeck & Ruprecht Verlag, Göttingen 1986 99 10 Internetquellen Allgemein: www.oralophobia.de (Seite des Deutschen Instituts für psychosomatische Zahnmedizin – Psychologie in der Zahnheilkunde und zahnärztliche Psychotherapie) www.za-angst.de www.allgemeine-angstauskunft.de www.zahnarzt-angst.de www.traumzahnarzt.de (Seite der Zahnärztlichen Angstambulanz Hamburg) www.forum-nat-zahngesundheit.de www.dgzh.de (Information der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Hypnose) http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/12_05/pages2/zmed1.htm (Dr. Dr. Norbert Enkling Prof. Dr. Gudrun Sartory Gabriele Marwinski Priv.Doz. Dr. Peter Jöhren Universität Witten /Herdecke Abteilung für Zahnärztliche Chirurgie und Zahnklinik Bochum Augusta-Kranken-Anstalt Bergstraße 26 44791 Bochum) http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/22_06/pages2/zmed4.htm (Priv.-Doz. Dr. med. Ralf Nickel Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Spezielle Schmerztherapie (Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie HSK Dr. Horst Schmidt) Klinik Wiesbaden am Standort Schlangenbad Rheingauer Str. 35 65388 Schlangenbad) http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/6_01/pages2/zmed1.htm (Wolfgang Matscheck Zeithstr. 138 53819 Seelscheid) 100 http://deposit.ddb.de/cgibin/dokserv?idn=980409128&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=980409128.pdf („Untersuchung zum Zusammenhang zwischen Zahnbehandlungsangst und kardiovaskulären Parametern bei Betrachtung des affektiven, kognitiven und somatischen Angsterlebens“ Von der Medizinischen Fakultät der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Zahnmedizin genehmigte Dissertation vorgelegt von Peter Matthias Schmitz-Hüser) http://www.aerztezeitung.de/panorama/auch_das_noch/default.aspx?sid=362709 http://www.medical-tribune.at http://de.wikipedia.org Speziell: http://www.oralophobie.de/cgi-bin/macher_pub_fachinfo.pl?rubrik=4 (S.20) http://de.wikipedia.org/wiki/Neurotizismus (S.22) http://de.wikipedia.org/wiki/Antinom (S.24) http://www.oralophobie.de/artikel2.htm (S.33) http://www.ortelius.de/tauchen_angst/exam_web-Hat.html (S.34) http://www.angstportal.de/EX09---Interview-mit-Frau-Dr.-Bielstein.html (S.34) http://www.aerztezeitung.de/panorama/auch_das_noch/default.aspx?sid=362709 (S.36) http://www.problemkreis-sad.de/1931_DEU_HTML.asp (S.43) http://www.dr-rgmueck.de/Wissenschaftsinfos/SAD/Bildgebung-Schmerz-Angst.htm (S.43) http://www.dgz-online.de/dgz_tagung_2008.pdf69 (S.47) http://www.oralophobia.de/artikel3.htm (S.48) http://www.oralophobie.de/cgi-bin/macher_pub_fachinfo.pl?rubrik=4 (S.51) http://www.oralophobia.de/artikel3.htm (S.52) http://de.wikipedia.org/wiki/Akupunktur (S.54) http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/12_05/pages2/zmed1.htm (S.56) 101 http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/22_06/pages2/zmed4.htm (S.56) http://de.wikipedia.org/wiki/Klientenzentrierte_Psychotherapie (S.58) http://www.drsedlacek.at/behandlungsschwerpunkte/klientenzentriertegespraechsfuehrungnachro gers/klientenzentriertegespraechsfuehrungnachrogers.html (S.58) http://www.aerztezeitung.de/suchen/default.aspx?query=zahnbehandlungsphobie&sid=386247 (S.63) http://de.wikipedia.org/wiki/Operante_Konditionierung (S.65) http://www.oralophobie.de/artikel3.htm (S.70) http://de.wikipedia.org/wiki/Midazolam (S.71) http://www.oralophobie.de/artikel3.htm (S.71) http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/12_05/pages2/zmed1.htm (S.72) http://www.oralophobie.de/artikel3.htm (S.72) http://www.oralophobie.de/cgi-bin/macher_pub_fachinfo.pl?rubrik=4 (S.74) http://www.oralophobie.de/cgi-bin/macher_pub_fachinfo.pl?rubrik=4 (S.75) http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/12_05/pages2/zmed1.htm (S.77) http://www.zm-online.de/m5a.htm?/zm/6_01/pages2/zmed1.htm (S.86) 102 11 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: http://www.tarau.de/nofi/Images/APP_82_1517621813_MOO_507297.jpg Abbildung 2: http://www.stollart.de/teil2/images/stories/zahnarzt_1.jpg Abbildung 3: http://gesundheitsnews.imedo.de/wp-content/uploads/2008/12/zahnarzt-300x 300x220.jpg Abbildung 4: http://www.ims.uni-stuttgart.de/phonetik/joerg/sgtutorial/hirnfunktionen.html Abbildung 5: http://p3.focus.de/img/gen/U/B/HBUBFpKq_Pxgen_r_220xA.jpg Abbildung 6: http://www.nastorseriessix.de/wp-content/uploads/2009/02/54230060-angst-zahnarzt.jpg Abbildung 7: http://www.alzheimer-forschung.de/images/illu_anazomie.jpg Abbildung 8: http://www.mona.uwi.edu/fpas/courses/physiology/neurophysiology/AnterolatSys.htm Abbildung 9: http://www.intraligamentaere-anaesthesie.info/citoject.jpg Abbildung 10: http://www.zhkplus.de/jpg/f3b.jpg Abbildung 11: http://www.gizmag.com/pictures/hero/1276_02.jpg Abbildung 12: http://www.midentistry.com/images/A.jpg 103 12 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Rachmann S., Angst: Diagnose, Klassifikation und Therapie; Verlag Hans Huber, 2000; S.12 Tabelle 2: http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/EMOTION/Riemann.shtml Quellen: Riemann F. (1990). Grundformen der Angst. München: Ernst-Reinhardt-Verlag. Sponsel, R. (2001). Die vier Grundstrukturen nach Fritz Riemann's Grundformen der Angst. IPGIPT. Erlangen: http://www.sgipt.org/gipt/ diffpsy/cst/cst0.htm (03-06-08) Tabelle 3: Jöhren u. Sartory, „Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie“, Schlütersche Verlag, 2002; S.22; nach einer Untersuchung an 98 erwachsenen Patienten ermittelten Liste von erwünschten und unerwünschten Eigenschaften des Zahnarztes nach Winnberg et al. (1973) Tabelle 4: Jöhren u. Sartory, Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie; 2002, Schlütersche Verlag, S.36 Tabelle 5: Angstindikatoren aus: Jöhren u. Sartory, Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie; 2002, Schlütersche Verlag, S.37 und Sergl u. Müller – Fahlbusch, Angst und Angstabbau in der Zahmedizin; 1989, Quintessenz Verlag, S.17 Tabelle 6: Verhaltensbeurteilung nach Frankl et al. aus: Jöhren u. Sartory, Zahnbehandlungsangst – Zahnbehandlungsphobie; 2002, Schlütersche Verlag, S.38 Tabelle 7: Curriculum „Hypnose und Kommunikation“ 07 / Wien 18 / A2; 17. bis 18. 2.2008; Ausbildungskurs 2 / Grundlagen der ärztlichen Hypnose II; Referenten: Dr. Allan Krupka, Dr. Nick Steiner; S.2 104 13 Curriculum vitae Name: Krainz Claudia Geburtsdatum: 24.09.1975 Staatsbürgerschaft: Österreich Adresse: Billrothgasse 45 b / 15 8047 Graz Tel.Nr: 0650-9030777 Mail: [email protected] Volksschule: 1982 – 1986 Volksschule Liezen Mittelschule: 1986 - 1994 Stiftsgymnasium Admont unter besonderer Berücksichtigung der musischen Ausbildung (Gesang, Gitarre) Ausbildung: ab 1994 Studium der Humanmedizin mit Umstieg auf Zahnmedizin im SS 01