Karriere + Trends Wirtschaft und Politik Zwei für die Schweiz Der Unternehmer Jobst Wagner (56) ist Miteigentümer und Präsident der Rehau Gruppe mit Sitz in Muri BE. In der Öffentlichkeit trat er bis anhin vor allem als Kunstförderer und Präsident der Berner Kunsthalle auf oder als Spender des Schweizer Buchpreises. Seit einigen Jahren engagiert er sich auch als Politmäzen, unter anderem mit dem StrategieDialog21 und dem Verein Vorteil Schweiz. Während die etablierten Verbände zaudern, entwickelt die Wirtschaft selbst Initiativen, um die Kluft zur Politik zu schliessen – allen voran der Unternehmer Jobst Wagner und der Banker Hans-Ulrich Müller. FLORENCE V UICHARD TEXT / RAFFAEL WALDNER FOTOS A lles fing vor rund sechs Jahren mit einem Telefonanruf an. SVP-Nationalrat Rudolf Joder wollte Jobst Wagner für eine Nationalratskandidatur gewinnen, denn es fehlte seiner Partei an Unternehmern. Der Präsident und Miteigentümer der Rehau Gruppe reagierte überrascht – und sagte dann nach reifl icher Überlegung ab. Der Anruf habe aber viel ausgelöst, betont er heute. Er sei Rudolf Joder dankbar. Früher habe er die innenpolitischen Debatten mal mehr, mal weniger verfolgt, von da an aber las er die Zeitungen intensiver, schaute die Fernseh-«Arena» mit anderen Augen. Kurz darauf stieg Wagner als Aktionär und Verwaltungsrat bei der Zeitschrift «Schweizer Monat» ein, wo er regelmässig Texte veröffentlicht. 2012 entwickelte er ein Konzept für einen Strategierat21, der die Schweiz von morgen prägen sollte, ein Jahr später gründete er basierend darauf die Stiftung StrategieDialog21 und engagiert sich seit kurzem im Verein Vorteil Schweiz, der die bilateralen Verträge mit der EU sowie das Völkerrecht bewahren will. «Ziviles Engagement ist zu meinem Lebensmittelpunkt geworden», sagt er. Wagners neustes Projekt nennt sich Wunsch-Schloss und ist ein Ideenwett76 BILANZ 08/2015 bewerb, den er gemeinsam mit dem CSBanker Hans-Ulrich Müller lanciert hat, dem Vater der KMU-Plattform Swiss Venture Club (SVC). Damit wollen die beiden den Graben wieder zuschütten, der sich im Lauf von 30 Jahren Globalisierung zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik geöffnet hat. Oder jedenfalls einen Beitrag leisten, damit dieser wieder etwas kleiner wird. Ihr ge- Müller und Wagner wollen nicht länger zuschauen, wie sich die Schweiz selber demontiert. meinsamer Aufruf: Unternehmer und Bürger, Firmenchefs und «Büezer» sollen jetzt – im Wahljahr – online ihre Wünsche und Wirtschaftsanliegen an die Politik ein reichen. Eine Jury, der unter anderem der Unternehmer Thomas Sterchi, der Schriftsteller Lukas Bärfuss und der Economiesuisse-Chefökonom Rudolf Minsch angehören, wählt die zehn besten Ideen aus. Alle hätten sofort zugesagt, ebenso wie die Politiker von den Grünen bis zur SVP, die im Beirat sitzen. «Das beweist, dass wir mit dieser Initiative den Nerv treffen», sagt Müller. Showdown in Thun. Die zehn Finalisten gewinnen je zehn Minuten Redezeit und können ihre Wünsche am 9. Juni im Schloss Thun präsentieren, das Müller über die gemeinnützige Schlossberg AG gehört. Das Publikum wählt dort einen Sieger. Im Sommer darf dieser sein Wirtschaftsanliegen den Generalsekretä ren aller grossen Parteien präsentieren. Die Eingabefrist läuft noch bis Ende April. Der Rücklauf sei gut, betonen die Initianten. Doch damit ist es nicht getan. «Das wird keine einmalige Aktion», sagt Müller. «Wir werden dranbleiben und weiter den Dialog suchen – insbesondere im Herbst vor den Wahlen.» Denn er erwartet von den Parteien, dass sie die Anliegen ernst nehmen – und wenn möglich auch in den politischen Prozess einspeisen. «Das werden wir genau beobachten», sagt Müller. Hartnäckig sein, das kann er. Das hat er schon oft bewiesen: 2001 gründete er als Privatperson gemeinsam mit Elisabeth Zölch Bührer, der Präsidentin des Arbeitgeberverbandes der Uhrenindustrie, und dem Anwalt Beat Brechbühl den SVC als Austausch-Plattform für KMUs. Er gab 2003 das Startkapital im Wert von 25 000 Franken für den ersten Unternehmenspreis, weitete den Club nach und nach von der Region Bern auf die ganze Schweiz aus, fand Sponsoren – und gewann seine Arbeitgeberin, die Credit Suisse, als Partnerin, die gar einen Fonds von 100 Millionen Franken äufnete für KMUs mit zu wenig Eigenmitteln. Und wo das Geld zu knapp wurde und ein Unternehmen vor dem Schliessungsentscheid stand, stieg Müller selber ein – etwa bei der Kartonfabrik Deisswil. Der umtriebige Optimist sieht überall Chancen, wie er selbst sagt. Im Vorfeld der Abstimmung über die 1:12-Initiative hat sich Hans-Ulrich Mül- ler erstmals in eine politische Debatte eingemischt. «Es war mir eine Herzensangelegenheit», wie er sagt. Dafür erntete er aus den Reihen des SVC viel Lob, aber auch Kritik, da es unter den Mitgliedern des eigentlich politisch neutralen KMUVereins auch Befürworter des Anliegens der Jungsozialisten gab. Das bewog ihn dazu, ein Podium zur 1:12-Initiative zu organisieren – und beiden Seiten eine Plattform zu geben. Die politische Debatte ist jetzt gefragter denn je, wie Müller sagt. Denn das Ja zur SVP-Zuwanderungsinitiative hat die Wirtschaft unsanft wachgerüttelt. Und da die etablierten Wirtschaftsverbände zwar das Problem benennen, aber gegen- über der SVP Beisshemmungen zeigen und sich bis anhin weder durch Kampfgeist noch Engagement auszeichneten, formieren sich Unternehmer selber, in alternativen Gruppierungen. Sie organisieren Appelle im Internet, gründen Vereine und Initiativkomitees (siehe auch «Gründerfieber» auf Seite 78). Oft findet man dieselben Akteure gleich in mehreren Gremien, wie zum Beispiel Jobst Wagner und Hansjörg Wyss, wie den FDPNationalrat und Unternehmer Ruedi Noser, den ehemaligen Staatssekretär und Noch-CS-Verwaltungsrat Jean-Daniel Gerber oder die PR-Agentur Furrerhugi. Bemerkens werterweise haben mehrere dieser neuen Gruppierungen ihren Ursprung in Bern und nicht etwa im Wirtschaftszentrum Zürich. Träge Egoisten. So unterschiedlich der zurückhaltend wirkende Wagner und der nur so vor Energie strotzende Müller sind, gemeinsam ist ihnen die Überzeugung, dass sie nicht länger untätig zuschauen wollen, wie sich die Schweiz selbst demontiert – als Wirtschaftsstandort, aber auch als Gesellschaft. Müller beklagt, dass Erfolg und Wohlstand träge machten, dass Errungenschaften für selbstverständlich angesehen würden und jeder nur noch für sich schaue. «Es braucht mehr Dialog, mehr Austausch.» Auch zwischen Wirtschaft und Politik. Das ist ! 08/2015 BILANZ 77 Karriere + Trends Wirtschaft und Politik NEUE NETZWERKE Gründerfieber Die Wirtschaft formiert sich neu, ausserhalb der etablierten Verbände: Unternehmer gründen Vereine, lancieren Initiativen und Projekte. StrategieDialog21 2013 gegründet vom Unternehmer und Rehau-VR-Präsidenten Jobst Wagner. Die Stiftung richtet sich an Meinungsmacher, junge Wilde und Entscheidungsträger und will mit kreativen Ideen in der öffentlichen Debatte die Schweiz von morgen prägen. Die Stiftung ist auch Mitinitiantin des Wunsch-Schloss-Ideenwettbewerbs. Wunsch-Schloss Ideenwettbewerb, lanciert von Jobst Wagners StrategieDialog21 und der 2001 gegründeten KMU-Plattform Swiss Venture Club von Hans-Ulrich Müller. Als Sponsor tritt das Centre Patronal auf. Das Ziel von Wunsch-Schloss: den Graben zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und Politik wieder zuzuschütten. Bis zum 30. April können Unternehmer und Bürger ihre Wirtschaftsanliegen auf der Homepage deponieren. Vorteil Schweiz Verein zum Erhalt der bilateralen Verträge und des Völkerrechts. Geldgeber für die Anschubfinanzierung von zwei Millionen Franken sind Jobst Wagner und Hansjörg Wyss, die Geschäftsstelle führt die PR-Agentur Furrerhugi. Mit dabei sind auch Warenhausbesitzerin Nicole Loeb, Alt-Staatssekretär Jean-Daniel Gerber und Politiker fast aller Parteien wie Hans Grunder (BDP), Ruedi Noser (FDP), Filippo Lombardi (CVP), Tiana Angelina Moser (GLP) und Pascale Bruderer (SP). Die Schweiz in Europa Der Online-Appell für ein gutes Verhältnis zu Europa wurde nach dem 9. Februar 2014 initiiert und bis heute von knapp 3000 Personen unterzeichnet, unter anderem von Patrick Odier, Präsident der Bankiervereinigung, dem Lonza-Präsidenten Rolf Soiron, dem ETHLausanne-Präsidenten Patrick Aebischer oder den Alt-Bundesräten Micheline Calmy-Rey und Pascal Couchepin. Die Initianten, der frühere Botschafter Benedikt von Tscharner, der Völkerrechtsprofessor Thomas Cottier und Jean-Daniel Gerber, haben aus dem Appell einen Verein gegründet. Eine Koordinationsaufgabe zwischen all den Europa-interessierten Gruppen wurde vom Zürcher Alt-Regierungsrat Markus Notter und vom Berater Thomas Held angestrebt. Raus aus der Sackgasse Das Initiativkomitee will die Abstimmung zur Masseneinwanderung rückgängig machen und den Artikel 121a aus der Bundesverfassung streichen. Die unter anderem von den Rechtsprofessoren Andreas Auer und Thomas Geiser lancierte Initiative wird unterstützt von Nick Beglingers Wirtschaftsverband Swisscleantech und Unternehmern wie Hansjörg Wyss oder Urs Hammer. Operation Libero Verein liberal gesinnter Jungakademiker, gegründet nach dem 9. Februar 2014, der sich für eine offene Schweiz einsetzt. Die Co-Präsidenten sind Dominik Elser und Flavia Kleiner. Succèsuisse Der Unternehmer und FDP-Mann Ruedi Noser initiierte die bürgerliche Kampagnenplattform im Vorfeld zur 1:12-Initiative. Sie bekämpft linke Anliegen und hat 1000 Mitglieder, darunter die Unternehmer Peter Stämpfli und Martin Haefner oder Martin Naville (SwissAmerican Chamber of Commerce). Die Geschäftsstelle führt Furrerhugi. 78 BILANZ 08/2015 Der Banker ! für Müller, der sich als «blosser Vermittler» sieht, die Basis für Innovation, aber auch dafür, dass die Gesellschaft das «grosse Bild» nicht aus den Augen verliere – einer seiner Kernwerte, gemeinsam mit der «innergesellschaftlichen Solidarität» und der «Zusammenarbeit im Team», das im Idealfall wie eine Familie funktioniere. Und in diesem Prozess habe auch die Wirtschaft eine Bringschuld. Das Wunsch-Schloss sei eine Antwort, ein Zeichen. Und auch ein Versuch, wieder eine gemeinsame Sprache zu entwickeln. Innerer Antrieb für Wagner ist sein Kampf für die Werte, die auch beim StrategieDialog21 zuoberst stehen: Freiheit und Verantwortung. Das Wort «liberal» verwendet er mit Absicht nicht, denn es werde von links bis rechts missbraucht. Frei ist gemäss Bundesverfassung nur, wer seine Freiheit auch gebrauche. Doch Seit 33 Jahren ist HansUlrich Müller (65) Banker. Er stieg bei der Volksbank ein und machte bei der CS Karriere. 2001 gründete er die KMU-Plattform Swiss Venture Club (SVC), die er nach und nach ausbaute. Der Verein setzt sich für die Interessen der KMUs ein und fördert auch den Austausch mit der Politik – aktuell mit dem Ideenwettbewerb WunschSchloss. Innerer Antrieb für Wagner ist sein Kampf für die Werte Freiheit und Verantwortung. dazu müsse man gegen die eigene Bequemlichkeit ankämpfen. «Das machen zu wenige. Freiheit ist nicht sexy.» Doch es sei nötig. «Wir leben heute in einer neuen Art Spiesser tum», beklagt Wagner. In einer Welt, in der alles durchreguliert werde – vom Hundekurs über einen ausufernden Verkehrsregelkatalog bis hin zum kleinsten Bankgeschäft. Es braucht ein neues Narrativ. Wagner spricht von einer «Wohlstandsverwöhnung» und staunt über die hierzulande grassierende Selbstüberschätzung. «Uns geht es zu gut», sagt er. «Wir nehmen uns zu wichtig, sind uns unserer Rolle nicht mehr bewusst.» Die Annahme der SVPZuwanderungsinitiative am 9. Februar 2014 hat ihn «tief getroffen». Nach anfänglicher Ratlosigkeit engagiert er sich nun mit Hansjörg Wyss, einem guten Freund, im Verein Vorteil Schweiz, der zwei klar definierte Ziele verfolgt: die Sicherung der bilateralen Verträge mit der EU sowie übernähmen, dann könne er wieder in die zweite Reihe zurücktreten, sagt Jobst Wagner. Denn die ihm von den Medien zugetragene Rolle als AntiBlocher behagt ihm nicht. «Aber jetzt muss jemand hinstehen.» den Erhalt des Völkerrechts und damit auch der Menschenrechte. Wyss hatte seinen Missmut über die Zuwanderungsinitiative bereits im vergangenen Oktober in einer fulminanten Rede im Rahmen eines Kongresses über die Zukunft junger Forscher in Bern kundgetan – und dabei nicht nur die SVP kritisiert, sondern auch die Feigheit ihrer politischen Gegner: «Warum habe ich selbst noch nie von einer anerkannten Schweizer Persönlichkeit, sei es ein Politiker, Wissenschaftler, Unternehmer, eine enthusiastische Aussage ohne negativen Unterton über die EU, ihre Entstehung und ihren ausserordentlich positiven geopolitischen und wirtschaftlichen Bei- trag zur Entwicklung der Länder Europas seit dem Zweiten Weltkrieg gehört?» Auch Wagner sieht Nachholbedarf bei jenen Parteien und Kräften, die bis anhin für eine offene Schweiz votiert haben. «Sie sagen wenig.» Jetzt muss also ein neues Narrativ her – für die Schweiz, für Europa. «Wir müssen eine positive Geschichte entwickeln», betont Wagner, «ein neues Bewusstsein schaffen.» Heute wird der politische Diskurs von der SVP-Schweiz dominiert, welche die Vergangenheit beschwört und die Abschottung propagiert. Ziel von Vorteil Schweiz ist es, eine «breite Volksbewegung» zu werden, offen für alle. Wenn andere dem Aufruf folgten und Aus der Deckung. Unternehmer und Manager, die sich hinauswagen und mit einer politischen oder gesellschaftlichen Meinung an die Öffentlichkeit treten, riskieren, zum Buhmann zu werden. Dessen ist sich Wagner durchaus bewusst und verweist auf den Sturm der Entrüstung, der über UBS-Chef Sergio Ermotti hereinbrach, als dieser sich Mitte Februar in einem Gastbeitrag in mehreren Zeitungen zu Wort meldete und davor warnte, dass das «Erfolgsmodell Schweiz» gefährdet sei. Aber anders als der Grossbanklenker wollen Wagner und auch Müller nicht nur kurz für Schlagzeilen sorgen und dann wieder in der Versenkung verschwinden, sondern den Dialog mit der Politik langfristig sichern. Selbst aktiv in die Politik einsteigen hingegen wollen die beiden nicht. Weder Müller, der seit 30 Jahren Mitglied der SVP ist, noch der parteilose Wagner, der letztlich sein politisches Engagement einer persönlichen Anfrage aus der SVP verdankt. Sie hätte aber auch von einer anderen Partei stammen können. Aber eben, die haben nicht gefragt. " 08/2015 BILANZ 79