Rezensionen Weill über im deutschen Sprachraum weniger bekannte Stücke wie Václav Havels Zebrácká opera, Wole Soyinkas Opera Wonyosi, Chico Buarque de Hollandas Ópera do Malandro, Dario Fos L’opera dello sghignazzo bis hin zu Alan Ayckbourns A Chorus of Disapproval. Uwe Böker ordnet im ersten Beitrag die Beggar’s Opera von John Gay in die sozialhistorischen Kontexte der Entstehungszeit ein und benennt mit der Kriminal- und Bettlerthematik, der politischen Satire, der parodistischen Umdeutung der italienischen opera seria zur englischen ballad opera und der Kommerzialisierung von Kultur und Literatur wichtige Eckpfeiler des Publikumserfolgs von 1728. Dieser eigentümliche Grundakkord aus gesellschaftspolitischer Satire und Kommerz, aus dem Unterhaltungsanspruch einer beginnenden leisure industry und dem durchaus subversiven Potenzial des Stoffes wird auch in den anderen Beiträgen des Sammelbandes aufgenommen und erweist sich als Gradmesser für die Akzentverschiebungen, die die Autoren von Bearbeitungen und Neufassungen im Hinblick auf den jeweiligen zeit- und kulturgeschichtlichen Kontext vorgenommen haben. Diese Herangehensweise ermöglicht immer wieder aufschlussreiche Seitenblicke auf weniger beachtete ‘Nebenschauplätze’: So beleuchtet Ian Gallagher das Rechts- und Strafsystem sowie Londons kriminelle ‘Unterwelt’ um 1728, während sich Anna-Christina Giovanopoulos mit den historischen Vorbildern für John Gays Beggar’s Opera sowie deren Mystifizierung beschäftigt. Horst Höhne richtet sein Augenmerk auf Polly, die wenig erfolgreiche und kaum bekannte Fortsetzung der Bettleroper, mit der es John Gay nicht gelang, an den Erfolg seines GenreErstlings anzuknüpfen. Frank Engelmann lotet anhand der 1773 aufgeführten Bow-Street Opera den schmalen Grat zwischen Adaption, Bearbeitung und Plagiat aus. Das ebenso emphatische wie nüchtern-sachliche “Hoppla” aus dem Lied der Seeräuber-Jenny wählt Klaus Schuhmacher als Ausgangspunkt für seine Überlegungen zur Dreigroschenoper von Bertolt Brecht und Kurt Weill. Es wird für ihn zur Chiffre einer spezifischen Ästhetik, zum “Erkennungswort der Epoche”, in dem sich jene “Suchtmixtur aus Desillusion und Schamlosigkeit, Sachlichkeit und Sentimentalität” (193) spiegelt, mit der Brecht/Weill den Nerv der Forum Modernes Theater, Bd. 22/2 (2007), 217–219. Gunter Narr Verlag Tübingen Zeit treffen. Den europäischen Modellen der Beggar’s Opera und der Dreigroschenoper stellt Wumi Raji die 1977 entstandene Opera Wonyosi von Wole Soyinka gegenüber und untersucht Umakzentuierungen, wie sie Soyinka im Hinblick auf die soziokulturelle Situation im postkolonialen Afrika der ausgehenden 70er Jahre vorgenommen hat. Auch Kathrin Sartingen, Christoph Oliver Mayer und Anja Müller konzentrieren sich in ihren Beiträgen über die Umdeutungen der Beggar’s Opera durch Chico Buarque de Hollanda, Dario Fo und Alan Ayckbourn auf die Frage nach den Techniken und Verfahrensweisen des ReWriting, der kulturellen Übertragbarkeit, dem Aktualitätsbezug und dem provokativen Potenzial des Stoffes in seiner Scharnierfunktion zwischen den Zeiten und Kulturen. Auch wenn einzelne Aufsätze z.T. ein wenig zu kursorisch geraten sein mögen, erlaubt der Sammelband ein produktives ‘Re-Reading’, eine neue Sicht auf bekannte wie unbekannte Bearbeitungen und Fortschreibungen der Beggar’s Opera von 1728 bis 2004 und wird somit zum interessanten Referenzpunkt für die Phänomene des Re-Writing und der Adaption. Mainz CONSTANZE SCHULER Martin Revermann: Comic Business. Theatricality, Dramatic Technique, and Performance Contexts of Aristophanic Comedy. Oxford: University Press, 2006, XIV + 396 S. Die hier anzuzeigende Studie Revermanns kann eine doppelte Bedeutung beanspruchen. Sie arbeitet (1) ein wesentliches Strukturmerkmal der attischen Alten Komödie – in Abhebung zur Tragödie – heraus, ihre besondere ‘Betriebsamkeit’, Dynamik und Handlungsvielfalt (von Revermann als ‘comic business’ gefasst), die sie von der eher statischen Tragödie unterscheidet. Hierfür nutzt Revermann (2) das Instrumentarium des performance criticism, das er zugleich weiterentwickelt. Diese zweite Bedeutung macht Rever- 217 218 Rezensionen manns Buch generell für das Studium des attischen Dramas wichtig. Denn bei der Interpretation der Bühnenhandlung von Tragödie wie Komödie (bekanntlich fehlen in den antiken Texten Äquivalente zu Regieanweisungen) hatte fast 100 Jahre eine von Wilamowitz skizzierte und schließlich von Taplin verfeinerte Hypothese axiomatische Geltung, nach der es keine bedeutsame Bühnenhandlung gebe, die nicht durch den Text angezeigt werde. Diese Hypothese bildete die Grundlage für die Oxforder Forschungen zum griechischen Drama, für die Eduard Fraenkel (im Banne von Wilamowitz) das Ziel formuliert hatte, eine ‘Grammatik der dramatischen Technik’ zu rekonstruieren: Hierzu trugen die Studien etwa D. Bains (zur Tragödie), Frosts (zu Menander) und insbesondere Taplins (The Stagecraft of Aeschylus) eindruckvoll bei. Revermann hat ihr Fundament erschüttert (dass sein Buch als Dissertation von Taplin betreut wurde, stellt diesem zugleich ein schönes Zeugnis wissenschaftlicher Offenheit aus). Er geht behutsam vor. Nach erster Skizzierung des Skopos der Studie (Kap. 1) entwickelt er sein Konzept von performance criticism, indem er zunächst (2.1) die erhaltenen Dramentexte als Zeugnisse einer Theatralität erweist, die unter hohem kompetitiven Druck steht. Dieser Druck hat sich auch in den Texten durch teilweise explizite Verweise auf die agonale Situation der Aufführung niedergeschlagen. Sodann (2.2) erläutert er klar seine Begrifflichkeit (und u. a. den der Interpretation zugrunde liegenden kommunikativen Rahmen). Daran (2.3) knüpft – in Abhebung von Taplins Hypothese – ein Aufriss an, wie Revermann die Rekonstruktion einer Aufführung aus dem Text vornehmen will. Auch er kommt um eine Prämisse nicht herum, geht er doch davon aus (S. 48/9), dass im griechischen Drama keine Person etwas tue, was im Gegensatz zu ihrem Sprechen stehe. Diese Prämisse ist auf den ersten Blick einleuchtend, indes angesichts des berühmten Helena-Aktes in Euripides’ Troerinnen (860–1059, Revermann geht nicht darauf ein) bestreitbar. Überzeugend gelingt Revermann die Destruktion von Taplins Hypothese durch die systematische Zusammenstellung von ‘troublemakers’, Partien aus Tragödie und Komödie, in denen Text und Handlung nicht zusammengehen bzw. nachträglich aus dem Text erschlossen werden kann, dass eine bestimmte Handlung, auf die es zuvor keinen Hinweis gab, vollzogen wurde (Aischylos, Choephoren 563, Eumeniden [Entsühnung Orests], Sophokles, Aias 301ff, Aristophanes, Wolken 1401ff). Dann geht Revermann zwei Probleme an, die nie zuvor so klar herausgearbeitet wurden: (3.1) Wie zuverlässig kann angesichts der Wiederaufführungen von Tragödien und Komödien (hier folgt Revermann Taplin und sieht auch die Wiederaufführung von Aristophanes-Stücken in Süditalien als gesichert an, was jedoch nicht als communis opinio gelten darf) der überlieferte Text als Text der athenischen Uraufführung angesehen werden? Zwar kommt Revermann zu einer insgesamt positiven Einschätzung des Überlieferten, doch gründet sich diese auf zahlreiche unterschiedlich beweiskräftige Indizien, unter ihnen hochproblematische Nachrichten aus der biographischen Tradition zu den Dramatikern. Bedenklich erscheint auch, dass der Autor von einer attischen ‘mastercopy’ schlechthin ausgeht, nicht jedoch in Betracht zieht, dass der Text auch erst nachträglich aus den Blättern, die nur die einzelnen Rollen enthielten, zusammengestellt worden sein könnte. Dann fragt sich Revermann (3.2), wie typisch die Aristophan. Komödien für ihre Gattung sind, und kommt nach sorgfältiger Abwägung auch hier zu einer positiven Antwort: Aristophanes steht für die Alte Komödie. Das nächste Kapitel leitet zur Anwendung des performance criticism über und diskutiert einige für die Alte Komödie zentrale Konzepte: Raum (4.1), die Bewegungen im Raum (‘proxemics’, 4.2), darunter Typologie der Bewegungen wie Auf- und Abtritt, ferner Konfigurationen auf der Bühne, Komische Hässlichkeit (4.3) und schließlich das Verhältnis von Aufführung und Publikum (4.4). Dieser erste Teil des Buches hat die Grundlage für die Analyse des ‘business’ geschaffen. Revermann wählt für seine (konventionellere, gleichwohl lesenswerte) Interpretation drei Stücke aus, Die Wolken (5), Lysistrate (6) und Plutos (7). In allen drei Interpretationen argumentiert Revermann besonnen (und im Resultat fast konvergent zu einer Deutung, wie sie nach der Taplinschen Maxime gegeben werden könnte). Eingehender würdigt er die Wolken; hingewiesen sei darauf, dass er die Scholien-Notizen über einen Rezensionen ‘Hahnen-Kampf’ im Zusammenhang des Agons der beiden Logoi mit einem heute ausgefallenen Chorlied vor dem Agon in Verbindung bringt, nicht aber mit den 1. Wolken. Vier Anhänge (‘business’ bei Aristoph.’ Rivalen, Regieanweisun- gen in antiken Texten?, Adressat der 2. Wolken, Aufführungs-Zeit) beschließen dieses wichtige und ertragreiche Buch. München MARTIN HOSE 219