Kultur In Vino Veritas JÖRG KÖNIGSDORF 31.1.2010 0:00 Uhr Die entscheidende Frage für jedes Streichquartett stellt sich gleich bei der Existenzgründung. Der Name, den sich die Formation gibt, deutet nicht nur die Ausrichtung des Repertoires an, sondern kann durchaus mitentscheidend im harten Konkurrenzkampf der kaum subventionierten Kammermusikszene sein. Noch vor einigen Jahrzehnten war es ja relativ einfach: Quartette nannten sich in der Regel nach dem ersten Geiger, nach ihrer Heimatstadt oder einfach nach einem berühmten Komponisten. Doch während Ersteres schon wegen des gleichberechtigten Selbstverständnisses moderner Formationen problematisch geworden ist, haben die beiden Alternativen den Nachteil, dass die attraktiven Städte- und Komponistennamen meist schon vergeben sind und, weil quasi blankes Kapital, auch kaum je wieder frei werden. Was also tun, nachdem selbst die Möglichkeit der blanken Negation durch das „Quatuor sine nomine“ schon ausgeschöpft worden ist? Antike geht – siehe Kairos und Artemis-Quartett – natürlich immer, schon weil der intellektuelle Anspruch der Gattung Streichquartett gut zu den Raffinessen lateinischer Grammatik passt. Oder einfach ein schön klingender Name wie „Ebène“ (Ebenholz)? Besser getroffen hat es da schon das französische Diotima-Quartett, das seinen Namen von Luigi Nonos Hölderlin-inspiriertem Quartett „Fragmente … Stille … an Diotima“ herleitet und sich passenderweise auch mit zeitgenössischem Repertoire besonders profiliert hat. Den Preis für den sympathischsten Namen verdient allerdings das Mandelring-Quartett, das seit über 25 Jahren zu den erfolgreichsten deutschen Formationen gehört: Nachdem der Ursprungsname, „Quartett des Kurfürst-Rupprecht-Gymnasiums“ aus begreiflichen Gründen irgendwann nicht mehr passte und auch der Heimatort Neustadt an der Weinstraße nicht unbedingt namenstauglich schien, entschieden sich die vier kurzerhand für eine Ehrung ihres Übungsraums – weil die vier in einem ehemaligen Weingut probten, nannten sie sich nach der dort kultivierten Lage namens Mandelring. Eine Wahl, die sowohl Repertoirevielfalt versinnbildlicht – auf dem Mandelring werden sowohl Riesling als auch Burgunder und Scheurebe angebaut – als auch eine gewisse Tiefgründigkeit und Entwicklungsfähigkeit suggeriert, und die darüber hinaus prophetisch war: In den seither gut 25 Jahren haben sich die Mandelrings ähnlich entwickelt wie Spitzenwein, was auch ihre gerade abgeschlossene, mehrfach ausgezeichnete Gesamteinspielung der Schostakowitsch-Quartette belegt. Gut, dass die weinseligen vier jetzt auch in Berlin präsent sind: Am Freitag starten sie mit Werken von Haydn, Beethoven und Tschaikowsky einen dreiteiligen Konzertzyklus im Kammermusiksaal. Darauf schon mal ein Glas Mandelring! (Erschienen im gedruckten Tagesspiegel vom 31.01.2010) Kultur KURZ & KRITISCH CARSTEN NIEMANN 7.2.2010 0:00 Uhr KLASSIK Frühlingshaft im Kammermusiksaal: das Mandelring-Quartett Erst Schnee- und Eisglätte, dann auch noch ein Hustenanfall im Publikum: Die Musiker des Mandelring-Quartetts lassen sich beim Auftakt zu ihrem dreiteiligen Zyklus im Kammermusiksaal davon nicht anfechten. Mit Leichtigkeit, Delikatesse und wunderbar runden Kanarienvogeltrillern legen sie Joseph Haydns „Vogelquartett“ hin, so dass spätestens im risikofreudig angegangenen Rondofinale der Frühling ausbricht. Haydn hat das Quartett dem späteren Zar Paul I. gewidmet. Wer glaubt, dies stelle nur einen oberflächlichen Bezug zu Tschaikowskis erstem Streichquartett her, der sieht sich angenehm getäuscht. Das Mandelring-Quartett entdeckt nämlich, dass auch in der Musik des gerne als sentimental verschrienen Russen Haydn’scher Geist weht: durchsichtig, mit wachem Intellekt, im rustikalen Scherzo mehr das Bild eines Tanzes abgebend als derb aufstampfend. Beethovens drittem Razumowsky-Quartett schließlich treiben die Musiker jeden Poltergeist aus. Besonders anregend, wie natürlich man die erste Geige dieses halben „Quatuor brillant“ in Klang und Satzstruktur integrieren kann. Die Musiker verabschieden sich mit zwei witzigvirtuosen Scherzi von Tschaikowski und Schostakowitsch, wobei Extrovertiertheit und intensives Aufeinanderhören verschmelzen. Am 11. April und 13. Mai kommen die vier wieder. Egal welches Wetter dann herrscht: Es dürfte ein schöner Frühling werden. Carsten Niemann Kultur ULRICH AMLING 13.04.2010 0:00 Uhr KLASSIK Im Spiegel: Das Mandelring Quartett im Kammermusiksaal „Ach, Kamila, ich kann mich nicht beruhigen. Aber ich brauche das Feuer, das du in mir entfachst.“ Janáceks unerfüllte Liebe zu der 38 Jahre jüngeren Kamila Stösslová war das kreative Schwungrad seines Spätwerks. Im Streichquartett „Intime Briefe“ ersinnt der Komponist eine ununterbrochene Umarmung mit der Ersehnten. Eine von Fiktion durchdrungene Liebesbiografie – bald Blick in einen erblindenden Spiegel, bald fiebrige Verschmelzungsvision. Das Mandelring Quartett spielt Janáceks „Intime Briefe“ in der wiederentdeckten Originalversion, mit einer Viola d’amore anstelle der Bratsche. Sie hat nicht nur einen zarten Namen. Das Barockinstrument lichtet den kompakten Quartettklang, taucht in den Wogen auf und unter, bleibt fern und geheimnisvoll. Das Mandelring Quartett ist durch seine fulminanten Schostakowitsch-Einspielungen gestählt im kritischen Umgang mit biografischen Klangmaterial. Mit leidenschaftlicher Distanz verweigern sich die Musiker einem geschlossenen Bild. Sie sammeln Fragmente einer Sprache der Liebe, die zu dechiffrieren letztlich unmöglich bleibt. Wie die geborstene Melodik in Mendelssohn Bartholdys letztem Streichquartett: ernüchterte Bilanz eines Komponistenlebens oder Schmerz über den Verlust der geliebten Schwester? Das Mandelring Quartett rudert mit verschworenen Schlägen über ein dunkles Meer (nächstes Berlin-Konzert am 13. 5.).