Erleben und erfahren mit allen Sinnen. Vom Nutzen tiergestüter

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Erleben und erfahren mit allen Sinnen
Erleben und erfahren mit allen Sinnen
Vom Nutzen tiergestützte Angebote in der Kinder- und Jugendarbeit
von Maria Kalde
Sie spielen für Menschen schon seit frühester Zeit eine wichtige Rolle: Tiere. Seit Urzeiten bekämpft der Mensch sie als
Nahrungskonkurrent oder Schädling, nutzt sie für seine Ernährung und als Hilfe bei der Arbeit. Heute ist die Bedeutung,
die Tiere im menschlichen Alltag spielen, mindestens ebenso
hoch wie vor Jahrtausenden. Sie versorgen uns mit Fleisch,
Milch, Honig und Kleidung. Sie stellen ihr Leben, ihre Gesundheit und auch ihren Tod in den Dienst der Forschung und
Entwicklung z.B. von Medikamenten. Sie arbeiten als Spurensucher oder als Wachpersonal, sind im Profisport etwa auf
der Rennbahn aktiv oder bringen bei Schönheitswettbewerben und Tierschauen Anerkennung und Geld ein. Sie sind
vielen Menschen verlässliche Kameraden, Gesprächsthema
und -anlass und werden oft zu einem geliebten, mitunter auch
unangemessen verzärtelten Familienmitglied. Schätzungen
der Tierschutzverbände und des Statistischen Bundesamtes
zufolge lebt heute in etwa jedem zweiten Haushalt
mindestens ein Tier – Tendenz steigend!
oder Bauernhöfe. Manche Einrichtungen engagieren Fachkräfte mit ausgebildeten Therapietieren, wieder andere erlauben ihren KollegInnen, den Privathund mit zur Arbeit zu bringen und in den Einrichtungsalltag zu integrieren. Fast alle
KollegInnen aus der Kinder- und Jugendarbeit wissen es aus
Erfahrung: Tiere in der Kinder- und Jugendarbeit machen
sehr viel Sinn und können viel bewirken!
Was finden wir bloß an Tieren?
Wie kommt es, dass Tiere bei Kindern und auch Erwachsenen
so gut ankommen? Warum haben so viele Menschen Haustiere? Wie kommen wir dazu, in Tieren Freunde und Gefährten
sehen zu wollen? Es gibt verschiedene Erklärungsansätze dafür (vgl. Vernooij/Schneider 2008).
Die Biophilie-Hypothese geht davon aus, dass
unsere Hingezogenheit zu Tieren entwicklungsgeschichtlich entstanImmer häufiger werden Tiere auch
den ist und später vererbt wurals Unterstützung in pädagogide, damit wir die lebendige
schen, psychologischen und
Natur in unsere emotionamedizinisch-therapeutile, kognitive, ästhetische
schen Bereichen eingeund auch spirituelle Entsetzt, und zwar mit großer
wicklung einbeziehen.
Bandbreite. So machen
Wir ziehen aus dem VerHunde im Aufspüren von
Foto: M. Kalde
halten von Tieren RückKrebszellen im menschlischlüsse auf unsere Umchen Körper schon fast den
welt, erkennen NaturgesetzKernspintomographen Konmäßigkeiten, lassen uns für Wiskurrenz. Pferde, Lamas oder auch
senschaft, Technik und Kultur inspiKatzen sind als Seismographen für seerieren, verfeinern unsere nonverbalen Komlisches Leid bekannt. Verschiedene Tierarten
munikation und bekommen Anreize für Interaktionsprozesse,
sorgen in Seniorenheimen für mehr Lebensqualität und trainiedie sich auch zwischenmenschlich anwenden lassen.
ren Kommunikation, Beweglichkeit und Gedächtnisleistung.
Der Kontakt mit Tieren baut Stress ab, normalisiert den BlutDas Konzept der Du-Evidenz legt nahe, dass wir vor allem
druck, senkt das Schlaganfall- und Herzinfarktrisiko und wirkt
im höher entwickelten Säugetier ein Gegenüber sehen, mit
schmerzlindernd. Katzen erhöhen die Abwehrkräfte von Badem wir kommunizieren und in das wir uns hineindenken
bys und Kleinkindern. Tiere verhelfen zu Durchbrüchen in der
können. Man geht nun davon aus, dass Du-Beziehungen auch
Traumatherapie und ermöglichen ungeahnte motorische, emozwischen Menschen und höheren sozial lebenden Tieren (z.B.
tionale und kognitive Entwicklungsschritte.
Hunden und Pferden) möglich sind, weil ähnliche soziale und
emotionale Grundbedürfnisse vorherrschen und Analogien
In der Kinder- und Jugendarbeit sind die besonderen Möglichkeiten tiergestützter Arbeit schon lange kein Geheimnis
mehr. PädagogInnen auf Kinderbauernhöfen und JugendfarViele Abenteuerspielplätze, Spielhäuser und
men lassen sich in ihrer Arbeit von tierischen Kollegen unterJugendclubs haben Geflügelhöfe, Nagergehege oder
stützen. Viele Abenteuerspielplätze, Spielhäuser und Jugendclubs haben Geflügelhöfe, Nagergehege oder auch Ponys in
auch Ponys in ihre Arbeit integriert.
ihre Arbeit integriert oder sie besuchen regelmäßig Pony-
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GEMEINSAM LEBEN UND LERNEN
Unsere tatsächliche Stimmung überträgt sich auf das
Tier, es verhält sich unausgeglichen, wenn wir gereizt
sind oder entspannt, wenn wir gut gelaunt sind.
in der jeweiligen Körpersprache bzw. den Ausdruckmöglichkeiten zu finden sind. Das deutsche, im Ländervergleich
strenge Tierschutzgesetz stützt sich übrigens auf das Konzept
der Du-Evidenz: Das Tier wird nicht als Sache bzw. als Gegenstand angesehen, sondern als Subjekt und damit als schützenswertes Wesen.
Das Konzept der Spiegelneurone vermutet, dass nicht nur
Menschen, sondern auch höhere Säugetiere über Spiegelneurone verfügen. Das sind Nervenzellen, die für die Empathie
verantwortlich sind, dafür, dass wir z.B. bei der Beobachtung der Mimik eines traurigen Menschen selber traurig werden, dass Lachen und
Freude ansteckend sind, dass uns
das Wasser im Mund zusammen läuft, wenn jemand unsere Lieblingsspeise isst.
Spiegelneurone könnten
eine Erklärung sein, warum wir meinen, dass
Tiere uns in unserer Verfasstheit wahrnehmen und
verstehen und warum wir
uns in Gegenwart von Tieren
wohlfühlen.
Sind die die genannten Erklärungsansätze überzeugend? Können wir nun sagen, warum
Tiere selbst die coolsten Gemüter in ihren Bann zu ziehen vermögen? Warum und wie Tiere es schaffen, die allgemeine
Stimmung positiv zu beeinflussen? Angesichts der großen
emotionalen Wirkung, die Tiere auf Menschen haben können,
wirken die eher rationalen Erklärungsversuche der Biophilie,
der Du-Evidenz und der Spiegelneuronen nüchtern, fast hilflos.
Vielleicht ist es aber auch gar nicht so wichtig, immer genau erklären zu können, wie und warum etwas passiert, wenn man
doch eindrücklich erleben kann, dass es passiert ...
Menschenversteher und Tierflüsterer
Tiere wirken auf Körper, Geist und Seele, das ist offensichtlich. Menschen entspannen sich im Beisammensein mit Tieren, gewinnen Abstand von Sorgen, reagieren etwas weniger
aus dem Kopf heraus und viel stärker auf ihre Sinne und ihr
Gefühl bezogen, fühlen sich wohl und lebendig, entdecken
neue Seiten an sich und lassen sich von Mitmenschen neu entdecken. Da befasst sich ein Kind, das sich in der Schule nur
schwer konzentrieren kann, lange und intensiv damit, dem
Hund ein Kunststück beizubringen. Ein anderes Kind, normalerweise immer unter Strom, hockt geduldig – gefühlte Zeit:
ewig! – auf dem Boden und versucht, die scheue Katze anzu-
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locken. Oder die Seniorin, die sich in ihre Demenzwelt zurückgezogen hat, fängt mit dem Kaninchen auf dem Schoß
an, von ihrer Kindheit zu erzählen.
Tiere sind für viele Menschen vertrauenswürdiger als Menschen. Deshalb fällt es Kindern wie auch Erwachsenen oft
leichter, sich bei Ängsten, Sorgen und Nöten Tieren anzuvertrauen als Menschen. Das Tier kommentiert nicht, gibt keine
Ratschläge und reagiert, ohne zu be- oder verurteilen. Auf diese Weise können Tiere uns ganz elementar trösten und das Gefühl vermitteln, wertvoll, wichtig und richtig zu sein. Dem
Hund ist es egal, welche Ungeheuerlichkeit ich ihm beichte. Er
reagiert nicht auf die inhaltliche Botschaft, sondern etwa auf
mein Schuldbewusstsein oder schlechtes Gewissen oder auf
meine Sorge, entdeckt und bestraft zu werden. Tiere „verstehen“ uns durch unsere Körpersprache, Gestik, Mimik, Berührung, Blickkontakt, Stimme, Tonfall, Stimmung und auch
Körpergeruch. Selbst kleinste, uns oft unbeFoto: M. Kalde
wusste Signale wie z.B. den veränderter Tonfall nehmen sie wahr und
reagieren darauf. Unsere tatsächliche Stimmung überträgt sich auf das Tier, sodass es sich unausgeglichen verhält, wenn wir
gereizt und nervös sind,
oder sich entspannt zeigt,
wenn wir fröhlich und gut
gelaunt sind. Kein Wunder
also, dass viele Menschen
sich von ihren Tieren besser
verstanden fühlen als von den Menschen um sie herum. Und auch kein
Wunder, dass Tiere auch in der Pädagogik und
im therapeutischen Bereich immer häufiger gezielt eingesetzt
werden, und zwar auf verschiedenen Ebenen mit unterschiedlichen Zielsetzungen.
Tierische Trainer und Entwicklungshelfer
Tatsächlich ist der Einsatz von Tieren auch in erzieherischpädagogisch-therapeutischen Praxisfeldern heute modern,
fast schon alltäglich. Angebote, bei denen Tiere einen Part
übernehmen, werden unter dem Begriff „tiergestützte Intervention“ zusammengefasst, es geht dabei immer um die Förderung von Entwicklung oder Gesundheit, um die Anregung,
Aktivierung oder Bereitstellung neuer Impulse und Lernmöglichkeiten. Es gibt verschiedene Formen tiergestützten Intervention:
Mit der tiergestützten Aktivität soll durch sporadische Aktionen und Angebote Einfluss auf die Alltags- und Lebensqualität genommen und das Wohlbefinden gesteigert werden.
Beispiele dafür sind Besuche auf dem Bauernhof (oder im
Streichelzoo, auf dem Ponyhof) - oder ein Hund kommt zu
Besuch in die Einrichtung. Für die tiergestützte Aktivität
brauchen weder die ausführenden Menschen noch die einge-
Erleben und erfahren mit allen Sinnen
setzten Tiere eine spezielle Ausbildung. Die Tiere sollten sich
allerdings für den Einsatz eignen.
Ein Job für Tiere:
Wirkungsfeld Kinder- und Jugendarbeit
In der tiergestützten Pädagogik sollen vorhandene Fähigkeiten ausgebaut und motorische, emotionale oder auch kognitive
Entwicklungen angeregt werden. Oft werden dabei die Bereiche Didaktik und Förderung unterschieden. Während die tiergestützte Didaktik (z.B. im Kindergarten oder in der Schule)
Lernprozesse anregt und Lernmotivation schafft, zielt die tiergestützte Förderung auf Entwicklungsfortschritte in z.B. Körperwahrnehmung, Körperausdruck, Motorik, Kommunikationsfähigkeit etc. Pädagogische Angebote mit Tieren findet
man heute immer öfter als begleitende Maßnahmen z.B. in
sonderpädagogischen Betreuungs- und Bildungseinrichtungen. Zum Beispiel werden durch Tiere besondere Anforderungen an die Kommunikationsfähigkeit gestellt (etwa beim Hundetraining oder beim Führen eines Pferdes), es wird zu Bewegung aktiviert (beim Herumtollen mit dem
Hund) oder es werden (beim Reiten) Bewegungen gefordert, die im Alltag
eher selten vorkommen. Menschen, die tiergestützte Pädagogik anbieten, brauchen
eine (sonder-)pädagogische
Grundausbildung
mit Zusatzqualifikation in
der tiergestützten Förderung bzw. Therapie. Die
eingesetzten Tiere sollten
für ihre Aufgaben gut trainiert sein und fortlaufend
geschult werden.
Für die Kinder- und Jugendarbeit sind vor allem die Wirkungen im sozio-emotionalen und kognitiven Bereich interessant, denn der Einsatz von Tieren kann in der Begleitung von
Kindern und Jugendlichen bei der Bewältigung ihrer Entwicklungsherausforderungen sehr hilfreich sein. Es folgen
nun einige Beispiele für die Wirkeffekte, die in Einrichtungen
mit Tieren oder mit Zugang mit Tieren möglich werden, jeweils versehen mit kurzen Hinweisen darauf, was nötig ist,
um diese Wirkungen erzielen zu können.
Die tiergestützte Therapie hilft
dabei, die LebensgestaltungskompeFoto: M. Kalde
tenz zu erweitern. Dabei werden meist Teilaspekte der Persönlichkeit oder einzelne Leistungsbereiche in den Mittelpunkt gestellt und es geht um die Behandlung von z.B. Ängsten, Essstörungen oder Depressionen, die
Stärkung von Selbstvertrauen, um Burn-out-Prävention etc.
Oft findet tiergestützte Therapie im Zusammenhang mit Psychotherapie statt, entweder begleitend oder in die Psychotherapie integriert, und wird von therapeutisch qualifizierten
Personen mit spezifisch trainierten Tieren durchgeführt.
Alle Formen der tiergestützten Intervention profitieren davon, dass über Tiere ein relativ vielschichtiger Zugang zum
Menschen möglich wird: mehr gefühlsmäßig als verkopft und
auf jeden Fall mit mehrdimensionalen Sinneseindrücken. Insofern haben solche Interventionen eine große Bandbreite
von Wirkungen und Effekten, von der auch die Zielgruppen
der Kinder- und Jugendarbeit profitieren.
Kinder lernen im Zusammensein mit Tieren oft
ganz neue Seiten an sich kennen, bislang
unbekannte Gefühle und Bedürfnisse.
Tiere regen selbstgesteuertes Lernen an. Durch ihren Aufforderungscharakter und ihre Kontaktfreudigkeit fordern sie
dazu heraus, die Umwelt offensiv und aktiv und mit allen Sinnen zu erfassen, zu erobern. Tiere ermöglichen neue Erlebnisse und Erfahrungen, schaffen Zugänge zu
Lernfeldern, die im städtischen Alltag
ohne Tiere vielleicht nicht gerade
auf der Hand liegen. Tiere wecken Neugier und regen dazu
an, sich auszuprobieren, sich
etwas zuzutrauen.
Als Lernanregung eignet
sich der Hühnerhof mit
seinen Möglichkeiten,
die sich aus Tierpflege,
Tierbeobachtung oder Eiverwertung ergeben, ebenso wie der Ausflug auf den
Bauernhof oder auf den Ponyhof – Impulse und Erleben mit vielen Sinnen sind für Kinder in jedem Fall
garantiert.
Tiere motivieren zu ganzheitlichem Lernen. Tiere sind
Ausgangspunkt und Impulsgeber für Lernprozesse, sind Modell und Projektionsfläche für Erlebnisbewältigung oder für
das Ausprobieren sozialer und emotionaler Strategien, sind
Trainer für Veränderungsprozesse, sind Freund oder Zuflucht
in Krisenzeiten und Spielgefährte oder auch „Sportgerät“. Die
sich aus dem Umgang mit den Tieren ergebenden Anforderungen und Vorteile und auch die sich entwickelnde Beziehung zwischen Kindern und Tieren ermöglichen vielschichtige Erfahrungen. Kinder lernen im Zusammensein mit Tieren
oft ganz neue Seiten an sich kennen, bislang unbekannte Gefühle und Bedürfnisse. Sie lernen über sich – und in der
Gruppe auch über andere – und können auf verschiedenen
Ebenen Neues erleben und erfahren.
Einrichtungen, die ganzheitliches Lernen mit Tieren ermöglichen wollen, sollten regelmäßigen Zugang und kontinuierlichen Kontakt zu Tieren gewährleistet können. Einrichtungen
mit eigener Tierhaltung, die Tierpflege, Tierversorgung und
gegebenenfalls auch das Tiertraining zusammen mit Kindern
und Jugendlichen realisieren, haben hier gute Möglichkeiten.
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GEMEINSAM LEBEN UND LERNEN
Tiere spiegeln spontan, unmittelbar und unreflektiert
das menschliche Verhalten wider und eröffnen damit
emotionale und soziale Lernfelder.
Tiere schulen die Kommunikation. Vor allem fordern Tiere
die nonverbale Verständigung heraus. Im Alltag sind wir
alle sehr stark auf die verbale Kommunikation konzentriert,
obwohl Sprache in der zwischenmenschlichen Verständigung eine eher untergeordnete Rolle spielt. Denn der größte Teil unserer Kommunikation funktioniert durch Mimik,
Blickkontakt, Gestik, Körperhaltung und Stimmmodulation
(55%), in geringerem Maße vokal durch Laute und Lautmalerei (38%) und nur zu 7% verbal. Wer nonverbale Kommunikation bewusst einsetzen kann, wird in seinem Ausdruck
klarer und kann Beziehungsbotschaften besser vermitteln und
verstehen. In der Interaktion mit dem Tier können Kinder und
Jugendliche lernen, sich durch Berührung, Blickkontakt,
Körperhaltung und Körperbewegung auszudrücken. Das Reiten oder Führen eines Pferdes oder das Einüben von Kunststücken mit dem Hund gelingt dann, wenn Kinder den Tieren
mit unmissverständlichen Signalen und klarer Absicht begegnen. Dabei werden auch körperliche Anforderungen gestellt,
z.B. Körperspannung, Psychomotorik etc., die teilweise dazu
beitragen können, dass sich sprachliche Möglichkeiten erweitern (z.B. fördert das abwechselnde Anspannen und Lösen
des Körpers beim Reiten die Sprachbildung). Auf jeden Fall
aber bieten Tiere interessante Gesprächsanlässe und erhöhen
oft die Sprechfreude und damit auch die Sprachfähigkeit von
Kindern.
Tiere regen emotionale und soziale (Weiter-)Entwicklungen an. Sie spiegeln spontan, unmittelbar und unreflektiert
das menschliche Verhalten wider und eröffnen damit Lernfelder, hier z.B. den Umgang mit Emotionen, Empathie, Erfahrungen in Kooperation und Teamwork, Übernahme von Verantwortung etc. Dazu bietet sich Gruppenarbeit an, damit sowohl vom Tier als auch von der Gruppe gelernt werden kann.
Beispielsweise kann die Aufgabe einer Gruppe darin bestehen, gemeinsam ein Pferd zu putzen und zu satteln, dafür eine
eigenständige Arbeitsteilung zu entwickeln, in die die jeweiligen Möglichkeiten und Interessen einfließen, und zeitnah ein
gutes Ergebnis zu erreichen: ein zufriedenes, geputztes und
gesatteltes Pferd. Eine solche Aufgabe klingt leichter, als sie
ist: Wenn die Gruppe nicht ausgeglichen und respektvoll zusammenarbeitet, wird das Pferd beim Putzen und Satteln
kaum kooperieren und am Ende gewiss keinen zufriedenen
Eindruck machen. Das Tier ist hier Lernanlass, Lernfeld und
Feedbackgeber.
Um emotionale und soziale Kompetenzen zu stärken, benötigen Einrichtungen nicht unbedingt eine eigene Tierhaltung
mit täglich verfügbaren Tieren. Entsprechend angeleitet kann
auch der Besuch im Tierheim, verbunden mit einem Hundeausflug in den Park, oder der Spaziergang mit Ponys vom Ponyhof interessante Effekte haben. Oder vielleicht kennt jemand jemanden mit einem Therapietier (Hund oder Pferd)?
Ausgebildete Tiere und versierte AnleiterInnen können Einrichtungen gut darin unterstützen, in ihrer pädagogischen
Arbeit neue Impulse zu geben.
Tiere bewegen und aktivieren. Mit Tieren kommt man nicht
umhin, sich zu bewegen, schon bei ihrer Versorgung und erst
recht im Umgang mit ihnen. Mit dem Hund auf der Wiese zu
tollen oder den Hühnern Wasser und Futter zu bringen, das
Kaninchengehege sauber zu machen oder auf dem Pony zu
reiten – Bewegung und Bewegungskoordination werden mit
Tieren motiviert und geschult. Beim Reiten kommt noch hinzu, dass motorische (Nach-) Reifungsprozesse eingeleitet
werden können, z.B. bezogen auf Gesamtmotorik,
Beweglichkeit, Balance und Körperschema.
Für die Förderung der Kommunikation bieten sich vor allem
befehlssichere Ponys, Pferde oder Hunde an. Wer mit Tieren
die Kommunikationsmöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen schulen möchte, sollte wissen, was er tut. Wichtig ist,
sich in den Grundlagen der verbalen und nonverbalen Kommunikation auszukennen und selber im Senden und auch
Verstehen nonverbaler Botschaften versiert zu sein und das
Tier sowie die Gesamtsituation immer gut unter Kontrolle zu haben – auch unter Sicherheitsaspekten. Denn es ist immer ein Sicherheitsrisiko, wenn Ungeübte mit
Tieren zu kommunizieren versuchen. Wer sich nicht auskennt, kann ein Tier schon
allein mit Blicken bedrohen und Abwehrreaktionen provozieren. Klassisches Beispiel: Wer weiß
schon, dass ein Pferd
(Fluchttier) den direkten
Blick in seine Augen als
Raubtier-Bedrohung
wahrnimmt? Oder dass
Hunde menschliches Lachen als
Zähne fletschen und damit als
Gefahr einordnen?
Foto: M. Kalde
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Tiere machen selbstbewusst und
stark. Sie sind Menschen gegenüber unvoreingenommen, aufgeschlossen und reagieren
nicht auf evtl. Schwächen
oder vermeintliche Defizite, sondern auf das ihnen entgegengebrachte
freundliche
Interesse.
Hund, Katze, Pony, Ziege, Schwein oder Kaninchen – gesunde und ausgeglichene Tiere werden auf
Freundlichkeit immer freudig
reagieren, auf Trauer und Leid
mit Zuwendung. Mit Tieren können
auch Kinder und Jugendliche, die Ab-
Erleben und erfahren mit allen Sinnen
lehnung und Ausgrenzung oder respektlosen Umgang erleben, Anerkennung
und Zugewandtheit erfahren. Sie
haben die Möglichkeit, eigene
Stärken zu entdecken und
auszubauen, Selbstwirksamkeit zu erleben,
selbstbewusster zu werden. Wer Kinder und Jugendliche im Umgang
mit Tieren erlebt, lernt sie
neu kennen, wahrscheinlich authentischer.
Kinder- und Jugendeinrichtungen sind
auf eine gesunde und artgerechte
Tierhaltung angewiesen, brauchen Schutz vor Übergriffen,
kontinuierliche und verlässliche
Bezugspersonen,
tiermedizinische Betreuung und ausreichend
Ausgleich wie z.B. konsequente
Ruhepausen
oder auch ausgelassenes
Toben, Herausforderungen – was auch immer für
die jeweilige Tierpsyche geUm die das Selbst stärkende
rade wichtig ist. Nur ein gut
Wirkung von Tieren ausschöpfen
gehaltenes Tier kann freundlich
zu können, ist es gut, einen möglichst
und ausgeglichen bleiben. Einem
Foto: M. Kalde
kontinuierlichen Kontakt zu Tieren zu ernicht so gut gehaltenen Tier geht es nicht
möglichen. Eigene Tierhaltung ist optimal, regelnur schlecht und schlechter, es wird auch zu einem
mäßige Tierkontakte haben aber auch gute Effekte. Wichtig
Sicherheitsrisiko in der Einrichtung.
ist es, die Kinder in ihrer Kontaktaufnahme und im Beziehungsaufbau mit den Tieren gut zu begleiten und gegebenenEbenso wichtig wie die gute Tierhaltung ist, dass der Umgang
falls fachkundig zu unterstützen – vielleicht hat jemand aus
mit Tieren und die Anleitung oder Begleitung der tiergestützdem KollegInnenkreis eine Weiterbildung für tiergestützte
ten Interventionen fachkundig und kompetent umgesetzt werInterventionen besucht und weiß wie es geht?
den. Ausprobieren ist zwar immer gut, aus Sicherheitsgründen, zum Schutz von Kindern, KollegInnen und den Tieren,
ist aber von Try und Error-Projekten dringend abzuraten.
„Ist die Katze gesund freut sich der Mensch“
Zum Glück gibt es eine Reihe interessanter Bücher und vor
allem ein sehr breites Angebot von Fort- und WeiterbildunWer Tiere mit in die pädagogische Arbeit einbezieht und die
gen, die Grundlagen vermitteln, kollegialen Austausch
oben beschriebenen Lerneffekte nutzen möchte, sollte wisermöglichen und neue Impulse bereithalten.
sen, dass die Arbeit für Kollege Tier nicht immer puren Spaß
bedeutet. Tiere können vom menschlichen Signal-Wirrwarr,
Tiere reagieren nicht auf evtl. Schwächen oder
von den Kontaktanforderungen der Kinder und von der Unruvermeintliche Defizite, sondern auf das ihnen
he überfordert sein. Die Streicheleinheiten und zugesteckten
Leckerbissen können ihnen zu viel und die herumliegenden
entgegengebrachte freundliche Interesse.
Spielutensilien können für sie gefährlich werden. Tiere in
Ausgewählte Literatur zum Weiterlesen:
Einige Webadressen mit Grundlageninformationen:
Bergeler, R. (1994): Warum Kinder Tiere brauchen. Freiburg.
http://www.mensch-heimtier.de/start.html
Bergeler, R. (2000): Gesund durch Heimtiere. Beiträge zur Prävention und Therapie gesundheitlicher und seelischer Risikofaktoren.
Köln.
http://www.kinder-und-tiere.de
Fachgruppe Arbeit mit dem Pferd in der Psychotherapie, Deutsches
Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. (Hg.) (2008): Psychotherapie mit dem Pferd. Beiträge aus der Praxis. Warendorf
Greiffenhagen, S., Buck-Werner, O. (2007): Tiere als Therapie.
Neue Wege in Erziehung und Heilung. Nerdlen/Daun.
Olbrich, E., Otterstedt, C. (Hg.) (2003): Menschen brauchen Tiere.
Grundlagen und Praxis der Tiergestützten Pädagogik und Therapie. Stuttgart.
Otterstedt, C. (2007): Mensch und Tier im Dialog. Kommunikation
und artgerechter Umgang mit Haus- und Nutztieren. Methoden
der tiergestützten Arbeit und Therapie. Stuttgart.
http://www.tiergestuetzte-therapie.de/
http://www.tiergestuetzte.org
Maria Kalde,
Dipl.-Sozialpädagogin, Selbstevaluationsberaterin und Reittherapeutin, ist in der Beratung
und Fortbildung von Fachkräften
und als Reittherapeutin tätig.
Vernooij, M. A., Schneider, S. (2008): Handbuch der Tiergestützten
Intervention. Grundlagen, Konzepte, Praxisfelder. Wiebelsheim.
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