Momentaufnahmen aus dem Leben einer Zelle

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Proteinforschung
Josef Kellermann
Momentaufnahmen aus
dem Leben einer Zelle
Von der DNA-Sequenz bis zum „einsatzfähigen“ Protein
ist es – gerade in eukaryotischen Zellen – ein weiter Weg:
Ausgehend von der DNA wird bei der Transkription zuerst
die RNA synthetisiert, nicht kodierende Sequenzen werden nachträglich entfernt. Die RNA dient bei der Translation als „Vorlage“ zur Synthese der Proteine in den Ribosomen. Um zum einsatzfähigen Protein mit den richtigen Funktionalitäten und der richtigen Raumstruktur zu
gelangen, sind noch zahlreiche Modifikationen nötig.
Die entscheidende Frage ist jedoch, wann eine Zelle ein
bestimmtes Protein synthetisiert, wie der Vergleich von
Raupe und Schmetterling zeigt: Beide weisen den identischen Gensatz auf, unterscheiden sich aber im Phänotyp, da verschiedene Proteine exprimiert werden.
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Momentaufnahmen
aus dem Leben
einer Zelle
eueste Erkenntnisse besagen, dass Menschen
wesentlich weniger Gene
besitzen, als bisher vermutet
wurde: „Nur“ etwa 30 000 bis
40 000 Gene reichen aus, um uns
in unserer ganzen Komplexität
entstehen und funktionieren zu
lassen. Für viele Biochemiker ist
dies kein überraschender Befund,
da die Vielfalt des Lebens für sie
auf der Ebene der Proteine zu suchen ist und nicht im Genom. Die
Herausforderung der nächsten
Jahrzehnte wird sein, zu klären,
wie die Regieanweisung des Genoms von der Zelle interpretiert
und in Proteine umgesetzt wird.
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Wenn Sie sich vorstellen, dass
der Architekt, den Sie für ihr neues Haus engagiert haben, ihnen
eine derartige Endlosliste aus Bauteilen vorlegt, können Sie nur
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schwer daraus ableiten, wie dieses Haus aussehen oder funktionieren soll.
Einer ähnlichen Liste stehen
jetzt, nach der Entzifferung des
menschlichen Genoms, die Wissenschaftler gegenüber, denn die
Reihenfolge der über drei Milliarden Basen im menschlichen Genom sagt noch nichts aus über die
Funktion der einzelnen Gene. Gerade auch, weil nur ein geringer
Prozentsatz dieses Endlostextes
aus vier Buchstaben wirklich den
Bauplan für die daraus abgeleiteten Eiweiße, die Proteine, enthält.
Proteine sind die wichtigsten Bestandteile des Körpers und die eigentlichen Träger der im Genom
festgelegten Zellfunktionen. Ob
als Strukturbausteine, Enzyme
oder Antikörper: Sie sind es, die
über die Eigenarten unserer Körperzellen bestimmen. Die Gesamtheit aller Proteine wird analog
zum Genom als Proteom bezeichnet.
Benötigt eine Zelle ein bestimmtes Protein, so wird im Zellkern zu Beginn der Neuproduktion
eine Kopie des Bauplans des entsprechenden Gens erstellt (Transkription). Diese „Kopie“ verlässt
als Datenträger den Kern und wird
an die Produktionsabteilung für
Proteine, die Ribosomen, verschickt. Diese fügen dem Bauplan
entsprechend eine Aminosäure
nach der anderen aneinander
(Translation). Nach Anfügen der
letzten Aminosäure wird das Protein ins Zytoplasma freigegeben
und das Ribosom angelt sich eine
neue Kopie des Bauplans. Dieses
Prinzip der Bildung von Proteinen
ist seit Anfang der sechziger Jahre
bekannt. Die Vielfalt der Möglichkeiten wird aber erst jetzt klar,
nachdem das Protein, dem lange
Zeit die Popularität vom Gen streitig gemacht wurde, eine Renaissance erlebt.
Ein Gen, ein Protein –
so einfach ist es nicht
Bis vor kurzem noch war man der
Meinung, dass jedes Gen nur den
Bauplan für ein Protein mit einer
bestimmten Funktion enthält.
Mittlerweile jedoch ist bekannt,
dass Teile des Bauplans herausgeschnitten und mit Teilen eines
anderen Bauplans, ähnlich einer
Collage, zu einem völlig neuen
Plan zusammengesetzt werden
können. Dieser Vorgang wird als
alternatives splicing bezeichnet
und resultiert in einem veränderten oder neuen Protein mit anderer Funktion. So gibt es für Myosin, ein Strukturprotein der Muskelfaser, nur ein einziges Gen,
obwohl Myosin beim Menschen
in zahlreichen verschiedenen
Formen vorkommen kann. Zusätzlich zum splicing können
Trotz ihres identischen Genoms lassen die beiden Entwicklungsstadien des Schmetterlings keinerlei Verwandtschaft vermuten. Zu verschiedenen Zeitpunkten der Entwicklung werden unterschiedliche Gene exprimiert und damit unterschiedliche Proteine synthetisiert. Zeitlich und räumlich unterschiedliche Genaktivitäten wirken sich damit auf der Ebene der Proteine aus.
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Faktoren wie Stress, Medikamente
und das Nährstoffangebot beitragen. Mangel oder Überangebot
bestimmter Faktoren müssen ausgeglichen werden, was zu einer
Mehrproduktion bestimmter Proteine führt, während andere weniger benötigt werden. Es existieren
also im Gegensatz zu „dem Genom“ eine Vielzahl von Proteomzuständen, jeweils als Momentaufnahmen der Proteinzusammensetzung im Leben einer Zelle.
Vielfalt macht Analysen
schwierig
Proteine erfüllen im Stoffwechsel vielfältige Aufgaben. Wichtigste Vertreter sind
neben den strukturbildenden Proteinen, etwa in der Haut oder in den Haaren,
die Enzyme. Oben dargestellt ist ein Modell der Glutamyl-tRNA-Reduktase, einem Enzym der Proteinbiosynthese. Als Biokatalysatoren ermöglichen Enzyme
den Ablauf chemischer Reaktionen und steuern einzelne Stoffwechselschritte.
Grafik: GBF
anschließend am Protein noch
Veränderungen vorgenommen
werden, die nicht im Plan vorgesehen sind, die aber die Eigenschaften eines Proteins wesentlich beeinflussen (so genannte
posttranslationale Modifikationen). Über hundert solcher
Veränderungen sind bis heute
beschrieben. Am häufigsten werden Phosphatreste oder Zuckerketten als Seitenäste an Proteine
angefügt. All diese Proteine bilden nun eine dreidimensionale,
kompakte Struktur, die wiederum
mit anderen Proteinen in Wechselwirkung treten kann. Nicht zuletzt kann ein und dasselbe Protein mehrere unterschiedliche
Funktionen in unterschiedlicher
Umgebung ausüben bzw. können
umgekehrt unterschiedliche Proteine sehr ähnliche Funktionen
innehaben.
nenten Veränderungen unterworfen, je nach Bedarf der Zelle. Sie
verändert während der Entwicklung ständig ihre Proteinzusammensetzung, wozu auch äußere
Die Analyse der Proteomzustände
ist die Herausforderung, der die
Wissenschaftler jetzt gegenüberstehen. Diese Aufgabe ist ungleich
aufwendiger als die Entzifferung
des Genoms. Proteine sind weitaus schwieriger handhabbar als
Gene und deutlich heterogener in
ihren chemischen und physikalischen Eigenschaften. Die DNA ist
aus vier unterschiedlichen Basen
aufgebaut. Dies lässt weniger Variationen in ihren Eigenschaften zu
als bei Proteinen, die aus zwanzig
Stress verändert das Bild
Um die Vorgänge in einer Zelle
verstehen zu können, ist es daher
notwendig, die Proteine zu analysieren. Anders als das Genom, das
statisch im Zellkern ähnlich einem
Bauplan im Tresor vorliegt, ist das
Proteom dynamisch und perma-
Zweidimensionale Gelelektrophorese. In zwei Schritten werden Proteine
zuerst in einem elektrischen Feld nach ihrer Ladung getrennt und dann in
einem engmaschigen Netz aus Polyacrylamid nach ihrer Größe sortiert.
Anschließend werden die Proteine im Gel durch Anfärben sichtbar gemacht
und erscheinen dann, je nach Farbstoff, als schwarze, blaue oder fluoreszierende Punkte unterschiedlicher Größe und Intensität, abhängig von der
Menge des Proteins.
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verschiedenen Aminosäuren zusammengesetzt sind, die zusätzlich noch durch posttranslationale
Modifikationen in ihren Eigenschaften verändert werden können. Die Größe der Proteine reicht
von wenigen Aminosäuren, aufgereiht wie Perlen auf einer Perlenkette, bis zu mehreren hundert
Aminosäuren. Dabei werden diese
Ketten, je nach Zusammensetzung
der Aminosäuren, zu unterschiedlichsten dreidimensionalen Strukturen gefaltet, die so mit anderen
Proteinen in Wechselwirkung treten können. Legt man die Anzahl
aller gefundenen humanen Gene
mit 40 000 zugrunde, kann man
davon ausgehen, dass durch
nachträglich eingeführte Modifikationen mindestens 200 000 verschiedene Proteinspezies mit
unterschiedlicher Funktion zu erwarten sind. Das heißt, ein Gen
kodiert durchschnittlich für fünf
verschiedene Proteine, die jedoch
nicht alle in jedem Organ oder in
jedem Zelltyp gleichzeitig vorkommen.
Hinzu kommen noch die sehr
unterschiedlichen Mengen, in denen Proteine in einer Zelle vorliegen können. So benötigt eine Zelle von einem Protein nur wenige
Moleküle zur Aufrechterhaltung
ihrer Funktion, während andere
Proteine in mehreren hunderttausend Kopien vorhanden sein müssen. Diese Heterogenität verlangt
ein deutlich größeres Methodenspektrum als es in der hochautomatisierbaren DNA-Analyse notwendig ist.
Fingerabdrücke helfen
Welche Ansätze werden verfolgt,
um Proteinveränderungen in einer
Zelle nachweisen zu können? Es
müssen Techniken gefunden werden, die sensitiv genug sind, um
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Zur Bestimmung von Proteinen ist die instrumentelle Analytik heute unentbehrlich.
Mit Hilfe eines MALDI-TOF-Massenspektrometers kann ein ionisiertes Proteinmolekül anhand seiner Flugdauer in einem evakuierten Rohr identifiziert werden.
Foto: GSF/GAZ
mit sehr wenig Zell- oder Gewebematerial auszukommen und es
sollten Techniken sein, die Veränderungen der Proteinzusammensetzung schnell erfassen können.
Die heute am weitesten verbreitete Methode, „Proteinfingerabdrücke“ einer Zelle darzustellen,
ist die zweidimensionale Gelelektrophorese. Dabei werden Proteine in einem Gel aufgetrennt und
angefärbt, wodurch sie als Punkte
sichtbar werden. Vergleicht man
die Proteinmuster unterschiedlicher Zustände einer Zelle, zum
Beispiel eine Normalleber mit einer Leber unter dem Einfluss verschiedener Medikamente, so verändert sich die Intensität mancher
Punkte. Um zu verstehen, welche
Proteine an Regulationsnetzwerken unter dem Einfluss bestimmter Medikamente beteiligt sind,
müssen die Proteine identifiziert
werden, die sich hinter einem sich
verändernden Punkt verbergen.
Dazu wird dieses Protein aus
dem Gel ausgestochen und mit
„Schneide-Enzymen“, die selbst
auch Proteine sind, in leichter analysierbare Fragmente zerlegt. Jedes Protein wird dabei in charak-
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teristische Bruchstücke zerlegt,
deren Molekülmassen in sogenannten Massenspektrometern
genau bestimmt werden können.
Dieser „Fingerabdruck“ aus mehreren Fragmentmassen wird zur
Identifizierung des Proteins in einer Datenbank verwendet. Allerdings können nicht alle Proteine
auf diese Weise eindeutig identifiziert werden. In speziellen Fällen
muss in einem solchen Bruchstück
die Aminosäureabfolge bestimmt
werden. Für eine derartige massenspektrometrische Analyse genügt heute bereits weniger als ein
Millionstel eines Milligramms.
Problematisch ist bei dieser
Elektrophorese-basierten Methode
vor allem die Reproduzierbarkeit,
beginnend bei der manuellen Herstellung der Gele über die Anfärbung bis hin zur computergestützten Auswertung der Proteinmuster. Außerdem kann nur eine
relativ geringe Anzahl von Eiweißen im Gel sichtbar gemacht
werden, nämlich etwa 5000 von
50 000 erwarteten Proteinen. Der
Rest liegt in zu geringer Menge
vor, um mit dieser Technik analysiert werden zu können.
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Nervenzellen mit ihren charakteristischen Fortsätzen, den Dendriten. Alle
Zellen eines Organismus besitzen eine
identische Genausstattung, unterschiedliche Zelltypen entstehen durch
die Expression von verschiedenen
Genen.
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mit Proteinen zusammen. So bilden sich bei der Alzheimer-Krankheit unlösliche Proteinfragmente
im Gehirn, die die Zellen zerstören.
Darüber hinaus erhofft man
sich auch Aufschluss über die
Funktion der unzähligen noch unbekannten Proteine. Mit der
Buchstabenfolge der Gene kennt
man auch Bauanleitungen seltener Eiweiße, die man sonst im
Körper nur schwer finden würde.
Noch in weiter Ferne liegt das
Ziel, zu verstehen, wie all diese
Proteine in Netzwerken miteinander verknüpft sind, was bei verschiedenen Krankheiten im Organismus abläuft, und wie Medikamente wirken bzw. was im Leben
einer Zelle an Veränderungen auftritt. All diese Erkenntnisse, bioinformatisch abgebildet, sollen die
Schaffung einer virtuellen Zelle
erlauben, in der Prozesse dargestellt und simuliert werden kön-
nen. Um diese schwierige Herausforderung anzugehen, müssen Wissenschaftler unterschiedlicher Fachgebiete, wie Biochemiker, Zellbiologen und Informatiker
eng zusammenarbeiten. Für das
Verständnis lebender Systeme
könnte man aus einer funktionierenden virtuellen Zelle vieles lernen.
Literaturhinweise:
Hunter,T.C., Andon, N.L., Koller, A., Yates,
J.R., Haynes, P.A.: (2002) The functional
proteomics toolbox: methods and applications. Journal of Chromatography B
782, 1-2, 165-181
Lottspeich, F., Zorbas, H.: (1998) Bioanalytik.
Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg
Yarmush, M.L., Jayaraman, A.: (2002)
Advances in Proteomic Technologies.
Annual Review of Biomedical Engineering, 4, 1, 349-373
Internettipps:
http://www.proteome.co.uk
http://www.europroteome.com
http://www.lsbc.com
Foto: Wanner
Deshalb wird fieberhaft nach
alternativen und komplementären
Methoden für die Proteomanalytik gesucht. Diese Methoden müssen besser automatisierbar sein
und quantitative Aussagen liefern. Verschiedene neue Ansätze,
basierend auf differentiellem Isotopenlabeling oder ProteinchipTechnologien, versprechen durchaus Fortschritte auf diesem Gebiet.
Noch Zukunftsmusik:
Die virtuelle Zelle
Die Erwartungen an die Proteomforschung sind vielfältig: Als wichtigstes Ziel sollen krankheitsrelevante Proteine gefunden werden,
die diagnostische und auch neue
therapeutische Strategien in der
Medizin erlauben. Viele Wissenschaftler glauben, dass im Proteom der Schlüssel zum Verständnis
von Krankheiten liegt. Manche
Volkskrankheiten hängen direkt
Fluoreszenzmikroskopische Aufnahme von Zellen, die das Protein Huntingtin
synthetisieren. Bei der erblichen Nervenkrankheit Chorea Huntington wird infolge einer Mutation des Huntingtin-Gens das entsprechende Protein Huntingtin
mit einer veränderten Struktur (Amyloidstruktur) synthetisiert. Dadurch gehen
Nervenzellen, speziell in den Stammganglien und der Hirnrinde, zugrunde.
Foto: DHGP
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